In Kap. 3 wurden die Deutungen ‚guter‘ Lehre und Forschung in den fünf ausgewählten Teildisziplinen aufgezeigt; und in Kap. 4 wurde das Wechselspiel zwischen diesen Deutungen auf der einen, den Erfahrungen und der Verarbeitung von Leistungsbewertungen auf der anderen Seite anhand von drei Fallbeispielen in seiner je individuellen Vielschichtigkeit verdeutlicht. Nun geht es um die Frage, welche über den Einzelfall hinaus verallgemeinerbaren Muster sich in der Gesamtheit unserer empirischen Fälle auffinden lassen. Was veranlasst einige ProfessorInnen, sich als GewinnerInnen der Reformen zu sehen, während sich andere den Reformprozessen ausgeliefert fühlen?Footnote 1 Das sind die beiden Pole eines Spektrums, in dem es Zwischenpositionen gibt, wie schon die drei Fälle im Kap. 4 gezeigt haben. Welche Ausprägungen von Reformerfahrungen, mit denen sich jemand weder als reiner Gewinner noch als reines Opfer fühlt, lassen sich unterscheiden und finden sich empirisch vor?

Im vorliegenden Kapitel stellen wir eine differenzierte Typologie der subjektiven Verarbeitung der Reformen vor. Die insgesamt sieben Typen, die wir – mit einer Ausnahme – aus dem empirischen Material gewonnen haben, lassen sich mit vier analytischen Dimensionen, die jeweils Kontinua mit zwei Polen darstellen, und ihren möglichen Kombinationen empirisch basiert theoretisch rekonstruieren. Die Typen fangen variierende Auswirkungen von Leistungsbewertungen auf die berufliche Identität und damit verbundene variierende Praktiken des Umgangs damit ein. Dass die Leistungsbewertungen sich unterschiedlich auswirken, geht – wie bereits im Kap. 4 deutlich wurde – auf zwei Arten von Ursachen zurück. Zum einen ist die Implementation der Leistungsbewertungen von Bundesland zu Bundesland, innerhalb eines Bundeslandes von Universität zu Universität sowie teilweise sogar innerhalb derselben Universität unterschiedlich und variiert weiterhin im Zeitverlauf. Zum anderen spielen bei jedem Professor dessen disziplinäre Zugehörigkeit, dessen Karrierestufe und -verlauf, dessen Selbstverortung im Spektrum beruflicher Identität – beispielsweise eher als Lehrender oder als Forschender – sowie nicht zuletzt auch dessen beruflicher Erfolg eine erhebliche Rolle dabei, wie ihn Leistungsbewertungen affizieren.

Die Typologie kann auch Veränderungen der subjektiven Reformerfahrungen, aus denen Übergänge von einem Typ zum anderen resultieren können, aufzeigen. Solche Dynamiken können sich vor allem daraus ergeben, dass Veränderungen der Reformmaßnahmen – etwa eine striktere Anwendung von Bewertungsinstrumenten oder auch umgekehrt die Abschaffung bestimmter Maßnahmen – die Betroffenheit verändern, woraus eine mehr oder weniger starke Neuausrichtung des bisherigen Umgangs mit Leistungsbewertungen resultieren kann.

Im Folgenden stellen wir zunächst die Typologie vor, um einen systematischen Überblick zu geben. Erst wird das Gesamtbild skizziert, um die sodann je für sich genauer geschilderten sieben Typen sogleich im Spektrum zu verorten und das Gesamtbild so Schritt für Schritt auszuarbeiten.

5.1 Typen des Umgangs mit Leistungsbewertungen

Die nun zunächst im Überblick in ihrer Konstruktionslogik geschilderte Typologie des Umgangs von ProfessorInnen mit Leistungsbewertungen ergibt sich aus der Kombination von vier Dimensionen,Footnote 2 in denen die Typen sich unterscheiden können. Jede dieser Dimensionen stellt ein Kontinuum dar, das hier der Einfachheit halber auf seine beiden Extreme reduziert wird:

  1. 1.

    Ausmaß der wahrgenommenen Wirksamkeit: Jemand kann den implementierten Maßnahmen der Leistungsbewertung spürbare Effekte zuschreiben oder diese Effekte verneinen.

  2. 2.

    Ausmaß der eigenen Betroffenheit: Wenn spürbare Effekte attestiert werden, kann jemand selbst von ihnen betroffen sein oder, ohne selbst betroffen zu sein, nur eine entsprechende Betroffenheit anderer beobachten.

  3. 3.

    Richtung der Bewertung: In beiden Fällen kann jemand den jeweiligen Leistungsbewertungen und ihren Effekten eher befürwortend oder eher ablehnend gegenüberstehen.

  4. 4.

    Erfolg des eigenen Umgangs: Wer selbst betroffen von Leistungsbewertungen ist und sie befürwortet, kann aus ihnen bereits jetzt persönlichen Nutzen ziehen oder aber solchen Nutzen für die Zukunft erwarten. Analog kann jemand, der von Leistungsbewertungen betroffen ist und sie ablehnt, sich gegen sie zur Wehr setzen oder ihnen mehr oder weniger hilflos ausgeliefert sein.

Während die ersten drei Dimensionen charakterisieren, wie Leistungsbewertungen subjektiv erfahren werden, fängt die vierte Dimension die wahrgenommenen Handlungsspielräume im praktischen Umgang mit Leistungsbewertungen ein.

Je spürbarere Effekte man also Leistungsbewertungen zuschreibt, je stärker man selbst von ihnen betroffen ist, je mehr man sie ablehnt, weil sie eigenen Ansprüchen an ‚gute‘ Forschung und ‚gute‘ Lehre zuwiderlaufen, und je weniger man sich gegen sie zur Wehr zu setzen vermag, desto größer dürfte das Ausmaß an Identitätsbedrohungen sein, das von ihnen ausgeht.

Begibt man sich sodann in den Möglichkeitsraum hinein, der durch die Kombination der vier Dimensionen aufgespannt wird, lassen sich die folgenden sieben reinen Typen bilden (Abb. 5.1):Footnote 3

Abb. 5.1
figure 1

Typen des Umgangs mit Leistungsbewertungen

  • Der Gelassene: Er sieht überhaupt keine Auswirkungen veränderter Leistungsbewertungen – weder auf sich selbst noch auf andere. Ihm stellt sich das Reden von Reformen und Wandel als bloßes Gerede dar, dem keine tatsächlichen Effekte – weder wünschenswerte noch unerwünschte – entsprechen. Selbst nicht abzustreitende Veränderungen wie etwa die Einführung der W-Besoldung oder studentischer Evaluationen von Lehrveranstaltungen stuft er als völlig wirkungslose Maßnahmen ein, über die man entsprechend hinwegsehen kann: Sie stiften in seinen Augen weder Nutzen, noch richten sie Schaden an. Der Gelassene ruht in der subjektiven Gewissheit, dass sich um ihn herum und für ihn selbst nur ‚Business as usual‘ vollzieht.

  • Die Verschonte: Sie ist nicht selbst von Leistungsbewertungen betroffen, steht aber dem, was sie an der Betroffenheit anderer beobachtet, ablehnend gegenüber. Ein Beispiel hierfür könnte eine in der C-Besoldung gebliebene ältere Professorin sein, die froh ist, dass sie nicht so unter Leistungsdruck gesetzt wird wie ihre jüngeren KollegInnen in der W-Besoldung, die ein ‚standesgemäßes‘ Gehalt erst durch Leistungszulagen erreichen können, für die sie sich etwa durch Drittmitteleinwerbungen qualifizieren müssen. In diesem Fall kann sich die Betreffende ziemlich sicher sein, nicht mehr selbst zur Betroffenen zu werden; in anderen Fällen kann jemand auch mehr oder weniger stark befürchten, früher oder später nicht mehr von den bislang nur bei anderen beobachteten Leistungsbewertungen verschont zu bleiben.

  • Der Sympathisant: Er ist wie die Verschonte von den Leistungsbewertungen, die er bei anderen beobachtet, selbst nicht betroffen; doch er befürwortet diese bzw. steht ihnen wohlwollend gegenüber, da er positive Veränderungen für die Universität mit ihnen verbindet. Es kann sich um einen Professor handeln, der kurz vor der Pensionierung steht, sodass die Leistungsbewertungen nicht mehr auf ihn Anwendung finden können. Oder sie finden noch keine Anwendung auf ihn, zukünftig wird dies jedoch wohl der Fall sein – wenn jemand etwa aus Überzeugung oder wegen eines externen Rufes in die W-Besoldung wechselt.

  • Das Reformopfer: Es ist von Leistungsbewertungen betroffen und muss mehr oder weniger hilflos erleben, dass es sich gegen die von ihm abgelehnten Maßnahmen nicht wirksam zu wehren vermag, sondern ihnen ausgesetzt ist. Seine Handlungsspielräume im praktischen Umgang mit Leistungsbewertungen sind begrenzt. Vielleicht erleidet das Opfer Verluste, etwa bei seiner Grundausstattung, aufgrund von schlechten Evaluationen; oder es muss zur Vermeidung solcher Verluste gute Miene zum bösen Spiel machen und sich beispielsweise opportunistisch bei den Studierenden beliebt machen, um so die benötigten Leistungspunkte zu ergattern, damit es sein Gehalt etwas aufbessern kann.

  • Der Wehrhafte: Wie auch die Verschonte und das Opfer lehnt er Leistungsbewertungen ab. Anders als die Verschonte ist er Leistungsbewertungen ausgesetzt, deren Auswirkungen er sich jedoch – anders als das Opfer – durch Praktiken der Gegenwehr bislang noch mehr oder weniger entziehen kann. Er vermag so die eigenen Interessen vielleicht nicht mehr vollständig, aber doch halbwegs zu wahren und die eigene berufliche Identität zu behaupten. Beispielsweise kann ein Professor, dem die Studierenden wegen seiner hohen Anforderungen und strengen Leistungsmaßstäbe in Evaluationen regelmäßig schlechte Noten geben, auch den Mahnungen der Studiendekanin trotzen und sich als jemand, der Humboldt hochhält, positionieren.

  • Die Zuversichtliche: Sie befürwortet die Leistungsbewertungen, denen sie unterliegt, kann sie aber noch nicht oder nur in einem als zu gering empfundenen Maße für sich nutzen. Doch selbst dann, wenn sie vorerst von solchen Reformauswirkungen betroffen ist, die sie als negativ bewertet, ist sie guter Hoffnung, dass sie zumindest auf längere Sicht von den Leistungsbewertungen insgesamt profitieren kann, wenn sie nur entsprechende Anstrengungen in dieser Richtung unternimmt. Sie sieht sich also als künftige Profiteurin. Sollte ihr das allerdings dauerhaft nicht gelingen, während andere um sie herum profitieren, wirken sich die Leistungsbewertungen zumindest im sozialen Vergleich negativ auf sie aus, weshalb dann ab einem gewissen Punkt ihre Befürwortung in Ablehnung umschlagen kann.

  • Der Profiteur: Er ist der Gewinner der Universitätsreformen. Er unterliegt Leistungsbewertungen, die er befürwortet, und vermag sie zu seinen Gunsten zu nutzen. Sie verbinden sich für ihn mit positiven Veränderungen der Rahmenbedingungen seines beruflichen Handelns. Es kann sich z. B. um einen erfolgreichen Forscher handeln, der viele Drittmittel einwirbt und in internationalen Fachzeitschriften mit hohem Impact-Faktor publiziert, was ihm beides gute Bewerbungs- und Verhandlungschancen hinsichtlich einer weiteren Verbesserung seiner Ausstattung und seiner persönlichen Bezüge verschafft.

Diese Überblicksskizze kann nun noch dadurch ergänzt werden, dass man sich die Typen in ihrer Nähe und Ferne zueinander vor Augen führt (Abb. 5.2).Footnote 4

Abb. 5.2
figure 2

Nähe und Ferne der Typen

Deutlich wird, dass es zwei Teilkonstellationen von je drei Typen gibt:

  • Die eine lehnt die Leistungsbewertungen in der Bewertungsdimension ab, ist aber in unterschiedlichem Maße von ihnen betroffen und hat einen unterschiedlich erfolgreichen Umgang mit ihnen gefunden: Die Verschonten sind selbst gar nicht betroffen; die Wehrhaften sind es, sehen aber Möglichkeiten, ihre Interessen und ihre berufliche Identität hochzuhalten; und die Opfer sind noch stärker betroffen und müssen sich ohne effektive Gegenwehr beugen.

  • Die andere Teilkonstellation ist sich in der Befürwortung der Leistungsbewertungen einig. Auch hier variieren das Ausmaß der Betroffenheit und der Erfolg im Umgang mit den Bewertungen: Die SympathisantInnen sind selbst gar nicht betroffen; die Zuversichtlichen sind betroffen und erhoffen sich zukünftig mehr Vorteile, als sie aktuell genießen; und die ProfiteurInnen genießen diese Vorteile schon jetzt. Die Zuversichtlichen können sich jedoch hinsichtlich ihres bisher aus den Reformen gezogenen Nutzens unterscheiden, sodass sie in beiden rechten Quadranten zu verorten sind. Denn zuversichtlich kann auch sein, wer Reformen befürwortet, obwohl sie für ihn bislang noch vor allem mit Nachteilen verbunden sind.

Der Gelassene befindet sich gewissermaßen am Nullpunkt beider Achsen. Er ist weder betroffen noch hat er eine Meinung zu den Leistungsbewertungen: Denn sie haben in seiner Einschätzung überhaupt keine Wirkungen, man braucht sich daher auch nicht um sie zu kümmern.

5.2 Die Typen im Einzelnen

Der idealtypische Charakter der sieben Typen ist offenkundig. Die analytische Unterscheidbarkeit geht auf verdichtende Zuspitzungen zurück. Reale Fälle entsprechen selten in all ihren Facetten ausschließlich einem dieser Typen, sondern können diesen höchstens danach zugeordnet werden, welches Muster der vier Dimensionen überwiegt. Gleichwohl lassen sich Fälle finden, die überwiegend einem und nur einem dieser Typen entsprechen. Sie illustrieren das jeweilige Deutungs- und Handlungsspektrum in besonders einprägsamer Weise und stehen daher als Ankerfälle jeweils am Anfang der im Folgenden präsentierten eingehenderen Porträts der sieben Typen. Es schließen sich bei jedem der Typen Abstufungen sowie eventuelle Untertypen an.

Wir beginnen unsere Porträtserie mit den beiden Extremen, die auch die in Kap. 2 dokumentierten medialen Auseinandersetzungen über das Reformgeschehen bestimmt haben: den ProfiteurInnen und den Opfern der Reformen. Es schließen sich die beiden Typen von Nicht-Betroffenen an: die SympathisantInnen und die Verschonten. In gewisser Weise als Zuspitzung der Verschonten folgen die Gelassenen. Am Ende stehen die beiden Typen, die – anders als Verschonte und SympathisantInnen – nicht bloß zuschauen, was die Reformen anderen bringen, sondern selbst betroffen sind und wie ProfiteurInnen und Opfer Formen des Umgangs mit den Reformauswirkungen finden müssen: die Wehrhaften, die noch keine Opfer sind, aber etwas tun müssen, um es nicht zu werden, und die Zuversichtlichen, die noch keine ProfiteurInnen sind, aber hoffen, es werden zu können.

5.2.1 ProfiteurInnen

Den Typ des Profiteurs zeichnet aus, dass er sich in positiver Weise von Leistungsbewertungen betroffen sieht, da er diese grundsätzlich befürwortet und sie zudem zu seinen Gunsten nutzen kann. Unsere Fälle zeigen, dass dieser Typ vor allem bei ProfessorInnen zu finden ist, die die Einwerbung von Drittmitteln als wichtige Voraussetzung für eine ‚gute’ und wettbewerbsfähige Wissenschaft – und nicht etwa als auferlegte Bedrohung eigener Qualitätsmaßstäbe – deuten. Soweit bestätigt sich die wichtige Rolle, die dieses Leistungskriterium innerhalb der organisationalen Bewertungsordnung spielt.

Die ProfiteurInnen nehmen ihren Nutzen allerdings nicht nur und manchmal sogar weniger über individualisierte materielle Belohnungen durch Instrumente wie die Leistungsorientierte Mittelverteilung (LOM) oder leistungsabhängige Gehaltszulagen wahr. Wichtig können auch strukturelle Vorteile wie eine privilegierte Ausstattung des ganzen Fachbereichs oder eine gute administrative Unterstützung sein, wodurch seitens der Organisation die Handlungsspielräume vergrößert werden, Forschung gemäß den eigenen Ansprüchen betreiben zu können. Zudem spielt der individuelle Gewinn an Reputation und Anerkennung keine unwichtige Rolle, der sich durch die Passung zwischen organisationalen und subjektiven Bewertungsmaßstäben erhöhen kann und den ProfiteurInnen einen ‚Pay Off’ an sozialem oder symbolischem Kapital verschafft. Insofern verweisen die Fälle auch auf Grenzen solcher Steuerungsmodelle, die vor allem von einer Anreizwirkung persönlicher materieller Vorteile ausgehen: ProfessorInnen agieren eben nicht ausschließlich oder auch nur vorrangig als eigeninteressierte Agenten, deren Interessen von den Prinzipalen durch Sanktionen oder Anreize in die ‚richtige’ Richtung gelenkt werden können.

Ein differenziertes Bild zeigt sich darüber hinaus mit Blick auf die Deutungen der universitären Wandlungs- und Leistungsbewertungsprozesse. Während wir in unserer Typologie davon ausgegangen sind, dass sich ProfiteurInnen vornehmlich positiv äußern und somit auf eine Umsetzungs- oder Detailkritik beschränken, zeigt das empirische Material eine etwas breitere Varianz. So findet sich neben einer weitgehenden Zustimmung zu dem forcierten universitären Wettbewerb und entsprechenden Bewertungsprozessen auch eine grundsätzlichere Kritik, die sich etwa auf den wissenschaftspolitischen Anspruch bezieht, Universitäten ‚von außen‘ zu steuern und damit in die „eigenlogische[] Verfasstheit wissenschaftlichen Handelns“ (Stock und Wernet 2005, S.  8) einzugreifen.

Ankerfall: „Großes bewegen können“

Am Fallbeispiel eines Hochfrequenztechnikers lässt sich der Typus in weitgehend idealtypischer Weise veranschaulichen. Der W3-Professor ist bereits seit längerem an der betreffenden Universität tätig und engagiert sich intensiv im Rahmen eines neu entstandenen Forschungsverbundes. Ohne dass er die wissenschaftspolitische Wettbewerbsforcierung und Einflussnahme unbedingt befürwortet, entsprechen die organisationalen Bewertungskriterien überwiegend seinen eigenen Vorstellungen ‚guter‘ und sinnstiftender Wissenschaft. So sind für ihn nicht nur Drittmittel eine selbstverständliche Voraussetzung seiner Forschungsarbeit, sondern auch Kooperationen mit Industriepartnern stellen ein positiv bestimmtes Moment dar. Ihm mache es „besonders Spaß, wenn die Forschung wirklich an Anwendungen andock[e]“, wenn „man merk[e]“, dass man etwas „damit bewegen“ könne (TECH8).Footnote 5

Aufgrund seiner Karrierestufe steht der Hochfrequenztechniker zwar nicht mehr unter dem Druck, sich erst noch innerhalb der organisationalen Bewertungsordnung bewähren zu müssen. Durch seine aktive Einbindung in die universitäre Verbundforschung gehören konkrete Leistungsziele und -bewertungen aber dennoch zu seinem beruflichen Alltag. Von individuellen Zielvereinbarungen war der Hochfrequenztechniker bisher nicht betroffen, obwohl er in Folge eines externen Rufes von der C- in die W-Besoldung wechselte. Da er aufgrund seines Standings – er sei „so lange schon da und Sprecher von allem möglichen Kram“ gewesen – in den Bleibeverhandlungen eine „relativ starke Verhandlungsposition“ hatte, konnte er von der größeren „Flexibilität des Präsidiums“ profitieren, ohne auf bestimmte Ziele festgelegt zu werden. Der Hochfrequenztechniker kommt durchaus darauf zu sprechen, dass „junge Kollegen“, die bei ihrer ersten Berufung solche Vereinbarungen abschließen müssten, die Bedingungen der W-Professur „vielleicht einen Tick anders“ sähen. Er selbst sei mit seinem Wechsel jedoch „zufrieden“ – auch wegen der „leistungsbezogene[n] Anteile“, die durch seine anwendungsnahe Forschung „doch oft ins Spiel“ kämen und ihm insofern einen manifesten materiellen Vorteil verschaffen.

Als exponierter Akteur innerhalb des Forschungsverbundes hat er gemeinsam mit weiteren beteiligten KollegInnen Verträge mit der Hochschulleitung geschlossen, in denen schriftlich fixiert wurde, dass für eine langfristige „Unterstützung des Präsidiums diese und jene Ziele […] erreicht werden“ müssten. Der Hochfrequenztechniker nimmt diese Form der Verbindlichkeit jedoch nicht im Sinne einer negativen Betroffenheit von Kontrolle, sondern als legitime bzw. positive Form der Governance wahr:

„Das Präsidium will draufschauen. Es investiert ja auch eine ganze Menge. Auch Ressourcen der Universität fließen in diesen Schwerpunkt, und ich möchte ja auch wissen, dass andere Schwerpunkte nicht einfach nur Geld kosten, sondern für die gesamte Universität wirklich was bringen. Das kann man nur, wenn man draufguckt und wenn man Governancestrukturen hat, die dann letztendlich an der Stelle zuschlagen. Und das ist völlig okay. […] Wenn das eine Forschungsrichtung ist, die nicht erfolgreich weitergeführt werden kann, dann sollte man das auch frühzeitig sagen. Es ist viel besser, frühzeitig darüber zu reden und Weichen zu stellen, als das weiterlaufen zu lassen und irgendwann festzustellen, dass die Gesamtuniversität ein Riesenproblem hat.“

Er positioniert sich als Angehöriger ‚seiner‘ Universität und nicht als Wissenschaftler, der seine Autonomie gegenüber einer fachfremden Organisation verteidigen muss. Vielmehr geht er von gemeinsamen Interessen aus: Er sieht sich, aber auch die KollegInnen aus „andere[n] Schwerpunkte[n]“, in der Verantwortung für die „Gesamtuniversität“, die ihre begrenzten Ressourcen schließlich zielführend in die unterschiedlichen Forschungsbereiche „investieren“ müsse. Die Deutung einer solchen Reziprozität zwischen Universität und WissenschaftlerInnen wird dadurch begünstigt, dass der Hochfrequenztechniker die Kommunikation seitens des Präsidiums als kooperativ wahrnimmt. So sei „da nicht nur der Präsident“, der direktiv vorgebe, „‚Das möchte ich gerne und das wird jetzt gemacht‘“, sondern es handele sich um „eine sehr transparente“ gemeinsame „Diskussion“. Entsprechend lasse sich das Verhältnis zwischen ProfessorInnen und Hochschulleitung weniger über „irgendwelche Rechenschaftspflichten [beschreiben]. Die gucken nicht Excel-Listen durch und sagen: ‚Wer hat die meisten Drittmittel? Das machen wir jetzt.‘ So ist das ja nicht.“

Wenn der Hochfrequenztechniker überhaupt eine Kritik an Berichts- und Rechenschaftspflichten äußert, bezieht er sich dabei auf die Förderinstitutionen. Problematisch seien nicht die inneruniversitären „Reporting-Pflichten“. Im Kontext größerer Projektanträge und deren Evaluation zeichne sich allerdings ein „behördliche[r] Wasserkopf“ ab, der viel Zeit binde:

„[D]er gute Wille von allen möglichen Institutionen, uns Geld zu geben über ein solches Evaluationsverfahren, das ist alles gut gemeint, aber es wird vielleicht oft vergessen, wie viel Aufwand tatsächlich vor Ort erzeugt wird im Schreiben gerade auch dieser Verbundanträge. Ich bin ja involviert. Ich meine, mich trifft das jetzt momentan auch besonders, aber diese Verbundanträge erzeugen einen Riesenrattenschwanz an Aufwand. Am Ende kommt hoffentlich Geld. Aber man darf das nicht übertreiben. Also die Zahl der Anträge pro Zeit darf auch nicht zu hoch werden, sonst wird es ineffizient.“

Der Hochfrequenztechniker übt damit zwar keine grundsätzliche Kritik an Leistungsbewertungen, markiert aber eine Distanz zwischen der externen und der internen, fachlichen Perspektive: Der Aufwand, der „tatsächlich vor Ort erzeugt“ werde und ab einem bestimmten Grad zu einer, wenn auch nicht intendierten, Ineffizienz führe, wird aus seiner Sicht zu wenig berücksichtigt.Footnote 6

Mit der zuletzt genannten Kritik adressiert der Hochfrequenztechniker letztlich die wissenschaftspolitische Ebene und deren Entscheidung, die Ausstattung der Universitäten in stärkerem Maße an erfolgreiche Antrags- und Evaluationsverfahren zu knüpfen. Er zeichnet dabei kein Krisenszenario, in dem die Freiheit von Forschung und Lehre bereits gefährdet wäre. Gleichwohl betrachtet er die Wettbewerbs- und Outputsteuerung von Universitäten mittlerweile skeptischer:

„Was Forschung angeht, glaube ich, sind wir noch sehr flexibel und insofern ist es noch im grünen Bereich. Aber ich denke, man sollte einerseits überlegen, […] dass die Universität einfach ein Biotop zur Verfügung gestellt bekommt, in dem sie sich entwickelt. Da muss die Politik aufpassen, dass sie das nicht zu sehr abgräbt und immer wieder Schläuche dran legt und sagt: ‚Jetzt musst du überall messen, was reingeht, und überall messen, was rausgeht.‘ Sondern, es muss schon zu einem gewissen Grad mal einfach nur Biotop sein. Das müssen wir uns erhalten.“

Der Hochfrequenztechniker argumentiert in grundsätzlicherer Weise, indem er mit dem Begriff des „Biotops“ das Spezifikum einer freieren universitären Wissenschaft gegenüber ihrer zu starken Vermessung verteidigt. Er teilt damit zwar nicht die Ökonomisierungskritik von dezidierten ReformgegnerInnen. „Zu einem gewissen Grad“ solle man jedoch wieder verstärkt den WissenschaftlerInnen „vor Ort“ vertrauen, die „schon wüssten, was sie tun“:

„Infrastruktur zur Verfügung stellen und dann einfach mal machen lassen. Völlig okay. Nicht zu viel messen, nicht zu viel rückmelden, sondern Verantwortung auf die Leute verlagern, die es vor Ort auch wirklich machen, und die Eigenverantwortung stärken.“

Auch die von Bund und Ländern geförderten Forschungsformate und -programme sieht er dahin gehend nicht unkritisch. Über die „Exzellenzinitiative“ oder Ausschreibungen greife die Politik „natürlich“ schon in die Arbeit von WissenschaftlerInnen ein, indem sie „eine gewisse Richtung“ vorgebe:

„Wir haben hier Ausschreibungen: ‚Nachhaltige Forschung‘ und, und, und, immer diese Stichworte, […]. Dann rennt man los und überlegt, wer dazu passen könnte. Und dann rennt man los und hat einen Verbund und schreibt einen Antrag und, und, und. Das sind eigentlich alles Themen, die an der Realität ein bisschen vorbeigehen, weil ich ja letztlich das Forschungsthema weiß: Das will ich vorantreiben.“

Der Hochfrequenztechniker kommt im Kontext solcher Verbundformate auch auf den „Teufelskreis“ einer Vervielfältigung von Anträgen und damit erneut auf die Gefahr wachsender Ineffizienz zu sprechen. Darüber hinaus geht es ihm jedoch ebenso um die inhaltliche Einflussnahme durch vorgegebene „Stichworte“, an denen sich die beteiligten ProfessorInnen orientierten, obwohl sie eigentlich ihre eigenen Forschungsthemen hätten.Footnote 7 Verbundformate stehen für ihn damit nicht generell im Widerspruch zu seinen Vorstellungen ‚guter‘ Forschung. Er plädiert aber zum einen dafür, sich auch bei der Bewertung jeweils „detaillierter an[zu]schauen“, ob kleinere oder größere Projekte besser zu den Forschungsthemen passten, und zum anderen für Kooperationen, die tatsächlich durch gemeinsame Interessen und Ziele zustande kommen: Sonderforschungsbereiche (SFB) seien in dieser Hinsicht ein „wichtiges, auch langfristiges Medium“ der Förderung.

Wie sich bereits andeutete, bewertet der Hochfrequenztechniker die lokale Umsetzung neuer Governanceprozesse an seiner Universität als positiv. Die Hochschulleitung passe sich zwar an den forcierten Wettbewerb an, sodass im Sinne der „Außenwirkung“ und des universitären Standings „Forschung das A und O“ sei. Sie agiere dabei aber nicht über top-down-Prozesse, sondern über gemeinsam mit FachvertreterInnen geführte „strategische Diskussionen“:

„Man diskutiert und versucht immer auch strategische Entscheidungen zu treffen: Was passt in die Region? Was hilft allen Fakultäten? Wo können verschiedene Fakultäten zusammenarbeiten, um Forschungsverbünde zu kreieren? Um dann auch erfolgreich zu sein in der ‚Exzellenzinitiative’ von Bund und Land, die dann irgendwann 2019 wieder aufschlagen wird.“

Er erweitert insofern das positive Urteil, das er bereits mit Blick auf die Zusammenarbeit in dem aktuellen Forschungsverbund gefällt hatte. Dass die Universitätsleitung das Ziel einer Beteiligung an wettbewerbsfähigen Formaten voraussetzt, hält er für legitim, sofern die WissenschaftlerInnen einbezogen und die Interessen des Gesamtsystems – „alle[r] Fakultäten“ – berücksichtigt werden. Er akzeptiert damit den Akteurstatus, den die Universitäten als Organisation inzwischen gewonnen haben, und billigt diesem Akteur bestimmte Interessen zu.

Auch wenn er den Fokus in seiner aktuellen beruflichen Phase vor allem auf die Forschung richtet, befürwortet der Hochfrequenztechniker ebenso Instrumente, die dem Ziel der Verbesserung universitärer Lehre dienen. Allerdings differenziert er zwischen den etablierten Lehrevaluationsverfahren und dem kürzlich eingeführten Lehrpreis. Letzteren sieht er kritisch, da es sich aus seiner Sicht um kein ernsthaftes Bewertungsinstrument handele. Da mit Lehrpreisen vor allem der „Spaß-Charakter“ von Lehrveranstaltungen honoriert werde, träten die eigentlich zentralen Lehrziele zu sehr in den Hintergrund:

„Ich meine, wir machen Lehre, um Informationen zu vermitteln. Die müssen was lernen, die müssen was wissen danach. […] Da gibt es Beispiele, wo ganz viel arrangiert wird außen herum, um einen Lehrerfolg ein bisschen höher zu machen. Aber letztendlich sind wir hier nicht im Kindergarten. Wir müssen nicht tanzen und spielen und pfeifen, um irgendwelche Lehrinhalte zu vermitteln, […] sondern es muss ernsthaft sein, es muss professionell sein. […] Ich denke, da gehen Ressourcen vielleicht ein bisschen am Ziel vorbei an der Stelle.“

Dem Anspruch an Professionalität werden für ihn hingegen die Lehrevaluationen stärker gerecht. Diese hält er für eine wichtige und „gute Rückmeldung“ nicht nur für die Lehrenden, sondern auch für die „Universität als Ganze“, da über die Ergebnisse der Einblick in einen Bereich ermöglicht werde, in den man „normalerweise nicht reinschauen“ könne. Der Hochfrequenztechniker spricht hier auch als ehemaliger Studiendekan, der in dieser Funktion mit den Ergebnissen seiner KollegInnen vertraut war und es gerade auch wichtig fand, die wenigen negativen „Ausreißer“ über dieses Instrument „identifizieren“ zu können:

„Es reicht ja schon, wenn der Kollege merkt, es wird wahrgenommen, dass die Evaluation vorliegt. Alleine die Tatsache, dass sie vorliegt, ist ja schon mal ein Zeichen in die richtige Richtung.“

Insofern verteidigt er die Autonomie von ProfessorInnen hier weder gegen ein studentisches Urteil noch gegen eine Kontrolle durch die Organisation. Es sei vielmehr wichtig, dass „nicht einfach“ – wie dies früher der Fall gewesen sei – „anonym irgendwelcher Unterricht gehalten“ werde. Die Lehrevaluation stellt insofern eine gewisse, aus Sicht des Hochfrequenztechnikers legitime ‚Disziplinierung‘ des Handelns der Lehrenden sicher.Footnote 8

Trotz einiger Kritikpunkte, mit denen sich der Hochfrequenztechniker auch grundsätzlicher auf die wissenschaftspolitische Ebene bezieht, kann er sich die organisationalen Leistungsziele und -bewertungen mehrheitlich positiv zu Eigen machen. Zu einer gewissen Selbstverpflichtung, auch im Sinne der „Gesamtuniversität“ zu handeln, kommt bei ihm entscheidend hinzu, dass gerade die Qualitätsmaßstäbe in der Forschung seinem eigenen Ziel entsprechen, etwas zu „bewegen“.

Wichtig ist, dass seine exponierte Rolle in dem von der Hochschulleitung unterstützten Forschungsverbund ihm diesbezüglich neue Handlungsspielräume bietet. Denn gerade diese lassen ihn derzeit zu einem Profiteur werden. Der Hochfrequenztechniker spricht zwar auch seinen Verantwortungs- und Leistungsdruck an: Er hätte „natürlich irgendwie ein Problem“, wenn am Ende nur „ganz wenig Projekte und auch wenig Veröffentlichungen“ entstehen würden. Die folgende Äußerung zeigt aber deutlich, dass er es in seiner aktuellen Karrierephase vor allem als positive Herausforderung wahrnimmt, innerhalb dieses groß angelegten Rahmens zu agieren:

„Momentan macht es mir Spaß, weil man das Gefühl hat, etwas Großes bewegen zu können. Also wenn da drüben mal ein Forschungsbau für [x] Millionen Euro steht, ist das schon schön. Und hier dann ein nicht ganz so kleines Rädchen im Getriebe gewesen zu sein: Das macht Spaß.“

Während er als „kleines Rädchen“ nur weiterhin zum Funktionieren des universitären „Getriebe[s]“ beitragen könne, biete der Forschungsverbund die Möglichkeit, auf einem anderen Level etwas zu „bewegen“ – nämlich zu einer langfristigen und sichtbaren Veränderung der Forschungsbedingungen und -strukturen vor Ort beizutragen.

Zudem nimmt der Hochfrequenztechniker auch die grenzüberschreitende Rolle zwischen Fachbereich, Präsidium, Kooperationspartnern und Ministerium als Chance wahr, „ein bisschen“ von dem professoralen Alltag „wegzukommen“. Unabhängig davon, dass er letztlich unsicher ist, ob ihm eine Position „in den höheren Sphären“ des Wissenschaftsmanagements und in großer Distanz zu den Forschungsprozessen seiner Arbeitsgruppe „dauerhaft Spaß machen“ würde, eröffnen sich für ihn damit Karriereoptionen jenseits seiner W-Professur, die er für sich abwägen kann. So wie bereits seine Entscheidung für die Beteiligung an dem Forschungsverbund nicht aufgrund eines Anpassungsdrucks erfolgte, wie es bei jüngeren ProfessorInnen teilweise der Fall sei, so sieht der Hochfrequenztechniker im Gegenzug auch „die Freiheit“, sich wieder auf ein kleineres Kernteam am Fachbereich zurückzuziehen:

„[D]a wäre der Präsident mal eine Weile böse […]. Dann würde er wahrscheinlich nicht mich anrufen, sondern jemand anderen, aber das wäre letztlich okay. Also man kann das durchsetzen für sich, überhaupt keine Frage. Wobei dann Doktoranden nicht weiterfinanziert werden und, und, und. Es hätte schon einen großen Impact. Man muss dann genau überlegen, wie man runterfährt, wie man das macht. Aber das kann man ganz sicher machen.“

Sein Beispiel bestätigt, dass nicht unbedingt individuelle materielle Vorteile darüber entscheiden, ob jemand zu den ProfiteurInnen gehört. Der Hochfrequenztechniker profitiert durch seine anwendungsnahe Forschung als W-Professor zwar auch von persönlichen Zulagen. Vor allem aber gewinnt er über seine wichtige Rolle in dem von der Universitätsleitung geförderten und anerkannten Forschungsverbund an sozialem und symbolischem Kapital: Er verfügt über neue informelle Kontakte, gehört zu den zentralen Ansprechpartnern des Präsidenten und wird als Professor wahrgenommen, der einen wichtigen Beitrag für die Sichtbarkeit der Universität leistet. Seine Vorstellungen davon, wie ‚gute‘ Arbeit – und damit auch seine berufliche Identität – auszusehen hat, werden auf diesem Wege nicht nur materiell, sondern vor allem auch sozial bestätigt.Footnote 9

Weitere Fälle

Bei den nächsten beiden Fallbeispielen handelt es sich um Professoren, die zwar noch keinen vergleichbaren Statusgewinn erreicht haben, die organisationale Governance und Bewertungsordnung für sich aber dennoch mit konkreten Vorteilen verbinden können. An ihnen lassen sich zwei Beobachtungen verdeutlichen Aspekte: erstens, dass die Karrierestufe für die subjektive Erfahrung der Leistungsbewertungen insofern relevant ist, als gerade jüngere ProfessorInnen mit ihnen einen Reputationsgewinn verbinden können. Sie befinden sich gewissermaßen in einer Übergangsphase, weshalb sie von der universitären Leistungsbewertung noch nicht derart profitieren können wie der Hochfrequenztechniker. Dieser Aspekt kommt auch bei den Zuversichtlichen zum Tragen. Obgleich ihre Situation oftmals ambivalenter ist, sind also Parallelen zu diesem Typus vorhanden. Zweitens verdeutlichen die beiden Fälle, dass und inwiefern die berufliche Sozialisation eine Identifikation mit den organisationalen Zielen in besonderer Weise befördern kann.

So nimmt ein Nachrichtentechniker die organisationalen Leistungsmaßstäbe und -bewertungen als positive Herausforderung und weitgehende Bestätigung seiner Selbstansprüche wahr. Ähnlich wie der Hochfrequenztechniker betont er zunächst, dass „die Idee ihren Weg gehen“ müsse und „nicht nur auf Papier bleiben“ dürfe, womit er sein Forschungsethos explizit über einen Anwendungsbezug definiert (TECH2). Da sich seine Forschungsziele nur über Drittmittel und über Kooperationen – auch mit Industriepartnern – realisieren ließen, deutet der Nachrichtentechniker Projektanträge im Sinne von „Hausaufgaben“, die unabhängig von der organisationalen Bewertungsordnung zu erledigen seien, um „die wahren Dinge nachher wirklich voranzubringen“.

