Schlüsselwörter

1 Gestaltungsoptionen für Studierende in digitalen Zeiten

Im Rahmen des Engagements als DigitalChangeMakerFootnote 1 ist den Beteiligten der Arbeitsgruppe verstärkt bewusst geworden, dass die lokale Studierendenpartizipation zur Digitalisierung an Hochschulen unterschiedlich ausgeprägt ist und je nach Kontext und spezifischer Akteur*innenkonstellation vielfältig umgesetzt wird (Weisflog und Böckel 2020, S. 4). Dabei können Studierende als Nutzer*innen wertschöpfend und kreativ-konstruktiv ihr Gestaltungspotenzial einbringen (Rink 2020, S. 57). Dies betrifft insbesondere die Handlungsfelder der Gestaltung des digitalen Wandels in der Hochschulbildung, beispielsweise die Formulierung von Digitalisierungsstrategien, (barrierefreie) Gestaltung der Funktionalitäten von Websites, Services sowie digitalen Lernumgebungen und Campus-Management-Systemen (vgl. Böckel 2020, S. 140; Lamprecht 2020, S. 96). Es geht also um die übergeordnete Frage, wie an einer Hochschule gelehrt und gelernt werden sollte, und damit um die Gestaltung von Rahmenbedingungen einer neuen Lehr-/Lernkultur (Brahm et al. 2010, S. 4). Dieser Beitrag soll dafür eine analytische Stütze bieten, um Hochschulen bei einer professionellen studierendenzentrierten Hochschulentwicklung zu begleiten. Dafür werden zunächst Möglichkeiten der Studierendenbeteiligung theoriebasiert entlang der Ebenen der Organisationsentwicklung für die Lehr-Lerngestaltung an Hochschulen skizziert bevor in nachfolgenden Abschnitten konkrete Handlungsoptionen dargestellt werden.

Nach Seufert (2008) können Hochschulentwicklung im Allgemeinen und die Verankerung von Innovationen in der Hochschullehre im Besonderen auf der Ebene der konkreten Lernsituation oder Lehr-/Lernszenarien (Mikroebene), der Ebene der Lehrveranstaltungen (Mesoebene) sowie der Ebene der Studiengänge und Formen der Studienorganisation (Makroebene) unterschieden werden. Auf diesen Ebenen ist zu untersuchen, wie die Beteiligung von Studierenden erfolgen kann.

Angelehnt an diese Wirkungssphären der Hochschulentwicklung existieren verschiedene Verantwortungsbereiche. Auf der Mikroebene sind es Arbeitsbereiche, Lehrstühle und Institute, die mit der Lehrentwicklung betraut sind. Auf der Mesoebene sind es vordergründig Fachbereiche oder Fakultäten, die auf die institutionalisierte Lehrentwicklung hinwirken. Dabei ist die Hochschulleitung auf der Makroebene rahmengebend für die Lehrentwicklung der gesamten Hochschule. Studierende können auf diesen unterschiedlichen Ebenen ihre Bedürfnisse und Vorstellungen der Lehrentwicklung einbringen. So eröffnen sich Partizipationsmöglichkeiten auf der Mikroebene durch die Interaktion mit Lehrenden zur Gestaltung der Lehrveranstaltung. Die Mesoebene kann durch institutionalisiertes Engagement von Fachschaften mitgestaltet werden. Hochschulweit (Makroebene) stehen Studierenden in stärker institutionalisierter Form (insbesondere Hochschulparlament und Akademischer Senat) Möglichkeiten der lehrbezogenen Hochschulentwicklung offen.

Verschiedene Fragen der Digitalisierung in der Hochschulbildung stellen sich auf allen drei Ebenen. Auf der Mikroebene ist insbesondere der Einsatz von digitalen Medien in Lehrveranstaltungen relevant. Auf der Mesoebene hingegen existieren Herausforderungen hinsichtlich der flächendeckenden Nutzung digitaler Potenziale in ganzen Studiengängen. Hochschulweit (Makroebene) sind Infrastrukturfragen rund um IT-Systeme sowie Anreiz- und Supportsysteme mitzugestalten.

