Zusammenfassung
Hintergrund
International stellt Community Health Nursing (CHN) ein etabliertes Konzept dar. Auch in Deutschland wird gegenwärtig die Implementierung in die Primärversorgung diskutiert. Eine systematische Darstellung, welche Aufgaben und Interventionen CHN in der Versorgungspraxis durchführen, fehlt bislang.
Methodik
Im Rahmen eines Scoping Reviews wurde eine Literaturrecherche in internationalen Datenbanken durchgeführt, um einen Überblick der Literatur zu Interventionen und Tätigkeitsfelder von CHN zu erhalten.
Ergebnisse
Insgesamt konnten 24 Studien in die Analyse eingeschlossen werden. Verschiedene Aufgabenschwerpunkte konnten identifiziert und kategorisiert werden: Gesundheitsförderung/Prävention, Evidenzbasierung, Individualversorgung, übergeordnete Tätigkeiten.
Schlussfolgerung
Die Ergebnisse sprechen dafür, dass durch CHN-Interventionen die Versorgung chronisch Erkrankter verbessert werden kann. Die Übertragbarkeit der Ergebnisse auf das deutsche Gesundheitssystem ist derzeit aufgrund der berufsrechtlichen Lage und der Unklarheit bezogen auf die Finanzierung nur eingeschränkt möglich.
Abstract
Background
Internationally, community health nursing (CHN) is an established concept. In Germany, the implementation in primary care is currently being discussed. So far, a systematic description of which tasks and interventions CHNs conduct in health care practice is missing.
Methods
As part of a scoping review, a literature analysis was conducted in international databases to obtain an overview of the literature on interventions and fields of activity of CHNs.
Results
A total of 24 studies were included in the analysis. Different focuses of interventions could be identified and categorized: health promotion/prevention, evidence-based nursing, individual care, higher-level activities.
Conclusion
The results suggest that CHN interventions can improve care for the chronically ill. The transferability of the results to the German health care system is currently limited due to the professional legal situation and the unclear situation regarding funding.
Avoid common mistakes on your manuscript.
Einleitung
Als Community Health Nursing (CHN) wird in der Pflege ein Tätigkeitsfeld bezeichnet, das die Gesundheitsfürsorge und die Versorgung einer communityFootnote 1 umfasst [23]. Das Konzept zielt darauf ab, Versorgungslücken zu schließen, professionell Pflegende mit erweiterten Kompetenzen und neuen Handlungsfeldern auszustatten und auf diese Weise eine Versorgung zu gewährleisten, die an die individuellen Bedarfe der Patient*innen angepasst ist. Während das Konzept hierzulande noch in den Anfängen steckt, ist es international bereits integraler Bestandteil der Primärversorgung. Auch in Deutschland werden die Bestrebungen, CHN als Konzept in der Primärversorgung aufzunehmen, konkreter. Ein von Burgi und Igl 2021 veröffentlichtes Gutachten zu rechtlichen Voraussetzungen und Möglichkeiten der Etablierung von CHN [5] zeigt auf, welche rechtlichen Schritte hier getätigt werden müssen. Der neue Koalitionsvertrag der SPD (Sozialdemokratische Partei Deutschlands), der Grünen (Bündnis 90/Grünen) und der FDP (Freie Demokratische Partei), der im November letzten Jahres vorgestellt wurde, beinhaltet erstmalig die Empfehlung für die Implementierung von CHN in Deutschland [27]. Das Präventionsgesetz sowie die Primär- bzw. Sekundärprävention sollen laut Koalitionsvertrag gestärkt werden – hier und an vielen weiteren Stellen lassen sich potenzielle Tätigkeitsfelder eines/r CHN in Deutschland erkennen, dennoch ist zum jetzigen Zeitpunkt das Aufgabenprofil noch unscharf. Eine systematische Darstellung, welche Aufgaben und Interventionen CHN in der Versorgungspraxis durchführen, fehlt bislang. Deshalb wurde ein Scoping Review durchgeführt mit dem Ziel, den Stand der Forschung in diesem Bereich aufzuarbeiten und Ansatzpunkte für die zukünftige Versorgungspraxis und Forschungsentwicklung in Deutschland zu identifizieren. Der Fokus der Literaturanalyse liegt auf Studien, die Interventionen von CHN an chronisch erkrankten Erwachsenen untersuchen und evaluieren.
