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1 Einleitung

Abhandlungen zur österreichischen Außen- und Sicherheitspolitik befassen sich in der Regel mit den politischen Rahmenbedingungen und den daraus resultierenden Inhalten. Über die Akteure und Institutionen, durch die Entscheidungen getroffen werden, findet sich dagegen deutlich weniger. Darstellungen der Außenpolitik sprechen oft von einem singulären und unitären Akteur, so als ob die Präferenzen einhellig wären und alle Entscheidungsstränge an einem Ort zusammenlaufen würden. Das entspricht klassischen Zugangsweisen, die einheitliches Auftreten, flexible Entscheidungsfindung und kontrollierten Umgang mit Informationen als Schlüsselfaktoren für effiziente und durchsetzungsstarke Außenpolitik sehen. Die Einbindung anderer Akteure als der Regierung würde demnach sowohl im Vorfeld der Politikformulierung und bei Verhandlungen als auch im Rahmen nachfolgender Kontrolle Verhandlungspositionen schwächen und einen Reputationsverlust in den internationalen Beziehungen bewirken (Raunio 2014; Griglio 2021).

Dass eine solche Perspektive auch in der österreichischen Diskussion dominiert, ist besonders bemerkenswert. Die Bundesverfassung bestimmt zwar den Bundespräsidenten (die Bundespräsidentin) für die Außenvertretung Österreichs, aber sie verpflichtet diese*n zugleich zum Zusammenwirken mit der Bundesregierung. Diese wiederum unterliegt auch in der Außenpolitik der parlamentarischen Kontrolle. Aus der Notwendigkeit der Abgrenzung der Kompetenzen und Einflussmöglichkeiten folgen daher regelmäßig Konflikte zwischen den verschiedenen Akteuren (Frölichsthal 2017, 55). Aber selbst wenn wir uns nur auf die Bundesregierung konzentrieren, stellen sich Fragen der Kompetenz und der Akteursdimension. Anders als etwa in Deutschland hat der/die österreichische Bundeskanzler*in keine Richtlinienkompetenz, also keine Weisungsbefugnis. Die Regierungsmitglieder haben daher einen Entscheidungsspielraum und die entsprechende Verantwortung für ihr innen- und außenpolitisches Handeln. Die Bundesregierung selbst tritt selten als einheitlicher außenpolitischer Akteur auf und kann dies nur nach einstimmigem Beschluss tun. Dem Außenministerium wird eine führende Rolle in der Außenpolitik zugesprochen, und es verfügt im Unterschied zu anderen Ministerien, Präsidentschaftskanzlei und Parlament über einen großen und spezialisierten Beamtenapparat im Bereich der Außenpolitik. Noch komplexer wird die Sicherheitspolitik durch die Einbindung des Bundesheeres und damit des Verteidigungsministeriums auf Basis nachrichtendienstlicher Informationen und Analysen des sicherheitspolitischen Umfeldes. Dazu kommt Österreichs Rolle in der Europäischen Union (EU) und in deren gemeinsamer Außenpolitik. Hier gibt es eine unbestrittene Koordinationsfunktion des Bundeskanzlers, der Bundeskanzlerin (Müller 2012), doch können je nach Politikbereich andere Ministerien, die Länder, das Parlament, Sozialpartner und Interessensgruppen die Entscheidungen beeinflussen.

Kurzum, eine oberflächliche Betrachtung der institutionellen Zuständigkeiten und der Akteursvielfalt scheint aus Sicht der institutionellen Politik auf verschiedene systemimmanente Handlungslogiken hinzuweisen. Diese können im Sinne der Eigenständigkeit einzelner Bereiche zu Problemen und möglichen Handlungsdivergenzen führen. In diesem Kapitel werden wir sie in mehreren Schritten analysieren. Wir beginnen mit einer Bestandsaufnahme der verfassungsrechtlichen Grundlagen und deren Entwicklung. Dabei zeigt sich ein sehr weiter Rahmen, der nur beschränkt zur Erklärung politischen Handelns taugt. In einem nächsten Schritt gehen wir daher auf verschiedene Entscheidungsarenen ein. Anschließend werden einzelne empirische Befunde zu den politischen Zielen von Regierungen und Bundespräsidenten und dem Zusammenspiel beider sowie der Rolle des Parlaments vorgestellt. Sie können eine Grundlage dafür bilden, die Akteurskonstellationen in den einzelnen Politikfeldern näher zu untersuchen und entsprechend zu analysieren.

