Steigende Mobilität ist ein Megatrend unserer Zeit. Dies betrifft auch das Wohnen – häufige Umzüge und Wohnen auf Zeit werden für immer mehr Menschen zum Alltag. In diesem Trend liegt das multilokale Wohnen. Man pendelt zwischen mehreren Wohnorten und ist hier und dort zu Hause. Doch wie viele multilokal Lebende gibt es? Viele aktuelle Forschungsarbeiten konstatieren zwar diese wachsende Multilokalisierung als bedeutsamen Trend, ohne dass allerdings das Aufkommen näher beziffert oder abgeschätzt wird. Auch auf der kommunalen Ebene ist in der öffentlichen Debatte immer wieder von der wachsenden Zahl von Zweitwohnungen oder gar dem „Zweitwohnungsboom“ die Rede, insbesondere in den Großstädten oder in touristisch besonders reizvollen Regionen. Konkrete Zahlen zur Anzahl der multilokal Lebenden sucht man allerdings häufig vergeblich und entsprechende Zeitungsartikel verbleiben oft auf der Ebene von Vermutungen und Zuschreibungen.

Der folgende Beitrag befasst sich im ersten Teil mit den vorliegenden Datenbeständen zur Quantifizierung multilokaler Arrangements. Neben übergreifenden Zahlen aus Forschungsarbeiten und Bevölkerungsbefragungen richten wir dabei den Blick auf die regionale bzw. lokale Ebene. Welche Daten liegen vor und welche Aussagekraft haben sie? Im zweiten Teil werden die vorliegenden Datensätze für das Modellgebiet des Landkreises Diepholz vorgestellt. Das Ergebnis sei an dieser Stelle vorweggenommen: Sowohl allgemeine Daten als auch die Daten mit lokalem bzw. regionalem Bezug erlauben lediglich einzelne Aussagen und keine valide Angabe über den Umfang des Phänomens der Multilokalität insgesamt. Dabei gilt es festzustellen, dass der überwiegende Teil der Datenbestände – insbesondere die amtliche Statistik – die quantitative Dimension multilokaler Phänomene unterschätzen dürfte.

Auch wenn keine direkte „Zahl“ der multilokalen Haushalte für das Modellgebiet ermittelt werden konnte, wurde im Projekt an der Gewinnung von Informationen mit einer anderen Herangehensweise weitergearbeitet. So stellt das eigens entwickelte und in diesem Beitrag vorgestellte Tool PendlALand auf der individuellen Ebene die Kosten der Zweitwohnung den Kosten täglicher Arbeitswege gegenüber. Damit kann aufgezeigt werden, ob sich das Pendeln oder die Zweitwohnung unter spezifischen Bedingungen für Einzelne „lohnt“, aber auch welche umweltbezogenen bzw. klimarelevanten Folgen aus den Mobilitätsentscheidungen resultieren. Dies soll dazu beitragen, die Sensibilität für multilokale Lebensweisen zu erhöhen.

3.1 Von wie vielen sprechen wir eigentlich? Zahlen und Daten zu multilokalen Arrangements

3.1.1 Indizien aus Forschungsarbeiten

Bereits 2010 konstatierte Peter Weichhart in einem Grundsatzartikel, dass Multilokalität inzwischen ein „Massenphänomen“ sei, dass sich – in Abgrenzung zu früheren Formen und Verbreitungen – inzwischen quer durch alle Gesellschaftsschichten ziehe (Weichhart 2009: 10). In der Tat lassen sich einzelne Forschungsergebnisse in diese Richtung deuten. So wurde in der bislang umfangreichsten, repräsentativen telefonischen Befragung „Multilokales Wohnen in der Schweiz“ ermittelt, dass 2013 rund 28 % der schweizerischen Bevölkerung zwischen 15 und 74 Jahren multilokales Wohnen praktizierten (Schad et al. 2015). Das einbezogene Spektrum multilokaler Arrangements ist sehr breit und umfasst auch Formen wie das regelmäßige Übernachten bei Bekannten. Vergleichbare Forschungsergebnisse gibt es für Deutschland nicht. Hier lassen sich lediglich räumliche Teilerhebungen nennen. So untersuchte das Projekt „Wohnstandortentscheidungen in polyzentrischen Stadtregionen“ 2011 die Verbreitung multilokaler Lebensweisen in unterschiedlich strukturierten Quartieren der Stadtregionen Köln/Bonn, Östliches Ruhrgebiet sowie Leipzig/Halle. In der schriftlichen Befragung wurde ebenfalls versucht, die große Bandbreite multilokaler Lebensweisen einzubeziehen (Dittrich-Wesbuer et al. 2015). Zwischen 6 % und 25 % aller Haushalte in den einbezogenen Quartieren sind nach den Ergebnissen von Multilokalität betroffen; die höchsten Werte wurden in allen drei Regionen in den urbanen, innenstadtnahen Gebieten erzielt. Hier sind es vor allem die getrennt lebenden Paare (sog. Living Apart Together – LAT) sowie ausbildungs- und arbeitsbezogenen Arrangements, die für den hohen Anteil verantwortlich sind (vgl. Dittrich-Wesbuer/Osterhage 2014).

Aus verschiedenen Forschungssurveys und -studien können weitere Anhaltspunkte zur quantitativen Dimension einzelner multilokaler Arrangements gewonnen werden. So lässt das Sozio-oekonomische Panel (SOEP) als repräsentative Längsschnittbefragung Abschätzungen des Aufkommens der Lebensform von Paaren mit getrennten Wohnungen (LAT) zu. Bekannt sind die Auswertungen von Jens Asendorpf, der für das Bezugsjahr 2006 den Anteil der LAT an allen Deutschen über 18 Jahre mit 10,9 % angibt (s. Asendorpf 2008: 756). Vor allem für die jüngeren Altersjahrgänge werden hohe Anteile an dieser Lebensform festgestellt. Allerdings nimmt der Anteil höherer Altersjahrgänge im Vergleich mit früheren Erhebungsjahren überproportional zu, was als Indiz für die zunehmende Bedeutung der LAT-Arrangements als eigenständige Lebensform gewertet werden kann. Die in mehreren Erhebungswellen durchgeführte empirische Studie „Job Mobilities and Family Lives in Europe (JobMob)“ erbrachte Zahlen zu einzelnen berufsbezogenen multilokalen Lebensformen in verschiedenen europäischen Ländern (s. Viry/Kaufmann 2015). Arbeitsbezogene Multilokale werden hier als „Overnighters“ sowie als Personen mit arbeitsbezogenen „long-distance relationsships“ – also aus arbeitsbezogenen Gründen getrennt von ihrem Partner lebend – verstanden und von anderen Formen des mobilen Lebens, insbesondere des Fernpendelns, unterschieden. Im Ergebnis gehörten 2011 rund 7 % der befragten Erwerbstätigen in Deutschland zu dieser multilokal lebenden Gruppe; eine Größenordnung, die sich grundsätzlich auch in anderen Ländern bestätigt (Viry et al. 2015: 32).

Als Zwischenfazit lässt sich festhalten, dass unterschiedliche Angaben zur Anzahl von multilokal Lebenden aus Forschungsarbeiten vorliegen. Sie können wegen Differenzen in den räumlichen und inhaltlichen Bezügen sowie aufgrund divergierender Herangehensweisen nicht direkt miteinander in Bezug gesetzt oder gar „addiert“ werden. Gestützt wird aber die eingangs erwähnte Vermutung, dass die Verbreitung unterschiedlicher multilokaler Arrangements insgesamt keine marginale Größe ist, sondern einen erheblichen Umfang angenommen hat.

