Schlüsselwörter

1 Einleitung

Nachbarschaftspolitik stellt seit jeher eine zentrale Dimension aller Staaten dar. Dies gilt auch für den Kleinstaat Österreich. Unter Nachbarschaftspolitik wird allgemein verstanden die „bewusste mittel- bis langfristige politische Gestaltung der Beziehungen zu den Nachbarstaaten,“ zudem sowohl „die Außenpolitik der zuständigen Bundesorgane […] als auch der Politik der Länder und das transnationale Wirken von Gemeinden.“ (Höll 1997, 279–280).Footnote 1 Seitdem die beiden Länder Österreich und Italien Mitglied der Europäischen Union (EU) sind, hat sich die „Nachbarschaft“ gewandelt, weil eine Reihe von institutionelle Hürden weggefallen und beide Länder durch das gemeinsame Normensystem der Union miteinander verschränkt sind und Souveränität abgegeben haben. Aufgrund dieser Entwicklungen kann unter Nachbarschaftspolitik die grenzüberschreitende, interregionale und transnationale Zusammenarbeit verstanden werden (Engl 2014, 23–46).

Dieser Beitrag beschäftigt sich mit der Frage, wie sich die Außenpolitik Österreichs zu Italien und die Beziehungen zwischen den beiden Ländern im Laufe der Zweiten Republik entwickelt haben, und welche Faktoren für diese Entwicklung verantwortlich waren. Außerdem wird der Frage über die Asymmetrien der politischen Beziehungen zwischen beiden Ländern nachgegangen, die durch den Beitritt Österreichs zur damaligen Europäischen Gemeinschaft ausgeglichen wurden. Der Beitrag kommt zu dem Befund, dass die Beziehungen zwischen Österreich und Italien in den Worten ihrer Staatspräsidenten zwar „exzellent“ sind, die bis Anfang der 1970er-Jahre bestehenden Konflikte wegen der Autonomie Südtirols längst der Vergangenheit angehören, aber unter der diplomatischen Oberfläche immer wieder kleinere Spannungen schwelen, die in der Regel nicht mehr eine ausschließlich nationale, sondern eine europäische Dimension aufweisen.

Der Aufsatz geht von der These aus, dass die spannungsgeladenen Beziehungen zwischen Österreich und Italien durch eine allmähliche Normalisierung abgelöst und die Asymmetrie der Beziehungen durch den EU-Beitritt Österreichs überwunden wurde. Das Verhältnis zwischen Österreich und Italien kann in drei Phasen eingeteilt werden: in die Phase des Konflikts um Südtirol von 1945 bis 1969; in die Phase der Normalisierung ab den 1970er-Jahren bis 1995 und in die Phase der Europäisierung ab Österreichs EU-Beitritt 1995.

Der Beitrag beginnt mit der kurzen Hinführung zum Thema und geht in einem ebenso kurzen Diskurs auf die Last der Geschichte beider Länder ein. Es folgen die Beschreibung und die Analyse der drei Phasen der Beziehungen. Ein eigenes Kapitel beschäftigt sich mit der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit. Im abschließenden Kapitel werden die Faktoren diskutiert, welche die österreichisch-italienischen Beziehungen beeinflusst haben, und einige Schlussfolgerungen gezogen.

2 Die Last der Geschichte

Die Beziehungen Österreichs zum Nachbarland Italien erlebten mit dem Ende des Ersten Weltkrieges (1914–1918) und der damit erfolgten Auflösung der Habsburgermonarchie eine irreversible Zäsur. Bis dahin war das Verhältnis der beiden Länder durch eine gegenseitige, tief verankerte „Erbfeindschaft“ belastet gewesen (Gatterer 1972). Diese gegenseitige Abneigung war an umfassend existenziellen Problemen der nationalen Identität festgeklammert und betraf die Herrschaft der Habsburger über italienische Gebiete zuerst, die italienische Einverleibung des bis dahin österreichischen Südtirol danach.

Nach dem Untergang der Habsburgermonarchie blieben viele der traditionellen Abneigungsmotive aufrecht und wirkten bis weit in die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg, als sich Österreich mit Italien wegen der Südtirolfrage abrieb, bis mit der Streitbeilegungserklärung vor den Vereinten Nationen (UNO) im Jahre 1992 durch die beiden Konfliktparteien Österreich und Italien der Erste Weltkrieg definitiv sein Ende fand (Münz 1992, 35). Die Generation der nationalen Eiferer wurde damals symbolhaft durch die Generation der Europäer*innen abgelöst.

In der Außenpolitik Österreichs zu Italien muss auch Deutschland berücksichtigt werden. Das Dreiecksverhältnis war bis 1945 historisch stark belastet. Italien und Deutschland waren „verspätete Nationen,“ die sich unter anderem in der Auseinandersetzung mit Österreich geformt haben. Besonders nachhaltig waren die negativen Erfahrungen Italiens durch die deutsche Besetzung ab 1943, zusätzlich schwer belastet durch verschiedene Massaker, an der auch Österreicher beteiligt waren.

All diese Erfahrungen haben dazu geführt, dass sich Österreich nach 1945 auch in den Beziehungen zu Italien von Deutschland entschieden abgrenzte. Bruno Kreisky (SPÖ) war in seiner Zeit als österreichsicher Außenminister (1959–1966) während der Südtirolverhandlungen in den 1960er-Jahren sehr darum bemüht, jegliche politische Hilfe aus Deutschland, insbesondere auch aus Bayern, abzuwehren (Gehler 2012; Morass und Pallaver 1992, 257). Dennoch schaffte es Österreich lange nicht, sich aus diesem Dreiecksverhältnis zu lösen. Die alte Wahrnehmung der Habsburgermonarchie als deutsche Macht blieb in Italien auch nach 1945 oberflächlich bestehen und wurde auf das republikanische Österreich übertragen. Dabei blieb die Sorge Italiens, inwieweit Österreich als pangermanischer Ausläufer Deutschlands zu betrachten sei. Die Debatten über NS-Verbrechen in Italien mit Beteiligung österreichsicher Akteure in deutscher Uniform ließen die Abgrenzung zwischen Wien und damals Bonn verschwimmen. Die Wahl von Kurt Waldheim (ÖVP) zum Bundespräsidenten Österreichs (1986) und die damit verbundene internationale Debatte um seine Rolle in der Deutschen Wehrmacht sowie der Aufstieg der Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ) unter der Führung von Jörg Haider speisten diese Wahrnehmung aufs Neue. Dies ging so weit, dass Österreich in Italien mit dem Beitritt zur Europäischen Union zum „südlichsten deutschen Bundesland“ reduziert wurde (Luverà 1996, 197–199).