2 Historische und verfassungsrechtliche Grundlagen

2.1 Historische Entwicklung

Die österreichische Bundesverfassung nennt nur den Bundespräsidenten (die Bundespräsidentin) ausdrücklich als außenpolitischen Akteur. Die außenpolitische Rolle der Bundesregierung ergibt sich aus verschiedenen Ziel-, Kompetenz- und Aufgabenbestimmungen. Für den Nationalrat und Bundesrat lassen sich indirekte Kompetenzen ableiten, da diese etwa durch die Notwendigkeit, den Abschluss von Staatsverträgen zu genehmigen, oder im Rahmen der parlamentarischen Kontrolle außenpolitisch relevante Entscheidungen beeinflussen kann. Für alle Genannten bestehen nur punktuelle Regelungen, die weite Handlungsräume ermöglichen. Dementsprechend kommen der historischen Entwicklung, der konkreten Praxis und Expertenmeinungen der Rechtswissenschaft große Bedeutung zu.

Traditionell war die auswärtige Gewalt dem Monarchen (der Monarchin) vorbehalten und galt als Ausdruck der Souveränität. Im frühen 19. Jahrhundert begannen jedoch Debatten darüber, dass der Abschluss von Staatsverträgen auch zur Einschränkung von Freiheit und Eigentum der Bürger führen konnte. Nach dem Vorbild Belgiens (Rotter 1980) wurde in Österreich 1867 die parlamentarische Zustimmung zu jenen Verträgen eingeführt, die Staat oder einzelnen Bürger*innen Lasten aufbürdeten. Das war der Anlass für intensive Debatten über das Verhältnis von Völkerrecht und Staatsrecht und damit um die Frage, ob das Staatsoberhaupt in außenpolitischen Angelegenheiten ungebunden handeln durfte oder nicht (Öhlinger 1973).

Die Bundesverfassung der Republik Österreich ging im Jahr 1920 davon aus, dass außenpolitisches Handeln der Exekutive vorbehalten sei, an der das Parlament lediglich teilnehme. Neu war jedoch, dass Staatsverträge mit formellen Bundesgesetzen gleichgesetzt wurden. Hans Kelsen bezeichnete dies als Instrument der parlamentarischen Herrschaft (Kelsen et al. 1922, 134). Nach diesem Verständnis gab es keinen rechtsfreien Raum in der Außenpolitik mehr und dementsprechend auch keinen Begriff der „auswärtigen Gewalt“ in österreichischen Verfassungsdebatten (Öhlinger 2011, 632–633).

Praktisch bedeutet das, dass das Parlament bei jedem Abschluss, oft aber auch bei jeder Änderung eines völkerrechtlichen Vertrages zu beteiligen ist. Auch einseitige völkerrechtliche Vorgänge wie die Anerkennung fremder Staaten wurden als Staatsverträge verstanden, die der parlamentarischen Zustimmung bedurften. Bis 2007 war es sogar möglich, durch Staatsverträge Verfassungsrecht zu schaffen, was eine Zustimmung mit 2/3-Mehrheit erforderte und unter anderem dem Nationalrat eine entsprechende Verhandlungsmacht sicherte.