Methodik
Das vorliegende Scoping Review gibt einen Überblick über die Tätigkeitsfelder eines/r CHN in der Versorgung von chronisch Erkrankten. Die Qualität der eingeschlossenen Studien wird – anders als beim Systematic Review – nicht bewertet. Die Recherche wurde gemäß der Vorgehensweise von Arksey und O’Malley (2005) durchgeführt. Hierfür zählen die folgenden Schritte: Festlegung der Forschungsfrage, Identifikation relevanter Studien, Auswahl relevanter Studien, Datenextraktion und Zusammenfassung der Ergebnisse [2].
Festlegung der Forschungsfrage
Zu Beginn wurden folgende Forschungsfragen formuliert: Welche Aufgaben und Interventionen von CHN bei chronisch erkrankten Erwachsenen werden in empirischen Studien beschrieben? Welche Arten von Interventionen werden umgesetzt und wie werden sie durchgeführt?
Identifikation relevanter Studien
Für die Recherche wurden die englischsprachigen Fachdatenbanken PubMed und CINAHL genutzt. Ergänzend erfolgte eine Handrecherche in Google Scholar und in den Referenzlisten der eingeschlossenen Publikationen. Als Suchstrategie wurde für die Datenbankrecherche unter Verwendung Boolscher Operatoren (OR/AND) eine Syntax definiert, die die Begriffe „community health nursing“, „chronic disease“ und „intervention“/„effects“ und deren Synonyme und verwandte Begriffe kombiniert. Zusätzlich wurden Schlagwörter zu Gruppen und spezifischen chronischen Erkrankungen gebildet, die ebenfalls in die Suche integriert wurden. Der Recherchezeitraum erstreckte sich von August bis September 2021.
Auswahl relevanter Studien
Als Leitkriterien wurde festgelegt, dass die Studien einen eindeutigen Konzeptbezug zu CHN bzw. CHN-verwandten Berufsgruppen haben. Die Komplexität der Rolle und die erforderlichen Kompetenzen verlangen eine Qualifikation auf Masterniveau [11], sodass Treffer eingeschlossen wurden, in denen die Interventionen durch entsprechend qualifizierte Pflegefachpersonen im Community Setting durchgeführt wurden. Um eine möglichst hohe Breite an Interventionen zu identifizieren, wurden Studien, in denen CHN mit einem engen Fokus (z. B. Community Mental Health Nursing) und Untersuchungen, in denen die Intervention nur aus einem Teilkonzept von CHN bestand (z. B. Case Management), ausgeschlossen. Eingeschlossen wurden Interventionsstudien, in denen detaillierte Darstellungen evaluierter Interventionen durch CHN zu entnehmen sind. Da Reviews i. d. R. wenig Details, sondern übersichtsartige Darstellungen zu Tätigkeitsfeldern beinhalten, wurden diese in der Suche nicht berücksichtigt. Die Zielgruppe, an die sich die Interventionen richten, sind Erwachsene mit mindestens einer chronischen Erkrankung. Zielgruppen, die neben dem Merkmal „chronische Erkrankung“ weitere Merkmale aufwiesen, die besondere Anforderungen an die Versorgung stellen (z. B. im Palliativ-Setting oder chronisch erkrankte Kinder) wurden ebenfalls ausgeschlossen. Tab. 1 stellt die Kriterien im Überblick dar.
Datenextraktion
Es wurden insgesamt 837 Publikationen identifiziert. Im Rahmen der Vorauswahl wurden Duplikate entfernt (n = 17), sodass eine Anzahl von 820 Treffern verblieb. Nach Sichtung der Titel und Abstracts konnten 142 Treffer in die Vorauswahl aufgenommen werden. Anschließend wurden die Volltexte der verbleibenden Veröffentlichungen gesichtet und auf ihre Eignung geprüft. Es wurden insgesamt 24 Studien als geeignet identifiziert und in die Auswahl eingeschlossen (Abb. 1).
Zum Zwecke der Protokollierung der eingeschlossenen Studien wurde ein Extraktionsformular erstellt, das die bibliographischen Daten und die wesentlichen Inhalte der Erhebungen zusammenfasst. Es enthält: Autor*in und Publikationsjahr, Studiendesign, Studienpopulation, Bezeichnung CHN, Setting, Format der Intervention, Interventionsinhalte sowie Ergebnisse. Die Inhalte der Interventionen wurden analysiert und in Kategorien und Subkategorien (Spezifikation) zusammengefasst.