Ganz schafft es Österreich auch heute nicht, sich aus diesem Dreiecksverhältnis zu lösen. Dies zeigt sich beim Konflikt um den Transitverkehr durch Österreich, bei dem Italien und Deutschland als Koalitionspartner gegen Österreich auftreten, wenngleich eingebettet in den gesamteuropäischen Kontext.

3 Südtirol: von der Belastung zur Brücke

Südtirol bildet die symbolische, aber auch realpolitische Klammer zwischen Österreich und Italien. Für Österreich bleibt Südtirol auch 100 Jahre nach Annexion des Landes an Italien eine „Herzensabgelegenheit“ (Leopold Figl, ÖVP) und nimmt in den Beziehungen zu Italien einen besonderen Stellenwert ein. Die im Pariser Vertrag vom 5. September 1946 verankerte Schutzfunktion Österreichs für Südtirol, mit dem den Südtiroler*innen eine Territorialautonomie und ein weitgehender Minderheitenschutz eingeräumt wurde, wird von den jeweiligen Bundesregierungen aufmerksam wahrgenommen (Bundesministerium für Europäische und Internationale Angelegenheiten 1975–2015, hier 2014, 77; Zur Südtirolfrage: Gatterer 1968; Gehler 2005; Steininger 1999).

Mit dem Pariser Vertrag gingen die beiden Länder einen Kompromiss ein: Österreich verzichtete auf eine Rückgliederung Südtirols; Italien verzichtete auf einen Teil seiner Souveränität über Südtirol, zumal Österreich eine Schutzmachtstellung zugunsten der deutsch- und ladinischsprachigen Minderheit erhielt; Südtirol verzichtete de facto auf die Ausübung des externen zu Gunsten des internen Selbstbestimmungsrechtes (Stuhlpfarrer 1976).

Auf der Grundlage des Pariser Abkommens verabschiedete Italien 1948 mit seiner Verfassung das Erste Autonomiestatut. Österreich wurde nach Abschluss des Staatsvertrag von 1955 und dadurch mit dem Wegfall der außenpolitischen Fesseln in Sachen Südtirol wieder verstärkt politisch aktiv, zumal die Proteste der Südtiroler*innen wegen der mangelnden Umsetzung der Autonomie zunahmen, die auch zu Sprengstoffanschlägen führten und den Höhepunkt in der „Feuernacht“ von 1961 erreichten. Die Attentate der 1960er-Jahre, an denen im Laufe der Zeit auch österreichische und bundesdeutsche Neonazis beteiligt waren, richteten sich gegen Objekte mit italienischer Symbolik, kosteten aber auch 35 Menschen das Leben. Die gewaltsamen Anschläge sollten die Selbstbestimmung herbeibomben (Peterlini 2005, 347). Angesichts der politischen Weltlage war die Selbstbestimmung für die Südtiroler Volkspartei (SVP) und vor allem für Kreisky (SPÖ) ein unrealistisches politisches Ziel, sodass sich Südtirol und Österreich für ein realistisches, erreichbares Ziel entschieden, für eine von der Provinz Trient abgekoppelte Autonomie. Die neue Autonomie Südtirols wurde deshalb nicht wegen der Bomben, sondern trotz der Bomben erzielt.

Es war eine diplomatische Meisterleistung des österreichischen Außenministers Bruno Kreisky, der das Südtirolproblem vor die UNO brachte und dabei die Unterstützung der Länder der damals so genannten Dritten Welt gewinnen konnte. Die UNO-Vollversammlung verabschiedete im Oktober 1960 eine Resolution zur Südtirol-Frage, in der die beiden Vertragspartner Österreich und Italien aufgefordert wurden, die bestehenden Meinungsverschiedenheiten bei der Interpretation des Pariser Vertrages und dessen Umsetzung zu bereinigen. Dies geschah mit einer zweiten Resolution auch ein Jahr danach (abgedruckt in von Egen 1997, 250–251; 264).

Auf der Grundlage der UNO-Resolutionen kam es zwischen Italien und Österreich anfänglich zu zögernden, dann zu intensiven Verhandlungen. Nachdem das von den beiden Außenministern, den beiden Sozialdemokraten Bruno Kreisky und Giuseppe Saragat 1964 vorgeschlagene Lösungspaket von der Südtiroler und Nordtiroler Volkspartei abgelehnt wurde, und nach weiteren, zahlreichen Verhandlungen im Viereck Rom-Bozen-Innsbruck-Wien nahm die SVP am 22. November 1969 das neue „Paket“ mit knapper Mehrheit an. Es enthält 137 Punkte für den besseren Schutz der deutschen und ladinischen Minderheit und wurde sowohl vom österreichischen Nationalrat wie vom italienischen Parlament genehmigt.

In dieser ersten Phase gab es aber auch noch andere Spannungsfelder. Noch vor Abschluss des Staatsvertrages 1955 und der Verabschiedung des Neutralitätsgesetzes herrschte in Italien als Gründungsmitglied der NATO (1949) gegenüber Österreich ein gewisses Mißtrauen, das sich auch nach Abzug der vier Besatzungsmächte nicht ganz verflüchtigte, zumal Österreich zusammen mit der ebenfalls neutralen Schweiz eine Trennung zwischen den NATO-Mitgliedern Deutschland und Italien bildete. Dieser neutrale Keil quer durch den NATO-Block wurde zu Beginn der 1980er-Jahre durch den NATO-Nachrüstungsbeschluss nochmals als Unsicherheitsfaktor eingestuft. Immer mehr Kommunen dies- und jenseits des Eisernen Vorhangs im Viereck Italien-Österreich-Jugoslawien-Ungarn erklärten sich zu atomwaffenfreien Zonen, grenzüberschreitende Bürgerinitiativen demonstrierten für die Auflassung von NATO-Lagern und Raketenstützpunkte.

