Zusammenfassung
Rassismus durch die Polizei verstößt gegen die Grundsätze des demokratischen Rechtsstaates. Bürger:innen müssen darauf vertrauen können, dass sich staatliche Behörden an Recht und Gesetz halten. Der Beitrag geht der Frage nach, wie Rassismus das gesellschaftliche Vertrauen in die Polizei sowie deren Legitimität beeinflusst, und stellt empirische Befunde für Deutschland dar. Anschließend werden rassistische polizeiliche Praktiken in den Blick genommen und in ihrem Zusammenhang mit sozialer Identität analysiert. Danach wird mithilfe der Konzepte prozeduraler bzw. distributiver Gerechtigkeit geklärt, wie Vertrauen in die Polizei gestärkt oder geschwächt werden kann.
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1 Legitimität polizeilichen Handelns und Vertrauen
Die Polizei ist im demokratischen Rechtsstaat auf (freiwillige) Anerkennung ihrer Autorität angewiesen. Polizeiliche Legitimität führt dazu, dass Bürger:innen – ohne dass Zwang angewendet werden muss – Gesetze sowie die Anweisungen der Polizei befolgen und mit der Polizei kooperieren.Footnote 1 Nach Weber wird die herrschende Ordnung durch den Glauben an ihre Vorbildlichkeit und Verbindlichkeit legitimiert.Footnote 2 Institutioneller Rassismus kann insofern als Legitimitätsproblem verstanden werden, da er im demokratischen Rechtsstaat grundsätzlich abgelehnt werden sollte. Diese (normative) Ablehnung ist auch verfassungsmäßig in Art. 3 GG festgeschrieben. Rassistisches Handeln ist damit nicht nur illegitim, sondern illegal.
Von staatlichen Institutionen, wie der Polizei, wird erwartet, dass diese sich an die Gesetze halten. Vertrauen in die Polizei bedeutet, dass Bürger:innen daran glauben, dass diese Erwartung erfüllt wird, und dient der normativen Rechtfertigung, Herrschaft zu akzeptieren und in das Beherrschtwerden einzuwilligen.Footnote 3 Das Vertrauen in die Polizei ist in Deutschland auf einem stabilen, hohen Niveau.Footnote 4 Rassismus trifft aber nicht alle Bürger:innen in gleichem Maße, sondern migrantisch gelesene bzw. Personen of Color, die aufgrund rassifizierter Merkmale benachteiligt werden. Demnach ist fraglich, ob es im Vergleich zur weißen Mehrheitsbevölkerung Unterschiede im Vertrauen gibt, wie Rassismus durch die Polizei gesellschaftlich wahrgenommen wird und wie Vertrauen gestärkt bzw. zurückgewonnen werden kann.
2 Empirische Befunde für Deutschland
Insbesondere in den USA wurde ein geringeres Vertrauen von Schwarzen Menschen und Personen of Color sowie eine negativere Wahrnehmung der Polizei nachgewiesen.Footnote 5 Für Europa gibt der European Social Survey (ESS Round 5, 2010/2011) einige Hinweise: Einstellungen von Migrant:innen gegenüber der Polizei unterschieden sich je nach Länge des Aufenthalts im Zuwanderungsland.Footnote 6 Während neu zugewanderte Personen der Polizei gegenüber sogar positiver eingestellt waren als einheimische Personen, war das Gegenteil der Fall für Menschen, die vor mehr als 15 Jahren zugewandert waren und solche der zweiten Generation. Bradford und Jackson nehmen deshalb an, dass zugewanderte Personen – anders als häufig vermutet – negative Einstellungen zur Polizei nicht bereits mitbringen, sondern erst im Laufe der Zeit erwerben. Dies konnte auch allgemein für das institutionelle Vertrauen nachgewiesen werden.Footnote 7
Auch in der Schüler:innenbefragung der POLIS Studie (2011/2012) zeigten Jugendliche mit Migrationshintergrund in Deutschland geringeres Vertrauen in die Polizei als solche ohne, der Unterschied war jedoch kleiner als in Frankreich.Footnote 8 Jugendliche mit türkischem Hintergrund (das häufigste Herkunftsland) unterschieden sich dabei nicht von solchen aus anderen Herkunftsländern. Der Deutsche Viktimisierungssurvey (2017) zeigte, dass Personen mit türkischem oder osteuropäischem Migrationshintergrund die Polizeiarbeit bei der Verbrechensbekämpfung schlechter bewerteten und der Meinung waren, dass die Polizei oft mehr Gewalt einsetzt, als geboten wäre.Footnote 9 Solche mit türkischem Hintergrund sagten außerdem häufiger, dass Personen abhängig von ihrem finanziellen Status anders behandelt werden. Auch hier deuten die Daten darauf hin, dass insbesondere die zweite Generation der Polizei kritischer gegenüber steht.Footnote 10 Die International Self-Report Delinquency Study (ISRD 3) zeigte, dass auch in Deutschland migrantisch gelesene sowie muslimische Jugendliche und solche, die in benachteiligten Vierteln lebten, die Polizei als unfairer und weniger legitim wahrnahmen.Footnote 11 Weiße Jugendliche mit Migrationshintergrund zeigten dagegen weder geringeres Vertrauen noch eine geringere Legitimitätsbewertung als weiße Jugendliche ohne Migrationshintergrund.