Die Übergänge und Interaktionen zwischen den in Abb. 1 dargestellten Ebenen sind fließend, doch zeigen die ersten Erfahrungen der DigitalChangeMaker, dass vor allem auf Ebene des hochschulinternen sowie hochschulübergreifenden Dialogs die Studierendenperspektiven rund um Fragen der Digitalisierung in der Hochschulbildung zu stärken sind. Entsprechend beziehen sich nachfolgende Modelle und Ideen auf diese Makroebene als Handlungsfeld und Gestaltungsaufgabe der Studierendenpartizipation der Hochschulentwicklung in digitalen Zeiten. Auf Basis dieser stärker rahmensetzenden institutionellen Hochschulentwicklung leiten sich Konsequenzen für die Gestaltung spezifischer Lehr- und Lernszenarien auf der Meso- und vor allem Mikroebene ab. Diese Szenarien hängen jedoch aufgrund des hohen Autonomiegrades der Fachbereiche und der einzelnen Lehrenden vom dortigen Gestaltungswissen ab und werden deswegen an dieser Stelle nicht weiter betrachtet.

Abb. 1
figure 1

(Eigene Darstellung, angelehnt an Seufert, 2008, S. 129)

Innovationen, Handlungsebenen und Verantwortungsbereiche für eine partizipative Hochschulentwicklung.

Studierende sind häufig primäre Zielgruppe und Adressat*innen bei der Einführung neuer digitaler Systeme und Änderungen im Hochschullehrbetrieb, was ihre Beteiligung an entsprechenden Prozessen selbstverständlich(er) machen sollte. Leider wird dies selten in der Breite so realisiert und gelebt. Dabei kann aus Sicht der Hochschulleitungen folgende Argumentationslinie angenommen werden: Neue Anforderungen und entsprechende Veränderungsprozesse in der IT-Infrastruktur müssen nutzer*innenorientiert gehandhabt werden, um nicht als Misserfolg zu enden (Amrhein 1998, S. 143). Mit Blick auf die geringen Erfolgsquoten IT-bezogener Veränderungsprojekte von selten mehr als 40 bis 60 % (Burnes 2017, S. 15) ist hier ein besonderer Wert auf ein zweckmäßiges und nachhaltig wirksames Change Management zu legen. Gleichzeitig eröffnet die Digitalisierung in Lehr-Lern-Szenarien neue Möglichkeiten für die Erweiterung und Stärkung des strategischen Profils der Hochschulen. Dadurch können bisherige Profile wie das einer internationalen oder diversitätsorientierten Hochschule mit neuen Technologien noch stärker ausgeprägt und in der Außenkommunikation leichter realisiert werden (Hochschulforum Digitalisierung 2016). Damit wird sichergestellt, dass nahe an den Anforderungen und Bedürfnissen der Zielgruppen und Anspruchsgruppen der Hochschule agiert wird (Pongratz 2018, S. 135). Falls dies nicht geschieht, droht nach dem Leitbild der nutzer*innenzentrierten Entwicklung als Credo in der modernen IT-Entwicklung eine schlechte Annahme von Lösungen, da diese an den Nutzenden (hier: insbesondere den Lernenden, aber auch den Lehrenden) vorbei entwickelt und implementiert werden.

Diese Ansätze sind nicht neu und gehen unter anderem auf Ansätze von Gould und Lewis (1985) zurück. Jedoch werden sie durch die intensivierte Durchdringung der Lebens- und Arbeitsroutinen durch digitale Technologien zu Prinzipien der IT-Gestaltung erneut aufgebracht. Neben dieser funktionalistischen Argumentation für eine verstärkte Studierendenbeteiligung verdichten sich im Bereich der Pädagogik und insbesondere in der Mediendidaktik Aufrufe zu einer zunehmenden Rolle der Studierenden. Aus der wachsenden Bedeutung digitaler Medien in akademischen Lehr-Lern-Kontexten ergibt sich eine neue Verantwortung der Bildungsinstitution Hochschule für die Medienbildung und deren infrastruktureller wie curricularer Bearbeitung. Zusätzlich bieten digitale Technologien im Sinne des Social Web neue Möglichkeiten einer verstärkten Partizipation von Lernenden inner- und außerhalb der Hochschule (Mayrberger 2019). Vor diesem Hintergrund kann eine Partizipation von Studierenden begründet gefordert werden.

