Schlüsselwörter

1 Einleitung

Welche Außenpolitik verfolgt Österreich gegenüber den Vereinigten Staaten von Amerika (USA) und Kanada? Diese Frage ist für beide Länder sehr unterschiedlich zu beantworten. Auf der einen Seite prägt ein starkes Machtgefälle die Beziehungen zwischen Österreich und den USA. Während der Jahre der Besatzungszeit (1945–1955) waren die bilateralen Beziehungen sehr eng – vor allem legten die USA alles daran, eine drohende „Sowjetisierung“ Österreichs zu verhindern. In den Jahren nach dem Staatsvertrag blieben die Beziehungen sehr eng, was auch daran zu erkennen war, dass die USA nach wie vor Top-Diplomat*innen als Botschafter*innen nach Wien schickten. Von den 1960er-Jahren bis zum Ende des Kalten Krieges 1989 wurde Österreich von den USA zwar als Brückenbauer und Ort der diplomatischen Begegnung geschätzt, jedoch verschlechterte sich das Verhältnis zusehends und nicht zuletzt aufgrund außenpolitischer Aktivitäten in der Ära Kreisky.

Nach dem Ende des Kalten Krieges und Österreichs EU-Beitritt im Jahr 1995, wurde in der Wiener Außenpolitik Brüssel wichtiger als Washington und die Beziehungen zu den USA erreichten während der Präsidentschaft von George W. Bush („Bush II“) einen neuen Tiefpunkt als Wien sich gegen die Intervention in Irak positionierte. Seither dämmern die bilateralen Beziehungen dahin. Während Österreich den Botschafterposten in Washington nach vor mit den besten Karrierediplomat*innen besetzt, entsendet Washington keine career diplomats sondern campaign donors als Botschafter*innen nach Wien.

Auf der anderen Seite interagiert Österreich mit Kanada mehr auf Augenhöhe. Kanada ist, im Kern auch seinem Selbstverständnis nach, eine Mittelmacht auf dem internationalen ParkettFootnote 1. Als solche ist sie für Wien oftmals eine Verbündete in „weichen“ Globalfragen. Damit einher gehen zwei Eckpunkte, die das Verhältnis zu einem fernen und befreundeten Nischen-Player wie Österreich konturieren: erstens ein Puffer in „harten“ Fragen (inter-)nationaler Interessendurchsetzung und zweitens ein geteilter Hang zum Aufbau multilateraler (Verhandlungs-)Regime (von Bredow 2003).Footnote 2 Ferner liegt eine indirekte Beeinflussung durch die Gemeinsamkeit eines „Großen Bruders/Cousins“, eines ungleich mächtigeren, kulturell nahestehenden Nachbarn vor: (a) der USA im Falle Kanadas besonders unter konservativ geführten Regierungen und (b) Deutschlands im Falle Österreichs und verwässert im Zuge von EU-Beitritt und EU-Osterweiterung.

2 Das Verhältnis zu den Vereinigten Staaten von Amerika

2.1 1945–1959 – Unterstützung und Neutralitätsskepsis

US-Truppen befreiten Teile von Österreich (Tirol, Salzburg, Oberösterreich) im Mai 1945 und besetzten Salzburg, Oberösterreich südlich der Donau (inkl. Linz), und einen Sektor in Wien im Laufe des Sommers. Die Amerikaner versuchten eine gründliche Entnazifizierung des Landes durchzusetzen. Im Jahr 1946 übergaben die vier Besatzungsmächte diese Agenda an die österreichische Regierung, die die Entnazifizierung hinauszögerte und 1948 mit Ausbruch des Kalten Krieges aufgab. Die US-Politik konzentrierte sich in der Frühphase der Viermächtebesatzung Österreichs auf den Zusammenhalt in der „Grossen ÖVP-SPÖ Koalition“ zur Erzeugung politischer Stabilität im Land und auf den wirtschaftlichen Wiederaufbau, um dem armen, hungrigen Land aus der wirtschaftlichen Not herauszuhelfen. Als die Sowjets 1945/1946 das sogenannte „Deutsche Eigentum“ beschlagnahmten und in die Holding „USIA“ überführten, übergaben die USA ehemalige deutsche Kriegsindustrien an die österreichische Regierung „zu treuen Handen“. Diese wurden verstaatlicht und dann später mit Marshallplan „Counterpart“ Investitionen ausgebaut (Bischof 1999).