Seine Zustimmung zu den wissenschaftspolitischen und organisationalen Bewertungsmaßstäben reicht jedoch noch weiter. Während der Professor für Hochfrequenztechnik zumindest von einem potenziellen Spannungsverhältnis zwischen einem universitär verankerten „Biotop“ und Wettbewerbsformaten wie der „Exzellenzinitiative“ ausgeht, folgt der Nachrichtentechniker mit seiner Perspektive weitgehend einem Managementmodell (Meier 2009, S. 222–233). So sei „klar“, dass „die Uni“ sich auch „vermarkten“ und im Sinne ihres „Marketings“ eigene Forschungsschwerpunkte im Wettbewerb behaupten müsse. Diese Bewertung steht in einem engen Zusammenhang mit seiner beruflichen Sozialisation. Er war vor seiner Professur lange Jahre bei Technologiekonzernen beschäftigt, was sich in seinen Deutungen und der von ihm verwendeten Semantik widerspiegelt. Man könne zwar auch kritisch über einzelne „Umstrukturierungen“ diskutieren, letztlich sei „das Schlimmste“ jedoch „Stillstand“:

„[I]ch meine, wir sind alle […] in einer hochdynamischen Welt. Die Richtungen ändern sich. Dann ergibt es auch manchmal keinen Sinn mehr, an etwas Altem festzuhalten bloß des Prinzips wegen, sondern man muss halt hier und da umstrukturieren, um auch wieder für das Neue gewappnet zu sein.“

Nicht nur die ProfessorInnen, sondern auch „die Verwaltung und das Ganze, die Infrastruktur drum rum“ müssten sich an die neuen Herausforderungen „anpassen“, jeder müsse sich „ein bisschen bewegen“. Der Nachrichtentechniker legt dahin gehend die Idee eines Change Management zugrunde, bei dem jede organisationale Einheit ihren Beitrag leisten und sich möglichst mit den übergeordneten Zielen identifizieren sollte. Eine Parallelisierung des unternehmerischen und universitären Handlungskontextes zeigt sich noch deutlicher, wenn er sein eigenes berufliches Selbstverständnis beschreibt. Zwar hatte auch der Professor für Hochfrequenztechnik das Interesse der „Gesamtuniversität“ (TECH8) im Blick. Der Nachrichtentechniker positioniert sich aber explizit im Sinne eines Arbeitnehmers, der wie zuvor für seine Firma nun etwas für seine Universität zu leisten habe:

„Ich sehe mich jetzt nicht in meiner Autonomie irgendwo wirklich großartig eingeschränkt oder mehr rechenschaftspflichtig, weil ich da ganz pragmatisch bin. […] Wenn man mal in den Firmen unterwegs war, hat man irgendwo vielleicht auch eher so den Typus ‚Ich gehöre zu dieser Firma und ich tue was für die Firma.‘ Und so ist es auch hier mit der Universität. […] Ich muss mich auch so einbringen, dass die Universität was davon irgendwo hat, und das ist eine Art, nicht blindes Pflichtbewusstsein, sondern ich will aktiv versuchen, im Rahmen der Zeit, die ich habe, es bestmöglich zu machen. Ich sehe es nicht als Pflicht, sondern ich sehe das eher als Wunsch, das zu tun.“ (TECH2)

Durch seine Erfahrungen in der Industrie rahmt er sein Verhältnis zur Universität ähnlich wie das eines loyalen Angestellten, der sich „bestmöglich“ und „aktiv“ im Sinne der Unternehmensziele in den Arbeitsprozess einbringen möchte. Er ist, im Weltbild des „New Public Management“ (NPM), derjenige Agent, den man gerne hätte, aber nur selten vorfindet. Wären alle so, bedürfte es keines NPM.

Was lässt den Nachrichtentechniker darüber hinaus aber zu einem Profiteur werden? Eine Rolle spielt seine frühere Tätigkeit in Wirtschaftsunternehmen, da er die Universität schon aufgrund des Vergleichs mit den Bedingungen in der Industrie als Handlungsfeld wahrnimmt, von dem er bei seiner wissenschaftlichen Arbeit profitieren kann. In den Forschungsabteilungen sei er trotz leitender Position immer abhängig von den marktstrategischen Entscheidungen der Unternehmensführung geblieben und habe erlebt, dass bereits „aufgesetzt[e]“ Projekte wieder „von oben“ gestoppt wurden. Demgegenüber verfüge er als Professor über eine größere Autonomie und Planungssicherheit, ohne den für ihn wichtigen Anwendungsbezug zu verlieren. Auch die seitens der Universitätsleitung forcierte Verbundforschung und Profilbildung stellt für den Nachrichtentechniker eine positive „Herausforderung“ dar, die sich für ihn mit einem inhaltlich bestimmten ‚Pay Off‘ verbindet. Durch den neu etablierten Wissenschaftsschwerpunkt werde man „angeschoben“, sich mit KollegInnen anderer Fachgebiete zusammenzusetzen, was er „extrem gut“ finde. Auf diese Weise lerne man „die andere Welt besser kennen“ und könne Schnittmengen für „gemeinsame Kooperationsprojekte evaluieren“, die andernfalls nicht zustande gekommen wären:

„Natürlich ist mir das bewusst: Die Elektrotechnik ist so eine Art Basistechnologie, die viele Anwendungen anfeuert. Industrie oder auch Robotik oder auch, wenn Sie sich mit Kognitionswissenschaftlern unterhalten, die brauchen unsere Systeme, damit sie diese Dinge tun können, die sie tun. Das heißt, wir dienen auch als, ich will nicht sagen Zulieferer, das wäre mir jetzt wieder zu negativ, aber als jemand, der vielleicht seine Innovation auch einbringen kann, um die Dinge dort voranzubringen. Und das ist etwas, was ich zu einer Profilbildung beitragen kann und auch will.“

Anders als der Hochfrequenztechniker nimmt er im Kontext des Forschungsschwerpunktes zwar keine exponierte Position mit einem vergleichbaren sozialen und symbolischen Kapital ein. Die Äußerung zeigt aber, dass der Nachrichtentechniker es für sich als „große[n] Mehrwert“ wahrnimmt, den eigenen fachlichen Nutzen für andere Disziplinen einschätzen und innerhalb des universitären Rahmens einen innovativen Beitrag leisten zu können.

Eine Ambivalenz zeigt sich bei ihm einzig in Bezug auf die hohe organisationale Wertschätzung von SFBs, deren Laufzeit nur bedingt zu seiner an der Beschleunigung der Informations- und Kommunikationstechnik orientierten Forschungsarbeit passe: In „zwölf Jahren“ habe „die Industrie den neuen Standard schon zweimal draußen“, sodass er mit seinem Team eher „mit vielen kleinen DFG-Projekten agieren“ müsse. Der Nachrichtentechniker lehnt damit zwar das organisationale Leistungskriterium SFB nicht ab, wünscht sich an dieser Stelle aber eine „differenziertere Sichtweise“ und Anerkennung seitens der Universitätsleitung. Abgesehen von diesem Punkt überwiegt bei ihm eine deutliche Parallelisierung eigener und organisationaler Interessen, zumal er den Rektor wie auch den Kanzler seiner Universität als Akteure wahrnimmt, die sich aktiv engagierten, um die Forschungsbedingungen vor Ort – auch die Dienstleistungsqualität der Verwaltung – weiter zu verbessern und damit wettbewerbsfähiger zu gestalten.

Dass die lokalen Forschungsbedingungen ein wichtiger Aspekt der Reformerfahrungen sind, zeigt sich auch am Beispiel eines Zellbiologen, der sich gerade in dieser Hinsicht als Profiteur sieht. Anders als der Nachrichtentechniker geht er nicht von dem Vergleich mit der Industrie, sondern von Unterschieden zwischen den Universitäten aus. Da er derzeit in einem „reiche[n] Bundesland“ tätig und an seiner Universität „der Stellenwert“ der Lebenswissenschaften „riesengroß“ sei, verfüge er über eine weit bessere Ausstattung als an früheren Standorten:

„Bei mir persönlich bleibt da nicht so viel hängen. ((lacht)) Ich bin aber ein Teil des Ganzen und profitiere natürlich schon davon, dass wir hier diese neuen Räumlichkeiten haben, und von der Ausstattung und so was […].“ (BIO11)

Der Zellbiologe erwähnt zwar, dass er kaum individuelle Vorteile aus Instrumenten wie Leistungszulagen oder der LOM ziehen könne. Dies ist für ihn aber insofern nachrangig, als er von einer Infrastruktur profitiert, die für seine Forschungsarbeit per se wichtig ist und derzeit noch an Bedeutung gewinnt. Denn nachdem er einige Jahre – unter anderem als Studiendekan – „seinen Dienst“ für die Fakultät geleistet habe, möchte er sich nun wieder mehr auf seine Forschung und wissenschaftliche Reputation konzentrieren. Auch weil er „ein bisschen älter“ sei, sich also in einer fortgeschrittenen Karrierephase befinde, verfolge er jetzt verstärkt das Ziel, sich „auch deutschlandweit“ durch eine Forschungsgruppe oder einen SFB zu „positionieren“. Dahin gehend passt die organisationale „Erwartungshaltung“, sich vor allem in der Forschung und möglichst über Verbundformate zu profilieren. Mehr noch, der Zellbiologe sieht sich explizit „sehr professionell“ durch entsprechende administrative Stellen und die Universitätsleitung unterstützt:

„Das ist jetzt nicht mehr so, dass jeder da an seinem Ding alleine sitzt und dann versucht, einen guten Antrag auszubrüten. Sondern gerade für die großen Verbundanträge ist eine sehr gute Unterstützung da. […] Also Leute, die sich um nichts anderes kümmern als um BMBF-Anträge oder EU-Anträge und die auch wirklich [Bescheid] wissen.“

Während er früher eine Administration erlebt habe, bei der man „als Professor zu Kreuze kriechen“ musste, könne er nun von einer Verwaltung profitieren, die sich nicht mehr als „gewerkschaftlich organisierter Selbstzweck“ begreife. Dass die Universität vor allem „strategisch“ zugunsten ihrer Wettbewerbsposition agiere, ist für ihn angesichts des wechselseitigen Nutzens kein kritikwürdiger Punkt. Zumal er nach wie vor „sein eigener Herr“ sein könne, der sich trotz eines starken Präsidiums nicht „verbiegen“ müsse. Obgleich es einen „Druck von außen“ durchaus gebe, da man „natürlich […] Drittmittel einwerben [müsse]“, verfüge er bei seiner Tätigkeit über hinreichende Freiräume.

Bei der Wahl seiner Projekte und Beteiligungen an Verbundforschung sei es ihm weiterhin möglich, die „Gratwanderung“ zwischen fachlichem Interesse und Erfolgsdruck in seinem Sinne zu bestreiten. Auch der Zellbiologe betont die inhaltlich bestimmten Vorteile von Forschungsgruppen oder SFBs. So erhöhe sich in solchen Formaten die Chance, gemeinsam „etwas Allgemeingültiges auf die Beine zu stellen“ – zu einer bleibenden Antwort auf eine bestimmte Forschungsfrage zu gelangen:

„Im Idealfall kommt sie in so ein Lehrbuch rein, oder, wenn man so ein Kapitelchen im Lehrbuch hat, das ist schon mal was, wo man das Gefühl hat: ‚Dafür leben wir‘, ((lacht)) dass da was bleibt. Das ist, glaube ich, die Triebkraft bei dem Ganzen.“

Darüber hinaus spricht er den möglichen Profit an, sich durch ein Fellowship ganz von seinen universitären Verpflichtungen „befreien“ zu können. Dauerhaft möchte er zwar für sich keine „Trennung von Lehre und Forschung“. Eine „Auszeit für ein halbes Jahr“ sähe er hingegen als einen Vorteil, um den er sich zukünftig bemühen wolle. Während der Nachrichtentechniker seine Motivation vor allem darin sieht, einen Beitrag für ‚seine‘ Universität zu leisten, orientiert sich der Zellbiologe in seiner aktuellen Karrierephase stärker an seinem eigenen „Fortkommen“, zu dem auch größere zeitliche Freiräume für die Forschungsarbeit gehörten. Mit der partiellen Befreiung von der Lehre thematisiert er einen wichtigen immateriellen Vorteil, von dem ProfessorInnen profitieren können, die viele Drittmittel einwerben oder sich an Verbundformaten beteiligen.

In den Naturwissenschaften lässt sich die zeitliche Belastung durch die Lehre häufiger durch das Delegieren von Aufgaben – etwa die Durchführung von Laborpraktika – an die DoktorandInnen oder AssistentInnen reduzieren. Gerade im Falle eines hohen Drittmittelaufkommens und entsprechend vieler Mitarbeitender sind ProfessorInnen in der Lage, im Sinne von LehrstuhlmanagerInnen zu agieren und sich selbst auf Aufgaben zu konzentrieren, die weitere Antrags- und Forschungserfolge befördern. So resümiert ein anderer Zellbiologe etwa, „die Lehre auf viele, auf mehr Schultern verteilen“ zu können und dadurch Zeit „für Forschung, für Drittmitteleinwerbung und so weiter“, aber auch für die Übernahme besonders sichtbarer prestigeträchtiger Ämter, „wie Präsident von einer Society“, zu gewinnen, die im Gegenzug „sehr gut […] für den Standort, für die Gruppe, für die Forschung“ seien (BIO10). In diesem Sinne deutet dieser Zellbiologe die Forschungsleistungen auch als eine Art normative Verpflichtung seiner KollegInnen. Er äußert sich zwar durchaus positiv über ProfessorInnen seiner Fakultät, die sich stark für ihre Studierenden engagierten. In ihrer Rolle als Lehrende würde er für sie ganz klar seine „Hand ins Feuer legen“. Zugleich zeigt sich der Zellbiologe aber darüber „enttäuscht“, dass einige jener ProfessorInnen „keine Drittmittel“ hätten. Da die Forschungsleistungen sowohl für das Renommee als auch die Höhe der leistungsorientierten Mittel des „Standortes“ entscheidender seien, erwartet er von den betreffenden KollegInnen letztlich eine Anpassung. Auch in anderen Disziplinen wie dem Strafrecht oder der Germanistik spielen Freistellungen oder Lehrdeputatsreduktionen, die für ein besonderes Engagement in der Drittmittelforschung gewährt werden, eine wichtige Rolle. Zu den Profiteuren einer solchen Befreiung von der Lehre zählt ein Strafrechtsprofessor, der an einem internationalen Kooperationsprojekt beteiligt ist. Da es sich um eine „Riesensache“ handele, die seine Präsenz an verschiedenen Standorten erfordere, sei er „für zwei Semester freigestellt“ worden (JUR5). Ohne einen „Vertreter“, der die Lehre für ihn übernehme, könne Drittmittelforschung in diesem Umfang nicht funktionieren:

„Mein Tag hat auch nur 24 Stunden. Ich kann den nicht verdoppeln. […] Man braucht eine Fakultät, die das auch mitträgt, die eine gewisse Akzeptanz mitbringt, dass diese Art von Forschung durch andere Dinge, im zeitlichen Rahmen, kompensiert wird, und das hab ich, glaube ich. […] Das muss ja alles kommuniziert werden und das muss auch jeder mitmachen, und da habe ich keine Probleme gesehen.“

Die letzte Äußerung zeigt zugleich, dass eine solche Befreiung von der Lehre ebenso im Kontext der jeweiligen Fakultät gesehen werden muss und das Verhältnis zwischen den KollegInnen mitbetrifft. Der Strafrechtler markiert explizit, auch von einer „gewisse[n] Akzeptanz“ und der kollegialen Bereitschaft zu profitieren, während seiner Abwesenheit Aufgaben zu übernehmen, die über die Lehre hinausgehen. Wie sich noch zeigen wird, können die betreffenden ProfessorInnen dies durchaus als Degradierung ihrer Personen zu „Locals“ (Merton 1949; Gouldner 1957) wahrnehmen, die wenig Anerkennung findende Mehrarbeit leisten. Für den Strafrechtler verbinden sich insofern mehrere Vorteile: Die Möglichkeit, so „umfangreich wie noch nie“ seinen Forschungsinteressen nachgehen zu können, und die Reputation eines „Cosmopolitan“, der einen besonderen Beitrag für die Außenwirkung der Universität leistet.

Wenn man allerdings seine Deutungen der universitären Leistungskriterien und -bewertungen näher betrachtet, handelt es sich bei dem Strafrechtler letztlich um einen ambivalenten Profiteur, da seine Kritik vergleichsweise weit reicht. Ein wesentlicher Grund hierfür ist seine fachliche Verortung. Denn obgleich er sich mit seinem groß angelegten Drittmittelprojekt von vielen seiner KollegInnen unterscheidet, die sich stärker als Individualforschende verstehen, sieht auch er deutliche Grenzen der Übertragbarkeit quantifizierender Leistungskriterien auf seine Disziplin. So hält er neben bestimmten Promotionsquoten auch die Zahl der Publikationen für ein „ganz gefährliches Instrument“ der Leistungsbewertung, weil dieses dazu führen könne,

„dass Sie in low class Journals irgendwelche Kurzbeiträge auf niedrigstem Niveau im Akkord rausschießen. Dann haben Sie 200 Publikationen, und das soll dann Qualität sein. Das halte ich für völlig fatal. Man kann eben eine Idee in einer Wissenschaft wie der unseren schlecht messen. Das ist eben nicht wie in der Mathematik, dass Sie irgendwas noch beweisen können. Das ist schwierig bei uns.“

Der Strafrechtler verteidigt insofern auch von ihm geteilte Qualitätsmaßstäbe gegenüber der universitären Tendenz, „alle Fächer über einen Kamm zu scheren“. Mit Instrumenten wie der LOM würden zudem nicht nur disziplinäre Unterschiede, sondern ebenso Differenzen zwischen den ProfessorInnen desselben Faches zu wenig berücksichtigt: Es „müsse“ neben projektaffinen WissenschaftlerInnen wie ihm „auch solche geben, die allein am Schreibtisch sitzen und forschen“.

Damit drückt er einerseits eine grundsätzliche Akzeptanz unterschiedlicher Forschertypen aus. Zugleich sieht der Strafrechtler durch die LOM-Kriterien aber auch drohende Nachteile für seine eigene Ausstattung. So werde er, so seine Prognose, demnächst „das erste Mal spüren“, Teil eines Fachbereiches zu sein, der den forcierten Leistungskriterien nicht im selben Maße wie andere – etwa naturwissenschaftliche Abteilungen – entspreche:

„[N]icht in meinem persönlichen Gehalt, sondern an dem, was hier reinfließt, […] dass es weniger wird, und das kann man nur auffangen, indem man, weil die Universität die Grundversorgung nicht mehr sichern kann, Projekte macht. Was schlecht, aber eben so ist.“

Das letzte Beispiel spiegelt somit auch die Bedeutung der Disziplin für den Typus der ProfiteurInnen wider. Eine stärker leistungsabhängige Mittelzuweisung ist für Natur- und Ingenieurwissenschaftler unproblematischer, da die Drittmittelstärke eine größere Unabhängigkeit von der Ausgestaltung der LOM ermöglicht. Zudem zeigt sich in diesen Disziplinen eine größere Passung der Leistungskriterien. Während sich der Strafrechtler möglicherweise im weiteren zeitlichen Verlauf zu einem partiell Wehrhaften – um nicht Reformopfer zu werden – hin entwickeln könnte, ist bei den übrigen ProfiteurInnen keine solche Entwicklung zu vermuten. Wahrscheinlicher wäre ein Übergang in Richtung der SympathisantInnen, wenn etwa ein Rückzug aus dem Engagement ‚in erster Reihe‘ erfolgt und die Betroffenheit durch Leistungsbewertungen geringer wird.

Anhand der Profiteure lässt sich schließlich der starke Fokus auf die Forschungsleistungen aufzeigen, der nach wie vor bestimmend ist, während die Bewertung der Lehrleistungen als weniger folgenreich erachtet wird. Im Gegenzug bedeutet dies, dass ProfessorInnen, die etwa keine forcierte Einwerbung von Drittmitteln betreiben, dies nicht über Leistungsbewertungen in der Lehre kompensieren können. Das spiegelt sich auch darin wider, dass Profiteure die geringere Wirkung von Anreizen in der Lehre thematisieren: Es ‚lohne‘ sich nicht, für vergleichsweise wenig Geld an entsprechenden Ausschreibungen teilzunehmen, zumal die Universität ohnehin davon ausgehe, dass „die Lehre hochqualitativ geleistet“ werde und das Augenmerk „insofern“ schon eher auf der Forschung liege, wie einer der Zellbiologen anmerkt (BIO11).

Zu dieser Einschätzung, die nicht nur von den ProfiteurInnen geteilt wird, tragen auch von Universitätsleitungen oder DekanInnen geäußerte Erwartungen, etwa im Kontext der „Exzellenzinitiative“, bei. So berichtet ein Literaturwissenschaftler:

„Wir haben gerade einen Brief des Präsidenten bekommen, dass wir doch bitte unsere Pläne für größere Forschungsprojekte bis Januar einreichen sollen, und der Dekan hat gleich gesagt: ‚Größer heißt also größer als SFB‘. Also sprich: Cluster.“ (LIT8)

Die wahrgenommene Botschaft lautet somit: Entscheidend für ein gutes Standing ist vor allem die Initiierung größerer, für die universitäre Wettbewerbsposition wichtiger Forschungsverbünde. Hinzu kommt, dass eine Entlastung von der Lehre – etwa durch Deputatsreduktionen – in erster Linie ProfessorInnen gewährt wird, die dieser Definition ‚guter‘ Forschung entsprechen. Aus Sicht vieler ProfessorInnen findet ‚gute‘ Lehre hingegen keine vergleichbare Anerkennung. Das eigene Engagement in der Lehre stoße nur dann auf Interesse, wenn man als Professor oder Professorin eine exponierte Position – etwa in „Bologna“-Kommissionen oder bestimmten Programmen – einnehme. So äußert eine Strafrechtlerin, dass sie von der Hochschulleitung erst als Lehrende wahrgenommen wurde, als sie sich in einem Mentoringprogramm für weibliche Studierende engagiert habe und insofern die „Frauenschiene“ (JUR11) bediente. Darüber hinaus stünden jedoch die drittmittelstarken „Leuchttürme“ im Fokus.

Dies zeigt auch der nun anschließende Typus des Reformopfers. Inwieweit die sich abzeichnende Diskrepanz die Integration von Forschung und Lehre beeinflusst und eine zunehmende Separation bzw. Hierarchisierung von ‚Forschenden‘ und ‚Lehrenden‘ erzeugt, wird anhand der weiteren Typen noch öfter zur Sprache kommen.

5.2.2 Reformopfer

Den Typ des Reformopfers haben wir zu Beginn darüber bestimmt, dass zu einer grundsätzlichen Kritik an den Reformprozessen und Leistungsbewertungen eine Betroffenheit hinzukommt, der sich die ProfessorInnen ausgeliefert fühlen. Das Datenmaterial zeigt allerdings, dass eine umfänglich erlebte Krisenhaftigkeit universitärer Wandlungsprozesse, wie sie in entsprechenden Medienbeiträgen von professoralen ReformkritikerInnen nahegelegt wird, in den Interviews kaum zu finden ist. Dies liegt schon darin begründet, dass in erster Linie die Leistungsbewertungen in der Forschung als Ausdruck einer Ökonomisierung oder Entwertung des eigenen Forschungsethos wahrgenommen werden, während Evaluationen in der Lehre nicht eine solche negative Rolle spielen. Hinzu kommt, dass ProfessorInnen weiterhin über eine vergleichsweise hohe Autonomie verfügen und sich darüber auch bewusst sind. Es war daher erwartbar, dass wir kaum auf Fälle mit einem stark ausgeprägten Opferstatus stoßen würden.

Ankerfall: „Meistens bin ich abgeschmettert worden“

Gleichwohl lässt sich insbesondere anhand des Fallbeispiels einer Juraprofessorin nachzeichnen, wie universitäre Leistungsbewertungen zu einer dilemmatischen Situation führen können, in der sich Anpassungsdruck und innere Abwehr gegenüber den Bewertungskriterien in krisenhafter Weise überlagern. Hierbei spielen die Karrierestufe wie auch die wissenschaftliche Motivation der Juristin eine wichtige Rolle. Diese hat erst seit wenigen Jahren eine W2-Professur an ihrer aktuellen Universität inne und folgte bisher weitgehend dem Motiv, sich als Individualforscherin an komplexen und neuen „theoretischen Fragestellungen“ zu bewähren:

„Wenn ich dann drinnen bin und verbissen bin in mein Thema, macht es mir großen Spaß. Weil man jetzt so wahnsinnig an einer Frage klemmt, die man lösen will. Die bezieht sich schon auf die Community, […] letzten Endes will ich damit Wertschätzung und Achtung erreichen. Das ist das Ziel im Hintergrund. Aber in dem Moment brennt man wirklich für etwas.“ (JUR3)

Sie folgt damit einer Orientierung, die Hildegard Matthies (2015), wie bereits in Kap. 3 erwähnt, als Typus der „Karriere durch Selbstentfaltung“ beschreibt. Im Zentrum stehen hierbei das eigene Interesse und die Ausrichtung an der Bewertung durch die Scientific Community. Das entsprechende Wissenschaftsbild ist geprägt durch die „Bewahrung“ der „Normen und Standards der wissenschaftlichen Profession“ (Matthies 2015, S. 195) gegenüber externen Kriterien oder Erwartungen. Dass dieser Selbstanspruch durch die neuen Karriereanforderungen zunehmend unter Druck gerät, bestätigt sich bei der Juraprofessorin in für sie folgenreicher Weise.

Dabei kann zunächst gesagt werden, dass sie es als durchaus positiv einstuft, in ihren Lehrleistungen bewertet zu werden. Bei den Evaluationen durch die Studierenden handelt es sich für sie um ein Kommunikationsmedium, das ihr die Perspektive der „Target Group“ (JUR3) näherbringe, und nicht um ein Instrument, mit dem sie seitens der Organisation kontrolliert werde. Ganz im Gegensatz hierzu nimmt die Juristin ihre Betroffenheit von organisationalen Bewertungen in der Forschung wahr, durch die sie sich – insbesondere durch das Leistungskriterium eingeworbener Drittmittel – unter einem krisenhaften Erwartungs- und Anpassungsdruck sieht. Entscheidend sind für sie in diesem Kontext vor allem die „Nachverhandlungen“ über ihre Ausstattungsmittel, die bald im Rahmen des sogenannten Dreijahresgespräches mit der Hochschulleitung „anstehen“ würden. Sie rahmt dieses Gespräch als eine rein negativ bestimmte Situation der Bewährung, denn sie ist sich „ganz sicher“, dass ihr „Mitarbeiter genommen werden“ – dass man sie also seitens der Organisation für ihre bisherigen, als unzureichend eingestuften Forschungsleistungen bestrafen wird.

Diese Einschätzung begründet die Juristin nicht nur mit ihren aktuellen Erfahrungen als W-Professorin. Vielmehr habe sie bereits als wissenschaftliche Mitarbeiterin an verschiedenen Universitäten gesehen, wie WissenschaftlerInnen in immer größere Abhängigkeit von Drittmitteln gerieten und diejenigen, die sich diesem „Prozess zu entziehen“ versuchten, letztlich zu den „Schlechtausgestatteten“ gehörten:

„Es war dort genauso schlimm. Wobei es da nicht um die eigene Ausstattung ging. Ich hatte dort keine Ausstattung. Aber das war auch schon beobachtbar. Und wenn ich jetzt nach [Stadt] zurückschaue, ist das immer schlimmer geworden.“

Die Juristin macht insofern deutlich, dass sie ihre derzeitige Universität hinsichtlich des Drittmitteldrucks nicht als besonders negatives Beispiel wahrnimmt. Es geht nun aber um ihre eigene Ausstattung, die sie durch den generell zu beobachtenden „Abbau“ bedroht sieht. Dabei habe sie zweifellos „viel publiziert“, worin sie neben der Lehre ihre „normale“ Arbeit sehe:

„Ich meine, ich habe da gesessen, habe meine Arbeitszeit dazu verwendet, etwas zu schreiben. Dafür werde ich, habe ich den Eindruck, bezahlt. Das heißt, ich kann etwas vorlegen, das ich gemacht habe: Lehre und Forschung. Was ich nicht gemacht habe, ist Gelder an Land zu ziehen für diese Forschung, weil ich sie einfach gemacht habe. Ich habe keine Anträge daraus gemacht, ich habe die Forschung gemacht.“

Die Juristin behauptet ihr Leistungsethos – sie habe die Forschung schließlich einfach „gemacht“, anstatt Gelder einzuwerben und langwierige Anträge zu schreiben. Dies ändert aber nichts an ihrer Einschätzung, bald selbst zu den Opfern einer alternativen Bewertungslogik zu gehören, die Kürzungen in Kauf zu nehmen haben. Neben der formalen Bedeutung von Drittmitteln nennt sie in diesem Kontext die geringe informelle Unterstützung, die sie bisher durch KollegInnen und den Dekan erfahren habe:

„Wann immer ich Mittelwünsche hatte: Meistens bin ich abgeschmettert worden. Das ist in dieser Hierarchie Dekanat Rektorat sehr schwierig. Weil man immer eine Evaluation oder eine Fürsprache durch den Dekan braucht, wenn man einen Ausstattungswunsch hat.“

Auch wenn die Professorin hier ihre eigene Situation beschreibt, bringt sie Aspekte zur Sprache, die generell für die Betrachtung der subjektiven Betroffenheit und Verarbeitung von Leistungsbewertungen wichtig sind. Ihre Äußerung verweist darauf, dass neben formalisierten Rechenschaftspflichten und Bewertungsinstrumenten ebenso die informelle Ebene eine wichtige Rolle spielt. Für die Juristin ergibt sich eine negative Überlagerung beider Ebenen: Weder entsprechen ihre Forschungsleistungen dem Kriterium der Drittmitteleinwerbung noch verfügt sie als Professorin über ein gewachsenes Standing oder einen Fürsprecher am Fachbereich, durch den sie sich gegenüber der Universitätsleitung gestärkt fühlen könnte. Die Erfahrungen der Professorin stehen damit in einem krassen Kontrast zu denen der Profiteure (Abschn. 5.2.1): Nicht Identitätsbestätigung, sondern eine massive Infragestellung ihrer Vorstellungen ‚guter‘ Arbeit dominiert die Situation der Juristin an ihrer Universität.

Bevor ihr Umgang mit dieser spannungsreichen Situation in den Blick genommen wird, sollen ihre Deutungen universitärer Leistungsbewertungen etwas genauer betrachtet werden. Die Strafrechtsprofessorin deutet Leistungskriterien wie Drittmittel nicht nur als Widerspruch zu ihrem eigenen Forschungsethos, sondern in einem weiteren Sinne als Gefährdung der Unabhängigkeit von WissenschaftlerInnen gegenüber externen Interessen der Vereinnahmung:

„Es wird zunehmend auf Drittmittel, also auf außeruniversitäre Mittel verwiesen. Das wird als leistungsstark bezeichnet, hat aber mit Leistungsstärke nichts zu tun! Die Drittmittelstärke ist nicht das gleiche wie Leistungsstärke. Weil, die Drittmittelstärke besteht ja darin, ob ich sozusagen den Geschmack eines Drittmittelgebers ansprechen kann. Das hat mit Leistung einfach gar nichts zu tun! Und dass man die Forscher jetzt auf diese Mittel verweist, damit sie überhaupt noch einen normalen Stand an Mitarbeitern bekommen, ist eigentlich eine armselige Sache. Weil sie damit in eine Gefälligkeit getrieben werden und ihnen die Unabhängigkeit sukzessive genommen wird.“

Sie kommt vielfach auf die Unabhängigkeit der Forschung zu sprechen, die aus ihrer Sicht bereits in größerem Maße erodiert. Durch die Verlagerung der Finanzierung auf externe Geldgeber gehe die eigentlich zentrale „Aufgabe der Universität“ verloren, „gesellschaftsgestaltend zu sein und nicht sozusagen den Trend der Gesellschaft mitzumachen“. Universitäten sollten sich nicht nur von wirtschaftlichen Verwertungsinteressen, sondern ebenfalls von einem über gesellschaftliche Diskurse vermittelten „Mainstream“ abgrenzen. Insofern sei auch die zunehmende Abhängigkeit von einer Förderung durch die DFG kritikwürdig, da diese sich letztlich „nach Trends“ richte und, zugespitzt, einer „Modeveranstaltung“ ähnele.

Ihre starke Abwehr entsprechender Leistungsbewertungen zielt somit weniger darauf ab, die professorale Autonomie gegenüber jedweden Rechenschaftspflichten oder organisationalen Kontrollansprüchen zu behaupten. Das eigentliche Problem für die Juristin ist, dass die Universitätsleitungen Kriterien wie die Drittmittelhöhe „scheinheilig“ als „leistungsstark verkauft[en]“, obwohl sie damit eine problematische – unwissenschaftliche – Zweck-Mittel-Verkehrung bei den betroffenen ProfessorInnen forcierten.

Auch die Bewertung anhand von Zitationszahlen sieht sie in diesem Kontext kritisch. Da diese nur etwas darüber aussagten, „wie sehr“ die jeweilige zitierte Person „im Mainstream verankert“ sei, setze sich ein „ungünstiger Trend“ in der Leistungsbewertung fort. Solche Leistungskriterien beförderten in ihrer Disziplin „wolkige Aufsätze“, denen eine klare und nachvollziehbare Argumentation fehle:

„Ich meine jetzt niemanden konkret, aber dass das eher sogar gefördert wird. Weil es auch niemandem weh tut, keine Aussage nachher zu machen, sondern zu zeigen: ‚Ich habe das gelesen, ich habe Kant gelesen, ich habe dies und das. Da steht das alles da‘ und man sagt: ‚Und was will er jetzt sagen?‘ Das geht mir ganz oft so. Und was ist jetzt sozusagen die Conclusio? Was ist der Vorschlag? Was ist sozusagen die Ausbeute in der Auslegung? Null!“

Die Juristin setzt den quantifizierenden Bewertungen der Forschungsleistungen damit alternative Qualitätsmaßstäbe entgegen, wobei sie insbesondere die Fähigkeit zu eigenständigen kritischen Ansätzen und Positionen hervorhebt. In diesem Zusammenhang widerspricht sie auch nochmals der Gleichsetzung von Drittmittel- und Leistungsstärke: „Leisten tu[e] vielleicht“ gerade „derjenige, der genau abgewiesen [werde], weil er Projekte mach[e], die außerhalb der gesellschaftlichen Gefälligkeit“ stünden.

Die Leistungsbewertungen im Bereich der Lehre deutet die Juristin hingegen weit positiver. Anders als in der Forschung, in der ProfessorInnen durch ihre Scientific Community bereits über eigene „gute“ Qualitätsmaßstäbe verfügten, sieht sie hier einen Bedarf an Evaluierung und Professionalisierung. Es handele sich bei der Lehre um einen fragilen „kommunikative[n] Prozess“, der nie „hundertprozentig funktioniere“. Hinzu komme, dass ProfessorInnen als Lehrende Quasi-Laien seien:

„Da ist auf jeden Fall noch Bedarf da. Ich habe ja nie unterrichten gelernt […] und deswegen funktioniert Hochschullehre wahrscheinlich insgesamt nicht besonders gut, weil niemand wirklich ausgebildet ist. Es gibt ein paar sehr begabte Leute, die einfach eine didaktische Begabung haben, aber ausgebildet ist keiner von uns. Und ich finde, das merkt man.“

Da man bestenfalls von einer naturwüchsigen Begabung, nicht aber von einer professionalisierten Ausbildung und entsprechenden Kompetenzen in der Wissensvermittlung ausgehen könne, seien neue Instrumente der Qualitätssicherung wichtig. Bei den Ergebnissen der Evaluationen handele es sich zwar immer nur um „eine Annäherung“, da die Studierenden aufgrund ihres Notendrucks tendenziell jene ProfessorInnen positiv bewerteten, bei denen „es am leichtesten durch die Prüfung“ gehe. Ungeachtet dessen sei dieses Instrument aufgrund des wechselseitigen Verhältnisses zwischen Lehrenden und Lernenden alternativlos:

„Wer anders soll es denn machen als die Studierenden? Und wer anders soll denn dann darauf reagieren als der Lehrende? Es ist immer nur eine Annäherung, aber es muss unter Einbindung derjenigen sein, die lernen. Es kann nur so funktionieren.“

Die studentische Bewertung wird von ihr insofern weder abgewehrt noch deklassiert, sondern als Basis für eine Verbesserung der Lehre gesehen. Auch didaktische Weiterbildungsangebote betrachtet die Juristin als positiven Ansatz:

„Es gibt sicher ganz dumme Veranstaltungen. Aber als Idee, Didaktikunterricht an Hochschullehrer, finde ich das phantastisch. […] Wir lernen niemals zu unterrichten. Die Voraussetzung ist, das Fach gut zu beherrschen, und es wird niemals jemand ein guter Lehrer, der das Fach nicht gut beherrscht. Aber man hat eine Gruppe, die geeignet wäre für didaktische Fortbildung. Und die kann man durchaus ansprechen.“

Aus ihrer Sicht bedeuten solche Veranstaltungen, bei denen ProfessorInnen in die Rolle von Lernenden versetzt werden, keine Degradierung. Durch die Professionalisierung qua Weiterbildungen würden diese letztlich in ihrer Rolle als Lehrende gestärkt, ohne dass damit ihre wissenschaftlichen Qualitäten in den Hintergrund rückten.

Die Leistungsbewertungen in der Lehre kann sich die Juristin auch praktisch in positiver Weise aneignen. Die Evaluationen seien für sie eine hilfreiche Unterstützung – ein „ganz wichtiges Feedback“, auf das sie keinesfalls „verzichten“ wolle. Sie bespreche die Ergebnisse mit den Studierenden, um ihnen die Wahl bestimmter didaktischer Methoden zu erklären, aber auch, um „motiviert von dem, was die Leute [ihr] gesagt haben“, die Strukturierung der Inhalte zu verändern:

„Ich weiß nicht, ob das bei den Studierenden angekommen ist, wie wichtig es ist, dass sie das tun. Gar nicht, um mich mit anderen Lehrpersonen zu vergleichen, sondern für meine Lehre. Wenn da steht: ‚Die Unterlagen sind konfus‘, muss ich mir meine Unterlagen neu anschauen.“

Die Äußerung zeigt, dass das Motiv einer möglichst guten Position im Leistungsvergleich mit KollegInnen für sie keine wichtige Rolle spielt. Die Strafrechtlerin kommt im Kontext der Lehre per se nicht auf organisationale Erwartungen an die ProfessorInnen zu sprechen, was einerseits die geringere Bedeutung der Lehre bei den Leistungsbewertungen bestätigt, andererseits aber auch zu dem stark ausgeprägten Lehrethos der Juristin passt. Ihr geht es um eine Nähe zu den Lernprozessen der Studierenden und um die Verbesserung ihrer eigenen Lehrkompetenz, eine „Übersetzung zwischen hochgestochener Jurasprache und laienhafter Sprache“ zu finden, ohne dabei „allzu viele wichtige Inhalte zu verlieren“. Dass diese Motive für sie leitend sind, zeigt sich auch anhand ihrer Mitarbeit an neuen Evaluationskonzepten im Rahmen der Studienkommission. Die Juristin begründet dieses zusätzliche Engagement mit dem Ziel, ein noch „besseres Kommunikationsverhältnis zwischen Lehrenden und Lernenden einzurichten“ und die Studierenden – etwa durch die Einführung eines Lehrpreises – dazu zu motivieren, „mehr zu evaluieren“.

Während sie sich hier insofern für eine Ausweitung von Bewertungsprozessen einsetzt, spiegelt sich in ihrem Umgang mit Leistungsbewertungen in der Forschung eine schwierige Ambivalenz von Selbstbehauptung und Anpassung wider. So grenzt sich die Juristin von dem Kriterium eingeworbener Drittmittel ab und betont ihren Anspruch, als Wissenschaftlerin unabhängig zu bleiben:

„Ich halte mich einfach nicht daran. […] Ich mag das einfach nicht mitspielen und das wird mir noch zur Last gelegt werden, denke ich mir. Ich bin am Anfang meiner professoralen Laufbahn. Ich mag damit einfach, ich mag nicht. […] Ich würde schon Anträge stellen, aber ich mag diese ganze Anpassungsgeschichte, die damit verbunden ist, nicht.“

Die Juristin wiederholt mehrfach, jegliche Anpassung ihrer Forschungsarbeit nicht zu mögen und aus diesem Grund nicht „mitspielen“ zu wollen. Gleichzeitig macht sie jedoch deutlich, dass dieser Anspruch in bestimmten berufsbiografischen Phasen besonders schwierig durchgehalten werden kann. Obschon sie mit der Berufung auf eine Professur eine entscheidende Hürde gemeistert hat, ist sie innerhalb der professoralen Hierarchie eine Anfängerin, von der gerade erwartet wird, sich im Sinne der forcierten Bewertungsmaßstäbe zu bewähren. Durch diese Betroffenheit sieht sich die Juristin zu konkreten Zugeständnissen gedrängt. So habe sie für ihr bereits erwähntes Dreijahresgespräch ein „Forschungs- und Lehrkonzept geschrieben“ und sich in diesem Kontext um „ein Kompromissangebot“ bemüht:

„Ich habe eine Liste dessen gemacht, was ich bearbeitet habe, eine Liste, was ich in Zukunft machen möchte und welche Ausstattungswünsche ich habe und woran ich festhalten will und was ich auch bereit bin, aufzugeben. […] Mal schauen, ob das durchgeht.“

Um generell unabhängiger von einer erfolgreichen Aushandlung ihrer Ausstattungsmittel und damit von der „Unileitung“ und dem Dekanat zu werden, plant die Professorin zudem einen konkreten Drittmittelantrag, den sie „über das nächste Jahr“ erarbeiten werde. Sie betont an dieser Stelle, dass es „kein Mainstream-Antrag“ sei und sie in inhaltlicher Hinsicht somit ihre Eigenständigkeit bewahre. Letztlich überwiegt aber ihre Frustration darüber, sich überhaupt der Antragslogik unterwerfen zu müssen und die Abhängigkeit von Universitätsleitung und Dekan im Grunde nur gegen die Abhängigkeit von Förderinstitutionen einzutauschen:

„Es ärgert mich, dass ich nicht, statt einen Antrag zu schreiben, einfach gut ausgestattet bin und das Projekt einfach machen kann. Jetzt werde ich dafür bezahlt, um Geld herein zu holen, damit solche Sachen gemacht werden. […] Ich verstehe das nicht. Was ist aus der Uni geworden? Das ist falsch, finde ich. Ich will es machen! Und dafür soll mich die Uni ausstatten. Ich brauche keine Ausstattungskönigin zu sein. Ich brauche keinen Hofstaat, überhaupt nicht. Ich brauche ein paar Leute, mit denen ich arbeiten kann. Wenige. Und das funktioniert zunehmend schlechter.“

Ihre Äußerung zeigt, dass selbst mit einem erfolgreichen Projektantrag für sie immer auch ein Scheitern verbunden wäre. Sich die Mittel für ihre Forschung „hereinholen“ zu müssen, bleibt für sie ein eigentlich inakzeptables Zugeständnis an die Ökonomisierung der Universitäten. Indem sie davon spricht, keineswegs einen „Hofstaat“, sondern nur „ein paar Leute“ zu benötigen, betont sie, sogar für elementare Forschungsbedingungen unter Handlungsdruck zu geraten und insofern kaum Alternativen zu haben. In ihrem Fall kommen also drei Identitätsbedrohungen zusammen: Die sachlichen Erfordernisse ihrer Arbeit werden von der Organisation missachtet; bei dem Bemühen, sich selbst um diese Erfordernisse zu kümmern, sieht sie sich inadäquaten Leistungskriterien ausgesetzt; und dieses Bemühen läuft als Dauerzustand auf eine Zweck-Mittel-Verkehrung hinaus.

