FormalPara Einführung

Gute Rahmenbedingungen für das Leben im Alter zu bieten, stellt insbesondere im ländlichen Raum die Kommunen vor große Herausforderungen. Der Anteil älterer Menschen an der Bevölkerung ist in den ländlichen Regionen meist höher als in den städtischen Ballungsräumen (Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung und Thünen Institut für ländliche Räume 2019; Amt für Statistik Berlin-Brandenburg 2019). Demografische Alterung, sinkende Bevölkerungszahlen und Defizite in Infrastruktur und Daseinsvorsorge treffen in strukturschwachen ländlichen Räumen häufig zusammen und verstärken sich teils gegenseitig. Konfrontiert mit multiplen Problemlagen und begrenzten Handlungsspielräumen werden diese Regionen unter anderem als abgehängt (Oberst et al., 2019) oder peripherisiert (Kühn, 2016, 2018) beschrieben. Gleichzeitig besteht eine große Disparität hinsichtlich der Ressourcen und Entwicklungschancen von kleinen Kommunen im ländlichen Raum (Maretzke & Porsche, 2018). Wenig Aufmerksamkeit wird dabei teilweise den vielfältigen Lebenswirklichkeiten älterer Menschen mit sehr unterschiedlichen räumlichen Voraussetzungen, differierenden kulturhistorischen Prägungen und spezifischer sozialer Verankerung und Verbundenheit gewidmet.

Das Bundesland Brandenburg ist durch eine große räumliche Heterogenität geprägt. In den an Berlin angrenzenden Regionen („Berliner Umland“Footnote 1 oder im Volksmund: „Speckgürtel“) und entlang der Hauptverkehrsachsen wird ein wachsender Zuzug von Familien verzeichnet, der Wohnungsmarkt gerät allmählich unter Druck und Unternehmen siedeln sich an. Mit wachsender Entfernung von Berlin (weiterer Metropolenraum) weisen viele Kommunen bei geringer Bevölkerungsdichte und hohen Altenquotienten (Amt für Statistik Berlin-Brandenburg 2019) eine oftmals schwach ausgebaute Infrastruktur auf. Vor diesem Hintergrund sind auch im Land Brandenburg regional spezifische Antworten auf die Bedarfe einer alternden Bevölkerung erforderlich. Ob und wie kleine Kommunen auf diese Aufgabe reagieren, bildete den Anlass zur Durchführung einer Fallstudie im Rahmen der wissenschaftlichen Begleitung des Modellprojektes „Fachstelle für Pflege und Alter im Quartier im Land Brandenburg (FAPIQ)“Footnote 2. 2018 und 2019 wurden Hintergrundgespräche mit Vertreterinnen und Vertretern aus acht Brandenburger Städten und Gemeinden geführt. Das Ziel der Gespräche bestand darin, kommunale Perspektiven auf das Thema „alternde Bevölkerung“ kennenzulernen. Im vorliegenden Beitrag werden Ergebnisse dieser Gespräche in Bezug auf ausgewählte Problemlagen vorgestellt.

FormalPara Methodisches Vorgehen

Die Fallstudie wurde mit Städten und Gemeinden in sechs Landkreisen Brandenburgs durchgeführt. Da in den Hintergrundgesprächen auch die Sicht auf das Modellprojekt erfragt werden sollte, wurden nur Kommunen ausgewählt, die zum Zeitpunkt der Erhebung bereits Kontakt zur Fachstelle hatten. Sämtliche Kommunen befanden sich im weiteren Metropolenraum, zwei von ihnen allerdings in unmittelbarer Nähe zum Berliner Umland. Drei Kommunen lagen an der polnischen Grenze, zwei Kommunen im Süden und eine Kommune im Westen des Bundeslandes.

Die Erhebung konzentrierte sich auf Landgemeinden und Kleinstädte, die über 90 % der Gemeinden in Brandenburg bilden. Die Gemeinden wurden so ausgewählt, dass sowohl größere und kleinere Kleinstädte sowie ein Dorf vertreten waren. Zwei größere Kleinstädte sind zugleich Mittelzentren, eine größere Kleinstadt ist ein Mittelzentrum in Funktionsteilung.

