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1 Enttäuschung ohne/mit Ende?

So groß und wichtig Game of Thrones als Medienereignis war, so groß war die Enttäuschung über das Ende der Serie. Die Unzufriedenheit brach sich in zahllosen Forenbeiträgen, YouTube-Videos, Social-Media-Beiträgen und Feuilleton-Artikeln Bahn. „So einen Schluss hat Game of Thrones nicht verdient, schreiben die Kritiker, so einen Schluss hat überhaupt keine Fernsehserie verdient, schreiben die Fans.“ (Weisbrod 2019) Dass diese Unterscheidung der Sprecherinnen- und Sprecher-Positionen nicht so klar zu ziehen ist, zeigt unter anderem Christian Simon, der der Serie Selbstverrat vorwirft, (Simon 2019) in der Washington Post wiederum wurde davon gesprochen, dass das Serienfinale auch die positiven Erinnerungen an die früheren Staffeln zerstört habe, „ruining the show in its entirety“ (Andrews 2019). In der New York Times sieht Ross Douthat sogar ein Ende der Fantasy-Begeisterung gekommen, weil das Ende der Serie so unbefriedigend sei. (Douthat 2019) Auffällig ist auf jeden Fall, dass jede und jeder eine (meist negative) Meinung zu haben schien, gerade weil Game of Thrones „nie nur eine Serie, sondern ein kulturelles Ereignis“ war (Knödler 2019). Selbst der Quarterback der Greenbay Packers meldete sich umfangreich zu Wort, um die Logiklücken des Serienfinales zu analysieren. (Boren 2019). Und Lizzy Francis wiederum stellte die wichtige Frage, ob Eltern, die ihre Kinder die Namen Khaleesi oder Daenerys gegeben hatten, dies bereuen sollten. (Francis 2019).

Bereits am Ausstrahlungstag der letzten Folge hatte eine Petition, die einen Neudreh der achten Staffel durch kompetentere Personen forderte (Hert 2019), über einer Million Unterstützerinnen und Unterstützer und in Großbritannien wurde eine Seelsorge-Hotline eingerichtet. (Weiss 2019) Wenn überhaupt in den Monaten nach dem Serienfinale über Game of Thrones geschrieben wurde, ging es vor allem um Trauerarbeit, eine mögliche Versöhnung mit dem Ende (Röhlig 2019), die Rückbesinnung auf das wahre Genie George R. R. Martins gegen das falsche von David Benioff und D. B. Weiss (Maas 2019), weil Martin ja vielleicht in der Literatur doch noch alles retten könnte. Auch wenn es sich bei der GoT-Fanszene um eine besonders toxische handeln mag (Unterhuber 2016) und man Benioff und Weiss durchaus handwerkliche Fehler vorwerfen kann, erklärt dies nicht die heftigen Reaktionen. Gleichzeitig steht Game of Thrones hier bei weitem nicht alleine in der Seriengeschichte, wie so gerne behauptet wird. So wurde 2017 ein Neudreh von Star Wars: The Last Jedi (Taylor 2019) und bereits 2012 ein neues Ende für die Computerspielserie Mass Effect gefordert. (Rittmann 2012) Doch gab es solche Bestrebungen und Wünsche schon weit früher. Denn schon Arthur Conan Doyle machte ähnliche Erfahrungen wie die beiden Showrunner. Conan Doyle veröffentlichte seine Sherlock-Holmes-Geschichten zunächst, nach zwei Romanen, monatlich im Strand Magazine von 1891 bis 1893. Eigentlich lies Conan Doyle seine Hauptfigur sterben, weil er sich anderen Projekten widmen wollte und ihn der Erfolg seiner Erzählungen daran hinderte. (Schleich und Nesselhauf 2016, S. 20) Allerdings blieb es dabei nicht. Fans der Geschichten bombardierten ihn jahrelang mit Forderungen nach einer Fortsetzung. Schließlich gab er dem Druck des Publikums 1903, also knapp zehn Jahre später, nach. Er machte den Tod des Ermittlers rückgängig und veröffentlichte ab da einen Großteil der 60 bekannten Sherlock Holmes-Geschichten.