Diese Ergebnisse zeigen: Vertrauen und Legitimität der Polizei unterscheiden sich nicht aufgrund eines tatsächlichen Migrationshintergrunds, sondern aufgrund der Sichtbarkeit von Personen, die als migrantisch gelesen werden,Footnote 12 und damit auch häufiger von Rassismus betroffen sind.
3 Rassistische Praktiken im Spannungsfeld von Legalität und Legitimität
Rassismus tritt in verschiedenen Formen auf.Footnote 13 Expliziter Rassismus, der z. B. durch rassistische Beleidigungen nach außen tritt, ist sichtbar und klar als rechtswidrig zu erkennen, auch wenn allgemeine Beweisschwierigkeiten (z. B. fehlende Zeug:innen) weder auszuschließen noch selten sind. Impliziter und auch struktureller Rassismus ist dagegen nicht ohne weiteres sichtbar, denn es fehlt zumeist an äußeren Tatsachen, die eine zweifelsfreie Bewertung ermöglichen. Erschwert wird eine solche Beurteilung auch dadurch, dass den Polizeibeamt:innen die rassistische Dimension ihres Handelns nicht zwangsläufig bewusst sein muss, sondern auf unbewusste Stereotype zurückzuführen sein kann (sog. Implicit Bias).Footnote 14 Aufgrund dessen scheitert häufig die juristische Feststellung eigentlich verbotener und rechtswidriger polizeilicher Praxen, wie Racial Profiling. Nach wie vor dominiert dabei ein Rassismusverständnis, welches implizite sowie strukturelle Rassismen vernachlässigt. Infolgedessen werden solche Praktiken häufig nicht als rassistisch benannt und geahndet; teilweise wird ihnen durch legale Grundlagen auch Vorschub geleistet.Footnote 15
Wessen Perspektive bei der Bewertung solcher Vorfälle gesellschaftliche Anerkennung findet – die polizeiliche oder die der Betroffenen – ist insbesondere davon abhängig, wer Definitions- und Beschwerdemacht im öffentlichen Diskurs besitzt, was in Zusammenhang mit Fragen von sozialer Identität steht.