FormalPara Übersicht der Hintergrundgespräche in den Kommunen

Größe der Kommune

Anzahl der Gespräche

10.000 bis unter 20.000 EW

3

5.000 bis unter 10.000 EW

2

1.000 bis unter 5.000 EW

2

unter 1.000 EW

1

In allen acht Kommunen wurden bis zu zweistündige leitfadengestützte Hintergrundgespräche vor Ort geführt. In sieben Kommunen fanden die Gespräche mit der Bürgermeisterin bzw. dem Bürgermeister statt, in einer Kommune mit dem zuständigen Fachbereichsleiter. An drei Gesprächen nahmen außerdem Angehörige des Seniorenbeirats teil, bei einem Gespräch war die Pressevertreterin anwesend und bei einem weiteren Gespräch eine Sachbearbeiterin.

Alle Gespräche wurden aufgezeichnet und im Anschluss transkribiert. Die verschriftlichten Interviews wurden themenzentriert im Hinblick auf die forschungsleitenden Fragen inhaltsanalytisch ausgewertet (Mayring, 2008).

FormalPara Regionale Problemlagen und kommunale Perspektiven

Demografischer Wandel und kommunale Strukturen

Die Relevanz des demografischen Wandels wurde in allen Hintergrundgesprächen bestätigt, allerdings mit unterschiedlicher Ausprägung. Die Mehrzahl der Kommunen war mit einem wachsenden Anteil älterer Menschen sowie rückläufigen Einwohnerzahlen durch Abwanderung und einem negativen Geburtensaldo konfrontiert. Diese Situation wurde teilweise als bedrohlich bewertet: „Ich sehe eine ganz große, gefährliche Welle auf uns zurollen, der wir uns stellen müssen“ (IV-02–2018, Z. 99–100). Lediglich in einer Kommune, die an der Grenze zum Berliner Umland liegt, wurde ein leichtes Wachstum durch den Zuzug von Familien verzeichnet.

Ähnlich wie auch die anderen ostdeutschen Bundesländer wurde Brandenburg nach 1990 administrativ neu gegliedert. 1.793 Gemeinden wurden zu 423 Gemeinden mit 52 Ämtern in 14 Landkreisen zusammengeführt. Über die Gemeindegebietsreformen wurden einerseits Ressourcen bei der Verwaltung eingespart. Andererseits fanden Eingemeindungen häufig wenig Akzeptanz bei zuvor eigenständigen Kommunen und schürten innerorts Konflikte. Eine weitere Folge war, dass sich manche Gemeinden nun aus mehreren Dörfern oder Ortsteilen zusammensetzten und, trotz geringer Einwohnerzahlen, über große Flächen erstreckten.

Während der weitere Metropolenraum überwiegend ländlich geprägt ist, weist das Berliner Umland eine deutliche Disparität von suburbaner Verdichtung und sehr ländlichen Lebens- und Vernetzungsräumen auf. Innerhalb der Regionen besteht ein erheblicher Unterschied zwischen der Lebenssituation älterer Menschen in den Verdichtungsräumen und Kernstädten bzw. in den Ortsteilen und eingemeindeten Dörfern. Insbesondere die als Mittelzentren definierten Städte verfügen, meist in der Kernstadt, über Angebote in sämtlichen Bereichen der Daseinsvorsorge. Dagegen sind die ländlich geprägten Ortsteile und Dörfer häufig nicht mit medizinischen, pflegerischen und sozialen Diensten ausgestattet und liegen in teils erheblicher Entfernung zu den Kernstädten.

Soziale Netzwerke

Vor diesem Hintergrund bilden soziale Netzwerke eine wichtige Ressource für die älteren Menschen. Ein Bürgermeister hob besonders hervor, wie wichtig es sei, dass „der Zusammenhalt auch weiterhin gelebt wird zwischen den Generationen“ (IV-02–18, Z. 354–355). Die nachbarschaftlichen Beziehungen werden weitgehend als intakt bezeichnet. Im Vergleich zu den Kernstädten wird den Ortsteilen und Dörfern zugeschrieben, dass es dort eine „stärkere Verbundenheit untereinander“ und „viel Familienzugehörigkeit“ gebe (IV-06–19, Z. 213–214).

