6.1 Männer in der Kita zwischen Generalverdacht und besonderer Erwünschtheit

Die frühkindliche Bildung ist ein von Frauen dominiertes Feld, in dem männliche Mitarbeitende leicht als „der Andere“ erscheinen. In Europa sind mehr als 95 % der ausgebildeten Kinderbetreuende in Kindertagesstätten Frauen, wobei der Anteil der männlichen Kinderbetreuer von insgesamt 9 % in Norwegen bis unter 1 % in Österreich reicht (Friis 2008). In der Schweiz ist der Anteil an Männern in den letzten Jahren kontinuierlich gestiegen. Im Jahr 2019 waren 16 % der Auszubildenden zur Fachperson Kinderbetreuung Männer (Savoir Social 2020). Historisch gesehen ist die Arbeit in der frühkindlichen Bildung eng an den Begriff der Mütterlichkeit und damit einem als natürlich angenommenen weiblichen Charakterzug verbunden (Nadai et al. 2005, S. 43). Tatsächlich sind auch die Fähigkeiten und Aktivitäten, die dem ideal worker (Acker 1990), also dem Idealbild der guten Fachperson für Kinderbetreuung zugeschrieben werden, weiblich konnotiert, zum Beispiel fürsorglich, nährend und beruhigend (Vogt 2002). Wir sprechen daher, ist im Folgenden dieses Idealbild thematisiert, ausschließlich in der weiblichen Form vom Ideal der guten Kinderbetreuerin.

Arbeitet in diesem Kontext ein Mann, so widerspricht er durch sein Geschlecht dem Idealbild. Der männliche Kleinkinderzieher überrascht, da er nicht die stereotype Erwartung der fürsorglichen Frau und des organisierenden Mannes erfüllt bzw. ihr sogar zu widersprechen scheint (Sargent 2005, S. 255–256). Schlimmer noch, männliche Pädagogen, und insbesondere diejenigen, die mit kleinen Kindern arbeiten, stehen häufig unter dem Generalverdacht (Cremers und Krabel 2012), auch aus sexuellem Interesse an Kindern heraus den Beruf ergriffen zu haben. Männer werden hier zu einer potenziellen Gefahr für Kinder; sie wecken Misstrauen und müssen ihre Anwesenheit in der Kita sowie ihre Integrität als Pädagogen fortlaufend legitimieren.

Männer in der Kita sind heutzutage jedoch auch sehr erwünscht und sogar gesucht. Einen Mann im Team zu haben, wird als etwas Neues und potenziell Innovatives für den weiblich geprägten Kontext der Kita gesehen (Faulstich-Wieland 2011). In diesem Sinn ist ein Mann und insbesondere das „andere“ Geschlecht in diesem Kontext zu sein, zu einem hochgeschätzten Attribut von Kinderbetreuern geworden (Buschmeyer 2013a). Von den Männern wird unter anderem erwartet, dass sie die Rolle des Vaters übernehmen, die in Analogie zur traditionellen heterosexuellen Kleinfamilie die Rolle der weiblichen Kolleginnen ideal zu ergänzen scheint.

Männer in der Kita sehen sich mit widersprüchlichen „Anrufungen“ (Austin 1962) konfrontiert. Einerseits müssen sie – der Anrufung des „erwünschten Manns“ folgend – als „der Andere“ handeln (Murray 1996) und Erwartungen an die Männlichkeit ihrer Person gerecht werden. Andererseits müssen sie aber auch als „Gleiche“ handeln, wollen sie das weiblich konnotierte Ideal der guten Kinderbetreuerin erfüllen. Warin (2006) hat diese paradoxale Aufforderung als Identitätsdissonanz beschrieben; es werden unterschiedliche und sich grundsätzlich widersprechende Aspekte der Identität situativ angesprochen und in den Vordergrund gerückt. Mit dieser Dissonanz umgehen zu können, wird somit zu einer grundlegenden Anforderung an Männer in einem Frauenberuf (Pullen und Simpson 2009). Ein Aspekt des Umgangs mit Identitätsdissonanz ist das sogenannte boundary work: Männer distanzieren sich von ihren Kolleginnen und betonen damit ihr Anderssein als Mann (Williams 1995; Heintz et al. 1997). Zugleich beschäftigen sie sich aber auch mit alternativen Männlichkeiten (Lupton 2000; Cameron 2001; Cross und Bagilhole 2002), betonen ihre Gleichartigkeit oder eignen sich explizit weiblich wahrgenommene Kompetenzen an (Pullen und Simpson 2009). Dieses sich im fortlaufenden Wechsel zwischen den Positionen des „Anderen“ und des „Gleichen“ sich zeigende Aushandeln von Identitätsdissonanz analysieren wir in diesem Kapitel als den fortlaufenden Wechsel zwischen doing und undoing gender. Mit einer diskurspsychologischen Analyse arbeiten wir insgesamt sechs diskursive Praktiken heraus, mittels derer es den zehn von uns interviewten männlichen Kinderbetreuern gelingt, im Interview trotz erlebter Identitätsdissonanz verschiedene legitime Subjektpositionen zu etablieren.

6.2 (Un)doing gender als Subjektpositionierung

Mit der Analyse von Subjektpositionen beziehen wir uns auf das (Un)Doing-gender-Verständnis Butlers und den darin zentralen Begriff der Performativität. Geschlechtsidentität wird hier als fortlaufender Prozess der Positionierung innerhalb der normativen Rahmenbedingungen verstanden, der jedoch mit einem gewissen Maß an Improvisationsmöglichkeiten ausgestattet ist. Für eine empirische Analyse ist darum zwingend, sich zum einen mit den Rahmenbedingungen, zum anderen aber auch mit der jeweiligen Interpretation und Bezugnahme durch die Subjekte – der Improvisation – auseinanderzusetzen.

Die performative Hervorbringung des Selbst ist zentraler Fokus der Kritischen Diskurspsychologie (Wetherell 2015, 2010). Analog zu Butler bezieht sich diese psychologische Theorietradition auf Foucaults spätere Arbeiten zur Subjektivierung und erarbeitet einen Analyserahmen sowie eine Methodik (Potter und Wetherell 1987; Wetherell 1998; Wetherell und Edley 1999), mit dem sowohl die normative Macht des Diskurses als auch die in jeder Interpretation liegende Macht der Veränderung analysiert werden kann (Nentwich und Morison 2018). Subjektivierung wird als Effekt diskursiver Praktiken analysiert, gender als eine „Praxis der Improvisation im Rahmen des Zwangs“ verstanden (Butler 2004, S. 1; zitiert aus der deutschen Übersetzung von 2009, S. 9). Doing und undoing gender bedeuten hier, eine bestimmte im Diskurs angebotene Subjektposition einzunehmen, wodurch eine legitime, d.h. anerkennbare und sozial akzeptable, weibliche oder männliche Identität erzeugt oder aber verworfen oder unterwandert wird (Wetherell 1998).

Im Unterschied zur wissenssoziologischen Auslegung des Subjektbegriffs (Bosančić 2013, 2016) ist das Subjekt jedoch in dieser Perspektive nicht unweigerlich in der durch den Diskurs zur Verfügung stehenden Subjektposition gefangen (Davies und Harré 1990, S. 48). Vielmehr sind Diskurse und interpretative Repertoires auch eine Quelle, auf die die Sprechenden zurückgreifen können (Potter und Wetherell 1987). Sie sind konstitutiv für bestimmte Identitäten, jedoch implizit in den Positionen, die sie anbieten, d. h. sie können jeweils auch verworfen und aktiv überarbeitet werden. Subjektpositionierung kann somit auch bedeuten, sich aktiv gegen die angerufenen Geschlechternormen zu wehren oder dagegen zu rebellieren (Taylor 2006). Um agency, also die Handlungs- und Gestaltungsfähigkeit des Subjekts, zu bestimmen, muss daher sowohl die Positionierung des Subjekts im Diskurs als auch die Positionierung durch den Diskurs mit einbezogen werden. Auf diese Weise konzipiert und berücksichtigt der hier verwendete Positionierungsbegriff die in alltäglichen Interaktionen vorhandene Variabilität und die damit verbundenen Möglichkeiten zur Improvisation ebenso wie die starke normative Macht des Diskurses (Potter und Wetherell 1987).