3.1.2 Zahlen aus amtlichen Bevölkerungsbefragungen

Gegenüber den erwähnten Forschungsarbeiten schätzen Bevölkerungsbefragungen in Deutschland die Zahl der multilokal Lebenden geringer ein. So etwa der Mikrozensus – eine verpflichtende repräsentative Befragung von Personen in 1 % der Privathaushalte in Deutschland. Im Mikrozensus werden die ausgewählten Personen allgemein danach befragt, ob „eine weitere Wohnung (auch Zimmer, Unterkunft oder Heim) in Deutschland“ bewohnt wird. Ca. 2 % der Personen ab 18 Jahren bejahen dies 2012. Dies sind vor allem junge Menschen, was auf studentische oder berufliche multilokale Arrangements hindeutet. Konkrete Fragen zum Zweck der Wohnung bzw. zum Anlass des multilokalen Arrangements der Einzelnen werden im Mikrozensus aber nicht gestellt.

Der Mikrozensus enthält auch Angaben über das Pendelverhalten von erwerbstätigen Personen, das in einem vierjährigen Rhythmus erfasst wird. Dies erlaubt – mit klarer Begrenzung auf die Gruppe der arbeitsbezogen Multilokalen – weitere Auswertungen. So verschneiden Rüger/Sulak (2017) die Pendlerdaten aus den Erhebungsjahrgängen 1991 bis 2012 mit der Angabe der Befragten zur Zweitwohnung. Ihre Ergebnisse weisen insgesamt eher auf einen Anstieg der „Wochenendpendler“ hin, wenngleich einzelne Brüche erkennbar sind. Der Anteil an den betrachteten Erwerbstätigen – in der Ausbildung befindliche Personen wurden hier ausgeschlossen – ist aber generell recht gering und überschreitet die Marke von einem Prozent zu keinem Zeitpunkt wesentlich.

Zu einem etwas anderen Ergebnis kommt die Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS), die rund 0,2 % der Haushalte in Deutschland umfasst und diese auf freiwilliger Basis befragt. In der EVS wird auf Haushaltsebene erhoben, ob die ausfüllende Person oder ein anderes Mitglied des Haushalts noch „eine andere Wohnung nutzt“. Dabei wird mit separaten Fragen zwischen Zweitwohnung zu Ausbildungs- und Berufszwecken und Freizeitwohnungen unterschieden. Die letzte Erhebung, zu der offizielle Auswertungen zu Zweitwohnungen vorliegen, ist 2013. In diesem Jahr nutzten danach in Deutschland 3 % aller Privathaushalte aus beruflichen bzw. ausbildungsbezogenen Gründen eine weitere Wohnung. Weitere 2 % aller Privathaushalte in Deutschland verfügen über eine zusätzliche Wohnung, die sie in der Freizeit nutzen.

Gegenüber den Ergebnissen des Mikrozensus sind die ermittelten 5 % mehr als doppelt so hoch. Diese Unterschiede in den Ergebnissen der beiden Bevölkerungsbefragungen deuten darauf hin, dass die Fragestellung einen Einfluss auf die Antworten hat. Die konkrete Ansprache einzelner Zwecke bzw. Formen in der EVS scheint mehr Haushalte zu motivieren, weitere Wohnungen anzugeben als die sehr allgemeine Frage im Mikrozensus. Für beide amtlichen Befragungen ist allerdings zu vermuten, dass eine nennenswerte Zahl multilokal Lebender ihre weiteren Wohngelegenheiten nicht angibt, etwa weil diese nicht angemeldet wurden oder sie sich durch die Fragen nicht angesprochen fühlen. Dies vermuten auch Rüger/Salek in ihrem aktuellen Beitrag über Wochenendpendler*innen aus dem Mikrozensus und schlussfolgern aus derartigen methodischen Gründen, dass die angegebenen Werte „eine Untergrenze darstellen und die Zunahme der Verbreitung […] eher unter- als überschätzt wird“ (2017: 425).

Als Zusammenfassung der skizzierten Forschungsdaten sowie amtlichen Befragungen lässt sich festhalten, dass die vorliegenden Daten uneinheitlich sind und keine valide Aussage über den Umfang multilokaler Arrangements in Deutschland ermöglichen. Daraus lässt sich die Forderung nach einer besseren und standardmäßigen Einbeziehung multilokaler Lebensführungen in bestehende Erhebungen ableiten. Dafür bieten wohnungsbezogene Bevölkerungsbefragungen aber auch verschiedene thematische Panels und Surveys Raum (vgl. Dittrich-Wesbuer et al. 2015). Gleichwohl muss betont werden, dass die Erfassung in standardisierten Befragungen methodisch eine große Herausforderung darstellt – sei es bezogen auf die verwendeten Frageformulierungen als auch auf die Möglichkeiten einer adäquaten Berücksichtigung mehrere Wohnorte und der damit verbundenen individuellen Praktiken.

3.1.3 Informationen aus Melderegistern

Eine weitere Einschränkung in der Nutzbarkeit der dargelegten übergreifenden Datenbestände besteht darin, dass sie wenig räumliche Differenzierungen ermöglichen und die Verbreitung multilokaler Arrangements nicht lokal heruntergebrochen werden kann. Zu dieser Frage lassen sich allenfalls spezifische Informationen aus der Meldestatistik vermuten (s. Dittrich-Wesbuer/Kramer 2014: 47 ff.). So besteht in Deutschland grundsätzlich eine gesetzliche Meldepflicht, aus der die Melderegister ihre Informationen über „Nebenwohnungen“ (so der zumeist verwendete offizielle Begriff für Zweitwohnungen) und „Hauptwohnungen“ beziehen. Dabei wird allerdings nicht nach dem Zweck der Nebenwohnung gefragt, sodass grundsätzlich keine Informationen zu einzelnen Formen multilokaler Lebensweisen abgeleitet werden können. Aber auch in Bezug auf die Ermittlung der Anzahl von Zweitwohnungen in einem Gemeindegebiet müssen zahlreiche Einschränkungen gemacht werden:

  • Nicht abgeschätzt werden kann, wie viele Menschen ihrer Anmeldepflicht hinsichtlich einer Zweitwohnung überhaupt nachkommen, da damit keine Vorteile verbunden sind und aus der Nichtanmeldung in den meisten Fällen keine unmittelbaren Folgen erwachsen. Dies gilt in gleichem Maße für eine Abmeldung bei Aufgabe einer Zweitwohnung.

  • Es werden nur formale Wohnsitze betrachtet und damit andere Formen von Multilokalität, die beispielsweise eine Mitnutzung von Wohnraum oder wechselnde Wohngelegenheiten betreffen, ausgeschlossen.

  • Die Meldepflicht gilt nicht für kurze Wohnaufenthalte, sondern erst ab einer Bleibeperspektive von 6 Monaten. Kurzfristige multilokale Arrangements werden somit grundsätzlich nicht erfasst, vermutlich auch nicht, wenn sie ungeplant länger andauern.

Zudem verändert die Zweitwohnsitzsteuer das Meldeverhalten. Wie die ‚Innerstädtische Raumbeobachtung‘ (IRB) der BBSR zeigt, hat die Einführung dieser lokalen Steuer stets viele Abmeldungen oder Ummeldungen zum Hauptwohnsitz zur Folge (s. Sturm/Meyer 2009: 18). Es muss davon ausgegangen werden, dass die formale Einordnung im Melderegister und die Lebensrealität vielfach auseinanderklaffen. Damit weisen vermutlich vor allem Städte und Gemeinden mit Zweitwohnungssteuer eine beträchtliche Zahl statistisch „unsichtbarer“ multilokaler Bewohner*innen auf.

