Zusammenfassung
Gute Nachbarschaftsbeziehungen waren ein zentrales und sind ein wichtiges Ziel österreichischer Außenpolitik der Zweiten Republik. Mit Deutschland, der Schweiz und Liechtenstein verbindet Österreich eine Jahrhunderte lange gemeinsame, teils auch belastete Geschichte. Einige dieser Faktoren wirken, bewusst oder unbewusst, im „kollektiven Gedächtnis“ der Menschen dieser Staaten bis heute fort. Im hier vorrangig behandelten Zeitraum seit 1945 sind die Beziehungen zu allen drei Staaten dennoch als gut und konstruktiv zu werten. Sie spiegeln strukturelle Faktoren wie geografische Nähe, Größe, politische und wirtschaftliche Interessen, Werte, Kultur und Sprache sowie gesellschaftlich und politisch unterschiedliche Entwicklungen wider. Auch Stereotypen und Vorurteile zählen zu jenem Bündel von Faktoren, welches die Beziehungen Österreichs zu diesen Staaten prägt.
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Schlüsselwörter
- Österreichische Nachbarschaftsbeziehungen
- Bilaterale Beziehungen
- Österreich-Deutschland
- Österreich- Schweiz
- Österreich-Liechtenstein
1 Einleitung
Die Beziehungen Österreichs zu seinen Nachbarstaaten stellen traditionell eine der wichtigsten Dimensionen österreichischer Außenpolitik darFootnote 1. Im wissenschaftlichen Diskurs und in der Politik werden gute Beziehungen zu Nachbarstaaten als vorteilhaft erachtet und daher auch meist programmatisch angestrebt. In einer allgemeinen Betrachtung der Staatengeschichte erweisen sich jedoch gerade die Beziehungen zwischen Nachbarn als erheblich konfliktanfällig. Die Konstellation des internationalen Umfelds, Unterschiede in Größe, wirtschaftlicher und militärischer Stärke, der politischen Systeme, des internationalen Status, gesellschaftspolitisch dominante Werte bzw. Ideologien, aber auch nationale Narrative, Interessen und Identitäten, die Rolle im multinationalen Kontext sowie territorial-räumliche Beschränkung bilden u. a. jenes Set an Faktoren, welches die Qualität, aber auch Muster und „Konjunkturen“ der Beziehungen mitbestimmen. Vergleichbare geopolitische Konstellationen, inhaltliche Interessen und traditionell gute Zusammenarbeit scheinen allerdings oft weniger relevant als innenpolitische Debatten, nationale Identitäten, oder auch Ressentiments, Vorurteile und Stereotypen. Dasselbe gilt auch für unterschiedlich interpretierte gemeinsame Geschichte(n), die nicht das Verbindende, sondern das Trennende betonen. Kurz gesagt, gemeinsame Geschichte oder auch Nähe kann Staaten verbinden, sie kann sie aber auch trennen. Eine strukturierte, selektive Übersicht wichtiger analytischer Beziehungsfaktoren findet sich in der in Tab. 1 abgebildeten Analysematrix „Beziehungsparameter“.
Die Beziehungen zu den drei sehr unterschiedlichen westlichen NachbarstaatenFootnote 2 waren über viele Jahrhunderte durch eine gemeinsame, teils belastete Geschichte im Rahmen des Römischen Reichs deutscher Nation geprägt. Im Verhältnis zu Deutschland kommt noch zusätzlich belastend der „Anschluss“ von 1938 ans nationalsozialistische „Dritte Reich“ dazuFootnote 3. Auch wenn der Fokus des vorliegenden Beitrags vorrangig auf der Periode nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges bis zur Gegenwart liegt, möchte ich in diesem auf Verständnis orientierten Beitrag u. a. aufzeigen, dass die wechselvollen historischen Episoden von Verflechtung, Partnerschaft, Konkurrenz und Gegnerschaft bis heute weder aus der bewussten noch unbewussten Perzeption politischer Entscheidungsträger noch der Gesellschaften völlig verschwunden sind, sondern im Hintergrund, dem „Kollektiven Unbewussten“, weiter fort wirken (Erdheim 2005).
Im Folgenden wird kurz die wechselvolle gemeinsame Geschichte der drei Staaten beleuchtet, dann werden die Beziehungen getrennt in den Bereichen Politik und Diplomatie, WirtschaftFootnote 4, Kultur sowie der internationalen Ebene untersuchtFootnote 5, und am Ende folgt ein Resümee über Verlauf und Formen der Beziehungen.
2 Der gemeinsame historische Hintergrund der vier Nachbarländer – ein Rückblick
Das Heilige Römische Reich deutscher NationFootnote 6 schloss die Territorien des heutigen Deutschland, der Schweiz, Liechtenstein und Österreich mit ein. Das meist von einem Habsburger als oberstem Lehensherrn geführte Reich war ein hierarchisches Gebilde, in welchem die Kirche eng mit der politischen Herrschaft verbunden war. Der Zusammenhalt im Reich wurde im Laufe der Jahrhunderte jedoch zunehmend geschwächt.
Prägend für die nationale Identität der Schweiz war, dass die Eidgenossenschaft in einem Jahrhunderte dauernden Kampf bereits ab Anfang des 13. Jahrhunderts versuchte, politische Unabhängigkeit vom Reich zu erlangen. Dies gelang in mehreren Schritten, endgültig dann 1802/1806Footnote 7. Während Macht und Einfluss der Habsburger seit dem 18. Jahrhundert zunehmend schwanden und das Reich im Zuge der für Frankreich (noch) erfolgreichen Napoleonischen Kriegen 1806 auseinanderbrach, war der „Casa d’Austria“ im kleinen Fürstentum Brandenburg-Preußen ein ernsthafter interner Konkurrent um die Führung des Reiches erwachsen. Dies führte in der Folge zum „Deutschen Dualismus“, der die Kohäsion im Reich weiter schwächte. Zusätzlich war neben den beiden nun mächtigsten Staaten im Reich mit dem Rheinbund ein von Frankreich dominiertes „Drittes Deutschland“ entstanden. Trotz der am Wiener Kongress besiegelten konservativ-reaktionären „Heiligen Allianz“ der gegen Napoleon letztlich siegreichen Mächte, erfassten die Ideen der französischen Revolution bis 1848 ganz Europa, erschütterten Preußen und brachten die Habsburg-Monarchie an den Rand des Untergangs, und die „kleindeutsche Lösung“ wurde nach 1866 politische RealitätFootnote 8. Der Erste Weltkrieg bedeutete für beide Monarchien das Ende, die neutralen Staaten Schweiz und Liechtenstein waren weitgehend von Zerstörung verschont geblieben, aber v. a. Liechtenstein schlitterte in eine schwere wirtschaftliche KriseFootnote 9. In „Rest-Österreich“Footnote 10, „der Staat, den keiner wollte“ und auch in Deutschland führte die wirtschaftlich katastrophale Lage zu sozialer Not, politischer Radikalisierung, schließlich zum Anschluss Österreichs und in den Zweiten Weltkrieg.
Für die Staaten bedeutete das Ende des Zweiten Weltkriegs unterschiedlich tiefe Zäsuren, aber alle vier verzeichneten schon bald wirtschaftliche und soziale Erfolge, insbesondere gilt dies für die Bundesrepublik Deutschland (BRD) und Österreich im Vergleich zur Zwischenkriegszeit. Während sich die Schweiz weiterhin und Österreich ab 1955 als „immerwährend neutral“ verstanden und Liechtenstein sich „neutral“ erklärte, wurde die BRD 1955 in das Atlantische Bündnis NATO aufgenommen und die Deutsche Demokratische Republik (DDR) trat dem Warschauer Pakt bei. Österreich wurde noch im Dezember des „annus mirabilis“ 1955 Mitglied der Vereinten Nationen (UNO), was den beiden deutschen Staaten erst 1973 ermöglicht wurde. Die Schweiz trat wegen ihres strikten Verständnisses der „permanenten Neutralität“ erst 2002 beiFootnote 11, 12 Jahre nach Liechtenstein. Gemeinsames außenpolitisches Merkmal aller drei kleinen Staaten ist ein ausgeprägtes Engagement für den Multilateralismus bei der Bewältigung internationaler Konflikte. Als Sitzstaaten internationaler Institutionen überrascht diese für Kleinstaaten typische Haltung der Schweiz und Österreich nicht, Liechtenstein wiederum ist an staatlicher Gleichwertigkeit interessiert. Deutschland hat faktisch und in einem „Weißbuch“ aus dem Jahr 2016 bekräftigt, sich für die Stärkung der UNO zu engagieren (Hauser 2020, 144).
Während die DDR und BRD Mitglieder des Rats für gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW) (1950) bzw. der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) (1952) und der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) (1957) wurden, beteiligten sich die Schweiz und Österreich 1960 kompensatorisch an der Gründung der Europäische Freihandels-Assoziation (EFTA). Die BRD (1950/1951), Österreich (1956), die Schweiz (1963) und Liechtenstein (1978) traten dem Europarat bei und wirkten seit 1972/1975 an der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) in unterschiedlichen Gruppierungen aktiv gestaltend mitFootnote 12. Für Österreich bedeutete die Mitgliedschaft in der EU 1995 innen- und außenpolitisch eine weitere tief greifende ZäsurFootnote 13. Die Beziehungen zur Schweiz und Liechtenstein (seit 1995 Mitglied des Europäischen Wirtschaftsraums/EWR) gestalteten sich seither trotzdem – nach kurzer Irritation – weiter stabil, zu Deutschland verbesserten sie sich strukturellFootnote 14. Alle vier Staaten sind Mitglieder des Schengenraumes, der allerdings durch die Migrationskrise von 2015 und die Covid-Pandemie vorübergehenden Beschränkungen unterlag. Politisch, wirtschaftlich und kulturell sind die Beziehungen Österreichs mit diesen Staaten unterschiedlich ausprägt, aber enger als zu seinen anderen fünf Nachbarstaaten.
2.1 Die Beziehungen zu Deutschland
Deutschland ist der mit Abstand größte Staat unter Österreichs Nachbarstaaten und die europäische RegionalmachtFootnote 15. Obwohl in nahezu allen sozioökonomischen Bereichen erhebliche strukturelle Asymmetrien bestehen, sind die Beziehungen seit vielen Jahren weitgehend problemlos. Enge kulturelle Bande und v. a. die gemeinsame Sprache – von der allerdings Karl Kraus meinte, sie trenne Österreicher*innen und Deutsche mehr, als sie diese verbinde – erleichtern das im Grunde gute Verhältnis. Für Österreich ist der deutsche Wirtschaftsraum von essenzieller Bedeutung, gleiches gilt für die kulturelle und mediale Ebene, in welcher Österreicher*innen in Deutschland eine überproportionale Rolle einnehmen.
Die durch das Kriegsende 1945 markierte politische Zäsur ermöglichte eine überfällige Neuordnung der Beziehungen, die in den ersten Nachkriegsjahren – auf Forderung der Besatzungsmächte – eine klare Abgrenzung von Deutschland erforderlich machte. Noch unter dem Eindruck des Kriegs und der Folgen entsprach dies auch den Wünschen der politischen Parteien und eines großen Teils der Bevölkerung. Diese bekannte sich relativ bald mehrheitlich zur „österreichischen“ Nation (Bruckmüller 1996; relativierend Rathkolb 2011, 19), die Eigenstaatlichkeit wurde begrüßt, und ein „Anschluss“ weder in Deutschland noch Österreich ernsthaft angestrebt. Die wirtschaftlichen Beziehungen entwickelten sich deutlich rascher als die politischen.
Aus theoretischer Perspektive wären als Folge der hohen asymmetrischen Ungleichheit erhebliche politische Abhängigkeiten und Einschränkungen des Handlungsspielraums für das kleinere Österreich zu erwarten. Tatsächlich liegt im gegenständlichen Fall eine effektiv hohe wirtschaftliche Abhängigkeit Österreichs vor, aber eine manifeste politische Abhängigkeit oder Vulnerabilität hat sich daraus nicht ergebenFootnote 16. Allerdings wird im österreichisch-deutschen Verhältnis oft eine lange zurück reichende österreichische „Hassliebe“ oder auch ein gehöriger „Minderwertigkeitskomplex“ gegenüber dem großen Nachbarn vermutet. Mag sein, dass der Spruch „die Deutschen lieben Österreich, respektieren es aber nicht“, und umgekehrt „die Österreicher respektieren die Deutschen, lieben sie aber nicht“, die komplexe Realität gut beschreibt.