Mit Subjektpositionierung ist der diskursive Prozess gemeint, durch den das Selbst in Konversationen als erkennbar und konsistent und gemeinsam von den Interagierenden über den Verlauf des Gesprächs hinweg erzeugt wird (Davies und Harré 1990, S. 48). Eine Analyse von Subjektpositionierungen beschäftigt sich somit mit der Art und Weise, wie Positionen innerhalb von Konversationen zum einen vermittelt, zum anderen aber auch aktiv beansprucht und eingenommen oder aber angefochten werden (Wetherell 1998). In einem ersten Schritt werden zunächst die Diskurselemente identifiziert, die den Sprechenden in einem bestimmten Kontext zur Verfügung stehen, um eine spezifische Subjektposition zu konstituieren. In einem zweiten Schritt geht es um die Identifikation der diskursiven Praktiken, also dem tatsächlichen Einnehmen oder aber Verwerfen von Positionierungsangeboten. Doing und undoing gender werden hier zu diskursiven Praktiken, durch die das vergeschlechtlichte Subjekt etabliert, aufrechterhalten, aber auch verstört wird (Wetherell und Edley 1999). Für die Analyse der durch männliche Kleinkindbetreuer erlebten Identitätsdissonanz ist somit relevant zu erkennen, durch welche Praktiken männliche Geschlechtsidentität wie auch das Ideal der guten Kinderbetreuerin etabliert, aufrechterhalten und verstört wird.

6.3 Die diskurspsychologische Analyse von Subjektpositionierungen

Für die Analyse der diskursiven Praktiken und Subjektpositionierungen untersuchten wir die zehn mit männlichen Kinderbetreuern geführten Interviews. Dem von Wetherell (1998) entwickelten Ansatz folgend, werden mit der Analyse turn-by-turn Interaktionen in den Transkripten in den Blick genommen und zugleich mit der Makroperspektive der Diskurs- und Machtanalyse verknüpft. In konversationsanalytischer Tradition ist es zwingend, die Interpretationen klar im gesprochenen Text lokalisieren zu können. Zugleich verbleibt diese Fassung der Subjektpositionierungsanalyse nicht in den Mikrointeraktionen einer Konversation verhaftet, sondern verknüpft sie mit der poststrukturalistischen Top-down-Perspektive der größeren Diskurs- und Machtzusammenhänge (Wetherell 2015, S. 319).

In einem ersten Lesedurchgang identifizierten wir darum zunächst die Textpassagen, in denen gender relevant gemacht wurde. Die Interviewpartner sprechen hier zum Beispiel von ihrem Erleben als Mann, von Reaktionen, die Kolleginnen oder Eltern zeigten, oder auch, wie sie sich trotz geäußerter Überraschung oder Vorurteilen in ihrem sozialen Umfeld dennoch für diesen Beruf entschieden haben. Es interessierten uns hier insbesondere die zur Anwendung kommenden Diskursfragmente und die entstehenden Subjektpositionen, die den Sprechenden als Angebote zur Verfügung standen. Insbesondere der Vergleich mit den acht mit weiblichen Kolleginnen geführten Interviews ist hier hinsichtlich der vorzufindenden Leerstellen interessant (Tennhoff 2018, S. 124 ff.). Während in allen mit Männern geführten Interviews die Berufswahl und damit die Erklärung, warum man diesen Beruf gewählt habe, sehr ausführlich und äußerst geschliffen erfolgte, ist dies in den Interviews mit den Frauen jeweils sehr schnell gesagt. Während es für Männer notwendig erscheint, sehr ausführlich zu begründen und legitimieren, erscheint dies für die Frauen im Beruf nicht wichtig. Die Entscheidung sei „schnell“ oder „schon immer“ klar gewesen, denn man „hatte schon immer sehr gerne Kinder“ und habe sich nichts anderes vorstellen können (Tennhoff 2018, S. 125). Dieser Vergleich zeigt deutlich auf, dass die vorgefundene Identitätsdissonanz ausschließlich für die interviewten Männer relevant wurde, nicht aber für die interviewten Frauen.

In einem zweiten Schritt identifizierten wir die in diesen Textsequenzen stattfindenden Subjektpositionierungen, der konkrete Bezug auf Subjektangebote durch die sprechende Person. Dabei werden die diskursiven Praktiken identifiziert, mittels derer die von den Interviewpartnern erlebte Identitätsdissonanz jeweils ausgehandelt werden konnte. Ausgangspunkt ist hier die Annahme, dass für jede sprechende Person nicht eine, sondern mehrere Subjektpositionen zur Verfügung stehen. Indem das Subjekt auf die fortwährenden Anrufungen des Diskurses reagiert und Subjektpositionen eingenommen oder aber verworfen werden, werden diese auch verhandelt. Wir analysierten in diesem Schritt, wie genau die unterschiedlichen Subjektpositionen im Interview aufgerufen und für die Positionierung im Diskurs in situ verwendet wurden. Feinanalytisch relevant ist hier insbesondere das „Vokabular des Selbst“ (Wetherell und Edley 1999), wie zum Beispiel Begründungen, Motivlagen, emotionale Reaktionen, über die die stattfindende Subjektpositionierung identifiziert werden kann. Während dieses Analyseprozesses wurden die Interpretationen regelmäßig im Team diskutiert. Diese Diskussionen ermöglichten es uns, sowohl unseren Fokus auf die diskursiven Praktiken gerichtet zu halten, als auch unsere Interpretationen intersubjektiv zu validieren.

6.4 Positionierung als „der Gleiche“ und „der Andere“

Insgesamt haben wir sechs diskursive Praktiken identifiziert, mit denen sich die interviewten männlichen Kinderbetreuer sowohl als kompetente Kinderbetreuer als auch als Männer positionierten (siehe Tab. 6.2 im Überblick). Diese sechs Praktiken haben allerdings unterschiedliche Funktionsweisen. Während drei Praktiken die Differenz zwischen Männern und Frauen betonen und damit nach Deutsch (2007) als doing gender bezeichnet werden können, betonen zwei weitere die Gleichheit und somit das undoing gender, eine sechste hebt die für die kompetente Ausübung des Berufs notwendige Professionalität hervor und lässt damit gender zunächst im Hintergrund ruhen.

Tab. 6.2 Diskursive Praktiken der männlichen Kinderbetreuer

6.4.1 Die Herstellung von „männlichen Nischen“

In allen Interviews spielt Herstellung der „männlichen Nische“ (Williams 1989) eine zentrale Rolle. Diese Nische ermöglicht es Männern, bei der Arbeit in einem von Frauen dominierten Beruf, ihre männliche Identität aufrechtzuerhalten. Die Betonung von Unterschieden ist hier wichtig. Unterschiede zwischen Männern und Frauen und ihrer Arbeit werden durch unterschiedliche diskursive Mittel hergestellt, deren Gemeinsamkeit im wiederkehrenden Bezug auf Geschlechtsstereotypen. Insbesondere werden Fähigkeiten, Aufgaben und Interessen thematisiert, die den diese Tätigkeiten ausübenden Mann als männlich erscheinen lassen. Der folgende Auszug ist hierfür ein typisches Beispiel. Hier erzählt Peter die Geschichte seines Einstiegs in die Kita und die dabei erlebten Reaktionen seiner Kolleginnen:

Peter: Ich war lange Zeit der einzige Mann jetzt hier in der Krippe und ähm – das war sehr, sehr schön für sie. Auch mal – die Kinder jemandem abzugeben, der eben mal vielleicht etwas härter mit den Kindern umgehen kann und irgend – ähm, mal härtere Spiele machen, Fußballspielen, Kämpfen – ja.

Interviewerin: War das – war das auch so das, was Du gerne – machen wolltest? Oder wurdest Du gefragt, ob Du das machen kannst, oder wie kann ich mir das vorstellen?

Peter: Jetzt mit dem, mit dem Fussball? -

Interviewerin: [gleichzeitig] Mit dem härteren Spielen sage ich jetzt mal.

Peter: [überschneidend] Ah, ok, mit dem härteren Spielen, ok. – Äh nee, es hat sich so ergeben. Ich weiß nicht, ob es an der Rolle liegt, die irgendwie schon – in mir innen drin ist, dass irgendwie so automatisch Mann–Frau unterscheidet, aber irgendwie, ähm, war wie von Anfang an klar, dass ich für die härteren Sachen zuständig bin, bin [lacht], indirekt.

