Schlüsselwörter

1 Einleitung

Fragen der Gesundheitspolitik wurden lange Zeit primär als ein innenpolitisches Thema angesehen und von der Außenpolitik kaum wahrgenommen. Heute hingegen stehen Gesundheitsthemen im Fokus der internationalen Politik und sind seit Jahren ein Fixpunkt auf jedem G7- und G20-Gipfel. Die Bekämpfung von Infektionskrankheiten, der Ausbau resilienter Gesundheitssysteme, Maßnahmen zur Eindämmung nichtübertragbarer Krankheiten oder beispielsweise auch die Bedrohung durch zunehmende Antibiotika-Resistenzen rücken zunehmend ins Zentrum außen- bzw. sicherheitspolitischer Überlegungen.

Diese fundamentale Änderung in der öffentlichen Wahrnehmung wurde Ende der 1980er- bzw. Anfang der 1990er-Jahre durch eine Reihe von Entwicklungen ausgelöst und weiter verstärkt. Vor dem Hintergrund des zu Ende gehenden Ost-West-Konflikts (1989–1991) und der damit verbundenen Hoffnung auf eine neue Weltordnung erhöhten die HIV/Aids-Epidemie und die von ihr ausgelösten Reaktionen (Brandt 2013, 2149) sowie das verstärkte Auftreten anderer weltumspannender Infektionserkrankungen und Zoonosen, wie des Schweren Akuten Respiratorischen Syndroms (SARS) oder der Bovinen Spongiformen Enzephalopathie (BSE), die Relevanz von Gesundheit auf globaler und nationaler Ebene. Verstärkt wurde diese Entwicklung durch den sich verdichtenden und beschleunigenden Globalisierungsprozess, die damit einhergehende Angleichung der Lebensstile und Konsumgewohnheiten, die immer stärker erkennbaren „Grenzen des Wachstums“ in Form sich häufender extremer Wetterlagen, Umweltzerstörung und der dramatischen Verluste an Biodiversität, und schließlich die Anti-Terror-Doktrin, die als Reaktion auf die Terroranschläge vom September 2001 die Sicherheitsstrategien der großen westlichen Mächte prägte. Nach dieser Doktrin sollten gezielte Investitionen zur Verbesserung der Lebensbedingungen in fragilen Staaten die Gefahr des unkontrollierten Ausbruchs von Infektionskrankheiten reduzieren, die politische Stabilität erhöhen und zugleich „die Herzen und Köpfe der Menschen“ gewinnen (Morrison 2018, 20).

Auf dem Gebiet der Globalen Gesundheit (engl. Global Health, GH) entstand für die internationale Staatengemeinschaft demnach ein zunehmender Handlungsdruck. Dies führte zum einem zu einer Serie von Gipfelkonferenzen, auf denen umwelt- und gesundheitspolitisch relevante Probleme definiert und behandelt wurden, wie der Konferenz der Vereinten Nationen (VN) über Umwelt und Entwicklung in Rio de Janeiro 1992, ihren Folgekonferenzen (z. B. Kyoto 1997, Paris 2015), sowie zu den Millenniumszielen (2001) und schließlich der Agenda 2030 mit ihren Nachhaltige Entwicklungszielen (Sustainable Development Goals, SDGs, 2015). Zum anderen reagierte eine Reihe von Staaten, wie etwa die Schweiz (2006)Footnote 1, das Vereinigte Königreich (2008), die USA (2010), Japan (2010), Deutschland (2013)Footnote 2, Frankreich (2017) und Thailand (2016) auf die deutlich gestiegene Bedeutung globaler Gesundheitsfragen mit einer nationalen globalen Gesundheitsstrategie (National Global Health Strategy, NGHS). Diese hat es Staaten ermöglicht, sich dem Ziel der Weltgesundheitsorganisation (World Health Organization, WHO) „Gesundheit für alle“ anzunähern, besser auf Krisen zu reagieren und die Kohärenz zwischen den verschiedenen Politikfeldern zu erhöhen (Kickbusch und Ramesh 2012, 3; Bergner und Voss 2020, 2). Mehrere andere Länder (z. B. Brasilien, China, Kamerun, Kanada, Norwegen, Schweden und Südafrika) haben spezifische Schwerpunktbereiche für ein proaktives Engagement in der globalen Gesundheitsdiplomatie festgelegt (Kickbusch et al. 2021a, 126).

Österreich verfügt zwar bis dato über keine NGHS, hat aber in mehreren Bereichen der GH, sowohl auf globaler als auch auf europäischer Ebene wichtige Akzente gesetzt. Der vorliegende Beitrag untersucht, wie Österreich in der GH-Politik gehandelt hat und welche Faktoren das Handeln Österreichs in diesem Politikbereich geprägt haben. Der Beitrag kommt dabei zu dem Befund, dass Österreich sich zwar auf vielen Ebenen und in zahlreichen Foren vielfältig und erfolgreich engagiert, bisher mangels einer integrierten, umfassenden NGHS seine Möglichkeiten aber noch nicht voll ausschöpft.

Das Thema GH als Teil der österreichischen Außenpolitik hat bis dato in der Forschung nur wenig Beachtung gefundenFootnote 3, wenngleich die wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Politikfeld „Gesundheit“ im Zuge der COVID-19-Pandemie einen merklichen Impuls erfahren hat. Ziel des gegenständlichen Beitrags ist es daher einerseits, die Querschnittsmaterie „GH“ stärker in das Blickfeld von Studierenden, Praktiker*innen und der interessierten Öffentlichkeit zu rücken und Interesse an diesem Fachgebiet zu wecken; andererseits versteht sich dieser Artikel bewusst auch als Anregung zur Diskussion über die Positionierung der GH im Rahmen der nationalen Regierungs- und Außenpolitik, einschließlich der Frage nach der Notwendigkeit und Machbarkeit einer NGHS.

Der Beitrag setzt sich in vier Schritten mit diesem Gegenstand auseinander: In einem ersten Schritt grenzt der Beitrag den Politikbereich Global Health ein. Danach beschreibt er in einem zweiten Schritt Österreichs Aktivitäten im Bereich der globalen Gesundheitspolitik, wobei er zunächst auf die Entwicklung des Themas in der österreichischen Politik und die innerstaatliche Kompetenzverteilung eingeht und sich danach Österreichs Engagement im Rahmen der WHO und der Europäischen Union (EU) widmet. In einem dritten Schritt befasst sich der Beitrag mit exogenen und endogenen Faktoren, die Österreichs Gesundheitsaußenpolitik beeinflusst haben. In einem vierten und letzten Schritt skizziert der Beitrag schließlich mögliche Maßnahmen zur Stärkung der österreichischen Gesundheitsaußenpolitik.