Beklagt wird der Verlust von sozialen Orten in den Dörfern, wie die Kneipe oder der Konsum. Dies führe dazu, dass Anlässe für Alltagsbegegnungen und die Pflege der sozialen Beziehungen erschwert werden. Von Seiten der älteren Menschen besteht nach Wahrnehmung eines Bürgermeisters der Wunsch nach Aktivitäten in den Dörfern: „Im Dorf soll was passieren“ (IV-02–18, Z. 232–233). In zwei Gesprächen wird dabei auf die wichtige Rolle der Freiwilligen Feuerwehr für (manche) älteren Menschen hingewiesen, deren „Altenabteilung“ (IV-06–2019, Z. 1062) Aktivitäten für die älteren Mitglieder organisiert. Als wichtiger Ort der Begegnung beschrieb ein Bürgermeister den Friedhof: „Heute ist aus meiner Sicht die einzige Kommunikationsstätte, wo es richtig zur Sache geht, der Friedhof“ (IV-08–19, Z. 54–55). Um den Friedhof altersfreundlicher zu gestalten, wurde in einer anderen Kommune eine Friedhofsbegehung mit älteren Menschen und dem Seniorenbeirat durchgeführt.

Das öffentliche soziale Leben der älteren Menschen wird vor allem in ländlichen Regionen sehr von den Jahreszeiten geprägt. Die Vertreterin eines Seniorenrates schilderte, dass die Aktivierung der Älteren gerade in kleinen Gemeinden im Winter nicht einfach sei:

„Gerade in den Wintermonaten, wo jeder ohnehin schon immer so eingeigelt ist, weil ja draußen kaum was los ist. Ehe die ihren inneren Schweinehund überwunden haben, um zu sagen: „Ja, ich komme da mit hin.“ Also das ist ganz schön mit Arbeit verbunden […]“ (IV-08–19, Z. 306–309).

Insbesondere für kleine Kommunen ist es eine Herausforderung, die auf das Ehrenamt und die Nachbarschaftshilfe gestützten dörflichen Strukturen lebendig zu halten. In Hinblick auf das ehrenamtliche Engagement wurden mehrfach Zweifel geäußert, ob und in welchem Umfang die „Jungen Alten“ bereit seien, sich ehrenamtlich zu engagieren. In diesem Zusammenhang wurde befürchtet, dass die Generation der „Babyboomer“ eher daran interessiert sei, ihren individuellen Lebensstil weiterzuführen und nach dem Eintritt in das Rentenalter keine neuen sozialen Verpflichtungen zu übernehmen. Hinzu komme teilweise, dass jene, die jahrelang zur Arbeit gependelt sind, oft keine enge Beziehung zu ihrer Gemeinde gebildet hätten und sich daher seltener für die Kommune engagierten. Dieser Problematik sahen sich auch die lokalen Seniorenbeiräte bei der Suche nach neuen Mitgliedern ausgesetzt.

Wohnen im Alter

In mehreren Gesprächen wurde deutlich, dass sich das Wohnen der älteren Menschen innerhalb der Kommunen zwischen den Kernstädten und den Ortsteilen bzw. Dörfern unterscheidet. Während in den Kernstädten eher „städtisch“, d. h. in Mietwohnungen, gelebt wird, bewohnen die älteren Menschen in den (ländlichen) Ortsteilen meist ihr eigenes Haus. Beginnt die Alltagsbewältigung zur Überforderung zu werden, sehen sie sich teilweise gezwungen, ihr Eigenheim aufzugeben und sich eine Wohnung in einer günstigeren, barriereärmeren Lage zu suchen. In einigen der Kommunen besteht daher eine hohe Nachfrage nach altersgerechten, kleinen Wohnungen in den Kernstädten. Auf dem Wohnungsmarkt stehen die älteren Menschen in diesem Segment häufig in Konkurrenz zu jüngeren Menschen, die nach dem Auszug aus dem Elternhaus bevorzugt in kleineren Wohnungen einen eigenen Haushalt gründen. Diese Entwicklung hat nach Aussage eines Bürgermeisters zur Folge, dass in den Kernstädten der Druck auf den Wohnungsmarkt zunimmt und zugleich der Immobilienleerstand in den Dörfern wächst. Die Dörfer werden hierdurch weiter geschwächt.