Es scheint also so, als hätte nicht nur Game of Thrones ein Problem mit dem Enden. Vielmehr scheint es, dass wir ganz grundsätzlich normalerweise nicht wollen, dass das serielle Erzählen aufhört und vielleicht tut sich auch das serielle Erzählen selbst schwer ein Ende zu finden. Diesen beiden Aspekten möchte ich im Folgenden nachgehen und dabei auch das Ende von Game of Thrones aus verschiedenen Blickwinkeln genauer beleuchten. Dabei stellen sich folgende Fragen: Erstens, inwiefern existiert ein grundlegender Wiederspruch zwischen Serialität und Finalität, also warum tut sich das serielle Erzählen so schwer damit, aufzuhören? Zweitens, warum und wie führt die letzte Staffel von Game of Thrones uns diesen Widerspruch auch auf inhaltlicher Ebene vor Augen und inwiefern wurden dabei die Rezipierenden vorgeführt? Dabei soll es nicht darum gehen, handwerkliche Fehler oder Probleme der letzten Staffel zu untersuchen oder die Serie mit seiner Vorlage abzugleichen. Es geht vielmehr darum, Game of Thrones als existierendes kulturelles Artefakt anzuerkennen und zu interpretieren, ohne die Intention seiner Macher oder hypothetische alternative Enden miteinzubeziehen. Denn, meiner These folgend, geht es eben nicht nur um handwerkliche oder allgemeine Probleme des Seriellen, die Game of Thrones aus dem öffentlichen Diskurs so schnell verschwinden ließen, sondern darum, dass wir der Serie auf den Leim gegangen sind und mit dieser Täuschung nicht zurechtkommen. Deshalb möchte ich abschließend über Game of Thrones als Medienereignis sprechen, das abrupt abbrach und fast von einem Tag auf den nächsten aus den öffentlichen Diskursen verschwand.

2 Serialität versus Finalität

Serielles Erzählen stellt „eine temporal wie lokal ubiquitäre Erzähltradition [dar], die sich seit dem 8. Jahrhundert bis heute über verschiedene intermediale Transformationen hinweg erhalten hat“. (Mielke 2006, S. 2) In vielen dieser medial unterschiedlichen Varianten des seriellen Erzählens, gibt es eine Problematisierung zwischen dem Seriellen, das auf unendliche Fortsetzung ausgerichtet ist, und dem Finalen, das dieser Fortsetzung aus verschiedensten Gründen – seien es narrative, produktionstechnische oder rezeptionsbedingte – diametral entgegensteht. Entsprechend oft thematisiert serielles Erzählen deshalb das Erzählen selbst als Motiv. (Mielke 2006, S. 19) Das Begehren, dass das serielle Erzählen nicht enden soll, scheint dabei tief zu sitzen, aber auch das serielle Erzählen selbst möchte oder kann nicht (ohne weiteres) enden. Die Geschichten aus Tausendundeiner Nacht (2010) sind in sich durch ihre Unabschließbarkeit motiviert. Scheherazade erzählt Nacht für Nacht dem Sultan eine Geschichte, die wiederum den Beginn einer weiteren in sich trägt, um ihrer angeordneten Hinrichtung zu entkommen. Das Erzählen dient dem Aufschieben des immer unmittelbar bevorstehenden Todes. Einen verwandten Erzählanlass finden wir auch in Boccaccios Decamerone (2019). Hier erzählt sich eine Adelsgesellschaft abwechselnd Geschichten, um der Pest in Florenz zu entfliehen und das Sterben in der Stadt zu vergessen, gleichwohl viele der Erzählungen wiederum um den Tod kreisen. Aber dieser wird durch das Erzählen ‚eingefangen‘. Das Erzählen dient somit als Bewältigungsstrategie (Koschorke 2012, S. 11) in einer „krisenhafte[n] Situation“, mit dessen Hilfe „Todesangst innerhalb und außerhalb des Erzählten kompensiert wird“ (Mielke 2006, S. 27). Christine Mielke setzt deshalb das serielle Erzählen ganz allgemein mit dem Verdrängen des Todes in Verbindung. Solange erzählt wird, sind wir am Leben.

„[D]as Erzählen bedeutet immer eine Auseinandersetzung mit Formen und Prozessen der Gemeinschaft. Als wichtigste gemeinschaftserhaltende und -stabilisierende Aufgabe gilt für die Narration, dass mit ihrer Hilfe konstruktiv gegen den Tod angegangen wird. Der Tod wird dabei sowohl als biologisches, aber vor allem als soziales Phänomen verstanden“ (Mielke 2006, S. 23)