Die von Peter erzählte Geschichte seines Arbeitsbeginns in der Kindertagesstätte ist sehr positiv gerahmt. Er erinnert sich, dass er von Anfang an sehr gut in das Frauenteam integriert war. Er beschreibt sich dort als Gewinn, da es durch ihn möglich wurde, auch „härtere Spiele“ anzubieten, wie zum Beispiel Fußballspielen. Mit Verweis auf bestimmte (stereotype) Unterschiede zwischen Männern und Frauen gelingt es Peter, eine „männliche Nische“ für sich zu etablieren. Mit dem in Anspruch nehmen der männlich konnotierten Aktivitäten sowie des besonderen Erziehungsstils baut er sich eine legitime Position als Mann auf. Auch Michel betont die Relevanz dieser Unterschiede für seinen Berufsalltag:

Ja, – eben gerade zum Beispiel rumturnen, das ist was, da kommen sie immer zu mir; ‚ja, gehen wir jetzt (ins) Schlafzimmer zum Turnen?‘. Und das ist so eine Rolle, die ich eher angenommen habe, und ja, ich bin halt eher der, der auch viel Blödsinn macht mit den Kindern und vielleicht auch mal vergisst und eher mal so sagt ‚ja, jetzt‘ und da sind Frauen, hab‘ ich das Gefühl, eher so ein bisschen – ähm – fest. Ja, das hört sich jetzt böse an, festgesetzt. Oder haben einfach ähm – ja, haben einfach so ein bisschen eine striktere Linie – ja. Ob jetzt das negativ oder positiv ist, ja, darüber kann man streiten, aber ja, ich denke, das ist so der größte Unterschied.

Indem er Weiblichkeit mit einer gewissen Konsequenz und Strenge verbindet, ist Michel in der Lage, sich als der Kinderbetreuer zu positionieren, mit dem Kinder Spaß haben können und der auch eher Körperlichkeit betonende Aktivitäten mit den Kindern durchführt. Genau wie Peter zieht er eine Grenze zwischen Männlichkeit und Weiblichkeit, indem er gewisse Fähigkeiten und Aktivitäten betont, die er für sich auch in Anspruch nimmt und als männlich einordnet.

Das hier entstehende Bild des Männlichen als Ergänzung zur ansonsten weiblich dominierten Welt der Kita wird durchwegs in allen von uns geführten Interviews betont. Peter zum Beispiel streicht Unterschiede in der Art und Weise, Kinder zu trösten, hervor und distanziert sich von dem, was er bei seinen weiblichen Kolleginnen als „extrem Kuscheln“ oder bei den Lehrmädchen als „verhätscheln“ bezeichnet. Sebastian erklärt, dass er häufig derjenige ist, der sich am Stockkampf der Jungen beteiligt, während seine weiblichen Kolleginnen die Kämpfe zwischen den Buben eher zu unterbrechen oder zu verhindern versuchten. Reto betont, dass er im Vergleich zu seinen weiblichen Kolleginnen bei Aktivitäten mit den Kindern mehr Risiken eingehe. Auf ähnliche Weise identifiziert Nick Frauen als „ängstlicher“ und Männer als „ruhiger“ im Umgang mit Kindern. Es handelt sich hier um ein doing gender der Interviewpartner. Indem sie stereotyp männliche oder weibliche Tätigkeiten, Bereiche und Aktivitäten identifizieren und diese dann zur Herstellung einer legitimen männlichen Subjektposition verwenden, betonen sie die zwei Geschlechter als unterschiedlich.

6.4.2 Die (symbolische) Position des Vaters

Eine stabilisierende Funktion in der Etablierung einer legitimen männlichen Subjektposition in der Kita nimmt die Rolle des Vaters ein. Auf die Position des Vaters in der heterosexuellen bürgerlichen Kleinfamilie bezogen sich unsere Interviewpartner insbesondere immer dann, wenn im Interview nach möglichen Unterschieden zwischen männlichen und weiblichen Betreuenden gefragt wurde: „Hast du den Eindruck, dass du die Dinge anders machst, vor allem mit den Kindern?“, oder auch unser Versuch, die potenzielle Rolle der Männer als Innovatoren zu hinterfragen: „Gibt es etwas, das du seit deinem Arbeitsbeginn hier zu ändern versucht hast?“ Diese Fragen haben wir in den Interviewleitfaden aufgenommen, um damit den Befragten die Möglichkeit zu eröffnen, Unterschiede zu thematisieren. Die Interviewpartner reagieren hierauf jeweils mit einem Versuch, die eigene Position zu legitimieren.

Die Subjektposition des „Vaters“ ermöglicht den Sprechenden, einen Bezug zu zwei zentralen Diskursen herzustellen. Erstens der Diskurs der in einer weiblich dominierten Kultur dringend benötigten Männer: Männer gelten für die Bedürfnisse der Buben im Allgemeinen, insbesondere aber im Fall von alleinerziehenden Müttern als relevant (Rohrmann 2009; Faulstich-Wieland 2011). Zweitens ist die frühkindliche Bildung im institutionellen Kontext eng mit Vorstellungen von Mutterschaft und der heterosexuellen, bürgerlichen Kleinfamilie verbunden (Friis 2008; Rohrmann 2009). Mit der Position des Vaters kann so leicht ein Gegenstück zur dominierenden Position der Frau entworfen werden. Im folgenden Beispiel verwendet Nick diese Argumentation und erklärt, warum insbesondere Eltern sehr positiv auf ihn als Mann in der Kita reagierten:

Aber sonst hab‘ ich eigentlich keine, ähm, – ja – kamen keine Rückmeldungen in negativer Form, eher positiv, äh, weil auch sehr viele alleinerziehende Mütter hier waren und äh, oder eben noch sind, und ja, für das Kind sicher nicht schlecht ist, wenn es da so ein bisschen eine männliche Bezugsperson hat im Kita-Alltag.

Nick diskutiert ausdrücklich den Fall der alleinerziehenden Mutter und das hier identifizierte Bedürfnis nach männlichen Bezugspersonen. Auch wenn er selbst nicht Vater ist, scheint es ihn als Mann zu qualifizieren, als Betreuer in der Kita die vermissten Väter zu ersetzen. Damit ist er in der Lage, den wahrgenommenen Mangel zu kompensieren und wird zum von Aigner und Rohrmann (2012, S. 11) beschriebenen „öffentlichen Vater“. Auch in Michels Ausführungen steht die positive Wirkung dieser durch den männlichen Kinderbetreuer eingenommenen Vaterposition im Mittelpunkt:

Ich denke, das ist so der größte Unterschied und auch die Papirolle, die ist halt immer mal – das Kind, wenn –. Wir hatten zum Bespiel eine Trennung vor eins zwei Monaten, von einem älteren Paar und äh, das Kind ist viel bei der Mutter gewesen und da hat man wirklich gemerkt, dass es sehr den Kontakt sucht zu mir. Das ist zum Beispiel so eine Situation gewesen, wo man wirklich gemerkt hat, da ist die Vaterrolle da.

Michel wird in diesem Beispiel die Rolle des Vaters durch die Reaktion eines Kindes, dessen Eltern sich kürzlich getrennt hatten, angetragen. Sebastian hingegen lässt die Verbindung dieser Position mit konkreten Erfahrungen offen, betont jedoch die Relevanz der „idealen Familie“:

Also ich finde – ich finde, dass äh – ja, ich finde es einfach schön, wenn es einen Ausgleich hat eigentlich, also quasi, – ich mein die – eine optimale Familie eigentlich, ist ja eigentlich Mutter, Vater, Kind und so, und das kommt nicht, nicht von nirgendwo, und daher denke ich das, das sind einfach Qualitäten, auch wenn ich zum Teil gar nicht so recht sagen kann, was ich anders mache, oder so.

Begründet mit der Wahrnehmung, dass Mutter, Vater und Kind die „ideale Familie“ darstellen, kann sich Sebastian als komplementär positionieren. Zudem werden dem (symbolischen) Vater Qualitäten zugeschrieben, die zwar nicht exakt benannt werden können, jedoch durch den Verweis auf die Zusammensetzung der „optimalen Familie“ Gültigkeit erlangen. Das Zitieren der Position des Vaters in der Familie hat in den Interviews jeweils einen direkt legitimierenden Effekt. Durch das Zitieren von Unterschieden zwischen Frauen und Männern bzw. Müttern und Vätern in der „idealen Familie“ gelingt es den Befragten, legitime Positionen für männliche Kinderbetreuer zu schaffen. Allerdings um den Preis, dass die professionellen Anforderungen guter Kinderbetreuung hierdurch in den Hintergrund gerückt werden (Rabe-Kleberg 2003; Aigner und Rohrmann 2012).