Als wichtige kommunale Intervention zur Verbesserung der Altersfreundlichkeit wurde in allen Gesprächen die barrierefreie Entwicklung der öffentlichen Räume, Grünanlagen und Parks genannt. Dabei erfolgt die Identifizierung von Barrieren in manchen Kommunen partizipativ im Rahmen von Stadtteilbegehungen. Im Zusammenhang mit der altersgerechten Anpassung der öffentlichen Räume wurden zu geringe Fördermöglichkeiten kritisiert:

„Für Hinz und Kunz gibt es irgendwelche Förderprogramme. […] Aber für alte Menschen gibt es das nicht. Wenn ich hier einen maroden Bürgersteig sanieren möchte, weil ich sage, der ist nicht mehr nutzbar für Rollatoren und Ähnliches, dann sagt uns jeder: „Musst du Anliegerbeiträge nehmen. Nimmst du von den Grundstückseigentümern Geld und dann hast du dein Geld!“ Also da gibt es keine speziellen Investitionsprojekte für kommunale Infrastruktur, die da unterstützen können“ (IV-06–19, Z. 922–925).

Pflegerische und gesundheitliche Versorgung

Der Einfluss der Kommunen auf den Pflege- und Gesundheitssektor wurde in den Gesprächen als gering eingeschätzt. Insbesondere in den kleinen Kleinstädten besteht im Bereich der Gesundheitsversorgung eine große Abhängigkeit von den Mittelzentren. Eine Ausnahme bilden Kooperationen mit überregionalen Gesundheitsversorgern, die bspw. in Absprache mit den Kommunen lokale, bedarfsgerechte Gesundheitszentren aufbauen.

Eine interessante Ressource der informellen Gesundheitsversorgung wurde aus einer Kommune mit wachsender Ruhestandszuwanderung und Wochenendhausbesitz aus Berlin beschrieben. Die Zugezogenen stammen teilweise aus wohlhabenden, akademischen Milieus, einige mit medizinischem Hintergrund. Diese Kontakte werden im Zuge der Nachbarschaftshilfe für die Dörfer aktiv erschlossen und genutzt:

„Die Leute klappen ja die Ohren auf und machen die Augen auf, […] und horchen denn: „Au, der zieht da hin.“ Denn wird natürlich sachte angefangen. Aus dem „sachte“ kommt denn manchmal ein bisschen mehr: […] „Ick hab hier en klenet Problem“ […] denn [können sie] trotzdem hier auf dem Dorf denn noch manchmal zumindest unterstützend Hinweise geben und sagen: „Wende dich mal da hin. […]“ Oder so. Das ist ja auch schon viel Wert“ (IV-07–19, Z. 808–824).

Die Möglichkeit, sich fachlichen Rat bei diesen Expertinnen und Experten einzuholen, stellt eine wertvolle Alltagsunterstützung für die Bevölkerung dar, die, so der Bürgermeister, wiederum mit aktiver Nachbarschaftshilfe vergolten wird.

