Bei den systematisch ausgewählten Fallstudien der Studie handelt es sich um Attac, LobbyControl, Foodwatch, Campact und die Deutsche Umweltstiftung. Entsprechend der Forschungsstrategie umfasst die Auswahl unterschiedliche Fälle, um mit einer theoretisch-konzeptionellen Perspektive nach Gemeinsamkeiten in Form einer besonderen politischen Rationalität von NGO-Strategien in der politischen Interessenvermittlung zu suchen. Die verbindende Klammer um die fünf NGOs ist ihre bewusste strategische Entscheidung, sich an der Gemeinschaftskampagne „Europäische Initiative gegen TTIP und CETA“ zu beteiligen (zu den Hintergründen siehe Finkbeiner et al. 2016, Bauer 2016, vgl. Corporate Europe Observatory/LobbyControl 2017). Das Kapitel gibt eine Übersicht der unterschiedlichen Profile der fünf ausgewählten NGOs, die als Grundlage für die darauffolgende qualitative Analyse dienen (Abbildung 4.1 und 4.2).

Abbildung 4.1
figure 1

Kurzübersicht der fünf ausgewählten NGOs

Abbildung 4.2
figure 2

Unterschiede in Niveau und Veränderung der Einnahmen der NGOs

Attac wurde in Deutschland als Netzwerk zur demokratischen Kontrolle der internationalen Finanzmärkte im Jahr 2000 gegründet. Zwei Jahre zuvor erfolgte die namensprägende Initialzündung in Frankreich (Akronym aus association pour une taxation des transactions financières pour l'aide aux citoyens). Aktuell gibt es nationale Organisationen in über 35 Ländern, mit 20 sind die meisten davon in Europa (Attac 2019a). Attac wurde als aussagekräftiger Fall für das Cluster „advocacy“ der methodischen Auswahlstrategie identifiziert. Der Schwerpunkt liegt auf der „inside strategy“ mit Hilfe von Wissensproduktion und Interessenvertretung auf Basis von Fachexpertise (ausführlich zur Fallauswahl in Kapitel 3).

Gründungsgrund und Kernforderung von Attac war der Vorschlag, die sogenannten Tobin-Steuer einzuführen, mit der Finanztransaktionen besteuert werden sollen. Mit anderen Worten handelt es sich dabei um eine Umsatzsteuer für Finanzmärkte. Diese Forderung ist Ausdruck der kritischen Sicht der Organisation auf neoliberale Formen der Globalisierung. Sie steht in einer Linie mit dem Organisationsziel, Globalisierung sozial gerechter zu gestalten (Attac 2006 [2001], vgl. Stockemer 2013: 100–117). Dem Selbstverständnis folgend, sieht sich die Organisation zwischen den Eckpunkten von NGO, Netzwerk und Bewegung. Für Attac lässt sich bei rund 29.000 Mitgliedern in Deutschland, ca. 170 Regionalgruppen und einem weit gefassten Umfeld an 60.000 Unterstützer*innen („Attacies)“Footnote 1 eine deutliche Analogie zur Mitgliedschaftslogik von Verbänden herstellen (Attac 2019b).

So versteht sich die Hauptgeschäftsstelle in Frankfurt/Main, in der ca. 20 hauptamtliche Mitarbeiter*innen beschäftigt sind, als Dienstleister für alle Attacies – egal ob festes Mitglied oder nicht (Attac 2019c)Footnote 2. Neben klassischer Presse- und Medienarbeit und zentraler Aktionsvorbereitung sind die Aufgaben vor allem auf die Unterstützung der Attacies und Regionalgruppen ausgerichtet (Attac 2019c).

Bei der strategischen Ausrichtung liegt der Schwerpunkt auf mitgliederorientierter Basisarbeit und Kampagnenorganisation. Ausschlaggebend für die Organisation ist ihre basisdemokratische Strategie mit starkem Einbezug der Attacies. Diese können einmal im Jahr auf dem sogenannten Ratschlag darüber verhandeln, welche Themen im nächsten Jahr im Fokus stehen sollen (Attac 2019d). Die inhaltliche Auseinandersetzung und Information aller Interessierten wird dem Leitbild zufolge immer mitgedacht – so betitelt sich Attac selbst als „Bildungsbewegung mit Aktionscharakter“ (Attac 2019e). Neben den Bildungs- und auch Schulmaterialien, die im eigenen Onlineshop zu bestellen sind, wird jährlich eine Sommerakademie und eine Aktionsakademie für alle Interessierten ausgerichtet.