Aber auch andere politische Entwicklungen nahmen Einfluss auf die Beziehungen zwischen Österreich und Italien, auch wenn sie prima facie damit nichts zu tun hatten. Das betrifft die Triestfrage und die damit verbundene Lösung durch das Londoner Memorandum 1954, die Volksabstimmung in der Saar 1956, der Zypern- und der Algerien-Konflikt oder die Lösung des deutsch-dänischen Minderheitenproblems (Gatterer 1975, 525).

Der Beitritt Italiens zur NATO (1949) und später zur Westeuropäischen Union (1954), die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) 1951 und der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) 1957 führten zu einer starken Annäherung Roms an die Bundesrepublik Deutschland. Damit sank auch das Interesse an Österreich erheblich. Dies drückte sich auch im Ausbau der Verkehrswege aus. Die Strecken aus dem Industriedreieck Mailand-Genua-Turin nach Deutschland und Frankreich wurden frühzeitig modernisiert, die Verbindungswege nach Österreich (und Jugoslawien) wurden hingegen vernachlässigt. Dies hatte unter anderem zur Folge, dass ein erheblicher Teil des österreichischen Adriaverkehrs zu den Nordseehäfen abwanderte oder nach Fiume umgeleitet wurde (Gatterer 1975, 533).

In dieser Zeit der Spannungen gab es dennoch Versuche, den Dialog zwischen den beiden Ländern jenseits der Frage Südtirol zu fördern. Ein Sachzwang betraf den Verkehr. Die Transitfrage war ein ständiges, auch konfliktreiches Thema, Debatten gab es um die Autobahnprojekte Udine-Tarvis, den Plöckenpass-Tunnel, die Alemagna Autobahn, aber auch um den Hafen von Triest, bei dem es für Österreich meist um die Hafenabgaben für Erdöltransitprodukte ging.

4 Der lange Weg zur Normalisierung

Bis Ende der 1960er-Jahre gingen erfahrene Beobachter der beiden Länder von der These aus, dass die beiden Nachbarn mit dem Rücken zueinander stünden (Petta 1968). Wenn sich Italien und Österreich umgedreht haben, um sich freundschaftlich in die Augen zu blicken, so hängt dies mit der Entspannung nach 1969 zusammen, als zwischen den beiden Ländern der Jahrzehnte dauernde Konflikt um Südtirol seinem Ende zuging (Pastorelli 1987, 73).

1972 wurde auf der Grundlage des Südtirolpakets das Zweite Autonomiestatut verabschiedet. Die Durchführung der vereinbarten Maßnahmen benötigte im ständigen Austausch zwischen Bozen, Innsbruck und Wien 20 Jahre. Diesen stimmten das italienische und österreichische Parlament, die Südtiroler Volkspartei und der Tiroler Landtag zu. Der diesbezügliche Notenwechsel zwischen Italien und Österreich sowie die Nostrifizierungsakten der beiden Länder bestätigten definitiv den internationalen Charakter der Südtiroler-Autonomie sowie die Justiziabilität vor dem Internationalen Gerichtshof. Damit wurde am 19. Juni 1992 in New York der seit 1960 vor der UNO anhängige Streit zwischen Italien und Österreich für beendet erklärt. Österreich und Italien teilten die Beilegung des Streites Ende Juni 1992 auch der KSZE-Konferenz in Helsinki mit (Pallaver 1993, 239–241). Die Paketmaßnahmen wurden auch der Europäischen Gemeinschaft (EG) in Brüssel zur Kenntnis gebracht. Darauf verwies Österreich auch im Rahmen seiner Beitrittsverhandlungen mit der EG (Gehler 2005, 721–754).

Als letzter Akt des Operationskalenders, der 1969 die einzelnen Schritte zur Umsetzung des Pakets zwischen Österreich und Italien festgelegt hatte, sollte der Abschluss eines österreichisch-italienischen Vertrages betreffend die freundschaftliche Zusammenarbeit stehen. Dazu ist es bis heute wegen verschiedener Meinungsverschiedenheiten über den Inhalt des Vertrages nicht gekommen.

Die Beziehungen zwischen den beiden Ländern begannen sich in den 1970er-Jahren vor allem auf wirtschaftlicher und kultureller Ebene zu intensivieren. Dank zweier Abkommens mit der EWG (1972) (Galasso 2020) nahm der Wirtschaftsaustausch zu. Intellektuelle aus beiden Ländern setzten sich für die Verbreitung der beiden Kulturen ein und darum, die Geschichte der Beziehungen im Sinne der Gemeinsamkeiten und nicht des Antagonismus aufzuarbeiten.

Ein symbolisches, aber wichtiges Zeichen verbesserter Zusammenarbeit erfolgte 1984 mit dem Besuch von Regierungschef Bettino Craxi und Außenminister Giulio Andreotti in Wien. Seit über einem Jahrhundert hatte kein italienischer Ministerpräsident mehr Österreichs Bundeshauptstadt besucht (Monzali 2020, 512–514).

Mit dem Hinweis der italienischen Regierung, an der definitiven Lösung der Südtirolfrage interessiert zu sein, bekräftigte Rom 1987 zugleich, die Annäherung Österreichs an die EG zu befürworten. Österreich suchte unter der Regierung von Franz Vranitzky (SPÖ) am 17. Juli 1987 um die Aufnahme in die drei Europäischen Gemeinschaften an (EGKS, EWG, EURATOM), aber die immerwährende Neutralität schien ein Hindernis auf dem Wege der vollen europäischen Integration zu sein.

Italien hatte wegen der terroristischen Attentate in Südtirol einen ersten Versuch Österreichs, Schritte in Richtung Mitgliedschaft der EWG zu tätigen, 1967 abgelehnt, sehr zum Mißfallen der anderen Mitgliedsstaaten. Im Gegensatz zur Regierung sprach sich 1970 die größte Oppositionspartei Italiens, der Partito Comunista Italiano, für eine Unterstützung Österreichs, Schwedens und der Schweiz bei ihren Bemühungen um einen möglichen Beitritt zur EWG aus, der dann 1995 erfolgte.