Dennoch sind reale Partizipationsprozesse, insbesondere auf hochschulweiter und institutioneller Ebene, keineswegs trivial in der Umsetzung, denn sie kosten Zeit und Mühe und erfordern neue Formen der Transparenz. Tatsächlich verwirklichte Partizipation im Bereich der Hochschulentwicklung ist infolgedessen mit einer Umstrukturierung von Entscheidungsprozessen verbunden und dies scheint eher selten umgesetzt zu werden. Denn die Einblicke der DigitalChangeMaker lassen die Schlussfolgerung zu, dass entsprechende Partizipationsprozesse bisher nicht immer in die Digitalisierung betreffende Hochschulentwicklungsvorhaben eingebettet sind und explizit adressiert sowie ermöglicht werden können. Studierendenpartizipation ist kein Automatismus, der sich in digitalen Zeiten besonders leicht einlöst, nur weil Information und Kommunikation leichter und schneller erfolgen kann. Ganz im Gegenteil kann angenommen werden, dass als Ergebnis einer Hochschulentwicklung hin zu einer dann individuell ausgestalteten digital gestützten Hochschullehre sogar Gefahr laufen kann, dass Lehrende verstärkt im Vorfeld festlegen, wann Inhalte zu vermitteln und wann zu vertiefen sind. Entsprechend warnt Deimann (2020) im Merton-Blog des Stifterverbandes vor einer digital gestützten Pädagogik der Bevormundung. Er spricht sich für eine durch digitale Technologien ermöglichte Mitbestimmung der Lernenden über digitale Lehr-Lern-Formate, Methoden sowie Inhalte aus, für die im Verständnis der Hochschulentwicklung strukturell sinnvolle Rahmenbedingungen zu gestalten sind. Beispiele dafür sind kollaborative Kommunikations- und Lerntechnologien, adressat*innengerechte digitale Informationsportale sowie die Gestaltung von Lernräumen, die digitale Endgeräte als Lernmittel mitdenken.

Diese allgemeinen Entwicklungslinien bestätigten sich auch empirisch im Rahmen einer Erhebung der DigitalChangeMaker im Sommersemester 2019. In einer Online-Umfrage, an der mehr als 8000 Studierende in Deutschland teilgenommen haben, bestätigte sich, dass eben diese Mitgestaltung in weniger als einem Fünftel der Fälle (18 %) überhaupt möglich ist (Weisflog und Böckel 2020, S. 28). Jedoch geben fast 40 % der Studierenden, die partizipieren könnten, an, dass sie diese Möglichkeit auch mindestens einmal wahrgenommen haben. Das deutet auf ein grundsätzliches Interessenpotenzial für Partizipationsformate hin.

Nachfolgend wird nun das Ziel verfolgt, Leitlinien für erfolgreiche Beteiligungsprozesse von Studierenden zu entwickeln, um diese Prozesse für Hochschulen handhabbar zu machen. Damit wird intendiert, die bestehenden Formen der Studierendenbeteiligung nicht zu ersetzen, sondern zu einer Professionalisierung der Studierendenpartizipation in komplexen Zusammenhängen der digitalisierungsbezogenen Hochschulentwicklung beizutragen. Es ist dabei wichtig zu betonen, dass diese phasenorientierten Leitlinien bewusst weit gefasst wurden. Dies ist begründet in der Absicht, inklusiv für die größtmögliche Anzahl von Bildungseinrichtungen zu bleiben und die individuelle Anpassung für die einzelne Hochschule durch spezifische Projekt-/Change-Management-Literatur zu ergänzen. Eine allgemeine Handreichung für Hochschulleitungen zu erfolgreichen Methoden der Einarbeitung von Partizipationsprozessen in das Change Management von Hochschulen wird in anderen Literaturbeiträgen wie Stuart (2002) geboten. Im Folgenden wird jedoch der Fokus auf entsprechende Vorhaben im Kontext der Digitalisierung in Lehr-Lern-Kontexten als Ziel der Hochschulentwicklung gerichtet. Bevor stärker auf einen idealtypischen Projektablauf eingegangen wird, verfolgen die nächsten beiden Kapitel das Ziel, die Herausforderungen dieser Partizipationsprozesse näher zu beleuchten. Daran angelehnt werden die Partizipationsprinzipien einzeln herausgearbeitet.

2 Leitlinien eines studierendenzentrierten Change Management

Auf dem Weg, Studierende an ihrer Hochschule frühzeitig sowie dauerhaft partizipativ einzubeziehen, begegnen den hochschulischen Akteur*innen sowie Verantwortlichen in der Hochschulleitung, Support- und Serviceeinrichtungen, Hochschulmitgliedern in Dekanaten und Lehrenden ähnliche Herausforderungen, die nachfolgend auf Basis konkreter Gestaltungsideen skizziert werden.