2 Globale Gesundheit und Gesundheitspolitik – Versuch einer Verortung

Auf institutioneller Ebene und in der Fachliteratur zu GH besteht Konsens darüber, dass es keine einheitliche Definition des Begriffs GH gibt (Bonk und Ulrichs 2021, 1; Europäische Kommission 2010, 2). Häufig wird auf die Definition von Koplan et al. (2009, 1995) zurückgegriffen, wonach in der GH

„die Verbesserung der Gesundheit und die Verwirklichung der gesundheitlichen Chancengleichheit für alle Menschen weltweit im Vordergrund stehen. GH legt den Schwerpunkt auf länderübergreifende Gesundheitsprobleme, -determinanten und -lösungen, bezieht viele Disziplinen innerhalb und außerhalb der Gesundheitswissenschaften mit ein und ist eine Synthese aus bevölkerungsbezogener Prävention und individueller klinischer Versorgung“.

Die globale Gesundheitsagenda beschäftigt sich mit einer großen Bandbreite an Themenbereichen und Problemstellungen, die z. B. von gesundheitlichen Ungleichheiten und den Auswirkungen des Klimawandels bis hin zum Marketing von gesundheitsschädlichen Produkten oder den global wirksamen Determinanten der Gesundheit handeln (Gräser 2018; Abubakar 2020, 1133–1134). GH kann sich somit sowohl auf regionale oder nationale gesundheitliche Ungleichheiten als auch auf grenzüberschreitende Probleme konzentrieren; „global“ ist in diesem Zusammenhang nicht als ein territorialer Begriff gemeint, sondern bezieht sich auf den Umfang der – sektorübergreifenden – Probleme (Koplan et al. 2009, 1994). GH geht auch weit über „gesundheitsbezogene Entwicklungszusammenarbeit“ (wie z. B. Verbesserung der Verfügbarkeit von sanitären Einrichtungen und sauberem WasserFootnote 4, etc.) hinaus, da die zunehmenden Interdependenzen, wie etwa die gesundheitlichen Auswirkungen des Klimawandels, die Veränderungen des globalen Lebensstils, die Auswirkungen des globalen Handels auf die Gesundheit oder antimikrobielle Resistenzen, ebenfalls zentrale Aspekte von GH darstellen (Aluttis et al. 2014, 4; Watts et al. 2020).

Der Begriff „GH“ ist von den Begriffen „Öffentliche Gesundheit“Footnote 5 (ÖG) und „Internationale Gesundheit“ (IG) abgeleitet, welche wiederum aus der Hygiene und der Tropenmedizin hervorgegangen sind. Dabei bezieht sich „Internationale Gesundheit“ stärker auf die Gesundheitspraktiken, – politiken und -systeme in anderen Ländern und betont mehr die Unterschiede zwischen den Ländern als ihre Gemeinsamkeiten (HM Government 2008, 5). Jüngst wurde dieses Begriffsfeld (GH, ÖG, IG) noch durch „Planetare Gesundheit“Footnote 6 ergänzt, die sich mit den Zusammenhängen zwischen der menschlichen Gesundheit, den politischen, ökonomischen, sozialen und globalen Ökosystemen befasst (Müller et al. 2018, 1751). Wie Brown et al. (2006, 62–72) anschaulich darlegen, begann die schrittweise Ablösung des Vorgängerbegriffs „Internationale Gesundheit“ durch den Begriff GH bereits in den 1990er-Jahren. Bereits in der 2. Hälfte der 2000er-Jahre, d. h. zwischen der Millenniumserklärung (2000) und der Agenda 2030 (2015), scheint dieser Prozess im Wesentlichen abgeschlossen gewesen zu seinFootnote 7. In der Millenniumserklärung verpflichteten sich die Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen zu einer neuen globalen Partnerschaft, um die extreme Armut zu verringern und bis 2015 acht Millenniums-Entwicklungsziele (MDGs) in Entwicklungsländern zu erreichen. Drei dieser acht Ziele waren unmittelbar gesundheitsbezogen.

Die 2015 daran anschließende Agenda 2030 fordert die Einbeziehung aller Länder und sozialen Schichten, folgt dem Nachhaltigkeitsgrundsatz und stellt eine wesentliche inhaltliche und konzeptionelle Weiterentwicklung gegenüber der Millenniumserklärung und den MDGs dar. Das Nachhaltige Entwicklungsziel 3 (SDG 3; „Gesundheit u. Wohlergehen für alle Menschen jeden Alters“) steht mit allen anderen SDGs in systemischer Wechselwirkung und ist sowohl Voraussetzung für als auch Ergebnis von wirtschaftlicher und sozialer Entwicklung. Von zentraler Bedeutung ist auch SDG 17 („Internationale Zusammenarbeit“), da es klarstellt, dass die Erreichung der SDGs eine gemeinsame, solidarische Aufgabe aller Staaten darstellt. In der Entwicklungspolitik entspricht dem oben genannten globalen Transformationsprozess von „Internationaler Gesundheit“ hin zu „Globaler Gesundheit“ der Wandel von „Entwicklungshilfe“ hin zur partnerschaftlich-partizipativen Entwicklungszusammenarbeit (EZA) „auf Augenhöhe“ (Maiwald 2012, 103; Sternik 2017, 23).

Da die GH-Politik mit fast allen Politikbereichen zusammenhängt, wird sie zu Recht als Querschnittsaufgabe gesehen. Die damit einhergehende Kohärenzproblematik, hier vor allem der Abstimmungsbedarf mit klassischen Politikfeldern der Außenpolitik wie der Sicherheits-, Entwicklungs-, Handels-, Menschrechts-, Umwelt-, Klima- und Agrarpolitik, ist eine Herausforderung und zugleich eine Chance für die GH als Politikfeld, das nach der herkömmlichen Theorie der internationalen Beziehungen der „niederen Politik“ (low politics) zugeordnet wird (Labonté und Gagnon 2010, 1). Wie alle Themen, die nicht direkt mit der Verteidigung gegen äußere Bedrohungen, wie Krieg, Terrorismus sowie geostrategischen Überlegungen zusammenhängen, fällt die öffentliche Gesundheit – ebenso wie die soziale Sicherheit, die Kultur oder die Wirtschaft – nicht in den Bereich der high politics (Keohane und Nye 1974; Fidler 2005; Youde 2016, 157). Durch die zunehmende Verzahnung von Sicherheits- und Gesundheitspolitik – vor allem im Zuge globaler Gesundheitskrisen wie HIV/Aids (1990er-Jahre), der SARS-Pandemie (2002/2003), der Ebola-Krise 2014 oder der aktuellen COVID-19-Pandemie (seit Anfang 2020) – wird die Bedeutung der Gesundheitssicherheit bzw. der GH für die „hohe Politik“ der nationalen Sicherheit in höherem Ausmaß als früher wahrgenommen. Mit Verweis auf globale Initiativen wie die Millenniumsentwicklungsziele – die inzwischen in die Ziele für nachhaltige Entwicklung übergegangen sind – und die verstärkten Investitionen in die Gesundheit als Schlüsselthema internationaler und nationaler Sicherheitsstrategien ordnen Davies (2010) sowie Kickbusch und Reddy (2015) die Gesundheit klar den high politics zu. In diesem Kontext argumentiert Fidler (2005, 180), dass „Gesundheit“ oft so behandelt wird, als sei sie „unpolitisch“ - ein Status, den er mit der vermeintlich technischen und humanitären Natur der Gesundheit erklärt. Gemäß WHO-Definition ist Gesundheit „ein Zustand völligen körperlichen, seelischen und sozialen Wohlbefindens und nicht nur das Freisein von Krankheit oder Gebrechen“Footnote 8.

