Schlüsselwörter

1 Einleitung

„Bevor das Kind in den Brunnen fällt“ ist nicht selten der Anspruch an Präventionsarbeit aus der Sicht der breiten Öffentlichkeit, aber auch von Geldgebern und Experten/innen. Der vorliegende Artikel versucht diesen Zugang kritisch zu hinterfragen, die Zielsetzungen an Präventionsarbeit differenzierter zu formulieren und vor allem von einem Verständnis einer möglichen Zauberformel für gefährdete, defizit- und problembehafteter Objekte zu „ent-führen“. Mit dem Wissen um die praktische Umsetzung suchtpräventiver Arbeit wird im ersten Teil des Artikels der theoretische Unterbau für eine subjektorientierte Präventionsarbeit gelegt. Nachfolgend werden dann anhand der bisherigen Suchtpräventionsarbeit in Luxemburg am Beispiel des „CePT – Centre de Prévention des Toxicomanies“ im Zeitraum 1995–2015 praktische Zugänge erörtert, um abschließend einen reflektierten Ausblick auf die Suchtprävention als emanzipative Bildungsarbeit und Förderung psychischer Gesundheit zu geben.

2 Ein kritischer Blick auf die Zauberformel – was soll, oder könnte (Sucht)Prävention sein?

Mit Prävention werden üblicherweise all jene Aktivitäten bezeichnet, die darauf abzielen, jemandem oder etwas zuvorzukommen (lat.: praevenire = zuvorkommen): vorbeugen, verhindern, vorbauen, verhüten, schützen, abwenden, sich versichern, zuvorkommen, abfangen, vereiteln, abwehren, ersparen, verunmöglichen, ablenken, nicht aufkommen oder entstehen lassen, unterbinden, abstellen, sich kümmern um, immunisieren und vieles andere mehr (vgl. Lüders 2011). Man tut etwas, bevor ein bestimmtes Ereignis oder ein bestimmter Zustand eintritt, damit dies nicht eintritt oder zumindest der Zeitpunkt des Eintretens hinausgeschoben wird oder die Folgen begrenzt werden. Alle Hoffnungen liegen demzufolge darin, dass per Präventionsmaßnahmen Schaden und Gefährdungen abgewendet oder verhindert werden können. Um dementsprechend gezielt zu intervenieren, so die Annahme und Vorgabe, löst die Prävention einen Ausschnitt aus der Wirklichkeit heraus, stellt Zusammenhänge zwischen gegenwärtigen Phänomenen und künftigen Ereignissen oder Zuständen her und konstruiert daraus ihr eigenes Aktionsfeld (Bröckling 2008, S. 39). So auch bei der Suchtprävention, wo das Phänomen Sucht, Abhängigkeit oder seit DSM 5 die Suchtmittelgebrauchsstörungen in den Mittelpunkt befürchteter Gefährdungen und demzufolge präventiver Maßnahmen gestellt werden. Während die fachliche Diagnose auf das Verhalten abzielt, wird von Außenstehenden zumeist nur die Substanz als sichtbare Gefahr gesehen. Eigentlich könnte deren Existenz niemanden stören, wären da nicht die Befürchtungen, dass diese Substanzen von Menschen konsumiert und die Einnahme eben bei diesen Menschen Störungen z. B. Suchtmittelgebrauchsstörungen auslösen würden.

Dass die „Droge“ oder das damit verbundene Verhalten nur Mittel zum Zweck eines potenziell dysfunktionalen Umgangs mit der psychischen Gesundheit ist, wird häufig ignoriert. Die eigentlich „gebrauchende“ Person wird in dem Moment zur von der Droge verführten passiven und damit hilfsbedürftigen abhängigen Person. Der hinter dem Substanzgebrauch stehende Mensch mit seinem Bedürfnis nach psychischem Wohlergehen im Kontext seines sozialen Umfelds erscheint zu komplex, nicht sichtbar und damit auch wenig greifbar. Die WHO-Definition zur Gesundheitsförderung (WHO 1986) mit ihren daraus ableitbaren Handlungsstrategien zur Unterstützung des Wohlergehens und ihres Setting Ansatzes, der auf das soziale Umfeld fokussiert, wird bei dieser Präventionssichtweise kaum in Betracht gezogen. Die Schuld auf eine „böse“ Droge zu schieben, lenkt potenziell am besten von der eigenen Verantwortlichkeit ab.

Während die Kleinkinder meist noch in der Obhut der Eltern gesehen und von diesen beschützt werden (sollen) und die Erwachsenen sich selbst eher nicht als Zielgruppe suchtpräventiver Bemühungen verstehen, werden Kinder und insbesondere Jugendliche als „beliebteste“ Zielgruppe suchtpräventiver Maßnahmen „erkoren“. Wird doch die Phase Jugend als ein Werden verstanden, d. h. als ein noch nicht als [Erwachsen-]Sein definiert: „Hoffentlich übersteht sie/er das gut“. Mit dem „Das“ ist für viele die ganze Jugendzeit gemeint, ohne genau zu wissen wie lange diese gefährliche Zeit im Leben dauern mag. „Immer früher werden die Kinder zu Jugendlichen und immer später die Jugendlichen zu Erwachsenen. Die/der „junge Volljährige“ gilt als noch nicht erwachsen, weil sie/er in den meisten Fällen keinen „tragfähigen gesellschaftlich anerkannten Grund unter den Füßen hat“ (vgl. Kappeler 2007, S. 293). Die Alterspanne ‚Jugend‘ wird im alltäglichen Diskurs „[…] in erster Linie negativ als Defizit, als biopsychosozialer Mangel (an körperlicher und psychischer Reife, an sozialer Selbständigkeit etc…), als individuelle und gesellschaftliche Störung (individuell infolge psychischer Instabilität, gesellschaftlich infolge von Kriminalität und Gewalt), als Gefahr und Gefährdung oder neuerdings als Risiko (durch selbst- und/oder fremdgefährdendes Gesundheits-, Konsum-, Freizeit-Verhalten etc…) – in jedem Fall aber als ein soziales Problem gefasst“ (Anhorn 2011, S. 24). Anhorn (2002) weist diese Negativität mit Einschränkungen auch für den wissenschaftlichen Diskurs im Bereich der (Drogenkonsum-)prävention nach, die selbst in der heutigen Zeit, wenn auch entdramatisiert und impliziter (z. B. entwicklungsbedingtes Risikoverhalten), noch präsent ist.