6.4.3 Der „männliche Ernährer“

Im Unterschied zur Positionierung des männlichen Kinderbetreuers als erwünscht in der „männlichen Nische“ oder der gesuchte „fehlende Vater“ vergleicht sich die Position des „männlichen Ernährers“ mit dem Idealbild hegemonialer Männlichkeit. So weisen sowohl Kelan (2008) als auch Meuser (2010) auf die enge Verbindung zwischen Männlichkeit, Karriere und dem männlichen Ernährer hin. In ähnlicher Weise beziehen sich unsere Befragten auf Karrierefragen, wenn sie über ihre Berufsbiografien sprechen. Da das Feld der frühkindlichen Bildung in der Regel nur sehr begrenzte Karrieremöglichkeiten bietet sowie ein eher geringes Gehalt und häufig Teilzeitverträge, erleben sich die interviewten Männer auch in ihrer Berufswahl und den damit verbundenen Zukunftsperspektiven in ihrer männlichen Identität herausgefordert. So wurde häufig eine typisch karrierebezogene Rhetorik wie „den nächsten Schritt machen“ oder „der Chef“ sein verwendet. So spricht zum Beispiel Paul über den Fortschritt in seiner beruflichen Entwicklung:

Interviewerin: Wie war hier so der Einstiegsprozess, wie bist du hier auf die Stelle aufmerksam geworden?

Paul: Ich wollte mich verändern, und die letzte Kita, also die städtische Kita, (da) war ich Gruppenleiter mit Schülerbegleitung. Und ähm, ich wollte den nächsten Schritt machen, das wäre die StV (stellvertretende Leitung).

Paul erinnert sich an seine Motivation, sich für die derzeitige Stelle zu bewerben: den nächsten Schritt zu tun und in die Position des stellvertretenden Leiters der Kindertagesstätte aufzusteigen. Sein kurzer Überblick über seine bisherige Berufserfahrung zeigt ihn als erfahrenen Kinderbetreuer. Die Formulierung „den nächsten Schritt machen“ betont den Führungsanspruch und die Karriereorientierung. Paul gelingt es mit der Betonung des Karriereverlaufs, seine Arbeitsbiografie in dieser Erzählung mit dem Ideal der männlichen Karriere in Einklang zu bringen. In einer Variation des Karrierethemas diskutiert Jonas seine Motivation, Vollzeit zu arbeiten. Da die Kita in der er zuvor gearbeitet hat, ihm nur einen Teilzeitvertrag anbieten konnte, sei ihm schnell klar gewesen, dass er sich nach etwas Neuem umsehen sollte. In beiden Beispielen wird das Ideal des männlichen Ernährers relevant gemacht. Während Paul seine Ambitionen in seiner beruflichen Entwicklung und hin zu einer Leitungsaufgabe beschreibt, betont Jonas seine Motivation für eine Vollzeitstelle. In seiner Antwort auf unsere Frage, warum seiner Meinung nach so wenige Männer sich tatsächlich für eine berufliche Laufbahn in der frühkindlichen Bildung entscheiden, betont Jonas die männliche Position des Familienernährers:

Ich denke als Mann wollen wahrscheinlich die meisten 100 % arb(eiten), also ich denke auch als Frau [lacht], aber ich denke jetzt aus der Sicht der Männer will man eher 100 % arbeiten, genug verdienen. – Ist halt doch immer noch das Denken, ich meine das denke ich mir ja auch, also wenn ich eine Familie gründen möchte, würde ich mir auch zuerst überlegen: ‚Habe ich genug Geld?‘ – und nicht: ‚Hat die Frau genug Geld?‘. – Und ich denke, das kann auch noch eine Rolle spielen, mit dem Lohn, oder eben mit dem Prozent – dass man 100 % arbeiten kann.

Da sich Männer auch heute noch als Ernährer der Familie verstünden, geht Jonas davon aus, dass die mittelmäßigen Löhne in der frühkindlichen Bildung und die knappen Vollzeitarbeitsmöglichkeiten relevante Faktoren sind, die Männer vom Eintritt in den Beruf abhalten. Zwar gesteht er ein, dass dies auch für Frauen zutreffen könnte, hält es aber gerade für Männer für ein sehr wichtiges Argument, da bei einer Familiengründung der Lohn des Mannes und nicht der der Frau die entscheidende Variabel sei.

Die drei bisher vorgestellten Positionierungen tragen alle zum gleichen Effekt bei: die Identitätsdissonanz, sowohl als „der Gleiche“, als auch „der Andere“ erkannt werden zu müssen, wird durch die Betonung von Differenz gelöst. Die interviewten Männer beziehen sich in diesen Gesprächsausschnitten auf spezifische männliche Fähigkeiten, auf die Position des Vaters in der traditionellen Kleinfamilie sowie die dem Idealbild hegemonialer Männlichkeit folgende Relevanz der Fragen des beruflichen Aufstiegs und des Lohns. Mit der Entwicklung und Einnahme dieser Subjektpositionen positionieren sich männliche Kinderbetreuer als „komplementäre Andere“. Einen anderen Effekt erzeugen die folgenden zwei Positionierungspraktiken der „Betonung der Gleichheit“ und der „Aneignung von Weiblichkeit“, wie sie in den folgenden Abschnitten beschrieben werden.

6.4.4 Als „Gleicher“ behandelt werden

Während die ersten drei diskursiven Praktiken ermöglichten, eine männliche Position im Feld der Kita als unterschiedlich, aber geschätzt und somit komplementär zu den weiblichen Kolleginnen zu etablieren, wurde das Anderssein auch als etwas Unerwünschtes und potenziell Gefährliches thematisiert. Insbesondere die Gefahr, der Pädophilie beschuldigt zu werden, ist ein deutlich etabliertes diskursives Angebot, das die Legitimität der männlichen Position in der Kita regelmäßig infrage zu stellen scheint. Dies zeigt sich in unseren Interviews darin, dass die Position des „gefährlichen Anderen“ regelmäßig ausgeschlossen und – häufig explizit – verworfen werden muss. Diskursiv erhält diese Position eine hohe Relevanz; die Darstellung der potenziellen Gefahr durch die Subjektposition des „gefährlichen Anderen“ dient hier als eine „imaginäre Position“ (Wetherell und Edley 1999): Sie wird klar für die eigene Position verworfen und beruht nicht auf persönlicher Erfahrung, ist jedoch für die Subjektpositionierung und -identifikation äußerst relevant.

Die Position des „gefährlichen Pädophilen“ zeigt sich unter anderem im Regelwerk der Kindertagesstätten zum Kindesschutz. Was sich wie ein einfaches und grundsätzlich geschlechtsneutrales Bemühen um den Schutz von Kindern anhört, erweist sich in der Praxis häufig als nur auf Männer ausgerichtet. So müssen einige der interviewten Männer nach anderen Regeln als ihre weiblichen Kolleginnen arbeiten und sind von bestimmten Aktivitäten ausgeschlossen. Zum Beispiel erinnert sich Peter an eine Situation, in der er die Windeln eines bestimmten Kindes nicht mehr wechseln durfte.

Mich hat das schwer getroffen, ich war sehr, sehr enttäuscht, und auch – beleidigt, weil, es gab gar keinen Grund dazu. Und einfach etwas, nur um die Eltern zu beruhigen, durchzusetzen, finde ich den falschen Weg. Man hätte dazumals, eventuell einen Elternabend einberufen müssen, um das Ganze anzuschauen, die Thematik anzuschauen, – zu schauen, wie man damit umgeht, dass jetzt – in der Institution ein Mann arbeitet, aber nicht einfach Totschweigen durch Entziehen von – von Rechten.

Die Kitaleitung reagierte hier auf die Angst und das Misstrauen der Eltern, schützte jedoch nicht ihren Mitarbeiter, was für Peter sehr enttäuschend war. Er betont seine Rechte als Mitarbeiter, seine Arbeit zu tun, was auch beinhaltet, dass er wie seine weiblichen Kolleginnen Windeln wechseln darf. Peter betont die Wichtigkeit der Gleichbehandlung aller Mitarbeitenden in einem Team. Die Betonung der Gleichbehandlung wird hier zu einer wichtigen diskursiven Strategie um die Position des „gefährlichen Anderen“ abzuwehren.

Peter musste damals die diskriminierenden Arbeitsbedingungen akzeptieren und wechselte nur wenig später den Arbeitgeber. Jonas beschreibt eine ähnliche Erfahrung, allerdings reagierte in seinem Fall die Gruppenleiterin auf andere, ihn unterstützende Weise:

[…] es hat zwei, drei Eltern oder Mütter gegeben, also genau, einer war sogar noch ein Vater, die schon ein bisschen skeptisch waren. So am Anfang auch, zum Beispiel die Gruppenleiterin auch fragten, ja ob ich denn auch die Windeln wechsle von den Kindern oder auch die körperlichen Aufgaben übernehme. Und ähm – damit, das hat mir die Gruppenleiterin dann aber auch weiterge – also hat es mit ihnen besprochen, und auch gesagt, dass ich ganz normal arbeiten werde, wie die anderen auch, und wir haben halt die Regel mit der Tür offen lassen, also für Mann und Frau, und so, – dass ich einfach genau dieselben Regeln, aber auch den gleichen Aufgabenbereich habe wie – ähm, weibliche Schülerinnen – oder Auszubildende, ja und das wurde dann eigentlich auch akzeptiert […].