Entsprechend scheint es, dass wir nicht wollen, dass das Erzählen aufhört, sondern dass es unendlich weitergeht. Normalerweise. Die Beliebtheit von Daily Soaps und Telenovelas sowie der stetige Wunsch nach Fortsetzungen, Remakes, Reunions und Reboots unterstreicht dies ebenso wie die inoffizielle Fortsetzung von Erzählungen durch Fanfictions, die in den letzten Jahren immer weiter zugenommen hat. Gerade wenn Serien zum täglichen oder wöchentlichen Ablauf gehören, erzeugen sie ein Gefühl der Ordnung, also der Kontingenz- und Komplexitätsreduktion. Jeden Tag die gleichen Figuren zu sehen, die man kennt, kann ein Gefühl der Regelmäßigkeit erzeugen, das im starken Kontrast zur alltäglichen Kontingenzerfahrung steht oder sogar als rituelle „Disziplinierung des Alltags“ begriffen werden kann (Wünsch 2010, S. 194 f.). Damit setzt sich in der Rezeption fort, was die Serie bereits auf inhaltlicher und struktureller Ebene auszeichnet: „Die Serie stellt durch eine Akzentuierung der Wiederholung potenziell die Stabilität von Ordnung zur Schau oder zumindest die Stabilität der grundsätzlichen Stabilisierungsleistung von Erzählungen“ (Schlicker 2016, S. 93.) Aber mit der möglichen endlosen Fortsetzbarkeit schleichen sich auch Probleme ein. Denn Serialität ist nicht einfach Wiederholung, sondern Wiederholung mit Differenz. Es muss also immer das Gleiche, aber nicht Dasselbe sein. Entsprechend absurd werden beispielhaft Plots in Daily Soaps, um Kontinuität und Neuartigkeit gleichzeitig zu gewähren. Im Falle der sogenannten Quality TV-Serien, ein Begriff, der gestiegene Komplexität von seriellen Produktionen seit Ende der 1990er fassen soll (Schlicker 2016, S. 87 f.) und dabei „einen Paradigmenwechsel in mehrfacher Hinsicht darstellt“ (Schlicker 2016, S. 113), spitzt sich dies ebenfalls zu. Wie Jason Mittell feststellt, ist narrative Komplexität in Serien etwas, das Rezipientinnen und Rezipienten anlockt, aber auch etwas, an das wir uns nach und nach gewöhnen.

„[I]n den letzten zwei Dekaden [ist] ein neues Paradigma des Geschichtenerzählens im amerikanischen Fernsehen entstanden […]. Zu diesem Paradigma gehört die Neufassung des Verhältnisses von episodischen und fortsetzungsorientierten Formaten, ein größeres Maß an Selbstreflexion bei der Ausgestaltung von Erzählmechanismen sowie gestiegene Ansprüche an das Zuschauerengagement, und zwar sowohl auf der Ebene des diegetischen Vergnügens als auch bezüglich formaler Kenntnisse und Kompetenzen.“ (Mittell 2012, S. 120)

Mit der gestiegenen Komplexität von Serien geht, wie bei Mittell bereits formuliert, auch eine andere Art der Rezeption, eine Form „aktive[n] Zuschauerverhaltens“ (2012, S. 104) einher. So verlangt zum Beispiel „Game of Thrones eine intensive Lektüre und inszeniert sich als besonders komplexer Text, der Komplexität als konstitutives Identitätsmerkmal kultiviert.“ (Schlicker 2016, S. 123) Dadurch aber, dass Zuschauerinnen und Zuschauer diese höheren Anforderungen meistern und sich ein Gewöhnungseffekt einstellt, erwartet das Publikum immer mehr narrative Spezialeffekte, eine gesteigerte Metareflexivität (Mittell 2012, S. 111 f.) sowie immer neue Überraschungen (Mittell 2012, S. 119). Dies führt zu einer Steigerungslogik, in der Serien auf die veränderte Rezeptionshaltung reagieren, indem sie sich in Komplexitätssteigerung ergehen, um dem Publikum neue Herausforderungen und damit Rezeptionsanreize zu bieten.

Diese Entwicklung aber verschärft die bereits angesprochene Diskrepanz zwischen Serialität und Finalität erneut und führt das serielle Erzählen in eine Zwickmühle. Einerseits soll es nicht enden, andererseits ist die geforderte Komplexität irgendwann nicht mehr zu bewältigen. Hinzu kommt, dass Serien, ob sie wollen oder nicht, irgendwann enden müssen. Die Frage ist: Aber wie? „Es stellt sich für neuere Serien, deren Komplexität im Quality-TV-Diskurs hervorgehoben wird, damit die Frage, wie verhindert wird, dass Komplexität die oben genannte Grenze [der Zeit] und so die Relation zwischen den Elementen lockert.“ (Klein 2012, S. 230) Serien müssen ihre Komplexität ein- und auflösen, das bedeutet, Plotlines zu bündeln, Nebenstränge entweder zu beenden oder in den Hauptstrang münden zu lassen und damit die Erzählung zu Ende führen. Game of Thrones spannte über fast zehn Jahre immer weitere und komplexere Netze, diese aber müssen, um abschließbar zu sein, auch wieder reduziert werden. Damit geht das Ende einer Serie immer mit einer Form von Komplexitätsreduktion zusammen. Statt wie zuvor immer etwas mehr hinzuzufügen, muss nun weggenommen und verengt werden. Die Serie wechselt von einer offenen zu einer geschlossenen Form. Dies aber läuft der von Mittell beschriebenen narrativen Steigerungslogik zuwider und kann somit den Unmut des Publikums erzeugen, das eben nicht weniger, sondern mehr Komplexität wünscht. Gerade aber durch den Gewöhnungseffekt stellt dies Produzentinnen und Produzenten auf die Probe, neben der sowieso bereits komplexen Problematik eines Zu-Ende-Erzählens auch noch überraschend zu Ende zu erzählen, was durch die Proliferation von Fandiskursen und Fantheorien erneut erschwert wird. Denn:

„Fans entwickeln eine besondere Beziehung zum Objekt ihres Fantums, eine Art Besitzanspruch. Das gilt für alle Serien, aber doch besonders für Game of Thrones. Die Serie, die ihre Zuschauer seit acht Jahren begleitet, lädt mehr als andere dazu ein, ja, fordert es fast, sich mit ihr in Beziehung zu setzen: Weil so viel passiert, das eingeordnet werden möchte, weil die Erzählstränge so komplex wie zahlreich sind – und die Charaktere so ambivalent. Wer alle gut viertausend Minuten angeschaut hat, hat vermutlich auch noch einmal genau so lange diskutiert, analysiert, nachgelesen: jeden Nebensatz interpretiert, Wetten abgeschlossen, Theorien gesponnen.“ (Knödler 2019)

Mit diesem besonderen Verhältnis zu einer Serie geht darüber hinaus auch die Vorstellung einher, die Serie besonders gut zu verstehen, sogar „besser als ihre Showrunner“. (Knödler 2019) Kombiniert mit der bereits anfangs beschriebenen Funktion seriellen Erzählens als Hinauszögern des Todes, ergibt sich hier ein kaum lösbares Spannungsverhältnis.

Entsprechend stellt sich die Frage, welche Serien aus dem Zeitalter des Quality-TVs überhaupt gelungene Enden besitzen, welche Serien nach ihrem Ende also dem medienkulturellen Gedächtnis in guter Erinnerung geblieben sind. Eine mögliche Antwort wäre: vor allem Serien, die nicht freiwillig endeten. Christian von Tschilschke gibt in diesem Zusammenhang sogar zu bedenken, dass „[w]as kein Ende hat, kann nur brachial abgebrochen werden oder eben ‚verenden‘“ (2018, S. 37) Serien wie Firefly, die nicht nur Kult, sondern auch zum Mythos wurden, ziehen diese Kraft gerade daraus, dass ihnen kein inhaltliches Ende beschienen war. Und vielleicht ist die vorzeitige Einstellung einer Serie somit auf langfristige Sicht eher ein Glücksfall, weil sie den Raum für Spekulationen offenlässt, wie alles verlaufen hätte können, wie es enden hätte können. Deswegen fungiert auch A Song of Ice and Fire vorerst noch als Hoffnung, gerade weil Martin seine Saga noch nicht vollendet hat. Serien so enden zu lassen, dass das Publikum zufrieden ist, scheint entsprechend schwer möglich, weil weder wir als Zuschauerinnen und Zuschauer wollen, dass es endet, noch Serialität als Aufschieben von Finalität, wie Mielke erklärt, gut darin ist, selbst final zu werden. Diese Aspekte sind Teil dessen, warum das Ende von Game of Thrones nur enttäuschen konnte. Slavoj Žižek argumentiert ähnlich, wenn er mit Verweis auf Stephen Kings Einlassung (2019) feststellt, dass „dissatisfaction was not generated by the bad ending but the fact of the ending itself. In our epoch of series which in principle could go on indefinitely, the idea of narrative closure becomes intolerable.“ (Žižek 2019).

Daniel Illger fügt dem noch hinzu, dass Game of Thrones „als populärkultureller Heilsbringer unserer Gegenwart unter einem Anspruch an Sinnstiftung ächzt, dem sie selbst unter den günstigsten Umständen kaum genügen kann“, und es deshalb wohl „unvermeidlich [sei], dass ein Ende, in dem sich alles erfüllen soll (was auch immer unter diesem ‚alles‘ zu verstehen ist), bei beträchtlichen Teilen der Zuschauerschaft ein Gefühl hinterlässt, das dem Gegenteil von Erfüllung gleicht.“ (2020) Dabei geht er davon aus, dass dies nicht nur am seriellen Format liegt, sondern auch am Genre Fantasy. Denn Fantasy sei vor allem über das „Versprechen eines nie endenden, potentiell unendlich erweiterbaren Erzählraums als Kunsterfahrung“ definiert, also, dass immer „eine weitere Geschichte, ein weiteres Abenteuer wartet“. (Illger 2020) Simon Spiegel fügt dem hinzu, dass aber diese „‚wundersame Verzauberung‘, die der Fan wieder und wieder zu erleben wünscht“ leider „nur begrenzt wiederholbar ist.“ (2020) Dass dabei, sprichwörtlich geworden, vor allem dem Anfang ein Zauber innewohne (Illger 2020), wohingegen das Ende immer auch das Ende dieses Zaubers wäre, erschwert nicht nur für Game of Thrones, sondern für Fantasy-Erzählungen im Allgemeinen Handlungen abzuschließen, weswegen sie als Reaktion zu ausuferndem Worldbuilding und damit zur Ermöglichung immer neuer Erzählungen tendieren.