Armut und Hunger charakterisierten Österreichs unmittelbare Nachkriegszeit. Zuerst brachte die US Armee Lebensmittel ins Land, um den Menschen das Überleben zu sichern. Ab 1946 war es die United Nations Relief and Rehabilitation Administration (UNRRA), die Österreich mit Lebensmitteln versorgte. Auch private Aktionen wie die „CARE Packages“ halfen zahlreichen Menschen. Als die Ost-West-Auseinandersetzungen härter wurden, galt Österreich als eines vom Kommunismus besonders gefährdetes Land. Zwei Überbrückungsprogramme des Kongresses halfen Österreich über die Runden. Ab Mitte 1948 erhielt Österreich Marshallplan (European Recovery Program, ERP)-Hilfe. Mit der amerikanischen Marshallplan-Hilfe, die Milliarden an „Counterpart Funds“ für Investitionen in allen Wirtschaftsbereichen (Industrie, Land- & Forstwirtschaft, Tourismus) generierte, gelangte Österreich zu neuem Wohlstand (Bischof und Petschar 2017).

Nach dem Marshallplan (1948–1952) konzentrierte sich die amerikanische Politik auf die geheime Wiederbewaffnung Österreichs und den Abschluß des Staatsvertrages. Nach dem sogenannten „kommunistischen Putschversuch“ im Herbst 1950 betrieb vor allem der amerikanische Hochkommissar die „geheime Wiederbewaffnung“ von Österreich. Die sogenannte „B-Gendarmerie“ wurde als Kern eines zukünftigen Bundesheeres ausgebildet. Die Amerikaner wollten keinen Staatsvertrag unterzeichnen, solange Österreich nicht für die Verteidigung des Landes nach Abzug der westlichen Besatzungstruppen vorbereitet war. Nach Josef Stalins Tod und Dwight D. Eisenhowers Wahl zum Präsidenten kam Bewegung in die Staatsvertrags-Verhandlungen. Nikita Chruschtschow verhalf den Verhandlungen 1955 mit seinem Zugeständnis, das Land zu neutralisieren, zum Durchbruch. Im Mai wurde der Staatsvertrag unterzeichnet und im Oktober zogen die letzten Besatzungstruppen ab; das Parlament erklärte die immerwährende Neutralität des Landes (Stourzh 1998; Bischof 1999; Rathkolb 1997).Footnote 3

In den folgenden Jahren wurde Österreichs Neutralität in der internationalen Arena getestet. Das neu aufgestellte Bundesheer wurde während der Invasion Ungarns durch die UdSSR an die Grenze verlegt und schlug sich hauptsächlich mit Flüchtlingen aus Ungarn herum, von denen zehntausende kamen – die meisten wanderten bald in die USA aus. Vizepräsident Richard Nixon kam zum Lokalaugenschein und zur Hilfestellung der USA zu den Ungarn-Flüchtlingen im Dezember 1956 nach Österreich (Richter 2019).

Während der Libanonkrise 1958, untersagte Bundeskanzler Julius Raab (ÖVP) amerikanische Überflüge (McIntosh 1996). Die bislang pro-westliche Neutralitätspolitik mußte sich nun glaubwürdiger zwischen West und Ost orientieren. Die Amerikaner machten auch Druck auf die österreichische Regierung, Restitutionen an die westlichen Ölfirmen und an jüdische Opfer zu bezahlen. Ende 1950er-Jahre waren die Beziehungen deshalb angespannt (Rathkolb 1997).