Das schon seit den 1980er-Jahren zunehmende Interesse an der Verbindung zwischen GH und Außenpolitik fand u. a. in der „Erklärung von Oslo“ vom 20. März 2007 seinen Ausdruck (Amorim et al. 2007). Im Rahmen ihrer im September 2006 am Rande der UN-Generalversammlung gestarteten Initiative zu GH und Außenpolitik bekannten sich die Außenminister*innen Brasiliens, Frankreichs, Indonesiens, Norwegens, Senegals, Südafrikas und Thailands dazu, dass für sie Gesundheit zu einem zentralen außenpolitischen Thema geworden ist. Sichtbares Ergebnis dieses GH-Fokus in der Außenpolitik sind die seit 2008 alljährlich verabschiedeten Resolutionen der GV mit dem Titel „Global Health and Foreign Policy“Footnote 9.

Auch im UN-Sicherheitsrat (SC, Security Council) wurden seit 2000 immer öfter Themen besprochen, die einer erweiterten gesundheitspolitischen Sicherheitslogik folgen. 2014 rief der SC mit der „UN Mission for Ebola Emergency Response“ (UNMEER) die erste kollektive Gesundheitsmission der VN ins Leben. Zusätzlich zum Bezug zu Frieden, Stabilität und Sicherheit (u. a. von humanitärem Personal) betonen die Resolutionen mit Gesundheitsbezug in letzter Zeit verstärkt auch Aspekte wie Prävention, den Aufbau resilienter Gesundheitssysteme und die Bedeutung kollektiven Handelns in diesen Bereichen (Gulati und Voss 2019).

Mit der außenpolitischen Trendwende hin zu umfassenderen Ansätzen ging auch die Verbindung von Menschenrechts- und Gesundheitspolitik einher. Es geht dabei um die Verwirklichung des „Rechts auf das erreichbare Höchstmaß an körperlicher und geistiger Gesundheit“ (kurz „Recht auf Gesundheit“) sowie der sozialen Gerechtigkeit. Durch die Berücksichtigung der sozialen Determinanten der GesundheitFootnote 10 werden Regierungen für ihr Handeln in Bezug auf gesundheitliche Ungleichheit in die Verantwortung gezogen (Stronks et al. 2016).

Internationale Gesundheitspolitik findet in einem komplexen globalen Mehrebenensystem statt, dessen prominentester nicht-staatlicher Akteur die WHO ist. Parallel zur WHO agiert in der GH aber auch eine stetig wachsende Anzahl mehr oder weniger vernetzter Organisationen, Nichtregierungsorganisationen (NRO), weltweit tätiger Pharmaunternehmen und philanthropischer Stiftungen (McInnes et al. 2019; sowie Kickbusch et al. 2021). Auch die Europäische Union hat sich zusehends als Akteur in diesem Politikbereich etabliert und engagiert. Ausgehend von Vertrag von Maastricht, der öffentliche Gesundheit stärker zum Gegenstand der europäische Integration gemacht hat (Emmerling und Rys 2016), haben sich die Strukturen der EU in diesem Bereich im Laufe Zeit, unter anderem als Reaktion auf die BSE-Rindfleischkrise im Jahr 1996, weiterentwickelt (Kickbusch und Franz 2020, 8)Footnote 11. Außerdem gibt es einige große staatliche Einrichtungen, die als globale Akteure auftreten, wie z. B. die United States Agency for International Development (USAID), die National Institutes of Health (NIH) oder die Centers for Disease Control and Prevention (CDC).

Die WHO spielt auf dieser „überfüllten Bühne“ (Frenk und Moon 2013, 937) zwar eine wichtige Rolle, sieht sich aber einer stetig zunehmenden Konkurrenz ausgesetzt und verfügt im Vergleich zu anderen Akteuren, wie der Weltbank oder dem Globalen Fonds zur Bekämpfung von AIDS, Tuberkulose und Malaria (GFATM), über deutlich geringere finanzielle Ressourcen. Insgesamt bringt diese Akteursvielfalt im Bereich der GH auf der einen Seite zwar mehr Ressourcen, Expertise und Handlungsalternativen in die globale Gesundheitspolitik, auf der anderen Seite entstehen dadurch aber auch Kompetenzstreitigkeiten, erhebliche Koordinationsprobleme und Effizienzverluste, die nicht zuletzt die Zielländer vor zusätzliche Schwierigkeiten stellen (Hein 2006, 5; Sondermann 2020).

3 Österreichs als Akteur in der Globalen Gesundheitspolitik

3.1 Entwicklungslinien, Kompetenzen und Kooperationsformen

In der Nachkriegszeit und den ersten Jahrzehnten nach dem 2. Weltkrieg lag das Hauptaugenmerk der österreichischen Außenpolitik (einschließlich ihrer gesundheitspolitischen Komponenten) auf der umfassenden Integration Österreichs in die neuen Strukturen auf Ebene der VN, der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit (OECD), des Europarats und der EFTA sowie auf dem Abschluss bilateraler GesundheitsabkommenFootnote 12 in Form von Staatsverträgen. Determinanten der gesundheitsbezogenen grenzüberschreitenden bzw. außenpolitischen Aktivitäten Österreichs sind zum einen das regionale Umfeld (Nachbarstaaten, Cross-Border Kooperationen) und zum anderen Österreichs Mitgliedschaft und Mitarbeit in IOs und multilateralen Netzwerken. Ein besonderer Fokus liegt hier naturgemäß auf der Mitgliedschaft Österreichs in der WHO sowie gesundheitsbezogenen Aspekten seiner Mitgliedschaft in der Europäischen Union.

Das gegenständliche Kapitel ist der Versuch einer Bestandsaufnahme – ohne jeden Anspruch auf VollständigkeitFootnote 13 – der gesundheitsbezogenen grenzüberschreitenden bzw. außenpolitischen Aktivitäten Österreichs seit 1945. Diese ergaben sich aus Mitgliedschaften in internationalen Organisationen, Österreichs Nachbarschaftspolitik, seinen bilateralen Kontakten, seinen Bemühungen im Rahmen der EZA und seiner Teilhabe an diversen multilateralen Foren. Die Darstellung der hier erkennbar werdenden Fülle an unterschiedlichen Handlungssträngen, Foren, Netzwerken und Einzelmaßnahmen mit GH-Bezug soll verdeutlichen, wie umfangreich und anspruchsvoll dieses breite, sektorüberschreitende Aufgabengebiet ist und dazu beitragen, die potenzielle Zweckmäßigkeit einer gesamthaft koordinierten österreichischen „Gesundheitsaußenpolitik“ bzw. einer nationalen österreichischen GH-Strategie besser zu erkennen.