In einer solchen Diktion wird all zu leicht vergessen, dass es in dieser Altersphase vor allem darum geht, zu erfahren, wer man ist, sowie einen persönlichen Stil zu entwickeln und zum Ausdruck zu bringen. Es geht um Identitätssuche und -findung. Es geht dabei auch um Demonstration von Unabhängigkeit von Eltern, gar um bewusste Verletzung elterlicher Kontrolle, um gewollte Normverletzung und darum, ein eigenes Wertesystem und ein eigenes Normgefüge zu entwickeln. Auf diesem wichtigen und entwicklungsbedingt notwendigen Weg der Identitätsfindung und Individuation werden neue Freundschaften, intime Beziehungen etc. aufgebaut, zu denen auch Spaß haben und Genießen gehört (vgl. z. B. die funktionelle Rolle des Substanzkonsums bei den Entwicklungsaufgaben, Silbereisen und Reese 2001). Man könnte glauben, manche Erwachsene hätten ihr Langzeitgedächtnis verloren, sie könnten (oder wollten) sich nicht mehr erinnern, dass auch sie als Kinder und Jugendliche nicht nur „brav“ waren und vor allem, wie wichtig diese eigenständigen Schritte der Aneignung der sie umgebenden Welt für ihre Persönlichkeit waren.

An dieser Stelle gilt es den Präventionsbegriff hinsichtlich seiner Funktionalität auf die Reproduktion sozialer und gesellschaftlicher Normalität hin zu denken, womit Strategien sozialer Kontrolle ins Blickfeld rücken. Es muss danach gefragt werden, ab wann und in welcher Weise gut gemeinte pädagogische Maßnahmen nicht auch in den Verdacht geraten, zu einer „Kolonialisierung der Lebenswelt“ (Habermas), zu einer Entmündigungspädagogik, die auf Hilfsbedürftigkeit schließt und auf Beseitigung und Schutz vor Defiziten und möglichen Problemen schielt. Damit steht ebenso die Frage nach dem Menschenbild hinter den Präventionsgedanken, das es offenzulegen gilt.

Und, was wird von Prävention „von oben“, d. h. von ihren Auftrags- und Geldgebenden erwartet? Dies führt uns nochmals an den Anfang des Artikels, wo Prävention zunächst als „Verhinderung von Nicht-Gewolltem“ definiert wurde, oder mit Bröckling anders formuliert: „Vorausgesetzt ist dabei, dass sich erstens aus gegenwärtigen Indikatoren künftige unerwünschte Zustände prognostizieren lassen, dass sich zweitens Anzeichen von Fehlentwicklungen ohne Intervention verschlimmern, folglich drittens frühzeitige Eingriffe die größtmögliche Risikominimierung versprechen und sich die präventiven Interventionen viertens als Hilfe konzeptualisieren lassen“ (Bröckling 2008, S. 38 f.). Der pathologische Blick, eine „negative Entwicklungslogik“ steht hier Pate für die Legitimation von Präventionsmaßnahmen, wobei Prävention in diesem Kontext „die Magie einer Zauberformel“ auferlegt wird. „Sie findet Anwendung in diversen Zusammenhängen und ist mit der Verheißung der Machbarkeit verbunden: Prävention und präventiven Maßnahmen wird ein massives Wirkpotential zugeschrieben. Dieses entfaltet sich vor dem Hintergrund von angenommenen Kausalitäten, so dass Prävention im sozialpolitischen Kontext ausschließlich in einem kausalen Sinne zu begreifen ist“ (Wohlgemuth 2009, S. 258).

Am Beispiel Kinder- oder Jugendwohlgefährdungen werden mit Suchtprävention Maßnahmen zum Schutz der Zielgruppe ins Feld gerückt, die sich um das „gute“ Aufwachsen und das Wohl von Kindern und Jugendlichen kümmern sollen. Was dabei „gutes Aufwachsen“ sein soll, in wessen Ermessen diese Einschätzung liegt, bleibt nicht selten offen. Prävention folgt dem, was Otto et al. (2010, S. 142) über Soziale Arbeit geschrieben haben (vgl. Oelkers et al. 2008; Otto und Seelmeyer 2004), dass diese notwendigerweise von dem Problem der Normativität betroffen sei: „Sie ist auf gesellschaftspolitische Festlegungen und auf Resultate lebenspraktischer Entscheidungen bezogen, in die (explizite oder implizite) Annahmen über Anstrebenswertes und zu Vermeidendes, Achtenswertes und Verachtenswertes, Zulässiges und Unzulässiges, Zumutbares und Unzumutbares eingegangen sind. Sie kann also nicht darauf verzichten, zu lebenspraktischen Fragen wertend Stellung zu beziehen. So etwa zu den Fragen, was das Kindeswohl gefährdet oder welche Formen selbst- und fremdschädigenden Verhaltens hinzunehmen sind und welche Interventionen erforderlich werden lassen.“ Daraus lässt sich fragen, wessen Normvorstellungen Prävention folgt? Sind präventive Maßnahmen beliebig oder folgen sie denen, die das Sagen haben oder glauben es zu haben? „So wundert es nicht, dass Prävention immer wieder als Instrument hegemonialer Interessen gesehen wird, deren Hauptsäulen auf Kontrolle, Normalisierung und, soweit für notwendig erachtet, auch Disziplinierung menschlichen Verhaltens im Sinne der Verhinderung von Abweichung zielen. Damit stellt sich die Frage, wieweit sich und in welcher Weise Prävention in den Dienst einer Kolonialisierung von Lebenswelt stellt, die die Sicherung des Status quo anstrebt. Eine hegemoniale Indienstnahme der Präventionsarbeit steht somit im Raum“ (vgl. Wohlgemuth 2009, S. 257). Was ist, wenn Prävention affirmativ (bzw. nicht-kritisch) ist, wenn sie sich den gesellschaftlich dominanten Deutungen und Bewertungen unterwirft? Was bleibt übrig, wenn Präventionsarbeit sich vor allem an normativen Maßstäben orientiert? (vgl. ad. Normative Sozialpolitik und Soziale Arbeit: Otto et al. 2010, S. 144).

Wenn Präventionsarbeit vor allem als Abwendung und Verhinderung von Schaden und Gefährdungen verstanden und gesehen wird, wird (Sozial)Politik wenig dagegen einzuwenden haben, markieren dabei doch „[…] Sicherheitsbedürfnisse den Antrieb und Sicherheitsfiktionen den Fluchtpunkt aller präventiven Anstrengungen. Das verleiht diesen den Charakter des Unabschließbaren: Vorbeugen kann man nie genug und nie früh genug. Prävention konstituiert damit eine Anthropologie im Gerundivum. Sie bestimmt „den Menschen“ als ein zu schützendes und zu optimierendes Wesen. Sie sucht weder nach Universalien menschlicher Existenz, noch verwirft sie deren Möglichkeit, sondern übersetzt die Frage nach der conditio humana in die praktische Aufgabe, „Defizitmenschen“ zu verhindern und „Voll- bzw. Normalmenschen“ zu schaffen. Den an die Vorbeugungspraktiken geknüpften Sicherheitsversprechen liegt das Bild einer existentiell gefährdeten und gleichermaßen schutzbedürftigen wie zur vernunftmäßigen, d. h. risikominimierenden Lebensführung fähigen Spezies zugrunde“ (Bröckling 2008, S. 42).