2.1.1 Die politisch-diplomatischen Beziehungen
Nach 1945 haben beide Staaten politisch und wirtschaftlich Konsequenzen aus den fatalen Fehlern der Zwischenkriegszeit gezogen, und schon nach wenigen Jahren zu einem relativ störungsfreien, wenn auch ambivalenten Miteinander gefunden. Das neue Verhältnis beruhte auf Basis getrennter StaatlichkeitFootnote 17, politischer Distanz bei wirtschaftlich enger Verflechtung. Trotz einer Reihe offener Fragen unterbanden die Alliierten vorerst alle direkten politisch-diplomatischen BeziehungenFootnote 18, notwendige sozial- und wirtschaftspolitische Kontakte konnten so nur auf Beamtenebene erfolgen. Offizielle diplomatische Beziehungen konnten erst nach der Unterzeichnung des Staatsvertrages im November 1955 aufgenommen werden (Pape 2000, 201–225, 370–379)Footnote 19. Die Verstaatlichung deutschen Eigentums erwies sich weiter als Belastung der Beziehungen (Gehler 2005, 108–122), die erst 1957 anlässlich des Besuchs Bundeskanzler Adenauers in Wien beigelegt werden konnte (Ableitinger 1980, 208–209), nachdem zuvor 1953 beim Besuch Außenminister Karl Grubers (ÖVP) in Bonn ein politischer Durchbruch erzielt worden war. In der Folge verbesserten sich die Beziehungen weiter, die BRD unterstütze Österreich sowohl beim letztlich gescheiterten „Alleingang“, um ein Assoziationsabkommen mit der Europäischen Gemeinschaft (EG) zu erreichen, und auch in der Südtirol-Frage. Österreich wiederum trug die „Neue Ostpolitik“ der BRD nach kurzem Zögern mit (Ableitinger 1980, 217–219).
Aber erst in einer Phase der Ost-West-Entspannung, die zeitlich mit der SPÖ-Alleinregierung und der sozial-liberalen Koalition in der BRD zusammenfiel, verbesserten sich die Beziehungen nachhaltig. Auf Regierungsebene, auch zwischen den Parteien wurden die Kontakte ausgebaut (Khol 1983, 383) und österreichische Bundeskanzler pflegten auch persönlich ein gutes Verhältnis zu ihren deutschen Kollegen, was zuvor nicht immer der Fall warFootnote 20. Oft vor ähnliche politische Herausforderungen gestellt, intensivierte sich wechselseitiger Kontakt und Interesse trotz weiter bestehender AmbivalenzenFootnote 21.
Die strukturellen Asymmetrien manifestieren sich seit der (Wieder-)Vereinigung noch deutlicher. So ist Deutschland flächenmäßig mehr als viermal und seine Bevölkerungszahl ist rund zehnmal so groß wie jene Österreichs, die deutsche Wirtschaftskraft ist um das Acht- bis Neunfache stärker und gleiches gilt für die militärischen KapazitätenFootnote 22. Aber Sprache, Geschichte, die Rechtssysteme und auch die Parteienlandschaft neben der geografischen Nähe sind Faktoren, welche wesentlich zum positiven Beziehungsstatus beitragen. Dennoch bestehen bis heute einige Problembereiche fort, die einerseits immer noch Fragen der Vergangenheit betreffen, wie die vorgenommene Verstaatlichung Deutschen Eigentums nach 1945 zum Schutz vor sowjetischen Begehrlichkeiten (Pape 2000, 445–469), den Bereich der Doppelbesteuerung, des Grenzverkehrs und der Grenzsicherung und andererseits Fragen wie Migration, Grenzschließung, PKW-Maut oder LKW-Alpentransit.
Im Gegensatz zu systemisch-strukturellen Ähnlichkeiten zur BRD dominierten im Verhältnis zur DDR strukturelle DifferenzFootnote 23. Daher waren die Beziehungen Österreichs zur DDR bis zur (Wieder-)Vereinigung nahezu ausschließlich von einem „staatlichen Bilateralismus“ (Ableitinger 1980, 210) getragen, der von Seiten der DDR bereits in den frühen 1950er Jahren forciert wurde. Schon 1953 begannen unterhalb staatlicher Ebenen die Beziehungen mit einem Handelsabkommen, dem 1954 die Gründung einer nichtstaatlichen „Kammer für Außenhandel“ in Wien folgte. In Absprache mit der Schweiz und Schweden bezüglich der „Hallstein-Doktrin“ nahm Österreich aber bis 1972 keine offiziellen diplomatischen Beziehungen zur DDR aufFootnote 24, danach verstand es sich aber als politischer „Eisbrecher“, was die DDR mit humanitären und wirtschaftlichen Konzessionen honorierte. Zwar verblieben die wirtschaftlichen Beziehungen auf einem wesentlich geringeren Niveau als mit der BRD, erweiterten sich aber rasch. Bruno Kreisky (SPÖ) avancierte nach der Unterzeichnung der Helsinki Schlussakte der KSZE 1975 drei Jahre später mit seinem Besuch in Ostberlin zum Vorreiter westlicher Besuchskontakte mit der DDRFootnote 25.
Hatte Deutschland das österreichische Ansuchen um Mitgliedschaft in der EU nachhaltig unterstützt, so beteiligte sich die SPD-Regierung von Kanzler Gerhard Schröder Anfang der des Jahres 2000 an den von den vierzehn restlichen Mitgliedsstaaten lancierten (bilateralen) „Maßnahmen der XIV“ gegen die ÖVP-FPÖ-Regierung unter Bundeskanzler Wolfgang Schüssel (ÖVP). Einige Monate später war Deutschland aber dann unter den ersten Staaten, die sich nach dem „Weisenbericht“ für die Aufhebung der Maßnahmen einsetzten (Höll 2001; Hummer und Pelinka 2001).
Kleinere politische Verstimmungen zwischen beiden Staaten gab es in den beiden letzten Jahrzehnten immer wieder, so etwa im Sommer 1997, als der damalige Außenminister Wolfgang Schüssel am Rande des EU-Gipfels in Amsterdam den Bundesbankpräsidenten Hans Tietmeyer mit einem derben Schimpfwort bedacht haben soll (Der Spiegel vom 6.7.1997). Aber auch jenseits von verbalen Entgleisungen waren in dem Bereich des LKW- und PKW-Transits durch Tirol, im Zuge der Migrationskrise des Jahres 2015, und dann auch in den Jahren 2017–2019 wegen des von Deutschland geplanten PKW-Mautsystems in Bayern, das von Österreich vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) erfolgreich bekämpft wurde, Probleme angesagt. Im Zuge der Corona-Pandemie wurde deutlich, wie stark die manchmal „delikaten“ österreichisch-deutschen Beziehungen zuallererst österreichisch-bayerische Beziehungen sind und nicht nur österreichischerseits, sondern auch von Bayern wiederholt aus innenpolitischen Gründen instrumentalisiert werden. Schließlich scheint sich die anfänglich in Deutschland zur Schau getragene öffentliche Begeisterung in Bezug auf den jungen österreichischen Bundeskanzler Sebastian Kurz nach einer Reihe von „Kommunikationspannen“ und Peinlichkeiten auch in der öffentlichen Wahrnehmung in Deutschland zumindest infrage gestellt (u. a. FAZ vom 18.5.2021; Handelsblatt vom 19.5.2021; Stern vom 12.5.2021).
2.1.2 Die wirtschaftlichen Beziehungen
Aus wirtschaftlicher Perspektive werden Deutschland und Österreich oft als „großer“ und „kleiner Bruder“ bezeichnet. Tatsächlich ist das Verhältnis der Wirtschaftsleistungen etwa eins zu neun. Die traditionell fokussierte Ausrichtung Österreichs auf den deutschen, insbesondere den süddeutschen Wirtschaftsraum hatte in der Zwischenkriegszeit begonnen und wurde nach dem Anschluss von 1938 erheblich verstärkt (u. a. Rothschild 1961; Höll 1983; Rathkolb 2011)Footnote 26. In der Nachkriegszeit orientierte sich die österreichische Wirtschaftspolitik in pragmatischer Weise meist an den bundesdeutschen Maßnahmen (Winckler 1993, 158), was zur noch engeren Bindungen im Warenhandel, einschließlich der Dienstleistungen, dem Finanzbereich wie auch der Auslandsinvestitionen (ADI) führte.
Bis Anfang der 1950er-Jahre beschränkten die vier Alliierten Besatzungsmächte teilweise auch die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen beiden Staaten. Erste wirtschaftliche Kontakte gab es zwar schon 1945, doch lediglich als Barter-Geschäfte zwischen Vorarlberg, Tirol und Bayern. Erst im November 1950 wurde ein erstes Handelsabkommen geschlossen, das 1951 in Kraft trat und dann rasch zu einer Verdreifachung der Importe aus der BRD gegenüber 1948 führten. Am Ende des Jahrzehnts sprach man nicht nur vom „deutschen“, sondern auch vom „österreichischen“ Wirtschaftswunder, welches eng mit dem deutschen verknüpft war (Bischof 1993, 84–86).
Auch die Wirtschaftsbeziehungen zur DDR entwickelten sich, wenn auch in einem nicht vergleichbaren Umfang, ähnlich jenen mit der BRD. Österreich vergab erhebliche Kredite und erhielt dafür im Gegenzug Großaufträge für seine verstaatlichte Industrie, aber aufgrund des Devisenmangels der DDR nur in Form von Kompensationsgeschäften. Dieses Geschäftsmodell half der DDR, ihre fragile Zahlungsfähigkeit zu erhalten und brachte ihr Prestige. Später wurden die DDR-Geschäfte allerdings zu einer wesentlichen Ursache der Krise der österreichischen Verstaatlichten Industrie Mitte der 1980er-Jahre.
Seit der (Wieder-)Vereinigung der beiden deutschen Staaten liegt das Kaufkraft bereinigte Bruttoinlandsprodukt (BIP) pro Kopf in Österreich über jenem Deutschlands. Daten von The Global Economy für 2019 weisen für Deutschland einen Wert von 53.785 € aus (17. Stelle von 200 Staaten) und für Österreich einen Wert von 56.030 €, das ist die 15. Stelle. Im Human Development Index (HDI) des UN-Development Program (UNDP), der „Wohlstand“ mit einem aussagekräftigeren Mix aus wirtschaftlichen und sozio-politischen Daten misst, liegt aber Deutschland mit 0,947 am Platz 6, während Österreich mit einem Wert von 0,922 „nur“ an 18. Stelle von 177 erfassten Staaten liegt.Footnote 27 Das Handelsvolumen mit Deutschland betrug im Jahr 2019 100,3 Mrd. Euro. Alleine die österreichischen Warenexporte beliefen sich auf 45,0 Mrd. Euro, machten damit einen Anteil von 29,3 % an den österreichischen Gesamtexporten ausFootnote 28, die Importe erreichten einen Wert von 55 Mrd. Euro, was einem Anteil von 36 % entspricht. Damit ist Deutschland für Österreich mit Abstand der wichtigste Handelspartner, sowohl für Warenexporte als auch -importe. Dagegen liegt Österreich bei den Importen Deutschlands nur auf dem siebten (ca. 5 %) und bei den Exporten auf dem zehnten Platz (4 %). Es ist auch führender Exportpartner bei den Dienstleistungen mit einem Anteil von rund 40 %. Mit 56,7 % der Tourist*innen 2019 aus Deutschland, lag deren Anteil vor dem Inland-Tourismus und ein Vielfaches vor den zweit gereihten Niederlanden. Ca. 12 Mio. Reisende, das sind etwa 50 Mio. Übernachtungen jährlich, führten 2019 zu einem Nettoerlös von 6,9 Mrd. EuroFootnote 29, was einem Anteil am Gesamttourismuserlös von mehr als 50 % entspricht. Mit 54,3 Mrd. Euro ADI-Bestand ist Deutschland auch der wichtigste ausländische Investor in Österreich. Umgekehrt liegt der aktive österreichische ADI-Bestand in Deutschland bei 31,4 Mrd. Euro. Zahlreiche deutsche Unternehmen unterhalten Niederlassungen und Produktionsstätten in Österreich.