5 Nachbarn im gemeinsamen Europa

Nach der Übergabe des Schreibens für den Beitritt zur EWG ersuchte die SVP in Rom um Unterstützung des österreichischen Anliegens. Wiederholt ergriff Italien Partei für Österreichs Anliegen, sowohl die Regierungs- als auch die größte kommunistische Oppositionspartei (Monzali 2020, 243), bis Österreich dann mit 1. Januar 1995 EG Mitglied wurde. An den sogenannten „Sanktionen der EU gegen Österreich“ wegen der Angelobung der ÖVP-FPÖ-Regierung im Jahre 2000 beteiligte sich auch Italien, sah sich aber der Kritik ausgesetzt, dass erst kurz zuvor auch in Italien eine postfaschistische Partei in die Regierung aufgenommen worden sei (Berghold und Pallaver 2003).

Mit dem Beitritt Österreichs zur EU haben sich die Beziehungen zwischen Italien und Österreich europäisiert. Dies hat u. a. dazu geführt, dass Südtirol heute nicht mehr als Hemmschuh, sondern als Brücke zwischen Österreich und Italien angesehen wird. Die Südtirolfrage ist mittlerweile so wenig eine rein österreichische Angelegenheit wie sie eine rein italienische ist. Weder Italien noch Österreich können einseitige Maßnahmen vornehmen, welche die Autonomie, den Minderheitenschutz und das Zusammenleben der Sprachgruppen betreffen. Das dreisprachige Land ist durch die Streitbeilegungserklärung eine Art „italienisch-österreichisches Kondominium“ innerhalb der Europäischen Union geworden (Pallaver und Denicolò 2021). Die guten Beziehungen zwischen Wien und Rom werden bei allen Begegnungen, besonders der Staatspräsidenten, immer wieder unterstrichen (Mattarella 2019).

Mit dem Beitritt Österreichs zum Schengenabkommen wurden 1998 symbolhaft die Grenzbäume am Brenner in Anwesenheit der beiden Innenminister Giorgio Napolitano und Karl Schlögel beseitigt.

Die neue Qualität der Beziehungen zwischen Italien und Österreich kann man auch an der Besuchspolitik nachvollziehen (Berghold 1997, 235–239). 1882 hatte Italiens König Umberto I Wien einen Besuch abgestattet. Erst 1971 erwiderte Bundespräsident Franz Jonas den Besuch in Rom. Dieser Besuch sollte nach Annahme des Südtirol-Paketes (1969) die neue Entspannung zwischen den beiden Nachbarn unterstreichen. Nach Abgabe der Streitbeilegung vor der UNO hat Italiens Staatspräsident Oscar Luigi Scalfaro als Zeichen der bereinigten Beziehungen 1993 Österreich einen Besuch abgestattet, wo er jenen Bundespräsidenten Thomas Klestil (ÖVP) traf, der seit Jahren als Generalsekretär für auswärtige Angelegenheiten die Arbeitsgespräche im Rahmen der österreichisch-italienischen Gemischten Kommission führte. Als erster Schritt dieser neuen Qualität der Beziehungen unterzeichneten Scalfaro und Klestil ein Abkommen über die Aufnahme jährlicher Treffen der Regierungschefs und der Außenminister sowie ein Rahmenabkommen über die grenzüberschreitende Zusammenarbeit (Pallaver 1993, 234–235).

Vor dem Fall des Eisernen Vorhangs spielte auf Initiative Österreichs die „Quadrangolare“ eine bedeutende Rolle, die von zwei Staaten des Westens, Italien und Österreich, sowie von zwei Staaten des Ostens, Ungarn und Jugoslawien, 1989 ins Leben gerufen worden war. Sie wuchs mit der Tschechoslowakei zur Pentagonale, mit Polen zur Hexagonale. Heute, zur Zentraleuropäischen Initiative gewandelt, gehören ihr neben Italien weitere 16 zentral-, süd- und osteuropäische Staaten an. Österreich schied 2018 aus.

Was die wirtschaftlichen Beziehungen betrifft, so ist Italien nach Deutschland seit jeher der zweitwichtigste Handelspartner. Bei den Exporten liegt Italien auf Platz 3 nach Deutschland und den USA. Das bilaterale Handelsvolumen zwischen den beiden Ländern im Jahr 2020 führte zu einem stärkeren Rückgang der Lieferungen aus Italien und zu einer weiteren Verringerung des Handelsbilanzdefizites. Langfristig gesehen ist der österreichische Warenaustausch mit Italien eine Erfolgsgeschichte: Italiens Wirtschaft wuchs seit 1995 durchschnittlich weniger als 1 % pro Jahr, der gegenseitige Warenaustausch in diesem Zeitraum hat sich mehr als verdoppelt. Erstmals seit 1999 war die Handelsbilanz mit Italien im Jahre 2016 de facto ausgeglichen.

Rund 80 % des Exportes geht nach Norditalien. Rund 30 % aller österreichischen Exporte nach Italien gehen in die Lombardei, deutlich mehr als nach Spanien und Russland. Italien und Österreich weisen somit keinen einheitlichen Markt auf. Neben einem geographischen tritt ein historisch bedingtes soziales und ökonomisches Nord-Südgefälle auf. Für Italiens Wirtschaft besteht eine solche Abstufung nicht.

Lange war Österreich mit rund 200 Niederlassungen und Zweigstellen von heimischen Unternehmen in Norditalien angesiedelt (Bundesministerium für Europäische und Internationale Angelegenheiten 2010, 368). Heute befindet sich der Großteil der rund 1100 italienischen Unternehmen mit österreichischer Beteiligung ebenfalls in Norditalien (Wirtschaftskammer 2021).