Wer würde sich schon gegen eine solch moralisch hohe Zielsetzung stellen? Prävention stößt in der Regel auf eine breite öffentliche Zustimmung, lässt sich gut legitimieren und findet so moralische Unterstützung seitens der Politik. Ja selbst als Instrument der Kostensenkung, lässt sich Prävention als betriebswirtschaftlicher Faktor argumentieren (Stichwort: Return on Investment). Hier klafft allerdings Anspruch/Wunsch und Realität auseinander, ein Dilemma nimmt Gestalt an, denn einerseits wird etwas befürwortet, was auf der anderen Seite nicht wirklich finanziert wird. Return on Investment bedeutet, dass man zuerst einmal investieren muss, bevor was zurückkommt. Die Praxis zeigt allerdings, dass suchtpräventiven Aktivitäten oft nur halbherzig und geringe finanzielle Mittel zur Verfügung gestellt werden. Während Polizei und Strafvollzug sowie Beratung und Therapie den „Präventionskuchen“ zum größten Teil unter sich aufteilen, bleiben der eigentlichen Suchtprävention nur wenig Mittel. Ja, mehr noch, das was allgemein unter Suchtprävention verstanden wird, versuchen Suchthilfe und -beratung und auch Polizei als Teil ihrer Arbeit einzuverleiben, denn alles scheint Prävention zu sein bzw. jeder kann Prävention machen, man braucht nur alles Verhindern von Nicht-Gewolltem als Prävention zu definieren. Damit wird das Betätigungsfeld der Präventionsarbeit zu einem offenen Buch. Problemzentrierte Negativdiagnosen sind allgegenwärtig und Helfende, mit und ohne Hochschulabschluss, bieten ihre Dienste zuhauf an. Was ist mit dem Anspruch, dass „gute“ pädagogische Arbeit das Ziel verfolgen muss, Kindern und Jugendlichen ein selbstbestimmtes und zufriedenes Leben zu ermöglichen, und dies über allen anderen, kleinschrittig formulierten Zielen stehen müsse? Prävention kann nicht nur als „Hüterin von Bestehendem“ gesehen werden, das einer „Abwesenheitsdoktrin“ (Abstinenz) folgt: Gesundheit als Abwesenheit von Krankheit oder Sicherheit als Ausbleiben von Verbrechen/Kriminalität etc. definiert. Prävention muss mehr sein als Sicherung eines vermeintlichen „positiven Status quo“, „Hilfe in“, „Schutz vor“ oder „Verhinderung von“.

Prävention ist nicht nur als „erzieherische“ pädagogische Maßnahme zu verstehen, sondern impliziert auch die gesundheitliche Zielsetzung. Wie eingangs bereits eingeführt, verleitet die Kombination aus Prävention und Gesundheit zur einfachen Schlussfolgerung, dass die Verhinderung von Krankheit, also Prävention automatisch einen Gesundheitszustand herbeiführen könne. Diese Konstruktion von Gesundheit als Abwesenheit von Krankheit hält der Realität, dem überwiegenden Laienverständnis (s. Faltermeier 2005) und der fachlichen Orientierung (vgl. WHO-Definition) nicht Stand.

Gesundheit wird eher ganzheitlich verstanden und bezieht neben der somatischen Gesundheit v. a. die psychische Gesundheit ein. Die WHO (2001) formuliert das wie folgt:

„Psychische Gesundheit ist ein Zustand des Wohlbefindens, in dem der Einzelne seine eigenen Fähigkeiten ausschöpfen, die normalen Lebensbelastungen bewältigen, produktiv und fruchtbar arbeiten kann und imstande ist, etwas zu seiner Gemeinschaft beizutragen“.

In dieser Formulierung taucht kein „Verhindern“ oder „Schützen vor“ auf. Im Gegenteil betont es die Fähigkeit Lebensbelastungen zu bewältigen. Entsprechend gilt es Ressourcen und Fertigkeiten aufzubauen. Mit Gesundheitsförderung meint die WHO (1986):

„[…] ein Prozess, der Menschen dazu in die Lage versetzen soll, mehr Einfluss auf ihren Gesundheitszustand zu entwickeln und ihre Gesundheit aktiv zu verbessern. Ziel ist die Erreichung eines Zustandes vollständigen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlbefindens, der dadurch erreicht werden soll, dass Individuen und Gruppen unterstützt werden, eigene Wünsche wahrzunehmen und zu realisieren, Bedürfnisse zu befriedigen, sowie die Umgebung zu verändern oder sich an diese anzupassen. Gesundheit ist ein positives Konzept, das sowohl soziale und individuelle Ressourcen als auch körperliche Fähigkeiten betont. Aus diesem Grund ist Gesundheitsförderung nicht nur im Kompetenzbereich des Gesundheitssektors anzusiedeln, sondern Gesundheitsförderung geht weiter als ein gesunder Lebensstil zum Wohlbefinden“ (S. 1).

Geht es tatsächlich um dasselbe gesundheitliche Ziel bei der Prävention und Gesundheitsförderung, sollten diese kompatibel in einem Konzept integriert werden. Die praktizierte Prävention geht allerdings häufig nicht mit dieser Gesundheitsüberzeugung einher. Suchtverhalten ist kein delinquentes Verhalten (mehr), das erzieherisch sanktioniert werden soll, sondern stellt, wenn die fachlichen Kriterien insgesamt auf einen Leidensdruck hinweisen, eine Beeinträchtigung der psychischen Gesundheit dar. Selbstverständlich gilt es auch hier kritisch auf der Hut zu sein, wer den Gesundheitsbegriff für sich definitorisch bemächtigt, um möglicherweise hegemonial Normen zu bestimmen, die wiederum eine Kontrollinstanz legitimieren könnten. Dabei sind auch Macht- und ökonomische Interessen ersichtlich, die ein zumeist unerreichbares Selbstoptimierungs-Ideal zur allgemeinen objektivierenden Norm bestimmt. Die WHO-Definition gibt bewusst keine normierende objektivierende Gesundheitsweise vor, sondern betont die Unterstützung der individuellen und gruppenbezogenen Bedürfnisse sowie die eigenständige selbstwirksame Einflussnahme auf die eigene Gesundheit.