Ergebnisse
Eine Übersicht der eingeschlossenen Studien ist Tab. 2 zu entnehmen. Drei Studien wurden im europäischen Raum, nämlich in den Niederlanden [10], in Portugal [25] und Slowenien [16] durchgeführt. Darüber hinaus wurden neun der Untersuchungen in Australien [6, 12,13,14, 17, 24, 29, 30, 32], 5 in China [7, 9, 19,20,21], 4 in den USA [1, 3, 4, 22], eine in Taiwan [8] und eine in der Türkei [15] umgesetzt. Bei 12 der 24 Studien handelt es sich um randomisiert kontrollierte Studien [1, 4, 6, 7, 9, 12, 13, 19, 20, 26, 29, 32] bzw. eine randomisierte Fall-Kontroll-Studie [21]. Des Weiteren wurden 4 Prä-post-Studien [3, 15, 17, 30], 4 Querschnitt- [8, 14, 16, 22] und 2 Längsschnittstudien [10, 24] sowie eine Beobachtungsstudie [25] identifiziert.
Inhalte der CHN-Interventionen
Das Spektrum der Tätigkeiten eines/r CHN lässt sich verschiedenen Schwerpunkten zuordnen. Gesundheitsförderung und Prävention ist integraler Bestandteil der Arbeit und durchzieht sämtliche Tätigkeitsfelder. Maßnahmen der Primärprävention finden sich bspw. in Form von präventiven Screenings wieder [14, 16, 22]. Häufig können CHN sekundärpräventiv in einem frühen Stadium einer chronischen Erkrankung ansetzen und durch edukative Interventionsansätze das Selbstmanagement der Patient*innen verbessern und schwere Verläufe abmildern [1, 3, 4, 6, 13, 15, 19,20,21,22, 26, 30, 32]. Die Beteiligung der Patient*innen beim Festlegen von Versorgungsstrategien befähigt Betroffene, gesundheitsförderndes Verhalten aufrecht zu erhalten [7, 12, 24, 29, 30, 32]. Der Anspruch, evidenzbasiert zu handeln, durchzieht ebenfalls sämtliche Tätigkeiten des/der CHN, z. B. in Form von evidenzbasierten Behandlungsempfehlungen [26] oder evidenzbasierter Informationen [3]. Des Weiteren stellt ein Aufgabenbereich die Individualversorgung, bei der der/die CHN in direktem Patientenkontakt Interventionen durchführt, dar. Außerdem gibt es eine übergeordnete Ebene, das organisatorische, aber auch gesundheitspolitische Tätigkeiten sowie die interprofessionelle Zusammenarbeit umfasst. Innerhalb dieser beiden Ebenen lassen sich die Interventionen des/der CHN in verschiedene Kategorien einteilen, wie der Tab. 3 zu entnehmen.
Patientennahe Interventionen
Elemente der Kategorie Bedarfserhebung und Diagnostik finden sich in nahezu allen eingeschlossenen Studien wieder. Neben Anamnese, pflegerischem Assessment [6,7,8,9, 12,13,14,15,16,17, 19,20,21,22, 25, 30, 32] und körperlicher Untersuchung [1, 3, 4, 6, 9, 16, 19, 22] gehört auch die Diagnosestellung [14, 16, 22] zum Aufgabengebiet des/der CHN. Genannt werden hier die Untersuchung auf gängige chronische Erkrankungen und deren Risikofaktoren [3, 4, 16], aber auch Verlaufskontrollen [3, 4, 8,9,10, 13, 15, 16, 20, 22, 25] und präventive Screenings [14, 16, 22]. Eine Studie erfasste soziale Determinanten von Gesundheit als Einflussfaktor auf Gesundheit [16].
Auf Grundlage von Bedarfserhebungen trifft der/die CHN – häufig gemeinsam mit der erkrankten Person – nun Entscheidungen bezüglich zur weiteren Versorgung, was in der Kategorie Zielsetzung, Prozessbegleitung und Partizipation beschrieben wird. Individuell zugeschnittene Versorgungspläne wurden erstellt [1, 7, 9, 10, 13, 15, 21, 22, 24, 29, 32], die als Grundlage dienen, um den weiteren Versorgungsprozess zu begleiten [10, 13, 20,21,22, 24, 30, 32]. Die (gemeinsame) Festlegung von Zielen („mutual goal setting“; [7, 12, 24, 29, 30, 32]) sowie die Motivierung des Erkrankten, die angesetzten Maßnahmen langfristig umzusetzen [15, 16, 22, 24, 29, 30, 32] werden beschrieben. Im Rahmen eines „PAR-Projekts“ („partizipatory action research“) sind es die Patient*innen selbst, die aktuelle Behandlungspraktiken überprüfen und unter Einbezug aktueller Forschungsergebnisse verbessern [17].