All dies erklärt zumindest zum Teil die vehemente Ablehnung und Abwertung, die Game of Thrones erfahren hat. Im Folgenden aber soll gezeigt werden, dass das Ende von Game of Thrones bei weitem intelligenter gestaltet ist, als das den Anschein hat, weil es stringent eine Strategie der Publikumsüberraschung und -täuschung fortführt, die die ganze Serie auszeichnet.

3 Verteufelt rational – Daenerys als Spielerin des Spiels der Throne

Dass das Ende von Game of Thrones „gründlich misslungen ist“ (Spiegel 2020), scheint nicht nur unter Fans und Kritikerinnen und Kritikern, sondern selbst unter Forscherinnen und Forschern ein Allgemeinplatz zu sein. Gleiches gilt für die „ganze Reihe schwerwiegender bis desaströser handwerklicher Fehler […], vor allem, was Figurenentwicklung, Handlungslogik und Dramaturgie betrifft.“ (Illger 2020) Aber sind die Handlungsverläufe und Figurenentwicklungen wirklich so unplausibel, wie vielerorts behauptet? Ich möchte dies an der Figur mit der wohl umstrittensten Entwicklung, Daenerys Targaryen, genauer beleuchten. Es gab viel Aufruhr darüber, dass ihre Handlungen in der letzten Staffel nicht zu ihren vorherigen Taten passen würden, also „out of character“ wären (Parkin 2019). Zusätzlich boten Benioff und Weiss als Erklärung dafür nur die Antwort an, dass sie, wie die Hälfte ihrer Familie (Dockterman 2019; Dumaraog 2019), verrückt sei, womit sie eine der wichtigsten weiblichen Figuren der Serie stigmatisierten, wobei viele Fans und Kritikerinnen und Kritker gar nicht den Sachverhalt, dass Daenerys verrückt wird, problematisierten, sondern, wie dies dargestellt wurde. (McCluskey 2019). Ich halte aber sowohl Benioff und Weiss Aussagen als auch die Kritik an diesen für unterkomplexe Interpretationen. Manuela Kalbermatten formuliert ihre Kritik hier deutlich fundierter, wenn sie aufzeigt, dass es nicht einfach ‚starke‘ Frauenfiguren waren, die Game of Thrones aus Perspektive der Geschlechterforschung und des Feminismus interessant machten, sondern „die Ambivalenz nicht nur in der Darstellung von Weiblichkeit, sondern auch in der Verhandlung verschiedener Geschlechterdiskurse und (post-)feministischer Positionen“, die die Serie „zu einem Forum kultureller Selbstverständigung, einem Ort, an dem Bedeutung laufend erstritten und verhandelt werden muss“, machte. (2020) Diese Ambivalenzierung sei aber mit dem Serienfinale gebrochen worden und damit die Mehrdeutigkeit zugunsten „einfacher Erklärungen“ aufgeben worden (Kalbermatten 2020):

„Daenerys dreht durch und legt mit ihrem letzten Drachen ganz King’s Landing in Schutt und Asche – notabene nachdem die Stadt kapituliert hatte. Sie tritt damit in die Fußstapfen ihres vom Wahnsinn gezeichneten Vaters, der von ‚Fire and Blood‘ geträumt und dessen Paranoia zu Folter, Krieg und schließlich zur Ermordung und Vertreibung der Targaryens geführt hatte. Das größte Problem dieser Wendung liegt vielleicht gar nicht darin, dass sie überstürzt erscheint und narrativ wie psychologisch nicht ausreichend nachvollziehbar gemacht wurde. Irritierend erscheint vor allem der Entscheid, eine komplexe Figur radikal zu essentialisieren.“ (Kalbermatten 2020)