Auch behördliche Stellen bestätigen die geringe Aussagekraft der Meldedaten. So begründet die bayerische Landesregierung die 2015 erfolgte Abschaffung des Berechnungsansatzes „Zahl der Nebenwohner“ im Finanzausgleich Bayern mit dem Umstand, dass keine aktuellen und belastbaren Zahlen vorlägen. Begründet läge dies im „unzureichenden Meldeverhalten der Inhaber von Zweitwohnungen“ und der „hohen Fehlerquote in den kommunalen Melderegistern“ (Bayerischer Landtag 2015).

Melderegister sind in Deutschland kommunal organisiert, so dass Auskünfte zur Anzahl der Personen mit Nebenwohnsitz nur dezentral gesammelt werden. Mit dem Zensus 2011 wurden diese Daten erstmals zusammengeführt. Aus der Analyse von Daten, die über das Statistische Bundesamt zu Forschungszwecken bezogen werden können, konnten räumlich vergleichende Ergebnisse generiert werden (s. im Folgenden Dittrich-Wesbuer/Kramer 2014: 47 f.). Deutlich wird dabei die große Spannbreite der ermittelten Zahlen der Nebenwohnsitzer*innen auf 100 Hauptwohnsitzer*innen, die zwischen Werten von unter eins bis zu 10 und mehr liegen. Einzelne Höchstwerte von bis zu 22 werden vor allem in Ferienregionen erreicht. Die Daten liefern auch weitere Indizien über den Einfluss der Zweitwohnungssteuer auf das Meldeverhalten: So weisen beispielsweise einzelne Universitätsstädte mit Zweitwohnungssteuer sehr geringe Werte auf, während in anderen Städten mit hohem Studentenanteil, aber ohne entsprechendem kommunalen Satzungsbeschluss, erhöhte Zahlen von Nebenwohnsitzer*innen vorzufinden sind. Wie oben dargelegt, ist zu vermuten, dass viele Studierende in Städten mit Zweitwohnungssteuer ihrer Meldepflicht nicht nachkommen. Da aus Datenschutzgründen aus dieser Zensuserhebung nur Daten aus Städten ab 10.000 Einwohner*innen herausgegeben werden, bleibt das räumliche Bild sehr unvollständig. So fehlen Angaben vieler Gemeinden in ländlichen Räumen bei denen – vor allem in landschaftlich reizvollen Gebieten – hohe Anteile an (freizeitbezogenen) Nebenwohnungen zu erwarten sind.

3.1.4 Nutzbarkeit von Daten zu Pendler*innen

Neben der Meldestatistik könnten bestehende Datenbestände zu Pendler*innenbewegungen eine Möglichkeit zur Annäherung an die Quantifizierung von Multilokalität darstellen. Allerdings beschränken sich diese Daten generell auf arbeitsbezogene multilokale Arrangements – freizeit-, partnerschafts- oder familienbezogene Formen können nicht betrachtet werden.

Die zentrale Quelle zu Pendelbewegungen liefert die Bundesagentur für Arbeit, die ihre Informationen aus verpflichtenden Meldungen der Arbeitgeber*innen zu ihren Beschäftigten entnehmen kann. Es liegen darüber nutzbare Daten über den Wohnort von Arbeitnehmer*innen und Auszubildenden sowie ihrem Arbeitsort vor, denen einige personenbezogene Merkmale wie Alter, Geschlecht und Bildung zugeordnet werden können (vgl. u. a. Dauth/Haller 2018). Allerdings bestehen für die Auswertung – vor allem mit Blick auf das Phänomen arbeitsbezogener Zweitwohnungen – gewichtige Einschränkungen:

  • Die Daten beziehen sich lediglich auf abhängig Beschäftigte und umfassen damit nur etwa drei Viertel aller Beschäftigten. Selbstständige aber auch Beamt*innen finden keine Berücksichtigung. Personen, die in Deutschland z. B. in Grenzregionen wohnen und einer Beschäftigung im Ausland nachgehen, werden ebenfalls nicht berücksichtigt.

  • Es ist nicht erkenntlich, ob der vom Arbeitgeber an die Bundesagentur gemeldete Wohnsitz der Ort einer vorhandenen arbeitsbezogenen Zweitwohnung ist oder aber der Hauptwohnsitz bzw. Familienwohnsitz des Arbeitnehmenden. Arbeitsbezogene Zweitwohnungen können damit nicht direkt identifiziert und auswertet werden.

  • Angaben über die Häufigkeit und Periodizität von Pendelbewegungen liegen nicht vor und können deshalb nicht zur Qualifizierung bzw. Überprüfung von vermuteten multilokalen Arrangements genutzt werden.

  • Eine weitere Einschränkung betrifft die Detailschärfe der Informationen zum Arbeits- und Wohnort, die sich auf kommunale Gemarkungen beschränken und nicht adressscharf genutzt werden können. In Bundesländern mit kleinteiligen Gemeindestrukturen (z. B. Rheinland-Pfalz, Schleswig–Holstein oder Thüringen) werden damit schon verhältnismäßig geringere Entfernungen von Pendelbewegungen über Gemeindegrenzen erfasst, während in Bundesländern mit größeren Gemeinden (z. B. Niedersachsen oder Nordrhein-Westfalen) viele Pendelbewegungen unberücksichtigt bleiben.

Die öffentlich zugänglichen Pendlerstatistiken einzelner Bundesländer beruhen auf der Datenbasis der Bundesagentur (vgl. u. a. IT NRW 2018). Die Daten werden zumeist mit den Daten des Mikrozensus (vgl. Kap. 1.2) verschnitten oder/und um eigene Erhebungen ergänzt. Dadurch wird die Datenbasis zwar breiter und es können beispielsweise Selbstständige näherungsweise einbezogen werden. Allerdings bleiben alle anderen oben genannten Einschränkungen in der Nutzbarkeit bestehen. Hinzu kommt, dass die Pendlerbewegungen ab einer gewissen Entfernung nur noch zusammenfassend dargestellt werden. So fasst die Pendlerstatistik NRW die Daten bereits ab einer Entfernung von 80 km (einfache Luftlinienentfernung) unter der Kategorie „Sonstiges“ zusammen und erlaubt keine Zuordnung zur genauen Distanz (IT NRW 2018: 3). Kleine Ströme, zumeist unter einer Grenze von 10 Personen pro Relation, werden in der Regel aus Datenschutzgründen und Gründen der Darstellbarkeit nicht mehr ausgegeben. Kleinere Gemeinden und ausdifferenzierte Ströme in Regionen mit räumlich gestreuten Arbeitsplatzangeboten dürften damit nicht adäquat dargestellt werden.

Insgesamt besitzen Aussagen zu Pendlerbewegungen also erhebliche Einschränkungen in ihrer Aussagekraft und können allenfalls für grobe Schätzungen arbeitsbezogener, multilokaler Phänomene auf der lokalen und regionalen Ebene genutzt werden. So ist es lediglich möglich, aus einer sehr großen und als „unrealistisch“ eingeschätzten Entfernung zwischen (Haupt-)Wohn- und Arbeitsort einen „Multilokalitäts-Verdacht“ abzuleiten (vgl. 2.2 sowie Exkurs).