Die Versorgung pflegebedürftiger Älterer wird, vor allem im ländlichen Raum, überwiegend mit ambulanten Pflegediensten sichergestellt. Betreutes Wohnen und stationäre Einrichtungen sind eher in den Kernstädten angesiedelt. Die Nachfrage nach altersgerechten Wohnformen ist sehr hoch, teilweise bestehen lange Wartelisten. In Bezug auf die Versorgung von Pflegebedürftigen wurden in den Gesprächen gegenwärtig keine Versorgungsdefizite beschrieben, lediglich der drohende Fachkräftemangel wurde problematisiert:

„Wir sehen auch einen steigenden Bedarf. […] Je nachdem, wie sich die Rahmenbedingungen gestalten mit der Pflege, [wird sich zeigen] ob sie dann […] genügend Pflegepersonal bekommen. [Die Fachkräftesituation gestaltet sich] schwierig. Sagen uns jeweils auch die Einrichtungsleiter von diesen stationären Einrichtungen.“ (IV-03–19, Z. 245–517).

Die Entwicklung und Förderung des lokalen Pflegesektors wurden nicht als kommunale Aufgabe aufgefasst, sondern in einem selbstregulierenden Sinn als marktorientierte Aufgabe für private Unternehmen und Träger der freien Wohlfahrtspflege verstanden.

Mobilität und allgemeine Versorgungssituation

Die Kernstädte sind meist gut mit Angeboten der Nahversorgung und Gesundheitsdienstleistungen sowie mit Freizeitangeboten versorgt. Die Ortsteile und Dörfer sowie die kleinen Kleinstädte sind dagegen überwiegend von deutlichen Angebotsdefiziten in allen Versorgungsbereichen betroffen. Der öffentliche Nahverkehr bedient meist nur die Kernstädte regelmäßig. Die Anbindung der Ortsteile und Dörfer erfolgt häufig über den Schülerverkehr als Linienverkehr. Älteren Menschen, die nicht (mehr) einen eigenen Pkw nutzen, steht eine zuverlässige Nahverkehrsanbindung oft nur in den (frühen) Morgen- und späten Nachmittagsstunden, während der Woche und außerhalb der Ferien zur Verfügung.

Zur Unterstützung der Mobilität älterer Menschen entwickelten einige Kommunen eigene, teils kreative Lösungen. So nutzen in manchen Gemeinden die älteren Menschen beispielsweise kommunale Fahrdienste, um Veranstaltungen zu besuchen. Eine Kommune arbeitet mit einem örtlichen Taxi-Unternehmer zusammen, der zum Festpreis ältere Menschen zum Einkaufen und zu Arztbesuchen befördert. Eine andere Kommune kooperiert mit einer großen Supermarktkette, um älteren Menschen aus den entfernteren Ortsteilen wöchentlich einen Fahrdienst anbieten zu können.

Dennoch ist die Alltagsorganisation vielerorts an die Nutzung eines Pkw gebunden. Dabei sind ältere Menschen, die keinen Pkw nutzen können, auf die Unterstützung ihrer sozialen Netzwerke angewiesen, wenn sie Waren des täglichen Bedarfs einkaufen oder einen Arzt aufsuchen müssen. Aus dieser Notsituation können belastbare, nachbarschaftliche oder generationenübergreifende Beziehungen resultieren. Gleichzeitig droht eine potenzielle Überforderung der Helfenden, insbesondere wenn Versorgungsbedarfe wachsen oder sich Pflegesituationen zuspitzen. Besonders schwierig stellt sich die Lebenssituation für jene älteren Menschen im ländlichen Raum dar, die über keine guten nachbarschaftlichen Beziehungen verfügen oder die nicht durch Familienangehörige unterstützt werden (können). Ohne ein Netz der informellen Unterstützung geraten sie leicht aus dem Blick und sind schnell mit massiven Versorgungsdefiziten konfrontiert. Insofern muss der starke Fokus der kommunal Verantwortlichen auf die Potenziale sozialer Netzwerke, der in einigen Gesprächen deutlich wurde, kritisch reflektiert werden.

