Die Studie hat einen explorativen und hypothesengenerierenden Zuschnitt, mit dem es sich der qualitativen Untersuchung von fünf Fallstudien widmet. Es folgt den Überlegungen zum Viereck des Forschungsdesigns (King/Keohane/Verba 1994: 13, vgl. Rihoux/Lobe 2009: 223–224), dessen Eckpunkte – (1) Forschungsfrage, (2) Theoriekonzeption, (3) Methode, (4) empirisches Datenmaterial – schlüssig aufeinander abgestimmt sein müssen. Für Die Studie ergeben sich also folgende Bausteine:

  1. (1)

    Die Forschungsfrage nach dem Handeln von NGOs in der Interessenvermittlung.

  2. (2)

    Die Theoriekonzeption des Dreiecks der Handlungsrationalität von NGO-Strategien im politischen Kontext von modernen Governance-Strukturen.

  3. (3)

    Die Auswertung über Qualitative Inhaltsanalyse nach dem Werkzeugkastenmodell von Margrit Schreier (2012, 2014).

  4. (4)

    Das qualitative Datenmaterial aus Experteninterviews und Dokumenten.

Für die Forschungsstrategie wurden das Forschungspuzzle (eine besondere politische Rationalität von NGO-Handeln in der Interessenvermittlung) und der Forschungsgegenstand (fünf systematisch ausgewählte Fallstudien) herausgearbeitet. Dieses Puzzle eröffnet die analytische Perspektive auf den Untersuchungsgegenstand und zeigt auf, welche thematischen Aspekte im Rahmen der wissenschaftlichen Untersuchung von Bedeutung sind. Die Theoriekonzeption übernimmt darin die Rolle eines Relevanz-Filters, um das qualitative Datenmaterial zu sichten. Um die besonderen Eigenschaften von NGOs herauszuarbeiten, verwendet die Forschungsstrategie methodisch einen qualitativen Zugang mit kleiner Fallzahl. Das vorgesehene „most different systems design“ (MDSD) zur Fallauswahl zielt darauf ab, sehr unterschiedliche Fälle auszuwählen, um dann wiederum nach Gemeinsamkeiten zu suchen. Gemeinsam geben diese Eckpunkte die Anforderungen zur Fallauswahl vor, um aus der Gesamtheit der möglichen Fälle die fünf relevantesten NGOs auszuwählen. Diese qualitative Herangehensweise deckt sich mit der Zielvorstellung der Forschungsstrategie, sowohl nahe an den ausgewählten Fallstudien zu arbeiten („intimate case knowledge“), als auch den theoriebasierten, politischen Kontext als Orientierung zu verwenden („theoretical knowledge“, Rihoux/Lobe 2009).

3.1 Theoriekonzeption: NGO-Handeln im Dreieck der Handlungsrationalität

Die analytisch-theoretische Perspektive der Forschungsstrategie ist das Dreieck der Handlungsrationalität, das die Austauschbeziehungen des NGO-Handelns gegenüber der Basis, der Politik und den Medien strukturiert (siehe Abbildung 3.1). Dieses Dreieck basiert auf komplementären und konkurrierenden Handlungslogiken, die die Besonderheiten der Unterstützungs-, Einfluss- und Reputationslogik im Kontext der Interessenvermittlung und der modernen Governance-Strukturen adressiert.

Austauschlogiken von Interessenakteuren

Die konzeptionelle Grundlage des Dreiecks bildet das Set von Organisationslogiken nach Philippe Schmitter und Wolfgang Streeck und (1999 [1981]). In diesem verbändezentrierten Ansatz lassen sich die noch immer dominanten Faktoren der Mitgliedschaftslogik der Organisation gegenüber ihren Mitgliedern und der Einflusslogik gegenüber staatlichen Entscheidungsträgern finden. Die erste der beiden Logiken umfasst Beteiligungsmöglichkeiten der Mitglieder an Organisationsentscheidungen sowie Service- und Dienstleistungen der Organisation als Anreiz für die Mitgliedschaft. Die zweite der beiden Logiken betrifft die Repräsentation der Mitglieder und den damit verbundenen politischen Druck gegenüber der Politik sowie die Kontrolle der Organisation über das Handeln der Mitglieder im Sinne einer Interessenaggregation kollektiven Handelns. Die zwei weniger prominenten Organisationslogiken beschreiben die effektive Implementation und die organisationale Zielbildung (Pritoni/Wagemann 2015, vgl. Sack 2017a, siehe Kapitel 2). In der Weiterentwicklung von Joost Berkhout (2010, 2013) lässt sich das Handeln von Interessengruppen als Kombination der drei Austauschlogiken der Unterstützungs-, Einfluss- und Reputationslogik (support, influence, reputation) gegenüber Basis, Politik und Medien beschreiben.