1954 wurde das wichtige Kulturabkommen abgeschlossen. Die Kulturinitiativen werden vom Österreichischen Kulturinstitut in Rom und vom Kulturrat am Generalkonsulat in Mailand betreut wurde, 2001 umbenannt in Kulturforen (Bundesministerium für Europäische und Internationale Angelegenheiten 1981, 356). Daneben spielt das 1881 gegründete Österreichisches Historisches Institut in Rom ebenfalls eine sehr wichtige Rolle. Die starke österreichische Präsenz mit seiner Kultur führt dazu, dass auch der Bundespräsident immer wieder zu kulturellen Ereignissen in Italien auftritt, wie etwa zur Eröffnung des Österreich Pavillon bei der Biennale in Venedig 2010 (Bundesministerium für Europäische und Internationale Angelegenheiten 2010, 365) oder an einem Konzert in der Mailänder Scala teilnimmt (Bundesministerium für Europäische und Internationale Angelegenheiten 2007, 280). Die kulturellen Felder Österreichs in Italien sind vielfältig und betreffen: Literatur, Musik, zeitgenössische und bildende Kunst, Ausstellungen, Jubiläen, Vortragsreihen, Symposien, Konzerte, Lesungen, Festivals, Filmwochen, wissenschaftlicher Austausch, Übersetzungen, Sprachkurse bis zum Wiener Ball in Rom.

Das letzte, aktuelle und gemeinsame Megaprojekt betrifft den Brennerbasis-Tunnel. Der Eisenbahntunnel für den gemischten Personen- und Güterverkehr von Innsbruck nach Franzensfeste hat eine Länge von 55 km. 2006 erfolgte der symbolische Spatenstich, die Inbetriebnahme ist nach mehreren Verschiebungen frühestens für 2032 geplant.

Trotz der guten Beziehungen gab und gibt es aber immer wieder Konflikte und Irritationen:

Die Affäre Reder: Unter dem Kommando des Österreichers und SS-Sturmbannführers Walther Reder wurden 1944 in der Gemeinde Marzabotto Hunderte von Zivilisten grausam ermordet. Zu lebenslanger Haft verurteilt, wurde er 1985 nach seiner Freilassung vom freiheitlichen Verteidigungminister Friedhelm Frischenschlager offiziell mit einem Handschlag begrüßt. Dies führte in Italien zu veritablen Irritationen.

Das Transitproblem: Die Verkehrsrestriktionen in Tirol wie Nachtfahrverbot, Sektorales Fahrverbot, Verbote für schadstoffreiche LKW, Blockabfertigungen und die wiederholte Blockade der Brennerautobahn durch Bürgerinitiativen haben bei den Frächtern in Italien (und Deutschland) immer wieder zu Protesten geführt, aber auch seitens der römischen Regierung.

Die Flüchtlingsproblematik: Im Sommer 2015 und im ersten Halbjahr 2016 trat die Brennerroute als Fluchtweg in den Mittelpunkt der Debatte. Die restriktive Flüchtlingspolitik Österreichs führte zu Belastungen mit dem Nachbarland Italien, wo die meisten Flüchtlinge strandeten. Zu Irritationen kam es mit der Grenzschließung auch im Pandemiejahr 2020. Dabei kritisierte Bundespräsident van der Bellen die österreichische Regierung mit den Worten: „Italien liegt ned irgendwo am Mond.“

Doppelpass: Der Vorstoß der ÖVP-FPÖ-Regierung im Jahre 2017, den deutsch- und ladinischsprachigen Südtiroler*innen den österreichischen Pass anzubieten, ohne den italienischen zu verlieren, führte zu einer harschen Ablehnung durch Italien. Nachdem die ÖVP-FPÖ Regierung ein vorzeitiges Ende nahm, wurde dieser Punkt nicht mehr ins Regierungsprogramm von ÖVP und Grünen aufgenommen.

Recovery Fund: Im Mai 2020 erklärte Bundeskanzler Sebastian Kurz, dass die italienische Staatsverschuldung ohne EU und Ländern wie Österreich nicht zu halten wäre. Italien reagierte verärgert. Dasselbe geschah mit dem Aufbauinstrument Recovery Fund. Kurz sprach sich gegen die Vergabe von nicht zurückzuzahlenden Zuschüssen an Italien aus, sondern für Darlehen, was in Italien für Entrüstung sorgte.

Solche Scharmützel können offensichtlich das gute Verhältnis zwischen Österreich und Italien nicht aus dem Lot bringen, das durch freundschaftliche und vertrauensbildende Maßnahmen, auch symbolischer Natur, konterkariert wird. Österreich hat Italien bei allen katastrophalen Erbeben wie im Friaul (1974), im Süden (Irpinia 1980) oder im Zentrum Italiens (2016) immer tatkräftig unterstützt. Die Historisierung von Konflikten der Vergangenheit zwischen den beiden Ländern erfolgt durch symbolische Akte. Außenminister Alois Mock besuchte 1992 in Trient die Hinrichtungsstätte des österreichischen Reichsratsabgeordneten und Irredentisten Cesare Battisti und erwies ihm die Ehre. Die beiden Staatspräsidenten Thomas Klestil (ÖVP) und Oscar Luigi Scalfaro trafen sich 1995 zur Gedenkfeier der Gefallenen des Ersten Weltkrieges am Isonzo in Görz. Die beiden Präsidenten Sergio Mattarella und Alexander van der Bellen (Grüne) gedachten 2019 in Bozen des Lehrers Franz Innerhofer, erstes Opfer des Faschismus in Südtirol. 1989 und 1996 begnadigte Scalfaro 28 ehemalige Südtiroler Attentäter.

Angesichts der Auswirkungen der Pandemie auf die beiden Länder haben Italiens Staatspräsident Sergio Mattarella und Österreichs Bundespräsident Alexander van der Bellen zu Jahresbeginn 2021 die „exzellenten bilateralen Beziehungen“ zwischen Wien und Rom erneut betont (ANSA 2021).

6 Grenzüberschreitende Zusammenarbeit

Die grenzübergreifende Zusammenarbeit kann als eines der auffälligsten Beispiele der Entwicklung von freundschaftlichen und nachbarschaftlich geprägten Beziehungen zwischen Staaten und Regionen in der europäischen Nachkriegszeit gesehen werden und stellt das „europäische Projekt“ auf substaatlicher Ebene schlechthin dar (Janczak 2017, 63). Die Nachbarschaftspolitik ist eine tragende Säule der europäischen Integrationspolitik und erodierte die traditionell wahrgenommene Territorialität, Staatlichkeit und Bedeutung von Grenzen (Brunn und Schmitt-Egner 1998). Diese Nachbarschaftspolitik auf substaatlicher Ebene zwischen Italien und Österreich entwickelte sich auf zwei Ebenen: auf einer bilateralen und auf einer multilateralen.