Eine Langfristperspektive zeigt, dass Österreich von den engen Beziehungen erheblich profitieren konnte. Im internationalen Ranking des Wohlstandsniveaus und der internationalen Konkurrenzfähigkeit liegt Österreich seit einiger Zeit auf AugenhöheFootnote 30. Während Deutschland sich in der Nachkriegszeit zur dominanten Wirtschaftsmacht in Europa entwickelte, nahm Österreich eine eher passive Rolle als erfolgreicher „Entwicklungsnehmer“ ein, der den währungspolitischen „Stabilitätsanker“ der Bindung des Schilling an die D-Mark seit 1978 zur Stabilisierung seiner Währung nutzte.
2.1.3 Die kulturellen Beziehungen
Die Kulturbeziehungen mit Deutschland waren und sind so intensiv und vielfältig wie mit keinem anderen Land. Dies gilt sowohl für den Bereich der „Hochkultur“, wie Musik, bildende Kunst, Literatur und Theater, wie auch für den Medienbereich und setzt sich in den Bereichen Bildung, Forschung und Innovation (BFI) sowie Sport fort. Insbesondere in der Musik, der bildenden Kunst und der Architektur reichen die Anfänge weit in die gemeinsame kulturelle Geschichte zurück. Tatsächlich waren österreichische und deutsche Beiträge „im europäischen Konzert der Geschichte“ unter vielen anderen höchst bedeutsamFootnote 31, und nicht selten von den jeweils Herrschenden beeinflusst (Wagner-Rieger 1980, 321). Man kann hier von einer typisch „österreichischen“ oder „deutschen“ nationalen Ausprägung daher ebenso wenig sprechen, wie von einer Einheit unter „deutschem Label“.
Im Bereich der Medien (Zeitungen und Verlagswesen) floss deutsches Kapital schon im 19. Jahrhundert in Verbindung mit steigendem deutschem Interesse an Südosteuropa auf den österreichischen Zeitungsmarkt. In der Zwischenkriegszeit stiegen solche Investments nicht nur zwecks nationalsozialistischer Propaganda erheblich an, sondern dienten wohl auch der ideologischen Vorbereitung auf den AnschlussFootnote 32. Nach 1945 waren die westlichen Besatzungsmächte, allen voran die USA bestrebt, diese traditionellen Konnexe zu unterbinden und eine Westorientierung durchzusetzen. Diese Bemühungen wurden nach 1955 bald wieder durch deutsches Kapital, Beteiligungen und Kooperationen ersetzt. Der Grund dafür liegt wohl nicht nur in der historischen Hinterlassenschaft, sondern auch am kleinen österreichischen Markt, der auf Kooperationen angewiesen war und ist, um professionell arbeiten zu können. Auch ist bis heute für österreichische junge Künstler*innen ein Erfolg hierzulande erst durch einen „Durchbruch“ auf dem deutschsprachigen Markt gesichert.
Viele österreichische Dirigent*innen, Orchester, Musiker*innen, Sänger*innen, Regisseur*innen, Theaterdirektor*innen und Schauspieler*innen arbeiten in Deutschland, ähnliches gilt für Deutsche in Österreich. Zahlreiche international erfolgreiche und auch preisgekrönte Film- und TV-Produktionen seit den 1950er Jahren zeugen von einer künstlerisch wertvollen, oft aber zumindest finanziell erfolgreichen Zusammenarbeit. Diese enge Verflechtung mit deutschen Medienunternehmen hierzulande und die Möglichkeit, deutsches Fernsehen zu empfangen, führt dazu, dass inhaltliche Berichterstattung und öffentliche Diskussionen in beiden Ländern oft synchron ablaufen. Mittlerweile spielen auch österreichische politische Themen – nicht selten Skandale – aber auch Film- und Fernsehproduktionen in Deutschland eine bedeutende Rolle. Viele österreichische Autor*innen publizieren in deutschen Verlagen – werden teils auch als „deutsch“ vereinnahmt – und zahlreiche österreichische Journalist*innen sind bei deutschen Medien, teils in führenden Positionen tätig.
Zunehmend enger gestaltet sich auch das Verhältnis im wissenschaftlichen Bereich. Österreichische Wissenschaftler*innen arbeiten immer häufiger permanent oder vorübergehend in Deutschland, Berufungen an Universitäten oder Forschungsinstitute erfolgen oft grenzüberschreitend, wobei der Anteil deutscher Wissenschaftler*innen an österreichischen Lehr- und Forschungsstätten natürlich größer als umgekehrt istFootnote 33. Der Österreichische Wissenschaftsfonds (FWF) kooperiert in vielen Bereichen mit der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) und österreichische Forscher*innen arbeiteten im Jahr 2020 im EU-Rahmenprogramm „Horizon“ in mehr als 1900 Projekten zusammen.
Abschließend ist Fabris (1993) zuzustimmen, der am Ende seiner weiter oben zitierten Analyse zum Ergebnis kommt, der österreichische Medienmarkt könne ohne deutsche Kooperationen nicht auf dem erreichten Niveau existieren. Dieser sei zwar vom „Großen Bruder“ vereinnahmt, was abhängig von den historischen Umständen „may at times be perceived as helpful but at other times as depressing“ (Fabris 1993, 259). Vieles des oben Gesagten trifft auch auf den hochdotierten Bereich des Sports, allen voran des Fußballsports, in gleicher oder ähnlicher Weise zu.
2.1.4 Die Beziehungen im internationalen Rahmen
Betrachtet man die Programme der Außenpolitik beider Staaten in den letzten Jahrzehnten, dann haben Österreich und Deutschland häufig ähnliche Ziele verfolgt und sich auch wechselseitig auf multilateraler Ebene unterstützt. So befürwortete Österreich nach einigem Zögern die deutsche Ostpolitik, und in der Zeit vor der UNO-Mitgliedschaft informierte sich die BRD auf politischer und wissenschaftlicher Ebene über Arbeitsweise und inhaltliche Schwerpunktsetzungen in den Vereinten Nationen. In den 1970er Jahren war die österreichische Unterstützung der deutschen Politik im Rahmen des KSZE-Prozesses, die 1990 zur Charta von Paris und letztlich zur weiteren Institutionalisierung der KSZE als OSZE führte, mitentscheidend für die Wahl Wiens zur Sitzstadt dieser Organisation. Österreichs Politik und auch die Bevölkerung standen mehrheitlich der Vereinigung der beiden deutschen Staaten vom 3. Oktober 1990 positiv gegenüber. Beide Staaten sprachen sich frühzeitig für eine internationale Anerkennung der neuen Staaten auf dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawiens aus und traten 1999 für eine Militärinterventionen in Serbien ein, die dann ohne Beteiligung Österreichs auch erfolgteFootnote 34. Bis heute kooperieren Österreich und Deutschland eng in Bezug auf die Zukunft der Staaten Süd- und Südosteuropas, auch im EU-Rahmen.
Deutschland wiederum unterstützte im Beitrittsprozess die Aufnahme Österreichs in die EG/EU nachdrücklich. Österreich, das am Status der Neutralität festhältFootnote 35, strebt wie Deutschland eine Stärkung der europäischen Sicherheitsdimension an und unterhält gemeinsam mit Deutschland und anderen Staaten seit 2012 ein „Battle-group“-Kontingent im Rahmen der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP). Der seit 2011 feststehende Ausstieg Deutschlands aus der Atomenergieproduktion führte zu einer Annäherung der deutschen an die österreichische Position in der Frage der Atomkraftnutzung.
Im Rahmen der UNO unterstützt Österreich Deutschland in seinem Bestreben um eine permanente Mitgliedschaft im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen. Nicht vergessen werden darf auch, dass in den Arbeitsgemeinschaften Arbeitsgemeinschaft Alpenländer (ARGE-Alp) und der Internationalen Bodenseekonferenz (IBK)Footnote 36 österreichische und deutsche Bundesländer, Bayern und Baden Württemberg und Schweizer Kantone, im Rahmen des grenzüberschreitenden Regionalismus seit etwa 50 Jahren erfolgreich zusammenarbeiten.
2.2 Die Beziehungen zur Schweiz
Im Gegensatz zu Deutschland gleichen Österreich und die Schweiz einander in einer ganzen Reihe struktureller Faktoren, die von der territorialen Größe und Einwohnerzahl, der geografischen Lage im alpinen Teil Europas bis zum Status der Neutralität reichen. Aber beide sind das Resultat unterschiedlicher historischer Staatsbildungsprozesse samt den daraus resultierenden und bis heute erkennbaren gesellschaftspolitischen Folgen: Hier der kleine Nachfolgestaat einer konservativ-antiliberalen europäischen Großmacht, die wegen nationaler Widersprüche im Inneren und dem Festhalten an einer restaurativen Politik am Ende die „Kontrolle über ihr eigenes Schicksal verliert“ (Thalberg 1988, 9). Wenige Jahre später wird die Republik Österreich, politisch gespalten und wirtschaftlich schwach, Teil des nationalsozialistischen Deutschlands. Dort die Schweiz, welche die heimische Dynastie der (schwäbischen) Habsburger frühzeitig nach und nach (Schlacht von Morgarten 1315; Basler Frieden 1499; de facto 1648; endgültig 1802; Bundesstaat 1848) aus dem Land gedrängt hatte und ihre republikanische Selbstständigkeit trotz ethnisch-sprachlicher Diversität gegen die monarchistische Großmacht erkämpfen konnteFootnote 37. Hier ein eng mit dem Katholizismus verbundenes repressiv-reaktionäres politisches System, welches seit Mitte des 16. Jahrhunderts gewaltsam die Gegenreformation betrieb und von der Aufklärung nur am Rande berührt wurde; dort das Land der Eidgenossen, in dem die Voraufklärung, dann der Protestantismus und die Orientierung auf das westliche Europa frühzeitig zu einer republikanisch-bürgerlichen Entwicklung führten. Und während im „Rest-Österreich“ von 1918 ein großer Teil der Gesellschaft einschließlich der Parteien vom deutschen Reichsmythos nicht lassen konnte, wollte eine Mehrheit der Schweizer einen „Anschluss“ ihres Landes unbedingt verhindern, zumal Bedenken bezüglich eines Anschlusses Österreichs an Deutschland öffentlich heftig debattiert wurden, und man sich mit dem Wunsch eines Großteils der Vorarlberger Bevölkerung nach Eingliederung konfrontiert sahFootnote 38.
Dennoch überwiegen zwischen der Schweiz und ÖsterreichFootnote 39 seit langem die positiven Elemente der Beziehung. Sie sind auf der diplomatischen Ebene problemlos, wenn auch nicht von einer Intensität und Qualität, die aufgrund der vielen strukturellen Ähnlichkeiten und der geografischen Nähe zu erwarten wären. In einer kritischen Gesamtsicht erweist sich das Verhältnis beider Gesellschaften von einer „merkwürdigen Berührungslosigkeit“ (Altermatt und Brix 1995, 9), in beiden Staaten werde ein „emotionsloses, aber wohlwollendes Desinteresse“ aneinander gelebt (Häfliger 2018). Doch allein aufgrund ihrer Dichte, ähnlicher Interessen und ihrer Kontinuität können die Beziehungen trotz einiger Mängel als „special relations“ (Cede und Prosl 2015, 38) bezeichnet werden.
2.2.1 Die politisch-diplomatischen Beziehungen
Da die Schweizer Regierung gegen den Anschluss Österreichs 1938 nicht protestiert und nur von einem „historischen Ereignis“ gesprochen hatte, beeilte man sich nach Kriegsende, dieses Faktum auf „neutralitätspolitische Gründe“ zurückzuführen und zu „bedauern“Footnote 40. Es war dann die Schweiz, welche nach kurzem Zögern als erster Staat nach den vier Besatzungsmächten die provisorische Regierung Karl Renners (SPÖ) schon am 2. November 1945 anerkannteFootnote 41. Die Aufnahme offizieller diplomatischer Beziehungen war wegen des noch bestehenden Besatzungsregimes schwierig, erfolgte schrittweise und wurde erst knapp ein Jahr später, Ende Oktober 1946, mit der Bestellung eines außerordentlichen Gesandten realisiert. Österreich sandte darauf im Frühjahr 1947 einen Gesandten nach Bern (Graf 1988, 28–29). Ein neues Kapitel zwischen beiden Nachbarländern hatte damit begonnen.