EXKURS

Schätzungen aus den Pendlerdaten ermöglichen interessante Einblicke in die (mögliche) Verteilung und Entwicklung multilokaler (Arbeits-)Arrangements, wie erste explorative Modellierungen zeigen. So nutzt der sogenannte Wohn- und Mobilitätskostenrechner (WoMoKoR) des ILS für die Abschätzung möglicher arbeitsbezogener Zweitwohnungen die Daten der Bundesagentur für Arbeit zu den Wohn- und Arbeitsorten. Dabei wird nicht mit einer als „unrealistisch“ eingeschätzten Entfernung operiert, sondern die fallweise für einzelne Regionen ermittelten Distanzen bzw. Pendelzeiten dienen vielmehr als Grundlage für einen Kostenvergleich. Verglichen werden die Kosten zwischen dem täglichen Pendeln (regionale Pkw-Kosten) auf der einen Seite und die Kosten einer Zweitwohnung am Arbeitsort (gemeindespezifische Wohnkosten) auf der anderen Seite (vgl. Eichhorn/Schulwitz 2015, 2017). Daraus lässt sich ein für jeden Betrachtungsfall spezifischer Zeitwert bzw. eine Distanz ermitteln, ab deren Überschreitung sich das tägliche Pendeln gegenüber einer Zweitwohnung am Arbeitsort mit Wochenendpendeln aus Kostengründen für jeden Einzelfall nicht mehr lohnt. Der ermittelbare Anteil an allen Pendler*innen ist nicht mit der tatsächlichen Zahl von Multilokalen gleichzusetzen, sondern muss – auch aufgrund der Annahme einer rein ökonomische Entscheidung für oder gegen ein multilokales Leben – vielmehr als eine stark vereinfachte Annäherung an einen Personenkreis verstanden werden, für den eine Entscheidung zum multilokalen Wohnen wahrscheinlicher wird.

Aus dem WoMoKoR liegen bislang die Ergebnisse für einzelne Bundesländer vor. So wurde für NRW herausgearbeitet, dass sich 2014 für insgesamt 13 % aller Tagespendler*innen eine multilokale Lebensweise „lohnt“ und sie als potenzielle Zweitwohnungsnehmer*innen eingestuft werden können (Eichhorn/Schulwitz 2017: 68 f.). Erwartungsgemäß zeigen größere Städte ein höheres Potenzial, wenngleich dämpfende Effekte von überhitzten bzw. stark angebotsorientierten Wohnungsmärkten mit hohen Wohnkosten erkennbar sind. Auf die Einwohner*innenzahl bezogen wurden auch für kleinere Städte – etwa bei vorhandenen Arbeitsplatzkonzentrationen wie etwa in Ostwestfalen oder im Münsterland – beachtliche Zweitwohnsitzpotenziale von 10 und mehr Prozent ermittelt. Aktuelle Auswertungen des WoMoKoRs (Bezugsjahr 2016) weisen zudem auf die Bedeutung von unterschiedlichen Raumstrukturen in Städten ähnlicher Größenordnung hin (Dittrich-Wesbuer et al. 2019). So zeigt ein Vergleich von Köln und München, dass bei vergleichbaren Rahmenbedingungen das Zweitwohnungspotenzial in München deutlich höher ist als in Köln (6 % zu 3 %). Hintergrund sind vor allem die deutlich längeren Pendelwege in dieser monozentrischen Region, während in der polyzentralen Region um Köln dagegen „Ausweichmöglichkeiten“ in andere Zentren bestehen. Dieser Effekt bestätigte sich auch in der Durchführung eines sog. Öl-Krise-Szenario (Verdreifachung des heutigen Kraftstoffpreises), in denen sich im Ergebnis die dezentralen Strukturen in Köln deutlich resilienter zeigten. Die in diesem Szenario ermittelten hohen Zweitwohnsitzpotenziale – für München 18 % aller Einpendler*innen – stellen wohlgemerkt eine rein fiktive Größe dar, weisen aber auf die mögliche Dynamik der Veränderung der Lebens- und Arbeitswelten v. a. unter disruptiven Bedingungen hin.

3.2 Multilokale Haushalte in Diepholz

Im Projekt TempALand wurde vonseiten der Planungspraxis und Politik von Anfang an ein hohes Interesse an Zahlen zur quantitativen Verbreitung multilokaler Arrangements deutlich. Diese wurden als wichtige Information zur Einschätzung der Relevanz des Themas für die eigene Kommune und die Notwendigkeit der Entwicklung und Steuerung von Anpassungsstrategien verstanden.

Eine repräsentative Bevölkerungserhebung zur validen Ermittlung des Anteils und der räumlichen Verteilung multilokaler Arrangements im Landkreis Diepholz konnte aufgrund des erheblichen Aufwandes nicht durchgeführt werden. Zwar erfolgte eine explorative schriftliche Befragung in Form einer Postkartenaktion (vgl. Beitrag Greinke/Lange in diesem Band (Kap. 4)). Diese sehr niederschwellig gehaltene Aktion war jedoch nur auf Personen gerichtet, die multilokal leben und diente der ersten qualitativen Annäherung an die Formen und Ausgestaltungen multilokaler Arrangements. Eine Ableitung über den Umfang gelebter Multilokalität im gesamten Landkreis Diepholz ist hieraus nicht möglich.

Eine grobe Annäherung an die Anzahl multilokaler Personen im Landkreis wurde deswegen über Daten aus der Meldestatistik sowie die vorliegenden Pendlerdaten vorgenommen.

3.2.1 Auswertungen der Meldestatistik im Landkreis Diepholz

Bei der Auswertung der durch die Einwohnermeldeämter der Städte und Gemeinden im Landkreis Diepholz bereitgestellten Daten aus den Melderegistern wurden zwei Personenkreise auseinandergehalten: Zum einen die Personen, die im Landkreis Diepholz ihren Nebenwohnsitz und an einem anderen Ort ihren Hauptwohnsitz (Incomings) haben. Diese Gruppe entspricht der üblichen Auswertung der Personen mit Nebenwohnsitzen aus den Melderegisterdaten (vgl. Kap. 3.1.3). Daneben wurde auch ermittelt, wie viele Personen im Landkreis Diepholz ihren Hauptwohnsitz haben, jedoch mit Zweitwohnsitz woanders gemeldet sind (Outgoings), also „umgekehrt“ multilokal leben.

Die Auswertung der Meldedaten für den Landkreis Diepholz zeigt, dass

  • rund 3,5 % aller gemeldeten Personen im Landkreis Diepholz eine Zweitwohnung (und irgendwo anders in Deutschland eine Hauptwohnung) unterhalten, während

  • etwa 2 % aller gemeldeten Personen zwar ihren Hauptwohnsitz im Landkreis Diepholz haben, jedoch noch mit Zweitwohnsitz an einem weiteren Ort gemeldet sind.

Wie bereits beschrieben, müssen bezüglich der Aussagekraft der Meldestatistiken im Hinblick auf multilokale Alltagsarrangements erhebliche Einschränkungen gemacht werden. Dies gilt gleichermaßen für die Incomings wie für die Outgoings. Die ermittelte Anteil der Menschen mit multilokalen Alltagsarrangements von insgesamt 5,5 % aller im Landkreis Diepholz gemeldeten Personen und damit von rund 12.400 Menschen muss deshalb eher als Untergrenze interpretiert werden.

Die nach Altersklassen differenzierte Auswertung in Abb. 3.1 zeigt, dass der Anteil der Personen mit mehreren Wohnsitzen insbesondere im erwerbsfähigen Alter hoch ist. Dies gilt sowohl für die Altersklasse der 18 bis unter 25-Jährigen (Ausbildung, Studium und Berufseinstieg) als auch für die beiden anderen dargestellten Altersklassen bis unter 50 Jahre. Der Anteil der Menschen mit mehreren Wohnsitzen an allen gemeldeten Personen im Landkreis Diepholz liegt bei den 35- bis unter 50-Jährigen bei rund 8 %, bei den 18- bis unter 25-Jährigen bei etwa 9 % und bei den 25- bis unter 35-Jährigen sogar knapp über 10 %. Für die anderen Altersklassen liegen die Werte hingegen deutlich darunter. Daraus kann geschlossen werden, dass ausbildungs- und berufsbezogene Gründe eine hohe Bedeutung für die Ausbildung multilokaler Lebensentwürfe haben. Konkrete Hinweise über den Zweck der Zweitwohnung, mit denen Rückschlüsse auf das Motiv und damit die konkrete Form von Multilokalität möglich wären, enthält die Meldestatistik nicht (vgl. Abschn. 3.1.3).