Angesichts des vorab kritischen Verständnisses von Präventionsarbeit, gilt es nachfolgend einen Blick auf die praktische Suchtpräventionsarbeit in Luxemburg im Zeitraum 1995 bis 2015 zu wagen, um ihre Identität zwischen von außen häufig geforderter Restriktion und Normierung und der modernen Auffassung von psychischer Gesundheit und Bildungsarbeit zu finden.

3 Suchtprävention in Luxemburg am Beispiel „CePT – Centre de Prévention des Toxicomanies“ im Zeitraum 1995 bis 2015

Seit seiner Gründung, als Stiftung, durch Parlament und Regierung 1995 orientierte sich das CePT – Centre de Prévention des Toxicomanies (Zentrum für Suchtprävention) an der Formulierung der „Ottawa Charta“ (WHO 1986): „Gesundheit wird von den Menschen in ihrer alltäglichen Umwelt geschaffen und gelebt, dort, wo sie spielen, lernen, arbeiten und lieben. Gesundheit entsteht dadurch, dass man sich um sich selbst und für andere sorgt, dass man in der Lage ist, selber Entscheidungen zu fällen und Kontrolle über die eigenen Lebensumstände auszuüben sowie dadurch, dass die Gesellschaft, in der man lebt, Bedingungen herstellt, die allen ihren Bürgern Gesundheit ermöglichen.“ Daraus hatte das CePT für seinen Präventionsansatz abgeleitet: „Der Mensch steht im Mittelpunkt, nicht die Droge“. Dieses Menschenbild steht für ein suchtpräventives Handeln, bei dem der Mensch und insbesondere sein psychisches Wohlbefinden erste Priorität haben. Der Mensch wird dabei im Kontext seines sozialen, gesellschaftlichen und materiellen Umfeldes betrachtet (Michaelis 2009; Michaelis und Fischer 2009). Prävention geht einher mit dem Konzept der Gesundheitsförderung.

Das grundlegende Ziel des CePT war es, Sucht zu verhindern, Missbrauch zu vermindern und den Beginn des Konsums hinauszuzögern. Daher wurde dem entwicklungsgerechten Schutz von Kindern und Jugendlichen vor Drogen besondere Beachtung geschenkt. Die Verantwortung für diesen Schutz wurde in erster Linie bei den Erwachsenen gesehen. Die Suchtprävention bezog sich daher nicht schwerpunktmäßig auf Jugendliche und Kinder, sondern hatte als Hauptansprechpartner die Erwachsenen. Die Stärkung von Schutzfaktoren, in Form von persönlichen und sozialen Kompetenzen sowie der Aufbau sozialer Ressourcen waren Schwerpunkte der Zielsetzung. Der Aufbau suchtpräventiver Netzwerke, die Förderung der Kommunikation und das soziale Miteinander sowie die Verbesserung der strukturellen Bedingungen stellten langfristige Ziele dar. Insbesondere sollte die Entwicklung gesellschaftlicher Rahmenbedingungen, die einen suchtpräventiven Lebensstil ermöglichen, unterstützt werden. Als Hauptzielgruppe wurden Multiplikatoren/innen angesprochen, die das suchtpräventive Denken und Handeln an die intermediären Zielgruppen Kinder, Jugendliche und Erwachsene vermitteln und umsetzen. Die allgemeinen Aufgabenfelder mit denen die Zielsetzungen verknüpft wurden, bestanden in der Aufklärung und Sensibilisierung; Fort- und Weiterbildung sowie der Betreuung eines Suchttelefons. Daneben wurde eine Bibliothek aufgebaut und unterhalten, Studien initiiert sowie kontinuierlich eine interne Qualitätssicherung durchgeführt.

3.1 Ausgangssituation bei der Gründung

Während in den 1970er Jahren auch in Luxemburg noch Aufklärungs- und Abschreckungskampagnen im Vordergrund standen, richtete sich zu Beginn der 1980er Jahre der Blick stärker auf die Ursachen von Suchtgefahren. Im Laufe der 1990er Jahre vollzog sich ein grundlegender Paradigmenwechsel: Die Suchtprävention des CePT entwickelte sich schrittweise von einer vorgefundenen defizitorientierten hin zu einer neu zu gestaltenden gesundheitsfördernden (salutogenetischen) Perspektive. Dies führte zur Etablierung so genannter Life-Skills-Ansätze (Botvin und Tortu 1988; WHO 1999), die Ressourcen und Kompetenzen mehr und mehr in den Vordergrund rückten und die substanzunspezifische Basis des suchtpräventiven Ansatzes des CePT bildeten. Die Bedeutung der Ressourcen tritt vor allem dann hervor, wenn sie dazu beitragen, bei vorhandenen Risikofaktoren die Widerstandsfähigkeit (Antonovsky 1987, 1997) zu erhöhen. Auf der Grundlage sozialer und persönlicher Lebenskompetenzen können dann konkrete Informationen zu Substanzen und suchtgefährdenden Verhaltensweisen vermittelt werden. Dabei ist es wichtig, an die Erfahrungswelt der Menschen anzuknüpfen, Raum für Austausch und Dialog zu schaffen, bei dem die unterschiedlichen Aspekte ihres Lebens – so auch des Konsums psychoaktiver Substanzen (vulgo Drogenkonsum) – thematisiert werden können (Erlebnisräume, Gefühlszustände, Gruppenintegration, Ritualisierungen, Verlockungen und Gefahren, …).

Daneben stand die Beschäftigung mit der Drogenkultur unserer Gesellschaft, ein konkretes Wissen über Drogen, eine Auseinandersetzung mit dem kulturellen und sozialen Status von Rausch und Sucht (Freitag und Hurrelmann 1999), sowie die Thematisierung von gesundheitlichen Schäden oder Verstößen gegen geltende Gesetze oder Jugendschutzbestimmungen im Blickfeld suchtpräventiver Arbeit. Dabei wurde nicht außer Acht gelassen, dass der Verzicht auf den Konsum psychoaktiver Substanzen ebenfalls eine Option darstellt oder in manchen Fällen gar gefordert wird.

Bleiben wir einmal dabei, dass Suchtprävention als gesamtgesellschaftliche Querschnittsaufgabe ihre Daseinsberichtigung hat, dann gilt es die Rahmenbedingungen zu klären, unter denen sie dies leisten kann, dies vor allem, wenn sich Prävention nicht als Gehilfin einer Etablierung und Begründung normativer Maßstäbe, als funktionalistische Ausrichtung im Sinne eines pädagogischen Sicherheits-Denkens verstehen bzw. vereinnahmen lassen will.