Die Möglichkeiten, auf die Entwicklung des Einzelhandels Einfluss zu nehmen und damit die Versorgungssituation älterer Menschen vor Ort zu verbessern, wurden überwiegend als gering eingeschätzt. Berichtet wurde von unterschiedlichen, vergeblichen Versuchen, mit Geschäftsführungen von Supermärkten oder Discountern ins Gespräch zu kommen. Dabei zeigte sich, dass überregional am Markt um Kunden konkurrierende Supermarktketten nicht als Förderer unterversorgter Regionen agierten, sondern ausschließlich am Erhalt ihrer Marktposition interessiert sind. Hingewiesen wurde in diesem Zusammenhang auch auf erhebliche Konkurrenzen zwischen einzelnen ländlichen Gemeinden, wenn es um die Standortwahl von Anbietern geht. Die Erfahrung mit der Ansiedelung von kleinen „Tante-Emma-Läden“ in den Dörfern und Ortsteilen war teilweise ernüchternd. Diese Angebote wurden von der ländlichen Bevölkerung zwar häufig gewünscht, trotzdem wurden die Einkäufe so lange wie möglich in den (günstigeren) Supermärkten und Discountern erledigt und nur im Notfall auf die teureren Dorfläden mit einem eingeschränkten Sortiment zurückgegriffen.

Eine wichtige Komponente der Nahversorgung vieler Ortsteile und Dörfer stellen fliegende Händler dar, die zumindest die Grundversorgung mit Lebensmitteln sichern. Geschätzt werden die fliegenden Händler nicht nur als Nahversorger, sondern für viele ältere Menschen stellt ihre Ankunft darüber hinaus ein soziales Ereignis dar:

„Es gibt Einzelhandel. Und von Jahr zu Jahr wird es weniger. […] Darüber hinaus kommen aber fast täglich irgendwelche Versorgungswagen. […] Die [Käufer/innen] kommen pünktlich und wollen ein Schwätzchen machen. Mal was Neues erfahren. […] Früher war das ja auch so gewesen. Da gab es in jedem Ort eine Verkaufsstelle. Oder man hat sich sonst wo getroffen. An der Milchrampe. Oder die Männer in der Kneipe. Das gibt es ja kaum noch […]“ (IV-08–19, Z. 244–253).

Stellschrauben bei der Gestaltung altersgerechter Kommunen

Grundsätzlich stellt sich die Gestaltung altersgerechter Kommunen aus kommunaler Sicht als ein viele unterschiedliche Handlungsfelder berührender, komplexer Prozess dar. Im Sinne eines Wohlfahrtsmix (vgl. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 2016) sind dabei unterschiedliche Verwaltungsbereiche der Kommunen (Stadtentwicklung, Altenhilfe, Gesundheit und Pflege), marktwirtschaftliche Akteure (Pflegemarkt, Gesundheitswirtschaft, Wohnungswirtschaft, Einzelhandel, Verkehrsunternehmen) zusammen mit der Zivilgesellschaft und der älteren Bevölkerung selbst gefordert. Allerdings liegt gerade in den kleinen Gemeinden die Verantwortung für die Altenhilfe häufig im Zuständigkeitsbereich des Bürgermeisteramtes und ist nur in wenigen Fällen mit weiteren personellen Ressourcen untersetzt. Die Durchführung von altersfreundlichen Interventionen ist damit eng mit der jeweiligen Motivation der amtsinhabenden Person verknüpft. Gleichzeitig sind die finanziellen Spielräume und Möglichkeiten der Kommunen begrenzt, um die Altenhilfe über freiwillige Leistungen im erforderlichen Maße zu fördern.

Lediglich eine der kleineren Gemeinden in den Fallbeispielen hatte bereits in den 1990er Jahren seniorenpolitische Leitlinien beschlossen und seitdem sukzessive weiterentwickelt. Verdeutlicht wird mit diesen Leitlinien der Anspruch der Kommune, selbstbestimmt eigene Wege gehen zu wollen, um allen Seniorinnen und Senioren der Gemeinde ein sinnerfülltes Leben zu ermöglichen. Aus Sicht des Bürgermeisters sind die Vorteile der Leitlinien klar: „Ehe wir in dem Trüben fischen, wollen wir uns natürlich ein klein bisschen eine rote Linie geben“ (IV-07–19, Z. 99–100) [und dafür sorgen], „dass die Kommunalvertretung […] sich (selbst) so ein bisschen bindet“ (IV-07–19, Z. 111–112).