2.1 Welche Studierenden?

So offen Partizipationsprozesse auch gestaltet werden sollen, so sehr stellt sich dennoch die Frage, welche (Teil-)Gruppen der Studierendenschaft wie am besten aktiviert werden können. Dies ist besonders relevant, da möglichst diverse Meinungen zu integrieren sind, ohne die breite Studierendenschaft auszuschließen. Das betrifft die organisierte Studierendenschaft, die hochschulweit aktiv ist. Je nach Zielsetzung sind es aber Vertreter*innen aus den Fachschaften bei stärker fach- und studienbezogenen Anliegen. In jedem Fall kann es für Beteiligungsprozesse besonders gewinnbringend sein, bisher nicht so stark in Hochschulentwicklungsprozessen aktive Studierenden(gruppen) einzubeziehen, um mit Anliegen des digitalisierungsbezogenen Veränderungsmanagements Breitenwirksamkeit in der Hochschule zu erzielen.

Häufig verfügen Studierende nicht über das benötigte Wissen, um sich am Prozess zu beteiligen. Im Idealfall kann es aus Hochschulleitungsperspektive zielführend sein, eine diverse Gruppe zusammenzustellen, die aus unterschiedlichen fachlichen, aber auch organisatorischen Hintergründen kommt. Auch unter Studierenden gibt es dabei Multiplikator*innen, die nicht zwangsläufig die AStA-Sprecher*innen sein müssen.

2.2 Wie motiviert man die Studierenden?

Selbst wenn die richtigen Studierenden identifiziert sind, ergeben sich Herausforderungen im Umgang damit, Studierende in die Organisationslogik der verschiedenen Digitalisierungsprozesse zu integrieren. Neben dem oben genannten Wissen um Prozesse der Hochschulentwicklung und IT-Infrastrukturprojekte ist es häufig die fehlende Bindung an die Organisation über die begrenzte Studienzeit. Dies kann dazu führen, dass Hochschulverantwortliche den Eindruck haben, dass eine Einbeziehung von Studierenden über einen längeren Zeitraum schwierig sei. Gleichzeitig ist in der Organisation der Hochschule meist klarer, was der Mehrwert des Projektes ist, was besonders in frühen Phasen des Prozesses bei Studierenden zu geringer Motivation führen kann. Die zeitlichen Zielhorizonte der Veränderungsprozesse sollten daher die relativ kurze Verweildauer und Fluktuation der Studierenden berücksichtigen und sich mit ihren Meilensteinen daran anpassen, um den Bezug der eingebundenen Studierenden zu den Veränderungsanliegen herzustellen.

2.3 Welche Prinzipien sollen den Partizipationsprozess rahmen?

Um diese Herausforderungen anzugehen, sollten folgende Prinzipien den gesamten Prozess begleiten und prägen:

  • Studierende werden als Nutzer*innen und Gestalter*innen betrachtet, denn es geht um einen gemeinsamen Lernprozess auf Augenhöhe.

  • Mitbestimmung und Beteiligung ist in der Dualität zwischen Daueraufgabe sowie projektbasierter Umsetzung zu verstehen. Dazu gehört in der Organisation Hochschule eine durchgängige Einbindung Studierender in den gesamten Prozess der Querschnittsaufgabe Digitalisierung, insbesondere bei allen richtungsweisenden Entscheidungen und nicht nur im instrumentalisierten Sinne als Bestätigungsressource im Nachgang. Gleichzeitig werden Studierendeninteressen und -ideen projektförmig und spezifisch erhoben und bearbeitet.

  • Transparenz ist ein Leitgedanke der Prozessgestaltung, damit auch nicht direkt beteiligte Studierende die Möglichkeit haben, den Prozess nachzuvollziehen. Die Beteiligung ist in bestimmtem Umfang orts- und zeitunabhängig möglich. Dies gilt nicht für alle Formate der Beteiligung, da physischer Austausch dem Campusgedanken folgend von großer Bedeutung ist. Studierende, die aktuell nicht vor Ort sind oder keine zeitlichen Kapazitäten haben, können sich äußern.

  • Die Hochschule etabliert zweckmäßige Freiräume und Anreizsysteme für Studierende, damit eine Beteiligung auf Basis studentischer finanzieller und zeitlicher Ressourcen überhaupt möglich ist.