3.2 Aufbauphase 1995–2010 mit dem Fokus auf Settingansatz und Verhältnisprävention

Seit Mitte der 1990iger Jahre hatte das CePT als gemeinnützige Privatstiftung die Suchtprävention in Luxemburg kontinuierlich ausgebaut, so etwa in unterschiedlichen Settings (Gemeinde, Schule) wie auch in vielen Organisationen der Jugend- und Sozialarbeit, in denen Fachkräfte des CePT intervenierten. Das CePT als Fachstelle für Suchtprävention entwickelte im Laufe der Jahre eine eigenständige fachliche Identität, losgelöst vom individuumsbezogenen Beratungsdruck (klientenzentrierte Beratungsarbeit), jedoch in direktem Kontakt mit den Szenen (Stichwort: Partyszene und „Freizeitkonsum“ bis hin zu konkreten Risikogruppen). Im Vordergrund stand die Vernetzungsarbeit mit offiziellen aber auch inoffiziellen Gruppen und Organisationen um möglichst viele Personen zu erreichen und zu involvieren.

Dieses Handlungswissen, das sich sowohl aus der oben beschriebenen Kooperation mit den nationalen Beratungsstellen, aus Erkenntnissen aus dem Alltag, als auch im Austausch mit internationalen Präventionsstellen sowie aus der Präventionsforschung entwickelte, bildete eine wichtige Ressource für die Entwicklung praxisnaher Präventionskonzepte in unterschiedlichen Settings.

Das CePT hatte über die Jahre unterschiedlichste Formen der Vermittlung suchtpräventiver Botschaften eingesetzt, etwa über Kampagnen, Broschüren, Flyer etc., durch Trainings, praktische und interaktive Übungen oder Diskussionen. Im Rahmen von Seminaren, Schulstunden, Projekten oder durch Ansätze wie Theater-, Erlebnis-, Abenteuer- oder Wildnispädagogik und mithilfe anderer „kreativer Methoden“ wurde dies umgesetzt.

Menschen wurden in ihren Lebensweltbereichen wie Familie, Schule, Jugendarbeit, Gemeinde, Betriebe, Freizeit, Partyszene etc. angesprochen. Innerhalb dieser Systeme wiederum in unterschiedlicher Weise partizipativ beteiligt, so etwa im System Schule Schüler/-innen, Lehrpersonal, Eltern, Schulleitung, Schulpersonal etc. Dies führte u. a. dazu, dass die Suchtprävention neben individuellen, verhaltenspräventiven Maßnahmen auch strukturelle Veränderungen im Sinne einer nachhaltigen Verhältnisprävention initiierte.

Grundlegend für die Vorgehensweise des CePT in dieser Phase war eine systemische Sichtweise, die vor allem von innen heraus, also gemeinschaftlich, partizipativ und auf Diskurse aufbauend, am System und den gegebenen Verhältnissen ansetzte. Daher lässt sich das Vorgehen in der Anfangsphase schwerpunktmäßig als Verhältnisprävention einordnen, bei der kooperativ Strukturen entwickelt wurden, um verschiedene betroffene Gruppen zu beteiligen, die dann mit fachlicher Unterstützung idealerweise aus sich heraus, im Sinne des Empowerments (Rappaport 1987), aktiv für die Suchtprävention wurden. Dies zeigte sich u. a. deutlich in den ersten gemeindebasierten Suchtpräventionsprogrammen (Fischer et al. 2002). Es wurde eine Pilotgruppe aus vielschichtigen Vertretern/-innen der Gemeinde gebildet, die von dem jeweiligen Gemeinderat überparteilich unterstützt wurde und erste Informations- und Diskussionsrunden für die Gemeindemitglieder veranstaltete. Dies ermöglichte den Diskurs um die Prävention innerhalb der Gemeinde und der Herausbildung einer Freiwilligengruppe, die vom Gemeinderat legitimiert Setting-spezifische Angebote offerierte, Ressourcen aufbaute und auch strukturelle Veränderungen initiierte. Angesprochen wurden vor allem Personen und Institutionen, die mit der eigentlichen Zielgruppe zu tun haben bzw. in Verantwortung stehen, also Eltern, Lehrende, Erziehende, Personen im Freizeit-, Vereins- und Sportbereich, Verkaufspersonal etc. Dieses Prinzip des strukturellen Aufbaus von Präventionsgruppen aus dem Setting heraus, dem Ressourcenaufbau und der Vernetzung verschiedener involvierter Gruppen konnte, je nach Gegebenheit, auf andere Settings, wie Schule, Betrieb, Partyszene etc. angepasst und übertragen werden.

3.3 Weiterentwicklung 2010–2015 mit dem Fokus auf emanzipatorische pädagogische Identitätsarbeit

Die Präventionsarbeit des CePT stellte die vielfältigen Suchbewegungen, die individuellen und kollektiven Praktiken der Identitätsarbeit in der weiteren Phase noch stärker in den Mittelpunkt und half dabei, Lebensbedingungen mit den Jugendlichen immer wieder neu zu definieren. Ein daraus abgeleitetes Handeln ging von den Problemen, Bedürfnissen, Potentialen, Fähigkeiten und Interessen Jugendlicher aus.

In zunehmendem Maße fand auch das Thema Risikominimierung stärker Eingang in die Präventionsarbeit des CePT. Dies liegt u. a. daran, dass einerseits das Dogma Abstinenz in der Öffentlichkeit an Bedeutung verloren hat und andererseits die gesellschaftliche Realität tagein, tagaus bestätigt, dass Konsum (illegalisierter) Substanzen trotz Verbote stattfindet und damit auch die jahrzehntelange Maxime „Krieg gegen die Drogen“ nicht zu halten ist und dass nicht jeder Konsum direkt zu Sucht führt (wenn auch durchaus verbunden mit unterschiedlichsten Risiken und Problemlagen – die man nicht bagatellisieren darf).

Den sogenannten „Freizeitkonsum“ ins Blickfeld der Präventionsarbeit des CePT zu nehmen, schien umso wichtiger, da die Anzahl jener Personen, die Konsumerfahrungen mit psychoaktiven Substanzen (legale wie illegalisierte Substanzen) haben – bis hin zu Risikogruppen – hoch ist und diese vor allem in den entsprechenden Settings (Party-Szene, Festivals, öffentlicher Raum, …) erreicht werden sollten.

Wenn es darum geht, wie oben beschrieben, Jugendliche nicht als Objekte zu degradieren oder defizitär zu definieren und zu behandeln, war und ist es notwendig danach zu trachten, wie Jugendlichen Chancen der Entwicklung autonomer Entscheidungs- und Handlungsfähigkeit zugänglich gemacht werden können. Unter einer solcherart verstandenen Jugendarbeit versteht Scherr (1997, 2002, 2008a, 2008b) eine „Praxis der Subjekt-Bildung“ und schlägt vor, (offene) Kinder- und Jugendarbeit theoretisch und konzeptuell als subjektorientierte Bildungspraxis zu modellieren (vgl. Scherr 2008a, S. 167).