2.2 1960–1989 – Langsame Abkühlung der Beziehungen

In der zweiten Hälfte des Kalten Krieges übte Österreich eine aktive Neutralitätspolitik aus, die nicht immer im Interesse Washingtons war. Außenminister Bruno Kreisky (SPÖ, 1959–1966) vermittelte in der Berlinfrage zwischen seinem Freund, dem Berliner Bürgermeister Willi Brandt, und Chruschtschow. Er wollte mit seiner eigenen „Ostpolitik“ bessere Beziehungen zu den kommunistischen Nachbarn aufbauen (Rathkolb 1995). 1961 trafen sich Nikita Chruschtschow und der neue amerikanische Präsident John F. Kennedy in Wien. Chruschtschow hatte im Jahr zuvor 12-Tage lang Österreich besucht und wurde willkommen geheißen. Kennedy meinte, Wien sei eine Stadt, die „Symbol war für das Finden von gerechten Lösungen“. Weil sich die Mächte in der Berlin-Frage nicht einigen konnten, baute das Ulbricht-Regime im August die Berliner Mauer, um den Flüchtlingsstrom von Ostdeutschen in den Westen zu stoppen (Bischof und Kofler 2011).

Im Jahre 1961 machten die USA auch eine große Konzession an die Raab-Regierung als sie 11 Mrd. Schilling an ERP-Gegenwertkonten, die aus dem Marshallplan lukriert wurden, an Österreich übergaben. Damit wurde 1962 der sog. „ERP-Fonds“ eingerichtet, der bis zum heutigen Tage „ERP-Kredite“ an die österreichische Wirtschaft vergibt (Bischof und Petschar 2017). In den folgenden Jahren engagierte sich Österreich in der Entspannungspolitik, ganz im Interesse der USA.

Bis 1969 schickte Washington immer Top-Diplomat*innen des State Department nach Wien, danach waren es meist „politische Ernennungen“ von wohlhabenden Leuten, die Präsidenten in Wahlkämpfen finanziell unterstützten (political appointees). So verhandelte Llewelyn „Tommy“ Thompson, einer der Top-Sowjetexperten im State Department, als Botschafter in Wien (1952–1957) den Abschluss des Staatsvertrages mit (Bischof 2013). Eine gewisse Abwertung Österreichs hatte sich bereits 1961 in den Foreign Relations of the United States (FRUS) Bänden, der offiziellen Dokumentation der amerikanischen Außenpolitik, abgezeichnet. Bis 1960 erschien Österreich in der FRUS-Dokumentation zusammen mit Deutschland, ab 1961 in den Bänden zu Osteuropa (Department of State 1993, 1994).

1972 und 1974 wählt Präsident Richard Nixon Salzburg als Zwischenstopp auf Reisen nach Moskau und in den Nahen Osten aus. Nixon hatte bereits 1947 als ein Kongressabgeordneter auf einer fact finding mission für den Marshall Plan Wien besucht und dann wiederum im Dezember 1956 als Vizepräsident nach der Ungarnkrise. In einem Telefongespräch mit seinem Nationalen Sicherheitsberater Henry Kissinger sprach er von a „very close relationship with Austria from a personal standpoint“. Zudem lobte er die Österreicher*innen: „hell, they love Americans in Austria, they really do” (Richter 2019). Ansonsten wurde Kreiskys Nahostpolitik und die Schließung des Flüchtlingslagers Schönau als Durchgangsstation für sowjetische Jüd*innen nach Israel nach einem Terroranschlag in Marchegg in Washington argwöhnisch beobachtet (Schröck 2002; Aschheim 2022). Das neutrale Österreich spielte auch eine wichtige Rolle im Rahmen der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit (KSZE) im „Helsinki Prozess“ (Gilde 2013). Im Juni 1979 kam Präsident Jimmy Carter zu einem Gipfel mit Brezhnev nach Wien, um den SALT II Vertrag zu unterschreiben. Der neutrale Boden Österreichs hatte sich in diesem Abschnitt des Kalten Krieges als „Ort der Mitte“ etabliert (Gehler 2005).

In den 1980er-Jahren gelangten die U.S.-österreichischen Beziehungen an einen Tiefpunkt. Bundeskanzler Kreisky (SPÖ) kritisierte den neuen amerikanischen Präsident Ronald Reagan und seine Politik gegenüber der Gewerkschaft „Solidarnosz“. Dann wurde der Technologietransfer Österreichs in den Ostblock durch die Reagan-Administration beklagt. Der absolute Tiefpunkt wurde erreicht, als der neu-gewählte Präsident Kurt Waldheim, von Reagan’s Justizminister wegen seiner Kriegsvergangenheit auf die sogenannte Watchlist gesetzt wurde und nicht mehr in die USA einreisen durfte. In Österreich machte man sich große Sorgen über das ramponierte Image des Landes in den USA (Schröck 2002). Kreiskys vernichtendes und arrogantes Urteil über Reagan im zweiten Memoirenband Im Strom der Politik: „Das ist ein Mann von profunder Unbildung“ (zit. in Schröck 2002, 52).