Der Anfang der bilateralen grenzüberschreitenden Zusammenarbeit beginnt 1949 mit dem sog. „Accordino.“ In Ausführung des Gruber-De Gasperi Abkommens von 1946 sah das Abkommen den erleichterten Warenaustausch zwischen den Ländern Tirol und Vorarlberg und der Region Trentino-Südtirol vor. Zur Umsetzung des Abkommens traf sich regelmäßig die italienisch-österreichische Gemischte Kommission, die neben den wirtschaftlichen Kernfragen in den 1960er Jahren, belastet durch den Südtirol-Terrorismus, als institutionelle Stätte der Begegnung für „vertrauensbildende Maßnahmen“ der beiden Länder wirkte. 1981 wurde die schmale Brücke des Accordino durch das „Europäische Rahmenübereinkommen über die grenzüberschreitende Zusammenarbeit zwischen Gebietskörperschaften“ ergänzt, das Österreich und Italien 1982 ratifizierten. Mit dem Beitritt Österreichs zur EG ist das Accordino obsolet geworden (Autonome Region Trentino-Südtirol 1993).

Im Rahmen der historischen Beziehungen zwischen Nord- und Südtirol fand 1970 die erste gemeinsame Landtagssitzung in Bozen statt. 1991 folgte erstmals eine gemeinsame Landtagssitzung von Tirol, Vorarlberg, Südtirol und Trentino, ab 1996 haben sich die Dreierlandtage etabliert, mit Vorarlberg im Beobachterstatus. Dabei werden grenzüberschreitende Probleme besprochen und Arbeitsprogramme verabschiedet. 1995 kam es zur ersten gemeinsamen Sitzung der beiden Landesregierungen von Tirol und Südtirol (48–51). Darauf aufbauend kam es 1998 zum „Übereinkommen über grenzüberschreitende Zusammenarbeit im Rahmen einer Europaregion zwischen den Ländern Tirol, Südtirol und dem Trentino“. 2011 wurde die Europaregion auf der Grundlage einer europäischen Verordnung als Europäischer Verbund Territorialer Zusammenarbeit weiter entwickelt (Traweger und Pallaver 2016, 28–47). Seit 1995 gibt es in Brüssel ein gemeinsames Büro der drei Euregio-Länder.

Bereits 1952 begann die Zusammenarbeit zwischen den Ländern Friaul-Julisch Venetien und Kärnten, die später auf Slowenien ausgedehnt wurde. 2012 wurde der Europäische Verbund territorialer Zusammenarbeit, Euregio ohne Grenzen/Euregio senza Confini, mit dem Bundesland Kärnten und den Regionen Friaul Julisch-Venetien und Veneto ins Leben gerufen. Später kam die kroatische Gespanschaft (Region) Istrien/Istarska zupanija dazu (GECT/EVTZ Euregio senza Confini/Euregio ohne Grenzen 2021).

Beide Grenzgebiete, im Süden und Westen Österreichs, kooperieren mit den italienischen Nachbarregionen im Rahmen einer Vielzahl von multidimensionalen Organisationen. Exemplarisch sei auf die Makroregion EUSALP, der „Makroregionalen Strategie für den Alpenraum“ verwiesen, einem Verbund aus sieben EU-Mitgliedsstaaten, zwei Drittstaaten und 48 Regionen, oder der Arbeitsgemeinschaft Europäischer Grenzregionen (AGEG), die bereits 1971 gegründet wurde. Seit 1971 besteht die AGEG, die für alle europäischen grenzübergreifenden Regionen tätig ist und in denen auch jene Italiens und Österreichs vernetzt sind.

All diese zum Teil auch losen Kontakte führten 1972 zur Gründung der Arbeitsgemeinschaft Arge Alp in Tirol sowie in Venedig 1978 zur Gründung der Arbeitsgemeinschaft Alpen Adria. Zu den Gründungsmitgliedern der Arge Alp zählten: Tirol, Vorarlberg, Salzburg, Lombardei, Südtirol, Bayern und Graubünden. Später sind St. Gallen, Tessin und das Trentino dazugekommen. Die für Raumordnung zuständigen Minister der EG haben 1976 in Bari die Arge Alp als effektives Beispiel regionaler Zusammenarbeit in Europa bezeichnet.

Gründungsmitglieder der Alpen Adria waren Friaul-Julisch-Venetien und das Veneto, Bayern, Kärnten, Oberösterreich, Steiermark und Salzburg, die Sozialistische Republiken Kroatien und Slowenien. Heute gehören weitere Regionen aus Ungarn dazu, die Lombardei und Burgenland, Salzburg ist ausgeschieden. Solange die europäische Zweiteilung in Ost und West vorherrschte, sollte die grenzüberschreitende Kooperation auch das gegenseitige Vertrauen stärken. Arge Alp, Alpen Adria und Cotrao (Arbeitsgemeinschaft der Westalpen) arbeiten lose zusammen. Die Alpenschutzkonvention im Rahmen der CIPRA, der Internationalen Alpenschutzkonvention, an der unter anderem 22 italienische und 18 österreichische Organisationen teilnehmen, geht auf diese Kooperation zurück. Im Zuge der Kooperation der institutionellen Alpenländer schlossen sich auch die Gewerkschaften und Sozialdemokrat*innen zu solchen Arbeitsgemeinschaften zusammen, später folgten die Grünen.

Jenseits der Kooperation von Gebietskörperschaften und Organisationen in internationalen Organisationen, wie etwa in der Konferenz „Europa der Regionen,“ im Ausschuss der Regionen und dergleichen mehr, kam es 1993 zur Unterzeichnung eines Rahmenabkommens zur grenzüberschreitenden Zusammenarbeit in Durchführung des 1980 unterzeichneten Madrider Abkommens, mit dem Körperschaften innerhalb von 25 km von der Grenze auf gewissen Gebieten enger zusammenarbeiten konnten. Neben den beiden Bundesländern Tirol und Kärnten betrifft diese die Regionen und Autonomen Provinzen Trentino Südtirol, Friaul Julisch-Ventien und Veneto.