Präventionsarbeit, in diesem Sinne, zielte darauf ab, Individuen dazu zu befähigen, sich mit sich selbst sowie den gesellschaftlichen Lebensbedingungen auseinanderzusetzen und diese zu begreifen. Daraus sind Angebote der Prävention als Bildungsgelegenheiten zur Lebens- resp. Welterfahrung zu verstehen, die die Bildung mündiger und selbstbewusster Individuen fördern und unterstützen. Der Gebrauchswert der Präventionsarbeit leitet sich ab aus der Aufgabe Bildungsprozesse anzuregen, durch die eine Distanzierung von Ritualen, Routinen, Gewohnheiten („Alltagsbewusstsein“) ermöglicht wird, damit andere Erfahrungen und neue Anfänge sich entwickeln können. „… jede Selbstbildung erfolgt durch ständige Irritation der eigenen Erfahrungen. Ihr kommt es nicht auf die schnellen Antworten an, sondern auf die Arbeit an den Antworten“ (Lindner 2009, S. 36). Bildungsprozesse sind „sozial, zeitlich und räumlich nicht eingrenzbar, sondern geschehen der Möglichkeit nach immer dann, wenn Individuen an Kommunikations- und Handlungszusammenhängen teilnehmen, die dazu geeignet sind, Veränderungen im Individuum anzuregen“ (Scherr 2008b, S. 140).

Hilfreich war daher ebenfalls die Vermittlung von Informationen und Hilfsangeboten, wie auch Angebote zur Selbstreflexion mit Elementen zum Umgang mit dem eigenen Körper, zum Wohlbefinden und zum Substanzkonsum sowie eine kritische Reflexion über Gefahren, Risiken und gesundheitliche Schäden (Schadens- und Risikominimierung) bzw. die Schärfung des Risikobewusstseins für substanzbedingte Problematiken.

Um dies realisieren zu können, brauchte es einen umfassenden pädagogischen Zugang, der auf die Selbstbestimmung und Selbsttätigkeit der Beteiligten setzt und ein auf die Selbstbildung beruhendes Bildungskonzept. Suchtprävention muss durch das Aktivieren selbstreflexiver Prozesse – der Reflexion des eigenen oder subkulturellen Lebensstils, der Auseinandersetzung mit den subjektiven Entwicklungspotenzialen und Lebensperspektiven – zur individuellen Bildungsbiographie in Beziehung gesetzt werden. Ausgangspunkt einer solchen präventiven Herangehensweise war stets die Frage nach den vorherrschenden Bedürfnissen nach Rausch und die Suche nach Grenzerfahrungen, sprich die Frage nach den Konsummotiven und möglicher weniger schädigenden Alternativen.

3.4 Nachhaltige Kontinuität u. a. durch den Einbezug von Multiplikatoren/-innen in der Gesamtphase

In den unterschiedlichsten Handlungsfeldern/Settings waren für das CePT die haupt- wie ehrenamtlich Tätigen – die Multiplikatoren/-innen – in Schule, Aus- und Weiterbildung, Sozial- und Jugendarbeit, Verantwortliche in Vereinen usw. die erste Zielgruppe suchtpräventiver Maßnahmen. Mit diesen Multiplikatoren/-innen wurde in Fortbildungen und Schulungen, in Beratungen und in Kooperationen die präventive Funktion ihres professionellen Handelns im Berufsalltag thematisiert sowie Konzepte und Maßnahmen entwickelt (Nilles et al. 2005). In ihren jeweiligen Berufs- bzw. Tätigkeitsfeldern sind sie aufgrund ihrer unmittelbaren und mittelbaren Bedeutung für die Sozialisation von Kindern und Jugendlichen, ihrer gesellschaftlichen Integration und persönlicher Individuation die eigentlichen „Agenten“ der Präventionsarbeit. Durch die möglichst wertschätzende Bindung, die die Multiplikatoren/-innen zu den Personen haben, wirken sie als Vorbilder, deren Verhalten im positiven, wie im negativen Sinne nachgeahmt wird. Dies gilt auch für die pädagogischen Interventionen, die im Falle von Auffälligkeiten (z. B. in Zusammenhang mit Drogenkonsum) zu planen und durchzuführen sind. Die Handlungskompetenzen dieser Multiplikatoren/-innen (einschließlich Eltern) werden gestärkt, so dass sie über die konkrete Kooperation hinaus selbstwirksam in der Lage sind, ein Stück am Aufbau und Stärkung der psychischen Gesundheit mitzuwirken. Dies gilt auch bei der Einbeziehung von jugendlichen Multiplikatoren/-innen (Peers) in spezifische Projekte.

Die Projekte von und mit Multiplikatoren/-innen zeigten auch auf, dass präventive Maßnahmen sich letztendlich nur wirksam realisieren lassen konnten, wenn verschiedene Institutionen daran beteiligt wurden. Suchtprävention ist somit zu verstehen, als eine integrative Kooperationsdisziplin unter Einbeziehung betroffener und interessierter Akteure/-innen (Personen und Institutionen) und als eine Gemeinschaftsaufgabe in den unterschiedlichen Settings.

Weitere kontinuierliche Maßnahmen betrafen u. a. das Suchttelefon und die Qualitätssicherung. Das CePT hatte im Laufe seines Bestehens die universelle Präventionsarbeit bei der Primärprävention in den Vordergrund gestellt, ohne dabei die Bereiche der selektiven oder indizierten Prävention auszublenden. So wurde über zehn Jahre im Rahmen des CePT das so genannte „Suchttelefon“ angeboten, ein Beratungsdienst von ehrenamtlichen Mitarbeitern/-innen, die Ratsuchenden und Konsumierenden zur Seite standen. Das Suchttelefon wurde 2007 im CePT durch den Service-Bereich FroNo ersetzt. Im Jahr 2014 wurde das Pilotprojekt „Drugchecking“ (Kürzel: DUCK) vom CePT ins Leben gerufen.

Die Umsetzung der verschiedenen Maßnahmen wurde stets reflexiv und evaluativ begleitet, um den Prozess und die Ergebnisse hinsichtlich ihrer Akzeptanz, Verbreitung und Wirkung kritisch und empirisch im Sinne der Qualitätssicherung zu hinterfragen. Neben qualitativen Methoden konnten in manchen Fällen auch umfangreiche quantitative Evaluationsstudien initiiert werden (z. B. Fischer et al. 2002; Grimm et al. 2013).