Abbildung 3.1
figure 1

Theoriekonzeption: Strategieüberlegungen und -entscheidungen in NGOs im Dreieck der Handlungsrationalität

Politische Rationalität im Konzept des Politikmanagements

Für die NGO-spezifische Akzentuierung werden diese drei Logiken mit dem governancetheoretischen Konzept des Politikmanagements sowie dem dazugehörigen Verständnis politischer Handlungsrationalität verbunden (u. a. Korte/Fröhlich 2009, Grunden 2009, Korte/Florack/Grunden 2011). Dabei handelt es sich um einen neo-institutionalistischen Theorierahmen mit Schwerpunkt auf Akteurshandeln im politischen Kontext moderner Governance-Strukturen (vgl. Hall/Taylor 1996, Schmidt 2008, Fischer/Gottweis 2012). Das daraus hergeleitete, (stark) beschränkt rationale Akteursverständnis unterstreicht die Rolle von Akteursinteressen sowie von Institutionen, Normen, Praktiken und Ideen. Der politische Kontext steckt den potenziellen Handlungsspielraum der Akteure im Spannungsfeld zwischen strukturellen und akteursspezifischen Elementen ab. Durch geschicktes Politikmanagement können die Akteure ihren Handlungsspielraum aktiv erweitern. Verbunden mit dem „Strukturmerkmal der verhandelnden Wettbewerbsdemokratie“ (u. a. Korte/Fröhlich 2009: 75–81) richtet das Konzept den Blick auf Interessengruppen und deren Interaktion – formal und informell –mit anderen politischen Akteuren. Darunter fallen u. a. Policy-Netzwerke, korporatistische Arrangements und Formen einer „Räterepublik“ (u. a. Heinze 2008: 233), „Fachbruderschaften“ auf Arbeitsebene (Mai 2013: 309–313) sowie Verhandlungsrunden an Runden Tischen und in Expertengremien (vgl. Korte/Fröhlich 2009, Grønbjerg/Prakash 2017, Schiffers 2019a).

Die politische Rationalität, die im Konzept des Politikmanagements verortet ist, besteht aus den Rationalitätsdimensionen der Sach-, Vermittlungs- und Implementationsrationalität (siehe Grunden 2009: 19–21). Durch die analytische Zuschreibung der begrenzt-rationalen Handlungen in diesem politischen Kontext werden Handlungsspielräume und Handlungsblockaden erkennbar. Neben die Maximierungsziele der genannten Logiken treten Ziele der Mobilisierung und Gegenmobilisierung von verschiedenen Akteuren mit übereinstimmenden bzw. konkurrierenden Sichtweisen (Dodge 2017: 890–894, Lowery 2013, Grønbjerg/Prakash 2017: 890–891). Die politische Rationalität eröffnet den Blick auf weiterführende Aspekte, inwieweit die Akteure ihr öffentliches Profil durch Agenda Setting sowie durch Kooperation und Konfrontation schärfen, mit welchen Überlegungen sie bestimmte Strategietypen entwickeln oder in welchem Ausmaß sie auf veränderte Rahmenbedingungen und Akteurskonstellationen reagieren (vgl. Korte/Fröhlich 2009: 241; Töller 2012: 179–186, Schiffers 2019a: 276–277).

Kombination im Dreieck der Handlungsrationalität

Aus Perspektive der politischen Rationalität lassen sich die drei Handlungslogiken nun NGO-spezifisch formulieren:

  1. (1)