Durch die erfahrene Unterstützung durch die Gruppenleiterin konnten die bestehenden allgemeinen Richtlinien der Kita zum Kindesschutz betont und der allein auf den männlichen Betreuer gerichtete Verdacht Anlass zur Diskussion allgemeiner und professioneller Arbeitsstandards geben. Diese Unterstützung ermöglichte es Jonas in der Folge, sich auf die für alle geltenden Regeln und somit auf eine praktische Gleichbehandlung zu verlassen. Das Beispiel zeigt aber auch, wie mächtig die Position des „gefährlichen Anderen“ sein kann. Durch die Vorbehalte einiger Eltern war Jonas regelmäßig mit der ihm gegenüber bestehenden Angst sowie Misstrauen beschäftigt. Auch wenn die Regeln ihm „offiziell“ die gleichen Rechte einräumten, musste er dennoch mehr tun, als seine weiblichen Kolleginnen, um gleichermaßen unverdächtig wie sie wahrgenommen zu werden. „Unverdächtigwerden“ ist somit eine wichtige Alltagspraxis von Männern in der Kita.

Die Auseinandersetzung mit dem „gefährlichen Anderen“ ist für die meisten der von uns befragten Männer zentral. Wie unser nächstes Beispiel zeigt, ist die bloße Möglichkeit, als ausgeschlossen positioniert zu sein, problematisch. Obwohl Michel noch nie diskriminiert wurde, zum Beispiel durch Sonderregelungen, die nur für ihn als Mann gelten würden, macht ihm bereits die bloße Möglichkeit Sorgen:

Aber so von der Arbeit her habe ich nie das Gefühl gehabt, dass ich irgendwie – etwas anders – machen würde oder so, und sie haben mir auch nie das Gefühl gegeben, dass ich ähm, irgendwie eine spezielle Position hab oder so, weil ich ein Mann bin, ich bin auch immer gleich behandelt worden, wie alle Frauen, hab alles machen dürfen, durfte wickeln, hab alle Sachen gemacht, die sie auch gemacht haben. Ich hab jetzt schon von anderen Krippen gehört, in denen Männer zum Beispiel nicht die Tür zumachen dürfen beim Wickeln und solche Sachen, aber das war bei mir eigentlich nicht der Fall. Ich habe von Anfang an das Vertrauen gehabt und das ist für mich auch ein wichtiger Punkt gewesen, dass ich das so machen kann, nicht das ich irgendwelche – Spezialeinschränkungen haben muss, das hätte mir glaub ich sehr zu denken gegeben.

Die „Gleichbehandlung betonen“ ist dabei eine wichtige diskursive Praktik zur Wiederherstellung der legitimen Position des männlichen Kinderbetreuers. Michel stellt die Legitimität von Sonderbehandlungen völlig infrage und schlägt die Gleichbehandlung als wichtiges allgemeines Kriterium vor: Alle Mitarbeitenden müssen gleichbehandelt werden und müssen und dürfen auch die gleichen Aufgaben übernehmen. Damit minimiert die diskursive Praktik der Gleichbehandlung Differenz und kann als undoing gender im Sinne Deutschs (2007) interpretiert werden.

6.4.5 Aneignung von Weiblichkeit

Einer unter Gleichen zu werden wird nicht nur als Gleichbehandlung, wie oben beschrieben, thematisiert, sondern auch im Sinn einer „Aneignung von Weiblichkeit“ (Pullen und Simpson 2009). Identitätsdissonanz wird hier verhandelt, indem stereotyp weibliche Tätigkeiten, Fähigkeiten und Interessen als zur eigenen Identität zugehörig betont werden. Der damit für die interviewten Männer verbundene Aneignungsprozess wird hierbei jeweils ausführlich beschrieben und macht deutlich, dass es sich um Aspekte handelt, die zunächst für die eigene männliche Identität passend gemacht werden mussten. Michel zum Beispiel beschreibt, wie er sich mit einer Tätigkeit vertraut machen musste, die er selbst als typisch weibliche Aktivität beschreibt: dem Singen mit den Kindern. Obwohl er sagt, dass er sich wie „jeder Mann“ in der Kinderbetreuung anfänglich sehr unwohl mit der Aufgabe gefühlt habe, nehme er sie jetzt als Teil des Jobs an und habe sogar begonnen, sie zu mögen:

Ja, für mich ist einfach klar gewesen, wenn ich diesen Beruf mache, dann mache ich ihn richtig und da gehört für mich auch ein Singkreis dazu, also ja. Es ist mir zwar schwer gefallen und so: ‚Pip, pip, pip‘ [drückt Schüchternheit aus] und dann ja, – ich fand einfach, das gehört dazu, wie das Wickeln, wie das Zähneputzen und alles andere auch, das ist einfach was, was jeden Tag stattfindet – ja, ich hab mich für den Beruf entschieden und das ist wie, ein Schreiner muss nach der Arbeit den Boden fegen, ich singe. [gemeinsames lachen] Ja.

Obwohl es Michel offensichtlich schwergefallen ist, mit den Kindern zu singen, betont er seine feste Überzeugung, dass das Singen als ein wichtiger Teil der Arbeit in der Kinderbetreuung zu sehen sei. Dies ist für ihn Grund genug, sich an die als unangenehm wahrgenommene Tätigkeit gewöhnen zu müssen. Indem er sich mit dem Singen arrangiert, lässt er die zunächst wahrgenommene differenzbetonende Einordnung in den Hintergrund rücken und betont die Aneignung weiblich konnotierter Tätigkeiten. Damit wird er zum „Gleichen“, was wir als undoing gender interpretieren.

Auf ähnliche Weise betont Peter, dass er sehr gern singe und den Kindern Märchen erzähle. Obwohl Peter die früher im Interview betonte Assoziation zwischen Fußball und Männlichkeit intakt hält, mildert er hier die Relevanz dieser Aktivitäten für die eigene Identität. Im Unterschied zur komplementären Position, die er zu Beginn des Interviews über die Position des Vaters und der Nische des Fußballspielens etabliert hatte, relativiert er hier die Bedeutung des Fußballs. Indem er Tätigkeiten als ihm entsprechend beschreibt, die weniger klar einer hegemonialen Männlichkeit zuzuordnen sind, wird die Identitätsdissonanz zu etwas, das hier keinerlei Relevanz mehr haben kann. „Mann sein“ und „Kinderbetreuer sein“ werden hier zu verschiedenen Seiten ein und derselben Identität, die zudem sehr gut nebeneinanderstehen können.

Interviewerin: Und Du hattest gerade schon so ein bisschen über Spiele gesprochen, so Fußball oder so, ist das auch was, was Du mit reingebracht hast? Also – 

Peter: Weniger. Nee, das ist anfangs, ja. Aber da ich nicht so fußballbegeistert bin, jetzt, um beim Fußball zu bleiben, – nee, das waren, ähm, als unser Lehrling, den wir haben, kam, der hat da – der war so fußballbegeistert und spielt jetzt mit den großen Jungs von allen Gruppen, die wir haben, im Sommer meistens Fußball. Also –

Interviewerin: Und gibt es da so irgendwelche Tätigkeiten, wo Du denkst, so das mache ich besonders gerne, das ist vielleicht so mein Spezialgebiet mit den Kindern, oder –

Peter: Ja, ähm – was ich sehr gerne mache ist Singen, und Märchenerzählen. Das ist so mein, da habe ich sehr, sehr viel Spaß dran. Ja.

David bezieht sich in seiner Erzählung noch stärker auf geltende Stereotype und dekonstruiert diese. Indem er die wichtige Rolle aller im Team betont, weist er die Anwendung solch stereotyper Zuordnungen klar als unzulänglich zurück.

Interviewerin: Ja, gibt es irgendwie Veränderung – oder gibt es – also gibt es irgendetwas wo Du denkst, das habe ich jetzt hier mit eingebracht?

David: – Ich denke jeder, jeder vom Team bringt seinen Teil, und seine persönlichen eigenen Wertschätzungen jeden Tag mit ein, und dann die Kinder und, – und dass macht es dann zu einem, zu einem Ganzen, einem – zu einer Mischung, die dann unsere Gruppe ausmacht. – Aber ich denke nichts, ähh, Geschlechterspezifisches, dass ich da – da eine spezielle Rolle als Mann habe oder so – im Gegenteil [lacht] […] Ich denke – also – ja, Beate zum Beispiel, sie ist, sie ist eher so wild und zappelig und schnell und ich bin eher so ruhig und einfühlig habe ich das Gefühl […].