Der Schwerpunkt der Beziehungen lag ab Herbst 1945 auf öffentlicher und privater Nachkriegshilfe für die österreichische Bevölkerung, v. a. für Kinder. Medikamente, Patenschaften, und Monate lange Erholungsaufenthalte für etwa 35.000 unterernährte Kinder bei Schweizer Gasteltern sorgten für eine rasche Wiederherstellung gut nachbarschaftlicher Beziehungen und werden bis heute in gemeinsamen Gedenkveranstaltungen gewürdigt. Sie waren auch Ausdruck des Interesses der Schweiz, durch rasche Konsolidierung des östlichen Nachbarn eine gewisse sicherheitspolitische Absicherung gegenüber Osteuropa zu gewinnen, und auch den wirtschaftlichen Austausch wieder herzustellen. Auch wurden die Bemühungen der österreichischen Regierung um staatliche Unabhängigkeit, die Verhandlungen über den Staatsvertrag und der Status eines immerwährend Neutralen begrüßtFootnote 42.
Die Schweiz, damals wie heute das „role model“ permanenter Neutralität, fungierte erst als Vorbild (Kirchschläger 1983, 78), bald aber interpretierte Österreich sein Neutralitätsverständnis den eigenen Interessen gemäß aktiver. Beide Staaten standen bezüglich des Neutralitätsverständnis bis in die späten 1980er-Jahre in einem intensiven wissenschaftlichen und politischen Austausch, wobei in den ersten Jahren die Schweiz, später Österreich innovativere Interpretationen und Maßnahmen setzteFootnote 43. Ein deutlicher Unterschied zwischen den Auffassungen lag darin, dass Österreich seit der Zeit der SPÖ-Alleinregierung Sicherheitspolitik als Teil einer „aktiven“ Neutralitätsaußenpolitik verstand, während die Schweizer Sicherheitspolitik sich vordergründig militärisch verstand.Footnote 44 Aufgrund seiner exponierteren Lage direkt am „Eisernen Vorhang“ war Österreich ja auch stärker als die Schweiz an der allgemeinen geopolitischen Entschärfung der Spannungen im Kalten Krieg interessiert. Zudem war eine vorrangig auf militärische Verteidigung orientierte Sicherheitspolitik schon aus budgetären Gründen für Österreich nicht denkbar. Die Schweiz sah darin aber lange die Gefahr eines „militärischen Vakuums“ an ihrer Ostgrenze.
Mit der Mitgliedschaft in der EU im Jahr 1995 vollzog Österreich einen politischen Wandel, der die Teilnahme an der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) in den Vordergrund rückte, die Beziehungen zur Schweiz längerfristig aber kaum beeinträchtigte. So gelang es während der ersten EU-Präsidentschaft im zweiten Halbjahr 1998, die seit Oktober 1994 laufenden Verhandlungen der Schweiz um sieben bilaterale Verträge zu einem erfolgreichen Abschluss zu bringen.Footnote 45
Durch die Teilnahme an der EU-GASP wurde nun die „immerwährende Neutralität“ einem Erosionsprozess ausgesetzt (Manfred Rotter 1991; Thomas Roithner 2013; Heinz Gärtner 2018; Gehler 2001). Mit der Schweiz wurde 2005 eine Zusammenarbeit im Rüstungsbereich vereinbart, welche vorsah, gemeinsam Forschung, Entwicklung, Fertigung und Beschaffung sowie Nutzung und Entsorgung militärischen Materials voranzutreiben, allerdings mit zweifelhaftem OutputFootnote 46, aber die Zusammenarbeit in verteidigungspolitischen Bereichen wurde erweitert, so finden durchschnittlich jährlich etwa 280 Kooperationen statt (Hauser 2020, 146)Footnote 47.
Dennoch gab und gibt es Bereiche, in denen Konflikte zu Verstimmungen führten. So etwa in den frühen 1960er Jahren, als der Versuch der EFTA-Staaten, mit der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft Assoziierungsabkommen zu schließen, Anlass für Schweizer Vorhaltungen hinsichtlich einer österreichischen Vorsprache in Moskau gab. Als nämlich 1963 die Beitrittsverhandlungen des EFTA-Mitglieds Großbritannien mit der EG am Veto Frankreichs scheiterten, zogen die Schweiz und die anderen EFTA-Staaten ihre Anträge zurück, Österreich aber startete den viel beachteten „Alleingang nach Brüssel“. In der Schweiz galt Österreich wieder einmal als „unzuverlässiger Partner“ (Thalberg 1988, 192). Erst in der SPÖ-Alleinregierung war der nun mit der Schweiz und den anderen EFTA-Staaten abgestimmte Versuch, „den freien Warenaustausch zwischen Österreich und der EWG“ Neutralitäts- und Staatsvertragskonform möglich zu machen, erfolgreich (Siegler 1973, 91)Footnote 48.
Die Bemühungen Österreichs, internationale Organisationen in Wien anzusiedeln, boten weiteren Konfliktstoff. Als neben der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEO) (1957), der Organisation ölexportierender Länder (OPEC) (1964) auch die Organisation der Vereinten Nationen für Industrielle Entwicklung (UNIDO) (1967) ihren Sitz nach Österreich verlegten, geriet Wien in Konkurrenz zu Genf. Da Österreich gleichzeitig seine Aktivitäten in den Vereinten Nationen ausbaute, neben der Stellung von „Blauhelmen“ in UNO-FriedensmissionenFootnote 49 1973/1974 in den UNO-Sicherheitsrat gewählt wurde, und darüber hinaus als mit Kurt Waldheim ein österreichischer Diplomat seit 1971 Generalsekretär in New York an der Spitze der UNO stand, fürchtete die Schweiz, Genf könnte weitere Institutionen gegenüber Wien verlieren. Als dann im Zuge des Baus des Vienna International Center andere in Genf ansässige internationale Organisationen Interesse zeigten, nach Wien zu übersiedeln, kam es zwischen Wien und Genf zu Zerwürfnissen, die aber nach einigen Jahren wieder beigelegt waren.
Weitere sensible Bereiche aus österreichischer Sicht bestanden darin, dass Schweizer Banken als beliebte Adressen für Steuerflüchtlinge und Geldwäscher*innen fungierten. Aber auch die Planung des Baus des Atomkraftwerks Rüthi nahe der österreichischen Grenze in den 1960er Jahren, welches schließlich am inneren Widerstand und am äußeren Widerstand der Vorarlberger Bevölkerung scheiterte, führten zu Spannungen.Footnote 50 Auch die ungleiche Verteilung des LKW-Alpentransits zählt zu Problembereichen der Beziehungen, und in Vorarlberg und Bayern sorgt seit einiger Zeit ein bei Benken im Kanton Zürich geplantes unterirdisches Endlager für radioaktive Abfälle für Unmut. Benken ist nur wenige Kilometer von der Grenze zu Österreich und Deutschland entfernt, beide Staaten lehnen die Pläne ab. Die Schweiz hat noch keine endgültige Entscheidung getroffen, aber „volles Mitspracherecht“ eingeräumt (Gunter 2020).
Insgesamt sind die politisch-diplomatischen Beziehungen zwischen Österreich und der Schweiz unproblematisch, wenn auch weniger intensiv als man erwarten würde. Sie werden von Kennern oft als „wohlwollend und emotionslos“ charakterisiert, durch Konstanz und eingeübte Rituale unterscheidet sie sich von anderen „normalen“ bilateralen Beziehungen.Footnote 51 So absolvieren Bundespräsident und Außenminister traditionell ihren ersten Auslandsbesuch im Nachbarland, regelmäßige Gesprächsrunden werden auch auf Ebene der Generalsekretäre der Außenämter abgehalten. Beide Staaten arbeiten in vielen Bereichen, wie der Erbringung von Dienstleitungen für ihre Staatsbürger*innen im Ausland, in Wirtschafts- und Finanzfragen, der Sozialversicherung, Bildung, Forschung und Entwicklung u.ä. gut zusammen. Seit der Mitgliedschaft Österreichs in der EU kann die Schweiz in ihrer Beziehung zur Union, etwa in der Frage des innenpolitisch so heiklen Rahmenabkommens, auf Unterstützung rechnenFootnote 52. Symbolisch bedeutsam hat die Schweiz im Februar 2021 der von Österreich vorgeschlagenen „Strategischen Partnerschaft“ zugestimmt, die noch in diesem Jahr unterzeichnet werden soll.
2.2.2 Die wirtschaftlichen Beziehungen
Der Wirtschaftsforscher Felix Butschek (1986, 61) hat einmal beide Staaten als „unterschiedliche Brüder“ bezeichnet, eine Einschätzung, die auch heute noch zutrifft, wobei die Schweiz meist besser als Österreich abschneidet. In internationalen Statistiken liegt Österreich (Daten aus 2019) bezüglich seines Kaufkraft bereinigten BIP pro Kopf mit 56.030 US-$ an 15. Stelle von 200 Staaten, die Schweiz mit 68.394 US-$ an 7. Stelle (TheGlobalEconomy n.d.). In der Rangliste des UNDP-HDI liegt die Schweiz mit einem Wert von 0,955 auf Rang zwei, Österreich mit einem HDI von 0,922 auf Rang 18 (UNDP 2020). Beide Staaten zählen zur Gruppe der „Small and Open Economies“ (SMOPECs), die eingeschränktem Handlungsspielraum und starker Auslandabhängigkeit ausgesetzt sindFootnote 53. Beide sind seit 1945 überraschend erfolgreich, was Peter Katzenstein (1984, 27) u. a. auf flexible korporatistische Entscheidungsstrukturen zurückführteFootnote 54.
Im Unterschied zur Zwischenkriegszeit wurde die Schweiz für eine kurze Periode unmittelbar nach Kriegsende sogar zum wichtigsten Handelspartner Österreichs (Breuss 1988, 255–256)Footnote 55. Nach einer Phase der „Normalisierung“ bei etwa 5 % ab 1949 stiegen Ex- und Importe im Zuge der gemeinsamen EFTA-Mitgliedschaft in etwa auf das Doppelte an, bis sich die Handelsströme beider Staaten durch die Freihandelsabkommen mit der EWG stärker diversifizierten (Breuss 1988, 256). Mitte der 1980er-Jahre lag die Schweiz als Handelspartner an dritter Stelle hinter der BRD und Italien, während Österreich wenig bedeutsam an sechster bis achter Stelle der Schweizer Handelsbilanz lag, die meist positiv warFootnote 56. Die Handels- und Dienstleistungsbilanz (einschließlich des Tourismus) verbesserten sich in den 1990er Jahren dann zugunsten Österreichs, was auf positive Wirkungen der EU-Mitgliedschaft zurückzuführen ist. In den 2000er Jahren schwankten die Bilanzen, aber ab 2016 konnte Österreich mehrere Jahre Überschüsse erzielen (WKO 2021, 7, 8). Mit Anteilen von etwa 5 % in den Jahren zwischen 2010 und 2019 liegt die Schweiz konstant an vierter, bei den Dienstleistungsexporten an zweiter, und -importen an vierter StelleFootnote 57. In der Rangreihung am Schweizer Gesamthandel liegt Österreich sowohl Import- als auch Export seitig meist unter den obigen Vergleichszahlen, so etwa 2019 an achter bei den Im-, bzw. elfter Stelle bei den Exporten (Schweizer Staatssekretariat für Wirtschaft 2020, 1–3). Einen wichtigen Teil des DienstleistungsaußenhandelsFootnote 58 nehmen neben den unternehmensnahen Dienstleistungen (Forschung und Entwicklung, Wirtschaftsdienste, Werbung und Marktforschung) der Tourismus und Transport ein. Traditionell importiert Österreich Versicherungsdienstleistungen sowie Patente und Finanzdienstleistungen aus der Schweiz, im Tourismus bilanziert es regelmäßig positiv.
Bei der ersten Erhebung der Österreichischen Nationalbank (OeNB) im Jahr 1968 über die (passiven) ausländischen Direktinvestitionen (ADI) lag die Schweiz mit 34 % an erster Stelle, die BRD kam auf vergleichsweise geringe 22 %. Das änderte sich allerdings in den Folgejahren rasch. Vom geringen Niveau an österreichischen aktiven ADI entfielen noch Mitte der 1980er-Jahre ca. 30 % auf Deutschland und 30 % auf die Schweiz (Breuss 1988, 283). Seit Ende der 1980er-Jahre hat sich dieses Bild signifikant gewandelt und Österreich verfügt insgesamt heute über einen höheren aktiven als passiven ADI-Bestand. Von den 209 Mrd. € österreichischer (aktiven) ADI entfielen im Jahr 2019 8,2 Mrd. (das sind 3,9 %) auf die SchweizFootnote 59, der Schweizer ADI-Bestand in Österreich liegt bei 11,7 Mrd. € (6,4 % von insgesamt: 183 Mrd. €) und damit an vierter Stelle nach Deutschland, Russland und den Niederlanden (OeNB 2021).