    Die Unterstützungslogik bezieht sich auf die Austauschbeziehungen zwischen Organisationsspitze und Basis in Form von Mitgliedern bzw. Unterstützer*innen. Sie aggregiert einerseits die Präferenzen der Mitglieder und Unterstützungskreise (bottom-up) und stellt andererseits die Geschlossenheit, Profilierung und politische Handlungsfähigkeit der Organisation sicher (top-down) (Berkhout 2013: 234–237). Sie steht im Spannungsfeld von fester Mitgliedschaft bei klassischen Verbänden und diffusem Unterstützerkreis bei NGOs, wodurch sich die direkte Verbindung von NGO-Spitze und -Basis verkompliziert (Bode/Frantz 2009, 174–175, Bastgen 2016: 244–248). Die Organisation bietet den Unterstützungskreisen neben (enger oder weitgefasster) Beteiligungsmöglichkeit und Interessenaggregation zudem Selbstwirksamkeit im gemeinschaftlichen Handeln und in Mobilisierungsmöglichkeiten. Die Basis fordert eine eigene Kosten-Nutzen-Abwägung gegenüber der Organisation, ein klares Profil für öffentliche Sichtbarkeit und detaillierte Programme, die gerade bei ideologischen oder normenbezogenen Themen prägnant und im positiven Sinne ohne Kompromisse formuliert werden.

  2. (2)

    Die Einflusslogik beschreibt die Austauschbeziehungen zwischen NGOs und politischen Institutionen und politischen Entscheidungsträgern. Die informelle Kontaktpflege dient zum einen als Instrument der Einflussnahme im Entscheidungsfindungsprozess. Sie vermittelt zum anderen zeitsensitive Wissensstände zu Präferenzen oder konkreten Auswirkungen politischer Entscheidungen (Berkhout 2013: 233–243). Der Austausch erfolgt gleichsam über direkte Kontakte (inside lobbying), über advocacy coalitions (vgl. Sabatier/Weible 2007, Dür/Mateo 2013) und über die Bereitstellung von Expertenwissen (Hilton/McKay et al. 2013: 133, Junk 2016: 238). Von entscheidender Bedeutung für diesen wechselseitig profitablen Informationsaustausch ist der Zugang zur politischen Arena, der sich allerdings ungleich zwischen Inside und Outside-Gruppen sowie als Folge langfristig gewachsener Kontaktnetzwerke unterschiedlich verteilt (Binderkrantz/Christiansen/Pedersen 2014, Klüver/Braun/Beyers 2015). Die Organisation liefert Expertise und nützliche Argumente für politische Debatten, die als Gegenleistung privilegiert in der Entscheidungsfindung berücksichtigt werden sollen. Von politischer Seite werden Wissen und Unsicherheitsreduktion eingefordert (vgl. Töller 2012: 183), die als Expertise-basierte Forderungen für das Finden tragbarer Kompromisse dienen.

  3. (3)

    Die Reputationslogik erfasst die Austauschbeziehungen zwischen NGOs und Journalist*innen und anderen medialen Vermittler*innen in Bezug auf die öffentliche Meinung und die mediale Aufmerksamkeit. Als Kanäle dienen das outside lobbying und die Kampagnenorientierung über öffentliche Stimmungen. Die Medien profitieren einerseits in ihrer Berichterstattung von der Expertise der NGOs sowie von nachrichtenwerten Informationen, prägnanten Bildern und Einschätzungen (Berkhout 2013: 233–243). Die Organisationen erreichen anderseits mediale Aufmerksamkeit für ihr Anliegen und für sich selbst als politisch relevante Akteure (issue and organization validation, Berkhout 2013: 240, vgl. Eisenegger/Künstle 2013, Jentges et al. 2012). Entscheidende Faktoren sind die Inszenierung von medialen Anlässen, Konflikten und wiederkehrenden Gesichtern für eine journalistische Story. Diese Sichtbarkeit hilft bei der politischen Mobilisierung und bei der Unterstützungs- und Mitgliedergewinnung. Insbesondere public interest-Verbände und NGOs konnten von der Professionalisierung der politischen Kommunikation und Kampagnenarbeit profitieren (vgl. Dür/Mateo 2013, Junk 2016: 238–239, Spiller 2018: 101–103).