  • Partizipation setzt eine Befähigung zur Beteiligung im Vorfeld voraus. Damit Studierende sich beteiligen können, braucht es oftmals einen vorgelagerten Prozess des Empowerments. Studierenden wird fachliches Wissen, um Entscheidungen treffen zu können, als auch systemisches Wissen bereitgestellt über die Hochschule, um Zusammenhänge und Möglichkeitsräume erkennen zu können. Studierende werde in der Ausbildung von zukunftsorientierten Kompetenzen unterstützt, um an gestalterischen Prozessen aktiv teilzuhaben.

  • Es wird das Bottom-up-Prinzip verfolgt. Betroffene, folglich vordergründig Studierende und Lehrende, werden informiert und bei Beteiligungs- und Entscheidungsprozessen angesprochen, ob die Ideen praktikabel sind, damit gut gemeinte, aber wenig hilfreiche Schritte vermieden und wirklich nützliche Verbesserungen angestrebt werden.

2.4 Welche Phasen bieten sich für Partizipationsprojekte an?

Bevor die einzelnen Prozessphasen detailliert eingeführt und in der Abb. 2 zusammengefasst werden, ist es wichtig, die zugrunde liegende Logik zu betonen. Es handelt sich um eine Dualität der langfristigen Kerngruppe und befristeten Arbeitsgruppen für einzelne Projekte. Erkenntnisse über die Zweckmäßigkeit nachfolgender, eher idealtypisch zu betrachtender vorgeschlagener Prozessschritte wurden insbesondere aus Eindrücken von der studentischen Beteiligung als Expert*innen in der Peer-to-Peer-Strategieberatung des Hochschulforums Digitalisierung gesammelt.

Abb. 2
figure 2

(Eigene Darstellung)

Phasenmodell der partizipativen Hochschulentwicklung im digitalen Wandel.

Der Prozess beginnt mit der Bildung einer statusgruppenübergreifenden Kerngruppe vonseiten der zentralen Hochschulakteur*innen unter Beteiligung zentraler Support- und Serviceeinrichtungen sowie nach Abstimmung mit studentischen Interessenvertretungen. Das wichtigste Ziel dieser Phase ist, bereits bestehende Strukturen und Gewohnheiten der Studierenden besser zu verstehen und schnell studentische Expertise zu integrieren. Hier bieten sich sowohl die Heranziehung von bestehenden Studierendenstrukturen (zum Beispiel: AStAs oder studentische Digitalisierungsbeauftragte) als auch eine Erhebung unter der Studierendenschaft und die Identifikation engagierter und interessierter studentischer Multiplikator*innen an.

Gleichzeitig ist es, wie oben genannt, wichtig, dass die an dieser Gruppe teilnehmenden Studierenden im Sinne der Befähigung zur bestmöglichen Partizipation einen besseren Einblick in hochschulische Strukturen und Prozesse erhalten, beispielsweise Gremienlogiken und Anspruchsgruppeninteressen in der Hochschule. Es gibt auch weitere geeignete Formate zur gegenseitigen Unterstützung von Studierenden wie etwa die Wandercoachings zu Nachhaltigkeitsthemen der Organisation „netzwerk n“.

Der nächste Schritt ist das Mapping der Themen und Probleme, also der Kerninhalte, für die jedoch phasenweise eine ausführlichere empirisch fundierte und repräsentative Studierendenmeinung eingeholt werden sollte. Es ist dabei das Ziel, anhand der vorher herausgearbeiteten tatsächlichen Studierendengewohnheiten Probleme und Handlungsfelder zu identifizierenFootnote 2. Zudem sollten die Ziele und Maßnahmen der Hochschulentwicklung (wie das vorher genannte Campus-Management-System), die Studierende maßgeblich betreffen, ebenfalls gesammelt werden. Diese Problemstellungen sind dann der konkrete Anlaufpunkt, den die einzelnen kurzfristigen Projektteams angehen werden.