Abb. 3.1
figure 1

Anteil der gemeldeten Personen mit Neben- oder Hauptwohnung im Landkreis Diepholz nach Altersklassen an allen gemeldeten Personen (Datenquelle: Einwohnermeldeämter der Städte und Gemeinden im Landkreis Diepholz, Quelle: Gertz Gutsche Rümenapp 2020)

Hervorzuheben ist, dass die Anzahl derjenigen, die nur zeitweise an ihrem Nebenwohnort im Landkreis Diepholz leben (Incomings), über alle Altersklassen ab 18 Jahren höher ist als die derjenigen, die einen Hauptwohnsitz im Landkreis Diepholz haben und andernorts noch einen Zweitwohnsitz unterhalten. Für politisch-planerische Überlegungen zu Strategien im Umgang mit Multilokalität und die Entwicklung von Rahmenbedingungen stellt dies eine wichtige Erkenntnis dar: Den aus dieser Datenquelle ermittelten 7.900 Incomings stehen rund 4.500 Outgoings gegenüber, bei denen möglicherweise weitere Haushaltsmitglieder dauerhaft am Erstwohnsitz im Landkreis Diepholz als einzigem Wohnort leben.

Die Vermutung, dass insbesondere einwohnerstarke Städte und Gemeinden bzw. solche mit größerer Arbeitsmarktbedeutung im Landkreis Diepholz höhere Anteile an Menschen mit Nebenwohnsitz aufweisen, wurden durch die empirischen Auswertungen der Meldedaten nicht bestätigt. Vielmehr zeigte sich, dass in Gemeinden mit geringeren Einwohnerzahlen bzw. solchen mit nur geringem Arbeitsplatzbesatz teilweise höhere Anteile von Menschen mit Nebenwohnsitzen multilokal leben als in den Arbeitsplatzzentren im Landkreis Diepholz. Dies kann zum einen damit in Verbindung gebracht werden, dass die Straßeninfrastruktur im Landkreis Diepholz insgesamt recht gut ausgebaut ist und innerhalb des Landkreises viele Orte in kurzer Zeit erreichbar sind, so dass die Wahl der Zweitwohnung nicht auf einen engen Radius um den Arbeitsplatz begrenzt werden muss. Zum anderen sind auch andere Motive multilokaler Lebensweisen außerhalb eines weit entfernten Arbeitsplatzes in die Interpretation einzubeziehen, so dass die Wahl der Zweitwohnung insgesamt komplexeren Abwägungsprozessen (Lage, Wohnkosten, Aufenthaltsqualität, private Bezüge etc.) folgen dürfte.

Umgekehrt zeigt die Auswertung der Anteile der Personen, die im Landkreis Diepholz ihren Hauptwohnsitz und andernorts noch einen Nebenwohnsitz haben, dass die Anteile insbesondere in Kommunen mit geringer Einwohnerzahl bzw. Arbeitsmarktbedeutung überdurchschnittlich hoch sind. Allerdings sind diese Anteile auch in den beiden einwohnerstärksten Gemeinden Stuhr und Weyhe, die beide über eine herausgehobene Arbeitsmarktbedeutung aber auch eine vergleichsweise gute Anbindung an überörtliche Verkehrsnetze verfügen, überdurchschnittlich hoch. Die Samtgemeinde Altes Amt Lemförde, für die gemessen an Ihrer Bevölkerungszahl die höchste Arbeitsmarktzentralität im Landkreis Diepholz ermittelt werden kann, weist hingegen – entgegen der Erwartung – einen nur unterdurchschnittlichen Anteil an Personen mit Nebenwohnsitz (Incomings) und dafür einen leicht überdurchschnittlichen Anteil an Personen mit Hauptwohnsitz, die andernorts einen Nebenwohnsitz unterhalten (Outgoings), auf. Dies verweist zum einen auf die vorstehend beschriebenen Überlegungen zur Interpretation der Ergebnisse der empirischen Auswertungen. Zum anderen deutet es darauf hin, dass freizeitbezogene, touristische oder sonstige private Motive die zuvorderst beruflich motivierte Multilokalität in den Städten und Gemeinden des Landkreises Diepholz quantitativ überlagern.

3.2.2 Auswertungen der Pendlerdaten des Landkreises Diepholz

Wie in Kapitel 3.1.4 dargestellt, lassen sich aus den Pendlerdaten grundsätzlich nur Informationen über erwerbstätige Personen gewinnen. Da keine Angaben über vorhandene Zweitwohnsitze vorliegen, bewegen sich die Aussagen generell auf der Ebene von Vermutungen und Abschätzungen.

Die entscheidende Frage zu einer solchen quantitativen Annäherung an die Anzahl multilokal lebender Menschen ist, ab welcher Entfernung davon ausgegangen werden kann, dass diese Wege nicht mehr an jedem Arbeitstag zurückgelegt werden. In diesen Fällen besteht die begründete Vermutung, dass eine Nebenwohnung in der Nähe der Arbeitsorte unterhalten wird. In der Analyse wurde davon ausgegangen, dass bei 150 km und mehr pro Weg der Aufwand für das tägliche Pendeln zu hoch ist. Im Vergleich zu üblichen Definitionen von Fernpendler*innen – die u. a. in den offiziellen Auswertungen des Mikrozensus bei 50 km liegt – ist die Marke von 150 km überaus vorsichtig gewählt. Unabhängig vom letztlich gewählten Verkehrsmittel und auch bei nicht täglichem Pendeln kann diese Distanz als nicht mehr leistbar eingeschätzt werden – und eine multilokale Lebensweise vermutet werden.

Auswertungen der bundesweiten Pendlerstatistik der Bundesagentur für Arbeit (2015) im Rahmen des Projektes zeigen, dass jeweils rund 94 % der über Gemeindegrenzen ein- bzw. auspendelnden Arbeitnehmer*innen weniger als 50 km pro einfachen Weg zurücklegen. Zwar lässt sich in Städten und insbesondere in Großstädten ein höherer Anteil ausmachen, aber auch hier verbleibt der Anteil der Fernpendler*innen im einstelligen Bereich. Dies gilt sowohl für die Betrachtung der Einpendler*innen wie auch der Auspendler*innen. Ab einer Entfernung von 150 km dünnt sich der Anteil weiter aus. Nur 2,2 % aller sozialpflichtig Beschäftigten müssen diese Entfernung oder aber noch höhere Distanzen zwischen (Haupt-)Wohnsitz und Arbeitsstelle zurücklegen, wie Abb. 3.2 am Beispiel der Einpendler*innen in verschiedenen Raumtypen zeigt. Der Anteil der Fernpendler*innen in ländlichen Räume liegt mit rund 0,7 % vergleichsweise deutlich darunter.

Abb 3.2
figure 2

Anteil der Einpendler*innen nach Entfernungsklassen an allen Einpendler*innen nach differenziertem BBSR-Gemeindetyp (Quelle: Gertz Gutsche Rümenapp 2020)

Vergleichbare Auswertungen für den Landkreises Diepholz bestätigen sowohl bei den einpendelnden als auch den auspendelnden sozialversicherungspflichtig Beschäftigten den bundesweit ermittelten Durchschnittswert mit Pendelentfernungen von 150 km und mehr. Der Wert von 2,1 % entspricht landkreisweit bei den Einpendler*innen etwa 1.150 Personen, die als potenzielle Incomings, d. h. Zweitwohnungsnehmer*innen im Landkreis Diepholz gewertet werden können. Bei den Auspendler*innen (d. h. den möglichen Outgoings) sind dies bei 2,2 % rund 1.300 Personen (vgl. Abb. 3.3 und 3.4).