In einer kritischen Bewertung sind auch die wirtschaftlichen Beziehungen trotz strukturell günstiger Voraussetzungen nur relativ engFootnote 60, wobei die Schweiz für die österreichische Wirtschaft wichtiger ist als umgekehrt. Grenzüberschreitende wirtschaftliche Aktivitäten sind auf Wien und insbesondere die westlichen Bundesländer konzentriert, ähnliches gilt für die grenznahen östlichen Kantone der Schweiz. Schließlich zeigt auch die Zahl der Pendler und der Wohnsitze, dass ein schweizer „Stereotyp“, die Österreicher*innen seien die etwas ärmeren Nachbarn im Osten, nicht gänzlich falsch ist: während 9000 österreichische Pendler*innen in der Schweiz arbeiten, arbeiten nur wenige Schweizer*innen in Österreich. Ende 2020 lebten 65.000 Österreicher*innen in der Schweiz, aber nur 17.000 Schweizer*innen in Österreich (APA vom 2.3.2021).
2.2.3 Die kulturellen Beziehungen
Die kulturellen Beziehungen zwischen beiden Staaten waren und sind besonders in den Bereichen Literatur, Wissenschaft und Kunst (v. a. Musik, bildende Kunst und Theater), also der „Hochkultur“, intensiv, Österreich hat aufgrund seiner Jahrhunderte langen Tradition von Mäzenen im gesamten deutschsprachigen Raum einen Vorsprung auch gegenüber der Schweiz.Footnote 61 Die kulturelle Zusammenarbeit nach Kriegsende begann bereits im Juni 1945 mit der Gründung der „Schweizer Gesellschaft zur Förderung der kulturellen Beziehungen mit Österreich“ mit dem Ziel, die Beziehungen rasch zu reaktivieren und damit einen Beitrag zur Konsolidierung der österreichischen Kulturszene zu leisten. Einen ersten Höhepunkt der Zusammenarbeit bildeten die Ausstellung von Meisterwerken aus Österreich 1946 im Zürcher Kunsthaus und im Kunstgewerbemuseum. Weitere Initiativen gingen oft von Wien aus, weil Österreich die Kultur in den Vordergrund außenpolitischer Maßnahmen rücken wollteFootnote 62.
Die Schweiz fokussiert sich traditionell auf die Interessenvertretung Schweizer Kunstschaffender in Österreich, wofür die diplomatischen Vertretungen und Kulturinstitute zusammenarbeiten. Im Rahmen regelmäßig stattfindender Regierungsgespräche werden seit Jahren auch Kooperationen bei der Organisation von Kulturveranstaltungen in Drittstaaten vereinbart, und die Zusammenarbeit zwischen dem Eidgenössischen Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA)/Pro Helvetia und den heute 65 österreichischen Bibliotheken im Ausland werde über die Botschaften und Pro Helvetia organisiert. So fand anlässlich der Tausendjahrfeier Österreichs 1996 im Schloss Lenzburg eine Ausstellung über die Habsburger statt. Neben öffentlichen Veranstaltungen werden auch private Projekte durchgeführt, wie etwa die Solothurner Literaturtage, zu denen immer wieder österreichische Autor*innen eingeladen werden, während Schweizer Schriftsteller*innen an österreichischen Literaturwettbewerben wie dem Ingeborg Bachmann-Preis teilnehmen.
Im Bereich von Bildung, Forschung und Innovation sind Stipendien, Gastprofessuren und sonstige wechselseitige Kontakte durch ein Abkommen zwischen dem österreichischen Wissenschaftsministerium, den schweizerischen Universitäten und dem Bund geregelt. Diese Zusammenarbeit ist besonders in den Bereichen Transport, Energie, Gesundheit und Zukunftstechnologien ausgeprägt und wird meist über das EU-Rahmenprogramm „Horizon 2020“ organisiert (SBFI 2018). Bis 2021 arbeiteten Forschende aus beiden Ländern in insgesamt 640 Projekten zusammen, damit zählt Österreich zu den zehn wichtigsten Partnerländern der Schweiz. Seit 2011 hat der hoch dotierte Schweizerische Nationalfonds (SNF) 744 Projekte mit österreichischer Beteiligung unterstützt, Österreich liegt damit auf Rang sieben aller 147 Partnerstaaten des SNF. Mit rund 1500 Studierenden bilden österreichische Studierende die fünftgrößte Gruppe ausländischer Student*innen in der Schweiz, mehr als 500 Schweizer*innen studieren in Österreich (EDA 2021). 110 Österreicher*innen konnten seit 1962 ein Bundes-Exzellenz-Stipendium für Ausländer*innen erhalten.
Aber auch die regen Kontakte in den Bereichen von Kultur und Sport (v. a. Wintersport und Fußball) konnten vorhandene Klischees und Stereotypen nicht gänzlich beseitigen. Daran scheint auch die gemeinsame durchgeführte des Fußball-Europameisterschaft im Jahr 2008 nur wenig geändert zu habenFootnote 63.
2.2.4 Die Beziehungen im internationalen Rahmen
Schon in der Zeit des Kalten Krieges arbeiteten die Schweiz und Österreich in einer Reihe internationaler Institutionen zusammen, besonders erfolgreich waren diese im Rahmen der sogenannten neutralen und nicht-paktgepundenen Staaten (N + N-Gruppe) im KSZE-Prozess (Höll 1987b, 127–134), in der sie zu Kontinuität und Erfolg des Verhandlungsprozesses beitrugen. So insbesondere bei der Madrider Folgekonferenz von 1980–1983, als auf Vermittlung der N + N-Gruppe ein Abbruch der Verhandlungen und damit ein Scheitern des Gesamtprozesses verhindert werden konnteFootnote 64.
Auch seit der EU-Mitgliedschaft Österreichs wurde diese Zusammenarbeit im inter- bzw. multinationalen Rahmen weitergeführt. So wird u. a. im Rahmen der UNO, der Krisenvorsorge, des Human Security Network, der Entwicklungszusammenarbeit (EZA), Partnership for Peace (PfP), in Migrations- und Asylfragen sowie beim Diplomatenaustausch, darüber hinaus aber auch der GASP/ESVP und im Schengen-System kooperiert. Da 1992 der Schweizer Souverän einen Beitritt zum Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) knapp verweigerte, wurde auf ein Ansuchen um Mitgliedschaft verzichtet und die Schweiz regelte ihr Verhältnis mit der Union in sektoriellen, bilateralen VerträgenFootnote 65. Die EU drängte seit mehr als zehn Jahren auf den Abschluss eines Rahmenvertrags, aber die von Mai 2014 bis November 2018 laufenden Verhandlungen führten zwar zu einem fertigen Vertragsentwurf, aber am 26. Mai 2021 ließ die Schweizer Regierung die Verhandlungen einseitig platzen. Österreich, an möglichst engen EU-Beziehungen der Schweiz interessiert, war als Vermittler wiederholt aktiv, aber letztlich erfolglos.
Auch die OSZE zählt zu den wichtigen Ebenen der internationalen Zusammenarbeit. So konnte in der Zeit des österreichischen OSZE-Vorsitzes im Jahr 2017 die monatelange Vakanz bei vier OSZE-Spitzenposten beendet werden und auf österreichischen Vorschlag wurde der Schweizer Diplomat Thomas Greminger zum neuen Generalsekretär bestellt.
Beide Staaten übernehmen auch den wechselseitigen Schutz ihrer Interessen und die ihrer Bürger*innen in Ländern, in denen der jeweils andere keine Vertretungsbehörde unterhält. Positiv zu erwähnen ist auch die Zusammenarbeit Schweizer Kantone mit österreichischen Bundesländern im Rahmen der ARGE-Alp und die Internationale BodenseekonferenzFootnote 66, in denen regionale Politikbereiche im wechselseitigen Interesse behandelt werden. Dass mangelhaftes Engagement und Verhandlungsgeschick zu unbefriedigenden Ergebnissen führen können, zeigt sich u. a. in Fragen des Nord-Süd Transitverkehrs, wo klare innerösterreichische Entscheidungen und ein Mehr an grenzüberschreitender Kompromisse breiter Zusammenarbeit für Österreich sicherlich von Vorteil gewesen wärenFootnote 67.
3 Die Beziehungen zu Liechtenstein
Der sechst kleinste Staat der Welt, das Fürstentum Liechtenstein, ist aufgrund seiner Kleinheit auf enge Zusammenarbeit mit anderen Staaten, v. a. seinen Nachbarn, auf andere Schwerpunktländer und internationale Organisationen angewiesen, um grundlegende Bedürfnisse der Bevölkerung, der Wirtschaft und des Staates gewährleisten zu können (Bußjäger 2020, 244)Footnote 68. Eine selbständige Wahrnehmung aller staatlicher Aufgaben wäre nicht möglich, daher kompensiert Liechtenstein diesen Mangel mit einer differenzierten bi- und multilateralen Integrationspolitik. Indirekt über die Schweiz bereits seit 1973 mit dem EWG-Freihandelsabkommen verbunden und verstärkt durch den EWR-Beitritt von 1995, vervierfachte sich das BIP zwischen 1972 bis 2007, dabei lagen die Wachstumsraten durchschnittlich etwa doppelt so hoch wie die der umliegenden deutschsprachigen Staaten (Stiftung Zukunft des Liechtenstein Instituts 2016).Footnote 69 Inhaltlich verfolgt Liechtenstein außenpolitisch ähnliche Ziele wie Österreich und die Schweiz, so etwa die Weiterentwicklung des Völkerrechts, die Sicherung des Friedens und die Gleichberechtigung von Staaten (Außenpolitischer Bericht 2021, 23).
3.1 Die politischen, wirtschaftlichen, kulturellen und internationalen Beziehungen
Die Beziehungen zu Liechtenstein beruhen auf Jahrhunderte langer Tradition, stammt doch das seit etwa 300 Jahren regierende Fürstengeschlecht aus altem österreichischem Adel, welcher sehr eng mit dem Kaiserhaus verbunden war. Anfang des 18. Jahrhunderts hatte das Haus Liechtenstein die Grafschaften Vaduz und Schellenberg erworbenFootnote 70, und verwaltete das Gebiet vom österreichischen Feldkirch aus. Heute bestehen rund 40 Vereinbarungen und Staatsverträge mit Österreich in den Bereichen Kultur, Bildung, Gesundheit, innere Sicherheit, Justiz, Wirtschaft und Soziales. In vielen Politikbereichen gibt es einen regelmäßigen Austausch auf ministerieller Ebene sowie der Staatsoberhäupter. Die regionale Zusammenarbeit, allen voran mit dem benachbarten Vorarlberg, hat für Liechtenstein einen besonders hohen Stellenwert. Die steuerliche Zusammenarbeit wurde entsprechend internationaler Standards seit dem Jahr 2014 neu geregelt.
Seit dem Wendejahr 1919 gab es in Wien eine konsularische Vertretung, seit 1998 ist Liechtenstein mit einer eigenen Botschaft in Wien präsent. Die österreichische Botschaft in Bern ist auch für Liechtenstein zuständig, in Vaduz befindet sich seit 1966 ein Honorarkonsulat. 1967 stattete erstmals in der Nachkriegszeit ein Mitglied der österreichischen Regierung Liechtenstein einen offiziellen Besuch ab, und 1975 folgte ein Besuch Bruno Kreiskys (SPÖ). Auf seine Einladung erwiderten Vertreter der liechtensteinischen Regierung 1976 diesen Besuch, und 1984 absolvierte Fürst Franz Josef II. einen Staatsbesuch in Wien. Seither finden regelmäßig Arbeitsgespräche auf hoher und höchster politischer Ebene statt. Seit 1995 ist Liechtenstein Mitglied des EWR und seit 2011 auch Mitglied des Schengen-Abkommens.