Seit den letzten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts und verstärkt seit den 1990er-Jahren ist die wachsende Bedeutung gesundheitsbezogener Themen im Rahmen der Außenpolitik auch an der intensivierten österreichischen diplomatischen Entsendungspolitik im Gesundheitsbereich erkennbar. So werden Österreichs Interessen gegenüber der EU seit dem Beitritt im Jahr 1995 von Gesundheitsattachés (Veterinärwesen, Lebensmittelsicherheit, öffentliche Gesundheit und Verbrauchergesundheit) an der Ständigen Vertretung Österreichs bei der EU in Brüssel wahrgenommen. Ähnliches gilt sinngemäß auch für die Entsendung von Gesundheitsattachés durch das Gesundheitsministerium (seit 2005) an die Österreichische Vertretung bei den VN und Sonderorganisationen in Genf.

Neben dem in fachlichen Fragen federführenden Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz (BMSGPK) und dem für EZA und humanitäre Hilfe zuständigen Bundesministerium für Europa, Integration und Äußeres (BMEIA) sind unter den behördlichen Akteur*innen der grenzüberschreitenden Gesundheitspolitik in Österreich seitens des BMSGPK auch die Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit GmbH (AGES), die 2002 gegründet wurde, und die Gesundheit Österreich GmbH (GÖG; das österreichische Public Health-Institut), sowie seitens des BMEIA die Austrian Development Agency (ADA), die Agentur der Österreichischen Entwicklungszusammenarbeit, zu nennen.

Die AGES-MEA (Medizinmarktaufsicht der Agentur) ist eines der sechs strategischen Geschäftsfelder der AGES, welche wiederum eine der führenden Expert*innenorganisationen Europas für die Sicherheit von Lebensmitteln, Arzneimitteln, Medizinprodukten sowie Tiergesundheit, öffentliche Gesundheit, Strahlenschutz und Ernährungssicherung ist. Die AGES-MEA handelt im Auftrag des Bundesamtes für Sicherheit und Gesundheit (BASG) und spielt u. a. im Rahmen der EMA bei der Zulassung von Impfstoffen und Therapeutika eine wesentliche Rolle.

Die GÖG wurde 2006 als GmbH gegründet und ist u. a. auch mit der Führung der nationalen Kontaktstelle für die grenzüberschreitende Gesundheitsversorgung beauftragt. Beide Institutionen entsenden u. a. Expert*innen in diverse Arbeitsgruppen und Agenturen, etwa im Rahmen der EU und des Europäischen Direktorats für die Qualität von Arzneimitteln und Gesundheitsfürsorge (EDQM) des Europarats in StraßburgFootnote 14. Die GÖG beheimatet auch zwei der vier WHO-Kollaborationszentren, nämlich jenes für pharmazeutische Preisgestaltung und Erstattungspolitik, sowie jenes für Gesundheitsförderung in Krankenhäusern und im Gesundheitswesen. Weitere österreichische WHO-Kollaborationszentren sind das Zentrum für evidenzbasierte Medizin an der Donau-Universität Krems und das Zentrum für Pflegeforschung und -ausbildung an der Paracelsus Medizinischen Privatuniversität Salzburg.Footnote 15 Als für Gesundheitsangelegenheiten zuständiges Fachressort ist das BMSGPK haushaltsrechtlich auch für die Zahlung des österreichischen Pflichtbeitrags zur WHO zuständig. Darüber hinaus ist im Kontext der GH erwähnenswert, dass im Bundesbudget für 2021 insgesamt 10 Mio. veranschlagt wurden, die ausschließlich dem BMSGPK für Projekte und Vorhaben im europäischen und internationalen Kontext zur Bewältigung der gesundheitlichen und sozialen Folgen von COVID 19 und zur Unterstützung vulnerabler Gruppen zur Verfügung standenFootnote 16.

Die übergeordneten Ziele der ADA sind die Verminderung der Armut, die Sicherung des Friedens und der Schutz der Umwelt. Schwerpunkte der österreichischen Entwicklungszusammenarbeit (OEZA) sind u. a. die Einbeziehung des Privatsektors, die Gleichstellung der Geschlechter, die menschliche Sicherheit und die Unterstützung mehrerer SDGs. Gesundheit stellt allerdings keinen inhaltlichen Schwerpunkt der ADA dar, wenngleich sie von der ADA – neben internationaler humanitärer Hilfe, entwicklungspolitischer Bildungsarbeit in Österreich sowie Beschäftigung und Sozialschutz – als „weiterer wichtiger Aktionsbereich“ angeführt wird. Gesundheitsrelevante Projekte werden im Rahmen der österreichischen „Gesundheitsaußenpolitik“ vor allem durch das BMEIA im Wege der humanitären Hilfe und der EZA unterstützt. Der gesundheitspolitische Fokus liegt hier u. a. auf SDG 6 (Sauberes Wasser und Sanitärversorgung)Footnote 17. Die Mittel für humanitäre Hilfe vor Ort wurdewurden2020 auf mehr als 50 Mio. EUR jährlich verdoppelt und sollen bis längstens 2024 auf 60 Mio. EUR jährlich weiter erhöht werden. Zusätzlich wurde 2020 ein*e Sonderbeauftragte*r für humanitäre Hilfe ernannt und der Auslandskatastrophenfonds sowie die Basisförderung für den Hohen Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen (UNHCR) gegenüber 2019 vervierfacht (BMEIA 2020).

Mit GH-Themen befasste Bundesministerien (BM) sind des Weiteren das BM für Digitales und Wirtschaft (BMDW), das für Programme gesundheitsrelevanter EZA zuständig ist, das BM für Bildung und Forschung (BMBF; GesundheitsforschungFootnote 18 u. internationale Forschungsnetzwerke), das BM für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie (BMK) und das Bundesministerium für Finanzen (BMF), das Österreich in den Internationale FinanzinstitutionenFootnote 19 vertritt, im Wege der Österreichischen Kontrollbank Soft Loan-FinanzierungenFootnote 20 zur Realisierung nachhaltiger, österreichischer Projekte in ausgewählten Entwicklungsländern vergibt und insgesamt fast zwei Drittel der öffentlichen österreichischen EntwicklungshilfeleistungenFootnote 21 verwaltet.