2.3 1990–2020 – innenpolitische Konstellationen und Außenpolitik

Das Ende des Kalten Krieges kam auch für Österreich überraschend – man war unvorbereitet. In Wien wurde zur selben Zeit der Brief nach Brüssel vorbereitet, mit dem Inhalt der Europäischen Gemeinschaft beizutreten. 1989 kam es an Österreichs Grenze zu Ungarn zu dramatischen Vorfällen mit dem Fall des Eisernen Vorhanges. In den folgenden Jahren wurde der EG/EU-Beitritt 1995 vorbereitet, wobei die Neutralität ein gewisses Hindernis darstellte. Zudem wurde die Neutralität in der Krise des Zerfalls von Jugoslawien geprüft, vor allem mit Österreichs rascher Anerkennung des neuen Staates Kroatien. In der Bosnien- und Kosovokrise benutzte Washington Österreicher*innen immer wieder für ihre „guten Dienste“ – Altbundeskanzler Franz Vranitzky (SPÖ) und Botschafter Wolfgang Petritsch wurden als Vermittler der internationalen Gemeinschaft eingesetzt (Bischof 2013). Der undankbare Präsident George W. Bush nannte diese Vermittler später „washed-up diplomats rather than [Europe’s] best and brightest“ (Bischof 2013, 26). Der Aufstieg von Jörg Haiders FPÖ zur zeitstärksten Partei in Österreich und sein salopper Umgang mit der „Nazi-Vergangenheit“ des Landes erregten viel Aufmerksamkeit in den USA.

Zwischen 1999 und 2004, in den Jahren als Peter Moser Botschafter in Washington war, kam es immer wieder zu großen Spannungen im Verhältnis USA zu Österreich und Österreichs Image bei den Amerikaner*innen litt darunter. Im Jahre 2000 schloß sich die Clinton-Regierung nicht dem EU-Boycott der neuen und kontroversen ÖVP-FPÖ-Regierung unter Bundeskanzler Wolfgang Schüssel (ÖVP) an. US-Botschafterin Catherine Hall wurde aber immer wieder zu Konsultationen nach Washington berufen. In der US-Presse und im Kongress gab es heftige Kritik an der populistischen Politik vom FPÖ-Chef Jörg Haider, was als Anlaß genommen wurde Österreichs vergeßlichen Umgang mit der Zweiten Weltkriegsvergangenheit zu brandmarken. Botschafter Moser hatte alle Hände voll, die „verheerenden“ Auswirkungen auf Österreichs Image in den USA abzuwehren (Bischof 2014, 32; Moser 2011). In den Fragen der Restitutionen an Zwangsarbeiter*innen und Jüd*innen wurde in den letzten Tagen der Clinton-Regierung unter der Führung von Stuart Eizenstat große Fortschritte gemacht (Moser 2011).

Während der Regierungszeit von George W. Bush kam es wiederum zu großen Spannungen mit Wien. Dabei hatten die Österreicher*innen, den USA gegenüber nach den Angriffen auf New York und Washington am 11. September 2001 große Sympathie und Anteilnahme gezeigt (Reiter 2011). Österreich und seine Bevölkerung waren jedoch sehr kritisch gegenüber G.W. Bush und den Krieg gegen den Irak (Keene 2015). Österreich nahm nicht an der „Koalition der Willigen“ Teil, die Bush im Irak unterstützten. Der Verteidigungsminister Donald Rumsfeld machte sich hierauf über das „alte Europa“ lustig, nämlich die Europäer, die dem Irakkrieg fernblieben (Deutschland, Frankreich, Belgien, Österreich) (Keene 2015). Trotzdem besuchte Präsident Bush 2006 Wien für einen Tag, als Österreich den EU-Vorsitz hatte (Bischof 2013; Moser 2011, 146–154).