3.1 Rassismus und Legitimität in der öffentlichen Wahrnehmung
Nach Hall ist Rassismus als ideologischer Diskurs zu verstehen, der das hegemoniale System durch Ausschließung sichert.Footnote 16 Was in der öffentlichen Wahrnehmung als rassistische, illegitime polizeiliche Praxis verstanden wird, ist beeinflusst von der Diskursmacht der Akteur:innen. Harkin weist darauf hin, dass die meisten Personen der (Mehrheits-)Bevölkerung kaum auf tatsächliche Erfahrungen mit der Polizei zurückgreifen können, und deshalb Imaginationen darüber, wie Polizei ist und agiert, für deren Bewertung eine wichtige Rolle spielen.Footnote 17 Mit Lukes Social Theory of PowerFootnote 18 argumentiert er, dass diese Vorstellungen stark beeinflusst sind von den herrschenden Machtverhältnissen, und durch hegemoniale Ideologien bedingt und manipuliert werden. Wissen über die Polizei wird deshalb maßgeblich von herrschenden Autoritäten geprägt und medial vermittelt.Footnote 19
Für die Bewertung polizeilichen Verhaltens sind demnach auch Prozesse des sog. OtheringsFootnote 20 von Bedeutung: Ungleichbehandlung kann dadurch legitimiert werden, dass Adressat:innen polizeilichen Handelns als fremd und die Polizeibeamt:innen als Angehörige der eigenen Gruppe imaginiert werden.Footnote 21 In diesem Sinne wird die rassistische Dimension des polizeilichen Handelns im öffentlichen Diskurs unsichtbar. Legitimität bedeutet damit immer Legitimität der (weißen) Mehrheitsgesellschaft; Legitimitätsverluste in kleineren (von Rassismus betroffenen) Teilen der Bevölkerung müssen den Herrschaftsanspruch nicht infrage stellen. Bereits nach Weber reicht es aus, wenn der „Legitimitätsanspruch der Art nach in einem relevanten Maß“ gilt, maßgeblich ist dagegen nicht, ob jede Art der Fügsamkeit tatsächlich auf Legitimitätsglauben beruht, mangels Alternative können Staat und Polizei dennoch akzeptiert werden: „aus individueller Schwäche und Hilflosigkeit [wird Herrschaft] als unvermeidlich hingenommen“.Footnote 22
Die Daten des ESS 5 zeigten, dass gesellschaftliche Diskriminierungserfahrungen mit einem geringeren Gefühl von normativer Übereinstimmung mit der Polizei zusammenhängen, aber keinen Einfluss auf die wahrgenommene Verpflichtung zeigten, den polizeilichen Anweisungen Folge zu leisten.Footnote 23 Für Deutschland zeigte der ESS 5 außerdem, dass Personen, die sich einer ethnischen Minderheit zuordneten, sich sogar häufiger verpflichtet fühlten, polizeilichen Anweisungen Folge zu leisten.Footnote 24 Der Zusammenhang zwischen Legitimitätswahrnehmung und Gruppenzugehörigkeit bzw. sozialer Identität soll deshalb näher betrachtet werden.
3.2 Soziale Identität und Wahrnehmung von Legitimität
Die Wahrnehmung polizeilicher Legitimität wird davon beeinflusst, ob sich Personen mit der Polizei identifizieren können oder nicht.Footnote 25 Radburn und andere konnten nachweisen, dass die Bewertung polizeilicher Maßnahmen davon abhing, ob diese gegen eine Gruppe gerichtet war, die den Befragten sozial nah oder fern war, bzw. in welcher sozialen Beziehung die Befragten sich zur Polizei verorteten.Footnote 26 Wer sich der sozialen Gruppe zugehörig fühlt, die er oder sie durch die Polizei repräsentiert sieht, wird diese eher als legitim wahrnehmen.Footnote 27 Bradford, Milani und Jackson heben hervor, dass insbesondere, wenn die Faktenlage unklar ist, auf identitäre Zuschreibungen zurückgegriffen wird: Je stärker sich Personen mit der Polizei identifizieren, desto eher gehen sie davon aus, dass diese entsprechend der eigenen Normen und Werte handeln.Footnote 28 Nationale Identität, d. h. sich selbst als Mitglied der Mehrheitsgesellschaft zu sehen, sowie die eigene Wahrnehmung als „gesetzestreue:r Bürger:in“ führen zu mehr Vertrauen und höherer Legitimität der Polizei, sowie zu einer höheren Akzeptanz von polizeilicher Gewalt.Footnote 29 Letztere wird außerdem durch rassistische Ressentiments erhöht.Footnote 30
Eine australische Studie konnte nachweisen, dass soziale Identität einen größeren Einfluss auf Einstellungen zur Polizei hat als tatsächliche Abstammung (Race).Footnote 31 Ausschlusserfahrungen und Erfahrungen der Nichtanerkennung haben wiederum Auswirkungen sowohl auf das Vertrauen der Betroffenen als auch auf deren Identitätswahrnehmung innerhalb der Gesellschaft. Jede Erfahrung mit der Polizei enthält Informationen über den eigenen sozialen Status und Wert.Footnote 32 Interaktionen mit der Polizei als Vertreterin von Staat und Mehrheitsgesellschaft haben somit symbolischen Charakter und weisen Betroffenen ihren Platz in der Gesellschaft zu: Wer wird als Bürger:in respektiert, wessen Stimme wird gehört, wer wird als kontrollbedürftig angesehen?Footnote 33 Daran anknüpfend stellt sich die Frage, wie solche Kontakte gestaltet werden sollten, um Vertrauen herzustellen und dem staatlichen Legitimitätsanspruch gerecht zu werden.