Grenzüberschreitend wird Gesundheitspolitik schließlich auch auf den seit 2013 jährlich stattfindenden und als „Gesundheitsquintett“ bezeichneten Treffen der deutschsprachigen Gesundheitsminister*innen beraten und z. T. auch koordiniert. Andere Foren nachbarschaftlicher Kooperation im Gesundheitsbereich sind die Ländergruppe „Central 5“ (Slowakei, Slowenien, Tschechien, Österreich und Ungarn) und die Beneluxa-Initiative (Belgien, Niederlande, Luxemburg, Irland, Österreich), die sich u. a. um eine Verbesserung der Transparenz bei der Kostenentwicklung und Preisgestaltung von Arzneimitteln bemüht. Ausdruck des öffentlichen Interesses an grenzüberschreitenden Gesundheitsthemen ist schließlich auch das seit 1998 alljährlich durchgeführte Europäische Gesundheitsforum Gastein (European Health Forum Gastein, EHFG), das Expert*innen aus Politik, Wissenschaft, Wirtschaft und Zivilgesellschaft zu hochrangigen Diskussionen zusammenführt.

3.2 Gesundheitspolitik im Rahmen der WHO

Österreich war WHO-Mitglied der ersten Stunde, da es schon 1947 die Ratifikationsurkunde beim Generalsekretär der VN hinterlegt hatte, und somit der Sonderorganisation der VN schon mehr als sieben Jahre früher beitreten konnte als – erst Ende 1955 – den VN selbst. Österreich wirkt seither aktiv an der Arbeit in den diversen Gremien der WHO sowie seit dem EU-Beitritt in der EU-Koordination (Genf, New York, etc.) mit und hat in den letzten Jahren dabei u. a. auf die Themen Ausbau der primären Gesundheitsversorgung, Frauengesundheit, Augenheilkunde, Gesundheitskompetenz, Stärkung der Gesundheitssysteme und des Gesundheitspersonals, Mundgesundheit, Digitale Gesundheit, Verbesserung bei sowie Vorbeugung und Behandlung von Gebärmutterhalskrebs und die Verwirklichung des Rechts auf Gesundheit (einschließlich psychischer Gesundheit und der Verwirklichung sexueller und reproduktiver Gesundheit und Rechte) besonderen Wert gelegt. Viele dieser Punkte finden sich auch in den Kapiteln „Gesundheit“ und „Frauen“ des Regierungsprogramms 2020–2024 „Aus Verantwortung für Österreich“ (BKA 2020a, 185–192).

Zu den im Laufe der Jahre von Österreich im Rahmen seiner aktiven Mitarbeit in den Lenkungsgremien der WHO (Genf) erzielten Erfolgen gehören u. a. eine wichtige Katalysator-Finanzierung zur Eliminierung der Drakunkulose (Medinawurm-Krankheit), die dazu beigetragen hat, dass die Zahl der an dieser Parasitose Erkrankten von ca. 3,5 Mio. Fällen in 20 Ländern Mitte der 1980er-Jahre auf nur mehr 27 Fälle in 6 afrikanischen Ländern zurückgegangen (2020) ist; weiters der erfolgreiche Abschluss der schwierigen Verhandlungen zur Verabschiedung der „Erklärung von Astana zur Primären Gesundheitsversorgung“ während der österreichischen Ratspräsidentschaft im 2. Halbjahr 2018, oder etwa die Verabschiedung einer Resolution über die Entwicklung eines globalen Aktionsplans zur Verbesserung der Prävention und Therapie von Epilepsie u. a. neurologischer StörungenFootnote 22 im Herbst 2020.

Als Zeichen seiner globalen Solidarität hat Österreich 2020 ACT-A, die Allianz zur Bewältigung der COVID-19-Pandemie, mit 2 Mio. EUR bzw. rund 2,2 Mio. US$ unterstützt. Weitere 2,4 Mio. EUR (ca. 2,7 Mio. US$) leistete Österreich 2020 an GAVI – Die Impfallianz zur Dotierung der COVID-19-Impfstoffinitiative COVAX. Dieser Betrag wurde im Juni 2021 um zusätzliche 2,6 Mio. EUR (ca. 2,94 Mio. US$) und im Dezember 2021 um weitere 2,5 Mio. EUR auf insgesamt 7,5 Mio. EUR erhöht.

Auf Ebene der WHO-Region Europa wäre unter den wichtigen österreichischen Beiträgen u. a. seine Rolle als Förderer des Europäischen Observatoriums für Gesundheitssysteme und Gesundheitspolitik zu nennen, einer öffentlich-privaten Partnerschaft, die die europ. Gesundheitssysteme analysiert, vergleicht und bewertet. Das BMSGPK unterstützte 2020 den WHO-Notfallfonds (CFE)Footnote 23 mit 300.000 EUR, sowie ein mehrjähriges WHO-Projekt zur Unterstützung der Entwicklung und des Einsatzes neuer antimikrobieller Mittel, und verschiedene kleinere Projekte in Moldawien u. in der Ukraine (Tbc-Bekämpfung, Traumabehandlung, etc.).

Im Rahmen seiner WHO-Mitgliedschaft war Österreich von 1989 bis 1991 Mitglied des Exekutivrats und übt diese Funktion gegenwärtig (2019–2022) erneut aus. Zu den aktuellen Zielen des österreichischen Engagements gehören hier einerseits die Stärkung der WHO selbst und andererseits eine Aufwertung und Stärkung des Exekutivrats. Zu den markanten aktuellen Ereignissen der externen österreichischen Gesundheitspolitik im Zusammenhang mit der WHO zählen schließlich auch seine aktive Unterstützung der Wiederwahl von WHO-Generaldirektor Tedros Adhanom Ghebreyesus bei seiner Nominierung im Herbst 2021 und Österreichs Mitgliedschaft in der „Gruppe der Freunde eines Pandemievertrags“. Die letztgenannte Initiative zielt darauf ab, die weltweite Pandemie-Prävention, -Bereitschaft und -Reaktionsfähigkeit durch eine Verbesserung der internationalen rechtlichen Rahmenbedingungen zu stärken.

3.3 Gesundheitspolitik im Rahmen der EU

Die Einbindung Österreichs in die europäischen Entscheidungs- und Rechtssetzungsprozesse findet auf mehreren Ebenen und in zahlreichen Ratsarbeitsgruppen, Ausschüssen, Foren und Gremien statt. Die gesundheitspolitischen Zielsetzungen werden dabei von der EU-Kommission in den Jahres- und Gesundheitsprogrammen sowie von den amtierenden Ratspräsidentschaften vorgegeben. So konnte Österreich z. B. im Rahmen seines zweiten Ratsvorsitzes (1. Halbjahr 2006) erfolgreich die Sicherung und Erweiterung zugelassener Arzneimittel mit pädiatrischer Indikation für Kinder und Jugendliche im Alter von 0–17 JahrenFootnote 24 und die verstärkte gemeinsame Bekämpfung seltener Krankheiten („Rare Diseases“) vorantreiben.Footnote 25 Als einer der Erfolge während der jüngsten Ratspräsidentschaft (2. Halbjahr 2018) kann u. a. das Voranbringen des Verordnungsvorschlags über die Bewertung von Gesundheitstechnologien gewertet werden.Footnote 26 Ebenso spielt Österreich eine aktive Rolle in der EU-Drogenpolitik (z. B. WHO Rahmenabkommen zur Einschränkung des Tabakkonsums) und stellt seit Ende 2021 den Präsidenten des Verwaltungsrats der Europäische Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht (EBDD, Lissabon); zudem ist Österreich im Leitungsgremium der Europäischen Agentur für Lebensmittelsicherheit, das aus 15 Verwaltungsmitgliedern besteht, vertreten.