Nach Bush und Donald Trump begrüßten die Österreicher*innen die Präsidenten Barak Obama und Joseph Biden warmherzig. Mit den liberalen Präsidenten der Demokraten hatte man bessere Beziehungen als mit den erst Richtung Neokonservatismus und dann Rechtspopulismus tendierenden Republikanern.

3 Österreich-Kanada: Viel Gleichklang in „weichen“ Globalfragen

3.1 Kleinstaat und Mittelmacht im (teilweisen) Gleichklang

In den österreichisch-kanadischen Beziehungen gibt es mehr Kontinuität als in den österreichisch-amerikanischen. Deshalb sind die folgenden Abschnitte zu den Ersteren nicht chronologisch geordnet, sondern thematisch.

Auf der politischen Weltbühne, im Rahmen des Ringens und der Akzentsetzung in internationalen Institutionen, ist durchgehend von einem prinzipiellen Gleichklang in den Zielsetzungen Österreichs and Kanadas zu sprechen. Das gilt besonders für die Hochzeit internationaler Besuchs- und Gipfeldiplomatie in den 1970er-Jahren. Kanada, mit dem die Zweite Republik im Jahre 1952 diplomatische Beziehungen aufnahm, teilt etwa das Engagement Österreichs im Bereich Peacekeeping: Zwar setzen beide Länder naturgemäß unterschiedliche regionale Akzente. Überschneidungen im Sinne einer Teilhabe an denselben Missionen sind aber sowohl für die Vergangenheit als auch die Gegenwart festzuhalten, beginnend mit dem „Debüt“ der Zweiten Republik, der Operation der Vereinten Nationen im Kongo (ONUC) im Jahr 1960, bis hin zur Kosovo-Truppe (KFOR) im Kosovo (seit 1999) und der ebenso andauernden Multidimensionalen Integrierten Stabilisierungsmission der Vereinten Nationen in Mali (MINUSMA) (seit 2018). Wechselseitige Unterstützung fanden vielfach Bewerbungen um internationale Vertretung, beispielsweise um einen Sitz als nichtständiges Mitglied im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen: Österreich war bislang drei Mal in diesem zentralen Gremium vertreten (1973/1974, 1991/1992, 2009/2010; sowie zusätzlich zwei Mal im Menschenrechtsrat, 2011–2014 und 2019–2021), das privilegierte Kanada (Commonwealth-Sitz) bereits acht Mal.Footnote 4

Dieser Gleichklang in der außenpolitischen Anlage beider Länder trägt allerdings nicht weit über den Radius „weicher“ Angelegenheiten hinaus (Interview Riedel 2021). Man findet dieses Band der Übereinstimmung in Fragen der Umwelt-, Energie- oder Sicherheitspolitik auch rasch zerrissen: So nahm Österreich zwar an der Seite Kanadas eine bedeutsame, prestigeträchtige Rolle in der Entwicklung des Konzepts der „Humanitären Sicherheit“ (z. B. verknüpft mit Anstrengungen zur Ächtung von Landminen) ein. Der „Kleinstaat Österreich“Footnote 5 (Interview Lichem 2021) brachte sich an prominenter Stelle darüber hinaus in der sogenannten „Humanitären Initiative“ ein, die im Rahmen der Generalversammlung der Vereinten Nationen (und außerhalb der VN) den Weg zum „Vertrag über das Verbot von Kernwaffen“ (Treaty on the Prohibition of Nuclear Weapons, TPNW) bereiteteFootnote 6. Der Kreis der offiziellen bzw. faktischen Atommächte blieb jedoch bereits in der Verhandlungsphase außen vor; dies galt auch für die Gesamtheit der NATO-Staaten mit Ausnahme der Niederlande: Weder unterzeichnete Kanada noch hatte es am Verhandlungstisch Platz genommen.Footnote 7