Zusammengenommen spielen die Interessenakteure auf den drei Bühnen – Basis, Politik, Medien – teils strategisch, teils reaktiv und teils impulsiv, um ihre Ziele zu erreichen. Besonderer Schwerpunkt liegt – mit Blick auf die politische Praxis – in den Bereichen Strategie, Themenwahl, Expertise und Legitimation. Die verschiedenen Anforderungen können die Akteure allerdings vor Abwägungskonflikte stellen. Sehr prägnant formulierte und lautstark vorgetragene Forderungen können beispielsweise die eigenen Mitglieder aktivieren und zur Geschlossenheit aufrufen. Auch medial werden solche Zuspitzungen im diskursiven Wettstreit mit Aufmerksamkeit belohnt. Um politische Kompromisse zu finden und durchzusetzen, ist diese Strategie aber im besten Falle hinderlich, da naturgemäß nicht alle Beteiligten ihre Maximalforderungen umsetzen können. Gleichermaßen kann eine zu pragmatische und kompromissorientierte Haltung von Interessenakteuren zwar politisch einflussreich sein. Sie gefährdet aber die scharfe Profilierung, die insbesondere die eigene Basis wertschätzt. Für die Organisationen ist deshalb eine strategische Abwägung innerhalb des Dreiecks notwendig, da sonst Konflikte im Organisationsprofil entstehen und im schlimmsten Fall Glaubwürdigkeitsverlust drohen.

Die Kombination der drei Austauschlogiken mit dem Konzept der politischen Rationalität ermöglicht die Erstellung eines NGO-spezifischen Dreiecks der Handlungsrationalität. Hiermit können verschiedene Strategieprofile von NGOs identifiziert und die komplementären und konkurrierenden Anforderungen der Adressatenkreise von Basis, Politik und Medien an NGOs erfasst werden. Diese Theorieperspektive schärft das Verständnis von NGOs als besondere Akteure der Interessensvermittlung

3.2 Methodisches Vorgehen: Qualitative Inhaltsanalyse von Experteninterviews und Dokumenten

Das Datenmaterial mit der Methode der qualitativen Inhaltsanalyse im Sinne des Werkzeugkastenmodells nach Margrit Schreier ausgewertet (Schreier 2012, 2014, Stamann/Janssen/Schreier 2016). Die inhaltlich-strukturierende Vorgehensweise hat das Ziel, die relevanten inhaltlichen Aspekte im Datenmaterial zu identifizieren und systematisch zu beschreiben. Dabei basiert die Analyse auf einem iterativen Prozess von kombiniert deduktiv-theoriegeleiteter und induktiv-materialbasierter Kategorienbildung.

Die theoriegeleiteten Hauptkategorien folgen dem Dreieck der Handlungsrationalität. Die Unterstützungslogik unterteilt sich u. a. in die Kategorien Organisationsaufbau, Mitgliederstruktur, Beteiligungsmöglichkeiten, Mitgliederkommunikation und inhaltlicher Basis-Input. Die Einflusslogik umfasst u. a. die Kategorien Instrumenteneinsatz, „inside lobbying“ über Fachexpertise oder persönliche Kontakte, „outside lobbying“ über öffentliche Sichtbarkeit und politischen Druck sowie Bündnisse und Kooperationen. Die Reputationslogik gliedert sich u. a. in die Kategorien öffentliche Anerkennung (der Expertise), mediale Anerkennung des Akteurs und Themas sowie Elemente der professionalisierten Medienarbeit. Die materialbasierten Hauptkategorien erweitern und ergänzen dieses theoriebasierte Grundgerüst. Deren Inhalte liegen teilweise quer zu den Handlungslogiken und zeigen sowohl organisationsinterne Schwerpunkte als auch weiterführende Aspekte aus dem Kontext der NGO-Landschaft. Sie umfassen die Kategoriensets übergeordnete Strategie, Themenwahl, Expertise und Legitimationsargumentation (Abbildung 3.2).

Abbildung 3.2
figure 2

Kategoriensystem im Werkzeugkastenmodell der qualitativen Inhaltsanalyse

Das qualitative Datenmaterial besteht schwerpunktmäßig aus Experteninterviews und Dokumenten, wie Jahresberichte, Publikationen, Webseiten, Podcast-Hintergrundgespräche. Die Interviews erfolgten als standardisierte, halboffene Leitfadeninterviews in Form von Experten- bzw. Akteursbefragungen (Blatter/Janning/Wagemann 2007: 60–67, Willner 2012, Kaiser 2014). Geführt wurden sie mit Vertreter*innen der vier Personenkreise aus (1) NGOs, (2) Umwelt- und Verbraucherschutzverbänden, (3) Wirtschaftsverbänden, sowie aus (4) Beratung, Agenturen und weiteren Expert*innen. Insgesamt konnte die Studie auf 31 Experteninterviews, zehn Hintergrundgespräche und ca. 15 Podcast-Interviews aus einem Lehr-Forschungsprojekt als weiterer Vergleichspunkt (paired comparison) zurückgreifen. Die Rückmeldequote der hochpersonalisierten Interviewanfragen lag bei ca. 30 ProzentFootnote 1. Der Zeitraum der Interviewdurchführung lag zwischen März 2018 und Juli 2019. Diese beiden Jahre sind zudem der Schwerpunkt des Untersuchungszeitraums.