Indem er ruhig und sensibel als wesentliche Merkmale seiner männlichen Identität bezeichnet und diese Qualitäten im Gegensatz zu wild und zappelig positioniert, die typischerweise im Interviewmaterial als männlich identifiziert wurden, tauscht David die geschlechtsstereotypischen Zuschreibungen zwischen sich und seiner Kollegin aus. Er weist damit die binäre Setzung der ansonsten verwendeten stereotypen Zuordnungen zurück und rückt individuelle Persönlichkeitsunterschiede der einzelnen Teammitglieder in den Mittelpunkt. Damit entwickelt er für sich eine alternativ männliche Position, die jedoch zugleich nicht als solche bezeichnet werden kann, da er ja gerade die Zuordnung zu Männlichkeit und Weiblichkeit als ungültig verwirft.

Männer werden mit dieser Praktik der Aneignung von Weiblichkeit zu „Gleichen“. Während Michel und Peter die Passung weiblich konnotierter Tätigkeiten zur eigenen männlichen Identität betonen und erläutern, verwirft David diese binäre Ordnung. Michel und Peter zeigen undoing gender als Betonung der Gleichheit im Sinn Deutschs (2007), Davids undoing gender ist als Infragestellen der Relevanz der Unterscheidung zu interpretieren, wie wir sie bei Hirschauer (2001) finden.

6.4.6 Der „professionelle Pädagoge“

Die letzte Subjektposition, die in unserem Material relevant gemacht wird und die wir hier im Folgenden besprechen, ist die des „professionellen Pädagogen“. Interessant ist hier, dass die Sprechenden bei dieser Positionierung das Geschlecht nicht erwähnen, es kann im Hintergrund verbleiben. Zugleich werden aber die pädagogischen Fähigkeiten, Interessen oder Erfahrungen als wichtige Grundlagen professionellen Handelns in den Vordergrund gerückt. Männer werden durch diese Position befähigt, eine höchst legitime berufsbezogene Position aufzubauen (und zu nutzen), ohne Gefahr zu laufen, der „gefährliche Andere“ zu werden. Darüber hinaus ermöglicht der Hinweis auf pädagogische Kompetenzen, dass Männer auf stereotype Zuschreibungen von Verantwortlichkeiten oder Fähigkeiten zur Erreichung einer legitimen Position verzichten können. In unserem ersten Beispiel beschreibt Paul seine Arbeit in der Kita. Auffallend ist, dass er im Unterschied zu den meisten von uns interviewten Kinderbetreuern beim Sprechen über seine Arbeit verhältnismäßig viele Fachbegriffe verwendet.

Bloß, muss ich sagen, da haben wir im Moment relativ happige Gruppenkonstellationen. Ähm, ein Zweijähriger, der ohne Strukturen dasteht, und ein(en) Viereinhalbjährigen haben wir gekriegt, mit Windeln und Stand von einem Zweieinhalbjährigen und klar, das sind Kinder, die betreuen wir eins zu eins. Und dann sind noch die anderen zehn Kinder und, ähm ja, im Moment sind wir sehr strukturiert geplant […] das Problem ist jetzt auch dieser Viereinhalbjährige, der bringt die gesamte Gruppendynamik auch zum Kollabieren. Also, er – anerbietet sich zum Mobbingopfer. Dann sind wir permanent daran mit den Knaben, Vier-, Fünfjährige, dabei ihn zu schützen und etwas aufzubauen. […] Von daher sind wir auch immer am Selektieren, wo liegen die Schwerpunkte und was müssen wir ausklammern […].

Mit Begriffen wie „knifflige Gruppendynamik“, „strukturierte Planung“ und dem Zusammenbruch der „Gruppendynamik“ betont Paul sein Fachwissen. Damit konterkariert er den Diskurs über den familienähnlichen Beruf der Kleinkinderbetreuung. So erinnert er sich zum Beispiel daran, wie er in der Kita ein Tischleratelier eingerichtet hat. Paul betont dabei wiederum seine pädagogischen Ziele sowie seinen professionellen Ansatz:

Klar, das Hauptziel sind immer die pädagogischen Aspekte. Also, den Kindern inhaltlich oder Abläufe zum handwerklichen Teil zu übermitteln, mit ihnen ein Wissen aufbauen. Und damit auch so einzelne Faktoren wie Feinmotorik hineinfließen zu lassen. – Von dem her – und klar, mache gerne so handwerkliche Sachen und so, dann macht das Sinn, so ein Projekt. […] Ich habe auch, klar ich habe ein Diplom gestaltet mit Bildern und auch so Text, weiß auch nicht, da Kind X, dann kann man so einsetzen, hat am, Datum einsetzen, die Prüfung der Holzwerkstatt bestanden. So mehr symbolisch, oder?! Da müssen die aber wie die grundlegenden, also sie müssen die Regeln kennen und sie müssen auch die Handhabung mit dem Werkzeug kennen – und dann bekommen sie das Diplom.

Durch die Arbeit mit beruflichen Zielen und Wissen und die fachmännische Verwendung der Fachbegriffe der frühkindlichen Bildung gelingt es Paul, eine legitime Position als Pädagoge aufzubauen. Nachdem er erfolgreich ein pädagogisches Angebot aufgebaut hat, das sich inzwischen etabliert hat und von seinen Kollegen und Kolleginnen genutzt wird, positioniert er sich auch als sehr gut im Team verankert.

Auf ähnliche Weise betont Reto seinen spezifischen pädagogischen Ansatz in der Arbeit mit den Kindern. Zusätzlich zur Ausbildung als Kleinkindbetreuer hat er sich in Naturpädagogik und damit für die Durchführung von Waldgruppen qualifiziert. Er stellt uns eine Baustelle vor, die er im Garten der Kindertagesstätte eingerichtet hat:

[…] denn mir geht es auf der einen Seite um die Natur und auf der anderen Seite habe ich so eine Bewegungsbaustelle. Das ist etwas Uraltes eigentlich, aber ich habe das mit wirklich Baumaterial, ohne irgendetwas anzuschaffen oder abzuändern, von den Baustellen direkt hergeholt, also – ich reiße nicht mal einen Nagel raus, das machen dann die Kinder. Und mit der Baustelle, das ist für mich eine Sozialbaustelle, eine Lebensbaustelle, sie bauen sich, also sie haben, sie sie sie sie – brauchen jede Fantasie und bauen damit irgendetwas, […] und sprechen das miteinander ab, sie müssen einander helfen, weil die Objekte sind sehr schwer – sie müssen sehr genau miteinander sprechen, sie müssen – es gibt Konflikte und sie müssen diese regeln, und sie […] müssen forschen, forschen, sie entdecken die Statik, sie – schwer, länger, kürzer, Farben und Materialien, und bauen etwas. Und sind für sich verantwortlich, also das was sie bauen, […] für das was sie machen sind sie selber verantwortlich, – sie tragen dort die Konsequenzen direkt, sie spüren das, und das ist für mich sehr wichtig,

Hier gelingt es Reto, Ziele für seine pädagogischen Angebote zu definieren, die mit den üblichen pädagogischen Zielen, wie zum Beispiel der Entwicklung der Selbstständigkeit der Kinder übereinstimmen. Dadurch ist er in der Lage, zu einem akzeptierten Teil dessen beizutragen, was als das reguläre pädagogische Angebot in der Kita wahrgenommen wird. Mit der Verwendung von Metaphern wie der „sozialen Baustelle“ gelingt es ihm sogar, seine ganz besondere Auffassung von Pädagogik zu etablieren. Das Betonen pädagogischer Kompetenzen ermöglicht den männlichen Kinderbetreuern, eine legitime Position aufzubauen. Im Unterschied zur Position des Vaters wird hier die Professionalität der Tätigkeit ins Zentrum gerückt. Aus diesem Grund ist die Position des professionellen Pädagogen besonders wichtig, um der unerwünschten Position des „gefährlichen Anderen“ entgegenzuwirken. So ist die Position des professionellen Pädagogen sehr gut geeignet, um im Gespräch mit den Eltern die fachlichen Kompetenzen und Interessen zu zeigen. Im nächsten Zitat erläutert Michel, wie er im Kontakt zu den Eltern seine „guten Motive“ für den Beruf darstellt:

Ja, ich denke, wenn ich jetzt so kumpelmäßig versucht hätte, auf sie zuzugehen, das wäre schon schwierig gewesen, wenn schon Misstrauen da ist und wenn dann jemand kommt und meint: ‚Hey du [schnalzt mit der Zunge], machen wir zusammen eine Gaudi‘, ich glaub, das wäre eher schwierig geworden. Und über das Fachliche habe ich halt mehr Sicherheit gehabt für mich, weil ich wusste, was ich mache, und gewusst, was ich mit denen rede und ja, und so haben sie auch gemerkt: ‚Hey, der macht es professionell und, und der macht nicht irgendwelche Gaudi mit den Kindern und hat nicht irgendwelche komischen Absichten oder so, sondern der weiß, wovon er redet, der weiß, was er macht.‘ Und das ist, glaub ich, das einzige gewesen, womit ich den Eltern Sicherheit geben konnte.