Weitere Bereiche der Außenpolitik wurden hingegen nur vereinzelt und wiederum nur zum Zweck parlamentarischer Mitwirkung verrechtlicht (Öhlinger 2011). Ausgangspunkt dafür war zum einen die Überzeugung, dass die Umsetzung bestimmter internationaler Verpflichtungen nur aufgrund von Verfassungsänderungen möglich wäre. Umgekehrt wurde die erforderliche Unterstützung der Oppositionsparteien für den Beitritt zur EU bzw. zum Vertrag von Lissabon sowie zu Beschlüssen in der EU-Finanz- und Schuldenkrise dafür genutzt, parlamentarische Mitwirkungsrechte durchzusetzen (Konrath 2017). Aber auch diese Neuerungen gehen von einer primären Aufgabe der Exekutive aus. In der Systematik der Bundesverfassung sehen sie daher nur eine Mitwirkung des Hauptausschusses des Nationalrates bzw. anderer Ausschüsse vor.

2.2 Bundespräsident, Bundesregierung und Außenpolitik in der Bundesverfassung

Die Bundesverfassung (Artikel 65 Abs. 1 B-VG) weist die Vertretung der Republik nach außen, den Empfang und die Beglaubigung von Gesandten, die Bestellung der konsularischen Vertreter*innen Österreichs im Ausland und den Abschluss von Staatsverträgen allein dem Bundespräsidenten (der Bundespräsidentin) zu. Das steht im Spannungsverhältnis zur Organisation der Bundesregierung im Bundesministeriengesetz, dass die Festlegung und Formulierung der österreichischen Außenpolitik der Bundesregierung und hierbei im Besonderen dem Außenminister oder der Außenministerin überträgt (Kloss und Rohan 2017). Deutlicher wird es, wenn man berücksichtigt, dass der Bundespräsident, die Bundespräsidentin nur solche außenpolitischen Akte selbst setzen darf, die keine innerstaatlichen oder internationalen Rechtswirkungen auslösen. Rechtsverbindliche Akte wie der Abschluss eines Staatsvertrags können nur vollzogen werden, wenn es dazu einen Vorschlag der Bundesregierung gibt. Wenngleich der Bundespräsident, die Bundespräsidentin nur auf Vorschlag handeln  kann, so sind sie nicht verpflichtet, diesem auch zu folgen. Es liegt daher im politischen Ermessen des Bundespräsidenten, der Bundespräsidentin, ob ein Staatsvertrag abgeschlossen wird oder nicht (Kröll 2016). Die Rolle des Bundespräsidenten, der Bundespräsidentin in der Außenpolitik ist somit verfassungsrechtlich wie auch politisch von Ambivalenz geprägt.

Diese Ambivalenz tritt noch deutlicher hervor, wenn wir berücksichtigen, dass die Bundesverfassung die außenpolitische Tätigkeit der Bundesregierung voraussetzt, aber nicht ausdrücklich regelt. Nur im Zusammenhang mit der EU-Mitwirkung ist klargestellt, dass die österreichischen Vertreter*innen im Rat bestimmte Akte nicht ohne vorheriges Einvernehmen mit dem Nationalrat setzen können bzw., dass Nationalrat und Bundesrat Verhandlungspositionen vorgeben können (siehe Abschn. 2.4.). Die Bundesverfassung sieht weder einen Außenminister, eine Außenministerin vor, noch weist sie dem Bundeskanzler, der Bundeskanzlerin – mit der erwähnten Ausnahme der EU-Koordination – eine bestimmte außenpolitische Rolle zu.

Das Bundesministeriengesetz legt zwar die Zuständigkeiten und Verantwortungsbereiche der einzelnen Mitglieder der Bundesregierung fest und sieht eine besondere Koordinationsfunktion des Außenministeriums in der Außenpolitik vor. Es regelt jedoch nicht, wie diese im Einzelnen erfolgen soll. Daher bleibt der inhaltlichen Ausgestaltung den parteipolitischen, ideologischen oder persönlichen Präferenzen ebenso überlassen wie die außenpolitische Gewichtsverteilung und Rollenverständnis zwischen Bundeskanzler*in und Außenminister*in.