4 Vertrauen(-sverlust) durch (Un-)Gerechtigkeit
Neben dem Vertrauen, dass sich die Polizei an Gesetze hält, ist für die Legitimitätswahrnehmung maßgeblich, ob darauf vertraut werden kann, dass die Polizei gerecht und fair agiert.Footnote 34 Unterschieden werden kann dabei zwischen Verfahrensgerechtigkeit (prozedural) und Verteilungsgerechtigkeit (distributiv).
4.1 Prozedurale Gerechtigkeit und Diskriminierung
Eine zentrale Rolle spielt die Theorie der prozeduralen Gerechtigkeit, die besagt, dass ein faires Verfahren für die Legitimitätsbeurteilung größeren Einfluss hat als das Entscheidungsergebnis.Footnote 35 Auch nachteilige Entscheidungen werden von Betroffenen akzeptiert, wenn das Verfahren als partizipativ, neutral bzw. transparent, respektvoll und auf vertrauenswürdigen, ehrlichen Motiven basierend wahrgenommen wird.Footnote 36 Für die Theorie gibt es zahlreiche empirische Belege.Footnote 37 Polizeiliche Legitimität hängt maßgeblich von persönlichen Kontakten ab; je häufiger negative Erfahrungen gemacht werden, desto geringer wird diese eingeschätzt.Footnote 38 Es konnte auch gezeigt werden, dass Personen eine Maßnahme seltener als Racial Profiling wahrnahmen, wenn sie sich höflich und respektvoll behandelt, sowie in ihren Rechten anerkannt fühlten, und die Polizist:innen als neutral sowie vertrauenswürdig angesehen wurden.Footnote 39
Kritisiert wird jedoch, dass die Theorie einen zu großen Fokus auf die Form des Verfahrens legt und zu wenig auf den zugrundeliegenden Inhalt und insbesondere im Zusammenhang mit (rassistischer) Diskriminierung auf die tatsächliche Wirkung für Betroffene. Dies könnte Diskriminierung erst ermöglichen, wenn Polizist:innen, indem sie nach außen hin respektvoll agierten, die Betroffenen so manipulierten, dass diese an für sie nachteiligen Maßnahmen mitwirkten.Footnote 40 Schon Feest und Blankenburg thematisierten den Versuch der Polizei, durch freiwillige Kooperation ihre Befugnisse zu erweitern.Footnote 41 Es zeigt sich jedoch, dass ein solches Vorgehen sich langfristig negativ auf die Wahrnehmung der Polizei auswirkt: Insbesondere Stop-and-Search Maßnahmen, bzw. in Deutschland verdachtsunabhängige oder anlasslose Kontrollen, senken sowohl das Vertrauen in die Polizei als auch deren Legitimitätswahrnehmung – und zwar unabhängig davon, ob die Polizist:innen selbst höflich vorgehen oder vorher die Einwilligung der betroffenen Person einholen (sog. Consent Searches).Footnote 42 Dennoch zeigen Studien, dass die Art des persönlichen Kontakts nicht unwichtig ist, sondern im Gegenteil eine Chance ist, Wertschätzung der betroffenen Person zu vermitteln und damit inklusive Wirkung zu entfalten.Footnote 43 Murphy und Cherney verweisen darauf, dass ein respektvoll und fair gestalteter Kontakt sogar wichtiger sein kann für Menschen, die sich ihres sozialen Status in der Gesellschaft unsicher sind.Footnote 44
4.2 Distributive Gerechtigkeit (Under-/Overpolicing)