Abb. 3.3
figure 3

Anteil der Einpendler*innen nach Entfernungsklassen an allen Einpendler*innen in ausgewählten Kommunen im Landkreis Diepholz (Quelle: Gertz Gutsche Rümenapp 2020)

Abb. 3.4
figure 4

Anteil der Auspendler*innen nach Entfernungsklassen an allen Auspendler*innen in ausgewählten Kommunen im Landkreis Diepholz (Quelle: Gertz Gutsche Rümenapp 2020)

Bei genauerer Betrachtung der Ergebnisse auf Ebene der Gemeinden im Landkreis Diepholz werden Unterschiede deutlich. Grundsätzlich zeigen sich in einwohnerstärkeren Städten und Gemeinden, die häufig auch über eine höhere Arbeitsplatzbedeutung verfügen, höhere Anteile von ein- bzw. auspendelnden Erwerbstätigen mit einfachen Arbeitswegen von 150 km und mehr. So kommt beispielsweise die Gemeinde Stuhr auf 3,9 % (Einpendler*innen) bzw. 4,0 % (Auspendler*innen), auch in Weyhe werden ähnliche Werte erreicht (3,3 % und 3,8 %). Beide Kommunen verfügen im kreisweiten Vergleich über eine hohe Arbeitsplatzbedeutung und eine gute Anbindung an das Fernstraßennetz. Für die im Süden des Landkreises Diepholz und damit im Umland der Stadt Osnabrück gelegenen Gemeinden zeigen sich diese Effekte hingegen kaum. Höhere Anteile fernein- bzw. -auspendelnder Arbeitnehmer*innen lassen sich fast ausnahmslos im Norden des Kreises ausmachen. Zusätzlich zu den bereits genannten Gemeinden Stuhr und Weyhe ließe sich hier noch die Gemeinde Stadt Syke mit 1,5 % (Einpendler*nnen mit 150 km und mehr) bzw. 3,2 % (Auspendler*innen mit 150 km und mehr) nennen – in den meisten anderen Kommunen ist die absolute Anzahl der Fernpendler*innen mit Wegen von 150 km und mehr äußerst gering. Dies trifft insbesondere auf die sehr ländlich strukturierten Teilräume im südlichen Kreisgebiet zu: In den Samtgemeinden im Süden des Kreises wohnten und arbeiteten nach den Auswertungen der Pendlerdaten (fast) keine Arbeitskräfte mit Arbeitswegen von 150 km und mehr. Eine Ausnahme bildet hier wieder Samtgemeinde Altes Amt Lemförde mit einem vergleichsweise hohen Anteil ferneinpendelnder Arbeitnehmer*innen.

Für die Städte und Gemeinden im Landkreis Diepholz lässt sich aus der Auswertung der Pendlerdaten insgesamt festhalten, dass die Anzahl potenzieller Zweitwohnungsnehmer*innen, die aus beruflichen Gründen im oder außerhalb des Landkreises einen weiteren Wohnsitz haben, derzeit gering zu sein scheint. Dies gilt zumindest dann, wenn ein vergleichsweiser vorsichtiger Grenzwert von 150 km je einfacher Wegstrecke angenommen wird. Werden Personen mit einfachem Pendelweg von z. B. 100 km oder sogar 50 km und mehr in die Betrachtungen einbezogen, erhöht sich die Anzahl der potenziellen Zweitwohnungsnehmer*innen erheblich. Die Ergebnisse verweisen damit insgesamt auf eine eingeschränkte Aussagekraft der Pendlerdaten für die Erfassung von multilokalen Alltagsarrangements sowie vor allem auch darauf, dass nicht allein ausbildungs- und berufsbezogene Gründe für die Entscheidung zu einer multilokalen Lebensweise relevant sind.

3.2.3 „Lohnt“ sich Fernpendeln eigentlich? Oder könnte eine Zweitwohnung in der Nähe des Arbeitsortes „günstiger“ sein? Das Online-Tool „PendlALand“

Wie die vorstehenden Kapitel gezeigt haben, bestehen hinsichtlich der Nutzbarkeit von Grundlagendaten aus verschiedenen Erhebungen und Statistiken zur Quantifizierung des Phänomens Multilokalität teils erhebliche Einschränkungen und Schwierigkeiten.

Im Laufe der Bearbeitung des Projektes TempALand wurde daher zwar der Versuch unternommen sich der Anzahl der multilokal lebenden Personen im Landkreis Diepholz zumindest anzunähern (siehe Abschn. 3.2.1 und 3.2.2). Zusätzlich wurde jedoch – im Sinne einer Sensibilisierung für multilokale Lebensweisen – durch Modellrechnungen versucht, zu ermitteln und darzustellen, welche Folgewirkungen sich für einzelne Haushalte ergeben könnten, wenn anstelle des (Fern-)Pendelns eine Zweitwohnung in der Nähe des Arbeitsortes und damit ein Leben an mehreren Orten gewählt wird.

Für eine große und weiter zunehmende Anzahl von Menschen ergibt sich eine erhebliche Belastung des Haushaltsbudgets dadurch, dass täglich weite Wege zwischen Wohnort und Arbeitsplatz zurückgelegt werden. Zudem verursacht das (Fern-)Pendeln zum Arbeitsplatz oftmals einen beträchtlichen Zeitaufwand und einen ggf. nicht unbedeutsamen CO2-Ausstoß. Die Gründe für das Fernpendeln sind vielfältig und individuell verschieden. Sie lassen sich jedoch in aller Regel darauf zurückführen, dass sich private Anforderungen und Bedarfe des Wohnens und Lebens an einem Wohnort mit den Ansprüchen und Möglichkeiten im Zusammenhang mit der beruflichen Tätigkeit nicht in räumlicher Nähe zueinander verwirklichen lassen.

Sofern ein Umzug des Haushaltes in die Nähe des bestehenden Arbeitsortes bzw. die Aufnahme einer beruflichen Tätigkeit in der Nähe des aktuellen Wohnortes ausscheiden, ergeben sich für den betroffenen Haushalt u. a. die folgenden Optionen, um die finanziellen bzw. zeitlichen Belastungen durch das Fernpendeln zu reduzieren:

  • Weniger Arbeitstage vor Ort, z. B. durch alternative Arrangements des Arbeitsalltags (z. B. Reduzierung der Arbeitszeit oder mehr Home-Office),

  • eine veränderte Verkehrsmittelwahl oder

  • die Aufnahme einer Zweitwohnung am Arbeitsort bzw. in dessen Nähe.

Inwieweit eine Umsetzung dieser Möglichkeiten in Betracht kommt, ist Gegenstand privater Abwägungsentscheidungen. Neben grundsätzlichen Fragen nach den Folgewirkungen für den beruflichen Alltag sowie für das Privat- und Familienleben können zur individuellen Bewertung der Optionen auch Folgewirkungen in Bezug auf Kosten, Zeitaufwand und CO2-Emissionen eine Rolle spielen („Würde sich das eigentlich für uns ‚lohnen‘?“).

Mit dem Online-Tool PendlALand lassen sich die individuellen Folgewirkungen der Aufnahme eines Zweitwohnsitzes – zunächst am Beispiel eines Arbeitsorts und potenziellen Zweitwohnsitzes im Landkreis Diepholz – sichtbar machen. PendlALand bilanziert dabei Kosten, Zeitaufwand und CO2-Emissionen des (Fern-)Pendelns im Verhältnis zur Aufnahme einer Zweitwohnung in der Nähe des Arbeitsortes.