Eine weitere Kategorie ist die Aufklärung, Beratung und Anleitung der Patient*innen, um Wissen zu Krankheit, Risikofaktoren und Folgeerkrankungen zu vermitteln [3, 6, 10, 13, 15, 22, 25, 30]. Daran angeknüpft, bieten CHN Beratung, Schulung und Anleitung zum Umgang mit Erkrankungen und gesundheitsförderndem Verhalten [1, 3, 4, 6, 13, 15, 19,20,21,22, 25, 30]. Während einige Studien den Beratungsschwerpunkt auf sog. „brief lifestyle interventions“ [6, 13] setzen, verfolgen andere breit angelegte Beratungs- und Schulungsprogramme [22].
In der Kategorie Soziale Unterstützung und Ansprechbarkeit wird deutlich, dass der/die CHN neben planmäßigen Beratungsgesprächen häufig auch in Situationen spontaner Patient*innen- und Angehörigengespräche wiederfindet, in etwa, wenn Patient*innen ohne Termin in einer offenen Pflegesprechstunde vorbeikommen. Oft ist er/sie die erste Ansprechperson bei plötzlich auftretenden Problemen, da sie den Patient*innen – teilweise durch die Nutzung von E‑Health – unmittelbare Beratung liefern kann [8, 19, 21, 25]. Sie geht empathisch und wertschätzend auf das Krankheitsgeschehen ein [24, 25]. Auch im Austausch mit anderen Erkrankten finden Betroffene soziale Unterstützung, wie z. B. im „Leg Club“ für Patient*innen mit venösen Ulzera [12].
Pflegerische Versorgung und Therapie umfasst medizinisch-pflegerische Interventionen durch CHN [9, 12, 16, 20, 25], wie z. B. die Behandlung des venösen Ulkus [12], aber auch die psychosoziale Unterstützung der Betroffenen [20, 26]. Auch das Medikamentenmanagement fällt unter diese Kategorie. Teilweise stellen CHN eigenständig Rezepte aus [1], können Änderungen im Medikamentenregime vornehmen [19, 20] und sind verantwortlich für Titration und Überwachung der Einnahme [1, 4].
Übergeordnete Tätigkeitsfelder
Die CHN steuern Versorgungsprozesse und die Leistungserbringungen verschiedener Akteur*innen, wie in der Kategorie Koordination und Organisation dargestellt. Ein Großteil ihrer Arbeit besteht darin, ganze Versorgungspfade im Sinne des Case Managements zu koordinieren [1, 9, 16, 26], indem sie als Schnittstelle zwischen den Dienstleistern fungiert, wie nach einer Krankenhausentlassung [20]. Oft verfügen CHN über ein gut ausgebautes Netzwerk und leiten ihre Patient*innen an entsprechende Stellen weiter [6, 10, 13, 19, 20, 22]. CHN beurteilen die Dringlichkeit einer Einweisung ins Krankenhaus und tätigen diese [15, 16, 19,20,21]. Außerdem koordinieren sie Beratungs- und Schulungsangebote, die durch Externe durchgeführt werden [4, 22] und stimmen diese mit eigenen Beratungsinhalten ab.
„Nurse-led care“ bedeutet zusammengefasst das Management aller Interventionen durch CHN, in Zusammenarbeit mit anderen Versorger*innen und wird in mehreren Studien auf ihre Wirksamkeit überprüft [1, 21, 22, 25, 26]. Dies kann die Leitung einer gesamten Gesundheitseinrichtung beinhalten [4], in anderen Studien bedeutet dies die Übernahme der Verantwortung für therapeutische Entscheidungen mit Handlungsspielraum in der Ausgestaltung [4, 19], teilweise komplett ohne Arztbeteiligung [4].