Distributive Gerechtigkeit, d. h. Verteilungsgerechtigkeit, betrifft die Frage, ob die Polizei alle Personen gleichermaßen behandelt. Daran fehlt es, wenn gesellschaftliche Gruppen entweder zu wenig geschützt werden, sog. UnderpolicingFootnote 45, oder häufiger von polizeilichen Maßnahmen betroffen sind, sog. Overpolicing, was mit Kriminalisierungseffekten einhergehen kann.Footnote 46 Beide Phänomene können auch insofern in Zusammenhang stehen, dass gerade diejenigen, die sich von Overpolicing betroffen sehen, einerseits von Stigmatisierung betroffen sind und dadurch weniger Unterstützung erhalten, und andererseits ihr Vertrauen verlieren, und somit gar nicht mehr polizeiliche Hilfe in Anspruch nehmen wollen – erst recht, wenn sie bereits eigene Erfahrungen mit rassistischem Handeln oder Gewalt durch die Polizei gemacht haben.Footnote 47
Eine solche Ungleichverteilung polizeilichen Schutzes bzw. Kontrolle aufgrund rassifizierter Differenz wurde für Deutschland wiederholt beschrieben.Footnote 48 Häufig steht sie in Zusammenhang mit orts- bzw. raumabhängigen Arten des Polizierens, z. B. einer höheren Kontrolldichte oder repressiverem Vorgehen in sozial benachteiligten Vierteln.Footnote 49 Auf dieses Weise kann polizeiliches Handeln soziale Ungleichheit reproduzieren.Footnote 50 So kann auch erklärt werden, dass in einigen Studien Personen, die von sozialer Ungleichheit betroffen sind und/oder zu einer diskriminierten Gruppe gehören, die Polizei als weniger legitim bewerten und ihr weniger vertrauen.Footnote 51 Dabei spielen nicht nur die persönlichen Erfahrungen mit der Polizei eine Rolle, sondern auch Erfahrungen anderer, von denen man hört.Footnote 52 Auch hier ist soziale Identifikation von Bedeutung: Nach einem medial viel besprochenen rassistischen polizeilichen Übergriff in Frankreich stellten Nägel und Lutter fest, dass Vertrauensverluste für Personen, die einer ethnischen Minderheit angehörten, deutlich größer waren als für Angehörige der weißen Mehrheitsgesellschaft.Footnote 53
In mehreren Untersuchungen wurde festgestellt, dass der Effekt distributiver Gerechtigkeit auf die Legitimitätswahrnehmung geringer ist als der prozeduraler Gerechtigkeit.Footnote 54 Letztlich kann dies dadurch zu erklären sein, dass Verteilungsgerechtigkeit als Teil von Verfahrensgerechtigkeit gesehen werden kann,Footnote 55 denn die grundsätzliche Gleichbehandlung aller Personen ist schließlich die Grundvoraussetzung für ein faires Verfahren. Overpolicing stellt einen Mangel an Neutralität dar, die eine Bedingung prozeduraler Gerechtigkeit ist. Konsequenterweise steht eine solche Erfahrung im klaren Widerspruch zu einer respektvollen Behandlung – selbst wenn die handelnden Polizist:innen freundlich und rücksichtsvoll sind. Ein Mangel an distributiver Gerechtigkeit führt also zu einem Mangel an prozeduraler Gerechtigkeit, der sich schließlich auf die Legitimitätsbewertung auswirkt. Auch Hough und andere weisen darauf hin, dass soziale Ungleichheit perpetuiert werden kann, wenn sich nur auf die Art der Behandlung konzentriert wird: Faire und gerechte Behandlung darf nicht nur so scheinen, sondern muss auch ernst gemeint und ehrlich sein.Footnote 56