Auch wenn Attac regelmäßig mit eigenen Aktionen und Kampagnen (z. B. 2018 Besetzung Paulskirche Frankfurt) und als Bündnispartner (z. B. 2018 Hambacher Forst) in den Medien erscheint, hat doch die Dynamik aus den Anfangsjahren abgenommen. Die Organisation erkennt dieses Problem und gab 2016 eine Studie – finanziert durch die Rosa-Luxemburg-Stiftung – in Auftrag, die sich systematisch mit den Problemen (Überalterung, Ernüchterung, Kommunikationskultur) auseinandersetzte, um Attac neu auszurichten (Sander 2016).

Social Media Kanäle der Organisationen finden sich auch Twitter, Facebook, Instagram und Youtube. Beim Twitter-Account und dem Facebook-Profil gibt vor allem Informationen zu Veranstaltungen und Kampagnen. Kommentare kommen von Nutzer*innen, meist aber nicht direkt von der Organisation. Auf Youtube stehen teils kurze Videos und teils Veranstaltungsmitschnitte, das Instagram-Profil zeigt kampagnenbegleitende Bilder zum Weiterverbreiten („sharepics“). Regelmäßige Informationen kann man über einen Newsletter erhalten.

An Attac entfachte sich in den letzten Jahren auch immer wieder die Frage nach der Gemeinnützigkeit von NGOs. Schon 2014 wurde Attac die Gemeinnützigkeit vom zuständigen Frankfurter Finanzamt aberkannt. Die Begründung war, dass Attac allgemeinpolitische Ziele verfolge, die nicht von den, in §52 der Abgabenverordnung, aufgezählten Zielen abgedeckt seien. Daher sei die Organisation nicht förderungswürdig.

Dem folgte ein Rechtsstreit über mehrere Instanzen des Finanzgerichts und des Bundesfinanzhofs, der erst sieben Jahre später, im Januar 2021, zu einem Abschluss. Die Arbeit von Attac wird damit weiterhin als nicht-gemeinnützig eingestuft (Allianz Rechtssicherheit für politische Willensbildung 2021). Der Fall Attac mit seiner Symbolik führte dazu, dass eine breite Öffentlichkeit über die Probleme im Gemeinnützigkeitsrecht debattierte. Eine Schlüsselentscheidung war das Urteil des Bundesfinanzhofs von Anfang 2019 (BFH-Urteil vom 10.1.2019, V R 60/17), in dem die Richter*innen eine scharfe Grenze zwischen gemeinnützigem und politischem Engagement zogen (Droege 2019: 349, 358). Sie unterschieden zwischen allgemeinpolitischer Willens- bzw. Volksbildung, welche sich im Rahmen gemeinnütziger Betätigung befindet, und zwischen der Verfolgung von politischen Zwecken durch Einflussnahme auf politische Willensbildung und Gestaltung der öffentlichen Meinung, die nicht mit gemeinnützigen Zwecken in Einklang stehen i.S. von § 52 AO (BFH-Urteil vom 10.1.2019, V R 60/17 Randziffer 16). Das Urteil wurde im Juni 2019 durch das Bundesfinanzministerium in den Anwendungserlass für Finanzämter als verwaltungsinterne Anweisung übernommen. (Diefenbach-Trommer et al. 2018: 12). Danach ging der Vorgang zunächst zurück an das Hessische Finanzgericht (Urteil im Februar 2020), gegen das Attac erneut Revision einlegte. Im Dezember 2020 wies der Bundesfinanzhof die Revision ab, womit der Rechtsweg gegen den ursprünglichen Bescheid von 2014 ausgeschöpft war (Allianz Rechtssicherheit für politische Willensbildung 2021). Die Grundsatzentscheidung des Bundesfinanzhofes zu den Grenzen politischer Betätigung entfachte eine Signalwirkung für gemeinnützige Verbände und NGOs, ihre Satzungen und Tätigkeiten auf die neuen strikteren Vorgaben hin anzupassen (Droege 2019: 358)