Bei der Dokumentenanalyse wurden insbesondere Jahresberichte, Publikationen sowie Webseiten der fünf NGOs und weiterer Organisationen herangezogen. Teilweise fanden sich relevante Stellen zu NGO-Handlungslogiken und -Entscheidungspraktiken in Medienberichten, Interviews und Podcast-Gesprächen. Zusammengenommen konnte das Datenmaterial genutzt werden, um konkrete Informationen zu den fünf Fallstudien herauszuarbeiten und um den größeren Kontext der NGO-Arbeit in der politischen Interessenvermittlung als Hintergrund- und Vergleichsfolie zu erarbeiten.

3.3 Auswahlinstrument: NGO-Auswahl durch Clusterbildung anhand konzeptioneller Kriterien

Eine explorative Studie mit der genannten Schwerpunktsetzung muss bereits die Fallauswahl kriteriengeleitet gestalten, um die enorme Breite aller relevanten Fälle adressieren zu können. Zudem erfordert die unklare Abgrenzung und Definition von NGOs (siehe Kapitel 2) ein Auswahlinstrument, das von einer möglichst breit angelegten Datengrundlage ausgeht. Hieran schließt eine systematische Reduktion der potenziellen Fälle anhand konzeptioneller Kriterien zum Ziel einer Clusterbildung. Die Studie nutzt daher einschlägige Stellschrauben zur Fallauswahl, um aus der Gesamtheit aller möglichen Fälle die fünf relevantesten NGOs auszuwählen. Dies erfolgt in zwei Schritten: (1) einer Auswahl von Top-10 NGOs sehr unterschiedlicher, aber besonders typischer Ausprägung (anhand von vier Kriterien), die eine gemeinsame Strategieentscheidung (Outcome) getroffen haben („most-different similar-outcome designs“, MDSO) sowie (2) einer vertiefenden Auswahl der Top-5 NGOs, bei denen sich nach intensiver qualitativer Analyse die erwarten Zusammenhänge besonders gut zeigen („influential cases“).

Um die Fallauswahl zu vereinfachen und nach wissenschaftlich-methodisch Qualitätsstandards zu treffen, wurde ein künstlicher gemeinsamer Outcome für NGOs mit vergleichbaren Kriterien in unterschiedlicher Ausprägung konstruiert. Dieser Outcome dient als empirischer Kristallisationspunkt, an dem sich besonders typische und charakteristische Organisationen mit ihren Strategie- und Handlungsmustern bündeln. Als empirischer Kristallisationspunkt eignet sich die Gemeinschaftskampagne „Europäische Initiative gegen TTIP und CETA“, an dem möglichst viele verschiedene NGOs zusammenkommen. An der Gemeinschaftskampagne beteiligten sich 525 europäische NGOs, Verbände und andere Organisationen, darunter 130 Organisationen aus Deutschland.

Der Vorteil dieses gezielten Auswahlinstruments ist der deutlich reduzierte Aufwand zum Erfassen der „Gesamt“-Population. Andere Datensätze bewegen sich in einer Größenordnung von 314 (im Fall der deutschen Organisationen im EU-Transparenz-Register), über 615 Akteuren im WANGO-Dachverband, bis potenziell über 600.000 Akteuren des dritten Sektors (Krimmer 2019, Krimmer/Priemer 2013). Durch die wissenschaftlich belastbare Auswahlsystematik stärkt dies die Ergebnisqualität (u. a. durch interne Validität) und betont die systematische Auswahl gegenüber intuitiven und willkürlich ausgewählten Stichproben. Dennoch erlaubt dieser Zuschnitt ein hohes Maß an thematisch-konzeptioneller Offenheit für die qualitative Analyse, die über die ausgewählten Bereiche der kriteriengeleiteten Fallauswahl hinausgeht. Zu nennen sind hier die inhaltlichen Anregungen und Expertisen aus dem Umfeld der Interviewpartner*innen zu Fragestellungen, die aus Praxisperspektive der Interessenvertretung besonders relevant sind. Insgesamt ermöglichte diese Forschungsstrategie einen empirisch fundierten und schnellen Start der Analysephase.