Eine wichtige Säule in der interprofessionellen Zusammenarbeit ist die enge Kooperation mit der Ärzteschaft [1, 4, 13, 19, 20, 22, 26], aber je nach Setting auch mit weiteren Gesundheitsberufen [1, 4, 21, 22, 26]. Beschrieben wird die lokale Vernetzung mit Multiplikator*innen vor Ort [3, 10, 26], die Zugang zu sonst schwer erreichbaren Gruppen schafft. CHN bringen Akteure eines Bezirks zusammen, um Absprachen bezüglich zur Versorgung zu treffen [10]. Auch wird der/die CHN in der Ausführung gesundheitspolitische Tätigkeiten und somit als wichtiges Bindeglied zwischen Versorger*innen bzw. Patient*innen und der Kommune beschrieben [10].
Diskussion
Laut Siebtem Altenbericht und Kuratorium Deutsche Altershilfe [18] liegen zentrale Lösungsansätze für ein zukunftsfestes und alternsgerechtes Gesundheitssystem u. a. im Ausbau von Prävention und Gesundheitsförderung, in der interprofessionellen Zusammenarbeit sowie in der Stärkung lokaler Strukturen. Die internationale Literatur zeigt, dass der/die CHN (Community Health Nurse) durch ihre Tätigkeiten als wichtige Schnittstelle in diesem Versorgungsgefüge fungieren kann und in anderen Ländern bereits als wichtiges Teammitglied auf der Ebene der Primärversorgung anerkannt ist. Im Rahmen des vorliegenden Scoping Reviews wurden die potenziellen Aufgabenfelder von CHN untersucht. Insgesamt wurden über zwanzig Publikationen systematisch gesichtet. Es zeigt sich ein vielfältiges Tätigkeitsspektrum. Viele beschriebene Interventionen spielen sich auf der Individualebene ab. Wenig beschrieben sind bevölkerungsbezogene bzw. gesundheitspolitische Handlungsfelder, obwohl dies häufig in Konzeptpapieren, wie dem vom DBFK [11], als integraler Bestandteil der Arbeit benannt wird.
Die CHN gewährleisten eine wohnortnahe Versorgung. Dies ermöglicht den Nutzer*innen einen niedrigschwelligen Zugang zu primärmedizinischer Versorgung – auch in unterversorgten städtischen oder ländlichen Gebieten. CHN kann somit – unter Vorbehalt der Übertragbarkeit auf das deutsche Gesundheitssystem – einen Beitrag leisten, die Primärversorgung insbesondere von Menschen mit einer chronischen Erkrankung zu verbessern. Viele hierfür notwendige Tätigkeiten, wie etwa die Rezeptierung, unterliegen allerdings dem Arztvorbehalt und können aktuell nicht in Deutschland von CHN ausgeführt werden [11]. Es fehlt an gesetzlichen Rahmenbedingungen, damit Pflegende mit entsprechender Qualifikation in der Primärversorgung als CHN rechtssicher agieren können. Zur Ausgestaltung des Konzepts CHN kann die Situation in Kanada ein Vorbild sein, da hier der/die CHN bereits über größere Handlungsspielräume hinsichtlich der Gestaltung eigenverantwortlicher Steuerprozesse und der Übernahme komplexer Aufgaben in der Versorgung verfügt [11]. Zur tatsächlichen Realisierung bedarf es jedoch in Deutschland einer grundsätzlichen Neustrukturierung des Berufsrechts, um Kompetenzbereiche der/des CHN klar von denen der Ärzt*innenschaft abzugrenzen und vom ärztlichen Vorbehalt loszulösen, sodass CHN in einem definierten Rahmen Aufgaben der primärmedizinischen Versorgung selbstständig übernehmen können. In diesem Zuge müssen auch ordnungs- und haftungsrechtliche Fragen diskutiert und Lösungen gesetzlich verankert werden. Eine Reformation des Leistungsrechts ist erforderlich, da CHN bisher nicht als Leistungserbringer*in in der Versorgung vorgesehen sind und somit über keine Vergütungsberechtigung verfügen [5]. Nur so kann die Bandbreite an Interventionen, wie sie in den international recherchierten Untersuchungen herausgearbeitet wurden, umgesetzt werden.