Regionale, grenzübergreifende Kooperationen werden auf Basis des EU-INTERREG Förderprogramms „Alpenrhein-Bodensee-Hochrhein“ (ABH) (2014–2020-Strategie Europa 2020) durchgeführt. In diesem Rahmen werden Fragen der Wettbewerbsfähigkeit, Innovation, Beschäftigung und Bildung, aber auch Umwelt, Energie und Verkehr behandelt. Bezweckt wird, die Forschungs- und Innovationskompetenz zu erhöhen, das Arbeitskräfteangebot zu verbessern, die Energieeffizienz und der Einsatz erneuerbarer Energien zu fördern und die Zusammenarbeit zwischen Institutionen zu verbessern.
Wie bereits festgestellt, existieren wirtschaftlich enge Beziehungen bereits seit dem Zollunions- und Steuervertrag, der allerdings 1919 von Liechtenstein aufgelöst wurde. Es wandte sich vom wirtschaftlich geschwächten Rest-Österreich ab und der Schweiz zu. Seit 1924 in einer Wirtschafts- und Zollunion verbunden, übernahm es auch den Schweizer Franken als Zahlungsmittel, die Schweiz besorgt seither die diplomatische Vertretung des Fürstentums. Trotz der engen Anbindung an den Schweizer Wirtschafts- und Finanzraum blieben die wirtschaftlichen Beziehungen zu Österreich nach 1945 intakt. Für Unternehmen aus dem Industrie- und Finanzsektor ist Österreich ein wichtiger Standort, und Österreich zählt zu den wichtigsten Handels- und Kooperationspartnern Liechtensteins. Beide Staaten verfolgen Exportstrategien, die auf hochqualitative und innovative Produkte ausgerichtet sind. Da Liechtenstein wie Österreich Mitglied des EWR ist, profitiert die liechtensteinische Wirtschaft vom freien Zugang zum gemeinsamen Markt der EWR-Mitgliedstaaten, einschließlich Österreich. Andererseits beschäftigen liechtensteinische Unternehmen in Österreich rund 1600 Personen und ca. 8000 Personen pendeln täglich aus Österreich nach Liechtenstein zur Arbeit.
Aufgrund der bedeutenden internationalen Stellung Österreichs als kulturelles Zentrum im deutschsprachigen und mitteleuropäischen Raum existieren zwischen beiden Ländern seit jeher starke kulturelle Verbindungen, die noch intensiviert wurden. Zu den erfolgreich realisierten Projekten und Veranstaltungen in jüngerer Zeit zählen neben der Teilnahme Liechtensteins an den Österreich Bibliotheken in Drittstaaten, u. a. noch „artist in residence“, Theateraufführungen im Rahmen der Internationalen Vereinigung des Theaters für Kinder und Jugendliche (ASSITEJ), „In Between. Austria Contemporary“, die Teilnahme an den Jubiläumsveranstaltungen zu 10 Jahren Museumsquartier in Wien, die Arte Povera Ausstellung im Lentos-Museum in Linz und die Teilnahme an den Auslandskulturtagen des österreichischen Außenministeriums.
Im Bildungsbereich ist für Liechtenstein neben dem schweizerischen auch das österreichische Universitätswesen von Bedeutung. Seit 1976 sind die liechtensteinischen Studierenden den österreichischen an allen Hochschulen gleichgestellt, und Studien, Prüfungen und akademische Grade werden seit mehr als drei Jahrzehnten wechselseitig anerkannt. Im multilateralen Rahmen der UNO wie auch der K/OSZE hat Liechtenstein gemeinsam mit Österreich und der Schweiz wiederholt Initiativen, v. a. aus den humanitären, sozialen und ökologischen Bereichen mitgetragen.
Einige Besonderheiten stammen noch aus der Zeit der engen Anbindung mit der Habsburgermonarchie. So betreiben die Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB) die Eisenbahninfrastruktur zwischen Feldkirch und Buchs. Darüber hinaus erwähnenswert ist auch, dass Liechtenstein traditionell sein Rechtssystem teils dem österreichischen und teils dem schweizerischen angeglichen hat. Überdies wird seit 1884 die Rechtspflege teilweise von österreichischen (und schweizerischen Richtern) durchgeführt, auch die Präsidenten des Obersten und des Verwaltungsgerichts waren und sind Österreicher*innen bzw. Schweizer*innen (Bußjäger 2015, 4–5). Und Haftstrafen liechtensteinischer Häftlinge werden in österreichischen Gefängnissen vollzogen. Insgesamt können die BeziehungenFootnote 71 als nahezu problemfrei bezeichnet werdenFootnote 72.
4 Resümee
Die Folgen zweier Weltkriege im 20. Jahrhundert bedeuteten tiefe Zäsuren für das globale, wie auch für das europäische internationale System und die Nationalstaaten. Auch einstige europäische Großmächte mussten sich schließlich nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs eingestehen, dass sie ihren Großmachtstatus eingebüßt zu hatten, und nun die USA und die Sowjetunion als neue „Supermächte“Footnote 73 die internationale Staatenwelt dominierten. Das Jahr 1945 steht auch für die Beziehungen zu Deutschland und zur Schweiz für einen Bruch mit der Vergangenheit.Footnote 74 Die Österreicher*innen hatten sich, anders als nach 1918, mit der kleinstaatlichen Existenz abgefunden und nun spät aber doch mehrheitlich zu einer nationalen, von der deutschen unterschiedlichen politisch-staatlichen Identität gefunden. Nicht mehr sprachliche, kulturelle oder ethnische Kategorien waren dafür maßgebend, sondern staatliche Verfasstheit und der neue Status der immerwährenden Neutralität bildeten die Grundpfeiler dieser Identität.Footnote 75 Österreich näherte sich zuerst im Zuge der Annahme des Status eines permanent Neutralen der Schweiz an, während das Verhältnis zu Deutschland von Abgrenzung und politischer Distanz bestimmt war. Allerdings „normalisierte“ sich dieses nach und nach. Schon viele Jahre vor dem politischen Zusammenbrauch des Kommunismus in Osteuropa waren Österreichs Beziehungen gegenüber der BRD und der Schweiz mit Ausnahme einiger unbedeutender Störungen unproblematisch. Sie fanden auf zahlreichen Ebenen, vom kleinen Grenzverkehr bis zur bundespolitischen Ebene statt. Aufgrund der EU-Mitgliedschaft wenige Jahre nach dem Ende des Kalten Krieges erfolgte ein weiterer Wandel, der auch die Beziehungen zu den Nachbarstaaten betrafFootnote 76.
Die unterschiedlichen historischen Entwicklungs- und Beziehungsverläufe wirken bis in die Gegenwart direkt oder indirekt weiter fort. Einige noch ungeklärte „Lasten der Vergangenheit“, die nach 1945 v. a. einen erheblichen Teil der österreichisch-deutschen Beziehungsdynamik absorbierten, wichen einer langsamen Normalisierung und positiver Abgrenzung. Wesentlich haben die strukturellen Ähnlichkeiten und Differenzen, Veränderungen im internationalen Umfeld, wechselseitige Erwartungen und Perzeptionen, aber natürlich auch unabhängig voneinander getroffene politische Entscheidungen die Beziehungen zu den Nachbarn besonders nachhaltig geprägt. Zur Schweiz war die Vergangenheit weniger belastet als zu Deutschland, und daher meist ohne größere Probleme. Zu Liechtenstein waren und gibt es noch gewisse fiskalische „Regeldifferenzen“ (Waschkuhn 1997, 98), die hin und wieder zu Irritationen führen, in den Bereichen der justiziellen Zusammenarbeit, der Bildung und im Sozialwesen sind die Beziehungen nahezu störungsfrei. Insgesamt stabilisierte sich die Dynamik mit allen drei Staaten in den ersten Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg im wirtschaftlichen wesentlich rascher als im politischen Bereich. Das Ende der Bipolarität und die bald darauf erfolgte Mitgliedschaft Österreichs in der Europäischen Union im Jahr 1995 führten dazu, den Fokus der österreichischen politischen Gestionen stärker auf die Union und deren Mitgliedsstaaten auszurichten, wobei jene zur Schweiz und Liechtenstein aber längerfristig kaum beeinträchtigt wurden.
Trotz all dieser positiven Entwicklungen sind wechselseitige Konflikte, Stereotypen und Klischees in keinem der Länder gänzlich verschwunden. Sie existieren auf politischen und gesellschaftlichen Ebenen, werden in persönlichen Beziehungen und medial „gelebt“ und verfestigen sich dadurch. Großteils sind sie vernachlässigbar. Vermutlich könnten sie durch Ereignisse aktiviert, vielleicht sogar intensiviert, allerdings auch aufgelöst werden. Insofern bestätigt sich die im Beitragstitel angesprochene Charakterisierung: die Beziehungen zu den drei Staaten sind nicht völlig ohne Probleme und ja, sie sind auch sensitiv. Der Fortbestand einiger dauerhafter, wenn auch wenig bedeutsamer Konflikte alleine ist aber noch kein Beleg, dass Veränderung zum Besseren zukünftig unmöglich sein könnten. Konflikte gerade zwischen Nachbarstaaten sind stets Teil gelebter und funktionierender Beziehungen, ihre Durch- und Aufarbeitung gibt Raum für neue, kreative und produktive Gestaltung, wenn es denn von den Beteiligten gewollt, v. a. aber klug und nachhaltig betrieben wird. Das gilt auch für andere Staaten, deren Größenverhältnisse ähnlich unterschiedlich sind wie in dem hier untersuchten Beitrag.
Weiterführende Quellen
Thalberg, Hans, Hrsg. 1988. Österreich – Schweiz: Nachbarn, Konkurrenten, Partner. Wien: Braumüller.
Der vom ehemaligen österreichischen Botschafter in der Schweiz und späteren Direktor des Österreichischen Instituts für Internationale Politik (oiip) herausgegebene Sammelband umfasst relevante Bereiche der Beziehungen Österreichs zur Schweiz und spiegelt durch die Auswahl der Autor*innen die Sichtweisen beider Staaten in den prägenden Jahrzehnten nach 1945 detailreich wider.
Langendorf, Jean-Jacques, und Judit Garamvölgyi. „Österreich“. In Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 09.04.2014, übersetzt aus dem Französischen. https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/046995/2014-04-09.
Diese offizielle Online-Quelle zur Schweiz und ihrer Geschichte enthält ein eigenes Kapitel zu Österreich, das die gemeinsame Geschichte beider Staaten im Heiligen Römischen Reich deutscher Nation bis herauf ins 20. Jahrhundert detailliert beleuchtet, eine spiegelbildliche österreichische Quelle fehlt.
Riekhoff, Harald V., und Hanspeter Neuhold, Hrsg. 1993. Unequal Partners. A Comparative Analysis of Relations between Austria and the Federal Republic of Germany and between Canada and the United States. Boulder, CO/San Francisco/Oxford: Westview Press.
Das im Rahmen der englischsprachigen oiip-Buchreihe herausgegebene Werk ist sowohl aus einer politik-ökonomischen als auch einer politischen Perspektive interessant, weil es in theoretisch und empirisch vergleichenden Beiträgen kanadischer und österreichischer Autoren die Beziehungen der „ungleichen Nachbarn” USA-Kanada und Deutschland-Österreich kritisch und differenziert gegenüberstellt.
Kann, Robert A., und Friedrich Prinz, Hrsg. 1980. Deutschland und Österreich. Ein bilaterales Geschichtsbuch. Wien; München: Jugend und Volk.
In diesem Sammelband, der in der Reihe „Bilaterale Geschichtsbücher“ erschienen ist, wird von österreichischen und deutschen Autor*innen die wechselvolle Geschichte der beiden Staaten seit dem Hochmittelalter bis in die 1970er-Jahre aus einer kritischen Perspektive beschrieben, wobei auch die Beziehungen Österreichs zur DDR mit berücksichtigt sind.
Pape, Matthias. 2000. Ungleiche Brüder: Österreich und Deutschland 1945–1965. Wien: Böhlau.
Das umfangreiche Werk zeichnet die schwierigen ersten 10 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs sehr detailliert nach. Der Bruch mit der Vergangenheit wird deutlich aufgezeigt, aber auch die Streitigkeiten rund um das „Deutsche Eigentum“ und um Entschädigungen für emigrierte Jüdinnen und Juden und nach Österreich geflüchteter „Volksdeutschen“.
Washietl, Engelbert. 1987. Österreich und die Deutschen. Wien: Ueberreuter Verlag.
Matzner-Holzer, Gabriele. 2005. Verfreundete Nachbarn: Österreich-Deutschland. Ein Verhältnis. 2. überarb. Aufl. Wien: Ed. Atelier.