Dass es diese Verengung von Ambivalenz zur Eindeutigkeit gab, scheint auf der Hand zu liegen. Allerdings sollten wir vielleicht der vor allem auf intradiegetischer Ebene von Männern geäußerten Erklärung nicht ohne Vorsicht Glauben schenken (Vineyard 2019). Denn deren Aussagen sind durchaus politisch motiviert. Alle Figuren wollen die Zukunft Westeros mitgestalten und entsprechend sind auch ihre Argumentationen von diesen Vorstellungen beeinflusst. Der Verweis auf die genetische Veranlagung, verbunden mit der Stereotypisierung von Frauen als ‚hysterisch‘ und ‚verrückt‘ sind nicht als objektiv zu verstehen, auch wenn sie von den Showrunnern selbst vorgebracht werden, es sind einfache und unterkomplexe Erklärungsmuster, die eine unangenehmere Lesart der Figur verhindern sollen. Denn, wenn Daenerys King’s Landing niederbrennt, bricht das weder mit ihrem vorherigen Verhalten (Parkin 2019) noch ist dies irrational. Schon in der zweiten Staffel sagt Daenerys explizit, was sie bereit ist zu tun, um ihre Ziele zu erreichen: „I am Daenerys Stormborn of the blood of old Valyria and I will take what is mine. With fire and blood, I will take it.“ (S02E06) Dies zeigt sich auch in ihren Taten, denn „burning people alive is something Dany does in every season of the show“: (Parkin 2019) Mirri Maz Durr, Pyat Pree, Kraznys mo Naklo, Vertreter des Adels von Meereen, der Tempel in Vaes Dothrak und alle Menschen darin, Randyll und Dickon Tarly und schließlich Varys, wie Jeffrey Parkin aufzählt. (2019) Und dies sind nur die Hinrichtungen durch Feuer. „Even Dany once had 163 people crucified – some of whom were innocent (or at least less-than-guilty).“ (Parkin 2019) Allerdings bot uns die Serie für die meisten dieser Gräueltaten eine einfache Erklärung an: „Dany might occasionally do terrible things, but they’re (arguably) justifiable. She may make mistakes from time to time, but her heart is generally in the right place.“ (Parkin 2019) Obwohl uns also Game of Thrones wieder und wieder zeigte, dass moralische Integrität, eine klare Unterscheidung in Gut und Böse für die vielschichtigen Figuren der Serie kaum möglich ist, begnügten wir uns damit, Daenerys als zumindest gut meinende Heldin zu begreifen. Ramsay Boltons Ausspruch „If you think this has a happy ending, you haven’t been paying attention“ (S03E06), bestätigt sich für die Zuschauerinnen und Zuschauer auf unangenehme Weise, weil die Vorausdeutungen und auch die Ambivalenz der Figur Daenerys nicht gesehen wurde. So wurde beispielsweise die „auf die christliche Erlösungslehre verweisende Überdetermination von Daenerys’ Geschichte“ (Petersen 2016, S. 233) unhinterfragt angenommen genau wie auch die Orientalismen und „implizite[n] Rassismen“ der „weißhaarige[m] Lichtgestalt Daenerys“ (Koch 2018, S. 138) mit ihrer „dramatic and pronounced whiteness“ (Downes und Young 2019, S. 230) ignoriert wurden. Dass Daenerys Pläne sogar in der in realpolitischen Zusammenhängen verdächtig gewordenen Aussage „we will bring back peace“ (S07E02) – und man möge zur Verdeutlichung hinzufügen: ‚democracy‘ – Ausdruck fand, schien ebenfalls nicht als suspekt wahrgenommen zu werden. (Olesker 2020, S. 54).

Was Daenerys mit ihrem Genozid in King’s Landing tut (S08E04), ist also nur die Fortführung all ihrer vorherigen Taten. Sie war nie zurückhaltend damit Blut zu vergießen, wenn es ihren Aufstieg förderte, nur, dass sie alles mit dem Versprechen einer besseren Welt und des Brechens des Kreislaufs rechtfertigte und wir als Zuschauerinnen und Zuschauer dies glaubten. Daenerys ist eine White-Savior-Figur, der wir nur allzu gerne glaubten, dass sie das Spiel der Throne beenden könnte, indem sie es spielt. Und gerade in der Episode „The Bells“ (S08E04) beginnt sie es voll und ganz zu spielen, ein Spiel, bei dem man gewinnt oder stirbt. Innerhalb der Logik dieses Spiels ist Milde eine Schwäche, ist Vertrauen gefährlich, ist Daenerys’ Verhalten nicht irrational, sondern vollkommen und damit verteufelt rational, wie Aaron Bady beschreibt:

„Rationality is the ability to learn: to extrapolate from past experiences, to analyze the present situation, and to anticipate possible future outcomes. None of these idiots are rational; they keep doing the same thing but expecting a different result (just as we do by watching) and we accept it because we recognize their characters doing the things their characters do, and because we like their characters, we’re happy to watch it on our screens. But the only rational person, here, is Daenerys. She has experienced rebellions, both for her and against her, and has learned from them; she correctly apprehends that time is not on her side (King’s Landing is not going to rebel against Cersei and her allies are all betraying her, which will only continue) and she correctly realizes that the only way to win — and not die — is to be a dragon. Without allies who will serve her out of love, she must do what dragons do: eat the sheep.“ (Bady 2019)

Ihre Lernfähigkeit und „ihre Fähigkeit, mit Alteritätserfahrungen und politischen Rückschlägen produktiv umzugehen“ (Koch 2018, S. 138), zeichneten Daenerys bereits in den früheren Staffeln aus. Doch weil wir glaubten, Daenerys wäre anders, könnte „Retterin“ und „gute Herrin“ sein (Petersen 2016, S. 233), obwohl uns seit Staffeln ihr Narzissmus, ihre Kompromisslosigkeit und ihre Brutalität gezeigt wurden und in der Allegorie der Drachen als manifestierter „Wille[n] zur Macht“ – „gewalttätig, gnadenlos und kaum zu bändigen“ (Koch 2018, S. 138) – verdeutlicht wurde, nehmen wir ihr und der Serie ihr Verhalten übler als den anderen Figuren. Insbesondere übler als den männlichen Figuren, die größtenteils nichts in acht langen Staffeln gelernt zu haben scheinen.