In einem Diskussionsbeitrag von Januar dieses Jahres geben Völkel et al. zu bedenken, dass die Aufgaben eines/r CHN weit die einer herkömmlich qualifizierten Pflegefachpersonen überschreiten, sodass auch in diesem Zusammenhang eine Übertragbarkeit internationaler CHN-Konzepte ins deutsche Gesundheitssystem kompliziert werden könnte [28]. Es wird zwar davon ausgegangen, dass die Tätigkeiten eines/r CHN von Pflegenden mit akademischer Qualifikation auf Masterniveau ausgeübt werden, wie es etwa das Profil einer APN (Advanced Practice Nurse/Nurse Practitioner) erfüllt. Masterstudiengänge mit dem speziellen Fokus auf CHN gibt es derzeit in der Evangelischen Hochschule Dresden, der Hochschule Vallendar, der Universität Bremen, der Katholischen Stiftungshochschule München und der Universität Witten-Herdecke. Nach Einschätzung des DBfK erlangt der/die CHN nach Abschluss des Masterstudiengangs die benötigten Kompetenzen [11]. Die Weiterentwicklung der Studiengänge in Form eines gemeinsamen Kerncurriculums ist ein wichtiger nächster Schritt in der Kompetenzentwicklung; Kernthemen hierfür stellen Völkel et al. in ihrem Beitrag vor, wie u. a. zu den Themen Assessment, Beratung und Health Literacy, aber auch zu Querschnittsthemen wie Ethik, Populationsorientierung und Forschung [28]. Viele der Kernthemen finden sich auch in den Ergebnissen der vorliegenden Analyse wieder, was ein Hinweis darauf sein kann, dass wir uns einer Eingrenzung und Schärfung der Tätigkeitsbeschreibung CHN in Deutschland nähern.
Limitationen
Ziel dieser Untersuchung ist es, eine Übersicht über Interventionen von CHN abzubilden. Es wurde eine begrenzte Auswahl an Datenbanken (PubMed/CINAHL/Google Scholar) genutzt und innerhalb der Suche Limitationen bezüglich Sprache, Studientyps und Publikationszeitraums eingesetzt. Die Zielgruppe wurde eingegrenzt auf die der chronisch Erkrankten. Mit dem damit verbundenen Ausschluss einer großen Anzahl an Forschungsarbeiten ist ein Informationsverlust verbunden, welcher als methodische Limitation zu beschreiben ist. Der Anspruch eines systematischen Reviews lag nicht zugrunde.
Fazit für die Praxis
-
Als integriertes und patientenzentriertes Versorgungsmodell ist CHN (Community Health Nursing) ein zukunftsweisendes Konzept, das die Primärversorgung verbessern kann.
-
Die Tätigkeitsfelder, v. a. im Bereich der Individualversorgung, sind vielfältig beschrieben und lassen sich auf das deutsche Gesundheitssystem übertragen. Eine genauere und elaboriertere Beschreibung ist notwendig, um es zukünftig in Ausbildung, Praxis und Forschung nutzbar machen zu können.
-
International wird das Konzept CHN bereits erfolgreich umgesetzt; in Deutschland müssen Fragen der Implementierung, Finanzierung und Abrechenbarkeit geklärt werden.
Notes
„A community is a social group determined by geographic boundaries and/or community values and interests. […] It functions within a particular social structure and exhibits and creates norms, values and social institutions“ [31].
Literatur
Allen JK, Dennison-Himmelfarb CR, Szanton SL et al (2011) Community Outreach and Cardiovascular Health (COACH) Trial: a randomized, controlled trial of nurse practitioner/community health worker cardiovascular disease risk reduction in urban community health centers. Circ Cardiovasc Qual Outcomes 4(6):595–602. https://doi.org/10.1161/CIRCOUTCOMES.111.961573
Arksey H, O’Malley L (2005) Scoping studies: towards a methodological framework. Int J Soc Res Methodol 8(1):19–32
Bangurah SS, Vardaman SA, Cleveland KK (2017) Hypertension in the faith community: a four-week, nurse led, diet/exercise intervention. J Christ Nurs 34(4):225–231. https://doi.org/10.1097/CNJ.0000000000000420
Becker DM, Yanek LR, Johnson WR et al (2005) Impact of a community-based multiple risk factor intervention on cardiovascular risk in black families with a history of premature coronary disease. Circulation 111(10):1298–1304. https://doi.org/10.1161/01.CIR.0000157734.97351.B2
Burgi M, Igl G (2021) Rechtliche Voraussetzungen und Möglichkeiten der Etablierung von Community Health Nursing (CHN) in Deutschland. Nomos, Baden-Baden