Beide interessante Bücher, das eine von einem Journalisten, das andere von einer Diplomatin verfasst, beschreiben aus einer nicht-wissenschaftlichen Perspektive die vielfältigen beruflichen Erfahrungen und persönlichen Reflexionen über beiderseitige Wahrnehmung, aber auch existierende Ambivalenzen, Stereotypen und Vorurteile.
2020. Swiss Review of International and European Law 30(2), insbesondere „Der Kleinstaat im Völkerrecht: Das Beispiel Liechtensteins“, 127–128.
Diese Nummer der bekannten Schweizer Journals enthält interessante Beiträge zur Kleinstaatentheorie aus einer heutigen Sicht, und sechs Artikel zur geschichtlichen, völkerrechtlichen und sozio-ökonomischen Entwicklung des kleinen Fürstentums.
Notes
- 1.
Unter „Nachbarschaftspolitik“ werden nicht nur direkt angrenzende Staaten verstanden, sondern auch Beziehungen zu „relevanten“ Staaten der geopolit. Region. Im Fall Österreich eben auch die ehemals der Habsburgmonarchie angehörigen Nachbar-Staaten. Nachbarschaftspolitik spielte über den gesamten Zeitraum der Zweiten Republik eine bedeutsame Rolle (u. a. Verosta 1975; Ermacora 1975; Bielka et al. 1983; Khol 1983; Thalberg 1988; Höll 1997; 2009). Zu den außenpolitischen Präferenzen der beiden damaligen Großparteien im Jahr 1978 vgl. die beiden Entschließungsanträge von ÖVP (II-4314 BlgNR, XIV.GP und SPÖ (II-4471 BlgNR, XIV.GP). In beiden Anträgen wurde guten Beziehungen zu den (auch „kulturellen“, gemeint waren die zur Habsburgmonarchie gehörigen Staaten) Nachbarn hohe Priorität eingeräumt. Durch die EU-Mitgliedschaft verlor „Nachbarschaftspolitik“ allgemein an Bedeutung, jedoch hatte dies kaum Auswirkungen auf die Beziehungen zur Schweiz und zu Liechtenstein.
- 2.
Deutschland ist eine Regionalmacht, die Schweiz und Österreich können als typische industrialisierte und erfolgreiche Kleinstaaten bezeichnet werden. Liechtenstein hingegen gehört zur Gruppe der „Mikrostaaten“. Völkerrechtlich ist die „Größe“ von Staaten zwar irrelevant, hinsichtlich ökonomisch-politischer „Abhängigkeit“ oder „Vulnerabilität“ (Keohane und Nye 1977) spielt „Größe“ jedoch eine Rolle (Höll 1978; Riekhoff und Neuhold 1993; Haas 2014).
- 3.
Die Frage, ob Österreich tatsächlich in das Deutsche Reich „eingegliedert“ worden war und damit seine Völkerrechtssubjektivität verloren hatte (also „Okkupation“, nicht „Annexion“), daher nur handlungsunfähig gewesen war und so völkerrechtlich „weiter existierte“ („erstes Opfer“ und damit auch keine Verantwortung für den Krieg in Form von Reparationszahlungen zu übernehmen hätte), war in den 1950er Jahren durchaus strittig (u. a. Neuhold 1993, 109–111).
- 4.
Aufgrund der Pandemie bedingten wirtschaftlich rezessiven Entwicklungen in den Jahren 2020 und 2021 wurde als letztes Vergleichsjahr zumeist 2019 herangezogen.
- 5.
Nicht alle in Tab. 1 genannten Faktoren können hier in extenso abgehandelt werden.
- 6.
Es bestand von 962 bis 1806, politisch war es ein Feudalsystem bzw. „Personenverbandsstaat“ (Stollberg-Rilinger 2005, 16, 116), ohne Verfassung und ohne feste Grenzen. Die Fürsten standen im wechselseitigen Treueverhältnis zum König bzw. Kaiser. Das lockere Länderbündnis hatte einen in seiner Machtfülle eingeschränkten König oder Kaiser als Oberhaupt, der seine von Gott abgeleitete politische Legitimation vom Papst in Rom bezog, de facto aber auch von mächtigen Fürsten, Rittern, Bischöfen und Städten abhängig war.
- 7.
Beim Wiener Kongress 1815 wurde der Schweiz der Status der Neutralität zuerkannt und im November dann im Zweiten Pariser Frieden fixiert. 1848 wurden die republikanische Verfassung und der Bundesstaat beschlossen.
- 8.
Die Niederlage von Königgrätz 1866 durch das militärisch überlegene preußische Heer blieb nicht folgenlos. Der Ausschluss der Habsburgermonarchie aus dem Deutschen Bund geriet zu einem politischen und wirtschaftlichen Desaster, das bis weit ins 20. Jahrhundert fortwirken sollte. Dazu und v. a. zur „klein- bzw. großdeutschen Lösung“ Wandruszka in Kann und Prinz (1980, 110–142).
- 9.
Ein großer Teil der Liechtensteiner verarmte, das Fürstentum löste 1919 den 1852 mit der Habsburg-Monarchie geschlossenen Zollvertrag und schloss 1923 einen Zollvertrag mit der Schweiz.
- 10.
Der berühmte Ausspruch des französischen Ministerpräsidenten Georges Clemenceau in Bezug auf „Rest-Österreich“. Österreich hatte einen großen Teil der in Böhmen und Mähren gelegenen Industrieansiedlungen verloren, was die allgemeine Angst nährte, nicht überlebensfähig zu sein.
- 11.
Eine Mitgliedschaft schien der Schweiz nur in „unpolitischen“ internationalen Organisationen vertretbar, auch in solchen der UN. Trotz des Status eines „nur“ Beobachters in der UNO war das New Yorker UN-Büro der Schweiz personell stets stärker besetzt als jenes des UN-Mitglieds Österreichs.
- 12.
Während die BRD und die DDR dem westlichen bzw. östlichen „Caucus“ angehörten, waren Österreich, die Schweiz und Liechtenstein Mitglieder der „N + N-Gruppe“, der Neutralen und Nicht-Paktgebundenen Staaten.
- 13.
Neben Österreich traten 1995 auch noch Schweden und Finnland der EU bei, die Schweiz und Norwegen zogen ihre Beitrittsansuchen wegen fehlender Zustimmung ihrer Wählerschaft zurück.
- 14.
Der vormals in Bezug auf den gemeinsamen Neutralitätsstatus enge wissenschaftlich-politische Austausch beider Staaten wurde eingeschränkt, die wirtschaftlichen Kontakte waren davon aber nur kurz betroffen. Österreich unterstützt die Schweiz und Liechtenstein seither im Rahmen der EU.
- 15.
Herrn Ewald König, Deutschlandkorrespondent „Die Presse“ danke ich für wertvolle Hinweise.
- 16.
Zu den Konsequenzen „ungleicher“ Nachbarschaft bieten die Paarvergleiche USA-Kanada und Deutschland-Österreich im Buch Unequal Partners von Riekhoff und Neuhold (1993) interessante theoretische und empirische Einsichten. Zu den analytischen Folgen, die sich aus einer differenten Begrifflichkeit ergeben, siehe Katzenstein (1976), Riekhoff und Neuhold (1993) oder Pape (2000).
- 17.
Vgl. dazu Neuhold in Riekhoff und Neuhold (1993, 122–124), oder Winckler in Riekhoff und Neuhold (1993, 167). Allerdings erfolgte nicht selten ein „freiwilliger“ Nachvollzug politischer Maßnahmen, was quasi die Quintessenz einer Abhängigkeitsbeziehung darstellt. Ob politische „Kosten“ entstanden, bleibt aber fraglich.
- 18.
In Art. 4 des Staatsvertrages wurde ein Anschluss an Deutschland untersagt. Einige Jahre hatte Österreich einen Vorsprung hinsichtlich der Konsolidierung seiner Staatlichkeit gegenüber der BRD.
- 19.
Politische Kontakte mit BRD-Politiker*innen oder Diplomat*innen konnten nur im Rahmen von Konferenzen oder von internationalen Organisationstreffen wie der Organisation für europäische wirtschaftliche Zusammenarbeit (OEEC) oder dem Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommen (GATT) stattfinden.
- 20.
Bereits 1950 errichtete Österreich eine „Verbindungsstelle“ in Bonn und 1953 wurde eine halboffizielle Vertretung der BRD in Wien eröffnet.
- 21.
Von der Kontroverse über 1938 – Okkupation oder Annexion – Staatsvertrag und Neutralität bis zur Frage des Deutschen Eigentums reichten die Streitpunkte (dazu ausführlich Washietl 1987, 57; Neuhold 1993, 109–111; Pape 2000, 24–34; Gehler 2005, 23–27, 43–44). Österreich berief sich auf den im Moskauer Memorandum 1943 enthaltenen Hinweis, „erstes Opfer“ Nazi-Deutschlands gewesen zu sein, im Staatsvertrag waren Reparationszahlungen ausgeschlossen worden, die Sowjetunion bestand aber auf Kompensationen aus dem verstaatlichten „deutschen Eigentum“.
- 22.
- 23.
Seit Jahren nimmt der Anteil deutscher Beschäftigter in nahezu allen Berufssparten in Österreich zu. Deutsche Staatsbürger sind mit etwa 209.000 Personen zu Beginn 2021 zur größten Minderheit geworden (statista, abgerufen am 13.4.2021), mehr als 195.000 Österreicher*innen leben in Deutschland.
- 24.
Österreichs Haltung zur deutschen Einheit war über einige Jahre zumindest ambivalent, da es seine Rolle als Neutraler durch eine Vereinigung beider deutscher Staaten gefährdet sah.
- 25.
Inhalt der „Hallstein Doktrin“ zwischen 1955 bis 1969 war die Drohung der BRD, die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zur DDR als „unfreundlichen Akt“ einzustufen. Am selben Tag der Unterzeichnung des „Grundlagenvertrags“ zwischen BRD und DDR, am 21.12.1972, erfolgte die Anerkennung der DDR durch Österreich.
- 26.
Friedrich Honecker erwiderte den Besuch Kreiskys mit seiner ersten Reise in den Westen 1980.
- 27.
Wirtschaftlich war die „Ostmarkt“ in die Planung des Deutschen Reiches eingebunden, Infrastruktur und die neu gegründeten Grundstoffindustrien waren auf den deutschen Zulieferbedarf ausgerichtet.
- 28.
Der Human Development Index misst den Entwicklungsstand eines Landes an den Faktoren Lebenserwartung, Bildungsstand und Kaufkraft. Disparitäten, etwa zwischen Stadt und Land, sind nicht erfasst.
- 29.
Diese rund 30 % entsprechen einem Wert, der nicht nur vier Mal so hoch wie jener des zweit wichtigsten österreichischen Handelspartners USA ist, er entspricht auch der Höhe des kumulierten Warenexports nach Asien, Amerika, Afrika und den Nicht-EU-Staaten Europas zusammen.
- 30.
Es folgen die Niederlande mit 1,2 Mrd. und die Schweiz mit 1,2 Mrd. Euro Nettoerlös (APA vom 24.1.2021). Der direkte und indirekte Tourismusbeitrag zu Österreichs gesamtwirtschaftlichen Bruttowertschöpfung lag 2019 bei 7,3 %, etwa die Hälfte dürfte auf deutsche Tourist*innen entfallen.
- 31.
Bei einem etwas höheren österreichischen Preisniveau liegt Deutschland auf dem 7., Österreich auf dem 21. Platz, was die starke kompetitive Stellung der deutschen Exportwirtschaft unterstreicht. Aber auch Österreich kann auf eine starke Exportstellung verweisen (Global Competitiveness Report 2019).
- 32.
Man denke nur u. a. an die Rolle Italiens, Frankreich oder der Niederlande.
- 33.
Zu den historisch fatalen Entwicklungen im Medienbereich in den 1930er Jahren ausführlich Fabris in Riekhoff und Neuhold (1993, 241–259)
- 34.
Insgesamt waren im Wintersemester 2020 an österreichischen Universitäten 1.104 Professuren (einschließlich äquivalenter Stellen) an deutsche Staatsangehörige vergeben (BMBWF 2021).
- 35.
In Deutschland hatte sich die Regierung aus SPD und den Grünen überraschender Weise erstmals nach 1945 an einer militärischen Intervention im NATO-Rahmen beteiligt.
- 36.