Das auf der Grundlage des Madrider Rahmenübereinkommens abgeschlossene Abkommen zwischen Italien und Österreich (seit 1995 in Kraft) war im Vergleich zu anderen bilateralen Abkommen nahezu wirkungslos. Außerdem hat Italien die beiden Zusatzprotokolle zum Madrider Rahmenübereinkommen nicht ratifiziert.

Erwähnenswert für die Verdichtung der austro-italienischen Beziehungen ist eine Fülle von Verwaltungskooperationen, die sich im Zuge der zahlreichen grenzüberschreitenden Interreg-Programme entwickelt haben, EU-Förderprogramme für die territoriale Zusammenarbeit. Das Interreg-Programm war Ausgangspunkt für die grenzüberschreitende Zusammenarbeit auf lokaler Ebene, die sich durch die Schaffung von Interreg-Räten bzw. nunmehr CLLD-Gebieten verfestigt hat (Community-Led Local Development/Lokale Entwicklung unter der Federführung der Bevölkerung) (Engl 2019, 93). Kooperationen zwischen Gemeinden, wirtschaftlichen Verbänden (z. B. Handelskammern) oder Universitäten sind heute selbstverständlich.

All diese Kooperationen „im Unterholz“ zwischen den beiden Ländern dürfen nicht nur an ihrer wirtschaftlichen Bedeutung gemessen werden. Vielmehr dienen sie auch für das gegenseitige Verständnis über die Grenzen hinweg und können als Tragsäule für den weiteren europäischen Integrationsprozess angesehen werden.

7 Welche Faktoren haben die österreichisch-italienischen Beziehungen beeinflusst? Schlussfolgerungen

Die Beziehungen Österreichs zu Italien sind durch äußere und innere Rahmenbedingungen geprägt. Was die äußeren betrifft, so waren Österreich und Italien nach 1945 durch ihre Westbindung verbunden. Ihre Beziehungen standen allerdings im Schatten des Kalten Krieges. Italien war Mitglied der Organisation für europäische wirtschaftliche Zusammenarbeit (OEEC) (1948), der NATO (1949) und war WEU-Gründungsmitglied (Westeuropäische Union) (1954), war Gründungsmitglied von EGKS (1951) und EWG (1957) und damit ein unentbehrlicher Partner des Westens. Österreich war hingegen bis 1955 ein besetztes Land. Der Staatsvertrag und damit verbunden die Neutralität stellte Österreich außerhalb des europäischen sicherheitspolitischen Bündnisses und bis zum EU-Beitritt außerhalb des europäischen Integrationsprozesses. Der Kalte Krieg fror viele ungelöste Fragen der Beziehungen zwischen Rom und Wien ein, das betraf die Südtirolfrage genauso wie Österreichs Interesse am Hafen von Triest oder Transitrouten (Gehler 2020, 90–91).

Österreichs offensiv betriebene Neutralitätspolitik (UNO-Beitritt 1955, Europarat 1956, politisches Engagement in der Ungarn-Krise 1956/1957 etc.) gaben der Politik Österreichs neue Spielräume, die etwa in der Südtirolpolitik zum Ausdruck kamen, aber auch in den wirtschaftlichen Beziehungen zu Italien. Die von Italien ausgespielte Asymmetrie der internationalen Bündnisbeziehungen konnte Österreich durch die aktive Neutralitätspolitik, insbesondere durch ihre menschenrechtliche Dimension durch Bruno Kreisky (SPÖ) abschwächen.

Die österreichische Südtirol-Politik war immer ein wichtiges, aber immer nur ein temporäres Anliegen. Absolute Priorität hatte Südtirol in den Jahren 1945/1946 (Rückkehr zu Österreich), 1960/1961 (UNO), 1967 (Veto Italiens) 1969 (Paketabschluss) und 1991/1992 (Streitbeilegung). Es gab da andere Fragen, denen die Südtirolpolitik untergeordnet wurde, so die Verhandlungen zum Staatsvertrag (1947–1955), die Teilnahme am Marshallplan (1948–1953), die Beziehungen zur Montanunion (1952–1958), die versuchte EWG-Assoziierung (1961–1963), der „Alleingang“ nach Brüssel (1963–1967), die internationalisierte und globalisierte Außenpolitik (1970er Jahre) oder die EG-Beitrittspolitik (1989–1995) (Gehler 2020, 90).

Zu den äußeren Rahmenbedingungen der Beziehungen zwischen Wien und Rom gehört auch Deutschland. Der Faktor „deutsche Frage“, Deutschlands ökonomisches und währungsspezifisches Potential (D-Mark, dann die Lira-Stützung vor 1989, die These des „Euro-Gefängnisses“ seit 2002 etc.), später die deutsche Einigung und insbesondere die politische Rolle in der EU haben Italiens Außen-, Europa- und letztlich Österreichpolitik immer beschäftigt, lange auch immer unter den Befürchtungen eines tatsächlichen oder vermeintlichen Pangermanismus. „Wenn Rom nach Wien schaute, schielte es immer mit einem Auge nach Bonn und später noch viel mehr nach Berlin.“Footnote 2 Deshalb haben sich die österreichischen Beziehungen zu Italien so weit als möglich immer von Deutschland abgegrenzt.

Der europäische Einigungsprozess, vor allem der Beitritt Österreichs zur EU haben die Beziehungen zwischen den beiden Ländern auf eine neue Ebene gehoben. Die EU hat die frühere Asymmetrie wieder ins Lot gebracht. Dies kam etwa eklatant im Jahre 1967 zum Ausdruck, als Italien wegen des Südtirolterrorismus ein Veto gegen das österreichische Assoziierungsgesuch an die EWG einlegte. Mit dem EU-Beitritt Österreichs und den Abstimmungsregeln innerhalb der heute 27 Mitgliedsländer kann Österreich genauso sein Vetopotenzial einsetzen, wie dies mit der Drohung gegen Italien hinsichtlich den Recovery Fund 2020/2021 der Fall war. Auch der Druck Italiens auf Österreich in der Transitfrage ist heute keine rein bilaterale, sondern eine europäische Angelegenheit. Gemeinsam haben sich die beiden Länder zeitweise im Übergang zur Jahrtausendwende an den Rand der Europäischen Union manövriert, als in Rom und Wien rechtspopulistische Parteien an die Regierung kamen (Berghold 2003, 5).