Chan BC, Jayasinghe UW, Christl B, Laws RA et al (2013) The impact of a team-based intervention on the lifestyle risk factor management practices of community nurses: outcomes of the community nursing SNAP trial. BMC Health Serv Res 13:54. https://doi.org/10.1186/1472-6963-13-54
Cheng LSW (2021) The effects of mutual goal setting on the outcomes of care of the patients in the community. Dissertation, Hong Kong Polytechnic University (Hong Kong). https://theses.lib.polyu.edu.hk/bitstream/200/6697/1/b25300799.pdf. Zugegriffen: 8. Nov. 2021
Chiang KF, Wang HH (2016) Nurses’ experiences of using a smart mobile device application to assist home care for patients with chronic disease: a qualitative study. J Clin Nurs 25(13–14):2008–2017. https://doi.org/10.1111/jocn.13231
Chow SKY, Wong FKYC et al (2008) Community nursing services for postdischarge chronically ill patients. J Clin Nurs 17(7B):260–271. https://doi.org/10.1111/j.1365-2702.2007.02231.x
Cramm JM, Nieboer AP (2017) Self-management abilities and quality of life among frail community-dwelling individuals: the role of community nurses in the Netherlands. Health Soc Care Community 25(2):394–401. https://doi.org/10.1111/hsc.12318
DBfK – Deutscher Berufsverband für Pflegeberufe (2018) Community Health Nursing in Deutschland. Konzeptionelle Ansatzpunkte für Berufsbild und Curriculum. https://www.dbfk.de/media/docs/Bundesverband/CHN-Veroeffentlichung/Broschuere-Community-Health-Nursing-09-2019.pdf. Zugegriffen: 3. Jan. 2022
Edwards H, Courtney M, Finlayson K et al (2005) Improved healing rates for chronic venous leg ulcers: pilot study results from a randomized controlled trial of a community nursing intervention. Int J Nurs Pract 11(4):169–176. https://doi.org/10.1111/j.1440-172X.2005.00521.x
Hermiz O, Comino E, Marks G et al (2002) Randomised controlled trial of home based care of patients with chronic obstructive pulmonary disease. BMJ 325(7370):938. https://doi.org/10.1136/bmj.325.7370.938
Jelinek H, Warner P, King S et al (2006) Opportunistic screening for cardiovascular problems in rural and remote health settings. J Cardiovasc Nurs 21(3):217–222. https://doi.org/10.1097/00005082-200605000-00010
Kitis Y, Emiroglu ON (2006) The effects of home monitoring by public health nurse on individuals’ diabetes control. Appl Nurs Res 19(3):134–143. https://doi.org/10.1016/j.apnr.2005.07.007
Klemenc-Ketis Z, Benkovič R, Poplas-Susič A (2019) A Slovenian model of comprehensive care for patients with difficulties accessing healthcare: a step towards health equity. J Community Health Nurs 36(3):139–146. https://doi.org/10.1080/07370016.2019.1630996
Koch T, Selim P, Kralik D (2002) Enhancing lives through the development of a community-based participatory action research programme. J Clin Nurs 11(1):109–117. https://doi.org/10.1046/j.1365-2702.2002.00563.x
Kuratorium Deutsche Altershilfe (2017) Sozialraumorientierte Ansätze für ein gelingendes Alter(n). Kommunale Handlungsfelder des Siebten Altenberichts. https://www.siebter-altenbericht.de/fileadmin/altenbericht/pdf/Sonderausgabe_KDA-Zeitschrift_ProAlter_10.2017.pdf. Zugegriffen: 29. Jan. 2022
Kwok T, Lee J, Woo J et al (2008) A randomized controlled trial of a community nurse-supported hospital discharge programme in older patients with chronic heart failure. J Clin Nurs 17(1):109–117. https://doi.org/10.1111/j.1365-2702.2007.01978.x
Kwok T, Lum CM, Chan HS (2004) A randomized, controlled trial of an intensive community nurse-supported discharge program in preventing hospital readmissions of older patients with chronic lung disease. J Am Geriatr Soc 52(8):1240–1246. https://doi.org/10.1111/j.1532-5415.2004.52351.x
Lee DTF, Lee IFK, Mackenzie AE et al (2002) Effects of a care protocol on care outcomes in older nursing home patients with chronic obstructive pulmonary disease. J Am Geriatr Soc 50(5):870–876. https://doi.org/10.1046/j.1532-5415.2002.50213.x
Nuñez DE, Armbruster C, Phillips WT et al (2003) Community-based senior health promotion program using a collaborative practice model: the Escalante Health Partnerships. Public Health Nurs 20(1):25–32. https://doi.org/10.1046/j.1525-1446.2003.20104.x