Für das Budget und die Finanzierung des Vereins, die fast ausschließlich über Mitgliederbeiträge (71,7 Prozent), Spenden (5,6 Prozent) und Zuwendungen von Stiftungen und von kirchlichen Institutionen (projektgebunden 2 Prozent, Überträge aus dem Vorjahr 4,6 Prozent, Sonstiges 14,7 Prozent) läuft, ist dies ein unkalkulierbares Problem. Blieben die Einnahmen seit 2014 überraschend stabil und stiegen sogar an (Attac 2014: 1.554.295 Euro; Attac 2017: 2.087.000 Euro), gingen die Einnahmen von 2018 (2.020.900 Euro) auf 2019 um 300.000 Euro zurück (1.730.406 Euro) (Attac 2018, 2019f). Nach eigener Einschätzung waren die Spender*innen und Mitglieder in den ersten Jahren der Aberkennung noch trotzig-loyal, dies wandelt sich nun in realistischen Unwillen, ohne Spendenbescheinigung weiter Geld zu geben (Attac 2018)Footnote 3.

LobbyControl setzt sich als „Initiative für Transparenz und Demokratie“ seit 2005 für Lobbyregulierung und die Aufklärung verdeckter politischer Einflussnahme ein. Der gemeinnützige Verein hat nach eigenen Angaben 5.967 Fördermitglieder und ca. 36 stimmberechtigte Mitglieder (LobbyControl 2020: 16, Klein 2009: 91, 95)Footnote 4. Die Initialzündung zur Gründung kann auf die wissenschaftliche Konferenz „Gesteuerte Demokratie?“ im Jahr 2004 in Frankfurt/Main zurückgeführt werden, die vom späteren Mitbegründer Ulrich Müller ins Leben gerufen wurde (Medienradio 2010).

LobbyControl ist als aussagekräftiger Fall aus dem Cluster „advocacy“ des methodenbasierten Auswahlinstruments ausgewählt worden. Der Schwerpunkt liegt auf inside lobbying und Interessenvermittlung über fachliche Expertise bzw. als Watchdog-Organisation (ausführlich Fallauswahl Kapitel 3).

Im Jahr 2019 verfügte LobbyControl über ein Jahresbudget von 1.464.268 Euro. Das Budget wächst seit Gründung kontinuierlich – im Jahr 2013 hatte LobbyControl bspw. ein Jahresbudget von 372.144 Euro (LobbyControl 2019a: 12, LobbyControl 2014: 10). Die Einnahmen setzen sich aus Beiträgen der Fördermitglieder (42 Prozent), Spenden (45 Prozent), Stiftungszuwendungen (10 Prozent), Einnahmen aus dem Zweckbetrieb (3 Prozent) und Bußgeldzahlungen (unter 1 Prozent) zusammen (LobbyControl 2019a: 12). LobbyControl unterhält eine Geschäftsstelle in Berlin und in Köln, auf die sich ca. 15 hauptberufliche Mitarbeiter*innenFootnote 5, fünf Hilfskräfte und zehn Stadtführer*innen aufteilen (LobbyControl 2019a: 13, LobbyControl 2020).

Ein Alleinstellungsmerkmal der Organisation sind die lobbykritischen Stadtführungen, die im Berliner Regierungsviertel stattfinden. 2018 nahmen 296 Gruppen mit knapp 9000 Personen an einer Führung teil (Jahresbericht 2019a: 5, Klein 2009: 93). Als Informations- und Recherchetool führt die Organisation seit 2010 das Online-Lexikon Lobbypedia, in dem Wissen und Zusammenhänge über die deutsche Lobby-Landschaft zusammengestellt werden. Auf diese Weise können die erarbeiteten Expertisen veröffentlicht und vermittelt werden (LobbyControl 2019b, Klein 2009: 92).