Weitere Fälle

Mit dieser verschärften Ausprägung ihrer Situation ist die Rechtswissenschaftlerin eher singulär unter unseren Fällen. Anhand weiterer Fälle lässt sich jedoch zeigen, dass Leistungsbewertungen auch bei einem geringeren Ausstattungs- oder Anpassungsdruck in krisenhafter Weise wahrgenommen werden und man nicht von klaren Grenzen, sondern von Übergängen zwischen Betroffenheit und Nichtbetroffenheit sprechen kann. Auch auf einer höheren Karrierestufe oder bei einer gesicherten Anerkennung durch die Scientific Community bleibt man nicht immer von den neuen Formen der organisationalen Bewertung verschont.

Das Beispiel einer Literaturwissenschaftlerin, die ebenfalls noch am Anfang ihrer professoralen Karriere steht, verdeutlicht, dass auch eine Intransparenz der organisationalen Bewertungsordnung Grund dafür sein kann, sich dieser mehr oder weniger ausgeliefert zu fühlen. Die Stellschrauben für die Verbesserung der eigenen Position innerhalb des universitären Gefüges bleiben dann letztlich unklar.

Für die W2-Professorin scheinen sich zwar die neuen Maßnahmen und Instrumente der Qualitätssicherung in der Lehre besonders positiv auszuwirken, da sie für ihre Mentoringtätigkeit eine halbe Mitarbeiterstelle finanziert bekommt und insofern von ihrem Engagement profitiert. Allerdings betont auch sie im Weiteren vor allem ihre aus den Reformprozessen und Leistungsbewertungen resultierenden Nachteile. So stehe die erwähnte Form der Belohnung in keinem Verhältnis zu dem im Zeichen einer „Durchökonomisierung“ (LIT13) stattfindenden Abwärtstrend, durch den das wissenschaftliche Personal an Universitäten zunehmend prekarisiert werde. Hiervon besonders betroffen seien zwar jene WissenschaftlerInnen, die im Modus von „Halbjahres- bis Dreivierteljahres- bis Jahresverträgen“ beschäftigt und in einer Unsicherheit gehalten würden, die „nicht zu einem besseren Denken“ führe. Die Germanistin sieht sich jedoch auch selbst als W2-Professorin von materiellen wie auch sozialen und symbolischen Degradierungserfahrungen betroffen: So handele es sich im Vergleich zu den „alten Besoldungsbedingungen“ für C3-Professuren „finanziell“ um einen „immense[n] Rückschritt“. Zudem werde an ihrer Universität über mögliche „Aufschläge“ bei der Ausstattung nur „mit W3“, aber „eigentlich nicht mit W2 verhandelt“. Hinzu kommt für sie, dass selbst die Bewilligung der eher geringen Leistungszulagen in intransparenter Weise erfolge und sie und ihre KollegInnen die Gründe für oder gegen den Erfolg ihrer Anträge nicht nachvollziehen könnten:

„[I]n meiner ersten Bewerbung habe ich das [Leistungszulagen, Anm. der AutorInnen] nicht bekommen, obwohl ich sehr viel Hochschularbeit gemacht habe. Beim zweiten Mal habe ich es bekommen. Das dritte ((lacht)) steht noch an. […] Es haben Kollegen auch schon drei Jahre bekommen, und dann ist es ihnen wieder entzogen worden. Die Kriterien sind sehr undurchsichtig und es wird immer gesagt, es ist kein Geld da. Insofern habe ich den Eindruck, dass das eigentlich eine absolut intransparente Angelegenheit ist.“

Für die Literaturwissenschaftlerin verfestigt sich durch diese Erfahrungen der Eindruck, zu einer Art Spielball organisationaler Entscheidungsstrukturen zu werden. Abgesehen von ihrer grundsätzlichen Ablehnung des neuen Besoldungssystems erfülle es nicht einmal seinen selbstgesetzten Zweck, über klare Bewertungskriterien einen Leistungsanreiz zu bieten. Es sei zwar möglich, dass ihre Zulagen intern mit ihrer „besonders gute[n] Mentoringarbeit“ begründet wurden. Da es ihr gegenüber aber „nicht kommuniziert“ worden sei, bleibe letztlich unklar, „was den Ausschlag gegeben“ und ob die Hochschulleitung nicht vielleicht einfach „nach Gutdünken“ entschieden habe.

Eine „hierarchisch strukturiert[e]“ Governance spiegelt sich für die Germanistin zudem in der Vermittlung der organisationalen Zielvorstellungen für die Forschung wider:

„Also es gibt, sagen wir mal so, keine Gespräche der Hochschulleitung mit uns. Wenn, dann mit dem Forschungsdekan, der uns dann mitteilt, dass wir bis dato so und solche Projekte einreichen sollten für die nächste ‚Exzellenzinitiative‘. Es ist der Druck da, die eigene Fakultät gut da stehen zu lassen, weil wir halt dann kein Geld haben. Es geht ganz klar über eine Ökonomisierung und eine Etatisierung.“

Aus ihrer Sicht legt die Hochschulleitung damit hegemoniale Zielvorstellungen fest, ohne die WissenschaftlerInnen entsprechend einzubeziehen. Mit der Einwerbung von Drittmitteln werde zudem ein Leistungskriterium forciert, das im Grunde für „eine Verwechslung der Systeme“ von „Ökonomie und Wissenschaft“ und damit für ein „falsche[s] Register“ der Bewertung stehe. Die Universität sei aber in ihrem Eigeninteresse auf entsprechende Projekte oder Erfolge in der „Exzellenzinitiative“ „angewiesen“ und gebe diesen Druck an die Fakultäten weiter. Dort würden wiederum primär die „W3er“ angesprochen, während man als „W2“ höchstens „mit ins Boot“ genommen werde, sodass sich die Hierarchie zwischen W2- und W3-ProfessorInnen hier reproduziere.

Bei ihrem Umgang mit dieser Situation zeigt sich eine spannungsreiche Ambivalenz. Zunächst kommt die Germanistin auf die Freiheitsgrade zu sprechen, die sich mit der genannten Hierarchie verbinden ließen:

„Man kann sie als Freiheit begreifen, man kann aber auch, und das hat es auch bei Kollegen gegeben, sich jeden Tag beleidigen lassen. ((lacht)) Also das ist nicht mein Modell. […] Ich nehme es als Freiraum. Ich mache meine Projekte. Ich meine, ich bin gut vernetzt. […] Das ist ein Teil, dass der Druck nicht komplett auf mir lastet. Also ich komme damit ganz gut klar.“

Auch durch den Vergleich mit einigen ihrer KollegInnen betont die Germanistin in dieser Äußerung ihre eigene Distanzierung. Im Gegensatz zu ihnen eigne sie sich ihre Situation mehr als „Freiraum“ an. Sie „mache“ ihre kleineren Projekte, sei über gewachsene Kontakte zu FachkollegInnen an anderen Universitäten „gut vernetzt“ und insoweit bei ihrer Forschung unabhängig. Zugleich sieht sie sich aber durch die organisationale Bewertungsordnung mit konkreten Nachteilen konfrontiert, die vor allem ihre zeitliche Gewichtung von Forschung und Lehre betreffen. Da die Organisation „nur“ bestimmte „Forschungsleistungen oder Drittmittel“ anerkenne und belohne, sieht die Germanistin kaum die Möglichkeit, sich eine Auszeit von der Lehre und anderen universitären Verpflichtungen nehmen zu können. Durch „diese Center für Advanced Studies oder diese ganzen Fellowships“ seien die institutionellen Rahmenbedingungen zwar immer mehr vorhanden. Zu den ProfiteurInnen zählten jedoch entweder „sehr junge“ WissenschaftlerInnen oder eine „gewisse Elite“ unter den ProfessorInnen, „die auch sehr stark schon Drittmittel in allen Millionenhöhen akquiriert haben.“ Für das Gros der sich dazwischen befindenden ProfessorInnen gelte hingegen,

„dass das sozusagen für so einen Mittelbereich, also die, die einen guten Job machen und die eben, wie ich, sehr stark in der Verwaltung dann jahrelang und in diesen Sachen tätig waren, relativ schwierig zu erlangen ist.“

Die Literaturwissenschaftlerin betont hier die Wirkungsmacht der Hierarchie zwischen drittmittelstarker Elite und einem „Mittelbereich“, dem sie selbst angehört. Dass den drittmittelstarken KollegInnen auch dann keine Nachteile entstünden – es „passier[e] nix“ –, wenn sie sehr „schlechte Lehre mach[t]en“, verstärke die Differenz zwischen beiden Gruppen noch zusätzlich.

Für die Germanistin bedeutet dies, „während des Semesters überhaupt keine Zeit“ für die Forschung zu haben. Ihr beruflicher Alltag werde insgesamt durch eine Arbeitsbelastung bestimmt, die sie eigentlich – da sie nicht mehr wie „vor zehn Jahren“ Nächte durcharbeiten könne – begrenzen müsse. Ein Lösungsansatz könne nur darin bestehen, die eigenen Leistungsansprüche an die Lehre „runter[zu]schrauben“. Dies falle ihr schwer – „noch versuche“ sie, das von ihr angestrebte Niveau „zu halten“ und damit ihrem Lehrethos gerecht zu werden. Bei den politischen EntscheidungsträgerInnen oder ihrer Universität sieht sie auch längerfristig keinerlei Ansätze, den Fokus auf Drittmittelforschung und die damit einhergehende „Durchökonomisierung“ zurückzunehmen:

„Nein. Ich glaube, das System ist umgestellt, und das ist jetzt so. Also ich glaube nicht, dass sich das verbessern wird. Ich glaube sogar, auf die Dauer wird sich die Qualität verschlechtern.“

Statt von einer Verbesserung der Situation geht die Germanistin von einer weiteren Qualitätsverschlechterung aus, die sie hier vor allem auf die Forschung bezieht. Sie begründet dies ähnlich wie die Strafrechtlerin (JUR3): So werde ein „gewisses ungewöhnliches“ Denken „auf Abwegen“, das eigentlich Bedingung für „kreative[] Forschung“ sei, immer weiter marginalisiert (LIT13). Auch deshalb sei es mit Blick auf die „Zukunft der Universität [...] ein depressiver Befund“.

In ähnlich pessimistischer Weise betrachtet ein weiterer Literaturwissenschaftler die Folgen der Reformen für die Universitäten, dessen Fall sich hier abschließend ergänzen lässt. Der Professor, der seit mehr als zehn Jahren an seiner jetzigen Universität tätig ist und zuvor bereits eine andere Professur innehatte, muss seine Leistungsfähigkeit eigentlich nicht mehr beweisen. Sein Fall ist insofern interessant, als er verdeutlicht, dass auch etablierte ProfessorInnen ihre Identitätsansprüche durch die universitären Leistungsbewertungen herausgefordert sehen können, obgleich sie von diesen – etwa durch individuelle Zielvereinbarungen – nicht unmittelbar betroffen sind.

Auch für ihn drückt sich insbesondere in den organisationalen Maßstäben, die an die Forschungsleistungen angelegt werden, eine Verdrängung qualitativ-inhaltlicher durch ökonomisch geprägte Kriterien aus:

„Es ist, übertrieben gesagt, beinahe egal, was ein Wissenschaftler innerhalb des Feldes leistet, wie er oder sie angesehen ist oder sich hervortut durch wichtige Forschungsbeiträge oder sowas, solange das Geld stimmt. Das gilt leider auch im Umkehrschluss oft, dass jemand große Geldbeträge beschafft, wissenschaftlich aber unproduktiv ist und das macht gar nichts.“ (LIT1)

Aus seiner Sicht findet auf diesem Weg eine Entwertung der Beurteilung durch die Scientific Community und der dort verankerten Reputation von WissenschaftlerInnen statt. Entscheidend seien für die Organisation nicht „wichtige Forschungsbeiträge“, sondern „große Geldbeträge“ über die Einwerbung von Fördermitteln. Wie die Strafrechtlerin (JUR3) verwehrt sich der Literaturwissenschaftler gegen die Idee, von den Drittmitteln auf die Qualität von ProfessorInnen als WissenschaftlerInnen schließen zu können:

„Wenn jemand sehr viel Geld eingeworben hat, ist das sehr aussagekräftig im Hinblick auf Wissenschaftsmanagement und ökonomische Fähigkeiten, und das soll man nicht gering schätzen. Ich würde solche Leute sofort einstellen für entsprechende Stellen; aber es gibt in unseren Fächern keinen mir erkennbaren Zusammenhang zwischen eingeworbenen Drittmitteln und wissenschaftlicher Qualität. Einfach weil zu viel an individueller Leistungsfähigkeit hängt. Ich weiß selbst von Kollegen, die acht Jahre lang im Ruf eines Faulenzers standen, weil sie bei keiner Tagung erschienen, keine Aufsätze publizierten, sondern nur ihr tägliches Geschäft machten, aber nach acht Jahren ein Buch vorlegten, von dem man sagte: ‚Donnerwetter! Das hat acht Jahre wirklich gelohnt!‘“ (LIT1)

Er geht hier von unterschiedlichen Handlungslogiken aus, die er insofern auch verschiedenen beruflichen Feldern innerhalb des universitären Rahmens zuordnet: Auf der einen Seite steht der Wissenschaftsmanager, der aufgrund seiner Fähigkeiten das Profil entsprechender „Stellen“ auf organisationaler Ebene erfüllen kann. Auf der anderen Seite stehen die WissenschaftlerInnen, die ihrem Forschungsethos folgen. Der Literaturwissenschaftler legt zwar keinen grundsätzlichen Widerspruch zwischen der Einwerbung von Drittmitteln und der wissenschaftlichen Qualität zugrunde. Er hebt aber hervor, dass in den Geisteswissenschaften – „unseren Fächern“ – die „individuelle Leistungsfähigkeit“ entscheidender sei, die sich weder von außen steuern noch in eine quantifizierende Bewertungslogik übersetzen lasse.

Bei seiner Selbstpositionierung betont der Literaturwissenschaftler das zentrale Moment des intrinsischen Bezugs auf die jeweiligen Gegenstände. Hatte bereits die Juristin ihren Zugang zur Forschung darüber beschrieben, für ein Thema zu „brennen“ (JUR3), betont der Literaturwissenschaftler die enge persönliche Verbindung in noch stärkerem Maße, wenn er von einer Quasi-Identität der Forschungsinhalte und seiner Persönlichkeit ausgeht. Diese Selbstpositionierung fällt bei ihm nicht mit einer Abwehr von Drittmittelprojekten oder Verbundforschung zusammen, bei der er schon „verschiedentlich mitgemacht“ habe und die er durchaus „schön finde[n]“ könne (LIT1). Was er gegenüber der organisationalen Bewertungslogik verteidigt, sind vor allem seine Haltung und Autonomie als Wissenschaftler. Er müsse weder kontrolliert noch durch Anreize motiviert werden, um sich seinen Aufgaben umfänglich zu widmen. Für ihn sei seine wissenschaftliche Tätigkeit schließlich mehr „Lebensform“ als „Karrierejob“ (Rogge 2017), sodass er auch keinem klassischen Arbeits- oder Pflichtethos folge. Ein solches Ethos von Wissenschaft als „Lebensform“ werde durch die neue universitäre Governance massiv infrage gestellt:

„Misstrauen und Beweislast sind die beiden Stichworte, die ich da nennen würde. Das geht letztlich, glaub ich, von staatlichen Institutionen aus, die einfach Angst haben, ihr Geld zu verschleudern an faulenzende Leute, die ihren Hobbys nachgehen.“

Der Germanistikprofessor sieht sich zwar unter keinem mit der Strafrechtlerin vergleichbaren Bewährungsdruck, was in seiner Karrierestufe, aber ebenso seiner Reputation in der Scientific Community begründet ist. So habe er durch Wissenschaftspreise und Fellowships nicht nur in materieller und zeitlicher, sondern auch „in symbolischer Hinsicht“ an Freiheit gewonnen. Die Anerkennung der Wissenschaftsgemeinschaft verschaffe ihm aufseiten der Organisation „einen gewissen Respekt“ – einen „Vertrauensvorschuss“, durch den man ihn aktuell eher „machen [lasse]“. Er betont dennoch, die neue Governance grundsätzlich als sehr negativ zu erleben:

„Wenn man das beiseitelässt, und ich hab ja die längste Zeit ohne solche Privilegien gearbeitet, würde ich schon sagen, dieses Gefühl hat permanent zugenommen, als erwachsener Mensch fortwährend überprüft zu werden. Also ein Grundmisstrauen der Institution, nicht der Personen der Institutionen, sondern wirklich der Institution als Verband, als Rechtsordnung. Ein permanentes Misstrauen gegenüber den Wissenschaftlern: ‚Beweisen Sie uns, dass Sie Ihre Zeit wirklich gearbeitet haben! Zeigen Sie uns, dass das wichtig war für die wissenschaftliche Community, was Sie da gemacht haben! Beweisen Sie uns, dass Sie dieses Seminar und nicht jenes machen müssen!‘ oder sowas. Das ist unerträglich.“

Der Germanist beschreibt den Wandel im Verhältnis zwischen Organisation und ProfessorInnen auch im Sinne einer Bedrohung seiner eigenen beruflichen Identität: Das bereits erwähnte Misstrauen sei „unerträglich“; dass er als „erwachsener Mensch fortwährend überprüft“ werde, empfindet er als Degradierung. Ihn deshalb als Reformopfer zu bezeichnen, scheint zwar insofern unzutreffend, als der Literaturwissenschaftler durch seine Reputationsgewinne in der Scientific Community weitgehend unabhängig von den organisationalen Leistungskriterien und -bewertungen agieren kann. Allerdings sieht er sich nur partiell von der neuen Governance verschont, da er allein über die Lehrtätigkeit an Rechenschaftspflichten und einschränkende Vorgaben gebunden bleibe, die durch Akkreditierung und Modularisierung massiv zugenommen hätten. Um eine Veranstaltung in den „Modulkatalog hineinschreibe[n]“ zu können, müsse

„klar festgelegt werden: Wieviel Seiten müssen pro Sitzung für dieses Seminar gelesen werden? Wie lange darf die Sitzung minimal und maximal dauern? Wie viele Seiten müssen die Teilnehmerinnen dieses Seminars über was, wann, innerhalb welcher Zeit schreiben? Innerhalb wie vieler Tage wird das korrigiert? All diese quantifizierbaren Dinge werden außerordentlich präzise berechnet. Die Frage, welchen Sinn ein solches Seminar innerhalb der Ausbildung eines Menschen zu einem klugen, wissenschaftlich befähigten Leser hat, wird nirgends gestellt.“

Den Widerspruch zwischen bürokratischer Standardisierung und inhaltlich-wissenschaftlichen Prinzipien sieht der Germanist auch mit Blick auf die Lehrevaluationen. Die Idee sei zwar „im Ansatz sehr vernünftig“, der Organisation gehe es aber primär um das Ziel, über Zahlenwerte zu verfügen. Man bekomme als Professor „am Ende von der zuständigen Stelle“ per Mail „eine Kurve oder Statistik“ geschickt, die eine „mathematische Scheinsicherheit“, aber kein wirkliches Bild von dem Lehrgeschehen vermittle.

Während die beiden Professorinnen also hinsichtlich der Lehre in den Bewertungsinstrumenten noch eine gewisse Chance der Qualitätsverbesserung sehen, überwiegen für den Germanisten die negativen Folgen der „Bologna“-Reform, die er als grundsätzlicheren Widerspruch zu seinen Vorstellungen ‚guter‘ Lehre wahrnimmt. Aus seiner Sicht gibt es im Grunde nur die Möglichkeit, Freiräume jenseits der vorgegebenen Ordnung zu suchen. So könne man ein „freiwilliges Zusatzseminar“ anbieten oder in den regulären Veranstaltungen „etwas legerer verfahren“, als dies formal vorgesehen sei. Solche Praktiken deutet der Germanist jedoch nicht als positive Behauptung seines Lehrethos, sondern als „unerfreuliche“ und aufgezwungene „Unaufrichtigkeit im Umgang mit den Regeln“.

Bis hierhin lassen sich also Unterschiede in den Formen der subjektiven Betroffenheit – von umfänglich bis nur partiell – resümieren, deren Übergänge zur Verschonung fließend sein können. Wie auch bei den ReformprofiteurInnen kommt der Drittmittelforschung bei den Leistungsbewertungen eine entscheidende Bedeutung zu, erzeugt bei den Reformopfern aber einen gegenteiligen, also nachteiligen Effekt, der durch das Engagement in der Lehre kaum kompensiert werden kann.

Allerdings muss die Vorstellung eines ausgelieferten Opfers relativiert werden. Gegen sie sprechen die beträchtlichen Handlungsspielräume, über die ProfessorInnen auch unter den Bedingungen von NPM verfügen. Anders als für die Beschäftigten in anderen Bereichen des öffentlichen Sektors – etwa in Krankenhäusern oder Teilen der Verwaltung – bedeutet die Übertragung von Prinzipien des NPM für ProfessorInnen kein striktes Controlling ihrer Arbeitsabläufe.Footnote 10 Viele der Befragten äußern entsprechend, trotz der universitären Reformprozesse über eine hohe Arbeitsautonomie zu verfügen. Bei den Reformopfern sind aber ungeachtet dessen eine grundsätzliche, umfängliche Kritik und die Wahrnehmung von Anpassungsdruck sowie einer Entwertung beruflicher Identitätsansprüche dominant, die sich in einem entsprechenden Zukunftspessimismus widerspiegeln. Dieser bezieht sich bei ihnen auf den universitären Handlungskontext im Allgemeinen wie auch auf die eigene Situation im Besonderen.

5.2.3 SympathisantInnen

Kommen wir nun zu zwei Gruppen von ProfessorInnen, die vergleichsweise wenig von den Leistungsbewertungen erhoffen können bzw. zu befürchten haben. Die zunächst zu betrachtenden SympathisantInnen und die darauf folgenden Verschonten haben gemeinsam, dass die je eigene Betroffenheit von Leistungsbewertung oft schon aufgrund ihres tendenziell höheren Dienstalters gering ausfällt. Sie stellen insofern das Pendant zu den beiden soeben vorgestellten Typen dar, als sie mit ihren Einschätzungen eine Nähe zu den ReformprofiteurInnen bzw. -opfern aufweisen, aufgrund ihrer geringen subjektiven Betroffenheit aber keinen individuellen Umgang mit den Leistungsbewertungen finden müssen. Sie sind, anders gesagt, überwiegend unbeteiligte BeobachterInnen und BewerterInnen des Reformgeschehens.

Der Typ des Sympathisanten, der Leistungsbewertungen befürwortet, ohne selbst von diesen betroffen zu sein, scheint zunächst vergleichsweise uninteressant, wenn es um die Frage der subjektiven Aneignung universitärer Wandlungsprozesse geht. Allerdings zeigten die relevanten Fälle, dass dieser Typ in sich komplexer ist und insofern weiter ausdifferenziert werden muss. Zum einen ist hier der Subtyp des enttäuschten Sympathisanten zu nennen, der nicht zuletzt mit Blick auf das öffentlich-medial vermittelte Bild starker professoraler Reformabwehr interessant ist. Im Widerspruch zu dieser Haltung kritisieren die HochschullehrerInnen dieses Subtyps gerade den zu geringen Einsatz oder die inkonsequente, nur wenig wettbewerbsorientierte Umsetzung von Leistungsbewertungen an ihrer jeweiligen Universität. Zum anderen finden sich bei nicht wenigen der grundsätzlichen BefürworterInnen auch Formen der kritischen Distanzierung von bestimmten Aspekten universitärer Leistungsbewertungen und damit Fälle, die auf das Kontinuum zwischen den Typen – in diesem Fall: den SympathisantInnen und Verschonten – verweisen.

Bevor diese Differenzierungen anhand verschiedener Beispiele illustriert werden, folgt zunächst der Ankerfall eines Nachrichtentechniker, der mit seinen Deutungen für einen idealtypischen Sympathisanten von Leistungsbewertungen steht.

Ankerfall: „Es ist schon gut, wenn man einen gewissen Anreiz hat“

Der Nachrichtentechniker schätzt seine subjektive Betroffenheit von universitären Leistungsbewertungen als nur gering ein, da bei seiner Berufung weder „leistungsabhängige Berufungszusagen“ (TECH13) noch Zielvereinbarungen eine Rolle spielten. Zudem, und dies ist noch entscheidender, geht er durch seine vorangegangene mehrjährige Tätigkeit im angloamerikanischen Raum von dem Vergleich mit einer wirkungsmächtigeren universitären Bewertungskultur aus. Während es „dort sehr leistungsorientiert“ gewesen sei, seine KollegInnen und er etwa ihren „Lebenslauf“ jährlich zur Evaluierung durch ein Komitee hätten „abgeben“ müssen, solle man die entsprechenden Prozesse an deutschen Universitäten aus seiner Sicht „nicht überbewerten“. Footnote 11 Da man die „fixen Mittel“ weiterhin relativ „sicher“ habe, blieben die „Auswirkungen“ der neu eingeführten Bewertungsinstrumente letztlich begrenzt.

Der Nachrichtentechniker schätzt Leistungsbewertungen grundsätzlich positiv ein, sofern diese transparent und nach inhaltlich nachvollziehbaren Kriterien gestaltet werden. So äußert er mit Blick auf seine Erfahrungen im Ausland, die Evaluierung der professoralen Leistungen dort als „ziemlich fair“ wahrgenommen zu haben, da diese durch wechselnde FachkollegInnen erfolgte und die Ergebnisse für alle einsehbar gewesen seien:

„Es wurde dann veröffentlicht. Also die Liste von denen, die was gekriegt haben und die dann nichts gekriegt haben, wurde veröffentlicht, und von daher konnte jeder sofort einschätzen, was jetzt Sache ist.“

Auf der Deutungsebene folgt er damit weitgehend den Prämissen des NPM. Der Nachrichtentechniker geht von dem Maßstab der Transparenz aus, der für ihn einen öffentlichen Leistungsvergleich zwischen den KollegInnen einschließt. Anstatt hierin eine Gefährdung der professoralen Autonomie oder eine illegitime Annäherung an Leistungskontrollen in anderen Berufsfeldern zu sehen, betont er den Vorteil, dass auf diese Weise alle Beteiligten ihre Position „einschätzen“ könnten. Er legt kein besonderes professorales Ethos zugrunde, das es gegenüber organisationaler Kontrolle oder Bewertung zu schützen gelte:

„Ich meine, die ganze Gesellschaft ist eine Leistungsgesellschaft. Wieso soll die Uni da die große Ausnahme sein? Und ich meine, die Vorstellungen, dass man ab da, wo man jetzt berufen ist, dann nur noch hehre Ziele hat und quasi ein ganz neues Wesen ist, das ist ja leider auch ((lacht)) nicht so. Von daher ist es schon gut, wenn man einen gewissen Anreiz hat.“

Entsprechend bewertet er die individualisierte LOM, die an seinem aktuellen Fachbereich beschlossen wurde, als positiv. Dort kämen nachvollziehbare Kriterien zum Tragen, mit denen Forschung und Lehre gleichermaßen berücksichtigt würden:

„Die ist relativ transparent und da gibt es auch relativ wenige Streitigkeiten. Die ist relativ lehrlastig: Wer quasi mehr Lehrbelastung hat in Anzahl der Studenten, der kriegt mehr. Und dann gibt es noch einen gewissen Bonus für Drittmittel. […] Ich denke, das ist auch legitim, dass die, die viel mit Grundlagenlehre belastet sind, [profitieren, Anm. der AutorInnen], weil das wirkliche Belastung ist. Ich meine, ich sehe die Studenten erst im vierten Jahr, und die sehen dann halt die Hunderte von Studenten am Anfang […].“

Neben der Belohnung jener KollegInnen mit hoher Lehrbelastung befürwortet er gerade auch die Bewertung der Lehrqualität. Aus seiner Sicht tragen „Evaluierungen“ dazu bei, dass sich Lehrende anders „entwickeln“ als einige der ProfessorInnen, die er noch selbst als Student erlebte und die das Vorlesungsformat teilweise „wörtlich genommen“ hätten:

„Ich denke, wenn denen mal jemand am Anfang ihrer Karriere die Lehre evaluiert hätte und jemand gesagt hätte: ‚Dies oder jenes kann man vielleicht anders machen‘, dann hätten die sich auch anders entwickelt. Aber wenn man halt mal so festgefahren ist und dann 20 Jahre das Gleiche gemacht hat, dann ändert man auch nichts mehr. Ich denke, von daher ist das sehr gut, dass wir jetzt Feedback kriegen.“

Der Nachrichtentechniker geht insofern von einer Bewertungskompetenz der Studierenden aus. Diese könne sich zwar weniger auf die fachlich-inhaltliche Dimension beziehen; die Lernenden seien jedoch durchaus in der Lage, didaktische Qualitätsaspekte zu beurteilen. Da es „letztendlich die Studenten“ seien, die „das dann ausbaden“ müssten, befürwortet er auch die Konsequenz, eine Veranstaltung nach mehrfach schlechten Ergebnissen „jemand anderem“ zu übertragen.

Während der Professor für Nachrichtentechnik hier von der Perspektive und den Interessen der Studierenden ausgeht, betrachtet er es ebenfalls als legitim, dass die Organisation im Sinne ihrer Wettbewerbsposition bestimmte Leistungskriterien forciert. Da Universitäten mit Forschungsformaten wie SFBs „glänzen“ könnten, sei ihr besonderes Interesse an der Einwerbung von Verbundforschung „nachvollziehbar“. Auch Zielvereinbarungen, in denen organisationale Bewertungsmaßstäbe fixiert und an die ProfessorInnen weitergegeben werden, deutet er als unproblematisches, wenn nicht hilfreiches Instrument:

„Ich denke, an sich ist es schon gut, gewisse Zielvorgaben zu haben, und gerade bei uns in den Ingenieurswissenschaften ist es auch oft so, dass Kollegen berufen werden, die aus der Industrie kommen und vorher Managerpositionen hatten. Und für die ist es dann schwierig, sich wieder in das Unigefüge einzufügen. Da ist es vielleicht gut, wenn man ein bisschen Anlage hat und sieht, was die Kriterien sind, was jetzt an der Uni zählt im Vergleich zu dem, was in einem Unternehmen zählt. Ich meine, ich war nie in der Industrie, ich war immer in der Uniumgebung. Von daher ist mir intrinsisch irgendwie klar oder ist es bei mir vielleicht mehr parallel zu dem, was die Uni auch will, aber für andere oder auch für die Nachwuchswissenschaftler ist es sicherlich gut zu wissen, worauf jetzt Wert gelegt wird.“

Die Orientierung an den organisationalen Leistungskriterien setzt der Nachrichtentechniker also nicht mit einer Gefährdung der Autonomie der WissenschaftlerInnen gleich. Vielmehr zeigt sich erneut, dass er die ProfessorInnen eher mit Beschäftigten anderer Berufsfelder vergleicht: So wie es für Ingenieure in der Industrie wichtig sei, zu wissen, was in ihrem Unternehmen „zähl[e]“, so gelte dies auch für neu berufene ProfessorInnen hinsichtlich ihrer Universität. Er räumt zwar an anderer Stelle ein, dass es „sicherlich eine Gefahr“ wäre, wenn ProfessorInnen sich im Sinne einer Zweck-Mittel-Verkehrung zu sehr an der Einwerbung möglichst vieler Drittmittel orientierten, ohne „richtige Forschung mehr zu machen“. Mit Blick auf die derzeitige Umsetzung universitärer Leistungsbewertungen geht er jedoch von einer Professorenschaft aus, die auch weiterhin nicht daran gehindert werde, eigenen Bewertungsmaßstäben und Gewichtungen zu folgen.

Insofern lassen sich vor allem positive Deutungen universitärer Leistungsbewertungen resümieren. Entscheidend hierfür ist, dass der Nachrichtentechniker die Maßstäbe von Transparenz und einem damit verbundenen Leistungsvergleich grundsätzlich teilt. Zudem verbindet er mit Leistungsbewertungen auch eine quasi sozialisatorische Wirkung im Sinne der Organisation, womit professorale und organisationale Interessen zumindest partiell parallelisiert werden.

Weitere Fälle

Zu den SympathisantInnen gehören ferner einige ältere ProfessorInnen, die sich aufgrund ihrer C-Besoldung bzw. Karrierestufe nicht mehr von Leistungsbewertungen betroffen sehen, sich aber in entsprechenden universitären Gremien oder Kommissionen engagieren. Ein solcher aktiver Sympathisant ist etwa ein C4-Professor für Hochfrequenztechnik, der zugleich Vizepräsident für Forschung ist und sich in dieser Position vor der Aufgabe sieht, die Unterschiede zwischen den Fächern bei den Leistungsbewertungen angemessen zu berücksichtigen. Dies gelte nicht nur für die LOM, sondern auch für die „strategische Fragestellung“ der Positionierung gegenüber Rankings:

„Deswegen sind wir wirklich auf eine fachspezifische Betrachtung angewiesen. Und das ist etwas, was wir jetzt […] in dieser Arbeitsgruppe Rankings zu diskutieren haben werden, weil es von Fach zu Fach ganz unterschiedlich ist, wie dort die Rankings betrachtet werden und wie man zum Beispiel einem externen Ranking-Unternehmen wie dem CHE gegenübertreten kann.“ (TECH4)

Dass eine einheitliche Linie kaum – oder nur gegen großen Widerstand – umsetzbar wäre, stellt für den Hochfrequenztechniker kein Argument gegen Leistungsbewertungen dar. Sein Anspruch besteht vielmehr darin, die Instrumente in angemessener Weise weiterzuentwickeln. So sei die interne LOM „gerade neu konzipiert worden“, um nicht länger von großen Fächergruppen, sondern den einzelnen Disziplinen auszugehen:

„[D]ie Fachcommunities sind grundsätzlich anders, also eine Promotionsquote in der Physik und eine Promotionsquote in der Biologie sind völlig unterschiedlich. In der Biologie promoviert fast jeder, aber eben auch in ganz anderen Themen und in ganz anderen Umgebungen als zum Beispiel gerade in den Ingenieurwissenschaften.“

Dem Hochfrequenztechniker geht es somit um eine Ausdifferenzierung der Leistungskriterien, die den jeweiligen Disziplinen und deren Bewertungsmaßstäben gerecht wird.

Ein C4-Professor für Politikwissenschaften zielt mit seinem Engagement dagegen auf die stärkere Berücksichtigung von Qualitätsunterschieden zwischen den professoralen Leistungen an seiner Fakultät ab. Er setzt sich vor allem für eine Mittelverteilung ein, bei der KollegInnen, die nie einen „DFG-Antrag schreiben“, nicht länger „automatisch Unterstützung“ bekommen – bei der zukünftig also neben Belohnungen auch Kürzungen zum Tragen kommen können:

„Da sind wir jetzt am Arbeiten, damit die Leute das, was sie brauchen, auch finden, zum Beispiel, wenn sie viel tun, auch Unterstützung kriegen, dass sie da nicht alleine gelassen werden. Wenn eine Forschung sehr erfolgreich ist, sollte man denen auch mehr Mittel zur Verfügung stellen, und diejenigen, die quasi nicht viel machen, aber Mittel haben, können auch Mittel verlieren. […] Man muss schon mit den knappen Ressourcen sinnvoll umgehen. Es wird ja nicht mehr Geld, sondern es geht eher darum, eine bessere Form, eine Verteilung zu finden und auch deutlicher zu machen, wo die Forschungsleistung liegt. Das kann auch Einzelforschung sein, auch Verbundforschung, aber man muss das Ganze kenntlich machen.“ (POL8)

Die Äußerung zeigt deutlich, dass der Politikwissenschaftler einem Effizienzgedanken folgt, nach dem vor allem die leistungsstarken ProfessorInnen von den vorhandenen Ressourcen profitieren sollten. Damit meint er in erster Linie jene KollegInnen, die erfolgreiche Forschung betreiben, welche zwar nicht zwangsläufig im Rahmen größerer Verbundprojekte stattfinden, deren Qualität oder Relevanz für das Fach jedoch „kenntlich“ gemacht werden müsse. Er fügt hinzu, dass diese KollegInnen sich eher auch „in Gremien“ betätigten, während „die faulen durchgehend faul“ seien: „Die forschen nichts, die schreiben nichts, gehen in kein Gremium.“ Damit betont er die Unterschiede zwischen den professoralen Leistungen zusätzlich.

Im Vergleich zu dem Hochfrequenztechniker geht der Politikwissenschaftler von grundlegenderen Defiziten bei der bisherigen Umsetzung von Leistungsbewertungen aus. Damit die Fakultät „weiterkomm[e]“, sich „nach vorne entwickeln“ könne, müssten Instrumente wie die LOM konsequenter zum Einsatz kommen. Er nimmt die Universität allerdings als „schwerfällig[e]“ Institution wahr, an der es „viele Leute“ gebe, „die schon lange da“ seien und sich „nicht mehr so toll“ änderten.

Insofern lässt er sich dem zu Beginn erwähnten Subtyp des enttäuschten Sympathisanten zuordnen, der die Umsetzung von Leistungsbewertungen an der eigenen Universität oder Fakultät als zu schwach oder inkonsequent wahrnimmt und der im Folgenden anhand weiterer Fallbeispiele veranschaulicht werden soll. Dabei zeigt sich, dass sich die Enttäuschung auf organisationale Defizite bei der Umsetzung, aber auch unmittelbarer auf die eigene Betroffenheit – hier eher: unfreiwillige Nichtbetroffenheit – von Leistungsbewertungen beziehen kann.