Reuschenbach B, Primig M (2021) Neues Berufsbild: Community Health Nurse. Heilberufe 73(3):48–51
Robinson A, Courtney-Pratt H, Lea E et al (2008) Transforming clinical practice amongst community nurses: mentoring for COPD patient self-management. J Clin Nurs 17(11c):370–379. https://doi.org/10.1111/j.1365-2702.2008.02279.x
Simões-Figueiredo A, Seabra P, Sarreira-Santos A et al (2019) Nursing consultation in a public bathhouse: a community resource for the vulnerable population in a European capital. Issues Ment Health Nurs 40(1):28–32. https://doi.org/10.1080/01612840.2018.1496209
Sindhu S, Pholpet C, Puttapitukpol S (2010) Meeting the challenges of chronic illness: a nurse-led collaborative community care program in Thailand. Collegian 17(2):93–99. https://doi.org/10.1016/j.colegn.2010.05.003
Sozialdemokratische Partei Deutschlands (2021) Koalitionsvertrag von SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Freie Demokraten. https://www.spd.de/fileadmin/Dokumente/Koalitionsvertrag/Koalitionsvertrag_2021-2025.pdf. Zugegriffen: 15. Dez. 2021
Völkel M, Peters M, Daugardt K et al (2022) Kernelemente für die Entwicklung eines Kerncurriculums zu Community Health Nursing. Ein Diskussionsbeitrag. Pflege Ges 27(1):82–87
Walters JAE, Cameron-Tucker H, Courtney-Pratt et al (2012) Supporting health behaviour change in chronic obstructive pulmonary disease with telephone health-mentoring: insights from a qualitative study. BMC Fam Pract 13(1):55–61. https://doi.org/10.1186/1471-2296-13-55
Warrington D, Cholowski K, Peters D (2003) Effectiveness of home-based cardiac rehabilitation for special needs patients. J Adv Nurs 41(2):121–129. https://doi.org/10.1046/j.1365-2648.2003.02518.x
World Health Organization (1974) Community health nursing. Report of a WHO expert committee. http://apps.who.int/iris/bitstream/handle/10665/41121/WHO_TRS_558.pdf?sequence=1&isAllowed=y. Zugegriffen: 6. Febr. 2022
Wood-Baker R, Reid D, Robinson A et al (2012) Clinical trial of community nurse mentoring to improve self-management in patients with chronic obstructive pulmonary disease. Int J Chronic Obstr Pulm Dis 7:407–413. https://doi.org/10.2147/COPD.S32220
Funding
Open Access funding enabled and organized by Projekt DEAL.
Author information
Authors and Affiliations
Corresponding author
Ethics declarations
Interessenkonflikt
L. Iversen, K. Wolf-Ostermann und C. Petersen-Ewert geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Für diesen Beitrag wurden von den Autorinnen keine Studien an Menschen oder Tieren durchgeführt. Für die aufgeführten Studien gelten die jeweils dort angegebenen ethischen Richtlinien.
Rights and permissions
Open Access Dieser Artikel wird unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz veröffentlicht, welche die Nutzung, Vervielfältigung, Bearbeitung, Verbreitung und Wiedergabe in jeglichem Medium und Format erlaubt, sofern Sie den/die ursprünglichen Autor(en) und die Quelle ordnungsgemäß nennen, einen Link zur Creative Commons Lizenz beifügen und angeben, ob Änderungen vorgenommen wurden.
Die in diesem Artikel enthaltenen Bilder und sonstiges Drittmaterial unterliegen ebenfalls der genannten Creative Commons Lizenz, sofern sich aus der Abbildungslegende nichts anderes ergibt. Sofern das betreffende Material nicht unter der genannten Creative Commons Lizenz steht und die betreffende Handlung nicht nach gesetzlichen Vorschriften erlaubt ist, ist für die oben aufgeführten Weiterverwendungen des Materials die Einwilligung des jeweiligen Rechteinhabers einzuholen.
Weitere Details zur Lizenz entnehmen Sie bitte der Lizenzinformation auf http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/deed.de.
About this article
Cite this article
Iversen, L., Wolf-Ostermann, K. & Petersen-Ewert, C. Welche Aufgaben hat eine Community Health Nurse?. Präv Gesundheitsf 18, 299–307 (2023). https://doi.org/10.1007/s11553-022-00961-1
Received:
Accepted:
Published:
Issue Date:
DOI: https://doi.org/10.1007/s11553-022-00961-1