Als weitere Erfolgsbeispiele können die maßgebliche Mitgestaltung der Verordnungen über MedizinprodukteFootnote 27 und In-vitro-DiagnostikaFootnote 28 genannt werden, wodurch u. a. eine Erhöhung der Patientensicherheit erreicht wurde, sowie die Bemühungen um die Einführung des sogenannten „Patient Blood Management“ (PBM), bei dem es um ein multidisziplinäres und patientenzentriertes Behandlungskonzept geht (Europäische Kommission 2017). Die WHO-Resolution „Verfügbarkeit, Sicherheit und Qualität von Blutprodukten“ (WHO 2010) kann als ein wichtiges Ergebnis der initialen Arbeiten Österreichs auf diesem Gebiet hervorgehoben werden. 2021 beauftragte die WHO ein Expert*innengremium (mit österreichischer Beteiligung) mit der Entwicklung einer internationalen Leitlinie für das PBM.

Im Kontext der COVID-19 Pandemie bildet das „Team Europa“Footnote 29einen einheitlichen Aktionsrahmen, für das gesamte auswärtige gesundheitspolitische Handeln bzw. die Gesundheitsdiplomatie der EU. Bereits am 19. Januar 2021 hat die EU die EU-Mitgliedstaaten in einer Mitteilung „A united front to beat COVID-19“Footnote 30 dazu aufgerufen, Drittstaaten, insbesondere EU-Partnerländer am Westbalkan, südliche und östliche Nachbarschaftsländer und Afrika – durch den „EU Vaccine Sharing Mechanism“ bei der Beschaffung von Impfstoff zu unterstützen.

Aufbauend auf dem Weltgesundheitsgipfel der G20 und der Europäischen Kommission in Rom vom Mai 2021 und dem G20-Gipfel in Rom vom Oktober 2021 bekräftigte EU-Kommissionpräsidentin Von der Leyen auf der 2. Sondertagung der Weltgesundheitsversammlung (vom 29.11.–01.12.2021)Footnote 31 das Engagement der EU für multilaterale Zusammenarbeit und Solidarität. Um das weltweite Impfziel von 70 % im Jahr 2022 zu erreichen will die EU bis Mitte 2022 mindestens 700 Mio. Impfstoffdosen für Länder mit niedrigem und mittlerem Einkommen bereitstellen. Österreich nahm im Auftrag der EU-Kommission am Westbalkan eine Koordinierungsfunktion für die Verteilung von Impfstoffdosen an insgesamt sechs Balkanstaaten ein. Darüber hinaus hat es eigene gesetzliche Grundlagen geschaffen, um vereinfacht Impfstoffdosen an Zielländer (u. a. an Albanien, Armenien, Georgien, Kosovo, Moldau, Nordmazedonien, Usbekistan und Tadschikistan, Palästina, Bhutan, Äthiopien, Burkina Faso, Mozambik und Uganda, Costa Rica, Vietnam und Bangladesch) zu spenden.

Die Höhe der österreichischen COVID-19-Impfstoffspenden betrug bis November 2021 bereits mehr als drei Millionen Impfdosen, wovon eine Million über COVAXFootnote 32 und ca. 2,15 Mio. bilateral gespendet wurden. Zusätzlich wurden von Österreich zuletzt knapp 1 Million Impfdosen des Herstellers Johnson & Johnson an COVAX übergeben und durch UNICEF in Afghanistan, Burkina Faso und auf den Philippinen verteiltFootnote 33. Auch im EU-Netzwerk der Zulassung von pandemischen Impfstoffen und Arzneimitteln kann Österreich eine erfolgreiche Bilanz ziehen. AGES-MEA, die Medizinmarktaufsicht der Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit, liegt im EU-Spitzenfeld, wie aus dem jüngsten Jahresbericht der EMA hervorgeht. Daher ist es auch kein Zufall, dass die AGES und das Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen in großem Umfang ChargenprüfungenFootnote 34 von COVID-19-Impfstoffen für den gesamten EU/EWR-Raum durchführen.

Basierend auf den LehrenFootnote 35, die die EU-27 aus dem bisherigen Verlauf der COVID-19-Pandemie gezogen haben, bekräftigte auch Österreich im Februar 2021 im Rahmen des Europäischen Rates seine Entschlossenheit, durch Stärkung der Weltgesundheitsorganisation und die Arbeit an einem internationalen Vertrag über Pandemien im Rahmen der WHO die globale Gesundheitssicherheit zu fördernFootnote 36 (Nikogosian 2021). Als Mitglied der Freundesgruppe des PandemievertragsFootnote 37, warnte Österreich vor einem Mangel an Low-Tech-Produkten wie Spritzen und Sauerstoff in der Pandemiebekämpfung und setzt sich dafür ein, einen “Ständigen Ausschuss für Prävention, Vorsorge und Reaktion bei gesundheitlichen Notfällen” als Unterkomitee des Exekutivrates einzurichten.

4 Exogene und endogene Faktoren der österreichische GH- bzw. Gesundheitsaußenpolitik

Sowohl eine Analyse der Verwaltungspraxis als auch der einschlägigen Rechtsgrundlagen in Österreich zeigt, dass „Gesundheit“ bzw. Gesundheitsvorsorge und -sicherheit in Österreich weiterhin im Allgemeinen fast ausschließlich als innerstaatliche Angelegenheit betrachtet werden. Belege dafür sind u. a. die Nichterwähnung von Außenpolitik in österreichischen Publikationen zu „Health in All Policies“Footnote 38 (Gesundheit Österreich 2017) oder z. B. auch der österreichische Umsetzungsbericht zu den SDGs (BKA 2020b), der das zentrale SDG 17 „Internationale Zusammenarbeit“ nur sehr knapp kommentiertFootnote 39. Es existiert bisher auch keine kompetenzrechtliche Regelung, mit der GH allgemein als grenzüberschreitende, gesundheitsbezogene Zuständigkeit explizit erfasst und einem oder mehreren Bundesministerien zugeordnet wird. Interessant ist dieses Fehlen einer expliziten GH-Kompetenz auch im Hinblick auf das außenpolitische Profil Österreichs in anderen Bereichen, wie etwa der Sicherheitspolitik, der Abrüstung und Rüstungskontrolle oder der Menschenrechte und humanitären Hilfe.Footnote 40