„When Jon and Tyrion do really dumb things that blow up in their face […] the show gets away with it because they are Our Heroes. We not only forgive them, we fail to see through them; we let them have it both ways. This particularly works for the men, who the show expects us to see as loyal to their queen, even as they are flagrantly disloyal to her.“ (Bady 2019)

Dies zeigt sich besonders deutlich an Tyrion und Jon, die beide immer wieder die gleichen Fehler begehen, ihr Wort brechen und Verrat begehen, aber jedes Mal ein anderes Ergebnis erwarten, also sich zutiefst irrational verhalten und sich dabei aber als moralisch überlegen verstehen. Der Meme-gewordene Ausspruch „You know nothing, Jon Snow“ bewahrheitet sich bis zum Ende immer wieder, bis Jon endlich der tragische und traurige Held sein kann, der er immer sein wollte und sein Leben an der Eismauer fristen darf. Mit Abstrichen gilt dies auch für Arya und Sansa. Nur Daenerys scheint hier die große Ausnahme zu bilden, wohl, weil sie zuvor am deutlichsten als Hoffnungsträgerin markiert wurde.

Aber dem Ganzen liegt noch ein viel entscheidenderes Problem zugrunde: Wir haben die unbequeme Wahrheit vergessen, die uns Game of Thrones von Anfang an beibrachte: Es gibt keine gerechte Herrschaft in einem ungerechten System und nebenbei auch keinen gerechten Krieg.

„But a deeper problem is that we don’t want to admit that Daenerys is right, because we don’t want to admit what monarchy is. There are no good kings and queens, something Varys should have known […]. Kings and queens are selfish people who will kill you when they need you to die; while Tyrion should have been reading Machiavelli, Hobbes, and Carl Schmitt, Daenerys was out learning, in the field, what exactly the throne is. She is open about it. She is honest. She had wanted everyone to love her, and tried to make it happen. But as the people who loved her kept dying — and as her „allies“ turned against her and her enemies grew stronger – she correctly identified the failure of this strategy, and changed tactics. Just like she attacked the ships from the sun – ambushing them instead of letting them ambush her – she has abandoned a failing tactic, based on her knowledge of the field of play, and adopted a winning one.“ (Bady 2019)

Frei nach Adorno gibt es eben kein Wahres im Falschen. Das Spiel der Throne ist ein System, in dem nur das Recht der Stärkeren und der Mächtigen zählt, in der alle nur als potenzielle Opfer oder Gegner existieren, die jederzeit geopfert werden können. Als Cersei den Suizid ihres Sohnes in Kauf nimmt und die Große Septe mitsamt des High Sparrow und großen Teilen des Hauses Tyrell in die Luft sprengt (S06E10), wird das nur zu deutlich gemacht. Das System patriarchal-hegemonialer Herrschaft in Westeros ist nur darauf ausgerichtet, dass jemand siegt, der Rest ist unwichtig genau wie die Kosten des Sieges irrelevant sind. Dass die Königreiche einen Bürgerkrieg führen angesichts der Bedrohung durch den Night King unterstreicht dies. Dass uns Game of Thrones dies zwar immer wieder vorgeführt hat und wir es trotzdem ignoriert haben und auf ‚gute Königinnen und Könige‘ hofften, ist der eigentliche Clou der letzten Staffel:

„The problem, ultimately, is not that Daenerys is a mad queen; there is no such thing. It’s a redundant phrase. Power corrupts and absolute power – dragon power, destiny power, fantasy power – most of all. To be a king or queen is to win the game, and to win the game, everyone else has to lose, and die. That’s the game. And if the fantasy of „High Fantasy“ is always that absolute rulers might rule well and kindly and with good intentions for their people, then Game of Thrones has abruptly woken up and remembered what a queen is.“ (Bady 2019)