Österreichs Beziehungen zu Italien waren über lange Jahre vom Südtirolkonflikt überschattet, mit der Streitbeilegung von 1992 erfolgte eine verspätete, aber definitive Normalisierung, verstärkt durch den EU-Beitritt Österreichs (1995) und dem Schengenabkommen für beide Staaten (1997/1998). Dieser lange Abschied der Spannungen hat die inneren Rahmenbedingungen der Beziehungen zu Italien mitbestimmt. Über lange Strecken gab es in den Beziehungen zu Italien immer einen parteiübergreifenden Konsens, ganz besonders in der Südtirolfrage. Dieser Konsens ist mit dem Aufbrechen des österreichischen Parteiensystems und dem Aufstieg der FPÖ weniger geworden. Die Konkordanz hat der Konkurrenz Platz gemacht. So hat die FPÖ den Parteienkonsens in der Südtirolfrage definitiv 1969 gekündigt, als die Partei gegen das Südtirolpaket stimmte, das die Grundlage des Zweiten Autonomiestatutes von 1972 wurde (Pallaver 2019). Dissens unter den Parteien in der Haltung zu Italien besteht etwa in der Flüchtlingsfrage und der Schließung von Grenzübergängen zum südlichen Nachbarland (Sauer 2017, 198–203).

Sonst aber sind die Beziehungen zu Italien in den letzten Jahren vermehrt an regionale Eliten delegiert worden. Dies hängt mit der starken grenzüberschreitenden, vor allem ökonomischen Kooperation mit dem Norden Italiens zusammen. Paradigmatisch kann dafür der Besuch von Tirols Landeshauptmann Günther Platter (ÖVP) mit den beiden Kollegen der Europaregion Tirol-Südtirol-Trentino beim italienischen Innenminister angesehen werden, bei dem es um Flüchtlings- und Grenzfragen ging (APA-OTS 2016). Auffällig ist auch, dass in den letzten Jahren bei unterschiedlichen bilateralen Anlässen nicht nur repräsentativer Natur (z. B. Grenzschließung am Brenner 2016) die Regierungsvertreter*innen von den Staatspräsidenten abgelöst worden sind.

Die transnationale Parteienkooperation war und ist eher schwach ausgeprägt, wenngleich in den letzten Jahren die rechtspopulistischen Parteien ihre Kontakte intensiviert haben (Pallaver 2020). Stärker auf die bilateralen Beziehungen wirkten starke politische Persönlichkeiten. Solche Beziehungen gab und gibt es etwa zwischen den Christdemokraten Leopold Figl und Alcide Degasperi, Josef Klaus und Aldo Moro, Alois Mock und Giulio Andreotti, zwischen den Sozialdemokraten Bruno Kreisky und Giuseppe Saragat und den Staatspräsidenten Heinz Fischer (SPÖ) und Giorgio Napolitano sowie zwischen Alexander van der Bellen (Grüne) und Sergio Mattarella.

Jenseits von kleineren Scharmützeln können die Beziehungen zwischen den beiden Ländern heute als „exzellent“ bezeichnet werden. Doch die „exzellenten“ Beziehungen auf politischer Ebene dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass die beiden Ländern zwar nicht mehr Rücken an Rücken zueinander stehen, ihr Verhältnis aber eher im Zeichen „wohlwollender Gleichgültigkeit“ verhaftet bleibt (Heiss 2012, 102), sieht man von den unmittelbaren grenzüberschreitenden Kooperationen ab. Österreich ist in Italien cum grano salis im Wesentlichen in jenen Regionen ökonomisch und kulturell präsent, die früher zur Habsburgermonarchie gehört haben (Lombardei, Venetien, Trentino-Südtirol, Friaul-Julisch Venetien), dazu kommen Emilia Romagna und Piemont. In diesen Regionen stößt man auch auf so manchen Mitteleuropa-Nostalgiker. Und in der Kultur kommt natürlich Rom dazu. Hingegen wird weiter südlich Österreich immer noch oft als deutscher Vorhof wahrgenommen. Ein flächendeckendes gegenseitiges Interesse kann nicht unbedingt festgestellt werden, das eher von Klischees und Stereotypen geprägt wird (Corni 2003). Dazu steuern auch die Tourist*innen bei, die in den Süden seit jeher, in den letzten Jahren in den Norden strömen. Überspitzt könnte man formulieren, die Beziehungen der beiden Länder sind innerhalb ihrer EU-Nachbarschaft sehr gut, beide Länder können sich aber gar nicht verkennen, weil sie sich nicht kennen. Das wiederum ist aber kein Einzelfall in der jeweils nachbarschaftlichen Sehschwäche, sondern eher ein Trend des nationalen Rückzugs in Europa.

Weiterführende Literatur:

Berghold, Josef (1997): Italien-Austria. Von der Erbfeindschaft zur europäischen Öffnung, Wien: Eichbauer Verlag.

Der Autor zeigt auf, wie sich die ehemalige Erbfeindschaft zwischen Italien und Österreich im Laufe weniger Generationen zu einem normalen Nachbarschaftsverhältnis mit gegenseitiger Wertschätzung gewandelt hat.

Gehler Michael und Maddalena Guiotto. Hrsg. 2012. Italien, Österreich und die Bundesrepublik Deutschland in Europa. Ein Dreiecksverhältnis in seinen wechselseitigen Beziehungen und Wahrnehmungen von 1945/49 bis zur Gegenwart, Köln; Weimar: Böhlau.

Der Sammelband zeigt aufschlussreiche Querverbindungen und wenig bekannte Zusammenhänge zwischen Österreich, Italien und Deutschland auf. Einige Aufsätze behandeln privilegiert die Beziehungen Österreich-Italien.

Steininger, Rolf. 1999. Südtirol zwischen Diplomatie und Terror 1947-1969, 3 Bde. Bozen: Athesia.

In den drei Bänden werden u. a. recht ausführlich die diplomatischen Beziehungen zwischen Österreich und Italien zum Konfliktfall Südtirol dargestellt.