Eine C4-Professorin für Politikwissenschaft gehört zu jenen enttäuschten SympathisantInnen, die bei ihrer Kritik weniger von den Folgen oder Nachteilen für die eigene Person ausgehen. Sie argumentiert als erfahrene Professorin und Gutachterin, die durch den Vergleich mit Bewertungsprozessen an anderen Hochschulen ein zu wenig kohärentes Konzept der Qualitätssicherung und Leistungsbewertung an ihrer aktuellen Universität wahrnimmt. Die organisationalen Bemühungen sollten sich nicht allein, so lässt sich ihre Kritik zuspitzen, auf den Wettbewerb nach außen, etwa in der „Exzellenzinitiative“, richten, sondern sich auch intern entsprechend wiederfinden. Es genüge beispielsweise nicht, strukturierte Promotionsprogramme einzuführen, sofern in der Folge eine substanzielle Bewertung – etwa durch externe GutachterInnen – ausbleibe. Und mit Blick auf die reguläre Lehre bemängelt sie die nur „unsystematisch[e]“ (POL2) Umsetzung verpflichtender Lehrevaluationen wie auch die fehlende Festlegung von Bewertungskriterien, die tatsächlich etwas über die inhaltliche Qualität der Veranstaltungen aussagen könnten:

„Mir ist sehr wichtig, dass sie [die Lehrenden, Anm. d. AutorInnen] wissenschaftlich gut sind. Aber man muss auch wirklich, wenn man zum Beispiel Lehrevaluation machen will, dann denke ich, müsste man überlegen: Wie bewertet man den Inhalt von dem, was die Person rüberbringt?“

Während sich jüngere KollegInnen teilweise darüber „beschwer[t]en“, keine „offizielle Lehrevaluation“ für ihre weiteren Bewerbungen zu haben, geht es der Politikwissenschaftlerin bei ihrer Kritik um die Verteidigung eines hohen wissenschaftlichen Anspruchs der Lehre, der durch verbindliche und bessere Bewertungsinstrumente – etwa Verfahren des Peer Review – gestärkt werden könne. Über einen solchen Handlungsbedarf gebe es am Fachbereich jedoch keinen Konsens. Zudem gingen von der Leitungsebene keine entsprechenden Initiativen aus.

Weiterhin unterstütze die Organisation die ProfessorInnen auch nicht angemessen dabei, den Anforderungen wettbewerbsfähiger Forschung entsprechen zu können. Die Politikwissenschaftlerin erwähnt hier vor allem die nur geringen Möglichkeiten, sich von der Lehre befreien zu lassen:

„Weil sie hier sehr konservativ sind für diese Forschungsinitiativen und so. Sie machen das sehr, sehr schwierig für die Leute, Vertretungen zu haben, so dass sie an einem Forschungsprojekt oder Forschungsantrag arbeiten können. […] Die geben keine Lehrdeputatsreduktion für überhaupt etwas. Nur Dekan, sonst nichts.“

In diesem Kontext zeigt sich die Professorin zwar auch über ihre eigenen Schwierigkeiten enttäuscht, mehr zeitliche Freiräume für Projektanträge zu bekommen. In erster Linie geht es ihr aber um das Aufzeigen struktureller Defizite bzw. Widersprüche: Dass ‚gute‘ Lehre vor allem an dem „konservativen“ Leistungskriterium der Erfüllung des Deputates bemessen werde, sei nicht nur für die Forschungsarbeit „kontraproduktiv“. Durch die zeitliche Überlastung der ProfessorInnen könne diese Vorgehensweise ebenso negativ auf die Qualität der Lehre zurückwirken.

Die Politikwissenschaftlerin nimmt somit eine erweiterte Perspektive auf das Thema der Leistungsbewertungen ein, indem sie neben der Umsetzung konkreter Instrumente gerade auch die Rahmenbedingungen für ‚gute‘ Leistungen in Lehre und Forschung anspricht. Zentral ist für sie der fehlende organisationale „Common Sense“, den Anspruch von Wettbewerbsorientierung und Exzellenz auch tatsächlich in eine Praxis zu übersetzen, die hohen wissenschaftlichen Standards genügt.

Ein W3-Professor für Zellbiologie kritisiert hingegen, dass die Umsetzung der LOM an seiner Universität denjenigen, die sehr gute Forschungsleistungen zeigten, nur geringe Ressourcenzugewinne brächte. Er geht hierbei nicht von seinen individuellen, sondern von den Forschungsleistungen seines Fachbereiches aus, der – etwa durch einen SFB – den forcierten Definitionen ‚guter‘ Wissenschaft entspreche und damit auch inneruniversitär eine exponierte Stellung einnehme. Trotz dieser eigentlich günstigen Ausgangssituation sei es aus seiner Sicht fraglich, ob sich die lokale Governance tatsächlich in eine stärker wettbewerbsorientierte Richtung bewegen werde. Dass er seine Universität in dieser Hinsicht als eine Art Nachzüglerin betrachtet, zeigt sich bereits, wenn er den Vergleich mit früheren Erfahrungen zieht. Als W2-Professor habe er an einem anderen Standort noch eine „sehr tiefgehend[e]“ individualisierte Mittelvergabe erlebt, durch die er, „weil die Parameter sehr gut aussahen“, am Ende über „ein sehr großes Budget“ verfügte (BIO7). An seiner jetzigen Universität laufe die Einführung dieses Instrumentes hingegen erst „gerade an“. Seiner Einschätzung nach werde die LOM zudem

„nie so tiefgehend sein, wie es in diesem [Vorgängeruniversität] Modell war, dass also bis auf die Stellen runter Mittel verteilt werden. Gut, es ist, bei dem bisschen, was verteilt wird, auch nicht so kritisch. In meiner Abteilung kommt das meiste Geld, das rein kommt, über Drittmittel. Wir haben also über die Drittmittel einen relativ großen Overhead-Beitrag.“

Der Zellbiologe positioniert sich hier zwar als drittmittelstarker Wissenschaftler, der bei seiner Forschung nicht in „kritischer“ Weise von den über die LOM verteilten Mittel abhängig ist. Dennoch wird deutlich, dass er die Organisation in einer gewissen Bringschuld sieht: Bis dato setze der Fachbereich mit Forschungsinitiativen „die Impulse“ und müsse dann „sehen“, das „Präsidium und die Uni als solche mit ins Boot [zu] holen“. Insofern „hoff[t]en“ er und seine KollegInnen auch, dass eine LOM zukünftig „Möglichkeiten schaff[e], da etwas flexibler zu reagieren als dies früher gewesen wäre, wo also jeder Fachbereich stur seine Stellen bekommen“ habe.

Ähnlich wie der bereits erwähnte Politikwissenschaftler (POL8) plädiert auch er für die Aufhebung des Gleichbehandlungsprinzips, also für ein Ende der sprichwörtlichen Gießkanne. Der Zellbiologe unterscheidet zwar nicht explizit zwischen leistungsbereiten und ‚faulen‘ ProfessorInnen. Gleichwohl folgt er wettbewerbs- und effizienzorientierten Deutungen, nach denen Abstufungen zwischen ProfiteurInnen und VerliererInnen bei der universitätsinternen Mittelvergabe im Grunde alternativlos sind:

„Wenn die Fleischtöpfe höher hängen oder ((lacht)) schlechter befüllt werden, wird das sicherlich noch – also klar ist, es muss eigentlich stärker werden. […] Ich meine, Wissenschaft ist dynamisch, Anforderungen an Lehre sind dynamisch, und ich denke, jede Universitätsleitung hat große Schwierigkeiten, mit einer starren Zuweisung von Mitteln, Stellen auf solche dynamischen Anforderungen zu reagieren. Auch wenn es auf der anderen Seite dann bei den betroffenen Professuren, Arbeitsgruppen zu schmerzlichen Einschnitten führen wird, kann eigentlich nur eine Lösung sein, so etwas dynamischer aufgrund einer dynamischen Mittelverteilung zu handhaben.“

Interviewerin: „Und fänden Sie das auch gut, wenn das so ist? […]“

„Also wenn man auf der Gewinnerseite steht, ist das immer gut. ((lacht)).“ (BIO7)

So eindeutig seine Haltung hinsichtlich der Notwendigkeit einer solchen Anpassung ist, so ambivalent äußert er sich mit Blick auf die bisherigen Aushandlungs- und Entscheidungsprozesse über eine Neugestaltung der LOM. Über die Kriterien habe das Präsidium zwar „unter Beteiligung des Senats“ entschieden, die „Einbindung der Fachbereiche“ sei darüber hinaus aber „nicht sonderlich weitgehend“ gewesen. Insofern müsse man letztlich „sehen, dass da nicht der Zug“ an den eigenen Interessen „vorbei[fahre]“.

Aufgrund der Ergebnisoffenheit des Umsetzungsprozesses lässt sich der Zellbiologe eher noch als skeptischer denn bereits als enttäuschter Sympathisant bezeichnen. Angesichts seiner Deutungen des ‚richtigen‘ Weges lässt sich allerdings von einer Enttäuschung ausgehen, wenn die Universitätsleitung langfristig an einer zu „starren“ Mittelverteilung festhielte, um „schmerzliche Einschnitte“ für bestimmte „Arbeitsgruppen“ zu vermeiden.

Ein W3-Professor für Literaturwissenschaften gehört hingegen eindeutig zu den enttäuschten Sympathisanten, da er nach seinen langjährigen Erfahrungen vor Ort kaum berechtigte Hoffnung hinsichtlich einer stärkeren Wirkungsmacht von Governanceprozessen mehr sieht. Er ist zwar an einer Universität tätig, die sich erfolgreich am Wettbewerb der „Exzellenzinitiative“ beteiligt und an der zudem Instrumente wie die LOM kein Novum mehr darstellen. Gleichwohl geht der Germanist mit Blick auf seine eigene Fakultät von einer weitgehenden Stabilität der bisherigen Strukturen aus. Gefragt nach den spürbarsten Veränderungen seiner Arbeitssituation durch die gegenwärtigen Universitätsreformen antwortet er insofern auch:

„Ich würde zunächst mal antworten: ‚Was für ein Wandel?‘ Weil die Governancestrukturen in meiner Wahrnehmung – das betrifft eher die Wahrnehmung der geisteswissenschaftlichen Fächer, wir sind ja hier Philosophische Fakultät – zumindest was gerade die persönliche Governance betrifft, sich wenig geändert haben. Das heißt, die Beamtenstruktur ist das zentrale Prinzip. Das heißt, diejenigen, die eine feste Stelle haben, haben diese feste Stelle, und das genügt den meisten.“ (LIT4)

Seine Enttäuschung über die nur marginalen Veränderungen der „persönliche[n] Governance“ bezieht sich auf mehrere Sachverhalte. Zum einen bemängelt er die nur geringen Möglichkeiten, seine eigenen Leistungen in einen individuellen Vorteil jenseits einer rein symbolischen Anerkennung umwandeln zu können. Obwohl er „sehr viel für die Universität“ tue und in seiner Disziplin zu den drittmittelstarken ProfessorInnen gehöre, blieben ihm im Grunde nur die begrenzten Leistungszulagen in der W-Besoldung. Aufgrund eines fehlenden externen Rufes könne er nicht weiter „verhandeln“, zudem sei die „Spanne“ bei Instrumenten wie der LOM „einfach viel zu uninteressant klein“. Neben diesen Grenzen kritisiert der Literaturwissenschaftler, dass Leistungen wie Summer Schools oder die Betreuung ausländischer Studierender trotz der Betonung von Internationalisierung und innovativer Lehre letztlich „einfach als Pflicht“ gesehen würden.

Die Ausgestaltung und geringe Wirkungsmacht der lokalen Leistungsbewertungen sieht er auch mit Blick auf seine Fakultät kritisch. Aus seiner Sicht bleiben hierdurch wichtige Entwicklungen aus und die Geisteswissenschaften – auch im Vergleich zu den Naturwissenschaften – „hinter ihren Möglichkeiten zurück“. Als Ursache für dieses „Trauerspiel“ betrachtet der Germanist nicht zuletzt die ProfessorInnen selbst, bei denen weiterhin ein klassisch geisteswissenschaftlicher Habitus mit einer Orientierung an Individualforschung und der je eigenen – und nicht etwa: der universitären – Reputation dominiere. Damit stellt er zwar nicht die wissenschaftliche Qualität ihrer Arbeiten infrage. Die relativ großen Beharrungskräfte gegenüber Verbundforschung oder Interdisziplinarität stehen für ihn aber in einem problematischen Widerspruch zu Modernisierungsprozessen, die auch angesichts der schon seit längerem diskutierten ‚Legitimationskrise‘ der GeisteswissenschaftenFootnote 12 notwendig seien.

Die vorhandenen Bewertungsinstrumente könnten mit ihrem „ziemlich simple[n] Formalismus“ hieran kaum etwas ändern, zumal sie den ProfessorInnen im Grunde bequeme Lösungen böten. Da man nur „zwei Doktorandinnen in einem Graduiertenkolleg haben“ müsse, um die Leistungskriterien zu erfüllen, sei es für „[s]eine Gruppe einfach eine Übertreibung“, von einer organisationalen „Leistungsevaluierung“ oder einer Forcierung ‚echter‘ Verbundforschung zu sprechen:

„Graduiertenkollegs in Geisteswissenschaften sind nicht wirkliche Forschungsverbünde. Also das wäre jetzt ein Euphemismus. ((lacht)) Von daher ist das alles sehr locker gestrickt und die Leute sind sehr viel stärker in den Geisteswissenschaften, also ich will nicht sagen Einzelkämpfer, das klingt schon wieder so heroisch. Die einen sitzen da, die anderen sitzen da, und es hat dann eher zufällig miteinander ein bisschen mehr zu tun.“

Dem Germanisten erscheint die stärkere Verankerung einer verbindlichen „strategischen Zielsetzung“ für die Lehre und Forschung an den einzelnen Fakultäten als nötig. Er sieht jedoch kaum Akteure, die einen solchen „mühsame[n] Weg der Veränderung“ vorantreiben könnten. Für sich selbst findet er allerdings Handlungsstrategien, mit denen er den wahrgenommenen Stillstand partiell überwinden kann: zum einen, indem er bei seiner Forschungsarbeit mit WissenschaftlerInnen aus anderen Fachdisziplinen zusammenarbeitet, zum anderen, indem er sich in universitären Gremien und Initiativen engagiert, in denen er größere Möglichkeiten als an seiner Fakultät sieht, Prozesse aktiv mitzugestalten. Er habe „irgendwann gemerkt“, dass es „vielleicht nicht gut“ sei, allein „in eine Richtung“ zu „kämpfen“, und verlagere seitdem sein Engagement stärker von der fachkollegialen auf die organisationale Ebene:

„Auf der Seminarebene ist eigentlich nur wichtig: Wer macht den nächsten Direktor? […] Oder jetzt bin ich unter Druck, für die Fakultät den Dekan zu machen, was ich nicht gerne machen würde, weil das ist, glaube ich, vertane Zeit. Man kann so wenig dort machen. Es ist also in jeder Hinsicht unerfreulich. Das mache ich relativ wenig, versuche mich eher zu entziehen und mache mehr auf der Ebene Gesamtuni.“

Auf der „Ebene Gesamtuni“, wo er „ziemlich sichtbar“ sei, kann er sich von dem disziplinär verankerten, aus seiner Sicht hemmenden Habitus distanzieren und einen aktiven Beitrag – etwa beim Aufbau neuer Studiengänge – leisten.

Für einen W2-Professor für Zellbiologie, der die lokale Umsetzung von Leistungsbewertungen als krisenhaft und demotivierend erlebt, ohne hierfür bereits einen vergleichbaren Ausgleich zu finden, stellt sich die Situation indes anders dar. Er hatte mit dem Wechsel an seine aktuelle Universität die Erwartung eines wettbewerbsorientierten Umfeldes mit guten Rahmenbedingungen für Forschung und Lehre verbunden, was sich hinsichtlich Ausstattung und Unterstützung durch administrative Stellen auch bestätigte. Enttäuscht zeigt er sich jedoch von der Umsetzung konkreter Bewertungsinstrumente und den Möglichkeiten, mit seinen Leistungen tatsächlich – in individualisierter Weise – belohnt werden zu können. Dieser Eindruck entstand für ihn bereits im Kontext seiner Berufung, da die eigentlich verhandelten „leistungsorientierten Bezüge“ durch die Reformierung der Grundgehälter letztlich „rausgekürzt“ worden seien (BIO12). Auf diese Weise habe er persönlich „nichts“ von der Erhöhung der W2-Besoldung gehabt, was er rückblickend als „einfach demotivierend[e]“ Erfahrung bezeichnet.

Materielle Anreize stehen für den Zellbiologen in keinem Widerspruch zu seinem akademischen Ethos:

„[P]ersönlich sehe ich das so: Natürlich ist es gut, wenn man genug Mittel hat, um seinen Laden am Laufen zu halten, aber klar, Anreiz ist natürlich auch persönliche Besoldung. Wenn ich wüsste, wenn ich mit einem DFG-Antrag oder einer Forschergruppe die Möglichkeit habe, diese zusätzlichen leistungsorientierten Zulagen zu bekommen, klar wäre das ein Ansporn, auf jeden Fall. Aber in der Praxis sieht das halt leider anders aus.“

In der Realität sieht er sich eher noch mit der „alten Lehrstuhlstruktur“ konfrontiert, die ungeachtet der Reorganisation in Departements weiterhin – eben auch: mit Blick auf die Verteilung von Zulagen und Privilegien – fortwirke:

„Trotzdem denke ich, ist es so, und das hört man auch […], dass diese Zulagen, die man bekommt, sich auch gehäuft auf die, ich sag mal, alten hergekommenen Lehrstuhlinhaber verteilen. So ist es auch mit anderen Sachen. Mit Fakultätsmitteln oder so. Leistungsorientierte Mittelzuweisung gibt es zum Beispiel nicht bei uns.“

Seine Formulierung zeigt, dass er sich tendenziell auf subjektive Eindrücke sowie Hörensagen unter KollegInnen bezieht und aus seiner Sicht auch nur beziehen kann. Denn ein zentraler Kritikpunkt von ihm ist die fehlende Transparenz, durch die jüngere W2-ProfessorInnen wie er weder Einblick in das „Gesamtbudget“ noch in die Ausstattungsmittel der „W3- bzw. C4-Lehrstühle“ oder die Grundlage für deren Erfolg bei den leistungsbezogenen Zulagen hätten. So fehle eine „Liste“, auf der „das offengelegt“ werde, sodass man dann sagen könnte:

„Gut, okay, die haben es verdient, weil sie SFB-Sprecher sind oder weil sie in zwei Jahren zehn Nature Paper publiziert haben oder sonst was.“

Dass insgesamt kaum professorale Nachweispflichten bestehen, deutet er insofern im Sinne einer Bewahrung alter Strukturen, durch die jüngere ProfessorInnen wie er auch bei starker Leistungsorientierung ‚in der zweiten Reihe‘ blieben. Dabei bezieht sich der Zellbiologe keineswegs nur auf die Forschungsleistungen, sondern ebenso auf die Lehre. Er selbst nutze nicht nur die Evaluationen für die Verbesserung seiner Lehre, sondern auch didaktische Angebote, in denen man von „erfahrenen Leuten“ konkrete „Tipps“ bekomme. Die „Uni“ sei in dieser Hinsicht „sehr modern, sehr ambitioniert“. Zugleich, und darin sieht er ein entscheidendes Defizit, verfolge sie aber kein ernsthaftes Konzept der Leistungsbewertung, obwohl es sich bei der Lehre um eine zentrale Aufgabe handele. So seien weder die Evaluationen verpflichtend noch finde eine Kontrolle über die tatsächlich durchgeführten Veranstaltungen statt. Hierdurch etablierten sich Ungleichheiten zulasten engagierter ProfessorInnen:

„[E]s muss zumindest die Möglichkeit geben, dass es ein Gremium gibt, wo man sagt: ‚Der Kollege oder die Kollegen XY haben ihre Lehre nicht wahrgenommen.‘ Das muss ja mal Konsequenzen haben. Also finde ich schon. Ja. Absolut.“

Für den Zellbiologieprofessor sind die geringen Möglichkeiten, seine Leistungen in formalisierter Weise sichtbar und zur Grundlage von Bewertungen machen zu können, frustrierend. Aus seiner Sicht habe alles, was eigentlich „als Werkzeug der Motivation“ dienen sollte, „null gegriffen“. Sein persönliches Fazit fällt entsprechend negativ aus:

„Das ist, wie gesagt, demotivierend, das stumpft einen dann auch so ein bisschen ab irgendwann. Das heißt also, da ist wenig Bewegung drin oder gar keine Bewegung drin oder auch keine Möglichkeit, Bewegungen auszulösen. Von daher ist das eher uninteressant, sich ernsthaft Gedanken darum zu machen.“

Gerade das letzte Fallbeispiel zeigt, dass die zu geringe Betroffenheit von Leistungsbewertungen folgenreich sein kann: So werden Tendenzen eines inneren Rückzugs und die Wahrnehmung verhinderter Aufstiegsmöglichkeiten deutlich. Langfristig könnte dies Folgen wie ein Nachlassen des Engagements in der Lehre trotz stark ausgeprägtem Lehrethos oder das vermehrte Suchen nach Optionen eines Ausstiegs durch ein Wegbewerben oder, temporär, durch eine Gastprofessur haben.

Auch die enttäuschten SympathisantInnen folgen dabei keineswegs nur einer ökonomischen Anreizlogik. So sind es gerade auch Qualitätsansprüche, die sich aus ihrer Sicht mit Leistungsbewertungen stärken ließen, was durch die Organisation, aber auch die KollegInnen teils verhindert werde. Insbesondere in der Lehre seien Maßnahmen bislang ohne Konsequenz und insofern enttäuschend.

Für die Deutungen von Leistungsbewertungen und die Einschätzung der eigenen geringen Betroffenheit spielt der berufsbiografische Hintergrund eine wichtige Rolle: zum einen aufgrund der Sozialisation innerhalb des Leistungsbewertungssystems einschließlich entsprechender Erwartungen an die Umsetzung, zum anderen als mögliche Gelegenheit des Vergleichs mit anderen Ländern oder mit der Umsetzung der neuen Steuerungsinstrumente an anderen – wettbewerbsorientierteren – Universitäten. Langjährige Erfahrungen mit Leistungsbewertungen können aber auch zu einer ambivalenteren Sicht führen, bei der wesentliche Aspekte der neuen Governance zwar weiterhin befürwortet, konkrete Bewertungsmaßstäbe oder -instrumente im Zeitverlauf aber kritischer reflektiert werden.

Dies zeigt sich etwa bei einem C4-Professor für Politikwissenschaften, der viele der Wandlungsprozesse, die er in den letzten zwanzig Jahren erlebt hat, gerade auch im Vergleich zur „Ordinarienuniversität“ (POL11) nach wie vor als positive Entwicklung deutet. Die „alte Welt” der Ordinarienuniversität verbindet er mit einer „Inflexibilität“ bei der Übertragung und Verwendung von Mitteln sowie mit einer Wirkungsmacht informeller Strukturen zulasten klar formulierter Leistungskriterien. Dass mit Leistungsbewertungen und Programmen wie der „Exzellenzinitiative“ die Mittelverteilung stärker „formalisiert“ wurde, stellt aus seiner Sicht insofern einen Fortschritt dar. Man versuche seither

„zumindest den Eindruck zu vermeiden, dass die Mittel nach Gutdünken verteilt werden […]. Die Verfahren, auch die Kriterien sind im Laufe der Zeit immer mehr verfeinert worden. Das macht schon durchaus Sinn, was da geschieht. Das ist im Übrigen wichtig, weil es auch heißt, dass an diesen sogenannten ‚Exzellenzuniversitäten’ eben nicht nur die geförderten Cluster profitieren, sondern alle anderen, viele andere auch.“

Im Kontext der „Exzellenzinitiative” habe sich zudem gezeigt, dass erst eine stärkere top-down-Steuerung durch die Universitätsleitung als „Katalysator” für interne positive Veränderungen wirken konnte, während

„Selbstorganisation […] nicht funktioniert in diesen Zusammenhängen, weil auch die ‚Exzellenzinitiative’ intern differenzieren muss zwischen exzellenten und weniger exzellenten Fakultäten, Kollegen, Disziplinen und so weiter. Auch in einer Exzellenzuniversität können nicht alle exzellent sein.”

Soweit zeigt sich der Politikwissenschaftler mit seinen Deutungen als eindeutiger Sympathisant von inneruniversitärem Wettbewerb und neuer Governance, zumal er auch selbst zu den Profiteuren gehörte. Als drittmittelstarker Professor beteiligte er sich in der Vergangenheit mehrfach an Anträgen für Exzellenzcluster oder SFBs und bekam hierfür neben der symbolischen Anerkennung auch Forschungsfreisemester oder Reduzierungen seines Lehrdeputates. Im Zuge seiner Erfahrungen mit der „neuen” universitären „Welt“ sieht er jedoch mittlerweile einige Aspekte kritischer. Dies betrifft zum einen die Forcierung der genannten Forschungsformate, die letztlich „viel Zeit absorbiert[en]“, dem Anspruch exzellenter Forschung aber häufiger nicht gerecht würden. So bringe

„Kooperation immer Effizienzverluste. Und wenn Sie das zu breit anlegen, wenn Sie sich zu sehr auf andere verlassen müssen, dann wird das schwierig. Insofern sind […] die Förderformate, die die neue Governance produziert, in meinen Augen vielfach nicht zielführend.“

Zum anderen betrachtet der Politikwissenschaftler auch die Übertragung von Leistungsvergleich und Wettbewerb auf die Fakultäten differenzierter. So bedauere er nicht, dass die LOM an seinem Institut kaum umgesetzt werde und im Grunde alle KollegInnen unabhängig von ihrer Drittmittelquote die gleiche Summe erhielten. Auf diese Weise würden ProfessorInnen, die aufgrund anderer „Präferenzen“ stärker von den universitären Ausstattungsmitteln abhingen, nicht weiter benachteiligt:

„Jemand, der viele Drittmittel einwirbt, für den sind 2.000 Euro Peanuts, vor allem mit der Einführung der Programmpauschale und von Overheads. Für diejenigen, die keine Drittmittel haben bzw. aus anderen Gründen schlechter dastehen, sind die 2.000 Euro eine Menge Geld.“

Ähnlich blickt er auf die Erwartungen, die seitens der Organisation an jüngere KollegInnen gerichtet werden. Es sei zwar eine normale Entwicklung, dass der Leistungs- und Bewährungsdruck „nach Karrierephasen“ variiere und für neu berufene ProfessorInnen größer sei. Er beobachte aber, dass die organisationalen Anforderungen mitunter sehr weit reichten und gerade „die jungen Kollegen relativ stark involviert in diese ganzen Geschichten“ seien:

„Die müssen sich ja teilweise zu absurden Dingen verpflichten. Ich meine, wir haben auch einen Kollegen, der sich in seinen Berufungsverhandlungen wohl verpflichtet hat, einen SFB-Antrag auf die Wege zu bringen. Das ist natürlich sportlich, würde ich sagen.“

Der Politikwissenschaftler sieht damit zwar immer noch keinen grundsätzlichen Widerspruch zwischen professoraler Autonomie und Leistungsbewertungen. Im Sinne eines solidarischen Sympathisanten spricht er sich aber gegen eine zu starke organisationale Verpflichtung oder Vereinnahmung seiner jüngeren KollegInnen aus.

Noch deutlicher in diese Richtung äußert sich eine C4-Professorin für Zellbiologie, die sich explizit für einen „sanfte[n] Druck“ und für eine Umsetzung von Leistungsbewertungen ausspricht, bei der für KollegInnen positive Anreize wie „Anerkennung und Belohnung“ im Vordergrund stehen (BIO6). Entsprechend sieht auch sie in einer strikten Umsetzung der LOM, bei der individuelle Mittelkürzungen zum Tragen kommen, einen kritischen Schritt:

„Was, glaub ich, relativ neu war, war dann vor sechs, sieben Jahren, dass auch die zugewiesenen Mittel von der Hochschule her leistungsorientiert vergeben werden. Und das ist natürlich ein bisschen fragwürdig, weil das unter Umständen zu Situationen führt, wo jemand, der mal eine Durststrecke hat, gar nicht mehr auf die Füße kommt, und eigentlich sollte die Hochschule vielleicht mit Augenmaß eher sehen, dass das nicht passiert. So eine Fakultät funktioniert ja nur, wenn eigentlich alle Mitglieder stark sind, und wenn man dieses Ungleichgewicht noch weiter fördert, dann könnte der Schuss nach hinten losgehen.“

Im Vergleich zu dem Politikwissenschaftler zeigt sich bei der Zellbiologin aber auch eine grundsätzlichere Ambivalenz gegenüber der Idee von Leistungsbewertungen. So hebt sie die Bedeutung der intrinsischen Motivation für die Tätigkeit von ProfessorInnen hervor, die nicht durch eine ökonomische Anreizwirkung verdrängt werden dürfe:

„Man muss eigentlich Mitarbeiter finden, Profs und Kollegen, die intrinsisch motiviert sind. Alles andere ist Käse, und man muss wirklich auch denen, die Prof werden, sagen: ‚Das ist hier nicht die Wirtschaft. Hier gibt es keine Boni, sondern der große Vorteil einer Professur, und das ist immer noch so, ist die Eigenständigkeit, die Forschungsziele selber zu definieren. Und dieser große Wert hat seinen Preis, und der Preis ist, dass wir viel arbeiten, ohne immer Extralob zu kriegen und Extrabelohnung.‘ Nur solche Leute können Profs werden.“

Sie grenzt hier dezidiert ein wissenschaftliches Ethos von einer Orientierung an externer „Belohnung“ ab, die sie in der „Wirtschaft“, möglicherweise aber auch bei jüngeren KollegInnen verortet, die bereits auf andere Weise sozialisiert wurden. Allerdings setzt die Zellbiologin Leistungsbewertungen damit keineswegs schon mit einer automatischen Erosion der ‚richtigen‘ Haltung oder wissenschaftlichen Autonomie gleich, wie es bei einigen der verschonten ProfessorInnen der Fall ist, die im Folgenden näher betrachtet werden.

5.2.4 Verschonte

Die Verschonten zeichnen sich durch eine grundsätzliche Kritik an universitären Leistungsbewertungen aus, von denen sie zwar selbst nicht betroffen sind, die sie aber mit eindeutig negativen und zum Teil weitreichenden Folgen für die Universität verbinden. Wie die Fälle zeigen, lässt sich das individuelle Verschontsein nicht damit gleichsetzen, dass man nur eine geringe Krisenhaftigkeit des Wandels wahrnimmt. Denn zum einen kann die Gefahr gesehen werden, längerfristig auch selbst unter einen stärkeren Druck – etwa durch eine lokal forcierte Umsetzung von Instrumenten wie der LOM – zu geraten, sodass auch hier die zeitliche Perspektive auf die Reformdynamik eine wichtige Rolle spielt. Zum anderen können Abwertungserfahrungen auf der informellen Ebene – unter KollegInnen oder im Verhältnis zur Universitätsleitung – dazu führen, sich auch als Verschonte unmittelbarer mit dem Wettbewerbs- und Bewertungsdruck auseinanderzusetzen und nicht allein die Rolle einer distanzierten kritischen Beobachterin einzunehmen.

Ankerfall: „Uns lässt man ja so, wie wir sind, zum Glück“

Dies lässt sich anhand der Einschätzungen und Praktiken einer C4-Professorin für Zellbiologie verdeutlichen. Sie wird in wenigen Jahren pensioniert und ist sich insofern sicher, dauerhaft von universitären Leistungsbewertungen verschont zu bleiben. Sie deutet ihre letzte Zeit an der Universität als berufsbiografische Phase, in der sie sich vor allem um die Karriere der von ihr betreuten NachwuchswissenschaftlerInnen wie auch um die Lehre kümmert, die für sie durchgängig eine zentrale und sinnstiftende Aufgabe gewesen ist.

In ihrem Verhältnis zur Organisation nimmt die Zellbiologin keinen für sie spürbaren oder einschränkenden Wandel wahr. Leistungsbewertungen und Rechenschaftspflichten spielten und spielen im Kontext ihrer Drittmittelprojekte immer eine Rolle, und eine Reflexion von Zukunftszielen finde im Fachbereich ohnehin statt. Seitens der Organisation sei für sie im Grunde nur die Lehrevaluation hinzugekommen, die jedoch „nicht so gravierend […] gehandhabt“ werde (BIO8). Es gebe zwar eine Verpflichtung dazu – und wer sich verweigere, werde ein „bisschen an den Pranger gestellt“. Die Ergebnisse der Evaluation bekäme jedoch nur der Studiendekan „inhaltlich zur Kenntnis“.

Mit der Formulierung „Ich meine, uns lässt man ja so, wie wir sind, zum Glück“ fasst die Zellbiologin die nur geringe eigene Betroffenheit von Formen der universitären Governance zusammen und positioniert sich im Sinne einer Verschonten, die nicht ‚von oben‘ kontrolliert oder zu Veränderungen gedrängt wird. Mit der Verwendung des Plurals bezieht sie sich dabei allerdings nicht auf alle, sondern vor allem auf ProfessorInnen, die – ähnlich wie sie selbst – noch die „klassische“ Universität repräsentierten. Jüngere KollegInnen stünden hingegen von Anfang an unter einem größeren Effizienz- und Leistungsdruck und zeigten durch diese wissenschaftliche Sozialisation im Gegenzug auch eine andere Haltung. Die Zellbiologin betrachtet diese Differenzen nicht aus einer distanziert-neutralen, sondern aus einer kritischen Perspektive, die sich auch auf die betreffenden ProfessorInnen selbst richtet. Diese trügen durch ihre spürbare Orientierung an quantifizierbaren Leistungskriterien zu einem negativen Wandel der Wissenschaftskultur bei. Deutlich werde das etwa in gemeinsamen Sitzungen und Berufungskommissionen:

„Wenn Diskussionen laufen über Neubesetzungen oder über Mittelvergabe oder Planung von weiteren Schwerpunkten, die uns wieder Geld bringen, dann wird ja nur so gerechnet: Wen kann man da drin haben? Einen, der diese ganzen Zahlen erfüllt. Aber was die geschrieben haben, da guckt gar keiner, und das ist schon bedenklich. Dass so aussortiert wird nur nach messbaren Kriterien.“

In ihrer Wahrnehmung bestimmen diese KollegInnen mit ihrem Verständnis von Leistung zunehmend die Aushandlungs- und Entscheidungsprozesse am Fachbereich. Da viele von ihnen schon „zur anderen Generation“ gehörten, die „anders denk[e]“, käme man mit einer skeptischen Gegenstimme „nicht mehr durch“:

„Da kriegt man einfach vorgerechnet, wie viel besser der eine ist, weil er schon ein Nature-Paper hat, und dann ist das entschieden. Zum Beispiel wird die Lehre auch pro forma bewertet, aber wenn es drauf ankommt, zählt sie doch nicht.“

Ohne dass es um die Beurteilung ihrer eigenen Leistungen geht, sieht sich die Zellbiologin somit dennoch – als Professorin, die der weiteren Entwicklung ihres Fachbereiches und Faches alles andere als indifferent gegenübersteht – von Leistungsbewertungen betroffen.

In ihren Äußerungen zu den informellen Auswahlprozessen spiegelten sich bereits ihre negativen Deutungen der neuen Bewertungslogik wider. Die Zellbiologin verteidigt mehr als nur ihr Standing und ihr Mitspracherecht als erfahrene und verdiente Professorin. Zentral ist für sie gerade, dass alternative Ansprüche an ‚gute‘ Wissenschaft – etwa die inhaltliche Qualität von Publikationen betreffend – in „bedenklicher“ Weise marginalisiert würden. In ihrer Wahrnehmung setzen sich mit dem fortschreitenden Generationswechsel also nicht nur jüngere gegen ältere KollegInnen, sondern zunehmend einfach „messbare Kriterien“ zulasten einer ganzheitlicheren, qualitativen Leistungsbewertung durch, bei der auch die Lehre mehr als nur „pro forma“ zählen würde.

Ihre Kritik reicht jedoch noch weiter, indem sie die ökonomisch geprägte Anreiz- und Effizienzorientierung des NPM als grundsätzlichen Widerspruch zu dem aus ihrer Sicht notwendigen Kernelement des professoralen Handelns deutet – der intrinsischen Motivation, dem „eigenen Antrieb“ und der „Freude“, die man „keinem“ von außen „überstülpen“ könne. Instrumente wie leistungsabhängige Besoldungszulagen oder Mittelvergaben nimmt sie demgegenüber als „Hemmnisse“ wahr, da diese die „falschen Dinge“ belohnten:

„Charaktereigenschaften, die alle aus Egoismus herrühren, und das ist bestimmt nicht förderlich für eine Sache, die eigentlich für die Allgemeinheit gut sein soll und nicht nur so aussehen soll, dass man hinterher sagen kann: ‚Ich habe das alles gemacht. Ich habe so viel Geld ran geholt.‘ Da zitiere ich direkt Kollegen, die jetzt schon auf diesem Trip sind und die ich absolut untragbar finde, weil das alles abtötet, was so ein bisschen Inspiration, Begeisterung oder auch Spielraum bedeutet, um zu forschen und zu denken. Das geht ganz verloren. Das kann ich Ihnen sagen. Also das ist ganz bedenklich.“

Die Zellbiologin markiert einen starken Gegensatz, indem sie nicht nur zwischen intrinsischer und extrinsischer Motivation unterscheidet, sondern letztere mit einem zunehmenden „Egoismus“ der WissenschaftlerInnen gleichsetzt. Neben der „Begeisterung“ für die Sache werden damit für sie auch Kollegialität und die Bereitschaft zur Kollektivgutproduktion gefährdet, sodass die Universität ihre Bedeutung als eigenständige Wertsphäre jenseits einer Logik der Nutzenmaximierung langfristig verlieren könne.

In diesem Zusammenhang bleibt die Zellbiologin nicht bei einer allgemeinen Kritik, sondern führt konkrete Beispiele aus ihrer beruflichen Praxis und kollegialen Zusammenarbeit an. Jüngere und wettbewerbsorientierte KollegInnen betonten die eigenen individuellen Leistungen bei der Drittmitteleinwerbung und ordneten zudem die Lehre dem eigenen Fortkommen in der Forschung unter. So gehe es einigen der W-ProfessorInnen nicht mehr um das Ziel einer Wissensvermittlung für alle Studierenden, sondern vor allem darum, die geeigneten MitarbeiterInnen für ihre Forschungsprojekte „rauszufiltern“:

„Die setzen irgendwelche Kriterien auch aus, dass jemand erst irgendwas bestanden haben muss, bevor er dann zu ihnen hin darf. Während wir für Bachelorarbeiten und für Masterarbeiten jeden nehmen müssen, wählen die trotzdem aus. Das führt alles dahin, dass sie sich nicht bemühen, die breite Masse der Studenten irgendwie zufrieden zu stellen, sondern nur zielorientiert, um ihre Forschung nachher besser weiter betreiben zu können. Gute Leute helfen einem natürlich nachher im Labor […]. Das ist der Typus, der jetzt so sein muss oder so sein will.“

Für die Zellbiologin erodiert damit ein Lehrethos, zu dem ein Verantwortungsgefühl für den Lernerfolg der Studierenden gehört. Das in ihrer Disziplin übliche Interesse, über die Lehre „gute Leute“ für die Laborarbeit zu rekrutieren, verliert aus ihrer Sicht an Legitimität, wenn sich damit eine Vernachlässigung der „breiten Masse“ verbindet.

Die Zellbiologin zeigt sich zwar unentschieden, ob der neue „Typus“ von ProfessorIn notgedrungen – aufgrund des gestiegenen Leistungsdrucks – oder aus innerer Überzeugung so handele. Was für sie hingegen feststeht, sind die negativen Folgen für die universitäre Lehre wie auch für das kollegiale Verhältnis: So deutet sie die Bestenauslese einiger ProfessorInnen als unsolidarisches Verhalten gegenüber jenen KollegInnen, die weiterhin „jeden nehmen“, und bezeichnet die skizzierten Entwicklungen an anderer Stelle sogar als ein „Todesurteil für die Lehre“.