Gesundheit stellt zwar keinen Schwerpunkt der Österreichischen Entwicklungszusammenarbeit dar (ADA 2009, 5), findet aber als Unterpunkt des thematischen Schwerpunkts Nr. 1, „Armut beseitigen – Grundbedürfnisse decken“ mehrfach Erwähnung. Im „Dreijahresprogramm der österreichischen Entwicklungspolitik 2019 bis 2021“ des BMEIA (BMEIA 2018) werden allerdings in diesem Kontext im Vorwort als gesundheitsbezogene Themen Frauengesundheit und Familienplanung hervorgehoben. Obwohl in diversen Veröffentlichungen der ADA Gesundheit als „Grundvoraussetzung für nachhaltige Entwicklung“ bezeichnet und betont wird, dass sich von den 17 SDGs „mehr als ein Dutzend auf Gesundheit beziehen“ und es – seit Mitte der 1980er-Jahre (ADA 2009, 5) – zahlreiche beeindruckende gesundheitsbezogene OEZA-Projekte gibtFootnote 41, bestätigt eine Analyse der ADA-Geschäftsberichte und ähnlicher Dokumente doch klar die einleitende Feststellung, dass es sich bei der Gesundheit um keinen prioritären Bereich der OEZA handelt. In Zahlen ausgedrückt lässt sich das z. B. daran ablesen, dass die bilateralen OEZA-Mittel der ADA für den ODA-Sektor „Gesundheit“Footnote 42 seit 2006 von 6,37 Mio. EUR bzw. 6,7 % der gesamten bilateralen OEZA-Mittel (i. H. v. 95,1 Mio. EUR) bis 2020 auf 2,51 Mio. EUR bzw. 2,35 % der gesamten bilateralen OEZA-Mittel (i. H. v. 107,20 Mio. EUR) zurückgegangen sindFootnote 43. Ebenso finden sich im Dreijahresprogramm der österreichischen Entwicklungspolitik unter der Überschrift „Gesamtstaatlichkeit und Politikkohärenz“ (BMEIA 2018, 8) zwar Hinweise auf eine Reihe von Strategien anderer RessortsFootnote 44, aber kein Bezug zum Gesundheitsministerium bzw. BMSGPK.

Besonders augenfällig wird dieser Unterschied im Herangehen an das Thema GH nicht nur im Vergleich mit den Nachbarländern Schweiz und Deutschland, sondern z. B. auch im Vergleich mit dem ebenfalls neutralen EU-Mitgliedsland Schweden, das das Land mit den höchsten GH-Ausgaben pro Kopf weltweit istFootnote 45 und diesen massiven Ressourceneinsatz auf dem Gebiet der GH als essenziellen Teil des „Sverigebilden“ betrachtet, d. h. des Bildes, das die Welt sich von Schweden macht (Irwin 2019, 1).

In der einschlägigen Fachliteratur wird der nachgeordnete Stellenwert gesundheitlicher Themen im Rahmen der Außenpolitik u. a. mit der Zuordnung zu den low politics argumentiert. Die Dynamik des Politikfelds „Gesundheit“ zeigt aber deutlich, dass vor allem im Zuge von akuten Gesundheitskrisen der Politikbereich „Gesundheit“ – zumindest so lange die Krise andauert – in die high politics aufsteigt (Youde 2016; McInnes et al. 2019).

Weitere mögliche Gründe könnten in einer Rückkoppelung mit der Ausgestaltung der akademischen Landschaft liegen. So befinden sich in der Schweiz sowie auch in allen anderen Staaten, die ein ausgeprägtes GH-Engagement aufweisen, zahlreiche Universitäten, Think Tanks und andere akademische Einrichtungen, die über ein klares GH-Profil verfügen.

Weitere mögliche Faktoren wären ein Unterschied im Ausmaß der innerstaatlich wirksam werdenden wirtschaftlichen Interessen, so gehören sowohl die Schweiz als auch Deutschland zu den „Exportweltmeistern“ und sind Sitz einer beträchtlichen Zahl an weltweit agierenden Großunternehmen bzw. Konzernen (Pharmaindustrie, Medizintechnik, etc.), die durch gezieltes Lobbying hre Interessen innerstaatlich wahrscheinlich besser zur Geltung bringen können, als dies bei der - überwiegend aus Klein- und Mittelbetrieben bestehenden - österreichischen Exportwirtschaft der Fall sein dürfte.

Nicht zu vergessen ist schließlich auch die Tatsache, dass die österreichische Außenpolitik der letzten Jahrzehnte zum einen vorrangig mit der Vorbereitung und Durchführung des EU-Beitritts sowie in den Folgejahren mit den daraus erwachsenden Anpassungs- und Umsetzungsmaßnahmen beschäftigt war und dass Österreich zum anderen einen klaren außenpolitischen und auch außenwirtschaftspolitischen Fokus auf die Länder in der östlichen und südöstlichen NachbarschaftFootnote 46 gelegt hat und dort, z. B. im Zusammenhang mit der EU-Osterweiterung, auch ausgesprochen erfolgreich agiert hat.

Im Hinblick auf die von zahlreichen Wissenschaftler*innen wiederholt geforderte Formulierung und Verabschiedung einer GH-Strategie der EU (Kickbusch und Franz 2020; Speakman et al. 2017; Save the Children Europe et al. 2020; Steurs et al. 2018) und der Tatsache, dass im Programm des französischen Ratsvorsitzes (1. Halbjahr 2022)Footnote 47 als Ziel ausdrücklich „die Stärkung der EU-Maßnahmen im Gesundheitsbereich und ihrer Beiträge zur globalen Gesundheitsstrategie in Zusammenarbeit mit anderen internationalen Gremien“ erwähnt wird, wäre es vorteilhaft, wenn mehr EU-Mitgliedstaaten als bisher eine NGHS entwickeln würden, da sie diese Strategien und ihre Erfahrungen damit dann in die Diskussion über eine Stärkung der Rolle der EU in der Global Health Governance und über die Entwicklung einer integrierten europäischen GH-Strategie einbringen könnten.

5 Handlungsempfehlungen

Aus den Ergebnissen dieses Beitrags lassen sich abschließend mehrere Handlungsempfehlungen für eine nachhaltige Positionierung der österreichischen Gesundheitsaußenpolitik ableiten. Zunächst könnte, einen Vorschlag von Cede und Prosl (2015, 288) aufgreifend, sollte das Außenministerium als „österreichisches Barometer“ für die wichtigsten internationalen Entwicklungen fungieren und systematische Analysen der globalen Trends erstellen und veröffentlichen. Im Politikbereich Global Health könnten solche Analysen auch Fragen nach den Ursachen der Corona-Krise und entsprechende Schlussfolgerungen umfassen und in der Folge unter Umständen auch in Österreich zu einer grundlegenden Neubewertung der Themen „Außenpolitik und Gesundheit“ und „Globale Gesundheit“ führen.