Die Betonung pädagogischer Fähigkeiten und Interessen ermöglicht es männlichen Kinderbetreuern, eine legitime Position zu schaffen und auch zu nutzen. Im Gegensatz zu den anderen fünf Praktiken wird hier das Geschlecht des Sprechers nicht explizit relevant gemacht, und die Position der Pädagogin ist grundsätzlich auch für Frauen zugänglich. Hirschauer (2014, S. 183) interpretiert das Relevantmachen von Professionalität als eine Möglichkeit des „Etwas-anderes-tun“. Da Geschlecht im Hintergrund bleibt, wird zudem Gleichheit betont, es findet ein undoing gender statt. Zugleich findet durch die Betonung der Professionalität auch doing gender statt, denn Professionalität muss als deutlicher Bezug auf hegemoniale Männlichkeitskonstruktionen verstanden werden (Connell 1995; Tennhoff et al. 2015). Dies wird in der weiteren Verwendung der Position durch Paul deutlich. Indem er sich als „professionellen Pädagogen“ etabliert, stellt er zugleich eine hierarchische Beziehung zwischen sich und seinen Kolleginnen her:

Und viele Pausengespräche, wo ich zum Teil dann auch die Person darauf angesprochen habe: ‚Das das ist deine Gruppe, du hast zwar gekündigt, gehst zwar in zwei Monaten, aber schau mal, wie die Konfliktbegleitung im Moment läuft. – Wo steht deine Gruppe?‘ Und die haben immer argumentiert mit: ‚Ich find das toll mit den Arbeitskollegen und unsere Kinder sind so toll‘, aber die haben vieles dann, ähm – nicht mehr in die Hände genommen. Da war meine Arbeit eigentlich zurückzuholen und sagen: ‚Halt, ihr seid noch zwei Monate hier!‘ […] Wir haben auch immer noch permanent, chronisch Stellen einfach nicht besetzt. Der Ruf war auch nicht gerade all zu gut. Durch das habe ich sehr viel, weiß auch nicht, achteinhalb Stunden auf der Gruppe gearbeitet und dann noch Bürogespräche. Also Zehnstundentage waren das Normale. […] War total happig [lacht], aber auch total spannend. […] Ich wurde auch in einer anderen Lohnstufe angestellt, mit der Betitlung ‚pädagogischer Leiter‘. Wobei, das war so ein Zwischending. – So viele Kompetenzen hatte ich schlussendlich trotzdem nicht. Also die Chefin gab dann nur vereinzelt Aufträge ab, aber das spielt keine Rolle. Ich war so quasi der Boden und sie war so, Organisation war sie dann so zuständig.

Mit der Beschreibung seiner Rolle in einer stark konfliktgeladenen Situation in der Kita positioniert sich Paul als Konfliktmanager. Indem er sowohl seine Fachkompetenzen wie auch Weitsicht hervorhebt und den Fokus der Kolleginnen auf Zusammenarbeit und Teamkultur zugleich als zu begrenzt ausweist, baut er eine Hierarchie zwischen sich und seinen Kolleginnen auf, später auch zwischen sich als „Boden“ und der „Chefin“ als zuständig für die Organisation. Mit der Betonung der geleisteten Überzeit sowie der Erzählung, die formale Aufwertung seiner Position habe die tatsächlich ausgefüllte Rolle nicht wirklich abgebildet, entsteht zudem ein Eindruck individueller Heldenhaftigkeit, die als „heroische Männlichkeit“ beschrieben werden kann (Wetherell und Edley 1999): doing hegemonic masculinity.

Auch Reto verlässt sich auf die Position des „professionellen Pädagogen“. Bei ihm entsteht in der Art und Weise, wie er seinen pädagogischen Stil beschreibt, eine deutlich männliche Konnotation Mit seiner besonderen pädagogischen Ausbildung und seiner Kompetenz, eine Gruppe zu leiten, sowie der Fähigkeit, „Kontrolle“ und den „Überblick“ zu behalten, positioniert er sich als besser qualifiziert im Vergleich zu seinen Kolleginnen. Dank seiner pädagogischen Kompetenzen sei er derjenige, der den Überblick behalte, während seine weiblichen Kollegen dazu neigten, die Kinder eng und mit – aus pädagogischer Sicht – zu wenig Freiräumen zu beaufsichtigen.

Draußen ist ganz klar meine Verantwortung, also das ist, da, – ja es [Pause] die Kleinkinderzieherinnen hier, die, haben, oder sind – vielleicht auch etwas von der Ausbildung her, ich kann sehr so (die) Gruppe zusammenhalten, Überblick behalten, Kontrolle, und meine Ausbildung, so wie ich das Fach von Kolleginnen mitbekommen habe, lass sie auch mal gehen, lass ihnen Luft […].

Die Beispiele von Paul und Reto zeigen, dass die Position des Pädagogen zwar potenziell sowohl für männliche als auch für weibliche Kinderbetreuende verfügbar ist und daher eine Position sein könnte, die die Identitätsdissonanz zwischen den Positionen des „Anderen“ und des „Gleichen“ hinter sich lassen kann. Zugleich wird sie in diesen Beispielen jedoch auf eine Weise erzeugt, die hegemoniale Männlichkeitskonstruktionen über den Bezug auf „heroische Männlichkeit“ sowie der klaren Abgrenzung zu den weiblichen Kolleginnen reproduziert. Infolgedessen gelingt es der Subjektposition „professioneller Pädagoge“ zwar, eine legitime und auch stabile Subjektposition für die männlichen Kinderbetreuer zu etablieren, die das Geschlecht in den Hintergrund rücken lässt und damit Gleichheit betont; zugleich stabilisiert sie aber auch hegemoniale Männlichkeitskonstruktionen und muss darum auch als doing gender interpretiert werden.

6.5 (Un)doing gender und die Balancierung von Identitätsdissonanz

Unsere Analyse der Subjektpositionierungen der männlichen Kinderbetreuer zur Aushandlung von Identitätsdissonanz hat zu sechs unterschiedlichen Subjektpositionen geführt: (1) männliche Nischen herstellen, (2) die Vaterposition zitieren, (3) den männlichen Ernährer betonen, (4) eine Behandlung als Gleicher einfordern, (5) Weiblichkeit aneignen, (6) der professionelle Pädagoge werden. Während all diese Positionen für die Balancierung von Identitätsdissonanzen relevant sind, tun sie dies auf unterschiedliche Weise und mit unterschiedlichen Effekten, sowohl in Bezug auf die Positionierung des Subjekts als auch auf die Bewältigung der Dissonanzen.

In Praktiken, die Unterschiede im Sinn des doing gender betonen, wird Männlichkeit entweder als komplementär zur Weiblichkeit oder als im Einklang mit dem Ideal des männlichen Ernährers etabliert. Männliche Kinderbetreuer positionieren sich mit besonderen und sich ergänzenden Fähigkeiten und Interessen und stellen sich als mit Vätern vergleichbar dar. Dabei greifen sie auf den dominanten Diskurs der heterosexuellen Kleinfamilie zurück und assoziieren weibliche Kinderbetreuerinnen mit der Rolle der Mütter, männliche Kinderbetreuer mit der Rolle der Väter. Diese beiden Subjektpositionierungen haben jeweils ähnliche Konsequenzen und ergänzen sich gegenseitig: Sie legitimieren sowohl die Position des männlichen Kinderbetreuers als auch das Interesse am Beruf. Im Hinblick auf die Identitätsdissonanz gelingt es ihnen situativ, die so entstehende Differenz zu balancieren, sie gehen allerdings nicht darüber hinaus. Obwohl sie Männern helfen, ihre Position zu legitimieren, werden die Männer nicht als gleichwertig mit Frauen angesehen, sondern lediglich als für ihre spezielle Nische geeignet. Wenn sich ein Mann als Vater positioniert, kann es sogar dazu kommen, dass er seine Fachkompetenz minimiert, da die „natürlichen“ Fähigkeiten und Fertigkeiten des Vaterseins betont werden.