Im politisch-parlamentarischen Bereich nimmt LobbyControl an zahlreichen Parlamentsanhörungen im Bundes und in den Landtagen teil. Hinzu kommt ein selbst verfasster Gesetzentwurf für ein Lobbyregister, der gemeinsam mit der NGO Abgeordnetenwatch im Jahr 2017 erarbeitet und vorgelegt wurde. Darin erörtert die Organisation, wie ein verpflichtendes Lobbyregister nach internationalem Vorbild für den deutschen Kontext aussehen könnte (LobbyControl 2017). Im kommunikativen Bereich stehen die begleitenden Kampagnen zu den Schwerpunktthemen im Mittelpunkt, mit denen Druck auf Politik und Öffentlichkeit ausgeübt werden soll, um politische Veränderungen zu erreichen.

Neben einer tagesaktuell gehaltenen Internetseite, die über aktuelle Kampagnen und über Blogeinträge über relevante politische Themen informiert, nutzt LobbyControl umfangreich die sozialen Medien. Die Twitter-, Instagram- und Facebook-Profile der Organisation werden professionell mit kompakten Informationen zu Kampagnen und Veranstaltungen bespielt. Auch ein Youtube-Kanal ist vorhanden. Standardmäßig versorgt LobbyControl alle Interessierten mit einem Newsletter über aktuelle Geschehnisse. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass eine professionelle Kommunikationsarbeit über alle möglichen Kanäle stattfindet.

Campact ist eine Beteiligungsplattform, die 2004 in Verden/Aller gegründet wurde. Inspiriert von den Möglichkeiten aus dem US-amerikanischen Kontext der aktivistischen Online-Plattformen wie move.on, wurde Campact explizit nicht als weitere NGO gegründet, sondern sieht sich als Bürgerbewegung, die Online-Apelle mit Demonstrationen und Aktionen vor Ort verbindetFootnote 6 (Bautz 2008: 108–109). Auch wenn Campact nicht thematisch festgelegt ist, definiert die Organisation für sich, die Ziele des sozialen, ökologischen und demokratischen Fortschritts verwirklichen zu wollen. In einer grundsätzlich (links-)progressiven Haltung will Campact auf diese Weise mit anderen Akteuren gemeinsam Unterstützer*innen in politisch entscheidenden Momenten punktuell über Petitionen und Kampagnen mobilisieren, um politische Entscheidungen in entscheidenden Momenten zu beeinflussen (Campact 2019a, vgl. Bautz 2008: 108–110).

Campact steht stellvertretend für NGOs des Clusters „Mobilisierung“ der methodenbasierten Auswahlstrategie. In dieser spezifischen Form der Advocacy steht die Interessenvertretung über Mobilisierung von Mitgliedern bzw. Unterstützer*innen im Mittelpunkt (ausführlich Fallauswahl Kapitel 3).

Der organisationale Aufbau Campacts ist auf diese Grundstrategie zugeschnitten. So gibt es nur 12 stimmberechtigte Mitglieder und einen dreiköpfigen geschäftsführenden Vorstand. An den Standorten in Verden/Aller (mit Schwerpunkt Verwaltung) und in Berlin (als Sitz der Organisation) sind Mitarbeiter*innen in 64 Vollzeitäquivalenten beschäftigt (Campact 2020: 13). Die meisten dieser Mitarbeiter*innen sind professionelle Campaigner*innenFootnote 7. Wenn sich Campact eines Themas annimmt, wird üblicherweise eine Unterschriftenkampagne (Petition) gestartet, die mit öffentlichen Formen des Protests (Demonstration) oder anderen Aktionen begleitet wird. Besonders sichtbar war Campact bei Aktionen und Demonstrationen rund um den Hambacher Forst oder bei der Groß-Demonstration „Wir haben es satt“.

Nach einer Anschubfinanzierung durch verschiedene Stiftungen, kann sich Campact seit 2011 ausschließlich über Förderbeiträge und Spenden finanzieren. Campact verfügt, im Vergleich zu andern NGOs dieser Größe, über ein hohes Budget. Wurden 2013 noch Einnahmen von rund 2,7 Millionen Euro verzeichnet, gab es 2019 einen Einnahmenrekord von 12,6 Millionen Euro – 2017 waren es noch 8,4 Millionen Euro (Campact 2014: 39, Campact 2018: 41, Campact 2019: 50, Campact 2020). Die Einnahmen setzen sich zusammen aus regelmäßigen Förderbeiträgen (61 Prozent), kampagnengebundenen Spenden (27 Prozent), Spenden (10 Prozent) und Sonstigem (1,75 Prozent). Zusammen tragen 79.127 Fördermitglieder und insgesamt 187.594 Spender*innen mit ihren (teils regelmäßigen) Zahlungen zur Finanzierung bei (Campact 2020).