Zur Nutzung von PendlALand werden unter www.pendlaland.de einige Grundlagendaten zum aktuellen Pendelverhalten eingegeben. Dies betrifft

  • die räumliche Lage des Arbeitsortes im Landkreis Diepholz,

  • das aktuell zum Pendeln genutzte Verkehrsmittel,

  • die aktuelle Pendeldistanz und Häufigkeit der Pendelwege sowie

  • die aktuellen Fahrt- und Wegezeiten.

Hinzu kommen Angaben, die die Situation im Falle der Aufnahme einer Zweitwohnung nahe des Arbeitsortes beschreiben, also

  • die gewünschte Wohnfläche für eine Zweitwohnung sowie

  • die Anzahl der monatlichen Heimfahrten an den Ort der Hauptwohnung.

PendlALand vergleicht nun auf Grundlage dieser Angaben Kosten, Zeitaufwand und CO2-Ausstoß für die Szenarien „(Fern-)Pendeln“ bzw. „Zweitwohnung am Arbeitsort“. Berücksichtig werden dabei die Aspekte, die sich zwischen den untersuchten Szenarien verändern, also

  • zusätzliche Wohnkosten für die Zweitwohnung (Nettokaltmiete zzgl. der durchschnittlichen Wohnnebenkosten),

  • die Bilanz der Kosten, des Zeitaufwandes und der CO2-Emissionen der regelmäßigen Arbeitswege und Heimfahrten sowie

  • die Steuerbilanz, die sich durch Geltendmachung der Entfernungspauschale sowie der Aufwendungen einer doppelten Haushaltsführung ergibt.

Die Ergebnisse dieser Bilanzierung werden den Nutzer*innen in Form von Karten bzw. tabellarischen Übersichten präsentiert. Die Einfärbung aller 45 Städte und Gemeinden im Landkreis Diepholz auf einer Karte zeigt an, ob durch die Aufnahme eines Zweitwohnsitzes eine Mehr- oder Minderbelastung durch Kosten, Zeitaufwand oder CO2-Emissionen entstehen würde (vgl. Abb. 3.5). Per Mausklick in die Karte lassen sich für die einzelnen Städte und Gemeinden detailliertere Informationen zu den einzelnen Kostenpositionen in Tabellenform anzeigen.

Abb. 3.5
figure 5

Kostenbilanz „Zweitwohnung in der Nähe des Arbeitsortes“ vs. „Fernpendeln zum Arbeitsplatz“ (Pkw) (Quelle: Gertz Gutsche Rümenapp 2020)

Das folgende Beispiel zeigt die Ergebnisse für einen Erwachsenen, der derzeit täglich 90 km mit einem Mittelklasse-Pkw zu einem Arbeitsplatz in Barnstorf pendelt. Dort sowie in einigen angrenzenden Gemeinden ließen sich bei Wahl einer Zweitwohnung mit 35 qm Wohnfläche und regelmäßigen wöchentlichen Heimfahrten Kostenersparnisse von monatlich insgesamt rund 50 bis 100 € realisieren. Diese Ersparnisse entstehen dadurch, dass die durch die Vermeidung von täglichen Pendelwegen vom Ort der Hauptwohnung eingesparten Kosten die Summe der zusätzlichen Kosten aus Miet- und Nebenkosten für die Zweitwohnung, den Kosten für die Arbeitswege vor Ort sowie regelmäßige Heimfahrten trotz ggf. geringerer Ersparnis durch die Entfernungspauschale übersteigen. In einer Reihe weiterer Gemeinden (z. B. auch in der Stadt Diepholz) wäre so eine Kostenersparnis von immerhin noch bis zu 50 € pro Monat zu erwarten.

Für potenzielle Wohnorte im Landkreis Diepholz, die weiter vom angenommenen Arbeitsplatz in Barnstorf entfernt sind (z. B. im Umland der Stadt Bremen) wäre die Aufnahme einer Zweitwohnung im Beispiel in der Summe mit Mehrkosten in Höhe von z. T. mehr als 100 € pro Monat verbunden. Dies lässt sich einerseits auf im Kreisvergleich höhere Mietkosten sowie vor allem auf Kosten zurückführen, die durch das tägliche Pendeln aus der Zweitwohnung im Bremer Umland mit dem Pkw nach Barnstorf entstehen würden (vgl. Abb. 3.5).

Ist der heute mit dem Pkw zurückgelegte tägliche Pendelweg, der im Falle der Wahl einer Zweitwohnung vermieden würde, weiter als die im Beispiel angenommenen 90 km, so erhöht sich die Kostenersparnis in den in der folgenden Abbildung grün eingefärbten Kommunen. Bei längeren (heutigen) Pendelwegen würden sich bei Aufnahme einer Zweitwohnung in den in diesem Beispiel rot eingefärbten Kommunen (=Mehrkosten bei Aufnahme einer Zweitwohnung) ggf. ebenfalls Kostenersparnisse ergeben.

Fahrtzeit- und CO2-Bilanz wären unter den Bedingungen dieser Beispielberechnung an nahezu allen Wohnorten im Landkreis Diepholz positiv, d. h. es würden durch die Wahl einer Zweitwohnung und die Vermeidung täglicher (Fern-)Pendelwege fast überall Zeit und CO2 eingespart (vgl. Abb. 3.6 und 3.7).

Abb. 3.6
figure 6

Zeitbilanz „Zweitwohnung in der Nähe des Arbeitsortes“ vs. „Fernpendeln zum Arbeitsplatz“ (Pkw) (Quelle: Gertz Gutsche Rümenapp 2020)

Abb. 3.7
figure 7

CO2-Bilanz „Zweitwohnung in der Nähe des Arbeitsortes“ vs. „Fernpendeln zum Arbeitsplatz“ (Pkw) (Quelle: Gertz Gutsche Rümenapp 2020)

Im oben beschriebenen Beispiel „Pkw“ lassen sich insgesamt also rund 570 € pro Monat durch die Reduzierung der Distanzen zum Arbeitsplatz einsparen. Selbst unter Berücksichtigung der regelmäßigen Heimfahrten sowie die ggf. geringere Steuerersparnis verbleiben durch die Vermeidung täglicher (Fern-)Pendelwege Einsparpotenziale im Bereich der Mobilitätskosten in einer Größenordnung von rund 410 € pro Monat, die für die Zweitwohnung zur Verfügung stünden.

Die Kosten für die Nutzung von Angeboten des ÖPNV sind gegenüber der Pkw-Nutzung häufig deutlich geringer – dementsprechend sind jedoch auch die Einsparpotenziale weniger hoch. Wird nun – angelehnt an das oben beschriebene Beispiel – angenommen, dass ein Mitglied eines Familienhaushaltes aus einem etwa 90 km entfernten Ort innerhalb des VBN-Gebietes mit dem ÖPNV nach Barnstorf pendelt, dauert dies pro einfachem Weg mit dem Regionalzug im (fiktiven) Beispiel etwa 90 min und kostet monatlich derzeit 212 €.

Werden im Beispiel „ÖPNV“ nun noch Kosten für die regelmäßigen Heimfahrten berücksichtigt (rund 100 € im Monat), verbleibt nur noch ein Einsparpotenzial von etwa 110 € pro Monat.

Unter Berücksichtigung der Miet- und Wohnnebenkosten für eine Zweitwohnung rechnet sich das Szenario „Zweitwohnung am Arbeitsort“ für ÖPNV-Nutzer*innen in diesem Beispiel – zumindest unter finanziellen Gesichtspunkten – meist nicht.