In einem ersten Schritt wurde eine Projektdatenbank angelegt, die sich auf die 130 deutschen Organisationen der TTIP/CETA-Gemeinschaftskampagne bezieht. Die Datenbank umfasst zahlreiche organisationsbezogene Kriterien, zudem Faktoren für Interessenvertretung und Projektarbeit. Alle Organisationen wurden einer kursorischen Recherche unterzogen, um bekanntere und unbekanntere Organisationen qualifiziert einschätzen zu können. In diesem Schritt konnten mehrere teilnehmende Organisationsgruppen ausgeschlossen werden: (1) teilnehmende Parteien, wie die Grünen sowie Grüne Jugend, die Linke, Ökologisch-Demokratische Partei, Piratenpartei und Freie Wähler, (2) mitgliedschaftsbasierte Verbände, wie (2.1) die Umweltverbände BUND sowie BUNDjugend, NABU, Deutscher Naturschutzring, Klima-Allianz Deutschland oder Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz, (2.2) Sozialverbände wie der Paritätische Gesamtverband, (2.3) Landwirtschaftsverbände wie der Bundesverband deutscher Milchviehhalter, Naturland und Kampagne Meine Landwirtschaft (3) Gewerkschaften und Berufsverbände, wie Ver.di, die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, die Katholische Arbeitnehmerbewegung oder der Bayerische Lehrer- und Lehrerinnenverband sowie (4) lokale Bürgerinitiativen, wie Berliner Wassertisch, Frackingfreies Hamburg oder die Bürgerinitiative gegen Gasbohren Kleve.

Zwei Kriterien erscheinen aus politikwissenschaftlicher Sicht als ausschlaggebend, um die NGOs auszuwählen und die Abgrenzung zu klassischen Verbänden und anderen „neuen“ Akteuren der Interessenvermittlung deutlich zu machen. Dabei handelt es sich – entsprechend der Leitfrage nach öffentlichkeitswirksamen Prozessen der Interessenvermittlung – um Strategien der Interessenvertretung (advocacy) und Strategien der Serviceleistungen und Projektarbeit (non-advocacy; analog zu “nonprofits as advocates and providers”; vgl. Fyall 2017).

  • Im Bereich der advocacy steht (1) die „inside-strategy“ der Expertise bspw. über Studien und Parlamentsanhörungen. Ausschlaggebend sind hier bspw. die (relative) Zahl der Anhörungen, Studien und Gesetzentwürfe. Daneben zeigt (2) die „outside-strategy“ der Interessenvertretung über Medienresonanz die relative Bedeutung über die Zahl der Kampagnen, Pressemitteilungen, Interviews etc. Die (3) Mitglieder und Unterstützer*innenmobilisierung betont die relative Bedeutung über eigene Medienkanäle, Social Media und Mobilisierungsinfrastruktur.

  • In den Bereich der nonadvocacy fallen (4) konkrete Projektarbeit außerhalb von politischen Kampagnen und die Serviceleistungen für Mitglieder bzw. Unterstützer.

Die Kriterien beziehen sich jeweils auf die relative Bedeutung der einzelnen NGO in der Diskussion um das zentrale Organisationsthema. Das Datenbankmaterial musste möglichst empirisch beobachtbar und offen ablesbar sein. Es stammt aus Fachliteratur sowie bestehenden Datensätzen und Registern, musste allerdings eigens zusammengestellt und neu kombiniert werden (Abbildung 3.3).

Abbildung 3.3
figure 3

Fallauswahl über thematische Cluster der NGO-Strategie (advocacy/non-advocacy)

Mit Hilfe dieses Auswahlinstruments lassen sich vier Töpfe (Cluster) erstellen, in denen sich die NGOs mit der jeweils höchsten Ausprägung des Kriteriums befinden. Im Überschneidungsbereich wird geprüft, wie diese NGOs in den anderen Bereichen positioniert sind, um ein möglichst hohes Maß an Varianz und Vergleichbarkeit sicherzustellen (cross-case diversity, intimate case knowledge, Rihoux/Lobe 2009, Mollinga/Gondhalekar 2017). Aus der breiten Datenbasis lässt sich die Zahl der auszuwählenden Fälle – im Sinne der Relevanz für die Forschungsfrage – sehr deutlich auf die Top-10 NGOs reduzieren, die die vier Elemente der advocacy/non-advocacy in besonderem Maß erfüllen (siehe Abbildung 3.4). Dieser erste Auswahlschritt folgt den Vorgaben des „most-different similar-outcome designs“ (u. a. De Meur/Gottcheiner 2009).