Zusammenfassend lassen sich in Bezug auf die eingangs eingeführten Kritikpunkte folgende Besonderheiten festhalten: Die Prävention setzte nicht bei der Droge, sondern zuerst beim Menschen mit seinen Bedürfnissen und seinen sozialen Bezügen an. Hauptzielgruppe des CePT waren die Erwachsenen, die in ihrem Setting als Multiplikatoren/-innen eine wesentliche Verantwortung gegenüber ihren Bezugspersonen haben und denen ihre Rolle möglichst bewusst gemacht wurde. Die Bedürfnisse und Identitätsansprüche der verschiedenen Jugend- und Freizeitkulturen wurden akzeptierend aufgegriffen und partizipativ im Setting mit dem Aufbau von Ressourcen, Alternativen und Kompetenzen zu einem gesundheitlich kohärenten Lebensstil entwickelt. Dies stand im Gegensatz zu Maßnahmen, die auf externe soziale Kontrolle der etablierten Norm, „sichernde“ Restriktionen und sozialer Degradierung selbstständiger Heranwachsender zu Hilfsbedürftigen basierten. Der gesundheitliche Paradigmenwechsel im 20. Jahrhundert hin zu einer ressourcenorientierten Gesundheitsförderung im Sinne der WHO findet sich hier deutlich wieder.

4 Gemeinsame Wege der Gesundheitsförderung und der emanzipatorischen Jugendarbeit – ein Ausblick

Angesichts der kritischen Betrachtung der Prävention und der Dokumentation der praktischen Präventionsarbeit am Beispiel des CePT, das einen konstruktiven Weg im Umgang mit den potenziellen Stolpersteinen der Prävention aufwies, gilt es die gemeinsamen gestalterischen Möglichkeiten der Prävention aus der Sicht der Pädagogik und aus der Sicht der Gesundheitsförderung im Ausblick darzustellen.

Suchtprävention ist darauf angewiesen sich vom worst case Szenario: Sucht zu befreien, bei dem man leicht den Eindruck gewinnen kann, es gäbe nur die Zustände Abstinenz und Sucht. Oder wie Quensel formuliert: „Die Sucht-Prävention begreift Drogen, Drogenkonsum und Drogen-Konsument vom negativen Ende her“ (2010, S. 106 ff.). Ein am Genuss orientierter Konsum von Alkohol und anderen Drogen gibt es quasi nicht, dies, obwohl alltäglicher Praxis und besseren Wissens. Damit man dies glauben kann, werden Menschen für unmündig erklärt.

Bevormundende und entmündigende politische und juristische Behinderungen stehen einer emanzipatorischen Erziehung zum mündigen Drogengebrauch (Stichwort: Drogenmündigkeit) im Wege. Hierzu ließe sich auf Theodor W. Adorno und sein Essay „Erziehung zur Mündigkeit“ (1972) oder Horkheimer und Adorno (1969) „Dialektik der Aufklärung“ verweisen, die Kappeler (2007) in diesem Kontext auf die Kurzformel gebracht hat: „Erst, wenn keine Illegalisierungs- beziehungsweise Kriminalisierungsdrohung mehr besteht und wenn die wirtschaftlichen Voraussetzungen geschaffen sind, kann ein primär am Genuss orientierter Konsum von Drogen entwickelt werden. Solange die Gesellschaft nichts Anderes zulässt, ist für die große Mehrheit ihrer Mitglieder eine Vorstellung von unmittelbar genießendem Umgang mit Drogen vergeblich“ (S. 301). Die/der mündige Bürger/-in ist gefordert mit all ihrer/seiner „Wissens-, Urteils- und Handlungskompetenz“ (vgl. Widmaier 2012, S. 14) aber auch ihrer/seiner sozialen Kompetenz (vgl. auch Soziabilität bei Barsch 2008).

Eine derartige emanzipatorische Suchtprävention braucht einen umfassenden pädagogischen Zugang, der sich nicht in Stoffkunde oder Geboten und Verboten erschöpfen kann, sondern sie setzt sich in Beziehung zur individuellen Bildungsbiographie durch das Aktivieren selbstreflexiver Prozesse, der Reflexion des eigenen oder subkulturellen Lebensstils, der Auseinandersetzung mit den subjektiven Entwicklungspotenzialen und Lebensperspektiven. Ausgangspunkt einer solchen pädagogischen/präventiven Herangehensweise könnte die Frage nach den vorherrschenden Bedürfnissen nach Rausch und die Suche nach Grenzerfahrungen, sprich den Konsummotiven sein.

Wie bereits dargelegt, ist Identität nicht einfach gegeben und garantiert, sondern ein Prozess, der in Auseinandersetzung mit den vorgefundenen, dynamischen und widersprüchlichen Alltagsroutinen erfolgt. Es gilt Menschen jeden Alters, hier insbesondere Heranwachsende, im Prozess ihrer Subjektwerdung zu unterstützen, d. h. ihnen dabei zu helfen, ein selbstbewusstes und selbstbestimmtes Leben führen zu können. Bildung fungiert dabei als Teil, Unterstützung und Bedingtheit von Lebensbewältigung (Lindner 2009).

In Anbetracht diverser individueller und gesellschaftlicher Herausforderungen ist es wichtig, bei Jugendlichen ein „offensives Nachdenken über Möglichkeiten der Lebensgestaltung und des sozialen Zusammenlebens anzuregen sowie ihre biografischen, kulturellen und politischen Suchprozesse nicht still zu stellen, sondern zu begleiten und zu unterstützen“ (Scherr 2006, S. 101).

Eine solche Identitätsarbeit stellt einen prozessualen und ständigen Balanceakt dar. „Diese Balance entspricht auf der Seite des Individuums der Struktur von Prozessen kommunikativen Handelns, an denen das Individuum teilnimmt. Interaktionsprozesse in einer Gesellschaft mit divergierenden Normen und getragen von Individuen mit unterschiedlichen Biographien können nur fortdauern, wenn die Beteiligten ihre Ich-Identität zu erkennen geben. Für jedes Individuum ist seine balancierende Ich-Identität ein ständiger Versuch, sich gegen Nicht-Identität zu behaupten, weil diese den Interaktionsprozess überhaupt oder jedenfalls die eigene Mitwirkung daran gefährden würde“ (Krappmann 2005, S. 79).

Es geht in dieser Konzeption darum, dass jede/jeder Einzelne in ihrem/seinem Wesen Anerkennung findet, d. h. auch Jugendliche nicht als Objekte irgendwelcher, wie auch immer gearteter pädagogischer Interessen/Zwecksetzungen (manchmal in Form gut gemeinter Ratschläge oder Bevormundung) verstanden werden. Es geht um das Spannungsverhältnis von selbstbestimmter Lebensführung, um die Realisierung von eigenverantwortlichen Lebensentwürfen und um den Beitrag, den Präventionsarbeit leisten kann, um die Jugendlichen zu einer aktiven und bewussten Auseinandersetzung mit den ihnen auferlegten Lebensbedingungen zu stärken.