Nach eigener Aussage unterstützen knapp 2,2 Millionen Menschen die Arbeit von Campact; dies ist allerdings nur die Zahl der Menschen, die sich über den Newsletter von Campact informieren lassen (siehe Infobox zu Campact; Campact 2019c). Campact nutzt die Kanäle der sozialen Medien intensiv. Vor allem bei Facebook und Twitter finden regelrechte Diskussionen in den Kommentarspalten statt, bei denen sich nicht nur Nutzer*innen, sondern auch immer wieder Campact selbst zu Wort meldet. Eine Besonderheit bei Campact ist die Option, direkt über verschiedene Messengerdienst zu kommunizieren. Auch ein Instagram-Profil und ein Youtube-Kanal sind vorhanden.

Mit der Petitionsplattform „WeAct“ gibt Campact Privatpersonen die Möglichkeit, eigene Petitionen zu starten. Bis Ende 2019 wurden 4.100 Petitionen auf der Plattform initiiert und 7,3 Millionen Unterschriften gesammelt (Campact 2020: 43, Campact 2018: 35).

Seit dem Attac-Urteil des Bundesfinanzhofs Anfang 2019 über die Grenzen politischer Aktivität für Gemeinnützigkeit stellet Campact, auf Anraten der eigenen Anwälte, keine Spendenbescheinigungen mehr für Spenden oder Förderbeiträge aus, da die Organisation rechnete, ebenfalls den Status der gemeinnützigen Organisationen zu verlieren. Die Aberkennung des Status folge im Herbst 2019 nach Prüfung der Jahre 2015 bis 2017 (Campact 2019e, Campact 2019f). Campact startete eine Kampagne mit dem Titel „Zivilgesellschaft ist gemeinnützig“. Unterstützer*innen können einen Appell online unterzeichnen. Ziel waren 250.000 Unterschriften, die an den Bundesfinanzminister Olaf Scholz adressiert sind (Campact 2019d). Im Mai 2021 hatte die Kampagne knapp 390.000 Unterschriften (Campact 2021).

Foodwatch ist eine Verbraucherrechtsorganisation spezialisiert auf den Lebensmittelmarkt, die 2002 von Thilo Bode, dem früheren Geschäftsführer von Greenpeace Deutschland, gegründet wurde. Vorausgegangen waren der BSE-Skandal und die Aufwertung des Verbraucherschutzes im Namen des Bundesministeriums für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft in den frühen 2000er Jahren (Strünck 2012: 189–190). Foodwatch ist als NGO ein Vertreter des Clusters „Medienresonanz“ des methodischen Auswahlinstruments. Dieser Teil der Advocacy-Strategie folgt einem Schwerpunkt mit outside lobbying, also Interessenvertretung über mediale Resonanz und öffentliche Stimmung (ausführlich zur Fallauswahl siehe Kapitel 3).

Die Satzung limitiert die stimmberechtigten Mitglieder auf 100 Personen. Die Zahl von 75 soll allerdings nicht unterschritten werden, da dies die gesetzliche Voraussetzung für das Verbandklagerecht nach dem Gesetz gegen unlautere Werbung ist (Foodwatch 2015: § 3; Foodwatch 2019b). Gegenwärtig hat der als gemeinnützig anerkannte Verein nach eigener Aussage ca. 80 Mitglieder, die den Aufsichtsrat wählen, der wiederum den Vorstand kontrolliert (Foodwatch 2019b)Footnote 8. Thilo Bode ist heute der Geschäftsführer des internationalen Bereichs von Foodwatch – weitere Organisationen wurden in Frankreich (Vereinigung) und in den Niederlanden (Stiftung) gegründet, zudem gibt es ein Büro in Brüssel (Foodwatch 2019b). Martin Rücker hat die Position des Geschäftsführers in Deutschland übernommen und leitet Foodwatch aus der Geschäftsstelle in Berlin seit April 2017. 10 Vollzeit- und 10 Teilzeitbeschäftigte arbeiten dort in den Bereichen Kampagne und Recherche, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit/Marketing, Mitgliederbetreuung und Fundraising (Foodwatch 2019b).