Des Weiteren ist das kurzfristige Projektteam für die Einholung der Meinung der Nutzer*innen zu bilden. Für eine strukturierte Arbeit dieses Projektteams ist es wichtig, dass – sowohl innerhalb der Gruppen als auch zentral – die identifizierten Probleme und die Ziele klar formuliert und dokumentiert werden. Gleichzeitig ist es wichtig, einen Verhaltenskodex zu definieren, der die kommende Arbeit in produktive Bahnen lenkt. Als letzter Schritt innerhalb der Klammer der kurzfristigen Partizipationsformate erfolgt dann die eigentliche Projektarbeit durch die verschiedenen, im folgenden Abschnitt näher erläuterten Workshops. Es ist dabei sinnvoll, dass Teile der Kerngruppe hier weiterhin im Sinne der Struktur und des Zeitplans aktiv bleiben. Zeitpläne sollten so in kurzfristige Ziele und Etappen im Sinne von Meilensteinen gegliedert sein, dass sie zur Realität der Studierenden mit einer hohen Fluktuation, relativ kurzen Verweildauern an der Hochschule und studienbezogenen Ressourcenengpässen in Einklang zu bringen sind.

Im Folgenden werden unterschiedliche Herangehensweisen an die operativ auszugestaltende Partizipation skizziert.

2.5 Formate der partizipativen Hochschulentwicklung

Bei der Entscheidung, welche Partizipationsformate geeignet sind, ist es relevant, den Reifegrad der Partizipation zu berücksichtigen. Denn: Partizipation ist kein binäres, sondern mehrdimensionales Vorhaben. Das bedeutet, dass es einen maßgeblichen Unterschied macht, auf welche Art und Weise Studierende eingebunden werden, ob sie befähigt sind durch ausreichend (Hintergrund-)Wissen sowie ökonomische wie zeitliche Ressourcen. Ein weiterer Unterschied ist die Räumlichkeit, in der Partizipation stattfindet und ob diese für Studierende nahbar und niederschwellig erscheint. So können Onlineformate Hemmungen nehmen und eine breitere Beteiligung ermöglichen wie auch neue technische wie soziale Barrieren aufbauen. Seminarräume auf der anderen Seite können einen vertrauten Eindruck vermitteln, jedoch auch informelle Hierarchien gegenüber bestimmten Teilgruppen der Studierendenschaft außerhalb des Partizipationsformates reproduzieren.

Mittlerweile wurden diverse Partizipationsmodelle entwickelt, wie der „Democracy Cube“ von Fung (2006, S. 67), welcher zwischen dem Typ der Partizipierenden, dem Kommunikations- und Entscheidungsmodus und dem Maß der Autorität und Macht differenziert. Der Einfachheit halber wird an dieser Stelle auf die „Participation Ladder“ von Arnstein (1969, S. 217) zurückgegriffen, welche ebenfalls wie der Democracy Cube seinen Ursprung in der Bürger*innenbeteiligung hat. Diese idealtypische Leiter spannt Partizipation zwischen Manipulation und Kontrolle der Beteiligten auf und suggeriert durch die Anordnung eine Je-mehr-Beteiligung-desto-besser-Logik. Da die äußeren Partizipationslevel der Manipulation, Therapie und Kontrolle im Hochschulkontext nicht erstrebenswert sind, beschränkt sich die Betrachtung auf die Level der Information, Konsultation, Partnerschaft und delegierten Entscheidungsmacht.

Auf diesem Level können verschiedene Formate stattfinden. Dabei ist es wichtig, als weitere Dimension die Regelmäßigkeit zu betrachten, da einige Formate auf Einmaligkeit oder Regelmäßigkeit beruhen und dies ebenfalls eine Auswirkung auf den Grad der Partizipation hat. Ist das Ziel die Information von Studierenden, so eignen sich verschiedene Social-Media-Kanäle. Dabei ist eine zielgruppennahe und unterhaltsame Kommunikation relevant im Hinblick auf die Auswahl der Kanäle wie auch die Art der Kommunikation. Auf der Ebene der Konsultation haben sich bislang Umfragen verschiedenster Ausgestaltung etabliert. Ein intensiveres Format zur Befragung und Beratung sind Hackathons oder Workshops, in denen eine offene Frage formuliert wird und die Studierenden im Rahmen des Formates Ideen entwickeln, welche wieder zurück an die Hochschulleitung oder Organisator*innen gespielt werden. Beispiele von realisierbaren Formaten zur Partizipation werden entsprechend den zentralen Zielen der Beteiligung von Studierenden in Abb. 3 dargestellt.

Abb. 3
figure 3

(Eigene Darstellung)

Beispiele von Formaten der Beteiligung je nach Partizipationsziel.