In Anlehnung an den von Bock und Otto (2007, S. 208) verwendeten Bildungsbegriff, ließe sich Präventionsarbeit verstehen „als ‚kritisches Konzept‘ zwischen derzeit bestehenden Lebensverhältnissen und ökonomischen Zumutungen, in denen die eigene Biographie immer wieder neu hergestellt werden muss, inmitten irrationaler und zum Teil vollkommen widersprüchlicher Angebote, Gestaltungsaufgaben und Zumutungen, die zwischen äußeren Vorgaben und eigenen Optionen zu bewältigen sind“ (vgl. Thiersch 2002; Bock et al. 2006).

Dieser Anspruch der emanzipatorischen Bildungsarbeit an die Prävention lässt sich sehr gut in Einklang bringen und ergänzen mit der von der WHO geforderten Ausrichtung der Prävention an die Förderung der psychischen Gesundheit.

Die beiden Disziplinen erscheinen sich manchmal wie „Fremde“ (vgl. Keupp 2010) und doch ermöglicht ihre inter- oder besser noch transdisziplinäre Zusammenarbeit konstruktiv den Zielen der WHO näher zu bringen. Dies kristallisiert sich vor allem in den allgemeinen Zielen zur Entwicklung von Lebenskompetenzen (WHO 1999) auf der Ebene der Individuen und dem Aufbau von Kapazitäten (capacity building) und „Ermöglichungsräumen“ (Capability-Ansatz) auf der gemeinschaftlichen organisatorischen Ebene. Unter den wesentlichen Kompetenzen der Life-Skills werden u. a. vom Schwerpunkt her (Mischformen einbezogen) kognitive (Entscheidungsfindung, Problemlösung, kreatives Denken, kritisches Denken), emotionale (Emotions- und Stressbewältigung) und soziale Kompetenzen (Empathie, Selbst-Wahrnehmung, effektive Kommunikation, Beziehungsfähigkeit) benannt. Etwas unter gehen dabei allerdings die Selbstmanagement-Kompetenzen (Bergo et al. 2008), also Planungs- und Umsetzungsfertigkeiten, die es erst ermöglichen die anderen Kompetenzen selbstwirksam in einer Handlung zu realisieren. Die Entwicklung von solchen Fertigkeiten stehen im Einklang mit der Konzeption von Gesundheitsförderung, wie es die WHO (1999) formuliert: Es gilt Ressourcen aufzubauen, die es letztendlich verhindern, dass das Gleichgewicht der eigenen Gesundheit sich kontinuierlich in ein Unwohlsein bis hin zu einem Krankheitsstadium verlagert und diese auch in belastenden Situationen unterstützen im Sinne einer Resilienz (Fröhlich-Gildhoff und Rönnau-Böse 2019). Solche „Widerstandsressourcen“ gehören vor allem zum Kernkonzept der Salutogenese von Antonovsky (1987, 1997) und tragen mit zum generalisierten Kohärenzgefühl bei. Herausfordernde Situationen werden dadurch verstehbarer, handhabbarer und bedeutsamer in der aktiven Auseinandersetzung damit. Auf die Prävention bezogen könnte man vereinfacht die Rolle von Droge und Konsumierenden so ausdrücken: Nicht die ‚Droge‘ sucht ihre Konsumierenden, um diese süchtig zu machen, sondern die Konsumierenden entscheiden sich in belastenden Situationen auf der Basis ihrer jeweiligen Ressourcen, welche Mittel zur kurz- oder langfristigen Wiederherstellung des psychischen Wohlbefindens beitragen. Je mehr eigene und äußere Ressourcen zur Verfügung stehen, desto selbstwirksamer, konstruktiver und nachhaltiger wird die Person damit umgehen können; je weniger davon vorhanden ist, desto eher wird auf kurzfristige vermeintliche Verbesserungen des Wohlbefindens zurückgegriffen, die bei andauernden Belastungen zu krankmachenden Verhaltensweisen (u. a. Sucht, Gewalt, Passivität, …) oder Zuständen führen können, die langfristig die psychische Gesundheit gefährden.

Antonovsky bezieht in seinem Konzept auch die äußeren Verhältnisse (ökonomische, materielle und gesellschaftliche) als wichtige Ressourcen mit ein. Gesundheit kann nicht allein auf das individuelle Handeln zurückgeführt werden. Gesundheit, insbesondere psychische Gesundheit, und gesundheitliches Handeln vollzieht sich in der Interaktion mit seiner (sozialen) Umwelt. Der Setting-Ansatz der WHO bettet das individuelle Handeln in lebensalltägliche, zumeist räumlich verortete, gemeinschaftliche Organisationen ein. Damit bieten sich konkrete Ansatzpunkte für die sonst so klassisch benannte Verhältnisprävention in Familien, Schulen, Betrieben, Gemeinden etc. Der Ansatz setzt da an, wo die Menschen in ihrer alltäglichen Lebensumwelt „[…] spielen, lernen, arbeiten und lieben. Gesundheit entsteht dadurch, dass man um sich selbst und um andere kümmert, dass man in die Lage versetzt wird, selbst Entscheidungen zu treffen und Kontrolle über die eigenen Lebensumstände auszuüben“ (WHO 1986, S. 4).

Die daraus abgeleiteten grundlegenden Strategien betonen die aktive Beteiligung der Betroffenen (Partizipation) am gesamten Planungs-, Umsetzungs- und Entscheidungsprozess sowie das Empowerment-Konzept, zur Vermittlung von Kompetenzen, die zum selbstbestimmten und eigenverantwortlichen Handeln in einer Gemeinschaft befähigen. Darüber hinaus werden Strategien zur Strukturentwicklung von „gesunden“ Organisationen benannt (vgl. Engelmann und Halkow 2008). Auch hier sollte der Fokus nicht auf Hilfe und Dienstleistung liegen, sondern den Aufbau von Kapazitäten im Sinne von „Verwirklichungschancen“ (capabilities), Befähigung und Ermöglichungsräume (Grundmann 2008; Sen 2000) strukturell fördern. Dies vereint zudem die beiden Interessen der emanzipatorischen Bildungsarbeit und nachhaltigen Gesundheitsförderung.

Die Zauberformel muss letztendlich jede Person selbst und autonom für sich entwickeln, jeweils den eigenen Bedürfnissen im sozialen Kontext angemessen. Wir, als Präventionsarbeitende, können Ihnen nur die Ressourcen und Möglichkeitsräume bieten, im Sinne einer unterstützenden Bildungsarbeit und einer psychischen Gesundheitsförderung, die eine selbstreflexive Erarbeitung eines nachhaltigen kohärenten Gleichgewichts des eigenen psychischen Wohlergehens im jeweiligen Setting ermöglicht.