5 Fazit: Bedeutung für die Gesellschaft und für die Arbeit der Polizei
Seit dem Sommer 2020 und dem Mord an George Floyd in den USA wird auch in Deutschland vermehrt über Rassismus durch die Polizei debattiert. Bewegungen wie Black Lives Matter, die rassistische Polizeigewalt und Praktiken wie Racial Profiling öffentlich problematisieren, leiteten eine gesellschaftliche Diskursverschiebung ein – weg von der polizeilichen hin zur Perspektive von migrantisch gelesenen bzw. Personen of Color. Empirische Hinweise auf Vertrauens- und Legitimitätsverluste waren bisher zu wenig im Fokus der gesellschaftlichen, wissenschaftlichen und polizeilichen Debatte. Lange wurde mit Blick auf das Ausland darauf verwiesen, dass die deutsche Polizei positiver wahrgenommen wird und auch weniger repressiv vorgeht als z. B. in den USA oder in Frankreich, sowie darauf, dass gesellschaftliche Unruhen, wie z. B. Ausschreitungen in den Banlieus, die als Marker für massive Legitimitätsbrüche angesehen werden, in Deutschland in dieser Form nicht existierten.Footnote 57 Unter dem Brennglas der Covid 19-Pandemie, die soziale Ungleichheit weiter verschärft hat, kam es aber auch in Deutschland zu Zusammenstößen zwischen Polizei und Jugendlichen, z. B. in Stuttgart oder Frankfurt am Main, ausgelöst durch Personenkontrollen, die Anwesende als Racial Profiling wahrnahmen.Footnote 58 Wie die öffentliche Debatte um die (vermeintliche) Herkunft und den Migrationshintergrund der Jugendlichen, welchen die Polizei in Stuttgart sogar durch Abfragen bei den Standesämtern zu ermitteln suchte, geführt wurde, offenbart die hier beschriebenen Zusammenhänge zwischen gesellschaftlichem Rassismus, öffentlicher Wahrnehmung der Polizei und sozialer Identität.Footnote 59
Einem sich abzeichnenden Vertrauensverlust, der mit dem Verlust von Kooperationsbereitschaft einhergehen kann, sollte jedoch nicht mit immer repressiveren, konfrontativeren polizeilichen Strategien begegnet werden, die Hough als „Hard Power Trap“ bezeichnet.Footnote 60 Durch „hartes Durchgreifen“ kann zwar kurzfristig Gehorsam erzwungen werden, langfristig wird dies jedoch zu weiteren Vertrauens- und Legitimitätsverlusten führen und gesellschaftliche Spaltung vorantreiben. Eigene Ungerechtigkeitserfahrungen mit der Polizei oder solche der Gruppe, der man sich zugehörig fühlt, begünstigen eine fortschreitende Entfremdung von Staat und Gesellschaft, insbesondere dann, wenn mangels Anerkennung Gefühle von Schutz- und Machtlosigkeit verstärkt werden.Footnote 61
Soll Vertrauen gestärkt bzw. zurückgewonnen werden, sollte Kommunikation mit Betroffenen nicht als „Mittel zum Zweck“ verstanden werden. Echte Fairness und Respekt können nicht rein technisch vermittelt werden, sondern werden erst durch Selbstreflexion und Offenheit für die Perspektive des Gegenübers sowie Sensibilisierung für individuelle als auch strukturelle Rassismen möglich. Solche inneren Prozesse können bspw. durch Antirassismustrainings oder institutionalisierte Reflexionsangebote, wie Supervisionen oder Einsatznachbesprechungen, angeregt werden.