Die Zeitbilanz fällt in diesem Beispiel hingegen durch Wahl eines Zweitwohnsitzes an allen Standorten im Landkreis positiv aus. Ebenso lassen sich – sofern die Zweitwohnung in der Nähe des Arbeitsplatzes liegt – CO2-Emissionen reduzieren und zwar überall dort, wo die Einspareffekte durch Reduzierung von Fahrten höher sind als das zusätzlich durch eine Zweitwohnung emittierte CO2 (Heizenergie, Alltagsstrom etc.).

Die Bilanzierung für Fernpendler*innen, die ihre täglichen Arbeitswege mit einem Pkw zurücklegen, ist aufgrund des linearen Zusammenhangs zwischen Fahrstrecke und Kosten vergleichsweise einfach: Je deutlicher die monatliche Kilometerzahl für das Fernpendeln die Summe aus Kilometern der Arbeitswege vor Ort und der regelmäßigen Heimfahrten übersteigt, desto größer ist die Kostenersparnis im Bereich der Mobilitätskosten und damit die zur Verfügung stehende Summe für die Anmietung einer Zweitwohnung. Bei der Wahl (und Verfügbarkeit!) einer Wohnung mit 35qm sind im beschriebenen Beispiel ab rund 70 km einfachem (vermiedenen) Pendelweg Kostenersparnisse zu erwarten (vgl. Abb. 3.8).

Abb. 3.8
figure 8

Kostenbilanz „Zweitwohnung am Arbeitsort“ gegenüber „Fernpendeln zum Arbeitsplatz in € pro Monat in Abhängigkeit der Pendelentfernung (Pkw-Nutzung) (Quelle: Gertz Gutsche Rümenapp 2020)

Die Bilanzierung ist im Falle einer ÖPNV-Nutzung aufgrund der Tarifsystematik ungleich schwieriger. Insbesondere die fehlende Linearität zwischen Ticketpreisen und Wegelängen im Zusammenhang mit der Vielzahl der Optionen (Welche Zeitkarte? Welche konkrete Fahrstrecke? Sparpreise? BahnCard?) erschwert die Herleitung belastbarer Ergebnisse jedoch.

Die Folgewirkungen einer möglichen Aufnahme einer Zweitwohnung in der Nähe des Arbeitsplatzes auf Kosten, Zeitbudgets und CO2-Ausstoß kann PendlALand in der jetzigen Ausbaustufe gut sichtbar machen. Trotz einer Orientierung an den Alltagsrealitäten der Nutzer*innen kann die mit dem Online-Tool herbeigeführte Abschätzung jedoch nur Hinweise liefern und keine detaillierte Auseinandersetzung des einzelnen Haushalts mit konkreten Optionen und Gegebenheiten ersetzen.

Dieses ist jedoch auf gar nicht die zentrale Funktion: Vielmehr versucht PendlALand einen Beitrag zur Sensibilisierung für ein multilokales Alltagsarrangement zu leisten, das als eine Option der Alltagsorganisation neben Umzug, Arbeitsplatzwechsel oder Fortsetzung des (Fern-)Pendelns von einer zunehmenden Zahl von Haushalten gelebt oder zumindest als Möglichkeit ins Auge gefasst wird.

Denkbar und wünschenswert wäre es vor diesem Hintergrund, wenn es perspektivisch gelänge, die in PendlALand berücksichtigten Aspekte in bestehende Sensibilisierungs- und Beratungswerkzeuge, die derzeit noch ausschließlich auf die Möglichkeit „vollständiger Umzug des Haushaltes“ fokussieren, zu integrieren (z. B. in den „WoMo-Rechner“ des Hamburger Verkehrsverbundes (www.womorechner.de) oder den „womoko“ des Verkehrsverbundes Berlin-Brandenburg (https://www.vbb.de/womoko)).

Die bestehende und oben ausführlich beschriebene „Datenlücke“ zur Quantifizierung von Multilokalität kann jedoch auch PendlALand nicht schließen. Es wäre allerdings grundsätzlich denkbar, die Eingaben der Nutzer*innen für weitergehende Forschungszwecke zu nutzen. Dies geschieht derzeit nicht und ist auch nur dann hilfreich, wenn eine entsprechende Konzeption eine sinnvolle Nutzung der Daten sicherstellt (diese also nicht allein aus „Sammelwut“ erfasst werden) und Aspekte des Datenschutzes angemessen berücksichtigt werden.

Schlussbemerkungen

Die Frage nach dem quantitativen Umfang multilokaler Lebensweisen kann derzeit nicht befriedigend beantwortet werden. Dies gilt sowohl für die nationale als auch für die regionale und lokale Ebene in Deutschland. Die einzelnen Datenbestände erweisen sich als lückenhaft und ermöglichen allenfalls eine indizienhafte und näherungsweise Betrachtung multilokaler Phänomene. Das Grundproblem besteht darin, dass implizit von nur einer klar definierten Hauptwohnung ausgegangen wird, in der alle Personen des Haushaltes „normalerweise“ wohnen. Zweitwohnungen und das Wohnen an verschiedenen Orten wird nicht als eigenständige Lebensform bzw. Lebensphase, sondern in der Regel als Nebenerscheinung, als „statistisches Rauschen“ behandelt. Diese Containerlogik entspricht aber immer weniger der Lebensrealität von Menschen. Wenn auch der Begriff Massenphänomen sehr stark oder gar übertrieben anmutet, ist das Leben an wechselnden Orten keinesfalls eine Marginalie. Dies gilt auch für den Landkreis Diepholz, in der sich bereits aus der – wie beschrieben grundsätzlich in Bezug auf Multilokalität lückenhaften Meldestatistik – die Zahl von über 12.000 multilokal lebenden Menschen (dies entspricht rund 5,5 % aller Einwohner*innen) ablesen lässt. Diese Zahl stellt sicher eher die Untergrenze da und der Anteil dürfte tatsächlich höher liegen.

Für die planerische und politische Diskussion in der Untersuchungsregion Landkreis Diepholz sind die quantitativen Befunde aber in heutiger Form sicher unbefriedigend. Dies lässt sich nur in einer längerfristigen Perspektive ändern. Neben der berechtigten Forderung nach einer besseren Berücksichtigung von multilokalen Arrangements im Rahmen von großen Bevölkerungsbefragungen und der verstärkten Durchführung von Forschungsarbeiten sind auch auf kommunaler Seite Maßnahmen zur Verbesserung der Datengrundlage möglich. So können die Überprüfungen von Melderegister angeregt und eigene Befragungen – etwa im Rahmen von regionalen Wanderungsbefragungen umgesetzt werden. Wie der Exkurs zum „WoMoKoR“ zeigt, lassen sich derartige Datenquellen im Rahmen von Szenarien zur künftigen Entwicklung gewinnbringend nutzen. So können neue lokale Wissensbestände zu Phänomenen der Multilokalität entstehen und in Planungs- und Entscheidungsprozessen der Stadt- und Regionalentwicklung einfließen.

Die „Gesamtzahl“ stellt aber nur eine Fragestellung in der Beschäftigung mit multilokalen Lebensweisen dar. Im Projekt wurde daher eine Reihe von qualitativen bzw. alternativen Wissensbeständen erzeugt (vgl. Beitrag Greinke/Lange in diesem Band (Kap. 4) und Beitrag Greinke/Albrecht/Othengrafen/Gutsche/Lehmann in diesem Band (Kap. 5)). Dazu gehört auch das Tool PendlaLand, das sich explorativ und praxisnah den ökonomischen Aspekten der Entscheidung zum multilokalen Wohnen widmet. Übergreifendes Ziel sollte es letztlich sein, bei allen Akteur*innen das Bewusstsein und die Sensibilität für multilokale Lebensweisen zu erhöhen.