Über 39.000 Fördermitglieder unterstützen Foodwatch mit einem regelmäßigen Beitrag. Zusammen mit Kleinspenden machen diese Beiträge 82,49 Prozent der Einnahmen aus. Die restlichen 17,51 Prozent sind Großspenden (ab 5.000 Euro), Stiftungsgelder und Vortragshonorare. Waren bei der Anschubfinanzierung noch Unternehmer (bspw. Alfred Ritter) beteiligt, verzichtet Foodwatch nun gänzlich auf Unternehmensspenden, aber auch auf staatliche Mittel, um unabhängig sein zu können. 2019 belief sich das Jahresbudget auf 3.624.403 Euro (Foodwatch 2019a, Foodwatch 2019c, EU-Transparenzregister [für Foodwatch] 2020).

Mit einer vorrangig medial orientierten Strategie zielt die Organisation auf Agenda-Setting durch Enthüllungen, Studienergebnisse und Kampagnen, um auf verbraucherfeindliche Praktiken aufmerksam zu machen. Foodwatch setzt sich vor allem für Transparenz im Lebensmittelsektor ein. Kernziel ist die Einführung einer gesetzlich verpflichteten Kennzeichnung von Lebensmitteln, der sogenannten Lebensmittel-Ampel. Einmal im Jahr vergibt Foodwatch den Negativpreis „Goldener Windbeutel“ für die Werbelüge des Jahres. Auch wenn die Grundstrategie eher dem Idealtyp des outside lobbying entspricht, widmet sich Foodwatch ebenfalls der politischen Interessenvermittlung über schriftliche Stellungnahmen zu Gesetzentwürfen oder über die Teilnahme an Parlamentsanhörungen (u. a. Foodwatch 2018).

Foodwatch bietet für alle Interessierten einen regelmäßigen Newsletter an und bespielt die sozialen Medien professionell. Sowohl bei Twitter als auch bei Facebook werden Informationen zu Kampagnen und Ergebnisse von Recherchen veröffentlicht. In den Kommentaren finden rege Diskussionen statt, an denen sich die Foodwatch Mitarbeiter*innen beteiligen. Auch ein Youtube-Kanal und ein Instagramm-Account sind vorhanden.

Die Deutsche Umweltstiftung wurde 1982 in Mainz gegründet und ist eine, als gemeinnützig anerkannte, rechtsfähige Stiftung des bürgerlichen Rechts. Motto der Deutschen Umweltstiftung ist „Hoffnung durch Handeln“ – Umwelt- und Naturschutz sollen durch unabhängiges, bürgerliches Handeln erreicht werden. Bekannte Stifter waren u. a. Günter Grass und Ernst Ulrich von Weizäcker. Seit 2013 hat die Stiftung ihren Sitz in Berlin im Haus für Demokratie und Menschenrechte. Jürgen Sommer ist seit 2009 Vorstandvorsitzender und Gesicht der Stiftung (Deutsche Umweltstiftung 2019a). Aktuell (14.12.2020) gibt es 3.527 Stifter*innen. Nach eigener Aussage ist Deutsche Umweltstiftung die älteste und größte Bürgerstiftung Deutschlands.

Die Deutsche Umweltstiftung ist Vertreterin des vierten Clusters „Service- und Projektarbeit“ des methodischen Auswahlinstruments. Als „Non-Advocacy“-Strategie stehen Serviceleistungen für Mitglieder und zivilgesellschaftliche Projektarbeit im Vordergrund (Fallauswahl ausführlich in Kapitel 3).