Aus dieser Perspektive reiht Game of Thrones in seiner finalen Staffel eben nicht Klischee an Klischee, sondern desavouiert eines der letzten, das es noch aufrechtzuerhalten schien: das der Heilsbringerin, die alles anders machen würde. In einer ironischen Wendung jedoch vernichtet Daenerys dennoch den eisernen Thron durch ihren Tod. Wenn das Rad, also der Kreislauf gebrochen werden kann, dann nur durch das Ableben der Königinnen und Könige und dem Ende der Monarchie. Allerdings entpuppen sich dabei die Zerstörung des Throns genauso wie die Ermordung Daenerys als rein symbolische Handlungen. So realisiert sich weder das fantastische Ideal einer gerechten Herrschaft noch verfliegt die quasi-magische Bedeutung des eisernen Throns. Ihr Tod und seine Zerstörung ändern schlussendlich nichts. Wieder treffen die Mächtigen und Reichen zusammen und beschließen, wie die Zukunft aussehen soll. Dass die Serie auch die Hoffnungen des Publikums auf eine andere Gesellschafts- und Herrschaftsform kennt, wird im Einwurf Samwell Tarlys und der Reaktion der anderen Adligen nur allzu deutlich:

„SAMWELL: We represent all the great houses. But whomever we choose, they won’t just rule over lords and ladies. Maybe the decision about what's best for everyone should be left to ... well, everyone.

EDMURE: Maybe we should give the dogs a vote as well.

ROYCE: I’ll ask my horse!“ (S08E06)

Die Idee der Demokratie und damit einer grundlegenden Veränderung wird verlacht und alles wird auch unter dem neuen König seine bekannten Wege gehen, nur ein wenig reformiert (Seyferth 2016). Das Spiel der Throne geht auch ohne den eisernen Thron weiter. Was Game of Thrones in seiner letzten Staffel schafft, ist uns unbequeme Wahrheiten zu präsentieren, nachdem es uns, die Hoffnung gab, dass es anders sein könnte. Es ist eine Form der Publikumskränkung, weil wir selbst vorgeführt wurden und uns aber auch gerne der Täuschung hingeben wollten, auch wenn wir allein schon aus dem Personal der Serie, das fast nur aus Adligen oder Vergleichbaren besteht, erkennen hätten können, dass es sich um eine Tragödie handelt. Und bekanntermaßen entsteht die Tragik in der Tragödie vor allem aus der Fallhöhe seiner zunächst edel wirkenden Figuren. Bei Game of Thrones sind es nicht nur die Figuren, die fallen, sondern auch die Zuschauerinnen und Zuschauer selbst, die mit ihnen mitfieberten und hofften. Es liegt nahe zu vermuten, dass diese Publikumstäuschung und -kränkung es ist, die Game of Thrones so schnell und fast vollständig aus dem öffentlichen Diskurs verschwinden ließ und das obwohl es nicht durch ein anderes Medienereignis abgelöst wurde. (Rosenberg 2021).

4 Das Verschwinden von Game of Thrones

Game of Thrones mag an sich bereits ein interessantes künstlerisches Artefakt sein, aber wirklich interessant ist es als Medien- und Diskursphänomen und dies gilt besonders für sein Verschwinden aus dem öffentlichen Diskurs. Einige Gründe für das abrupte Abreißen wurden hier bereits aufgeführt. Der allgemeine Widerspruch von Serialität und Finalität, der Widerspruch von Komplexitätssteigerung und -reduktion, das nicht eingelöste Versprechen des Fantastischen und vor allem aber die Kränkung des Publikums.

Dennoch reicht all dies nicht als Erklärung aus. Wie schon Knödler festhielt, greift es zu kurz, Game of Thrones nur als Serie zu begreifen (2019). Vielmehr muss der Ereignischarakter von Game of Thrones berücksichtigt werden. Als Streaming-Serie, die sich noch der für ein Binge-Watching geeignete Veröffentlichung ganzer Staffeln entzog, erreichte sie ein weltweites Publikum Woche für Woche mehr oder minder gleichzeitig. Dass hier sogar mit immer geringer werdendem Abstand auch Lokalisierungen veröffentlicht wurden, unterstreicht dies. Damit erzeugte die Erstausstrahlung eine Form serieller Synchronizität und eine nicht zu reproduzierende Anschlusskommunikation, an der man durch ihre Omnipräsenz in allen Medien und Kommunikationsformen teilnehmen musste. Es galt: Man kann nicht nicht über Game of Thrones sprechen und anekdotisch kann jede und jeder dies wohl für sich belegen. Diese Kommunikation über Game of Thrones ist dabei mindestens genauso bedeutsam wie die Serie selbst. Denn die Serie forderte damit nicht nur eine im Sinne Mittells engagierte Rezeption ein, sondern vor allem eine Form von Präsenz und Gegenwärtigkeit, die eher an frühere Zeiten des Fernsehens erinnert; nur statt auf nationaler nun auf globaler Ebene. Dadurch erhielt oder erzeugte sie etwas Ereignishaftes und Singuläres, das – ganz entgegen der seriellen Logik – nicht einfach wiederholt werden kann.