Werden die Konzepte prozeduraler und distributiver Gerechtigkeit zusammen gedacht, lassen sich darüber hinaus weitere konkrete Verbesserungspotentiale identifizieren. Aden, Fährmann und Bosch schlagen Kontrollquittungen vor, um die Transparenz von Personenkontrollen zu verbessern.Footnote 62 In Verbindung mit Beweiserleichterungen, wie sie das Berliner Landesantidiskriminierungsgesetz (LADG) seit 2020 vorsieht, könnte dies eine Chance sein, mithilfe prozeduraler auch distributive Gerechtigkeit zu erreichen. Nach § 7 LADG wird das Vorliegen einer Diskriminierung vermutet, wenn sie glaubhaft gemacht wird, und es obliegt der Behörde, den Verstoß zu widerlegen.Footnote 63 Kontrollquittungen könnten auf diese Weise die Beschwerdemacht von rassistischer Diskriminierung Betroffener verbessern, welche häufig und ohne konkreten Verdacht kontrolliert werden. Polizeibeamt:innen wären außerdem stärker in der Begründungspflicht, da es letztlich in der Verantwortung der Institution liegt, zu beweisen, dass sie diskriminierungsfrei arbeitet. Da keine individuelle, sondern behördliche Haftung vorgesehen ist, liegt der Fokus nicht auf der Frage, ob handelnde Polizist:innen rassistisch motiviert waren, sondern ob die Maßnahme rassistische Wirkung für die Betroffenen entfalte. Insgesamt können Gesetzesänderungen jedoch nur einen Teil der Lösung darstellen, da sich ihre Wirksamkeit erst in ihrer Anwendung zeigt. Ohne ein grundlegendes gesellschaftliches Verständnis von Rassismus in all seinen Dimensionen und damit verbundenes Hinterfragen, wer gesellschaftliche Anerkennung erfährt und wer durch Machtstrukturen exkludiert wird, werden Verfahrensregelungen wenig tatsächliche Veränderung bringen.
Notes
- 1.
- 2.
Weber (1964), S. 23.
- 3.
Jackson und Gau (2016).
- 4.
Birkel et al. (2019), S. 78.
- 5.
- 6.
Bradford und Jackson (2018).
- 7.
Röder und Muhlau (2012).
- 8.
Roché et al. (2018).
- 9.
Birkel et al. (2019), S. 71 ff. Zu berücksichtigen ist, dass die Stichprobe der Befragten mit Migrationshintergrund eine eher niedrige Fallzahl aufwies und die Unterschiede deshalb nicht statistisch abgesichert sind.
- 10.
Leitgöb-Guzy (2019).
- 11.
- 12.
Farren und Hough (2018).
- 13.
Vgl. den Beitrag von Bosch und Thurn in diesem Band.
- 14.
Staats et al. (2017).
- 15.
- 16.
Hall (1989).
- 17.
Harkin (2015).
- 18.
Lukes (2005).
- 19.
- 20.
Spivak (1985).
- 21.
- 22.
Weber (1964), S. 158.
- 23.
Bradford et al. (2018).
- 24.
Bradford et al. (2018).
- 25.
- 26.
Radburn et al. (2018).
- 27.
- 28.
Bradford et al. (2016), S. 11 f.
- 29.
- 30.
- 31.
Oliveira und Murphy (2015).
- 32.
- 33.
- 34.
Hough (2021), S. 20 ff. Liegt ein Mindestmaß an Kompetenz und Effektivität der Polizei vor, ist die Beurteilung der Fairness von größerer Bedeutung für die Legitimitätswahrnehmung, vgl. z. B. Sunshine und Tyler (2003). Studien in Ländern mit geringer Polizeikompetenz oder fehlender Effektivität zeigen jedoch ein umgekehrtes Verhältnis, z. B. Tankebe (2009).
- 35.
- 36.
Tyler (2004).
- 37.
- 38.
- 39.
Tyler und Waksalk (2004).
- 40.
MacCoun (2005).
- 41.
Feest und Blankenburg (1972), S. 46.
- 42.
- 43.
- 44.
Murphy und Cherney (2018).
- 45.
Natapoff (2006).
- 46.
- 47.
- 48.
- 49.
- 50.
- 51.
- 52.
- 53.
Nägel und Lutter (2021).
- 54.
- 55.
So auch Hough (2021), S. 21.
- 56.
Hough et al. (2016), S. 12.
- 57.
Z. B. Oberwittler und Roché (2018).
- 58.
Khan (2020).
- 59.
Beyer (2020).
- 60.
Hough (2021), S. 26 ff.
- 61.
- 62.
Aden et al. (2020).
- 63.
Vgl. den Beitrag von Ruch in diesem Band.
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Abdul-Rahman, L. (2022). Vertrauens- und Legitimitätsbrüche: Was bedeutet Rassismus durch die Polizei für die Gesellschaft?. In: Hunold, D., Singelnstein, T. (eds) Rassismus in der Polizei. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-37133-3_22
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