Hinsichtlich eines möglichen Qualitätsverlusts in der Forschung äußert sich die Zellbiologin weniger drastisch. Leistungskriterien wie Drittmittel stellen für sie schon aufgrund ihrer disziplinären Zugehörigkeit keinen prinzipiellen Widerspruch zu ‚guter‘ Forschung dar. Darüber hinaus sieht sie in Förderinstitutionen wie der DFG Bewertungsinstanzen, die „zum Glück“ noch eine „fachlich“ begründete Begutachtung von Projektanträgen leisteten. Da sich WissenschaftlerInnen aber mit einem wachsenden Wettbewerbsdruck und einer zunehmend quantifizierenden Messung ihrer Leistungen „rumschlagen“ müssten, sieht sie allerdings auch mögliche Erosionsprozesse. Die Zellbiologin bezieht sich an dieser Stelle nicht nur auf ihre jüngeren KollegInnen, sondern auf Entwicklungen, die grundsätzlich das gesamte Fach betreffen. Durch die Anforderung, „schnell Daten produzieren“ zu müssen, „um noch über Wasser zu bleiben“, könne man es sich etwa weniger „erlauben“, Versuche oft zu wiederholen und „so grundsätzlich“ zu arbeiten, wie es eigentlich angemessen wäre. Zudem beobachte sie eine Zunahme an „Arbeiten“,

„wo wirklich Kleinigkeiten aufgebauscht werden oder eben nichts Neues gemacht wird oder einfach mit irgendeiner Methode alles irgendwie gemessen wird, was messbar ist. Das sind keine neuen Ideen und man sagt dann: ‚Man muss da mal alles durchmessen, und dann guckt man mal, was rauskommt‘ – und diese Art Ansatz finde ich gar nicht gut.“

Ihr Urteil fällt insofern ambivalent aus: Einerseits sieht sie Tendenzen einer inhaltlichen Verflachung, andererseits in der deutschen Forschungsförderung auch einen nach wie vor bestehenden Schutz vor weitgehenden Qualitätsverlusten. Aufgrund ihres eigenen Verschontseins von organisationalen Bewertungen und Karrieredruck findet die Zellbiologin für sich einen entspannten Umgang mit Leistungskriterien wie dem Publizieren von Artikeln in möglichst hochrangigen Journals. Sie sehe es für sich mehr als

„so’n Sport, dass man jetzt sagt: ‚Gut, das ist schön, wenn das in einem Journal veröffentlicht wird, das ein paar mehr Punkte hat‘, aber da bin ich wirklich nicht drauf angewiesen und ich finde immer: Hauptsache ist, die Arbeiten werden gelesen und zitiert.“

Sie orientiert sich an der Beachtung und Anerkennung durch die Scientific Community, ordnet ihre Forschung aber nicht dem Ziel unter, möglichst viele solcher Beiträge zu veröffentlichen. Allerdings bleibt sie über ihr Gefühl der Verantwortung für die Zukunftschancen ihrer Mitarbeitenden mit den entsprechenden Bewertungsmaßstäben verbunden. Während sie sich selbst nicht mehr „aus der Ruhe bringen“ lasse, würden die „jungen Leute“ schon sehr nach ihren Leistungen „abgetastet“. Die Zellbiologin sieht sich dahin gehend in der Rolle einer Förderin, die versuche, für ihre Mitarbeitenden „das Bestmögliche zu machen“. Auch der Lehre und der Organisation ihres Lehrstuhls widmet sie weiterhin Zeit, da sie dort ihren eigenen Maßstäben von Qualität und ‚guter‘ Zusammenarbeit folgen kann. Aus Selbstverwaltungstätigkeiten wie der Mitwirkung in Berufungskommissionen sowie im Fachbereich ziehe sie sich hingegen zurück:

„Sagen wir mal so: In den letzten beiden Kommissionen, da wollte ich schon gar nicht mehr mitmachen, weil es mich auch nicht mehr betrifft […]. Das ist die Sache derjenigen, die noch länger da sind. […] Ich könnte ja jetzt noch mitreden. Nur, das mache ich nicht, weil ich mir an fünf Fingern ausrechnen kann, dass ich überstimmt werde, und dann nützt die ganze Demokratie nichts. […] Da nützt die ganze Überzeugungsarbeit nichts, wenn am Ende dann die Zeit umsonst investiert war. Ich bin da einmal egoistisch geworden. Sonst hab ich auch immer gedacht: ‚Überall mitmachen ist deine Pflicht‘ und so. Das mache ich nicht mehr.“

Die Zellbiologin markiert hier einen deutlichen Einschnitt. Die Äußerung zeigt aber, dass ihr Rückzug vor allem einer Frustration darüber geschuldet ist, an der neuen und von ihr kritisierten Logik der Bewertung nichts mehr ändern zu können. Sie resümiert ihre universitären Erfahrungen der letzten Jahre auch dahin gehend, dass man „froh sein“ könne, „in dem System“ nicht mehr langfristig sein zu müssen.

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Zellbiologin insofern einen idealtypischen Fall der Verschonten repräsentiert, als sie dauerhaft keinen Bewertungen ihrer eigenen Leistungen mehr ausgesetzt sein wird und die Wandlungsprozesse im Sinne des NPM als grundsätzlich negativ deutet. Bemerkenswert ist, dass sie ihre Kritik weniger an die Organisation als an jüngere KollegInnen richtet, die in ihrer Darstellung quasi zu den Hauptakteuren werden, wenn es um die Durchsetzung der neuen Wettbewerbs- und Bewertungslogik geht. Sie rahmt deren Verhalten zwar auch als Folge der Anreiz- und Effizienzorientierung im Sinne des NPM. Gleichwohl betont sie die generationalen Differenzen, wobei sie den jüngeren ProfessorInnen ein schlechtes Zeugnis ausstellt.

Weitere Fälle

Anhand weiterer Fälle wird nun gezeigt, dass andere der verschonten ProfessorInnen eine kritischere Perspektive auf die Rolle der Organisation einnehmen und jüngere oder stärker von Leistungsbewertungen betroffene KollegInnen eher als Leidtragende der Wandlungsprozesse deuten.

Dies ist etwa bei einer C3-Professorin für Politikwissenschaften der Fall, die zunächst eine ähnliche Grundsatzkritik an Leistungsbewertungen wie die Zellbiologin äußert. Durch die ökonomisch geprägte Anreiz- und Effizienzorientierung werde für ProfessorInnen wie auch Studierende die „Muße abgeschafft“ und „am Ende Leistungswillen, Interesse und Kreativität“ behindert:

„Eigentlich ist das Spiel kaputt. Das Spiel geht eigentlich kaputt. Dieses Freude-haben am Ausdenken, meinetwegen auch am Realitäten nachvollziehen, erforschen oder so, kann man eigentlich nicht mit so rein ökonomischen Stimuli fördern. Das muss man eben auch nicht.“ (POL12)

Konkreter kritisiert sie ebenso die lokale Umsetzung von Leistungsbewertungen. Durch eine hierarchische top-down-Kommunikation von Forschungszielen verändere sich das Verhältnis zwischen der Organisation – verstanden als Universitätsleitung und zentrale Verwaltung – und den ProfessorInnen in negativer Weise:

„[E]s gibt eine extrem lückenhafte Informationspolitik, und es wird wirklich eigentlich nur vermittelt, wann Initiative gewünscht ist und wie die auszusehen hat und dass die exzellent sein muss. So! Hier läuft ziemlich viel nicht gut im Sinne von Corporate Identity und dem Gefühl, man würde irgendwie zusammen irgendwas machen.“

Sie beschreibt die Beziehung über eine Asymmetrie, bei der ProfessorInnen gemäß den universitären Wettbewerbszielen gefordert, nicht aber in die Entscheidungsprozesse über die inhaltliche Ausrichtung des Engagements einbezogen werden. Eine weitere wichtige Asymmetrie sieht sie zwischen C-ProfessorInnen und jüngeren KollegInnen. Denn gerade letztere würden adressiert, wenn es um möglichst „exzellente“ – für den universitären Wettbewerb wichtige – Forschung gehe:

„Ich glaube, dass viele Kollegen unter Druck sind. […] Also ich persönlich werde da nicht angesprochen […]. Ich habe hier jede Menge Freiheiten.“

Die Politikwissenschaftlerin nimmt ihre eigene Situation auch angesichts dieses Vergleichs als „sehr komfortabel“ wahr. Ihre C-Professur sei eine „privilegiert[e] Position“, die es ihr weiterhin ermögliche, ihre Aufgaben ohne Leistungsvereinbarungen oder Formen der organisationalen Kontrolle zu erfüllen. Sie könne daher auch unter den gewandelten Bedingungen die „Sachen machen“, die sie „für sinnvoll halte“.

In einer ähnlichen Weise beschreibt eine Literaturwissenschaftlerin die größeren Freiräume, die sie im Vergleich zu jüngeren KollegInnen habe. Während diese „regelmäßig sozusagen Bericht erstatten“ (LIT5) müssten, spielten solche Formen der individualisierten Rechenschaftspflicht für sie selbst keine Rolle. Ein Strafrechtsprofessor formuliert den Kontrast zwischen dem Leistungsdruck jüngerer KollegInnen und seiner eigenen Freiheit noch drastischer. Er selbst habe gegenüber den Leistungsbewertungen „eine ganz entspannte Stellung“, weil er von seinen

„persönlichen Bezügen her damit nichts zu tun habe. Das ist bei diesen W-Professoren ganz furchtbar. Das ist Sklavenarbeit hoch drei, und ich bin ja einer, der das Geld dafür bekommt, dass er älter wird.“ (JUR7)

Die Äußerungen zeigen, dass sich die Kritik vor allem auf die Leistungsbewertungen und die mit ihnen verbundenen Ungleichbehandlungen bezieht. Negative Zuschreibungen einer neuen strategischen oder egoistischen Haltung jüngerer KollegInnen finden sich hingegen kaum.Footnote 13

Dies lässt sich auch anhand des Bildes illustrieren, das die bereits erwähnte Politikwissenschaftlerin von dem kollegialen Verhältnis an ihrem Fachbereich zeichnet. Sie nimmt zwar bei einigen der neu berufenen ProfessorInnen eine Haltung des „Abcheckens“ (POL12) wahr, bei der das jeweilige Gegenüber nach dessen Nutzen für gemeinsame Verbundprojekte eingeordnet werde. Dennoch sieht sie keine Krise der Kollegialität, da es sich um keine verallgemeinerbare Tendenz handele:

„Es ist nicht schlechter geworden, ganz bestimmt nicht. Es ist jetzt eher ein modernes Institut, mit wirklich guten Wissenschaftlern, von denen, wie gesagt, einige ein bisschen kooperativer sind und gemeinwohlorientierter, und andere ein bisschen, vor allen Dingen sich um sich kümmern.“

Weil es weiterhin „gemeinwohlorientierte“ KollegInnen gebe, könne man aus ihrer Sicht nicht davon sprechen, dass „dieses System jetzt sozial oder atmosphärisch irgendwie alles kaputt machen würde“. Zudem habe es auch früher ProfessorInnen gegeben, die vor allem an ihrem eigenen Renommee und ihrer Selbstdarstellung interessiert gewesen seien.

Die Politikwissenschaftlerin grenzt sich somit nicht von ihren KollegInnen, sondern von den organisationalen Zielvorstellungen ab. Während sie sich nicht an Vorschlägen für die „nächste Runde ‚Exzellenzinitiative‘“ beteilige, würde sie im Falle einer von ihrem Institut ausgehenden Idee zu einem gemeinsamen Forschungsprojekt oder SFB „nicht als eine Bremse“ auftreten:

„Also da würde ich nicht defektieren. So weit geht es jetzt nicht. Aber ich sehe nicht mehr, dass ich sagen muss: ‚Hier, ich möchte! Ich habe eine Idee‘, oder so.”

Mit Blick auf ihre KollegInnen und das Wohl des Institutes zeigt sie sich also grundsätzlich zu Kompromissen bereit; gegenüber der Universitätsleitung behauptet sie hingegen ihre Autonomie – ihren Status einer C-Professorin, der man nichts anhaben kann.

Ein wichtiger Punkt ist weiterhin, dass sich die Wahrnehmung des Verschontseins vor allem auf die Bewertung der Forschungsleistungen bezieht. Dies wurde bereits eingangs bei der Zellbiologin (BIO8) deutlich und bestätigt sich anhand weiterer Fälle. Lehrevaluationen, von denen grundsätzlich alle ProfessorInnen betroffen sind, werden zumeist als unproblematisch oder explizit positiv angesehen. Die dahinter stehende Idee einer Wertschätzung und Verbesserung der Lehre entspricht dem stark ausgeprägten Lehrethos, das sich bei diesem Typ häufig zeigt. So sieht ein Strafrechtler seine „Hauptaufgabe” als Professor darin, dass „die Leute was lernen” und auch die Promovierenden fundiert von ihm betreut werden (JUR6). Die „Grundidee” der Lehrevaluationen findet er insofern „nicht verkehrt“, auch wenn er bezweifelt, dass dieses Instrument tatsächlich etwas bei KollegInnen bewirken könne, die der Qualität ihrer Lehre keine Bedeutung einräumten:

„Ich weiß nicht, ob es in dem Bereich hilft, Leute zu zwingen. Also einer, der das nur macht, weil er gezwungen wird, von dem haben wir ja wenig Hoffnung ((lacht)), dass der was daraus macht und dass das was bewirkt.”

Er selbst verbindet mit der verpflichtenden Teilnahme an Evaluationen keine unbotmäßige Kontrolle der Organisation. Er lasse seine Veranstaltungen ohnehin „freiwillig in jedem Semester” evaluieren, da man „nur was draus lernen“ könne.

Die Kriterien, die bei der Bewertung der Forschungsleistungen an Bedeutung gewonnen haben, widersprechen hingegen seinem Forschungsethos. Er versteht sich vor allem als Individualforscher, der sich über gründlich durchdachte Publikationen mit einem Erkenntnisgewinn für seine Scientific Community bewähren möchte. Weder die Anzahl der Artikel noch die Höhe der Drittmittel stellen für ihn angemessene Leistungskriterien dar. Gerade die Einwerbung von Drittmitteln deutet der Strafrechtler als Ausdruck einer ökonomischen Bewertungs- und Handlungslogik, die er nicht mit seinem beruflichen Selbstverständnis und seiner intrinsischen Motivation vereinbaren könnte:

„Also ich sehe meine Aufgabe nicht darin, anschaffen zu gehen und das Geld zu besorgen. Zum einen, weil ich dann nicht zum Arbeiten komme, und zum anderen, weil ich nicht meine Hauptaufgabe darin sehe, meine Zeit in das Einwerben von Geld zu stecken, um dadurch Mitarbeiter zu haben, die die Arbeit machen, die ich eigentlich immer machen wollte, als ich mir diesen Beruf ausgesucht habe, und die ich auch besser kann als die.“

Die Einwerbung finanzieller Mittel wird von ihm als professionsfremde Aufgabe eingeordnet, die ihn in die Rolle eines Projektleiters oder Lehrstuhlmanagers dränge und von den Forschungsprozessen entferne.

Damit geht er mit seiner Kritik weiter als die Zellbiologin (BIO8). Sie hatte zwar die Zunahme einer quantifizierenden Bewertungslogik zulasten inhaltlicher Aspekte kritisiert. Die Leistungskriterien selbst standen für sie aber in keinem vergleichbaren Widerspruch zu ihrem Forschungsethos, da die Einwerbung von Drittmitteln in ihrer Disziplin zu den Voraussetzungen von Projekten und insofern zu den ‚normalen‘ professoralen Aufgaben gehört. Zudem geht der Strafrechtler auch von einem umfänglicheren Qualitätsverlust der Forschung innerhalb seiner Disziplin aus. Er sieht die deutliche Tendenz, dass drittmittelstarke KollegInnen sich mehr und mehr von einem inhaltlichen Anspruch an ihre Arbeiten verabschiedeten. So nehme die „Zahl“ jener JuristInnen ab, „die mal einen längeren wissenschaftlichen Aufsatz schreiben“, während sich die von der Organisation so anerkannten „Drittmitteleinwerber“ auf schnell und einfach publizierbare Artikel verlegten (JUR6). Diese KollegInnen würden

„gar nicht nachdenken, sondern da so jeden Gedanken mal so raushauen in großen Mengen. Das stört leider keinen. Also das, finde ich, ist wahrscheinlich die größte Veränderung, die wir da erfahren: dass jemand einfach auch mal lange darüber nachdenkt. Ich brauche für so einen Aufsatz mehrere Monate und dann denke ich auch drüber nach, und ich habe den Eindruck, das wird immer weniger gemacht.“

Der Strafrechtler zeichnet damit ein kontrastives und negatives Bild, in dem sich IndividualforscherInnen und „Drittmitteleinwerber“ in Bezug auf ihren Qualitätsanspruch gegenüberstehen und der Bedeutungsgewinn quantifizierbarer Forschungsleistungen als substanzieller Verlust zu deuten ist. Dass er als „Einzelkämpfer” für die Universitätsleitung „uninteressant“ sei, biete ihm jedoch die Möglichkeit, ‚im Windschatten‘ an seinen Ansprüchen festzuhalten.

Bei weiteren Sozial- und GeisteswissenschaftlerInnen dieses Typs sind auch differenziertere Deutungen des Verhältnisses zwischen Drittmitteln und Forschungsqualität zu finden. Die Verschonung von Leistungsbewertungen wird von ihnen als Entlastung von Erfolgsdruck oder als Wahlfreiheit in Bezug auf die Forschungsformate, nicht aber als Voraussetzung dafür gedeutet, überhaupt ‚gute’ Forschung betreiben zu können. Ein Politikwissenschaftler gehört zu jenen ProfessorInnen, für die Drittmittelprojekte durchaus zu ihrer Forschungspraxis gehören, die aber froh darüber sind, sich nicht wie jüngere KollegInnen erst über die Einwerbung größerer Summen bewähren und finanzieren zu müssen:

„Also die Frage der Generierung von Drittmitteln, die einen geradezu zwingen, permanent irgendwelche Anträge zu schreiben oder so was – von dieser Last bin ich gottlob ein Stück weit befreit. Insofern würde ich mich auch eher als einen Individualisten bezeichnen ((lacht)) hier so im Rahmen, der sich schon gerne auch in den Dienst des Instituts stellt, das ist überhaupt keine Frage, und schaut, welche Möglichkeiten es da gibt. Der sich jetzt aber nicht nur Gedanken darüber macht, und gottlob nicht Gedanken darüber machen muss: ‚Wie kriege ich das nächste Drittmittelprojekt schon wieder hin? Wie finanziere ich den? Wie finanziere ich den?‘ und so weiter und so fort.“ (POL10)

Diese Form der Entschleunigung bezeichnet er auch als „gute Balance”, in der er sich aufgrund seiner Karrierestufe „einrichten” könne.

Ähnlich argumentiert eine Literaturwissenschaftlerin. Sie nennt neben dem Vorteil der Entschleunigung allerdings auch den inhaltlichen Gewinn, auf Projekte zu verzichten, die eher aufgrund des zu erwartenden Drittmittelerfolgs denn wirklich wegen neuer innovativer Fragestellungen beantragt werden. Die Verschonung von organisationalen Leistungsbewertungen bedeutet hier also, sich von einer Forschung zweiter Wahl distanzieren zu können, deren Anträge zwar „praktisch [wie] ein Selbstläufer” (LIT5) funktionierten, aber nicht dem eigenen Handlungsmotiv der Curiositas entsprechen.

Die bereits zitierte Professorin für Politikwissenschaften (POL12) bezieht sich ebenfalls auf eine inhaltlich bestimmte Entlastung. Durch ihre Freiräume als C-Professorin müsse sie sich nach negativen Erfahrungen mit interdisziplinärer Forschung nicht mehr an solchen Formaten beteiligen. Als Sprecherin eines Forschungsverbundes habe sie sich einst mit überlasteten KollegInnen konfrontiert gesehen, denen die „Muße“ für eine aktive Mitarbeit fehlte, aber auch mit kaum überbrückbaren Differenzen zwischen den Disziplinen. Angesichts der Leistungsbewertungen sei es für WissenschaftlerInnen „rational“, zwar das „Interdisziplinäre zu behaupten“, nicht aber „im Traum das zu machen“. In ihrer Position könne und werde sie sich nunmehr auf kleiner dimensionierte Kooperationen beschränken, bei denen sie im Vorfeld wisse, „wie man zusammenpasst und zusammengehört“.

Es zeigt sich insgesamt also, dass neben einer Fundamentalkritik an Leistungskriterien wie Drittmitteln verschiedene graduelle Formen der Abgrenzung existieren. Darüber hinaus lassen sich Unterschiede hinsichtlich der Einschätzung rekonstruieren, dauerhaft von Leistungsbewertungen verschont zu bleiben. Denn während die Zellbiologin (BIO8) in dieser Hinsicht von keinen Veränderungen mehr ausgeht, setzen sich einige der anderen ProfessorInnen mit der Möglichkeit eines zunehmenden Legitimations- und Anpassungsdrucks auseinander. Hierbei spielt nicht allein die antizipierte Entwicklung der organisationalen Governance, sondern auch die Einschätzung des kollegialen Zusammenhalts eine Rolle.

Die Politikwissenschaftlerin macht etwa deutlich, dass ihre wahrgenommene Verschonung von Leistungsbewertungen nicht allein durch ihren formalen Status, sondern auch durch die informelle Anerkennung vonseiten ihrer KollegInnen bedingt ist:

„Ich glaube nicht, dass die mich für irgendwie doof oder so was halten, und dass ich irgendwie speziell bin, können sie alle hinnehmen. Also ich habe nicht das Gefühl, dass irgendeiner mich unter Druck setzt. Es ist eher, dass ich damit umgehen muss, ob mir das was ausmachen würde. Würde ich das ertragen wollen, wenn meine Akzeptanz als Person davon abhinge, ob ich Drittmittel habe oder nicht, und wenn ich keine habe, die sagen würden ‚die ist ja eh voll doof‘ oder so, […]? Wäre ich nicht sicher.“ (POL12)

Noch konkreter wird die Relevanz der kollegialen Anerkennung beim Thema der LOM, da die Form der internen Umsetzung wesentlich von den Fachbereichen mitbestimmt wird. Während sich einige der enttäuschten SympathisantInnen im Sinne ihres ‚Pay Offs’ eine individualisierte Anwendung dieses Instrumentes wünschten, zeigen sich bei den Verschonten gegenteilige Deutungen: Für sie drückt sich in einer ‚gleichmäßigen’ Mittelverteilung eine kollegiale Anerkennung und Solidarität aus, die sie vor materiellen Nachteilen schützt. Ein Strafrechtler grenzt seine Fakultät daher in positiver Weise von Entwicklungen in anderen Fachbereichen ab, wo man etwa in „wissenschaftlich niveaulos[er]“ Weise die Publikationsleistungen der einzelnen ProfessorInnen nach einem schlichten Schema quantifiziere und zu einer „Ziffer“ verkürze (JUR9). Die JuristInnen ließen sich „untereinander relativ in Ruhe“, indem sie einen nur „zurückhaltenden Gebrauch” von einer „leistungsorientierte[n] Bewertung“ machten:

„Diejenigen, die Drittmittel einwerben, profitieren selbst davon, aber es ist nicht so, dass irgendjemand bestraft wird, wenn er keine Drittmittel einwirbt zum Beispiel, und deswegen fühle ich mich nicht so sehr betroffen davon.“

Im Rahmen seiner fakultätsübergreifenden Gremienarbeit sieht er sich allerdings mit einer – wenn auch nur informell – an die JuristInnen gerichteten Erwartung konfrontiert, mehr Drittmittel als bisher einzuwerben. Er erwähnt in diesem Kontext zwar den Vorteil, dass die Rechtswissenschaften durch ihr weiterhin hohes Ansehen nicht so sehr wie andere Geisteswissenschaften „um ihre Legitimation kämpfen” müssten. Dennoch gerät er als Gremienmitglied unter einen stellvertretenden Rechtfertigungsdruck für die als „mickrig” wahrgenommene Drittmittelquote seiner Fakultät. Damit wird ihm vor Augen geführt, dass die organisationalen Leistungskriterien in anderen Fächern auch von ProfessorInnen geteilt und zur Basis der wechselseitigen Bewertung werden können.

Eine Ambivalenz zeigt sich ebenfalls, wenn es um die Frage einer möglichen Zunahme von Druck oder manifesten Nachteilen für IndividualforscherInnen geht. So vermutet ein anderer, zuvor bereits zitierter Strafrechtler, dass sich die organisationale Governance langfristig weiter zugunsten drittmittelstarker ProfessorInnen verändern werde, die schon jetzt „des Präsidenten Liebling“ (JUR6) seien:

„Ich kann mir vorstellen, dass irgendwann mal jemand auf die Idee kommt, dass diese Freisemester, die es jetzt immer alle neun Semester und relativ automatisch gibt – man muss einen Antrag stellen, es guckt aber keiner, was man an Forschungsprojekten angibt –, dass man die auch mal umverteilt und sagt: ‚Nee, das kriegt jetzt nur der Leister und nicht der andere‘. Davon gehe ich aus, dass das zunehmen wird.“

Er deutet die individualisierte Umsetzung der LOM, bei der nicht länger die Fakultät die Bewertungseinheit bildet, insofern auch als eine Gefährdung des kollegialen Zusammenhaltes. Für positiv befindet der Strafrechtler daher, dass man sich in seinem Fachbereich auch gemeinsam mit den drittmittelstarken KollegInnen darauf einigen konnte, die LOM nicht in individualisierter Weise anzuwenden. Die potenziellen ProfiteurInnen wären so „gescheit“ gewesen, zu erkennen, dass sie im Sinne eines funktionierenden „Gesamtsystems“ auch „von den anderen leb[t]en“ und daher besser auf ihren materiellen ‚Pay Off‘ verzichten:

„Weil auch diejenigen, die wissen, dass sie davon eher profitieren, wissen, dass das Gesamtsystem eher zusammenbricht, wenn der Brüter am Schreibtisch plötzlich nichts mehr macht, in kein Gremium mehr geht und auf Durchzug schaltet bei allem. Das ist auch für die nicht gut, die die Drittmittel einwerben und auf die Kongresse gehen. Deshalb ziehen wir zurzeit noch eine Barriere ein, aber der Druck von oben wird zunehmen, dass wir das intern weitergeben sollen.“

Er geht somit von einer arbeitsteiligen Konstellation wechselseitiger Abhängigkeit aus, da im Falle einer Ungleichbehandlung über die LOM ProfessorInnen wie er sich schließlich auch weigern könnten, „Gemeinschaftsdinge zu übernehmen“:

„[I]ch kann mir gut vorstellen, dass ich dann meine Tätigkeit in der Bibliothekskommission, oder was ich sonst so mache, sein lassen würde, und so ein anderer Aufsatz-Einzelkämpfer-Schreiber […], der wird das auch ganz schnell sein lassen. […] Weil es sich nicht lohnt! Oder wenn man den Stempel bekommt, ‚Du bist hier der Versager‘, dann will man ja nicht auch noch die Arbeit machen.“

Der Strafrechtler positioniert sich damit als potenziell wehrhaft: Er würde weiterhin an seiner Art der Forschung festhalten, aber keine oder weniger Aufgaben der Kollektivgutproduktion für die Universität bzw. den Fachbereich übernehmen. Gleichzeitig spiegelt sich in seiner Argumentation aber eine gewisse Verletzlichkeit seiner Position wider, da der aktuelle kollegiale Konsens eher auf eigennützigen Motiven der drittmittelstarken ProfessorInnen als auf einer wirklichen Anerkennung der verschiedenen Leistungen ‚auf gleicher Augenhöhe‘ beruht.

Resümierend lässt sich festhalten, dass den Typus der Verschonten eine grundsätzliche Kritik an den gegenwärtigen Bewertungsprozessen charakterisiert. Diese rührt weniger von individuellen Nachteilen her, sondern ist vor allem in einer wahrgenommenen Gefährdung zentraler wissenschaftlicher Prinzipien und eines damit erzwungenen Endes ‚guter‘ Forschung und Lehre begründet. Es besteht durchaus eine unterschiedliche Reichweite der Kritik; die Tendenz zur Krisendiagnose stellt aber eine Gemeinsamkeit dar.

5.2.5 Gelassene

Nur kurz wenden wir uns an dieser Stelle demjenigen Typus zu, der sich von allen anderen dadurch unterscheidet, dass er den Reformen jegliche nennenswerte Wirksamkeit abspricht – nicht nur, wie die Verschonte, auf die eigene Situation bezogen, sondern auf die eigene Universität als Ganze und das deutsche Universitätssystem insgesamt. Der Gelassene versteht die ganze Aufregung nicht – weder die der ReformbefürworterInnen noch die ihrer GegnerInnen. Erstere machen sich in seinen Augen Illusionen darüber, was an positiven Veränderungen bewirkt werden kann – und letztere pflegen Phantomschmerzen, denn auch zum Schlechteren hat sich nichts verändert.

Als soziologischer Beobachter könnte man den Gelassenen auch so charakterisieren, dass es sich um einen solchen Verschonten handelt, der auch alle anderen ReformgegnerInnen als Verschonte einstuft. In seinen Augen liegen diejenigen, die sich selbst als Verschonte einstufen, mit dieser Selbsteinschätzung zwar richtig, irren aber bezüglich der negativen Betroffenheit der Wehrhaften und Opfer; und diese irren sich bereits in ihrer Selbsteinschätzung, erst recht in der Einschätzung aller anderen. Denn in Wirklichkeit sind – so sieht es der Gelassene – sie alle nicht betroffen. Sie können es – ebenso wie die sich selbst als SympathisantInnen, Zuversichtliche oder ProfiteurInnen Einstufenden – ganz einfach deshalb gar nicht sein, weil es mangels nennenswerter Reformeffekte überhaupt keine Betroffenheiten gibt. Andersherum betrachtet, sind die Gelassenen diejenigen, die sich darüber irren, dass sie zu den ‚happy few’ gehören, die nicht von den Reformen betroffen sind.

Diese Sicht der Dinge mag eine nicht so häufig vorkommende, vielleicht sogar eine ausgesprochene Randerscheinung sein. Auch wenn wir in unseren Fällen keinen auch nur halbwegs diesem Typus entsprechenden Vertreter gefunden haben, handelt es sich nicht bloß um eine Denkmöglichkeit, die sich logisch aus der ersten von uns zur Konstruktion der Typologie herangezogenen Dimension – der Wirksamkeitswahrnehmung hinsichtlich der Reformen – ergibt. Plausibel dürfte zumindest sein, dass vor allem die Verschonte, vielleicht aber auch der Wehrhafte, womöglich sogar manchmal das Opfer, zeitweise zum Gelassenen werden, indem sie sich sagen: „Wozu all das Lamento? Muss wirklich irgendwer besorgt sein oder gar Angst haben vor den Rohrkrepierern der Reformer?“ Doch solch eine Haltung könnte sich auch als dauerhaftere Einstellung verfestigen. Eine ernsthafte Suche dürfte diesen Typus sicher ausfindig machen.

Er ist freilich, für sich genommen, für unser Untersuchungsinteresse ein uninteressanter Typ. Denn er hat ja keinerlei Identitätsprobleme durch die Reformen im Allgemeinen und die Leistungsbewertungen im Besonderen. Wenn man diese subjektiv plausibel als wirkungslos abtun kann, schläft man ruhig – wie wir es in aller Doppeldeutigkeit formulieren wollen.Footnote 14 Für die uns hier interessierenden Fragen sind dennoch drei Aspekte des Gelassenen interessant – wobei wir auf der Grundlage unserer empirischen Daten zu keinem davon verlässliche Aussagen treffen können:

  • Wie häufig kommt dieser Typus vor? Je mehr er verbreitet wäre, desto weniger belangvoll wären die Ergebnisse unserer Untersuchung. Nur eine repräsentative Befragung, die den Gelassenen zweifelsfrei identifizieren könnte, kann diese Frage beantworten. Bis zum Beweis des Gegenteils gehen wir allerdings davon aus, dass es sich um einen eher selten vorkommenden Typus handelt.

  • Wie kann jemand angesichts der auch von ihm nicht bestreitbaren ergriffenen Reformmaßnahmen – etwa der Einführung der W-Besoldung – zu der Einschätzung gelangen, dass sie alle im Sande verlaufen? Bei der Antwort auf diese Frage gerät man schnell in psychologisches Terrain, auf das wir uns nicht begeben wollen. So viele andere sehen die Reformen als wirksam – positiv oder negativ bewertet – an: Was bringt jemanden zu einer davon abweichenden Einschätzung?

  • Wie in sich ruhend ist der Typus des Gelassenen? Handelt es sich um eine längerfristig stabilisierbare Haltung, oder findet früher oder später ein Übergang in einen der anderen Typen statt? Am kürzesten scheint der Weg zum Verschonten. Denn das ist der Gelassene, der lediglich erkennt, dass nicht alle so viel Glück wie er selbst haben. Doch der Gelassene ist ja auch in seiner Bewertung dessen, was er als wirksame Veränderung abstreitet, offen. Er kann sich daher, sobald sich diese Wirksamkeitswahrnehmung ändert, in Richtung aller weiteren Typen verändern. Was sind die Determinanten dafür, dass er eine bestimmte und keine andere Richtung einschlägt?

Wir müssen hier all diese Fragen, vor allem auch die letztgenannten, auf sich beruhen lassen und – sofern es sich nachweislich um einen empirisch häufiger vorkommenden Typus handelt – weiteren Untersuchungen überlassen.

Nun also wieder zu denjenigen, deren Wirksamkeitswahrnehmung durchaus durch tiefgreifende Veränderungen geprägt ist. Mit den Wehrhaften und den Zuversichtlichen handelt es sich um zwei Typen, die einen aktiven Umgang mit ihrer – allerdings sehr unterschiedlich bewerteten – Betroffenheit von Leistungsbewertungen finden müssen.

5.2.6 Wehrhafte

Dass ProfessorInnen ihren Status keinesfalls schon als gesichert wahrnehmen, wenn sie bislang keinen positiven oder negativen Effekten von Leistungsbewertungen ausgesetzt sind, zeigte sich bereits an den letzten Ausführungen zum Verschonten. Das Beispiel des potenziell wehrhaften Strafrechtlers (JUR6) verdeutlichte, wie eine antizipierte Betroffenheit in den Gesprächen thematisiert wird: Leistungsbewertungen, die eigenen Ansprüchen an ‚gute‘ Forschung und ‚gute‘ Lehre zuwiderlaufen, wirken umso bedrohlicher, je stärker man selbst von diesen Bewertungen betroffen ist oder diese auf sich zukommen sieht. Obgleich konkrete Praktiken des Widerstands noch ausbleiben, deutet sich eine mögliche „Verlaufskurve” (Schütze 1981) in Richtung Wehrhaftigkeit an.

Den Wehrhaften haben wir eingangs als einen Professor charakterisiert, der Leistungsbewertungen ausgesetzt ist, die er ablehnt. Durch Praktiken der Gegenwehr kann er sich allerdings deren Auswirkungen noch mehr oder weniger entziehen. Ihm gelingt es somit, seine berufliche Identität gegenüber den organisationalen Anforderungen zu behaupten.

Seine Kritik an den Leistungsbewertungen beschränkt sich keineswegs nur auf Details: Schon der Umstand, sich bzw. die eigene Forschung und Lehre überhaupt einer organisationalen Bewertung aussetzen zu müssen, kann Anlass identitätsbehauptenden Handelns sein, wenn dieser Steuerungsanspruch als Verletzung zentraler Autonomieansprüche erfahren wird. Es können aber auch weniger grundsätzliche Aspekte wie eine auf lokaler Ebene hierarchische Umsetzung organisationaler Bewertungsverfahren oder die in diesen Verfahren benutzten und als inadäquat erachteten Beurteilungskriterien Auslöser für Praktiken der Gegenwehr sein. Wir finden diesen Typus in allen Disziplinen, Alters- und Besoldungsstufen vor. Gleichwohl lassen sich in der Gruppe der W-Besoldeten andere, handfestere Bedrohungen der subjektiven Ansprüche durch die Organisation erkennen. Im Gegensatz zu C-ProfessorInnen sind W-ProfessorInnen nicht nur einem tendenziell größeren Bewährungsdruck, sondern durch individuelle Ziel- und Leistungsvereinbarungen zumeist auch einer konkreteren Leistungserwartung ausgesetzt.

Wir beginnen wieder mit einem Fall, der nahezu idealtypisch den Wehrhaften verkörpert. Ergänzende Fälle dienen dem Aufzeigen weiterer Facetten sowie Abstufungen dieses Typus. Abschließend stellen wir das Spektrum der identifizierten individuellen und kollektiven Praktiken des Umgangs mit Leistungsbewertungen dar, deren Effekte mit Blick auf die Qualität von Forschung und Lehre sowie auf Kollegialitätsverhältnisse wir im Weiteren eruieren werden.

Ankerfall: „Ich spiele die alte Universität“

Der W3-Professor für Neuere Deutsche Literatur, um den es nachfolgend geht, wurde zehn Jahre zuvor auf seine erste Professur berufen und ist auf zwei Arten von Instrumenten der Leistungsbewertung betroffen: Zum einen bemessen persönliches Gehalt und Lehrstuhlausstattung sich auch an seiner Leistungsbilanz, zum anderen wird er mit Zielvereinbarungen zwischen seinem Fachbereich und der Universität sowie mit Formen der Leistungsbeurteilung konfrontiert, die sich, wie er mehrfach betont, vor allem auf die Lehre beziehen.

Persönliche Zielvereinbarungen habe er im Rahmen seiner Berufungsverhandlungen mit der Hochschulleitung damals nicht abgeschlossen, da er der „Auffassung” gewesen sei,

„dass ich bereits einen Vertrag habe mit dem Minister, in dem alle meine Pflichten und Rechte enthalten sind, und ich mich in keinerlei Weise noch weiter binden möchte.“ (LIT7)

Auf diese Weise kann er sich zwar individuellen Berichtspflichten und den organisationalen Bewertungsmaßstäben teils entziehen, durch die praktizierte LOM auf Fachbereichsebene kommt jedoch eine kollektive Betroffenheit zum Tragen, die ihn mit konkreten Leistungserwartungen konfrontiert. Zeigt sich in seiner Ablehnung individueller Zielvereinbarungen bereits die Verteidigung seiner persönlichen Autonomie gegen Versuche der organisationalen Leistungssteuerung, setzt sich seine kritische Perspektive in der Bewertung der praktizierten LOM fort. Während für das Gros der interviewten ProfessorInnen Prozesse der Forschungsbewertung Anlass für eine umfängliche NPM-Kritik sind, bezieht der Literaturwissenschaftler seine Kritik zunächst, und am deutlichsten, auf die an seiner Universität angewandten Leistungskriterien in der Lehre. Mit Blick auf diese formuliert er ein eindeutiges Urteil:

„Das Kriterium der Anzahl der Abschlüsse an der Universität ist meines Erachtens außerordentlich schädlich. Das ist geradezu fahrlässig, weil im Grunde der Abschluss über eine intrinsische Motivation kommen muss. Also sollten die Leute abschließen, die durch ein allgemeines Verständnis von Qualität dazu in der Lage sind. Dann spielen irgendwelche Zahlendinge keine Rolle. Der Versuch, die Abschlusszahlen zu steigern, ist also kontraproduktiv zu der Idee der Universität.“

Der Germanist bewertet das hochschulpolitische Ziel hoher Absolventenzahlen als schlichtweg falsch, gar „kontraproduktiv zu der Idee der Universität“, und verweist mit Nachdruck auf die notwendige „intrinsische Motivation“ und individuelle intellektuelle Leistung der Studierenden, auf deren Fehlen man nicht durch reduzierte Anforderungen reagieren dürfe. Mehr noch, es steige mit der Belohnung hoher Absolventenzahlen aufseiten der Lehrenden die „Bereitschaft, Qualitätskriterien aufzugeben“. Die LOM ist in seiner Perspektive höchst dysfunktional, da sie die Ausbildungsqualität hinter das quantitative Ziel der Abschlusszahlen stelle. Es geht ihm folglich um beides: um die Wahrung einer autonomen Handlungssphäre und um die Verteidigung eigener Qualitätsmaßstäbe, denen die Reformziele zuwiderliefen.

Gegenüber „Bologna“ und den daran geknüpften Studienanforderungen – dem „Irrsinn“, wie er das System der Leistungspunkte beschreibt – positioniert er sich durchweg ablehnend. So finde das in seiner Disziplin essenzielle hohe Lektürepensum bzw. die für eine intensive Lektüre literarischer Werke nötige Zeit in den Leistungspunkten keine Berücksichtigung und sei daher kaum im Lehrplan zu „implementieren“. Damit möchte sich der Germanistikprofessor allerdings nicht zufriedengeben. Statt seine Ansprüche zu reduzieren oder zu reformulieren, verlangt er seinen Studierenden Leistungen ab, die das vorgesehene – in Leistungspunkten bemessene – Pensum übersteigen. Er akzeptiert das Leistungspunktesystem insofern nicht. Während sein Anspruch bei einer „besonders begabten“ Minderheit Anklang finde, begnüge sich die Mehrheit der Studierenden hingegen mit einer auf Sekundärliteratur beschränkten Studienlektüre, also mit lediglich „sekundäre[m] Wissen“. Dies habe, so sieht es der Literaturwissenschaftler, entsprechend negative Folgen:

„Unser Studium ist, wenn man es richtig macht, nur für ganz wenige machbar, die bereit sind, in der Nacht zu lesen […]. Das führt dazu, dass die Absolventen unseres Studiums geradezu unbelesen aus dem Studium gehen und das ist eine Ka-, das ist schlimm.“

Das erwähnte Kriterium der Absolventenzahlen sei schon deshalb „geradezu fahrlässig“, weil das Studium der Germanistik ohnehin eher einen Typus von Studierenden anziehe, der „gänzlich ungeeignet“ dafür sei, was der Germanist als ein zentrales Problem seiner Disziplin ansieht:

„Weil ich der Auffassung bin, dass […] für diesen Vorgang der skeptischen Reflexion, der zentral ist in meinem Fach, viele nicht geeignet sind. […] Die Leute studieren Germanistik, denken, sie können die deutsche Sprache, und ich muss ihnen jetzt zeigen, dass davon überhaupt nicht die Rede sein kann.“

Da der Germanistikprofessor mit der Umsetzung der Studienstrukturreform eine Erosion zentraler Bildungsansprüche verbindet, begreift er seine Aufgabe darin, der Universität, die ihr „ureigenes Recht der Qualitätssicherung“ aus seiner Sicht verantwortungslos „aufgibt“, seine eigenen „Qualitätsvorstellungen“ entgegenzusetzen.