Ein Teil der Dissonanzen (Stichwort Klimawandel) geht auf das Konto unterschiedlicher Regierungszusammensetzung: Die Regierungschefs seit der Jahrtausendwende entstammten nur zwei Jahre lang (2015–2017) derselben Parteienfamilie. Hinter unterschiedlichen Merkmalen der politischen Persönlichkeit der Akteure verbergen sich teils handfeste ideologische Kontraste (Calonego und Mittelstaedt 2020): Während (links-)liberal geführte Regierungen in Kanada einen multilateralen Ansatz verfolgen, lehnen sich konservative Pendants bevorzugt und mitunter eng an die US-Administration des Tages an (Interview Lichem 2021; Thunert 2003). Sichtbar wurde die ideologische Relevanz jüngst auch mit Blick auf den UN-Migrationspakt: Die liberale Trudeau-Regierung rührte die Werbetrommel für eine möglichst breite internationale Akzeptanz, wohingegen das schwarz-blaue Kabinett Kurz I mit seiner Absage einer mittelgroßen Absatzbewegung voranschritt (Kalvapalle 2018). Demgegenüber treten institutionelle Faktoren wie der unterschiedlich ausgestaltete, aber in beiden Ländern präsente Föderalismus als Erklärungsmoment außenpolitischer Orientierung zurück.Footnote 8

3.2 Außenwirtschaftspolitik

Eines innenpolitischen Kraftaktes bedurfte jenes Vorhaben, das die seltenen Schlagzeilen mit Bezug auf Kanada die zweite Hälfte der 2010er-Jahre dominiert hatte: Die parlamentarische Ratifizierung des Handelsabkommens „Comprehensive Economic and Trade Agreement“ (CETA) geriet zeitweise zu einer Streitfrage ersten Ranges (APA 2020).Footnote 9 Zeitgleich mit dem Abschluss der CETA-Verhandlungen auf Unionsebene hatten beide Seiten, das heißt wiederum im EU-Rahmen, im Oktober 2016 ein Strategisches Partnerschaftsabkommen unterzeichnet.Footnote 10 Juristisch und politisch abgeschlossen wurde das seit 2017 vorläufige Anwendung findende CETA hierzulande aber erst spät im Jahr 2018. Was war passiert? Sowohl die damalige Kanzlerpartei SPÖ als auch – noch weitgehender – die damalige Oppositionspartei FPÖ hatten 2016/2017 die ursprüngliche Blaupause für den Investitionsschutz (Schiedsgerichte) zum Anlass genommen, um grundsätzliche Kritik an internationalen Handelsabkommen zu üben; ein Zugeständnis nicht zuletzt an globalisierungskritische Strömungen in der Bevölkerung parallel zur Diskussion um ein ähnliches Abkommen zur Handelsliberalisierung mit den USA (Transatlantic Trade and Investment Partnership – TTIP).

Beide Parteien verknüpften ihre Kritik mit direktdemokratischer (Abstimmungs-) Rhetorik. Schließlich wurde den zaudernden politischen Parteien das Heft ein Stück weit von Aktivist*innen aus der Hand genommen, die eine Ablehnung CETAs zum Gegenstand eines Volksbegehrens machten – und mit knapp einer halben Million Unterschriften einen Achtungserfolg erzielten. Nicht viel später „segnete“ eine Mehrheit im Nationalrat ein leicht modifiziertes CETA doch noch ab – nunmehr mit der FPÖ als Juniorpartner an der Seite der Kanzlerpartei ÖVP.Footnote 11

Es handelte sich bei dieser österreichischen Episode bei weitem nicht um die einzige Verzögerung: Der gesamte Prozess des Verhandelns, Ratifizierens und Implementierens gestaltete sich besonders aufwendig aufgrund der vielen potenziellen Vetospieler auf beiden Seiten des Atlantiks. Das CETA-Gezeter einzelner Akteure offenbarte mitunter ein erstaunliches wechselseitiges Unverständnis für föderalistische Abstimmungserfordernisse – die institutionelle Ähnlichkeit und ähnlichen Nöte des jeweils anderen blieben unberücksichtigt bzw. verdeckt (Interview Riedel 2021).Footnote 12