Die Deutsche Umweltstiftung ist – anders als LobbyControl, Foodwatch und Campact – kein Mitglied der Initiative Transparente Zivilgesellschaft, die bestimmte Offenlegungsstandards für Organisationen vorgibt. Die Stiftung ist im Vergleich zu den anderen Organisationen gegenüber der Öffentlichkeit relativ wenig transparent. So findet sich der letzte Stifterbrief, vergleichbar mit einem Jahresbericht, auf der Internetseite aus dem Jahr 2015 (Deutsche Umweltstiftung 2015). Über die Mitarbeiter*innenstruktur und Anzahl gibt es in diesen Dokumenten und auf der Webseite keine Angaben. Im EU-Transparenzregister sind drei Personen angegeben, die zusammen eine volle Stelle ausmachen (50-Prozent- und zwei 25-Prozent-Stellen, EU-Transparenzregister [für DUS] 2020). In einem Profil der Organisation auf einem Stellenportal verortet sich die Deutsche Umweltstiftung im Bereich 1–10 hauptamtliche Mitarbeiter*innen (GoodJobs 2019). Auch Informationen zu Einnahmen und dem verfügbaren Budget finden sich lediglich über den Umweg des Transparenzregisters der EU. Dort sind für 2019 Einnahmen in Höhe von 145.000 Euro angegeben, im Vorjahreszeitraum waren es noch 139.000 Euro. Die Einnahmen setzen sich aus öffentlichen Zuwendungen (55 Prozent), Spenden (27,6 Prozent), Erträgen aus Vermögen und Beteiligungen (17 Prozent) zusammen (EU-Transparenzregister [für DUS] 2020).

Neben der Finanzierung von Dritten werden auch eigene Projekte durchgeführt. Eine etablierte Aktion der Umweltstiftung ist die Baumpflanzaktion mit Schüler*innen – ein Baum für jedes Kind. Mit der aktuellen Kurz-Kampagne mit dem Titel #kaufnix.net im Sommer 2019 sollten Themen wie kritischen Konsum, Suffizienz und Degrowth sichtbar gemacht werden (Deutsche Umweltstiftung (2019c). Auf der Kampagnenseite veröffentlichten Autor*innen über acht Wochen Beiträge zu diesen Themen.

Prominent im Internetauftritt der Stiftung zu finden ist der Wirtschaftsrat, der als „Forum und Allianz mündiger Unternehmer“ für eine nachhaltige Welt dienen soll. Über die tatsächliche Funktion und die Aktivitäten des in den Jahren 2014/2015 ins Leben gerufenen Rats, lässt sich nur spekulieren, da die Informationen der Webseite relativ statisch sind (Deutsche Umweltstiftung 2019b). In Gesprächen mit Personen, die von der Umweltstiftung als Wirtschaftsratsmitglieder bzw. Beirat von Ecocrowd aufgeführt werden, konnten keine unmittelbaren Aktionen abgeleitet werden.

Darüber hinaus sind vor allem die Ausgründungen präsent und aktiv. 2015 wurde die nachhaltige Crowdfunding-Plattform „Ecocrowd“ gestartet. Privatleute können Projekte einstellen, für die über die „Crowd“ Mittel eingeworben werden. Als Gegenleistung erhalten die Unterstützer*innen etwas aus dem finanzierten Projekt (Ecocrowd 2019).

Im August 2017 wurde auf Initiative von Jörg Sommer das Berlin Institut für Partizipation (bipar) gegründet. Das Institut bezeichnet sich als politisch unabhängig und engagiert sich für die partizipative Weiterentwicklung der demokratischen Gesellschaft. Zwei Kursbücher über Bürgerbeteiligung wurden herausgegeben. Theoretisch und praktisch wird sich mit bürgerlichen Partizipationsformen auseinandergesetzt (Bipar 2019).

Im Gegensatz zur Internetpräsenz der Stiftung werden die sozialen Medien regelmäßig bespielt. Facebook dient der Stiftung allerdings eher als Medium, um Interessierten einen Überblick über relevante Themen anzubieten. So werden überwiegend Zeitungsartikel geteilt und kaum eigener Inhalt geliefert. Instagram wird weniger genutzt, bei Twitter ist die Stiftung stärker aktiv. Das gleiche gilt für die Ausgründung Ecocrowd. Häufige inhaltliche Verweise oder das Teilen von Veranstaltungen betont die enge Verbindung.