Deshalb hat er weniger Studierende in seinen Lehrveranstaltungen und weniger zu betreuende Abschlussarbeiten als die KollegInnen, woraus ihm persönlicher „Nachteil“ erwachse. So habe es an seinem Institut bei der Vergabe zu verteilender Mittel kürzlich einen „Fall“ gegeben, in dem er seinen InstitutskollegInnen „unterlag“. Entscheidend dafür, dass er dies als ungerechtfertigt empfand, ist, dass ihm dies trotz seines „Ansehens“ innerhalb seiner fachlichen Community, seiner „Publikationstätigkeit“ und seiner „Ehrungen“ entstanden sei:

„Ich war im [Kolleg] in [Stadt] als Fellow, ich war im [Forschungsinstitut] in [andere Stadt] als Fellow. Das sind alles Gesichtspunkte, die keine Rolle spielen. Insofern sind die Leistungsanforderungen für mich null Anreiz. So wie sie jetzt im Moment existieren.“

Dass ein Fellowship weniger bedeute als die Anzahl an korrigierten Bachelorarbeiten, ist für ihn unverständlich, sodass er der Universität „hinsichtlich der leistungsorientierten Mittelverteilung kein Partner“ sein wolle:

„[U]nd das hat auch mit dieser Leistungszuordnung zu tun. Indem ich mich entscheide, dass mein Profil als Forscher und Lehrer nicht in der Akquise von Drittmitteln besteht, nicht in der offensiven Vernetzung, die mache ich sowieso, aber so, wie sie sich ergibt, auch nicht in der Maximierung der Anzahl der Abschlussarbeiten, was ein klares LOM-Kriterium ist, bin ich uninteressant in der Hinsicht und ich verhalte mich dann auch entsprechend.“

Aufgrund der erfahrenen Diskrepanz zwischen der universitären Bewertungsordnung und seinem Verständnis ‚guter‘ Wissenschaft distanziert er sich von den angewandten Kriterien und schreibt ihnen „null“ Anreizwirkung zu. Wegen seiner fortgeschrittenen Karrierephase blicke er allerdings auch gelassener auf etwaige Leistungserwartungen als seine jüngeren KollegInnen. Da er sich nicht mehr bewähren müsse, sei er in einer vergleichsweise „komfortablen Situation“ und habe daher „beschlossen“, sich in seiner Forschung nur mehr „ganz auf [s]eine Bücher zu konzentrieren“. Die Einwerbung von Drittmitteln stellt für ihn hingegen kein relevantes Leistungskriterium dar.

Zudem rekurriert er auf die Vorzüge seines „privilegierten“ Professorenstatus, der ihm „unglaublich viele Freiheiten […] und Möglichkeiten“ biete:

„[M]an kann sich ideale Bedingungen schaffen, weil man ja als Professor die Rahmenbedingungen hat, man ist Beamter. Aber man muss aufpassen, es nicht übertreiben, dass man sich diese idealen Bedingungen nicht selbst wieder zerstört, indem man den Versuchungen nachgibt, Reputation und symbolisches Kapital außerhalb sich anzueignen. Man muss bereit sein, einen Einflussverlust in Kauf zu nehmen.“

Dies ist ein Beispiel dafür, dass man Identitätsdarstellung betreibt, indem man sich strikt zu den ehemals gegolten habenden Rollenerwartungen bekennt: Man hält die Tradition gegen die fehlgeleiteten Reformer hoch – wie „Humboldts letzte Krieger“ (um noch einmal Sabine Etzold in DIE ZEIT 14/2000 zu zitieren).Footnote 15

Den Wehrhaften unterscheidet vom Reformopfer, dass er Handlungsspielräume für sich identifizieren kann, um seine subjektiven Ansprüche entgegen der organisationalen Erwartungshaltung aufrechtzuerhalten. Da der Literaturwissenschaftler sich dem Bewertungssystem nicht machtlos ausgeliefert fühlt, resultiert kein Konflikt jener Art, wie ihn etwa die Strafrechtlerin (JUR3) erfahren hatte. Aus seiner Sicht ist es vor allem der „Professor“ selbst, der sich seine „ideale[n] Bedingungen“ zerstöre, wenn er sich „verzettel[e] in Drittmittel[n] und Gremienarbeit“ (LIT7). Konkret bedeutet dies für ihn, jene weniger zentralen „zeitaufwendig[en]“ Aufgaben neben Forschung und Lehre „zurück[zu]schrauben“, um sich einen größtmöglichen Freiraum zu „schaffen“, der ihm eine zufriedenstiftende Forschungs- und Lehrtätigkeit ermöglicht:

„[W]enn man es klug macht, hat man genug Zeit. […] Ich forsche auch während des Semesters. Wichtig ist, dass der Professor selbst nicht allen Versuchungen nachgibt, bedeutende Ämter anzunehmen. Zum Beispiel ist die Gutachtertätigkeit unglaublich zeitaufwendig; auch die habe ich zurückgeschraubt. Ich hab die Drittmittel zurückgeschraubt.“

Für sein berufliches Handeln verbinden sich mit dieser Einsicht im Ergebnis Vorteile, die von kleineren, für ihn aber akzeptablen Nachteilen begleitet werden, sodass sich hier eine Art ‚Trade Off‘ ergibt: Sein Rückzug verlange zwar den Verzicht auf finanzielle oder personale Mittel sowie einen „Einflussverlust“ im unmittelbaren wie auch weiteren kollegialen Umfeld. Allerdings sei auch die „Beliebtheit“ bei KollegInnen oder Studierenden nicht mehr als ein irreführender Antrieb, da Autonomie sich nur in Verbindung mit solchen Einbußen erlangen lasse:

„Das nehme ich in Kauf, weil ich ein höheres Ziel habe. Also mein Ziel ist die Verbesserung meines eigenen Kopfes, die Verbesserung meines eigenen Kopfes.“

Und mit Blick auf die schlechten Evaluationen seiner Pflichtveranstaltungen, die Resultat seiner hohen Leistungserwartungen an die Studierenden seien, ergänzt er, dass „zu den Kriterien des guten Professors […] eine gewisse mentale Stärke“ gehöre, um sich nicht von solchen sozial vermittelten Erwartungen oder Meinungsbildungen „irritieren“ zu lassen. Solch eine Haltung, die der Literaturwissenschaftler auch anderen ProfessorInnen abverlangt, ist auf seiner Karrierestufe sicher einfacher als für andere.

Neben dem bereits skizzierten Rückzug aus der Kollektivgutproduktion zugunsten größtmöglicher individueller Freiheitsräume lassen sich bei ihm weitere konkrete Handlungspraktiken, die nicht nur der Entlastung, sondern auch der Behauptung eigener Ansprüche dienen, vor allem in der Lehre identifizieren:

„Ich will jetzt positiv vermerken: Ich habe einen Weg gefunden, wie ich das bewältige, aber das ist ein sehr privater Weg, also das ist ein sehr individueller Weg. Ich nutze, ich halte nach wie vor die alten Ansprüche aufrecht.“

Interviewerin: „Das heißt, das ist dann Voraussetzung, den gelesen zu haben.“Footnote 16

„Ja, ja. Und dann kommen aber nur wenige zu meinen Seminaren. Dann sind so sieben bis zehn Leute in meinen Seminaren, in jedem Seminar in diesem Semester waren bei mir nur sieben bis zehn Leute. […] Es sind nur wenige. Ich würde mich freuen, wenn mehr kommen, so ist das nicht. Ich nutze Paragraph 5, Absatz 3: ‚Die Lehre ist frei.‘, um diesen Anspruch durchzusetzen.“

Eine Integration von Forschung und Lehre wird für ihn unter den geschaffenen Bedingungen möglich. Während er seine Aufmerksamkeit den „geeigneten“ Studierenden widme und diesen anspruchsvolle Praktika in wissenschaftlichen Einrichtungen vermittle, ermöglichen ihm die geringen Teilnehmerzahlen und sein ansonsten weitgehender Rückzug aus der Betreuung der Studierenden die nötigen zeitlichen Freiräume für die Forschung und eine für ihn sinnstiftende Lehre. Schließlich kann der Germanist sich jenen Dingen – in der Forschung vor allem der Publikation von Büchern, in der Lehre der Auseinandersetzung mit anspruchsvollen literarischen Werken gemeinsam mit hochinteressierten Studierenden – widmen, die seinem Verständnis einer ‚guten‘ wissenschaftlichen Tätigkeit entsprechen. Zugleich weiß er, dass sein eigener Rückzug auf ein kollegiales Umfeld trifft, das diesen weitestgehend kompensieren kann. So zieht er zwar alles in allem eine positive Bilanz seiner gegenwärtigen Situation, vergegenwärtigt sich jedoch zugleich ihre Fragilität: Die spezielle Konstellation – eigene Ansprüche treffen auf günstige, jedoch hochgradig volatile Rahmenbedingungen – ist ihm bewusst. So sei es vermutlich

„ein Unterschied, ob man an einer Massenuniversität arbeitet oder nicht, und [Universität] ist keine Massenuniversität, und das empfinde ich als einen großen Vorteil. Die Besetzung der Germanistik ist hier gut. Es gibt [x] Professuren für [x] Studenten und das ist gut […]. Ich weiß nicht, ob meine Qualität hier an einer Massenuniversität möglich wäre.“

Jene „Kollegen, die wirklich Forschung mach[t]en“, lehrten durchweg in kleinen Seminaren, während die forschungsschwächeren „anderen Kollegen“, die „kein Interesse oder keine Begabung oder keinen Drive“ hätten, den Großteil der Lehre übernähmen. „De facto“ gebe es also Lehrprofessuren. Der Germanist ist sich der damit einhergehenden „Konfliktpotenziale“ bewusst: Er weiß, dass er und seine forschungsstarken KollegInnen ihre Verantwortung für die Lehre „delegier[t]en“, befindet aber auch, dass die „anderen“ KollegInnen ihre Forschungsaufgaben vernachlässigten. So stünden letztlich wechselseitige Vorwürfe im Raum.

Durchaus selbstkritisch merkt er zur Entkopplung von Lehre und Forschung an:

„[W]em es gelingt, lässt sich einladen von einem dieser Forscherkollegs. Ich war auch jetzt [x] Jahre […] weg. […] Zuerst im [Kolleg] und dann gefiel mir das so gut, dass ich gleich eine neue Einladung sofort annahm. […] Aber ich mach das jetzt nicht mehr mit, weil es eigentlich eine Krankheitssymptomatik ist. […] Dass man sich der Universität auf diese Weise entzieht, und ich hab jetzt in der Universität […] dieses Modell für mich entwickelt: Ich spiele die alte Universität, weil ich glaube, dass das die Universität ist.“

Die „alte Universität“ zu „spiele[n]“ bedeutet die Fortführung seiner Lehre in oben beschriebener Weise. Der Germanistikprofessor hat damit eine für ihn persönlich erfolgreiche Form des Umgangs gefunden, die ihn nicht zu ‚Fluchten‘ zwingt. Stattdessen distanziert er sich von den universitären Leistungskriterien und führt seine Tätigkeit gemäß seinen eigenen Ansprüchen inner- und nicht außerhalb der Universität fort.

Als wehrhaft charakterisiert den Literaturwissenschaftler nicht zuletzt, dass sein Festhalten an den eigenen Ansprüchen auch einschließt, notfalls auf Konfrontationskurs mit der Hochschulleitung oder dem Kollegium zu gehen, dessen zunehmenden Opportunismus er kritisiert. Während viele, vor allem jüngere ProfessorInnen „mehr auf Konsens“ aus seien, um „aus dem bestehenden System möglichst viel für sich herauszuholen“, schreibt er sich selbst eine gewisse Resistenz und Konfliktbereitschaft zu, die er eigentlich als essenziell für seinen Berufsstand ansieht. Er positioniert sich als einen der letzten Verfechter der „alten Universität“, die man notfalls auch gegen die „Linie des Faches“ durchsetzen müsse. Sein Ziel besteht nicht etwa darin, die Anpassung an Leistungsbewertungen in ein möglichst optimales Verhältnis zu den eigenen beruflichen Ansprüchen zu setzen, sondern sich Ersteren komplett zu entziehen. Mit dieser Distanzierung von der Organisation verkörpert er den Wehrhaften in idealtypischer Weise. Die deutlich gewordene Problematik dieser Ausprägung von Wehrhaftigkeit besteht darin, dass sie Kollegialitätsverhältnisse strapazieren kann, weil solch ein weitgehender individueller Rückzug aus der Pflichtlehre nicht selten Mehrbelastungen für andere hervorbringt (Sondermann und Janßen 2019).

Weitere Fälle

Eine so weitgehende und deutlich artikulierte Distanzierung wie die des Germanisten zeigt sich in unseren Interviews allerdings selten. Häufiger lassen sich zwar Momente der Wehrhaftigkeit identifizieren – aber nicht in einer solchen Stringenz. Die subtileren bzw. graduellen Formen der Abgrenzung von den – formellen und informellen – Leistungserwartungen werden nun anhand weiterer Fälle aufgezeigt.

Ein Politikwissenschaftler ist ein Beispiel für einen zwar kritischen, sich aber letztlich dem organisationalen Zugriff nicht gänzlich verwehrenden Professor: Er sagt von sich, er könne sich schon aufgrund seiner Position des Institutsleiters nicht völlig von den universitären Leistungsbewertungen distanzieren. Da er nicht nur selbst Zielvereinbarungen abgeschlossen habe, sondern als Leiter eines Forschungszentrums zudem dafür sorgen müsse, „dass auch Drittmittel fürs Zentrum“ (POL6) eingeworben werden, sieht er sich in doppelter Weise von Leistungsbewertungen betroffen. So müsse er auch seine KollegInnen „anschärfen, dass sie jetzt liefern“, damit die universitären Mittel für das Zentrum sowie „Anschubfinanzierungen für DFG-Projekte oder so was“ gewährt werden. Für ihn persönlich bedeuten die Zielvereinbarungen unter anderem, „jedes Jahr eine sechsstellige Summe Drittmittel“ einwerben zu müssen, um einen über Universitätsgelder zusätzlich finanzierten Mitarbeiter zu bekommen: „Also das sind die Anreizstrukturen, die berühmten.“ Hinzu kämen „vier oder fünf Journal-Artikel pro Jahr“:

„[W]as auch eigentlich absurd ist. Dann macht man das mit irgendwelchen Mitarbeitern zusammen, damit man seine Quote erfüllt. Es ist einfach alles absurd. Diese quantifizierenden Vorgaben motivieren nicht. Die setzen einen unter Druck und produzieren Stress. Aber Stress ist bekanntlich nicht sozusagen die Antriebskraft für originäre Forschung. Und insofern ist das aus meiner Sicht nicht sehr produktiv, dieser ganze Bereich der Zielvereinbarung.“

Dass er sich in anderen Hinsichten dennoch als wehrhaft erweist, wird später noch gezeigt.

Ein W3-Professor für Strafrecht gelangt zu einem ähnlichen Urteil. Ihm geht es allerdings um eine durch Drittmitteleinwerbung hergestellte Erfolgszuschreibung, die die Orientierung an solchen Kriterien gewissermaßen alternativlos werden lasse. Der derzeitige Fokus der Hochschulpolitik auf die eingeworbenen Drittmittelsummen sei insofern „ungut“, als er eine „Irritation“ oder „Ablenkung“ bedeute, die die intrinsische Motivation der Forschenden, den besonderen „Reiz“ der Universität schwäche (JUR8). So kritisiert er eine drohende Zweck-Mittel-Verkehrung, während er eigentlich „nichts dagegen“ habe,

„wenn ein Kollege ein Gutachten schreibt für jemanden, also ganz projektbezogen eine Frage beantwortet und sich damit ein Zubrot verdient. Aber problematisch wird das, wenn man das muss, um darüber eben das DFG-Projekt zu bekommen, um dann als großer Wissenschaftler wahrgenommen zu werden.“

Er selbst möchte sich von den Anreizstrukturen nicht „den Kopf verdrehen lassen“:

„[I]ch bin jetzt mittlerweile soweit, dass ich mich davon frei gemacht hab, dass ich das akzeptiere, bestimmte Dinge dann eben nicht zu bekommen, und lasse mir meine Zeit, um tatsächlich den eigenen Interessen nachzugehen, was nicht ausschließt, dass ich dann auch einmal wieder versuche, Drittmittel zu bekommen, wenn die Dinge eine bestimmte Reife erlangt haben und wenn ich das Angebot finde, das zu meinem Interesse oder zu meiner Vorarbeit passt. Aber ich selbst lasse mich nicht mehr lenken oder steuern durch solche Angebote, aber der Anreiz ist schon da, die Anreize sind schon da.“

Obgleich er seine Selbstbestimmung betont und sich resistent gegenüber den extrinsischen Anreizen präsentiert, sei er in seiner Projektwahl neben inhaltlichen durchaus schon mal materiellen Kriterien gefolgt, wenn „Gelder winkten“:

„Das passte zwar fachlich auch in die Denomination des Lehrstuhls, aber es war nichts, das ich jetzt von mir aus gemacht haben würde, wenn es dieses Angebot nicht gegeben hätte. Im Nachhinein sage ich mir, hätte ich die Zeit doch besser mit den Dingen verbracht, in die Dinge investiert, die mich intrinsisch interessieren.“

Er bewertet das Anreizsystem letztlich als eine Fehlsteuerung, die „das System dysfunktional werden“ lasse, da „einfach eine Mohrrübe vor die Nase gehalten“ werde und „es schwer [falle], nicht danach zu schnappen“ – was allerdings kaum im Einklang mit dem Selbstbild eines autonomen Subjektes steht. Er persönlich habe diesen kritischen Moment zwar überwunden. Dies sei aber das Ergebnis eines längeren Lernprozesses, auf den sich nicht alle KollegInnen einließen:

„[M]an [kann] theoretisch sagen: ‚Ich mache mich von all dem frei.‘ Und das ist […] ein bisschen der Weg, auf dem ich mich befinde. Ich mache mich von all dem frei. Es ist mir halt wurscht, aber es muss am Ende auch wurscht sein können, und das bedarf einer gewissen inneren Entwicklung, die nicht alle machen, und ich hab's jetzt in Gremiensitzungen zur Genüge erlebt, als Professor und auch als Dekan. Die Eitelkeit, das eigene Renommee, das ist den hier agierenden, also jedenfalls in der Rechtswissenschaft doch das Wichtigste in den allermeisten Fällen, und wenn das so ist, dann ist man eben auf der Jagd nach dem, was anerkannt wird. Bei den Emeriti sind das die Ehrendoktorwürden aus dem Ausland und bei uns sind es neben Preisen und Ehrungen und Rufen dann auch die Drittmittel. Die DFG-Förderung. Wer da den größten Bären erlegt, ist der Größte und der Tollste.“

In seiner Darstellung sind es vor allem die sozialen und weniger die materiellen Aspekte, die antreiben. Er beobachte ein Streben nach Reputation, das zwar gewiss nicht neu sei, das nun aber zunehmend – auch im unmittelbaren kollegialen Umfeld –über den Drittmittelerfolg bestimmt werde:

„Es kommt eine Mitteilung in der Fakultät, es wird im Professorium beklatscht und auf der Ebene der Universität wird das ohnehin wahrgenommen. Auch schon bei uns auf der Ebene der Fakultät spielt das insofern eine Rolle, als diejenigen, die Drittmittel einwerben, dies bekannt machen und dann auch die Anerkennung einfordern und auch bekommen.“

Die organisationale und die kollegiale Anerkennungsordnung werden damit gewissermaßen konkordant, und die Divergenz von disziplinären und organisationalen Bewertungsmaßstäben wird ein Stück weit aufgehoben.

Wichtig ist aber, und in diesem Punkt unterscheiden sich die bislang geschilderten Fälle, dass der Jurist die universitären Reformprozesse nicht mit einer Erosion wissenschaftlicher Qualitätsmaßstäbe gleichsetzt und sich daher nicht zu einer Fundamentalopposition veranlasst sieht. So verbleibe an seiner Fakultät die Bestimmung ‚guter‘ wissenschaftlicher Leistungen noch immer in den Händen der eigenen Profession und sei vor organisationalen Eingriffen weitgehend sicher. Insofern entspricht er dem Typus des Wehrhaften nur in abgeschwächter Form. Er muss zwar den Verlockungen widerstehen, um sich nicht aufgrund ‚falscher‘ Anreize von seinen eigentlichen Interessen zu entfernen, aktiv muss er sich derzeit aber noch nicht gegen eine Steuerungsinstanz zur Wehr setzen. Die Konsequenzen im Falle einer weiteren Zuspitzung konkurrierender Wertigkeitsordnungen bleiben an dieser Stelle insofern noch offen. Dass die Frage der Deutungsmacht über ‚gute‘ Wissenschaft und ‚wertvolle‘ wissenschaftliche Betätigungen aber ein zentrales Thema ist, zeigt sich auch in den weiteren Interviews mit Wehrhaften. Ging es dem Literaturwissenschaftler vor allem um die Diskrepanz zwischen wissenschaftlichen und nicht-wissenschaftlichen, „falschen“ (LIT7) Kriterien der Leistungsbeurteilung, stellt der Politikwissenschaftler gerade den organisationalen Steuerungsanspruch in den Fokus seiner Kritik. Mit Blick auf die „Vorstellungen“ (POL6), die der Präsident den ProfessorInnen in Gesprächen mittteile, äußert er:

„Öffentliche Güter schaffen. Das ist so eines seiner Lieblingsthemen. Wo man sich dann fragt: ‚Was heißt hier öffentliche Güter schaffen?‘ Wir schaffen eigentlich durch unseren Job öffentliche Güter. Dann meint er zusätzliche Veranstaltungen abhalten, Kontakte in die regionale Wirtschaft halten. Also wir reden jetzt nicht davon, Kontakte in internationale Fachorganisationen zu halten, sondern Kontakte in die regionale Wirtschaft zu halten, [...] Public Lectures zu organisieren, indem man die Öffentlichkeit beteiligt und so weiter. Gut, das ist ja alles okay. Aber das möchte ich dann machen, wenn ich dazu Lust habe, und nicht, weil ich es in irgendwelchen Zielvereinbarungen drin stehen habe. Und ich würde es ja auch machen, wenn ich das nicht unbedingt in solchen Zielvereinbarungen drin habe.“

Und mit Blick auf die Erwartungen an seine Lehre fügt er hinzu:

„Dann geht's darum, dass er erwartet, dass jeder Professor auf Englisch unterrichtet. Pf, da kann man geteilter Meinung sein. Ich habe damit kein Problem, ich habe eine [englischsprachige] Ausbildung. Aber es gibt einige, die haben damit Probleme. Und vor allem gibt es hier auch einige Fächer, wo es gar keinen Sinn macht, wo es aber trotzdem verhandelt wird. […] Also es ist absurd.“

Hier überlagern sich verschiedene Aspekte seiner beruflichen Identität, die der Politikwissenschaftler angegriffen sieht: seine professorale Autonomie, damit verbunden auch fachliche Kriterien, die zugunsten neuer nicht-fachlicher Erwartungen in den Hintergrund träten. Nicht nur die teils „absurden“ (POL6), „schädlichen“ oder „fahrlässigen“ (LIT7) Kriterien der Hochschulleitung, sondern auch der Eingriff in die professorale Handlungsautonomie müssen abgewehrt werden: „Vernetzung“ müsse im Falle des Literaturwissenschaftlers stattfinden, „wie sie sich ergibt“, und Tätigkeiten wie ein Wissenstransfer in die Region nur dann, wenn der Politikwissenschaftler eben „dazu Lust habe“ (POL6). Für beide Professoren werden damit zentrale Autonomieansprüche bei ihrer Tätigkeit durch die neuen Formen der organisationalen Steuerung von Leistungen missachtet.Footnote 17

Eine weniger grundsätzliche Form der Autonomieeinschränkung stellt indes die – bereits mehrfach thematisierte – hohe zeitliche Beanspruchung durch administrative Pflichten dar. Nicht die gestiegenen Transaktionskosten der Hochschulreformen, wie sie auf unterschiedlichen Ebenen der universitären Leistungsproduktion herausgearbeitet und insbesondere als Verwaltungsaufwand beschrieben wurden (Bogumil et al. 2015; Pasternack et al. 2018), stehen dabei im Mittelpunkt. Wird die zeitliche Beanspruchung nicht lediglich als zusätzlicher ärgerlicher Aufwand, sondern als Hindernis der Erfüllung der subjektiven Ansprüche an die Tätigkeit erfahren, kann sie zum Auslöser identitätsbehauptenden Handelns werden. Die sachlichen Erfordernisse für ‚gute‘ Forschung und ‚gute‘ Lehre werden missachtet, so die Wahrnehmung, wenn sonstige Rechenschaftspflichten den nötigen Zeitraum für die eigentlichen Kerntätigkeiten in Forschung und Lehre signifikant schmälerten. Die Menge an Leistungsüberprüfungen, mit der man sich in beiden Bereichen gleichermaßen konfrontiert sieht, resultiert in einer Situation der Überforderung, der man aktiv begegnen muss. Diese Erfahrung wird von den Wehrhaften vergleichsweise oft geschildert. So kritisiert ein Literaturwissenschaftler die zu große Anzahl an Evaluationen, die zudem häufiger nicht den Anspruch einer inhaltlich fundierten Leistungsbewertung erfüllten:

„[V]or lauter Controlling schaffe ich nicht mehr, das zu machen, was zu controllen ist. Das ist eine extreme Diskrepanz zwischen Überprüfbarkeitswahn von Produkten und Zeit für die Produktion dieser Produkte. […] Ich bin für Evaluationen, damit hier kein falscher Eindruck entsteht, aber ich denke, die Instrumentarien der Evaluation müssten verfeinert und reduziert werden. Auf klareren Kriterien basierende, wenige Evaluationen, nicht dieser Wahn der Operationalisierung.“ (LIT11)

Welche Reaktionen ruft die erfahrene „Diskrepanz“ hervor? Und welche weiteren Formen des Umgangs mit Leistungsbewertung finden sich bei den Wehrhaften? Es lassen sich individuelle und kollektive Praktiken unterscheiden.

Zunächst einmal können einzelne WissenschaftlerInnen letztlich passive Praktiken des Ignorierens und Ausweichens an den Tag legen:Footnote 18 Ein Außerachtlassen von Bewertungsmaßstäben zeigte sich etwa bei dem Juristen, der keine aktive Auseinandersetzung führt, sondern seine Tätigkeit unbeeindruckt fortführt, indem er „Verlockungen“ bzw. „Anreize“ ignoriert (JUR8). Auch der Weg des eingangs zitierten Literaturwissenschaftlers (LIT7) in die Individualität, in deren Zentrum einzig die Erfüllung der eigenen Ansprüche steht, tendiert in eine solche Richtung. Ein größerer Konflikt zeigte sich bei ihm dann im Bereich der Lehre, der zunächst auf dem Wege eines „Freikaufens“ bzw. Rückzuges gelöst, schließlich aber durch eine intensivierte Selektion der Studierenden bewältigt wurde. Diese Form der Situationsbewältigung – sich auf die eine oder andere Weise in der Lehre zu entlasten – kommt bei den Wehrhaften häufiger vor.Footnote 19 Dass hier nach Auswegen gesucht wird, ist auch eine Folge der aktuellen Hochschulpolitik: Wenn etwa im Rahmen der „Exzellenzinitiative“ zunehmende Möglichkeiten des „Sich-Freikaufens“ aus der Lehre geschaffen werden, zeigt sich darin auch eine hochschulpolitische Linie, die die Richtung der Entlastung gewissermaßen vorgibt.Footnote 20 Darüber hinaus werden inhaltliche, in den Anforderungen der Lehre selbst liegende Gründe angeführt. Beim Politikwissenschaftler zeichnet sich eine Möglichkeit der Entlastung mit Blick auf sein Lehrdeputat ab:

„Ich versuche in der Lehre, wir alle versuchen, in der Lehre zu reduzieren. Warum? Weil wir unsere Forschungsergebnisse gar nicht einbringen können. Das ist doch der Grund! Also wenn ich meine Forschungsergebnisse in die Lehre einbringen könnte, dann würde ich ja viel mehr, lieber Lehre machen, weil da hätte ich wenigstens noch ein Feedback. Aber das geht ja nicht. Und deswegen sind auch alle immer so scharf, Lehrreduktion zu bekommen, weil Lehre ist Belastung. Lehre ist deshalb Belastung, weil Lehre eigentlich nichts mit dem zu tun hat, was man genuin an Forschung macht. […] und da reden alle von Forschung und Lehre, was natürlich nicht der Fall ist. Also die Kombination von Forschung und Lehre und forschendes Lehren und so, das ist alles Quatsch. Das sind Begrifflichkeiten, die wirklich nicht die Realität erfüllen.“ (POL6)

Er möchte den Wunsch nach einem Rückzug aus der Lehre als Reaktion auf Restriktionen und von ihm als falsch erachtete Leistungskriterien verstanden wissen. Seine Skepsis gilt damit gerade auch zentralen „Begrifflichkeiten“ der Reformen, die kaum mehr als leere Hülsen darstellten, da die Integration von Forschung und Lehre unter den derzeitigen Bedingungen nicht zu realisieren sei. Obgleich aber viele dieser Reformmaßnahmen seiner Ansicht nach „Quatsch“ sind, verzichte er weitgehend auf offene Konflikte und erfülle die an ihn gestellten Erwartungen – und sei es auch nur in Form einer Schein-Konformität.

Solche Kompromissbildungen zwischen eigenen und organisationalen Leistungserwartungen finden sich insbesondere bei jenen ProfessorInnen, die in einem Abhängigkeitsverhältnis zur Organisation stehen oder in besonderer Weise auf die Gunst der Hochschulleitung angewiesen sind. Im Falle des Politikwissenschaftlers, der aus der Perspektive eines Professors mit Leitungsfunktion argumentiert, zeigt sich dies in einem strategischem Umgang mit den aus seiner Sicht wenig sinnvollen, aber verpflichtenden und von der Hochschulleitung „leider ernst genommenen“ Lehrevaluationen:

„Über die Qualität sagt's eh nichts aus, und dann hänge ich das da draußen hin, können Sie auch sehen an meinem Brett. Das hängt dann da, weil ich mir sage: ‚Okay, sollen sie sich's angucken. Ich mach das transparent‘. Und dann freut sich der Präsident, und mir ist es egal. Also das sind so kleine Dinge, die hätte ich früher nicht gemacht. Ich mach das nur, weil es gewünscht ist. […] Irgendwie muss man Kompromisse eingehen. Ich kann keinen Konfrontationskurs gegen die Hochschulleitung fahren, weil dann kriegen wir hier gar nix.“

Er akzeptiert damit einen „Kompromiss“, den er – wie er sagt – nur mit Blick auf die Interessen des Institutes eingeht. Indem er sich auf der „Vorderbühne“ als jemand inszeniert, der den Kurs des Rektorats unterstützt, bleiben größere Konflikte aus, die dann, wenn sie Möglichkeiten der Forschung schmälerten, andere Formen der Identitätsbedrohung – und Ärger mit den KollegInnen – zur Folge haben könnten. Solange es sich dabei nur um eine als „Quatsch“ bezeichnete, nicht aber den Kern der Tätigkeit berührende Praxis handelt, kann der Politikwissenschaftler seine Selbst- und die an ihn gestellten Fremderwartungen auf für ihn unproblematische Weise in Einklang bringen. Es sind primär solch stille, „nicht oppositionelle“ (Lust und Scheytt 2017, S. 665–667) und weniger die offenkundigen, konfrontativen Protestpraktiken, die in unseren Interviews berichtet werden.Footnote 21

Ein schon zitierter Literaturwissenschaftler sieht in der Reduktion seines Lehrpensums nicht zuletzt ein Mittel zur Aufrechterhaltung der Integration von Forschung und Lehre. Damit wolle er auch seiner individuellen Überforderung Rechnung tragen, da er neben seiner Lehrbelastung und seinen angestiegenen „administrativen Pflichten“ nicht gleichzeitig „eine angemessene Forschung“, Kongressbesuche oder sonstige repräsentative Pflichten in „gleicher Qualität“ erfüllen könne:

„[E]s geht dann auf Kosten der Forschung, es geht auf Kosten der Lehre. Niemand kann mir ernsthaft verkaufen, weil ich kenne die Abläufe, das kann man berechnen, dass man parallel Forschung und Lehre beides gleichermaßen exzellent machen kann. Nicht in einem Massenfach, das ist nicht möglich!“ (LIT11)

Dass das Schreiben seines letzten Buches ihn aufgrund seiner parallelen Belastungen durch Lehre und Administration „mehrere Jahre gekostet“ habe, sei „eigentlich absurd“. Hatte er zunächst zwar „die Entscheidung getroffen“, sich „verstärkt“ um seine Studierenden zu kümmern, sei er nun an einem Punkt, an dem er sich wieder mehr seiner Forschungstätigkeit zuwende:

„Aber es bedeutet Besagtes: Es bedeutet Zulassungsbeschränkungen zu allen Veranstaltungen. Es bedeutet, dass ich Studierende ablehnen muss und sagen muss: ‚Hören Sie, ich kann maximal 10 Bachelorarbeiten gleichzeitig annehmen‘, oder 20 Bachelorarbeiten gleichzeitig. Ich kann parallel nur fünf oder sechs Leute haben, die bei mir promovieren. Mehr geht nicht. Ansonsten kann ich eine seriöse Betreuung nicht sicherstellen.“

Er geht hier schließlich einen Kompromiss ein, der seinem Ethos eigentlich widerspricht. Einerseits geht es darum, Forschung und Lehre gleichermaßen auf einem angemessenen Niveau zu betreiben, andererseits um einen Autonomieanspruch, den er auch den Studierenden zuerkennt:

„Ich hab mich lange dagegen gewehrt, weil ich die Freiheit von Lehre und Forschung für ein extrem hohes Gut halte. Ich halte es für ein extrem hohes Gut, dass jeder die Veranstaltung besuchen kann, die er will. […] Da hab ich lange, lange für gekämpft und ich habe das auch praktiziert […].“

Für ihn läuft die drohende Überforderung, die maßgeblich durch „Bologna“ und neue administrative Pflichten hervorgebracht wird, auf einen partiellen, wenn auch schmerzlichen Rückzug hinaus, der es ihm allerdings erlaubt, Lehre und Forschung in einer Weise zu betreiben, die seinen subjektiven Ansprüchen – wenn auch mit Abstrichen – entspricht.

Über solche individuellen Praktiken hinaus lassen sich kollektive Formen des Umgangs mit Leistungsbewertungen rekonstruieren, die von einer gemeinsamen Betroffenheit herrühren und primär der Abwendung schädlicher Auswirkungen von NPM auf die Kollegialität dienen. So wollten der bereits mehrfach zitierte Politikwissenschaftler und seine KollegInnen negativen Folgen für die kollegiale Zusammenarbeit entgegenwirken, indem sie das „Einzelkämpfertum“ durch offenen Austausch begrenzten:

„Also wir haben hier unter Kollegen unsere Zielvereinbarung auf den Tisch gelegt und haben gefragt: ‚Was hat hier eigentlich jeder zu tun?‘ […] Wir haben gesagt: ‚Also das hat keinen Sinn, dass wir hier alle das in der Schublade verschwinden lassen. Lass es uns auf den Tisch legen! Was haben wir alle drin, was können wir daraus machen und wie machen wir es? Und wie unterstützen wir uns hier wechselseitig in dem Sinne, dass wir das Zentrum halten können, weil das für uns alle von Interesse ist?‘ Also wir haben hier Kollektivdenken.“ (POL6)

Er spricht darüber hinaus negative Auswirkungen auf die Motivation jüngerer, neu berufener KollegInnen an. Gerade letztere würden sich aufgrund der strikten Umsetzung von Leistungsbewertungen nicht mit der Universität identifizieren können und daher wegbewerben. Hier deuten sich negative Folgen eines intensivierten Konkurrenz- bzw. Wettbewerbsstrebens innerhalb und zwischen Universitäten an, womit sich zu unserem letzten Fallbeispiel überleiten lässt: Es handelt sich hierbei um eine ältere Literaturwissenschaftlerin, die insbesondere die negative Folgen der  Prämierung von Individualleistungen skizziert und die eine hohe Sensibilität für die sozialen Begleiterscheinungen der implementierten Bewertungsinstrumente auszeichnet.

Mit Blick auf den an ihrer Fakultät vergebenen Lehrpreis spricht die Professorin für Neuere Deutsche Literatur von einem „Gerangel“, bei dem an vorderster Stelle stünde, sich „zu präsentieren“ – und nicht die Stärkung der Qualität der Lehre. Das Instrument würde letztlich zweckentfremdet und schüre Konkurrenzkämpfe, weshalb einige Disziplinen aus solchen Formen der individuellen Leistungshonorierung ausgetreten seien, um sich nicht gegenseitig „ausspielen zu lassen, sondern eine geschlossene Kollegenschaft zu haben“. Darüber hinaus nimmt die Literaturwissenschaftlerin, selbst in der C-Besoldung und nicht direkt mit individuellen Zielvereinbarungen konfrontiert, eine vor allem kollektive Identitätsbedrohung wahr. Sie betont zunächst, dass sie bei ihren Forschungsarbeiten vorwiegend eigenen Ansprüchen folge und gegenüber organisationalen Zielerwartungen „relativ resistent“ sei. „Wichtigstes Kriterium“ in ihrer eigenen Arbeit sei noch immer, dass diese „soweit vorangetrieben“ sei, dass sie sie „guten Gewissens rausgeben“ könne, statt auf „Biegen und Brechen was raus [zu]hauen“. Dass die von ihr favorisierte Praxis im Gegenzug legitimierungsbedürftig werde, macht sie an der „Häufigkeit der Forschungsberichte, die geschrieben werden sollen“, fest. Nicht nur sie selbst, sondern auch ihre KollegInnen verspürten einen „zunehmenden Druck“ vonseiten der Universitätsleitung, den sie als belastend empfindet, gegen den man sich aber kollektiv zur Wehr setze:

„[J]etzt wird ein Kerndatensatz Forschung erhoben, den wir hier in [Name Stadt] noch, sagen wir mal, abgebogen haben. Mit sehr, sehr viel Widerstand. Das wollten die Kollegen überhaupt nicht. Also über eine Datensatzerfassung rein quantitativ seine Forschungsleistung bemessen zu haben, kam für uns alle nicht in Frage. Obwohl wir wahrscheinlich keine Chancen haben, das noch ein paar Jahre so aufrechtzuerhalten.“

Vor dem Hintergrund dieses pessimistischen Szenarios erscheint die Erstellung des letzten „ganz normalen herkömmlichen" Forschungsberichtes, mit dem man die Vorteile einer differenzierten Betrachtung von „Fächerkulturen“ vorführen wollte, fast schon wie ein letzter freudiger Akt vor der Apokalypse:

„Das haben wir dann nochmal so richtig mit Spaß gemacht! Auch mit dieser Darstellungsabsicht und was man zeigen möchte, wie man es bündelt. Wir fanden das stärker als die anderen Möglichkeiten. Wir kennen aber auch, und das droht so bisschen im Hintergrund und wirkt sich auch psychisch aus, die Webseiten einer Uni [Name], wo im Grunde dann schon der Kollege über seine Leistungen und bepunktet in Tabelle erfasst ist. Da kommt man ja rein und das ist für uns Horror! Aber man merkt, dass man plötzlich anders tickt, dass man sagt: ‚Wo könnte ich jetzt, wenn das dann so kommt, welche Leistungen erbringen in diesen Kriterien ‚Transfer‘ und ‚Forschungsstärke‘ und ‚Drittmittel‘ und dergleichen.‘ Das Ganze gleicht aber sehr einer Überforderungsmatrix. Das ist schwer, da noch gut zu schlafen und zu sagen: ‚Ich habe gearbeitet. Ich mache das.‘ Das ist eher beunruhigend. Ja, schon.“

Die Literaturwissenschaftlerin blickt durchaus besorgt auf die Wirkmacht universitärer Leistungsbewertungen, die bereits jetzt, wenn auch noch nicht das eigene Handeln, so doch aber das eigene Denken prägten, wenn „man plötzlich anders [ticke]“. Eine Behauptung der eigenen Ansprüche gegenüber der quantifizierten Bewährungslogik ist für sie schon allein deshalb wichtig, weil sie die bereits beobachtbaren Belastungen jüngerer KollegInnen mit Sorge erfüllten. Obgleich etwas ratlos wie, wolle sie gegen den derzeitig ausgeübten Druck, der mittels einer permanenten Leistungserwartung und -prüfung erzeugt werde, angehen:

„[D]ieses Damoklesschwert […] hängt schon relativ niedrig über diesen Köpfen, und das merkt man auch. Jetzt haben wir einen Kollegen berufen, der wirklich super dasteht, eigentlich auch ein schönes Selbstbewusstsein haben könnte, dem aber der Schreck noch so richtig in den Gliedern hängt, wo man merkt, das Mittagessengespräch ist voll von diesen Pleiten, die man da erlitten hat […]. Und das wirkt sich im Moment schädlich aus. Ich weiß nicht wie man das auffangen kann.“

Interviewerin: „Inwiefern schädlich?“

„Auf so ein gesundes wissenschaftliches Selbstbewusstsein, was man braucht, um auch überzeugen zu können in der Lehre. Das sind ganz normale Performanceaspekte: Stehe gut da, dann wirst du auch mitreißend sein. Wenn man nicht gut da steht und schon einfach Bedenken hat, ob das Fach überhaupt was für den wissenschaftlichen Nachwuchs ist, weil es eben solche Fallstricke mit sich bringt und jahrelang ‚Du wirst ja doch nichts‘-Gedanken hat, dann ist es eben auch nicht gut fürs Fach.“

Folglich geht es der Literaturwissenschaftlerin auch um eine solidarische Verteidigung disziplinärer Maßstäbe – „fürs Fach“ und aus Sorge um den wissenschaftlichen Nachwuchs. Wie fließend die Übergänge zwischen Betroffenheit und Verschonung sein können, wird hier deutlich.