3.3 Verteidigung und Wissenschaft

Fernab regierungspolitischer Konjunkturen trägt Österreich dem Status Kanadas als Mittelmacht in konventionellen Bahnen Rechnung: Das Vorhandensein eines Verteidigungsattaches in Ottawa ist die Pflicht, der Betrieb eines Kulturforums die Kür.Footnote 13 Bereits 1981 wurde im Außenpolitischen Bericht des Bundesministeriums für Auswärtige Angelegenheiten eine Grundkonstante benannt: "Neben der Außenpolitik im engeren Sinn ist die Außenwirtschaftspolitik zusammen mit der Auslandskulturpolitik einer der drei Grundpfeiler der österreichischen Außenpolitik" (Außenpolitischer Bericht 1981, 93).Footnote 14

Einen weiteren Schwerpunkt bildet die Wissenschaftspolitik: In der Strategie zur Koordinierung der österreichischen Forschungs-Außenpolitik bilden die USA, China, Russland und Indien eine Gruppe mit zugewiesener „Priorität 1“, während Kanada im Kreis der Länder mit „Priorität 2“ befindet (Tiroler Tageszeitung 2016). Das Netz an wissenschaftlich-kulturellen Einrichtungen und Programmen ist vergleichsweise dicht: An einer Hochschule im mittleren Westen des Landes ist eines der Handvoll Österreich-Zentren angesiedelt, die es außerhalb Europas sonst nur in den USA und Israel gibt.Footnote 15 Enge universitäre Bande werden unter anderem an den Universitäten Wien und Innsbruck (Zentrum für Kanada-Studien) gepflegt, unterstützt von Studienförderungsprogrammen und Möglichkeiten zum faculty exchange.Footnote 16

4 Resümee

Dieser Beitrag gab einen Überblick über die österreichische Außenpolitik gegenüber den nordamerikanischen Staaten USA und Kanada. Dabei wurden signifikante Unterschiede herausgearbeitet. Die Beziehungen zwischen Washington und Wien sind die einer Supermacht und eines Kleinstaates. Trotzdem war Österreich, trotz mancher Unstimmigkeiten, für die Vereinigten Staaten ein im Kalten Krieg geschätzter Vermittler zwischen Ost und West. In den letzten Jahrzehnten hat Österreich für amerikanische Entscheidungsträger*innen immer mehr an Bedeutung eingebüßt.

Österreichisch-kanadische Beziehungen hingegen sind weniger hierarchisch und durch mehr Kontinuität gekennzeichnet. Beide Staaten legen hohen Wert auf Multilateralismus und den Einsatz verschiedener Formen von soft power. In den 1990er-Jahren waren beide Staaten wichtige Advokaten der menschlichen Sicherheit und der Anwendung dieses Konzepts auf Politikbereiche, die zuvor stark über nationale Sicherheit definiert wurden, wie Abrüstung und Rüstungskontrolle. Zwar zählt Kanada nicht zu den Prioritäten österreichischer Außenpolitik, aber sie ist doch eine „Restgröße“ (Höll 2002). Dem geografischen Riesen im Hohen Norden Amerikas wird durchaus eine herausgehobene Stellung beigemessen.

Weiterführende Literatur

Bischof, Günter, und Anton Pelinka, Hrsg. 1994. The Kreisky Era in Austria. New Brunswick, NJ: Transaction Publishers.

Dieser Überblick über österreichische Außenpolitik unter Kreisky (SPÖ) behandelt österreichisch-amerikanische Beziehungen an vielen Stellen.

McCormick, Thomas J. 1995. America’s Half-Century: United States Foreign Policy in the Cold War and After. Baltimore, MD: Johns Hopkins University Press.

In den empirischen Kapiteln dieses Buches schreibt der Autor viel über US-Außenpolitik gegenüber Europa, Österreich inbegriffen.

Nossal, Kim Richard, Stéphane Roussel, und Stéphane Paquin. 2015. The Politics of Canadian Foreign Policy. Montreal: McGill-Queen’s Press.

Dieses einschlägige Werk über kanadische Außenpolitik, mittlerweile bereits in der 4. Auflage erschienen, geht auch auf kanadische Außenpolitik gegenüber Österreich ein.

Pelinka, Anton, Günter Bischof, und Michael Gehler, Hrsg. 2017. Austrian Foreign Policy in Historical Context. London; New York, NY: Routledge.

Mehrere Kapitel in diesem Sammelband gehen auf die Beziehungen zwischen Österreich und den USA und auch zwischen Österreich und Kanada ein.