Wie im Beitrag ausgeführt, könnten sich diese Schlussfolgerungen u. a. auf den Ausbau institutioneller und personeller Kapazitäten, die budgetäre Aufstockungen GH-relevanter Budgets (Bergner et al. 2020) bzw. deren Schaffung, sowie auf die Konzeption einer integrierten, sektorübergreifenden NGHSFootnote 48 beziehen. Sollte sich dieser EntwicklungsschrittFootnote 49 als machbar erweisen, so könnte er auch von einer Spezialisierungsinitiative zur Aus- bzw. Weiterbildung für Expert*innen die in diesem Bereich im Rahmen der öffentlichen Verwaltung tätig sind, begleitet werden (Kickbusch et al. 2007a, b). Eine Möglichkeit dafür wäre z. B. eine Art von „Global Health Curriculum“ in dem Mitarbeiter*innen der verschiedenen mit dieser Materie befassten Bundesministerien, Agenturen, Behörden und sonstige Dienststellen einschlägiges Fachwissen und Fertigkeiten im Sinn von „Global Health Diplomacy“, etwa im Rahmen mehrerer mehrtägiger Module, vermittelt werden. Ein weiterer Entwicklungsschritt könnte in der Folge auch darin bestehen, dass Expert*innen, die auf diesem Gebiet im Inland (Bundesministerien, ADA, etc.) oder Ausland (Genf, Brüssel, New York, etc.) arbeiten, zur Erhaltung und Weiterentwicklung ihrer GH-Qualifikation Teil eines Fachkräfte-Pools werden, aus dem Gesundheitsattaché-Stellen u. ä. Positionen gleichsam rotierend besetzt werden könnten. Das könnte auch dazu beitragen, die oft festgestellten Kommunikationsbarrieren zwischen den diversen GH-Standorten zu überwinden. Andere HR-bezogene Maßnahmen könnten z. B. die Nutzung von Expert*innen-Austauschmöglichkeiten mit GH-Dienststellen anderer EU-Mitglied- oder EWR-Staaten sein, um so voneinander lernen und Erfahrungen austauschen zu können, die Schaffung von Junior Professional Officer (JPO)Footnote 50-Stellen in GH-Organisationen wie der WHO, oder die Förderung von Traineeships und Secondments in solchen Organisationen.

Schließlich könnte im Zuge der oben angesprochenen Analyse und Bewertung darauf eingegangen werden, ob und inwieweit eine generelle österreichische Beteiligung – zusätzlich zum Engagement im Rahmen der EU – an GH-Organisationen von globaler Bedeutung wie dem Globalen Fonds, GAVI oder UNAIDS allenfalls doch von nationalem Interesse sein könnte. In Analogie zu den im In- und Ausland anerkannten und geschätzten, internationalen friedensunterstützenden und humanitären Auslandseinsätzen des österreichischen Bundesheeres, die einer aktiven österreichischen Neutralitäts-, UN- und Sicherheitspolitik dienen, könnte ein schrittweiser Ausbau des österreichischen GH-Engagements als wertvoller Beitrag zur nationalen Sicherheit, zu einer gelebten internationalen Solidarität und als wesentlicher Bestandteil des Österreich-Bildes in der Welt verstanden und langfristig konzipiert werden. Dies würde nicht zuletzt auch der Kohärenz zwischen der österreichischen Gesundheitsaußenpolitik und der engagierten und profilierten österreichischen Politik auf dem Gebiet der Menschenrechte, der Abrüstung und der humanitärer Hilfe zugutekommen.

Gesundheitspolitisch würde ein Ausbau der Kooperation mit der WHO den Nutzen, den Österreich aus seiner WHO-Mitgliedschaft zieht – in Analogie zu den diesbezüglichen Überlegungen zur österreichischen EU-Mitgliedschaft – mit hoher Wahrscheinlichkeit noch weiter steigern, da schließlich „kein Gesundheitssystem so perfekt ist, dass es nicht noch besser werden könnte.“Footnote 51 Auch wirtschaftspolitisch spricht Vieles für eine bessere Vernetzung der österreichischen Anbieter*innen von gesundheitsbezogenen Produkten und DienstleitungenFootnote 52 in Form einer österreichischen GH-Plattform nach den Mustern der Schweiz und Deutschlands. Die eigenen Stärken könnten so besser genützt und synchronisiert werden, u. a. im Zusammenhang mit EZA- oder auch GH-Forschungsprojekten auf nationaler oder europäischer Ebene. Nicht zuletzt die digitale Transformation im Gesundheitsbereich bedarf einer guten Koordination und Steuerung (Kickbusch et al. 2019)Footnote 53. Die WHO ermöglicht mit ihrer digitalen Gesundheitsstrategie einen Bezugsrahmen für zahlreiche globale Initiativen. Auch mehrere bilaterale Partner (USAID, GIZ, NORADFootnote 54, SIDAFootnote 55) haben inzwischen spezielle Abteilungen für den Bereich der digitalen Transformation eingerichtet.

Angesichts der uns alle betreffenden unmittelbaren Relevanz des Themas globale Gesundheit scheint die Zeit gekommen zu sein, „Global Health“ auch im öffentlichen Diskurs und der akademischen Forschung und Lehre stärker zu verankern, um dem wachsenden Bedarf an Fachkräften gerecht zu werden. GH-Studiengänge verschiedenster Art existieren sowohl in Europa als auch in Übersee in großer Zahl. Darüber hinaus gibt es eine prosperierende europäische und globale Landschaft von GH-Think TanksFootnote 56 und ForschungsnetzwerkenFootnote 57, die österreichischen Partner*innen im Falle einer Beteiligung vielversprechende Perspektiven eröffnen könnten.

Weiterführende Quellen

Kickbusch, Ilona, Haik Nikogosian, Michel Kazatchkine und Mihály Kökény. 2021. A Guide to Global Health Diplomacy: Better Health – Improved Global Solidarity – more equity. Genf: Global Health Centre; Graduate Institute of International and Development Studies. https://www.graduateinstitute.ch/sites/internet/files/2021-02/GHC-Guide.pdf.

Dieser umfassende Überblick zum Thema Global Health Diplomacy besticht durch seine Aktualität, Praxisnähe und Verfügbarkeit über open access.

Bachner, Florian, Julia Bobek, Katharina Habimana, Joy Ladurner, Lena Lepuschütz, Herwig Ostermann, Lukas Rainer, Andrea E. Schmidt, Martin Zuba, Wilm Quentin und Winkelmann Juliane. 2018. „Austria: Health System Review 2018“. Health Systems in Transition 20 (3). Kopenhagen: WHO Regional Office for Europe.

Diese Analyse des österreichischen Gesundheitssystems untersucht die jüngsten Entwicklungen in den Bereichen Organisation und Governance, Gesundheitsfinanzierung, Gesundheitsversorgung, Gesundheitsreformen und Leistungsfähigkeit des Gesundheitssystems.

The Lancet Global Health. https://www.thelancet.com/journals/langlo/home.

The Lancet Global Health ist die weltweit führende Zeitschrift für globale Gesundheit. Der Online-Zugang ist gebührenfrei (open access).