Resümierend lässt sich zu diesem Typus festhalten, dass sich eine innere Distanzierung von der Universität gerade bei denjenigen ProfessorInnen in unserem Sample zeigt, die den Versuch der Kompromissbildung zwischen eigenen und organisationalen Leistungsmaßstäben als unrealistische oder inadäquate Lösung ansehen. In der Folge manifestieren sich die Konflikte im Verhältnis zur Organisation nicht nur im Handeln, sondern werden auch offen verbalisiert. Solche Aussagen wie „Ich bin kein Partner für die Universität“ (LIT7) sind eindrückliche Selbstdarstellungen einer sich bedroht fühlenden professoralen Identität. Nur durch die demonstrative Abgrenzung von der Organisation können die eigenen Ansprüche noch aufrechterhalten werden. Ganz anders stellt sich dieses Verhältnis zur Organisation bei dem nun folgenden Typus dar: der Zuversichtlichen.

5.2.7 Zuversichtliche

Der nun vorzustellende letzte Typus zeichnet sich durch eine besondere Dynamik aus, da seine Deutungs- und Handlungsmuster am stärksten von seinen Zukunftserwartungen hinsichtlich der universitären Leistungsbewertungen abhängen: Wie die Zuversichtliche sich längerfristig gegenüber den ihr auferlegten Rechenschaftspflichten und Bewertungen positioniert, ist stark beeinflusst davon, inwieweit sie – von heute aus gesehen – zukünftig mehr persönlichen Nutzen aus den Leistungsbewertungen ziehen kann und von diesen in ihrer Identität bestätigt wird. Sie kann freilich nicht auf ewig zuversichtlich bleiben. Entweder ihre Hoffnungen erfüllen sich, und sie wird zur Profiteurin – oder sie werden enttäuscht, wodurch sie zur Wehrhaften oder sogar zum Opfer wird.

Die Zuversichtliche haben wir eingangs als eine Befürworterin der Leistungsbewertungen, denen sie unterliegt, charakterisiert. Diese positive Bewertung paart sich bei ihr mit einer Aufstiegs- und Wettbewerbsorientierung, der zufolge die Zuversichtliche in den organisationalen Leistungsbewertungen eine Möglichkeit des Ausweises ihrer individuellen Leistungsfähigkeit sieht. Es ist insofern naheliegend, dass gerade jüngere ProfessorInnen sich diesem Typus zuordnen lassen. Die Zuversichtliche kann die Leistungsbewertungen aber noch nicht in einer für sie vorteilhaften Weise nutzen. Damit unterscheidet sie sich vom Profiteur, dessen von der Universität gewürdigter Forschungserfolg ihm Vorteile, etwa gute Bewerbungs- und Verhandlungschancen hinsichtlich einer weiteren Verbesserung seiner Ausstattung und seiner persönlichen Bezüge, verschafft. Die Zuversichtliche geht jedoch davon aus, zumindest auf längere Sicht zur Profiteurin werden zu können. Sie zeichnet damit ein Karriereoptimismus aus, der nicht zuletzt in einer Selbstwirksamkeitserfahrung gründet und sich damit deutlich vom Fatalismus einiger bis hierhin diskutierter Fälle abhebt. Die Zuversichtliche hat, so stellt es sich für sie dar, ihren Erfolg selbst in der Hand.

Es gibt zwei Arten der Zuversichtlichen. Neben derjenigen, die bereits jetzt bestimmte Vorteile aus den Leistungsbewertungen zieht und erwartet, dass diese zukünftig noch größer werden, steht diejenige, für die Leistungsbewertungen bislang mit Nachteilen verbunden sind, was sich aber – so ihre Erwartung – zukünftig zum Positiven wenden werde. In letzterem Fall müssen die Anstrengungen noch weiter gehen, um künftig zu den ProfiteurInnen gehören zu können. Für diesen Subtypus der Zuversichtlichen ist dies jedoch in Ordnung, solange die Reformziele bzw. -effekte ihren Identitätsansprüchen entsprechen.

Der Typus wird zunächst anhand einer W2-Professorin für Politikwissenschaften dargestellt, die ihn in besonders eindrücklicher Weise verkörpert. Anhand ergänzender Fälle werden wir sodann weitere Facetten und Determinanten aufzeigen, die die Zuversichtlichen – auch bei bislang geringen oder ausbleibenden persönlichen Vorteilen – zu ReformbefürworterInnen werden lassen.

Ankerfall: „Das Rad dreht sich immer weiter“

Die persönliche Betroffenheit durch Formen der Leistungsbewertung steht bei der Politikwissenschaftlerin außer Frage: Zum einen sind ihre Leistungsbezüge in der W-Besoldung an die Einwerbung von Drittmitteln gekoppelt, zum anderen spielen die Publikationen für die leistungsorientierte Mittelvergabe eine Rolle, was für sie durchaus von Relevanz ist. Es sei zwar per se kein „supergroßes Lehrstuhlbudget“, um das es bei ihr gehe – ungeachtet dessen bedeuteten zusätzliche leistungsorientierte Mittel aber einen Mehrwert, mit dem man „rechnen“ müsse, der also eine erwähnenswerte Differenz ausmache (POL7).

Blickt man weiter auf ihre Bewertung der Leistungsbewertungen, zeigt sich bereits in der Eingangssequenz, dass die Politikwissenschaftlerin die Idee von Leistungsanreizen grundsätzlich befürwortet und nicht etwa als Angriff auf die Autonomie von WissenschaftlerInnen deutet. So antwortet sie auf die Frage nach von ihr wahrgenommenen universitären Wandlungsprozessen:

„In Bezug auf Forschung stelle ich schon wirklich einen massiven Wandel fest. Und den sehe ich zum Teil sehr positiv, weil ich denke, was eben schon gut ist, ist, dass wirklich klare Leistungsanreize gesetzt werden. Aber ich finde, dass für die Forschung, insgesamt für das, was erwartet wird, viel zu wenig Zeit gegeben wird […]. Ich habe den Anspruch, wirklich exzellente Forschung zu machen. Aber wenn ich dann sehe, dass wir bei den großen Förderinstitutionen mit Forschern inzwischen konkurrieren international! Das sehe ich auch bei den Begutachtungen, da bewerben sich wirklich inzwischen die Forscher aus den USA, aus dem englischsprachigen Raum bei deutschen Förderinstitutionen, die ganz häufig ein sehr viel geringeres Lehrdeputat haben als wir, und ich finde, wenn man da mit solchen Leuten in direkter Konkurrenz steht, um Fördermittel, die bei einem selber sich auf die Bezahlung auswirken, dann empfinde ich das als hochgradig unfair.“

Die Politikwissenschaftlerin verortet sich selbst als Wissenschaftlerin, die sich im Feld von internationalem Wettbewerb und exzellenter Forschung bewähren möchte. Dies bedeutet für sie auch, sich an den Kriterien von Drittmitteln und Publikationen in internationalen peer-reviewed Journals zu orientieren und die universitär forcierte Bewertungslogik insofern nicht als oktroyierte Gefährdung eigener Ansprüche an ‚gute‘ und sinnstiftende Forschung wahrzunehmen. Dies zeigt sich verschiedentlich, etwa wenn sie davon spricht, dass diese Form des Wettbewerbs sie „beflügel[e]“, da sie „wirklich den Ehrgeiz“ habe, oder auch anhand folgender Äußerungen, mit der sie sich auf den Drittmittel-Wettbewerb bezieht:

„[I]ch sage natürlich schon gerne: ‚Ich habe ein DFG-Projekt‘ […] und denk dann auch: ‚Okay, das ist jetzt besser als Dein blödes, was weiß ich was-Projekt.‘ ((lacht)) […] Das sage ich natürlich nicht, ((lacht)) aber ich denke es. Genau.“

Sie legt auch bei der Bewertung von KollegInnen den Maßstab zugrunde, sich den genannten Leistungsmaßstäben zu „stellen“, und empfindet es daher „oft als Ausrede“, wenn diese den „steinigeren Weg“ eines Review-Verfahrens nicht gehen wollten.

Wenn man von ihrer Perspektive auf den Status quo ausgeht, sieht sich die Politikwissenschaftlerin nicht als Profiteurin der Leistungsbewertungen, obwohl sie die Kriterien und die Idee von Leistungsanreizen teilt und die an sie gestellten Erwartungen bisher zudem erfüllen konnte. Für sie überwiegt jedoch der Eindruck, unter einem zu großen Zeitdruck zu stehen, um den universitären Erwartungen wie auch ihren eigenen Ansprüchen gerecht werden zu können. Insofern geht es ihr nicht um eine Kritik an den Leistungskriterien und der stärkeren Übertragung von Wettbewerb und Leistungsanreizen auf die Universitäten. Das entscheidende Problem ist für sie die mangelnde Gewährleistung der entsprechenden Rahmenbedingungen, um in diesem insbesondere über die Forschung vermittelten Wettbewerb bestehen zu können. Damit möchte sie sich allerdings nicht abfinden und skizziert Lösungen für den Umgang mit dieser bislang fehlenden Passung. Sie erwähnt im Interview wiederholt, derzeit intensiv darüber nachzudenken, wie sie zukünftig selbst „mehr das steuern“, wie sie „mehr Kontrolle über diesen Prozess“ gewinnen könne. Damit bezieht sie sich auf das Verhältnis von Forschung und Lehre, aber ebenso auf die aus ihrer Sicht eng getaktete Vorgabe ihrer Zielvereinbarung, innerhalb von drei Jahren ein Forschungsprojekt einwerben zu müssen. Auf diese Regelung konnte sie – „es lag vielleicht an der Erstberufung, da ist man ja erst mal entsprechend unerfahren“ – „keinen Einfluss“ nehmen.

Zukünftig geht es ihr vor allem darum, aktiv bessere Bedingungen für sich auszuhandeln. Eine Variante hierfür sieht sie in einem vorgezogenen Fünfjahresgespräch mit dem Präsidium über die Ausgestaltung ihrer Zielvereinbarungen:

„Ich würde dann eben gerne mit dem Präsidium mich darüber unterhalten, wie man das flexibilisieren kann. Ich finde, wenn ich jetzt vor der Zeit fertig werde mit dem, was ich da mal vorgeschlagen habe, dann möchte ich auch vorher darüber reden. Mir geht es eben darum, dieses eigene Tempo rein zu bringen. Im Moment hab ich so das Gefühl, ich hab noch genug Ideen, dass ich das Tempo auch halten kann. Das macht mir nicht so viel aus. Aber der Konkurrenzkampf wird halt auch schärfer, auch bei den Förderinstitutionen. Das heißt, man muss, bis dann so ein Projekt durchgeht, unter Umständen halt auch länger warten oder mehrere Anläufe nehmen. Und das wird halt schwierig. Drei Jahre ist ein superknapp bemessener Zeitraum. […] Und so richtig gute Forschung – also an diesem letzten Antrag habe ich so lange gesessen. Das ist vielleicht auch so meine eigene Art, aber das war auch ein richtig guter Antrag. Aber der hat jetzt natürlich in gewisser Hinsicht auch einen Standard gesetzt.“

Die Politikwissenschaftlerin deutet ihre Ausgangsposition in dieser Sequenz vergleichsweise selbstbewusst: Sie habe damals Leistungen „vorgeschlagen“, diese „vor der Zeit“ erfüllt und wolle und könne aufgrund dieser bewiesenen Leistungsfähigkeit nun entsprechend stärker ihre eigenen Interessen gegenüber der Organisation geltend machen. Sie begründet den Wunsch, ein stärker selbstbestimmtes „Tempo rein zu bringen“, auch hier mit Argumenten, die letztlich in Einklang mit den Leistungskriterien stehen: Die Flexibilisierung der Zeiträume für die Einwerbung von Projekten wird von ihr direkt in Relation zu dem verschärften Konkurrenzkampf gesetzt, der elaboriertere und damit zeitaufwendigere Forschungsanträge, tendenziell aber auch mehrere Anläufe bis zum endgültigen Erfolg erfordere.

Um ihrem hohen „Standard“ bei Anträgen und ihren Ansprüchen an ihre Forschungsprojekte und Publikationen weiterhin gerecht werden zu können, möchte sich die Politikwissenschaftlerin darüber hinaus verstärkt um Möglichkeiten bemühen, sich phasenweise ganz aus der Lehre zurückzuziehen:

„[E]hrlich gesagt merke ich, ich würde, ich werde jetzt, ich meine, Gott sei Dank gibt es das ja auch, dass man sich halt überlegt, sich auszukaufen. Also wirklich auf Fellowships bewerben, auf Visiting Scholarships bewerben, dass man halt rauskommt in der Zeit. Ich glaube, anders geht es nicht. Und vielleicht bei eingeworbenen Projekten stärker drauf zu beharren, dass man dafür auch Lehrdeputatsreduktion bekommt. Ich glaube, dann muss man wieder stärker verhandeln. Das ist so die Frage, wie weit man damit kommt. […] Und das werde ich jetzt konsequent machen. Das ist dann, glaube ich, der einzige Umgang, den man hat. Dann hat man halt die Phasen, in denen man viel lehrt und die Forschung irgendwie noch unter einen Hut bringen muss. Und dann hat man auch wieder die Phasen vielleicht, in denen man sich nur der Forschung widmen kann. Wobei das ja auch nicht so einfach ist. Denn wenn man so ein Projekt mit seinen Mitarbeitern hat, dann ist es blöd, wenn man ganz woanders ist. Also das ist halt fürs Projekt nicht so gut.“

In ihrer Äußerung spiegelt sich durchaus eine Ambivalenz wider: Zum einen zeigt sich eine gewisse Legitimationskrise, wenn die Politikwissenschaftlerin ihr Statement wie ein Geständnis beginnt, zum anderen nennt sie am Ende explizit den Punkt, im Falle eines Fellow- oder Visiting Scholarships letztlich ihre Projektmitarbeitenden zurückzulassen. Sie hält die Option, „sich auszukaufen“, keineswegs für den besten Weg, sondern wünscht sich eigentlich – wie sie an verschiedenen Stellen des Interviews erwähnt – eine Reduktion ihres Lehrdeputates, was sie dann nicht zu solchen Auswegen oder Fluchten zwänge. Um dem letztgenannten Ziel näher zu kommen, bleibt für sie vor allem der Weg über den Ruf auf eine W3-Professur. Dies sei für sie momentan „ein recht hoher Anreiz“, da sie erst dann „wirklich“ neu über ihre Bedingungen „in Verhandlung gehen“ könne.

Die Politikwissenschaftlerin orientiert sich nicht primär in strategisch-instrumenteller Hinsicht an den Leistungskriterien, um ihre universitäre Position zu verbessern. Vielmehr teilt sie die Kriterien selbst, indem sie sich mit anderen – internationalen – WissenschaftlerInnen messen möchte und ‚gute‘ Forschung danach bewertet, einen harten Auswahlprozess bei der DFG, bei Journals oder Verlagen „überlebt“ zu haben. Insofern sieht sie sich grundsätzlich nicht in der Situation, ihre berufliche Identität wie der Wehrhafte gegenüber den universitären Leistungsbewertungen verteidigen oder behaupten zu müssen. Allerdings ist sie abhängig davon, dass sich die Rahmenbedingungen für sie ändern, um die universitären Erwartungen nicht dauerhaft als Überlastung und als Verletzung einer Reziprozität vonseiten der Organisation zu erleben, gegen die sie sich dann doch zur Wehr setzen müsste. Ihr Fall ist gerade aufgrund ihrer Karrierestufe interessant, da sich die Politikwissenschaftlerin als W2-Professorin einerseits in einer besonderen Bewährungsphase mit geringen Privilegien sieht, andererseits aber auch die Chance vor Augen hat, innerhalb der universitären Hierarchie aufzusteigen und als W3-Professorin mehr als bisher von ihrer Forschungsstärke profitieren zu können. Diese Aufstiegsorientierung, verbunden mit einer grundsätzlichen Hoffnung, langfristig vom System profitieren zu können, ist letztlich ein Kernmerkmal der Zuversichtlichen.

Weitere Fälle

Die frühe Karrierestufe, die im geschilderten Fall der Politikwissenschaftlerin von Relevanz ist, erweist sich – mit einer Ausnahme – als distinktes Merkmal dieses Typus. So lassen sich insbesondere jüngere, neuberufene ProfessorInnen, bei denen sich ein oftmals ambivalentes Verhältnis zu Leistungsbewertungen beobachten lässt, diesem Typus zuordnen: Sie stehen einerseits unter einem besonderen Leistungsdruck, etwa durch Befristung von Leistungsbezügen, erfahren ihre Situation zugleich aber auch als eine Bewährungschance, die letztendlich Zugewinne bringen kann. Der Einwerbung von Drittmitteln, wie nachfolgend verdeutlicht wird, kommt dabei eine besondere Bedeutung zu.

Ein Hochfrequenztechniker, der ein Jahr zuvor auf eine W2-Professur berufen wurde, äußert zwar, die Bedeutung und möglichen Folgen von Leistungsbewertungen an seiner aktuellen Universität noch nicht genauer einschätzen zu können. Dass er dennoch als Zuversichtlicher eingeordnet werden kann, ist in seinem spezifischen berufsbiografischen Hintergrund begründet. Da er vor seinem Ruf an die Universität an einer privaten Fachhochschule tätig war, deutet er seine aktuelle Situation nicht zuletzt als einen Zugewinn an wissenschaftlicher Freiheit und Qualität, was auch die Umsetzung von universitären Leistungsbewertungen betrifft.Footnote 22 Zudem zeigt sich eine überwiegende Übereinstimmung mit den Leistungskriterien wie Drittmitteln und Publikationen, die schon disziplinär nahegelegt ist. Seine Berufung war nicht zuletzt das Ergebnis seiner sichtbaren Einbindung in internationale Forschungskooperationen:

„Es lief schon sehr gut, und nur dadurch bin ich ja jetzt hier. […] Es hatte dann natürlich eine gewisse Sichtbarkeit erreicht, und das hat mich dann wahrscheinlich auch hier zu diesem Job gebracht.“ (TECH7)

Mit Blick auf die festgelegten Ziele für seine Forschung äußert er zudem, diese relativ leicht erfüllen zu können, da er ohnehin viel publiziere und nur bei der Drittmittelsumme letztlich wie alle KollegInnen mit einer ‚Unbekannten‘ – der nicht absehbaren Bewilligung von Anträgen – rechnen müsse:

„Das Einzige ist die Einwerbung von Drittmitteln. Das [die Leistungsbezüge, Anm. der AutorInnen] ist immer halt davon abhängig und das war eine ganz schön hohe Summe, die man da einwerben musste. Aber da habe ich jetzt ja auch einen Teil erfüllt.“

Der Hochfrequenztechniker macht verschiedentlich deutlich, dass nicht die Leistungsbewertungen, sondern seine eigenen Ansprüche an „möglichst gute Forschung“ ausschlaggebend für seine Forschungsziele sind. Den Druck, eine gute Leistung und hohe Drittmittelsummen vorweisen zu können, erklärt er denn auch als einen, der weniger von außen an ihn herangetragen werde:

„Ich setze mich selber unter Leistungsdruck. Ich möchte ja zehn Leute haben in der Gruppe und möchte Drittmittel haben und möchte möglichst gute Forschung bringen – aber das ist ein Leistungsdruck, den ich mir selber setze.“

Einen solchen Anspruch an die eigene Forschungsleistung formuliert auch eine jüngere Strafrechtlerin: Sie verbindet mit der Einwerbung von Drittmitteln nicht nur manifeste Vorteile angesichts ihrer bislang „nicht besonders üppig[en]“ Ausstattung, da sie lediglich „das Standardprogramm“ der Erstberufung bekommen habe (JUR8). Darüber hinaus wolle sie sich gerade auf dem Weg eines solchen Erfolges bewähren, da sie hierin einen Ausweis von Qualität und Leistungsfähigkeit sieht, der sie letztlich von einem Erwartungsdruck entlasten könne, unter dem sie als junge, neuberufene Professorin stehe. So formuliert auch sie ihr Ziel als einen persönlichen Wunsch:

„Ich möchte jetzt so gerne auch ein Verbundprojekt mal durch kriegen, weil man auch diesen Druck hat: Man ist jetzt hier neu, man möchte auch dann beweisen, dass es eben die richtige Entscheidung war, dass die einen berufen haben. So als junge Frau […]. So wie so ein externes Qualitäts-Signum nochmal.“

Hinzu kommt, dass ihre letzten Drittmittelanträge, die „viel Energie gekostet“ hätten, nicht bewilligt wurden. An die vergangenen Erfolge in der Mittelakquise habe sie seit ihrer Berufung nicht anknüpfen können, was „frustrierend“ sei:

„Ich fühle mich unter einem gewissen Druck, Drittmittel einzuwerben. Ich bin jetzt zwei Jahre da und habe quasi keine neuen Drittmittel eingeworben […], weil diese Anträge […] nicht durchgegangen sind. Das war für mich frustrierend. Vielleicht ist es auch eine gewisse Neutralisationstechnik von mir, dass ich mir denke: ‚Ja, das lag an [Grund].‘ Man kann natürlich auch sagen: ‚Wenn wir so viel toller gewesen wären, als [Institut], dann hätten wir es vielleicht trotzdem bekommen.‘ Man versucht sich dann wahrscheinlich auch innerlich so ein bisschen aufzurichten.“

Indem die Strafrechtsprofessorin das Einwerben von Drittmitteln als erfolgreich bestandene Bewährungsprobe deutet, stellt sie deutlicher als der Hochfrequenztechniker das Einwerben selbst in den Mittelpunkt ihrer persönlichen Leistungsziele.Footnote 23 Ungeachtet des – noch ausstehenden – Beweises ihrer diesbezüglichen Leistungsfähigkeit bleibt aber die Verbesserung der eigenen Forschungsbedingungen als eigentliches Ziel im Vordergrund bestehen. Als Strafrechtlerin, die auch empirisch arbeite, benötige sie Drittmittel – auch um mit außeruniversitären Forschungseinrichtungen konkurrieren zu können. Diese Abhängigkeit stellt für sie keinen Konflikt zwischen subjektiven Ansprüchen und den an sie gestellten Anforderungen in der Forschung dar. Das System wird von ihr akzeptiert bzw. als gegebener Rahmen betrachtet, an dem sie ihr Handeln ausrichten müsse. So folgt sie hier weitgehend wettbewerbsorientierten Deutungen:

„Wir sind schon darauf angewiesen, auch Auftragsforschung zu machen. Wir wollen praktische Projekte evaluieren und wir konkurrieren mit [Forschungsinstitut] oder mit anderen Forschungsinstituten.“

Ein Erfolg bei der Einwerbung verbindet sich schließlich auch mit der Möglichkeit, weitere, aus ihrer Sicht erforderliche MitarbeiterInnen am Lehrstuhl einzustellen, da sie mit der derzeitig verfügbaren einzigen Mitarbeiterstelle „keine großen empirischen Projekte durchziehen“ könne. Sie sei durch ihren bisherigen Misserfolg daher zwar „frustriert“, könne sich ein Aufgeben aber gar nicht leisten, da sie auf zusätzliche Mittel „total angewiesen“ sei. Trotz der eher dürftigen Drittmittelbilanz sieht die Strafrechtlerin sich also nicht als Verliererin in der über Leistungsbewertungen vermittelten Hierarchie. Dies ist letztlich auch in ihrer Disziplin begründet, in der erfolgreiche Drittmittelanträge eher als positive Ausnahmen denn explizite Erwartungen zu verstehen seien:

„Es ist ja in Jura eher so: ‚Echt? Du hast einen Drittmittelantrag gestellt? Super!‘ Also viele stellen ja überhaupt keine Drittmittelanträge. Da sind wir schon ein bisschen die Exoten.“

Eine Anerkennung ihrer Leistungen durch die Organisation tritt schließlich neben die der wissenschaftlichen Fachgemeinschaft. Auch positioniert sie sich nicht als Wissenschaftlerin, die ihre Autonomie gegenüber einer fachfremden Organisation verteidigen muss, sondern als Angehörige ‚ihrer‘ Universität, deren berufliche Identität durch die organisationalen Wandlungsprozesse und Leistungsbewertungen wenig bedroht ist. So sieht sie es als besondere Motivation und als ihren Selbstanspruch, das „Leitbild der Universität“ zu erfüllen und dieses auch außerhalb, etwa auf internationalen Tagungen, zu repräsentieren. Sie folgt selbst dem organisationalen Anspruch, „international sichtbare Forschung“ zu betreiben:

„[A]lso das ist ein Problem von uns deutschen Strafrechtlern, dass wir zu stark national orientiert sind, und das sehe ich auch so als meine Aufgabe an, da mehr in die internationale Sache reinzugehen, aber das ist auch ein Prozess, der nicht von heute auf morgen geht.“

Um ihrem erklärten Ziel näher zu kommen, bedarf es aber verbesserter Rahmenbedingungen. Durch zusätzliche Ausstattungsmittel, aber auch einen temporären Ausstieg aus der Lehre durch Forschungsfreisemester, hoffe sie daher, sich zukünftig ein Stück weit von anderen, „Kapazität“ bindenden Dingen entlasten zu können. Eine interessante Parallele zeigt sich hier zum Ankerfall der Politikwissenschaftlerin (POL7). Beide sehen schließlich, trotz ihrer durchaus hohen Ansprüche an die eigene Lehre, einen – zumindest temporären – Rückzug aus der Lehre als notwendigen Schritt auf dem Weg zu einer besseren Wettbewerbsposition. Ein „drittmittelfinanziertes Forschungsfreisemester oder am besten sogar zwei“ lieferten den notwendigen „Freiraum“, um die avisierten Projektpläne umsetzen zu können (JUR8).

Die Nähe zu den angewandten Kriterien und die Aussicht auf manifeste Vorteile lassen die Strafrechtsprofessorin schließlich, trotz – oder gerade aufgrund – eines derzeitigen Mismatches zwischen eigenen Ansprüchen und den von der Universität geschaffenen Rahmenbedingungen zuversichtlich auf die Leistungsbewertungen blicken. Wie auch die Politikwissenschaftlerin und der Hochfrequenztechniker gehört sie zu jenen ProfessorInnen, die bereits qua beruflicher Sozialisation solche Art von Leistungsbewertungen gewöhnt sind.

Drittmittel erfüllen, das zeigen die hier geschilderten Fälle, folglich zwei Funktionen: Sie sind Mittel zum Zweck möglichst guter Forschung und weiterhin Ausweis der eigenen Bewährung. Beides verbindet sich in den genannten Fällen mit Vorteilen: die Ermöglichung einer Forschung nach eigenen Maßstäben sowie Ausstattungsverbesserungen, z. B. eine Aufstockung des Lehrstuhlbudgets oder die Entfristung von Leistungsbezügen. Eine auferlegte Zweck-Mittel-Verkehrung, wie sie uns von einigen anderen InterviewpartnerInnen geschildert wurde, lässt sich durch die grundsätzliche Übereinstimmung eigener und organisationaler Kriterien nicht erkennen; die zusätzlichen Mittel dienen letztlich dem Zweck des angestrebten Erkenntnisfortschritts. Da weiterhin der persönliche Antrieb entscheidendes Kriterium bei der Wahl von Forschungsthemen und -zielen bleibt bzw. bleiben kann, werden die von der Universität angelegten Leistungsmaßstäbe nicht als Bedrohung der beruflichen Identität und damit verbundener Ansprüche an ‚gute‘ Forschung erfahren.

Neben Drittmitteln sind auch Leistungskriterien wie internationale Zeitschriften-Publikationen und deren Einstufung nach dem Impact-Faktor akzeptierte Maßstäbe der Bewertung, die die zuversichtlichen ProfessorInnen selbst anführen und als Bewertungskriterien an ihre eigene Arbeit wie auch an die der KollegInnen anlegen. Durch diese Nähe zu den Leistungskriterien wird deren Erfüllung denn auch nicht als oktroyiertes – und somit krisenhaftes – Anpassungserfordernis oder Infragestellung eigener Leistungsmaßstäbe erlebt. Zudem wird der Aspekt der Transparenz von Bewertungsverfahren und -ergebnissen als eine Sichtbarmachung individueller Leistungsfähigkeit positiv gedeutet. Die zitierte Strafrechtlerin verbindet diese etwa, gerade als junge Juristin in einer noch immer männerdominierten Disziplin wie der Rechtswissenschaft, mit der Chance auf fachliche Anerkennung, die sich auf dem Prinzip der Leistung und nur der Leistung, unabhängig von Status bzw. Geschlecht, gründet. Dies wird deutlich, wenn sie sich mit Blick auf die juristische Publikationspraxis für Peer Review-Verfahren ausspricht. Noch sei die eigene Disziplin von einer „Vereinsmeierei“ durchsetzt, in der Statusfaktoren einen zu hohen Stellenwert besäßen. Während Impact-Faktoren und double blind peer-reviewed Journals etwa in benachbarten Forschungsbereichen wie der Kriminologie bereits verbreiteter seien, gebe es „bei den Juristen […] fast gar keine Zeitschriften“, die einen Review-Prozess vorsehen. Dies, müsse sie „echt sagen“, sei „problematisch“:

„In tolle Zeitschriften, das sind bei uns die sogenannten Archiv-Zeitschriften, ist es wirklich schwer reinzukommen. Da muss man schon so ein halbes Buch schreiben, dass es überhaupt da reinkommt, aber es ist ein bisschen undurchschaubar und auch so eine Vereinsmeierei zum Teil. Ich würde mir wünschen, dass es da auch noch mehr Review-Prozesse gäbe und dadurch stärker Qualitätsstandards in der Forschung gesichert würden.“

Nicht nur eine Bewertungs- und Leistungstransparenz innerhalb der Community, sondern auch die Idee einer Transparenz gegenüber der Organisation deutet sie positiv. Anders als die Politikwissenschaftlerin, deren Zuversicht sich nicht zuletzt aus der Perspektive auf eine W3-Professur speist, kritisiert die Juristin die – derzeit leider einzige – Option des externen Rufes als Aussicht auf bessere Verhandlungschancen:

„Ein Ruf an eine andere Uni ermöglicht so einen Quantensprung, und das finde ich eigentlich ziemlich witzlos, weil das ja absolut subjektiv ist, warum man gerade gut ist und warum nicht. Also warum habe ich diesen Lehrstuhl und nicht der Herr Kollege XY? Da gäbe es eigentlich härtere Kriterien, wo die Uni intern auch mal ermitteln könnte, welcher Kollege bemüht sich hier echt und könnte deswegen mal eine halbe Mitarbeiterstelle mehr haben, ohne dass er einen Ruf an eine andere Uni bekommt. Das bindet ja auch wieder Kapazitäten, sich andauernd irgendwo hin zu bewerben.“

Mit ihrem Verweis auf die bislang unzureichend ausgeschöpften Möglichkeiten der Ressourcenallokation zeigt sie eine deutliche Sympathie für die Instrumente der „intern[en]“ Leistungsbewertung.Footnote 24 Wenn sie es zukünftig schaffte, ihre eigene Leistungsfähigkeit gegenüber der Universität sichtbarer zu machen, könnte sie zur Profiteurin der universitären Leistungsbewertungen werden. In der Folge plädiert sie auch für einen konstruktiveren Umgang mit den bereits verfügbaren Mitteln. Diesbezüglich sieht sie, insbesondere vor dem Hintergrund ihrer eigenen Erfahrung der erfolglosen Drittmitteleinwerbung, Verbesserungsbedarf:

„Eigentlich sagen sich alle Nettigkeiten, und dann kriegt man vielleicht ein bisschen weniger Geld. Aber ich fände es auch ganz gut, […] bevor es ne Sanktionierung gäbe, […] dass man auch mal zwischenschaltet, mal ein Zweijahresgespräch macht und auch mal fragt: ‚Wie könnten wir denn Ihre Bedingungen verbessern? Was würden Sie sich denn wünschen?‘, und auch dann mir kritisch Feedback gibt: ‚Ja, finden wir jetzt nicht so gut, dass Ihre Anträge durchgefallen sind. Warum? Was ist denn der Grund? Was könnte man da ändern?‘ […] Das soll alles bisschen offener sein, mehr Feedback möglich sein, die Sachen konträrer diskutieren. Das würde, glaube ich, auch zur Qualität beitragen.“

Sie habe daher bereits ein Gespräch mit dem Rektor in Erwägung gezogen, um Gründe des Misserfolges zu benennen und Möglichkeiten ihrer Beseitigung zu besprechen. Von der Organisation beurteilt und von dieser mit ihrem Scheitern konfrontiert zu werden, ist für die Juristin nicht krisenhaft, da sie hierin ein bislang nicht ausgeschöpftes Potenzial der persönlichen Weiterentwicklung sieht. Dafür müssten die Instrumente der Leistungsbewertung über eine als Austausch von „Nettigkeiten“ betriebene Symbolpolitik hinausgehen, also nicht lediglich eine „Art Etikette [sein]: ‚Das haben wir jetzt auch evaluiert, und jetzt können wir da nen Siegel drauf kleben.‘“

Ein Dilemma lässt sich bei ihr hingegen erkennen, wenn es um ihr persönliches Anliegen der Frauen- und Nachwuchsförderung und ihr entsprechendes Engagement geht, die in einem zeitlichen Konflikt zu ihren Ansprüchen in der Forschung stehen. So fühle sie sich angesichts gestiegener an sie gestellter Anforderungen „im persönlichen Output […] beschränkt“, müsse daher zukünftig „lernen, mehr ‚Nein‘ zu sagen zu Gemeinschaftsaufgaben auf Fakultätsebene“ und „mehr Egoist“ zu sein:

„[A]ber das fällt mir wirklich schwer, weil ich nicht so egoistisch gestrickt bin. Wenn mich jemand fragt: ‚Würdest du dieses Mentoringprogramm übernehmen?‘ und es hängt mir am Herzen, dass mehr Frauen in die Wissenschaft gehen, dann fällt es mir schwer zu sagen: ‚Das mache ich nicht. Weil ich egoistisch meine Forschung jetzt vor allem voranbringen möchte.‘ Dann denk ich mir: ‚Ah ja, das geht schon irgendwie on top.‘ Natürlich arbeite ich auch mehr, aber es kostet Zeit, die sonst für Forschung drauf gegangen wäre. Nicht alles, weil ich arbeite dann einfach länger, aber alles on top […]. Ist schon eine starke Selbstausbeutung, die man so betreibt.“

Hier überwiegt noch der Wille, den eigenen hohen Ansprüchen in gleichzeitig mehreren Bereichen durch Mehrarbeit gerecht zu werden. Die Strafrechtlerin verfolgt bislang noch die Strategie, „mehr Einsatz“ (Groh-Samberg et al. 2014, S. 238) zu zeigen. Da sie aber nur begrenzt „on top“ arbeiten könne, deutet sich hier zugleich eine „Grenze“ der Belastbarkeit an (JUR8). Inwiefern sie also, ähnlich wie die Politikwissenschaftlerin, weitere Möglichkeiten der Entlastung suchen wird, bleibt abzuwarten. Aufgrund der Übereinstimmung mit den eigenen Zielen – die Frauen- und Nachwuchsförderung „häng[e]“ ihr „am Herzen“ – zeigt sich bei der Strafrechtlerin allerdings keine Überforderung, die im Sinne einer Ohnmacht gedeutet wird. Letztlich sei die Mehrarbeit eine eigeninitiativ betriebene „Selbstausbeutung“, sodass ihre Bilanz am Ende doch lautet, „den schönsten Beruf der Welt“ ergriffen zu haben. Ein Spannungsverhältnis bleibt dennoch insofern bestehen, als die Aussicht, fortan „mehr Egoist“ sein zu müssen, im Widerspruch zu ihrem Selbstverständnis steht.

Kommen wir damit wieder zu dem Verhältnis der Zuversichtlichen zur Universität und Universitätsleitung, die bei der Ausgestaltung der Rahmenbedingungen eine wichtige Rolle spielt, und der subjektiven Deutung dieses Verhältnisses zurück: Hier zeigt sich eine Parallele zur Politikwissenschaftlerin auch dahin gehend, dass beide ein vorgezogenes Gespräch mit dem Präsidium als einen Weg der Aushandlung verbesserter Bedingungen ansehen. Die Organisation bzw. ihre Leitungsebene und die Professorenschaft werden nicht als Antipoden verstanden, sondern gehen nach diesen Vorstellungen ein, wenn auch nicht egalitäres, so doch kooperatives Arbeitsbündnis ein. Während sich die Zuversichtlichen nicht wie die Reformopfer oder Wehrhaften durch eine hierarchische Instanz in eine Defensivposition versetzt sehen, sind sie zugleich, und anders als die ProfiteurInnen, von den durch die Universität geschaffenen Rahmenbedingungen abhängig.