Ein differenziertes Bild bietet die vergleichende Gegenüberstellung der Entwicklungen des Neutralitätsverständnisses in Irland, Finnland, Schweden, Schweiz und Österreich bei Gehler (2001).
- 37.
Die Arge Alp wurde 1972 gegründet und beschäftigt sich hauptsächlich mit ökologischen, kulturellen, sozialen und wirtschaftlichen Fragen sowie der Raumordnung und dem Tourismus in der Region. Siehe www.argealp.com. Die Internationale Bodenseekonferenz wurde ebenso 1972 gegründet, um sich in Umwelt- und Gewässerschutzfragen grenzüberschreitend abzustimmen. Ziele der IBK sind die Erhaltung der Lebens-, Natur-, Kultur- und Wirtschaftsräume und die Stärkung transnationaler Zusammengehörigkeit. V.a. in den Bereiche Umwelt, Bildung, Forschung, Verkehr, Wirtschaft, Tourismus, Gesundheit und Soziales sollen grenzbedingte Hindernisse abgebaut werden.
- 38.
Dass ein solcher Entwicklungspfad nicht zwingend nur umfassend positive Folgen zeitigt, darauf wies der deutsch-schweizerische Schriftsteller Jochen Kelter in einer Rede beim Bodenseetag der Städte und Gemeinden unter dem Titel: „Miteinander und dem Rücken zueinander“ (2019) zurecht hin.
- 39.
Am 11. Mai 1919 sprachen sich 80 % des Vorarlberger Wahlvolks für einen Beitritt zur Schweiz aus, der international, aber auch aus innenpolitischen Erwägungen – v. a. wegen der Störung der Religions- und Sprachenbalance – abgelehnt wurde.
- 40.
- 41.
Davor hatte am 21. März 1938 der Schweizer Bundesrat in einer offiziellen Stellungnahme sein „Bedauern“ über den Verlust der Selbständigkeit Österreichs ausgedrückt.
- 42.
In seinem Beitrag in Thalberg (1988, 18–40) führt Christoph Graf diese für die Schweiz „etwas schnell“ erfolgte Anerkennung auf „Abstimmungen“ mit in der Schweiz lebenden österreichischen „Vertrauensleuten“ zurück, den dann relativ langen Zeitraum bis zur Aufnahme offizieller Beziehungen mit „Ambivalenz und Empfindlichkeiten“ in beiden Staaten (Graf 1988, 29).
- 43.
Die im Bundesverfassungsgesetz (B-VG) vom 26. Oktober 1955 „aus freien Stücken“ beschlossene immerwährende Neutralität sollte, gemäß dem nicht rechtsverbindlichen Moskauer Memorandum vom 15. April 1955, dem Schweizer Vorbild folgen, tatsächlich orientierte sich Österreich bald mehr am schwedischen Beispiel.
- 44.
Österreich führte schon ab 1961 bis Mitte der 1970er-Jahre (Art. 9a B-VG) eine ziemlich heftige Debatte über ein „umfassendes“ Verständnis der Landesverteidigung. Die Schweiz folgte Österreich in Fragen der Mitgliedschaft in internationalen Organisationen nur zögerlich (UNO-Beitritt der Schweiz erst 2002) (Danzmayr in Thalberg 1988, 324, 185).
- 45.
Dazu siehe passim die sehr detaillierten Ausführungen von Danzmayr 1988, 319–360, besonders bezüglich des Konzepts der „Umfassenden Sicherheitspolitik“, 339–340.
- 46.
Dies gelang beim Europäischen Rat in Wien 1998, das „Bilaterale Abkommen I“ trat 2002 in Kraft.
- 47.
Der Standard vom 21. Dezember 2005 und Pressemitteilung der Confoederatio Helvetica vom Dezember 2005. In welchem Umfang diese Vereinbarung tatsächlich umgesetzt wurde, konnte nicht in Erfahrung gebracht werden. Seit 2012 ist die Schweiz Partner der Europäischen Verteidigungsagentur (EVA). 2017 kam es zu einem gemeinsamen Projekt unter Beteiligung Deutschlands und Finnlands auf dem Gebiet des „Schutzes autonomer Systeme vor feindlichen Zugriffen“, so die NZZ vom 10. April 2018.
- 48.
Im September 2017 wurde ein Staatsvertrag zum „Luftpolizeiabkommen“ geschlossen, welches Verfolgungen im Luftraum des Nachbarlandes gestattet („Nacheile“), den Einsatz von Waffen aber explizit verbietet.
- 49.
Alle neutralitätspolitisch heiklen Inhalte, die einem Assoziierungsvertrag entgegenstanden, wurden in den Freihandelsabkommen vermieden. Diese Abkommen erwiesen sich für alle Teilnehmer etwa zehn Jahre lang als wirtschaftlich erfolgreich.
- 50.
Noch 1994 haben 57,2 % der Schweizer Wähler*innen per Referendum eine Beteiligung abgelehnt.
- 51.
Im Jahr 1980 wurden die Pläne zum Bau des Kernkraftwerks wegen starker Widerstände im Kanton St. Gallen aber auch im benachbarten Vorarlberg fallen gelassen.
- 52.
Eine seltene Ausnahme stellt die kritische Reaktion Schweizer Zeitungen (Tagesanzeiger und Basler Zeitung vom 27.7.2018) und die folgende öffentliche Debatte auf eigentlich harmlose Äußerungen der österreichischen Botschafterin Ursula Plassnik zur „Einzigartigkeit“ der Schweiz in einem Interview mit dem Thinktank „avenir suisse“ vom 27.7.2018 dar (Die Presse und Der Standard vom 19. und 20.8.2018).
- 53.
Zum innenpolitischen Streit über das bereits seit 2018 fertig ausverhandelte Rahmenabkommen vgl. die SRF-Meldung unter https://www.srf.ch/news/schweiz/rahmenabkommen-schweiz-eu-veraergerung -und-ratlosigkeit-in-der-eu-ueber-den-bundesrat vom 15.4.2021. Am 26.5.2021 brach die Schweiz die Verhandlungen überraschend ab, die bisherigen bilateralen Veträge gelten nun weiter.
- 54.
Die Exportquote der Schweiz lag 2019 bei 65,9 %, jene Deutschlands bei 46,0 % und die Österreichs bei 55,7 % des BIP. Die Exportquote kleiner Staaten ist systembedingt höher als die größerer Staaten.
- 55.
Die Konkurrenzfähigkeit der Schweiz ist der österreichischen überlegen. In der Schweizer Außenhandelsstruktur spiegelt sich ihr Mangel an Rohstoffen wider. Während der Anteil der Kapital- und Technologie intensiven Fertigwaren höher als jener Österreichs ist, spielen hier Halbfertigwaren und der Tourismus eine bedeutendere Rolle.
- 56.
1947 lag die Schweiz mit einem Exportanteil von 25,2 % an erster, und mit einem Importanteil von 13,5 % an zweiter Stelle der österreichischen Importe, ab 1949 lag dieser Wert bei etwa 5 %.
- 57.
Nur im Ausnahmejahr 1985 erzielte Österreich einen massiven Überschuss aus dem Transithandel.
- 58.
Noch in den 1970er Jahren lagen die Vergleichszahlen bei etwa 11 % für Ex- und 7 % für Importe. Damit lag die Schweiz nach der BRD an zweiter Stelle (Breuss 1988, 278).
- 59.
Im Jahr 2019 betrugen die österreichischen Dienstleistungsexporte knapp 30 % der Gesamtexporte i.w.S. (WKO 2020, 5). Die Schweiz liegt beim Dienstleistungsexport Österreichs hinter Deutschland an zweiter Stelle.
- 60.
Damit liegt die Schweiz an sechster Stelle der österreichischen passiven ADI.
- 61.
Vorarlberg und Tirol sind mit der Schweiz und allgemein mit dem alemannischen Wirtschaftsraum stärker verbunden als die restlichen Bundesländer.
- 62.
Kulturelle Beziehungen i.w.S. umfassen nicht nur die Bereiche Literatur, Bildende Kunst, Musik und Theater, sondern auch Wissenschaft (Bildung, Forschung und Innovation – BFI) und Sport.
- 63.
Die internationale Sonderstellung im Bereich der (Hoch-)Kultur geht einerseits auf die kulturell-ethnische Vielfalt der Monarchie und andererseits auf meist fürstliches Mäzenatentum zurück.
- 64.
Aufgrund mangelnder Alternativen griff die österreichische Außenpolitik schon damals auf den reichlich vorhandenen kulturellen Besitzstand der Republik zurück.
- 65.
Während der gemeinsam abgehaltenen Fußball-Europameisterschaft wurde ein eigens dafür konzipiertes Kulturprogramm in der Schweiz veranstaltet (Außenpolitischer Bericht 2008, 190).
- 66.
Grund für die mehrmonatige Unterbrechung waren der sowjetische Einmarsch in Afghanistan Ende 1979 und die Verhängung des Kriegsrechtes in Polen im Dezember 1981. Die Madrider Konferenz wurde im September 1983 mit der Übereinkunft zur Fortsetzung beendet.
- 67.
Die Beziehungen der Schweiz zur EU waren – und sind nun wieder – in rund 20 bilateralen sowie über 100 weiteren sektoriellen Abkommen geregelt.
- 68.
Zur Arge Alp und IBK siehe FN 37 sowie den Beitrag von Peter Bußjäger in diesem Handbuch.
- 69.
Durch Frankreich, Schweiz und Österreich rollender LKW-Alpentransit erfolgt zu rund 64 % über österreichische, nur zu 9,3 % über Schweizer Straßen (Bonanomi und Ungerboeck 2019).
- 70.
Aufgrund der territorial und bevölkerungsmäßig geringen Größe wird es zu den „Mikrostaaten“ gerechnet (Haas 2014, 7–9). Wegen gewisser „fiskalischer Dienstleistungen“ (Waschkuhn 1997, 98), seines hohen Industrialisierungsgrades und kluger Politik weist es eines der höchsten BIP/Kopf auf, und liegt im HDI-Ranking an 19. Stelle, ähnlich wie Österreich. Lt. Eurostat vom Juli 2021 beträgt das BIP/Kopf Liechtensteins 152.490 €, jenes Österreichs 43.300 € und der Schweiz ca. 75.000 €.
- 71.
Europa- und Regionalpolitik bilden seit 1945 die zwei Grundpfeiler der Außenpolitik. Da 1920 ein Beitritt zum Völkerbund abgelehnt worden war, weisen die Aufnahmen in wichtige internationale Organisationen, u. a. Internationaler Gerichtshof (IGH) (1950), KSZE (1975), Europarat (1978), UNO (1990) und 1995 zu Welthandelsorganisation (WTO) und dem EWR (Frommelt 2013, 201) auf eine gestiegene internationale Akzeptanz hin.
- 72.
Seit 1719 zum reichsunmittelbaren „Reichsfürstentum Liechtenstein“ erhoben, 1805 Mitglied des Rheinbundes (und seither „souverän“) und 1815 des Deutschen Bundes.
- 73.
Bis 2011 beherbergte das restaurierte „Liechtenstein-Museum“ in Wien einen Teil der Fürstlichen Kunstsammlung, das Museum wurde aber wegen Unterauslastung geschlossen. Seither werden nur noch Gruppenführungen nach Anmeldung im Stadt- und im Gartenpalais durchgeführt.
- 74.
Mit der „Totalrevision“ des Steuergesetzes 2010 wurden europäische Standards übernommen.
- 75.
Als „Supermächte“ wurden USA und UdSSR im Kalten Krieg bezeichnet, der Begriff wurde vom einflussreichen US-Schriftsteller Walter Lippman im Buch „Cold War“ (1947) popularisiert.
- 76.
Mit Liechtenstein war ein signifikanter „Bruch“ nach dem Ende des Ersten Weltkriegs erfolgt.
- 77.
Die tatsächliche Bedeutung der Neutralität für die Erfolgsgeschichte wurde teils mythisch überhöht.
- 78.
Zur EU und damit auch zu Deutschland wurden sie enger, gleichzeitig diversifizierte sich die wirtschaftliche Abhängigkeit, zur Schweiz fand eine gewisse vorübergehende Entfremdung statt.
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Höll, O. (2023). Die Außenpolitik gegenüber Deutschland, der Schweiz und Liechtenstein. In: Senn, M., Eder, F., Kornprobst, M. (eds) Handbuch Außenpolitik Österreichs. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-37274-3_22
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