Zur Erfüllung einer Partnerschaft kann ein regelmäßiger Austausch zwischen verschiedenen Studierendengruppen und der Hochschulleitung stattfinden. Der Unterschied zur delegierten Entscheidungsmacht ist, dass studentische Vertreter*innen im jeweiligen Team vertreten sind, Mitsprache- und Stimmrecht haben und eine Anbindung an die legitimierten studentischen Vertretungsstrukturen gegeben ist.

Nachdem die Partizipationsformate und -level kurz erläutert wurden, ist der nächste Schritt die Einbindung der erarbeiteten Ergebnisse aus den Partizipationsformaten. Dies ist aus mehreren Gründen besonders wichtig: Zum einen ist erst dadurch eine tatsächliche Verbesserung der Lage möglich. Gleichzeitig sind die Umsetzung von Entscheidungen und Ideen und ihre Kommunikation für zukünftige Generationen wichtig, um die Ernsthaftigkeit und Verbindlichkeit der Hochschulleitung zu demonstrieren. Hierbei hat es sich als hilfreich herausgestellt, wenn die Rolle der Studierenden innerhalb der Entwicklung auch öffentlich kommuniziert wird. Dies erhöht die Sichtbarkeit des Formates und stärkt die Legitimität der Entscheidungen.

Es handelt sich bei den Prozessphasen um einen Kreislauf, der nach Abschluss einer erfolgreichen Evaluation wieder bei dem Mapping der Themen neu beginnt. Die Evaluation der Projekte ist dabei wichtig. Sowohl die spezifischen Partizipationsformate als auch die generelle Herangehensweise an Partizipation sollten dabei noch in regelmäßigen Abständen kritisch überprüft werden.

Hinsichtlich der Vernetzung von studentischen Akteur*innen deutschlandweit eignen sich die folgenden Formate: Als handlungsfähige Multiplikator*innen auf dem Weg zu einer oben skizzierten partizipativen Hochschulentwicklung könnten Lokalgruppen der DigitalChangeMaker einen Sammelpunkt für alle studentischen Aktiven im Bereich der Digitalisierung an den jeweiligen Hochschulen darstellen und als Sounding Board für zum Beispiel Student Digital Officer fungieren (Niebuhr 2020). Die Lokalgruppen bilden dabei einen Ort des Austausches von Ideen und Informationen für Studierende des Digitalausschusses der Hochschule, den Datenschutzbeauftragten des AStA und die Student Digital Officers. Durch den Aufbau eines deutschlandweiten Netzwerkes würden Hochschulen als Bildungsinstitutionen nicht nur zu partizipativeren, sondern auch zu kreativeren, handlungsfähigeren und studierendenzentrierteren Orten werden.

3 Studierendenzentrierte Hochschulentwicklung in der neuen Normalität

Dieser Beitrag hat aufgezeigt, wie eine systematische und strategische Einbeziehung von Studierenden als Nutzer*innen und damit relevante Zielgruppe aussehen kann. Bei der Erarbeitung von Partizipationsstrategien und -formaten sind die Mikro-, Meso- und Makroebene zu beachten, um eine vollständige Beteiligung zu ermöglichen. Das vorgestellte Prozessmodell ist als idealtypisches Modell zu betrachten und an den jeweiligen Kontext anzupassen. Dennoch hilft das Modell, um zu reflektieren und sichtbar zu machen, wie der eigene Beteiligungsprozess abläuft und ob er verbesserbar ist. Gleichzeitig sensibilisiert das vorgestellte Modell für unterschiedliche Partizipationslevel und erläutert mögliche Formate innerhalb dieser Level. Dadurch kann das Bewusstsein für die Vielfältigkeit von Partizipation gestärkt werden und Partizipation wird nicht mehr als binäres Konzept wahrgenommen. Es ist nicht die Frage, ob Studierende beteiligt werden oder nicht, sondern wie sie beteiligt werden und ob dies zielführend im Sinne aller Zielgruppen ist.

Dieser Artikel liefert einerseits eine theoretische Grundlage, um studentische Partizipation im digitalen Zeitalter zu überdenken und zu verändern. Andererseits ist er ein Aufruf an alle Hochschulen, die eigenen Prozesse zu überdenken und mit den Studierenden in einen stetigen und strategischen Austausch zu kommen. Denn der Wandel hin zu einer studentischen Partizipationskultur an Hochschulen wird durch die digitale Transformation und Akzeleration durch die COVID-19-Pandemie relevanter denn je. Es gilt, dieses Möglichkeitsfenster zu nutzen und den Wandel jetzt zu gestalten.