Der bereits zitierte Hochfrequenztechniker ist in dieser Hinsicht allerdings schon etwas weiter. Auch wenn er durch den Wechsel an die Universität von verbesserten Chancen ausgeht, identitätsbezogene Ansprüche realisieren zu können, positioniert er sich als „unabhängige Person“, die sich per se nicht von den organisationalen Erwartungen oder Zielvorstellungen abhängig macht. Er hat zwar im Rahmen seiner Berufung konkrete Zielvereinbarungen abgeschlossen, nimmt diese aber nicht als Anforderungen wahr, an die er sich, vielleicht gar um den Preis der Gefährdung eigener Ansprüche an Lehre und Forschung, anpassen müsse:

„Nach Möglichkeit stimmen meine Interessen mit den Interessen der Universität überein. Was sie, denke ich mal, größtenteils tun. Ich will gute Forschung machen, ich will eine gute Lehre machen, und ich denke mal, dass das auch im Interesse der Uni ist. Ob die Uni an sich – Wer ist die Uni eigentlich? – ob die mich dabei wahrnimmt oder nicht: Hauptsache, die Studierenden nehmen mich wahr und kommen in meine Vorlesung. Das ist wichtig. Ansonsten, ob da irgendein Präsident oder nicht, pf, mir auf die Schulter klopft, ist mir relativ wurscht.“ (TECH7)

Eine wahrgenommene Reziprozität zwischen Universität und Wissenschaftler ermöglicht hier eine unproblematische Übersetzung organisationaler Erwartungen in das eigene berufliche Handeln. Einem nahenden Beurteilungsgespräch mit dem Präsidium sieht der Hochfrequenztechniker denn auch selbstbewusst entgegen:

„Also, ich denke auch, dass dieses Gespräch relativ entspannt wird. Und die verlangen ja nichts von mir, was ich grundsätzlich ablehne. Wenn das so wäre, und ich es grundsätzlich ablehnen würde, dann würde das Gespräch anders aussehen. Aber das tun sie ja nicht. Also von daher, pf, bin ich da völlig entspannt.“

So gelassen tritt die Strafrechtlerin gegenüber der organisationalen Bewertungsinstanz bislang hingegen nicht auf. Stattdessen sucht sie den Weg des Dialogs, versucht also mittels einer kooperativen Handlungsstrategie, die Rahmenbedingungen ihrer Forschung und Lehre zu optimieren. Eine Mikrobiologin, um einen ergänzenden Fall einzubringen, findet wiederum einen sehr pragmatischen Umgang mit Leistungsbewertungen, der bis zur Anpassung an die universitären Anforderungen reicht. Die Juniorprofessorin macht ihre Anpassungsbereitschaft in besonderer Weise explizit, stellt aufgrund ihrer unsicheren Karrierephase allerdings auch einen Ausnahmefall dar.Footnote 25 So spricht sie von „Spielregeln“ (BIO9), deren Einhaltung es bedürfe, um sich im universitären System bewähren zu können. Ob sie die „gut finde oder nicht“, sei dabei „komplett irrelevant“. Wichtiger sind ihr explizite Vorgaben, an denen sie ihr Handeln ausrichten kann:

„Ich hab mal meinen Bericht geschrieben und hinterher wurde mir gesagt: ‚Es wäre übrigens sinnvoll, wenn du noch den oder den Kurs mitgemacht hättest.‘ Wo ich dann gesagt habe: ‚Och, wäre ja schön, wenn ich so was a) vorher erfahre und b) dann auch in dem Kriterienkatalog drin stehen würde‘ und nicht so´n ‚nice to have‘, was dann zu einem ‚must have‘ wird.“

Die Mikrobiologin kritisiert nicht die Existenz von Regeln, sondern deren fehlende Kommunikation, die einer optimierten Erfüllung von Kriterien entgegenstehe. Sie wünscht sich letztlich mehr Feedback nicht nur zu ihren vollbrachten, sondern auch zu den von ihr erwarteten Leistungen, um sich als erfolgreiche Wissenschaftlerin profilieren zu können. Dafür bedürfe es transparenter Bewertungsstrukturen, um sich an den geforderten Leistungskriterien strategisch orientieren zu können. Indem sie Gremientätigkeiten nicht mehr als eine notwendige Form der akademischen Selbstverwaltung, sondern als Möglichkeiten des selbstbetriebenen Profiling umdeutet, entspricht sie in diesem Punkt Ulrich Bröcklings (2007) Typus des „unternehmerische[n] Selbst“. Schließlich sei das erklärte Ziel, als souveräne Verhandlungspartnerin am Verhandlungstisch mit der Hochschulleitung sitzen zu können:

„[I]ch hab sehr viel mit solchen Gremienarbeiten zu tun, was mir allerdings auch Spaß macht, weil ich einfach denke: Das ist für die Zukunft. Das ist wichtig. […] Das ist nicht mehr so, wie wir es noch vor zehn, fünfzehn Jahren hatten, wo die Landesregierung gesagt hat: ‚So und so ist es‘, sondern leistungsorientierte Mittelvergabe! Das heißt, ich als Professor muss mir Gedanken machen, wie kann ich die Kriterien erfüllen, und dann muss ich auch Zeit dafür investieren, und ich muss entsprechend dann auch wissen, wie das überhaupt funktioniert: Wie muss ich dann mit dem Präsidium argumentieren? Solche Sachen spielen mittlerweile in das Berufsbild des Professors mit rein.“ (BIO9)

Auch bei ihr bleibt eine Kritik an Drittmitteln und Publikationslisten als Bewertungsparametern – Kriterien, die man „einfach so abhaken“ könne – nicht aus, die sie aber letztlich mit ihrer Mehrbelastung durch die Lehre begründet. Sie reflektiert ihre Situation als Juniorprofessorin, die sich mit KollegInnen aus außeruniversitären Instituten vergleichen lassen und mit diesen um ProfessorInnenstellen konkurrieren müsse. Für sie bedeuten die noch zusätzlich zu bewältigende Lehre sowie eine geringe, kaum konkurrenzfähige Ausstattung einen klaren diesbezüglichen Wettbewerbsnachteil. Obwohl ihr Fall aufgrund ihrer Position als Juniorprofessorin besonders und daher auch nur einschränkend mit den bis hier dargelegten Fällen vergleichbar ist, verdeutlicht er, was sich auch bei den W2-ProfessorInnen erkennen lässt: Wer etwas zu gewinnen, aber auch zu verlieren hat, ist besser beraten, wenn er oder sie ‚punkten‘ kann. Schließlich bedarf es Ressourcen, um am Wettbewerb um Stellen oder Fördergelder teilnehmen zu können oder das eigene Standing in der Organisation zu verbessern. Der Gunst der Hochschulleitung kommt dabei eine entscheidende Bedeutung zu.

Wie ein Vergleich der betrachteten Fälle zeigt, kann die eigene „agency“ unterschiedlich stark sein. Bei einer eher schwächeren eigenen Handlungsfähigkeit speist sich die Zuversicht aus, durch die betroffenen ProfessorInnen wenig beeinflussbaren, Veränderungen ihrer Rahmenbedingungen. Hier können wir von einem Subtyp der passiven Zuversichtlichen sprechen. Sie hat ihren Erfolg nicht ‚selbst in der Hand‘, sondern ist auf zukünftige Strukturveränderungen, die durch die Reformen hervorgebracht werden könnten, oder auf andere Umstände wie z. B. einen längerfristigen Rückgang der Studierendenzahlen angewiesen.

Es lassen sich weitere begünstigende Faktoren identifizieren, die den Optimismus der Zuversichtlichen zwar nicht erschöpfend erklären können, aber deren Zustimmung zu den Reformen mit bewirken. So begründet sich der Optimismus der Zuversichtlichen auch in einer von ihnen beobachteten Aufwertung der Lehre und einer erhöhten Leistungstransparenz in diesem Bereich. Dies wird als ein wichtiger Aspekt der Reformen begriffen. Eine Aufwertung der Lehre kommt nicht nur dem eigenen Anspruch der Zuversichtlichen entgegen, sondern bedeutet für sie persönlich auch eine Anerkennung ihres zumeist hohen Lehrengagements. Die erwähnte Strafrechtlerin sieht das eigene Fach, in dem noch immer „das Didaktische […] das Hauptproblem“ sei, geradezu in einer erfreulichen Umbruchsituation, welche maßgeblich von den „jüngeren Professoren“ angetrieben werde, die sich aktiv um eine Verbesserung der Lehre bemühten und diese Aufgabe auch „ernst“ nähmen (JUR8). Auch ihr eigenes Engagement – sie engagiert sich derzeit unter anderem in einem durch den Qualitätspakt Lehre geförderten hochschuldidaktischen Programm der Universität – erfährt Anerkennung.

Auffällig ist weiterhin die Bedeutung der Variable Geschlecht, die so nur bei diesem Typus eine Rolle spielt. Denn obwohl es gerade die Professorinnen sind, die im Rahmen der Interviews einen besonderen persönlichen Leistungsdruck in der Wissenschaft thematisieren, verbinden sie mit neuen Formen der Leistungsbewertungen positive, den Wissenschaftlerinnen zugutekommende Aspekte. So verbindet die zitierte Strafrechtlerin mit „Wandel“ keine negativ bestimmte Ökonomisierung, sondern erst einmal die Beseitigung „verkrusteter Strukturen“. Dies betrifft vor allem die eigene „eigentlich sehr konservativ[e]“ Disziplin der Rechtswissenschaft. Sie bezieht die Frage des Wandels gerade auch auf eine Veränderung der Karrierewege innerhalb der eigenen Disziplin, von der auch sie profitiert habe.

Eine Politikwissenschaftlerin, die sich für die Förderung des weiblichen wissenschaftlichen Nachwuchses einsetzt, verbindet mit der LOM nicht zuletzt unterstützenswerte Initiativen wie den Einsatz leistungsbezogener Mittel für die „Förderung von Frauen in der Wissenschaft“, die „wirklich innovative Zeichen“ setzten (POL4).Footnote 26 So sei „das deutsche System […] sehr auf diese alte Lehrstuhlmentalität“ mit einem „König“ an der Spitze „ausgerichtet“, wobei Kriterien wie „Teamfähigkeit, die Mentor- und Mentorinnenfähigkeit, die Übernahme von Verantwortung“ zu wenig „bewertet“ würden. Sie betont die „Ausbildungsfunktion“, die ihr und anderen Hochschullehrerinnen zukäme. Denn während der Anteil der zumeist „prekär“ beschäftigten, aber „hoch begabten“ wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen auf der Ebene des Mittelbaus hoch sei, werde es auf der ProfessorInnenebene „ganz dünn“.Footnote 27 Die Möglichkeit, „mit dem Einsatz von leistungsbezogenen Mitteln für Personalförderung tatsächlich dafür [zu] sorgen, dass junge Frauen längerfristiger beschäftigt werden“, sei eine „ganz wichtige und auch hoch notwendige Geschichte“.Footnote 28

Wenn also Universitäten – ob durch NPM, „Bologna“ oder die „Exzellenzinitiative“ – als wichtig erachtete, bislang aber wenig berücksichtigte Aspekte ihrer Leistungsproduktion in den Fokus rücken, werden darauf ausgerichtete neue Formen der Leistungsbewertungen nicht dezidiert abgelehnt. Wenngleich eine Kritik am immensen Anstieg der – vor allem quantitativen – Leistungsbewertungsverfahren nicht ausbleibt, geschieht dies vonseiten der Zuversichtlichen eher in Form einer Detailkritik. Identifizierte Vorteile der Universitätsreformen lassen sie zu einer differenzierteren Bilanz kommen mit entsprechend differenzierten Abgleichen von identitätsbezogenen Ansprüchen und organisationalen Anforderungen. Weil aber „unteilbare“ Identitätskonflikte in Richtung einer ‚Alles oder nichts‘-Haltung tendieren, bringt einem das oft den Meta-Identitätskonflikt des ‚Kompromisslerischen‘ ein – pathetisch formuliert verkauft man für den Spatz in der Hand die eigene Seele. Dieser Identitätskonflikt nagt weiter an einem.Footnote 29 Entsprechend zweifeln manche Zuversichtliche immer wieder daran, ob sie sich nicht etwas in die Tasche lügen.

Dies verweist auf einen weiteren Aspekt, der generell zu beachten ist: den Status quo der Reformumsetzung an den Universitäten, denen die von uns interviewten ProfessorInnen angehören. An vielen Standorten kommt eine Unabgeschlossenheit der Reformprozesse zum Tragen, deren weitere Entwicklungen samt ihrer Folgen für die ProfessorInnen – wie für alle anderen Beteiligten und Betroffenen auch – bislang nicht abschätzbar sind.Footnote 30 Die Zuversichtlichen haben sich noch kein abschließendes Urteil über die andauernden Reformprozesse bilden können, blicken diesen aber – und dies unterscheidet sie letztlich von den Verschonten wie auch von den ReformgegnerInnen – eher optimistisch entgegen und deuten ihre eigene Situation in dieser Konstellation vergleichsweise selbstbewusst. Ihr Optimismus begründet sich in der Hoffnung auf zukünftige persönliche Vorteile – eng verbunden mit der Erwartung, dass ein differenzierteres System der Leistungsbewertung entwickelt werden wird, das die jeweiligen disziplinären Spezifika oder individuellen Foki stärker berücksichtigt. Eine Kritik am Status quo steht folglich nicht im Widerspruch zur positiv-optimistischen Perspektive der Zuversichtlichen. Man denke nicht zuletzt an Herrn Pauls (POL5), den in Kap. 4.3 ausführlich porträtierten Politikwissenschaftler, der angesichts des von ihm gesehenen Potenzials der neuen Governance zumindest zeitweise – trotz fehlender Passung und Herausforderung seiner Forscheridentität – zum aktiven Reformakteur wurde. So lautete denn auch sein eher optimistisches Fazit mit Blick auf die Weiterentwicklung der universitären Leistungsbewertungen: „Das wird kommen. Ja es kommt. Also von daher wird es hoffentlich dann besser.“

5.3 Ein Resümee der Lage

Die im Kap. 1 formulierten Ausgangsfragen, die wir mit unseren Fallanalysen von ProfessorInnen beantworten wollen, seien hier wiederholt:

  • Wirken sich die Reformen des deutschen Hochschulsystems, und hier insbesondere die Einführung von Leistungsbewertungen, als Bedrohungen professoraler Identität mit Blick auf die Selbstansprüche an ‚gute‘ Forschung und Lehre aus?

  • Insoweit das der Fall ist: Welche Praktiken der Identitätsbehauptung rufen diese Identitätsbedrohungen aufseiten der betroffenen ProfessorInnen hervor? Und welche Auswirkungen auf ihre Forschung und Lehre haben diese Praktiken?

Wenn man die Antworten auf diese Fragen, die wir, vorbereitet durch das Kap. 4, im vorliegenden Kapitel mit Blick auf jeden der sieben von uns unterschiedenen analytischen Typus gegeben haben, mit dem Bild vergleicht, das unsere Analyse des medialen Diskurses im Kap. 2 gezeichnet hat, wird niemand bestreiten können, dass das, was uns die ProfessorInnen als tagtägliche Berufspraxis schildern, in sehr vielen Hinsichten ganz anders aussieht als das, was entweder journalistische Berichte und Reportagen oder die medialen Stellungnahmen von ProfessorInnen dazu feststellen. Beide Seiten behaupten ja oft genug das glatte Gegenteil dessen, was die jeweils andere Seite behauptet. Nicht nur, dass dann nicht beides stimmen kann: Unsere Empirie zeigt, dass die Darstellungen beider in sehr vielen Punkten gleichermaßen realitätsfern sind. Wie die Mixtur aus mangelhafter Recherche und Sachkunde, der Bedienung von Voreingenommenheiten und einer immer wieder nicht bloß durchschimmernden politischen Agenda im Einzelfall und in der Gesamtheit der journalistischen Beiträge beschaffen sein mag, muss hier ebenso wenig interessieren wie die blinden Flecken, das Verallgemeinern des eigenen Einzelfalls, die Empfindlichkeiten und Standesinteressen derjenigen ProfessorInnen, die sich öffentlich zu Wort melden. Fakt ist jedenfalls: Wer den Lageeinschätzungen traut, die JournalistInnen und ProfessorInnen öffentlich verbreiten, ist ganz überwiegend schlecht beraten.

Was für ein Bild der Lage nach gut fünfzehn Jahren Reformen vermitteln demgegenüber ProfessorInnen, die man – wie wir es getan haben – nicht nach der Situation der deutschen Universitäten und ihrer Professorenschaft im Allgemeinen fragt, sondern nach ihrer je eigenen beruflichen Situation, und zwar so konkret wie möglich zum Arbeitsalltag, und denen man kein öffentliches Forum bereitstellt, sondern Anonymität zusichert? Wir wollen nun nicht die Detailbefunde wiederholen und Punkt für Punkt aufzeigen, wo sie wie stark das mediale Bild widerlegen. Vielmehr soll abschließend in acht Punkten resümiert werden, worin der Ertrag unserer Untersuchung nicht nur mit Blick auf den Forschungsstand, sondern auch als eine soziologische Aufklärung der öffentlichen Debatten besteht.Footnote 31

Erstens – und als generellster Ertrag: Es lohnt sich nicht nur, ProfessorInnen analytisch als Identitätsbehaupter zu betrachten – es ist sogar zwingend erforderlich, will man wesentliche Phänomene im gegenwärtigen Reformgeschehen richtig einordnen. Zweifellos geht Vieles, was ProfessorInnen in Reaktion auf die Reformen tun und lassen, auf Interessen zurück, die sie verfolgen und verteidigen. Aber die Professorenschaft wäre längst auf breiter Front viel stärker auf die Linie eingeschwenkt, auf die sie die Reformpromotoren bringen wollen, wenn es nur um Interessen ginge. Zuckerbrot und Peitsche sind genug zum Einsatz gekommen, um jemanden, der einzig und allein seine Interessen kühl abwägt, die persönlichen Vorteile wie auch die Nachteile, die ein Zögern und Zurückscheuen mit sich bringen kann, erkennen zu lassen. Doch es ist offenkundig, dass der rein interessenorientierte Homo Oeconomicus wie ein siamesischer Zwilling mit dem Identitätsbehaupter verbunden ist. Nicht nur, dass ersterer letzteren nicht abzuschütteln vermag: Der Identitätsbehaupter ist in letzter Instanz der stärkere der beiden, der den sinnstiftenden Rahmen dafür setzt, welche Interessen der Homo Oeconomicus erstrebenswert findet.Footnote 32

Die Lage der ProfessorInnen im Reformgeschehen ist zweitens in mehreren Hinsichten deutlich vielschichtiger, als viele bisherige Studien, die oft nur einzelne Reformaspekte isoliert betrachtet haben, vermuten ließen und erst recht die öffentliche Debatte glauben machen will:

  • Anstelle weit überwiegender entschiedener ReformgegnerInnen und sehr weniger ReformbefürworterInnen sehen wir sieben Typen von ProfessorInnen, die das Spektrum zwischen diesen beiden Extremen – auf die wir kaum gestoßen sind – strukturieren. Jeder dieser Typen ist distinkt, stellt also eine in sich stimmige und von den anderen abgegrenzte Haltung dar. Er repräsentiert, mit anderen Worten, je eigene Formen der Deutung organisationaler Leistungsbewertungen und des Umgangs mit ihnen. Diese sieben Typen zum Zweck der Kontrastierung auf zwei – pro und contra – zu reduzieren, wäre eine nicht hilfreiche Übervereinfachung. Wenn man z. B. Wehrhafte mit Reformopfern zusammenwirft und entsprechend behandelt, macht man erstere im Sinne einer Self-fulfilling Prophecy womöglich zu letzteren, obwohl man sie vielleicht genau umgekehrt zu Zuversichtlichen machen will.

  • Jeder der Typen ist zudem auch in sich facettenreicher und ambivalenter als simple Pauschalgegenüberstellungen. So begrüßt etwa die Zuversichtliche die Reformen, obwohl sie selbst noch nicht von ihnen profitiert – aber sie geht davon aus, dass ihr dies gelingen wird. Aktueller individueller Nutzen und Reformbefürwortung gehen also nicht zwangsläufig miteinander einher. Und die Verschonte weiß, dass es für sie gute Gründe gibt, solidarisch mit Reformopfern oder Wehrhaften zu sein.

  • Dieselbe Person kann in verschiedenen Hinsichten unterschiedlichen Typen zugehören. Jemand kann etwa in seiner Forschung ein Sympathisant sein, in Angelegenheiten der Lehre hingegen ein Wehrhafter. Dies unterstreicht nicht zuletzt auch die Vielschichtigkeit des Reformgeschehens selbst.

  • Eine Person kann schließlich auch im Zeitverlauf ihre Deutungs- und Handlungsmuster verändern und gewissermaßen den Typus wechseln – unter Umständen mehrfach. Das kann sich zum einen daraus ergeben, wie ihre Karriere verläuft, und zum anderen daraus, wie die Reformdynamiken und hier insbesondere die Umsetzung der Reformmaßnahmen an der eigenen Universität vonstattengehen – hierzu im Kap. 6 noch mehr.

Drittens sind die Determinanten dafür, welchem Typus jemand entspricht, vielschichtiger als oft diskutiert wird. Vielfach wird die Disziplinzugehörigkeit als die ausschlaggebende Determinante in Betracht gezogen, um etwa zu erklären, warum jemand die Reformen ablehnt oder befürwortet. Hierzu ist zunächst zu sagen, dass die Disziplin eine zu grobe Kategorie ist – erst recht gilt das für eine Gegenüberstellung noch höher aggregierter Einheiten wie etwa der schon in Kap. 1 angesprochenen “two cultures” (Snow 1959). Dass Natur- und IngenieurwissenschaftlerInnen allesamt pro Leistungsbewertungen sind, weil deren Kriterien den eigenen disziplinären Standards entsprechen und sie überdies ständige Bewertungen in ihren Fachgemeinschaften gewöhnt sind, während Geistes- und SozialwissenschaftlerInnen in beiden Hinsichten contra Leistungsbewertungen sozialisiert werden, ist in dieser Verallgemeinerung nicht hilfreich, sondern lässt viel Varianz übersehen.Footnote 33 Wir haben daher nicht Disziplinen, sondern Subdisziplinen für die Fallauswahl herangezogen und miteinander verglichen, weil z. B. VertreterInnen der Politischen Theorie eine deutlich andere epistemische Kultur pflegen als VertreterInnen der Vergleichenden Regierungslehre und StrafrechtlerInnen andere Praxisbezüge und Drittmittelerfordernisse haben als Staatsrechtslehrende. Wenn man auf subdisziplinärer Ebene einigermaßen kohärente Merkmale ausfindig macht, kann man in der Tat Wirkungen von deren Ausprägungen auf den Typus feststellen, dem FachvertreterInnen angehören.

Dabei ist allerdings in Rechnung zu stellen, dass nicht nur solche subdisziplinären Unterschiede bestimmen, welchem Typus jemand angehört. Wir haben mehrere weitere Determinanten aufgezeigt. Für zwei Faktoren hatten wir im Vorhinein vermutet, dass sie neben den subdisziplinären Unterschieden eine gewisse Wirkkraft entfalten würden: erstens die Karrierestufe und der Karriereverlauf der ProfessorInnen, zweitens das Ausmaß und die Art der Umsetzung der Reformen an der Universität, der eine Professorin oder ein Professor angehört. In beiden Hinsichten zeigen sich erwartbare – allerdings bislang noch zu wenig untersuchte – Zusammenhänge:

  • Ältere und erfolgreichere ProfessorInnen sind in schwächerem Maße selbst von Leistungsbewertungen betroffen und können eher zu ProfiteurInnen werden, während ProfessorInnen, die am Anfang ihrer Karriere stehen, und solche, deren Karriere weniger erfolgreich verlaufen ist, stärker und eher negativ betroffen, also Opfer, Wehrhafte oder bestenfalls Zuversichtliche sind.

  • Je später und je weniger konsequent Leistungsbewertungen an einer Universität umgesetzt worden sind, desto geringer ist die Betroffenheit von ihnen, desto höher ist also die Wahrscheinlichkeit, dass ein Professor dort Verschonter oder Sympathisant ist. Die Typen des Opfers auf der einen, des Profiteurs und der Zuversichtlichen auf der anderen Seite sind dort seltener anzutreffen. Wer in einem solchen Setting spürbar negativ betroffen ist, dürfte eher zum Wehrhaften werden.

Als weitere Determinante, deren Wirkung wir aber nur punktuell und in Verbindung mit den anderen Determinanten in den Blick bekommen haben, ist das Geschlecht zu nennen.Footnote 34 Strafrechtsprofessorinnen verweisen selbst darauf, dass es Frauen in den Rechtswissenschaften immer noch mit Vorbehalten zu tun haben; und in den Ingenieurwissenschaften – bei uns: in der Nachrichten- und Hochfrequenztechnik – dürfte dies noch ausgeprägter sein, was wir aber bezeichnenderweise gar nicht untersuchen konnten, weil wir dort keine Professorin als Fall ausfindig machen und gewinnen konnten. Interessant könnte noch eine auf Geschlecht besonders achtende vergleichende Analyse der männlichen und weiblichen Fachvertreter der Neueren Deutschen Literatur sein, weil dort der Anteil der Professorinnen schon seit längerer Zeit deutlich höher ist als in den meisten anderen Fächern. In der Zellbiologie schließlich sowie auch in der Vergleichenden Regierungslehre scheinen Geschlechterunterschiede – jedenfalls von unseren Ergebnissen aus betrachtet – eine vergleichsweise geringe Rolle zu spielen.Footnote 35

Viertens korrigieren unsere empirischen Befunde ein weiterhin – siehe wiederum die Analyse der journalistischen Berichterstattung in Kap. 2 – sehr verbreitetes Bild, demgemäß ProfessorInnen hauptsächlich forschungs- und wenig lehrinteressiert sind; und hinsichtlich beider Aufgabenfelder ist wiederum interessant, wie differenziert die Auswirkungen von Leistungsbewertungen eingeschätzt werden:

  • Viele unserer Fälle haben von sich aus – und nicht, weil wir mit unserem Leitfaden ein besonderes Gewicht darauf gelegt hätten – ausführlich über Lehre und die Sorgen, aber auch Hoffnungen, die sie mit „Bologna“ verbinden, gesprochen. Dass Lehrevaluationen, insbesondere durch die Studierenden, als Leistungsbewertungen wichtig sind und ihnen viele Hinweise auf Verbesserungsbedarfe und -möglichkeiten gegeben haben, schildern ebenfalls viele der ProfessorInnen – und zwar oft so detailliert, dass sich dieses Antwortverhalten kaum damit erklären lässt, dass man bloß rhetorisch der sozialen Erwünschtheit einer professoralen Verantwortung für den Lernerfolg der Studierenden Genüge tut. Lehre ist den meisten offensichtlich wichtig. Gerade wenn manche darlegen, dass sie künftig weniger Zeit für Lehre aufwenden wollen, weil sie nur so noch zur Forschung kommen, klingt stets das schlechte Gewissen mit. Es gibt ein intaktes Lehrethos als integralen Bestandteil professoraler Identität, und aus diesem Ethos heraus werden bestimmte Elemente von „Bologna“ von vielen kategorisch abgelehnt, während bezüglich anderer Elemente eine durchaus kritische, aber nicht von vornherein pauschal zurückweisende Auseinandersetzung stattfindet.

  • Hinsichtlich der eigenen Forschungsbedingungen ist der Tenor, dass zwar Leistungskonkurrenz und Leistungsbewertungen, die es in den Fachgemeinschaften immer schon gegeben hat, im Prinzip akzeptiert werden, jedoch die im Zuge der Reformen zum Einsatz gekommenen Maßnahmen und Kriterien immer wieder als wenig adäquat eingestuft werden.Footnote 36 Auch hier finden sich allerdings zumeist abwägende Einschätzungen: Drittmitteleinwerbung, große Forschungsverbünde, peer-reviewed Veröffentlichungen in wichtigen internationalen Zeitschriften werden nicht etwa rundweg abgelehnt, sondern lediglich durch andere Qualitätsmaßstäbe relativiert. Einbußen an Forschungsautonomie werden überwiegend nicht unter der großen Überschrift von „Einsamkeit und Freiheit“ kundgetan, sondern viel pragmatischer in sehr spezifischen Manifestationen problematisiert. Das bedeutet auch, dass man hier keine ‚ideologischen Grundsatzdebatten‘ führen, sondern sich spezifische ‚Ärgernisse‘ anschauen und pragmatische Lösungen suchen muss.

Fünftens passen all diese Befunde ganz und gar nicht zu dem von den JournalistInnen aufgebauten und von PolitikerInnen aufgegriffenen Feindbild der selbstherrlichen ProfessorInnen. Stimmte dieses Bild, dann fühlte sich die große Mehrheit der ProfessorInnen als Gelassene, denen die Reformen nicht nur selbst nichts anhaben können, sondern die auch davon überzeugt sind, dass die Reformen im Universitätssystem insgesamt wirkungslos verpuffen werden. „Ich küsse jeden Tag meine Urkunde, und schönes Leben noch!“ (LIT11): Eine solche Haltung wird – so auch im Zitat – als eine faktisch durch den Beamtenstatus ermöglichte, aber dezidiert abgelehnte angesprochen. Das schließt nicht aus, dass es sie doch gibt. Aber dass sie vorherrscht oder auch nur eine gewichtige Stimme in der Professorenschaft ist, erscheint unwahrscheinlich. Alle von uns Befragten sind sich darüber im Klaren, dass ihre Chancen, nach eigenen Vorstellungen ‚gute‘ Lehre und Forschung betreiben zu können, in erheblichem Maße davon abhängen, wie das Universitätssystem gestaltet ist und weiter durch politische Maßnahmen gestaltet werden wird. Niemand fühlt sich unangreifbar. Ganz im Gegenteil sind sich viele der eigenen Verletzbarkeit bewusst – nicht nur die Opfer, auch die ProfiteurInnen. Diejenigen, die den Reformen eher skeptisch gegenüberstehen, sehen ein Zuviel an politischer Gestaltungsmacht, dem ein Zuwenig an Vertrauen in die Professorenschaft als zentralem Akteur der Selbstgestaltungsfähigkeit des Systems korrespondiert. Und diejenigen, die die Reformen eher begrüßen, schreiben sie gerade nicht als gute Ideen den ProfessorInnen zu, sondern der Politik. Selbstherrlichkeit klingt anders.

Sechstens – und in diesem Punkt bestätigen unsere Ergebnisse den medialen Diskurs – sehen die ProfessorInnen, wie viele Interviewäußerungen deutlich machen, als Schlüsselfiguren der Reformen ihre Hochschulleitungen an. Es handelt sich zwar um Maßnahmen, die politisch entschieden werden, wobei weniger die regierenden Parteien als vielmehr die zuständigen Ministerien als Urheber gesehen werden. Doch die Umsetzung der Entscheidungen, von der sehr viel ihrer Wirkung abhängt, obliegt auf der Organisationsebene der einzelnen Universität den Leitungen, die dabei in den meisten Fällen und in vielen Hinsichten große Gestaltungsspielräume haben. Hinzu kommt natürlich, dass man seinem unmittelbaren Gegenüber mehr Wirkungsabsichten und -macht zuspricht als fernen Ministerien. Aus der Sicht der ProfessorInnen – egal, ob sie von den Reformen profitieren oder Reformopfer sind – sind es also die Rektoren bzw. Präsidentinnen ihrer Universitäten, die als Betreiber der Reform ‚vor Ort‘ auftreten. Das ist alles andere als selbstverständlich, wenn man bedenkt, dass deutsche Hochschulleitungen noch vor zwanzig Jahren, von Ausnahmen abgesehen, entweder ‚Grüßonkel‘ bei festlichen Anlässen – so eine damals geläufige Bezeichnung – oder Sprecher der Professorenschaft gegenüber dem Ministerium waren. Inzwischen sind die Leitungen nicht nur eigenständige Akteure geworden, sondern positionieren sich mittels dieser „actorhood“ nach Einschätzung vieler unserer Fälle sogar gegen die ProfessorInnen – wohlgemerkt nicht einfach als Erfüllungsgehilfen der Ministerien, sondern mit eigener Agenda, wofür die politischen Entscheidungen oft nur ein legitimierender äußerer Anlass sind. Zwar können auch heute die Hochschulleitungen noch keine größeren Gestaltungsmaßnahmen durchsetzen, die konträr zu dem stehen, was die große Mehrheit der ProfessorInnen für richtig hält.Footnote 37 Doch gegenüber dem je einzelnen Professor oder auch Institut ist die Macht des Rektors oder der Präsidentin deutlich gewachsen – umgekehrt gesehen haben die einzelnen ProfessorInnen insbesondere in je eigenen Angelegenheiten an Vetomacht verloren. Eine wesentliche Legitimationsquelle der Leitungsmacht stellen wiederum Leistungsbewertungen dar. Insbesondere Ressourcenzuweisungen können mit Verweis auf als mäßig bewertete Leistungen von ProfessorInnen verweigert und Ressourcenentzüge entsprechend als gerecht oder sachgerecht begründet werden. Umgekehrt bieten als sehr gut bewertete Leistungen gegenüber leer ausgehenden Dritten der Hochschulleitung eine Begründung dafür, jemandem weitere Ressourcen zur Verfügung zu stellen.

Siebtens sind in Phasen des Wandels, gerade wenn er als ein ‚von oben‘ durch die eigene Hochschulleitung auferlegter erfahren wird, die KollegInnen – nicht nur innerhalb des eigenen Faches, sondern auch in anderen Fächern an der je eigenen Universität – eine sehr bedeutsame Bezugsgruppe. Sie sind äußerst wichtig, um die bedrohte eigene berufliche Identität zu bestätigen. Diese wechselseitige Unterstützung ist für den Einzelnen unter Umständen noch wichtiger als die meist im Vordergrund stehende kollektive Verteidigung und Verfolgung gemeinsamer Interessen. In beiden Hinsichten beobachten einige unsere InterviewpartnerInnen eine gewisse Erosion von Kollegialität, ohne dass jedoch schon von einer durchgängigen Krise der Kollegialität gesprochen werden kann. Mancher artikuliert die Sorge, dass aus weiter steigendem Konkurrenzdruck eine Ellenbogenmentalität zu- und die Bereitschaft zur Solidarität untereinander abnehmen könnte, wobei zwei mögliche Konfliktlinien gesehen werden:

  • Zum einen könnte sich das – immer schon gegebene – Spannungsverhältnis zwischen „Cosmopolitans“ und „Locals“, was stark mit Forschungs- vs. Lehrorientierung korreliert, stärker polarisieren. Während die drittmittelstarken „Cosmopolitans“ in verschiedener Weise von der universitären Bewertungsordnung profitieren und damit auch über größere Handlungsspielräume verfügen, sich der Kollektivgutproduktion vor Ort zu entziehen, geraten die eher auf Lehre ausgerichteten „Locals“ unter Anpassungsdruck. Anstatt die wechselseitigen Nutzenverschränkungen einer Arbeitsteilung zu sehen und entsprechend die Leistungen der je anderen zu respektieren, versuchen nach dem Eindruck mancher InterviewpartnerInnen beide Seiten verbissener als früher, die Nase vorn zu haben – im Kampf um Ressourcen, Reputation und die Gunst der Hochschulleitung.

  • Zum anderen wurde einige Male angesprochen, dass diese Konfliktlinie überlagert werde durch eine zwischen Älteren und Jüngeren. Aus Sicht der Älteren passen sich viele Jüngere allzu opportunistisch den Leistungsbewertungen an und verraten manchmal geradezu die Idee universitärer Bildung und das Forschungsethos; umgekehrt sehen die Jüngeren diese Kritik als wohlfeil an, weil die Älteren durch den Karrierevorsprung – und die entscheidenden Karrierephasen unter viel entspannteren Bedingungen – längst ihre Schäfchen ins Trockene gebracht haben.

Der größte Gegensatz tut sich folglich zwischen jüngeren „Cosmopolitans“ und älteren „Locals“ auf. Wenn dann auch noch eine Intransparenz bei der Vergabe bestimmter Privilegien hinzukommt, wie sie uns an einigen Universitäten berichtet wurde, wird die Kollegialität schnell strapaziert.

Achtens schließlich gilt es, die Folgen all dessen für die universitäre Leistungsproduktion in Lehre und Forschung zu bilanzieren. Hier stellen die von uns befragten ProfessorInnen ganz überwiegend problematische Folgen in den Vordergrund, was zunächst einmal dem medial vermittelten Bild einer geschlossenen Reformgegnerschaft zu entsprechen scheint. Allerdings werden diese Folgen nicht in dem quasi apokalyptischen Ausmaß geschildert, das mediale Stellungnahmen von ProfessorInnen suggerieren – wobei schon auffällt, dass insbesondere zur Forschung sogar die Reformprofiteure nicht durchweg positive Aspekte der Leistungsbewertungen ansprechen, sondern durchaus auch ihre negativen Effekte sehen. Bei allen anderen Typen ist diese Wahrnehmung noch ausgeprägter.

Im Einzelnen werden zur Forschung die folgenden problematischen Effekte häufiger benannt:

  • ProfessorInnen werden wegen der anhaltenden Unterfinanzierung der Grundausstattung immer stärker unter Drittmittelakquisedruck gesetzt, was in ihrem Zeitbudget eine Ausdehnung des Antragschreibens bedeutet – auf Kosten von Mitwirkung an der eigentlichen Forschung, Anleitung der NachwuchsforscherInnen und Publikationen.

  • Die verstärkte Angewiesenheit auf Drittmittel zieht eine Orientierung am fachlichen Mainstream nach sich, weil unorthodoxe Perspektiven zu riskant erscheinen.

  • Die verfügbaren Drittmittelquellen gehen immer stärker weg von einer durch keine thematischen oder sonstigen Vorgaben eingeschränkten Individualforschung und zu – überdies von den Hochschulleitungen aufgrund ihrer Sichtbarkeit präferierten – Formaten der Verbundforschung. Das bringt mit sich, dass die meisten daran Beteiligten nicht ihre vielversprechendsten individuellen Forschungsvorhaben realisieren können, sondern wegen Passfähigkeit in den Verbund persönlich weniger attraktive Vorhaben einbringen müssen.

  • Ein Druck in Richtung von Publikationen in internationalen High Impact Journals ist spürbar. Dieser Druck ist selbst in den Naturwissenschaften nicht nur leistungsfördernd, weil auch er eine Mainstream-Ausrichtung nahelegt. In vielen Disziplinen der Kultur- und auch Sozialwissenschaften zieht er noch weitere Dysfunktionalitäten nach sich – insbesondere eine vielfach befürchtete massive Abwertung von Monografien.

  • Die mit den Leistungsbewertungen einhergehenden vielfachen und sich unkoordiniert akkumulierenden Berichtspflichten stehlen noch mehr Zeit für die eigentliche Forschung.

In Sachen Lehre sind die häufiger genannten problematischen Folgen – durch die chronische Unterfinanzierung und die entsprechend schlechten Betreuungsrelationen ebenfalls schon lange angebahnt –Footnote 38 die folgenden:

  • Für die Vorbereitung von Lehre bleibt immer weniger Zeit, weil man immer mehr der verfügbaren Zeit für Forschung – einschließlich Anträge – benötigt und zudem das Lehrdeputat der UniversitätsprofessorInnen im betrachteten Zeitraum in vielen Bundesländern von 8 auf 9 Semesterwochenstunden erhöht wurde.

  • Das führt dazu, dass die Lehre immer weniger forschungsbasiert ist, sondern man auf fertige Skripte zurückgreift. Diese Standardisierung läuft im Zeichen von „Bologna“ auf „Employability“-Schablonen statt auf solche Bildungserlebnisse hinaus, die nicht nur für eine Wissenschaftlskarriere, sondern auch für außerwissenschaftliche Berufstätigkeiten prägend sein können.

  • Der durch „Bologna“-Vorgaben vermittelte Standardisierungsdruck – insbesondere im stark verrechtlichten deutschen Hochschulsystem, in dem Universitätsverwaltungen wegen etwaiger Klagerisiken extrem sicherheitsorientiert agieren – geht in dieselbe Richtung.

  • Der zunehmende Zeitbedarf für die Forschung wirkt sich weiterhin dahin gehend aus, dass man – wie immer begründbar – Reduktionen der Lehre in Anspruch nimmt. Diese Option wird in frühen Karrierestadien umso attraktiver, je höher der wahrgenommene Bewährungsdruck ist und je stärker man sich mit der Herausforderung konfrontiert sieht, die Lehre „unter den Forschungshut [zu] bringen“ (Esdar et al. 2011), um Kriterien wie eingeworbene Drittmittel oder die Beteiligung an Verbundprojekten erfüllen zu können.

All diese problematischen Entwicklungen in Forschung und Lehre können sich schließlich zu einem generellen Motivationsschwund ausweiten. Man verliert immer mehr die Freude an Forschung und Lehre und leistet nurmehr ‚Dienst nach Vorschrift‘ bis zum ersehnten Ruhestand.

In einem stimmt das von uns gezeichnete Bild, das durch diese acht Punkte charakterisiert ist, mit dem Bild, das der mediale Diskurs nahelegt, überein: Es hat nennenswerte Veränderungen gegeben, mit denen sich die ProfessorInnen konfrontiert sahen und sehen. Ansonsten sind die Ergebnisse unserer Studie nicht nur wesentlich komplexer als das medial vermittelte Bild, sondern in mehreren Hinsichten auch deutlich anders. Die weitere Gestaltung der Reformen und ihrer Umsetzung täte gut daran, die Simplifikationen und Unrichtigkeiten des medialen Diskurses hinter sich zu lassen. Davon könnten alle – nicht zuletzt die ProfessorInnen – profitieren.