Die Betonung von Differenz kann jedoch auch gefährlich werden. Das ist dann der Fall, wenn Differenz negativ interpretiert wird, wie im Fall des allgegenwärtigen Pädophilieverdachts. Daher erfordern die Subjektpositionen des „komplementären Anderen“ fortlaufende diskursive Manöver, durch die es den Sprechenden möglich wird, weiterhin positiv wahrgenommen zu werden und so ihre Position zu stabilisieren. In diesem Kontext kann die „Positionierung als Vater“ als eine Praktik interpretiert werden, die die gefährliche Seite der „komplementären Andersartigkeit“ jeweils abzuwenden versucht. In ähnlicher Weise können auch die „Betonung der Gleichbehandlung“ sowie des „professionellen Pädagogen“ zur Bewältigung der negativen Attributionen der Andersartigkeit ins Spiel kommen.

Die dritte vorgefundene Praktik, die Unterschiede hervorhebt, indem sie auf den „männlichen Ernährer“ verweist, ist weniger darauf bedacht, sich zu Frauen komplementär zu positionieren, als einer idealen Männlichkeit zu entsprechen. Die interviewten Männer betonen ihr Interesse an einer beruflichen Entwicklung oder einer Vollzeitanstellung und beschreiben sich selbst als „den Chef“. Sie betonen auch Hierarchien sowie ihren Status innerhalb der Hierarchien. Durch solche Manöver gelingt es den interviewten Kinderbetreuern, sich als dem Ideal entsprechende Männer zu positionieren und die potenzielle Herausforderung ihrer Männlichkeit durch den Beruf des Kinderbetreuers entgegenzutreten. Mit dieser Subjektpositionierung wird eine hegemonial männliche Identität etabliert.

In Bezug auf ein undoing gender im Sinn einer Betonung von Gleichheit (Deutsch 2007) haben wir in unserem Material zwei wichtige Praktiken gefunden. Die erste, die „Betonung der Gleichbehandlung“, folgte jeweils als direkte Antwort auf ein mögliches Infragestellen der Integrität der männlichen Kinderbetreuer. Mit dem Hinweis auf den machtvollen Diskurs der Gleichbehandlung werden mögliche Zweifel an ihrer Motivation aus dem Weg geräumt. Es ist wichtig zu beachten, dass „gleich behandelt werden“ eine grundsätzliche Geschlechterdifferenz annimmt. Dies im Unterschied zur „Aneignung von Weiblichkeit“, bei der es um das „zu Gleichen werden“ geht. Die interviewten Männer beschreiben hier, wie sie zunächst als für Männer unpassend erscheinende Tätigkeiten erlernt und mit ihrer Identität in Einklang gebracht haben. Diese Positionierung ist ein wichtiges Instrument zur Bewältigung von Identitätsdissonanzen, und Männer nutzten sie erfolgreich, um sich eine legitime Position als Kinderbetreuer aufzubauen. Es ist jedoch interessant festzustellen, dass Männer, die weiblich konnotierte Fähigkeiten und Interessen für sich beanspruchen, an anderer Stelle auch die Position des „männlichen Ernährers“ zitieren. Während die „Aneignung der Weiblichkeit“ ein undoing gender ermöglicht, indem man die männliche Position als mit den weiblich konnotierten Tätigkeiten und Interessen passend herstellt, wirkt der Bezug auf hegemoniale Männlichkeit im Sinn eines doing gender.

Ähnlich wie bei der „Betonung der Gleichbehandlung“ etabliert die Praxis des „professionellen Pädagogen“ eine Subjektposition, die Identitätsdissonanzen als irrelevant hinter sich lässt und Geschlecht daher im Hintergrund verbleiben kann. Durch dieses undoing gender werden mögliche Geschlechterunterschiede minimiert und individuelle Unterschiede, zum Beispiel in Persönlichkeiten, Fähigkeiten und Interessen, hervorgehoben. Etwas anderes als Geschlecht wird in den Mittelpunkt gestellt. Gerade mit dem starken Bezug auf Professionalisierung macht diese Positionierung jedoch auch deutliche Anleihen an hegemoniale Männlichkeitskonstruktionen, wodurch Geschlecht wieder ins Spiel kommt und Hierarchien zwischen Männlichkeit und Weiblichkeit hergestellt werden. Diese letzte Positionierung verbleibt in unseren Augen ambivalent zwischen undoing und doing gender.

Durch unsere Analyse haben wir herausgefunden, dass die sechs diskursiven Praktiken verschiedene Lösungen für Männer im Beruf des Kinderbetreuers anbieten, um mit der erlebten Identitätsdissonanz umzugehen und die Herausforderung zu meistern, nicht zum „gefährlichen Anderen“ zu werden. Allerdings ist es nicht möglich, die gefundenen Praktiken eindeutig Personen zuzuordnen und so „Typen“ zu entwickeln, wie dies von anderen Studien vorgeschlagen worden ist (Buschmeyer 2013b; Cross und Bagilhole 2002). In den Interviews wurde nahezu jede Position von allen Männern verwendet. Die Positionierungspraktiken erwiesen sich als stark kontextspezifisch. Auch zeigte sich, dass keine der sechs Positionierungen eine stabile, feste und unangreifbare Subjektposition für das jeweilige Individuum zu sichern scheint. Die Männer müssen kontinuierlich zwischen den Positionierungen manövrieren, um die Stabilität der Positionen zu erzeugen. Wenn ein Mann zum Beispiel am Aufbau der männlichen Nische arbeitet, muss er sofort die dadurch hergestellte Differenz abmildern, indem er zum Beispiel die Wichtigkeit von Gleichbehandlung betont oder aber sich in der Rolle des Vaters positioniert. Würde die Differenz zu sehr betont, so scheint die Gefahr zu bestehen, die positive Konnotation der männlichen Position in der Kita zu verlieren und zum „gefährlichen Anderen“ zu werden. Auch müssen Männer Positionierungen abmildern, mit denen sie sich Weiblichkeit aneignen, da dies zu einer Gefährdung der Männlichkeit führen könnte. Über alle Interviews hinweg haben wir im Verlauf gesehen, wie sich die Befragten auf diese Weise von einer Subjektpositionierung zur anderen bewegten. Die Analyse zeigt damit deutlich, dass aus Perspektive der Subjektpositionierungen doing und undoing gender Hand in Hand gehen und es sich somit um ein fortlaufendes (un)doing gender handelt. Beide sind als Techniken der Identitätskonstruktion zu verstehen und dramatisieren oder mildern die vom Individuum erlebte Dissonanz in einem bestimmten Kontext – während in einem anderen Kontext das genaue Gegenteil notwendig werden kann.

Für die Praxis in den Kitas und insbesondere der Kitaleitungen bildet eine Sensibilisierung für die spezifische Herausforderung der männlichen Kinderbetreuer, eine kohärente Identität etablieren zu können, eine wichtige Basis für die Inklusion. Verschiedene Weiterbildungs- und Organisationsationsentwicklungsmaßnahmen können dazu beitragen, die durch Männer erlebte Identitätsdissonanz zu verändern und durch die Arbeit mit dem Team stabile Positionierungsangebote zu machen (Tennhoff et al. 2014; Tennhoff et al. 2017).

Interviews wurden hier als „eine spezifische Form von Praxis“ (Nentwich 2014, S. 57; Khan und Jerolmack 2013) verstanden. Das Sprechen über Alltagspraxis im Interview bildet nicht einfach Alltagspraxis ab, sondern stellt ein gemeinsames Verständnis dieser Wirklichkeit her und verhandelt dieses (Holstein und Gubrium 1995). Ein Interview zeigt somit vielmehr das in der Interviewsituation notwendige impression management (Goffman 1959/1976) und dient so der Herstellung einer anerkannten Subjektposition der oder des Interviewten (Wetherell 2004). Das bedeutet auch, dass der in einem Interview „produzierte“ Text immer auch durch die gewählte Befragungsmethode erzeugt wird. Die im Interviewleitfaden angelegten Dramatisierungen von Differenz, indem zum Beispiel explizit nach dem spezifischen Erleben des Kita-Alltags als männlicher Kinderbetreuer gefragt wurde, haben die hier ausführlich beschriebenen diskursiven Balanceakte zur Folge. Zwar kann aufgrund der Geschliffenheit und Gewandtheit der so hervorgebrachten Narrationen davon ausgegangen werden, dass die Geschichten jeweils schon häufig erzählt wurden, zugleich lässt dies aber keinerlei Rückschlüsse auf die schlussendliche Relevanz dieser Erzählungen in der jeweiligen Alltagspraxis zu. Um hierüber Aussagen treffen zu können, müssten entsprechende, Differenz dramatisierende Situationen im tatsächlichen Arbeitsalltag beobachtet werden.