Im Bereich des altersgerechten Wohnens nehmen alle Kommunen über ihre Wohnungsbauunternehmen Einfluss auf den Wohnungsmarkt. Dabei stellt der barrierearme Umbau von Bestandswohnungen eine zentrale Maßnahme dar, mit der auf die wachsende Nachfrage nach altersgerechten Mietwohnungen reagiert wird. Eine weitere Strategie besteht darin, An- und Umbauten von Bestandsimmobilien unkompliziert zu genehmigen, um bspw. die Bildung von Mehrgenerationenhaushalten zu unterstützen. Darüber hinaus wurde in allen Kommunen der barrierearme Umbau des öffentlichen Raumes, etwa durch das Aufstellen von Bänken, die Absenkung von Bürgersteigen oder die Sanierung von unebenen Straßenbelägen, als wichtige kommunale Aufgabe beschrieben.

Insbesondere in den kleinen Kommunen wurden die Einflussmöglichkeiten auf die Ansiedelung von Einzelhandel und Gesundheitsdienstleistungen oder auf die Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr als sehr gering eingeschätzt. Vor allem die Gestaltung eines in der Fläche altersgerechten Nahverkehrs stellt sich als ein zentrales Problem für die kleinen Gemeinden und die Ortsteile der größeren Kommunen dar. Ihre Anbindung an Kernstädte, Mittel- oder Oberzentren (und die dortigen Versorgungsangebote) via Bus und Bahn ist überwiegend unbefriedigend.

Die Mittelzentren verfügen über weiterreichende Zuständigkeiten bei der Gestaltung der Daseinsvorsorge, etwa in den Bereichen der Gesundheitsversorgung und Bildung. Nach eigener Einschätzung erfüllen sie ihren Versorgungsauftrag, soweit es ihnen möglich ist oder, unter Verweis auf die zugeordneten Kommunen, „sofern sie uns denn zuständig sein lassen“ (IV-03–18, Z. 98). Demgegenüber vermissten die kleineren Kommunen eine Abstimmung mit den Mittelzentren auf Augenhöhe: „Wir hätten […] uns gerne mehr versprochen. Dass unser Mittelzentrum sich mehr für uns interessiert hätte. […] Leider ist es so, dass sie sehr auf sich […] fokussiert sind und […] die Region […] vergessen“ (IV-07–19, Z. 1012–1013).

FormalPara Fazit

Die Fallstudien illustrieren die Rahmenbedingungen für das Leben älterer Menschen in verschiedenen kleinen Städten und Gemeinden Brandenburgs. Ohne angesichts der begrenzten Anzahl der Beispiele einen Anspruch auf Repräsentativität zu erheben, werfen sie doch Schlaglichter auf Herausforderungen und Herangehensweisen, die vor Ort bestehen. Dabei werden unterschiedliche Steuerungsmöglichkeiten und Ressourcen bei der Gestaltung altersfreundlicher Lebenswelten von kleinen Gemeinden und Ortsteilen auf der einen sowie von Mittelzentren und Kernstädten auf der anderen Seite sichtbar. Insofern muss räumliche Ungleichheit, bezogen auf den Wohnort, als eine zentrale Dimension bei der Ermöglichung eines selbstbestimmten und gesunden Lebens im Alter in den Blick genommen werden. Eine pauschale Beschreibung von Regionen als „abgehängt“ erweist sich hierbei als zu ungenau und verstellt den Blick auf die Bedingungen vor Ort. Als wichtige, fördernde oder hemmende Einflussfaktoren zeigen sich neben den räumlichen und strukturellen Rahmenbedingungen vor allem unterschiedliche Haltungen, Motivationen und Kompetenzen kommunaler Akteurinnen und Akteure. Diesen Zusammenhang und damit verbundene Mechanismen vor dem Hintergrund der Entwicklung von altersgerechten Kommunen besser verstehen zu können, erfordert tiefergehende kleinräumliche Analysen, den Ausbau einer empirisch belastbaren Datenbasis und theoretische Modellierungen.