Um die Top-10 auf die Vorgabe von fünf qualitativen Fallstudien zu beschränken, verwendete die Forschungsstrategie die Überlegungen der Fallauswahltechnik der „diagnostic – influential cases“ (Gerring/Cojocaru 2016: 403–404, Seawright/Gerring 2008: 303–304, vgl. „crucial cases“, Blatter/Haverland 2012: 175ff). Dieser Technik zufolge handelt es sich um besonders typische Konfigurationen der höchsten Priorität, an denen sich die erkenntnisrelevanten Zusammenhänge für das Untersuchungsziel zeigen. Die Ergebnisse des Auswahlinstruments sind ausdrücklich nicht repräsentativ, sondern folgen einer theoriegeleiteten Abwägung, um die Anforderungen des MSDO-Designs zu erfüllen.

Die Auswahl für die fünf NGOs der höchsten Priorität umfasst folgende Fälle: (1) Attac und LobbyControl als Vertreter des Kriteriums der Expertise und Wissensproduktion, (2) Foodwatch als Vertreter des Kriteriums der Medienresonanz, (3) Campact als Vertreter der Mobilisierungsorganisationen über Online-Petitionen, wie auch (4) die Deutsche Umweltstiftung als Vertreterin des Kriteriums der Projektarbeit. Die Auswahl beruhte auf der Analyse der vorhandenen Literatur und sowie der Auswertung der selbst erstellten Projektdatenbank.

Abbildung 3.4
figure 4

Auswahl der fünf NGOs der höchsten Priorität in den Clustern

Der zentrale Vorteil liegt in der systematischen Auswahl von NGOs mit unterschiedlichen Profil-Ausprägungen in Kombination mit einem deutlich reduzierten Aufwand zur Datenerfassung. Trotz des eng definierten Kristallisationspunktes kann sich die qualitative Analyse im Anschluss an die Fallauswahl sehr breit und offen mit den ausgewählten Fällen befassen, insbesondere mit der Projektarbeit und Parlamentsanhörungen abseits der TTIP/CETA-Thematik. Durch die Auswahl ist zudem ein Mindestmaß an Institutionalisierung, Vernetzung und Relevanz innerhalb der Interessenlandschaft sichergestellt. Der Nachteil dieser Auswahl ist, dass viele NGOs überhaupt nicht für eine tiefergehende Analyse herangezogen werden können. Dieser Nachteil ist jedoch deutlich geringer als bei einer adhoc Auswahl.

Zusammenfassung

Die Studie folgt einem explorativen Zuschnitt mit dem Ziel, weiterführende forschungsleitende Hypothesen zu NGO-Handeln in der politischen Interessenvermittlung zu generieren. Die Forschungsstrategie ist theoriegeleitet, um mit Hilfe des konzeptionellen Dreiecks der Handlungsrationalität (Unterstützung, Einfluss, Reputation) im Kontext moderner Governance-Strukturen ein differenzierendes Bild der Arbeitspraxis von fünf NGOs zu zeichnen. Zur systematischen Fallauswahl verwendet es eine kriteriengestützte Strategie, um sehr unterschiedliche NGOs zu identifizieren, welche ein gemeinsamer Outcome verbindet. Ziel des wissenschaftlich-methodischen Auswahlinstruments ist eine Clusterbildung: Die Datengrundlage wird systematisch anhand konzeptioneller Kriterien reduziert, um die fünf relevantesten NGOs zu bestimmen. Die thematischen Cluster basieren auf den NGO-Strategien der Interessenvertretung (advocacy) sowie der Service- und Projektarbeit (non-advocacy). Durch diesen engen Fokus liefert das Auswahlinstrument wissenschaftlich belastbare und stichhaltig begründbare Fälle. In der darauffolgenden qualitativen Analyse erlaubt die Forschungsstrategie zugleich Raum für thematische Offenheit und weiterführende inhaltliche Schwerpunkte.