Politisch sind Bundeskanzler*in und Bundesregierung dem Bundespräsidenten, der Bundespräsidentin, verantwortlich. Er (oder sie) kann sie jederzeit und einzelne Mitglieder der Regierung auf Vorschlag des Bundeskanzlers, der Bundeskanzlerin, entlassen. Die Bundesregierung und jedes ihrer Mitglieder ist dem Nationalrat und dem Bundesrat politisch verantwortlich. Außenpolitisches Handeln ist nicht ausgenommen und unterliegt vollumfänglich der parlamentarischen Kontrolle.

2.3 Nationalrat, Bundesrat und Außenpolitik in der Bundesverfassung

Die Verfassung sieht keine eigenständige außenpolitische Rolle von Nationalrat und Bundesrat vor. Nur im Bereich der EU-Mitwirkung können Nationalrat und Bundesrat in Teilbereichen eigenständig handeln (Öhlinger und Konrath 2013a). Im Gegensatz zu anderen Parlamenten (Wagner 2017) verfügt das österreichische über keine Möglichkeit, selbständig verbindliche außenpolitische Positionierungen, etwa in Form von Resolutionen, vorzunehmen. Jede Kammer kann nur in Form von Entschließungen Wünsche zur Einnahme und aktiven Vertretung solcher Positionen durch die Bundesregierung oder ihrer Mitglieder formulieren. Das schließt jedoch nicht aus, dass die Parlamentskammern bzw. ihre Organe oder Mitglieder in sonstigen Bereichen außenpolitisch tätig werden (Griglio 2021). Solches Handeln ist seit langem anerkannt und zeigt sich etwa darin, dass schon der Reichsrat 1890 der Internationalen Parlamentarischen Union beitrat. Seit den 2000er-Jahren wurden – in Übereinstimmung mit internationalen Entwicklungen (Stavridis 2021) – die außenpolitischen Aktivitäten des Parlaments deutlich verstärkt (Parlamentsdirektion 2020).

Aus juristischer Perspektive ist die Mitwirkung am Abschluss und an der Beendigung von Staatsverträgen der Dreh- und Angelpunkt der Demokratisierung und Parlamentarisierung der Außenpolitik (Öhlinger 2011; Ranacher 2017). Das parlamentarische Genehmigungsverfahren entspricht dem Gesetzgebungsverfahren mit der Maßgabe, dass es nur von der Bundesregierung initiiert werden kann. So wie Gesetzesvorschläge werden auch Staatsverträge je nach Politikfeld in den Fachausschüssen behandelt (z. B. Handelsverträge im Wirtschaftsausschuss). Dem jeweiligen Außenpolitischen Ausschuss kommt hingegen die Aufgabe zu, über grundsätzliche Fragen der Außenpolitik und Standpunkte zu aktuellen Themen in den internationalen Beziehungen zu debattieren. Das geschieht z. B. durch die Behandlung des „Außenpolitischen Berichts“ der Bundesregierung.

Die Bundesregierung muss Nationalrat und Bundesrat über die Aufnahme von Verhandlungen über Staatsverträge informieren (Öhlinger 2011). Daraus folgen jedoch keine weiteren Informationspflichten. Eine parlamentarische Auseinandersetzung ist nur mittels Kontrollrechten möglich.

Der Nationalrat kann keinen Einfluss auf einen Staatsvertragstext nehmen. Es ist in Österreich jedoch anerkannt, dass einseitige Akte zum Vertragstext, z. B. Vorbehalte oder Erklärungen der Bundesregierung, sehr wohl geändert werden können. Der Nationalrat könnte diese auch selbst formulieren (Öhlinger 2011, 635; Wittmann 1983). Im Völkerrecht wird das kritisch gesehen, da es internationale Praktiken und Erwartungen an die Loyalität der Vertragspartner unterlaufen kann (Zemanek 2004).

Wie im Gesetzgebungsverfahren hat der Bundesrat die Möglichkeit, Einspruch gegen den Beschluss des Nationalrates über die Genehmigung des Vertragsabschlusses zu erheben. Wenn ein Staatsvertrag jedoch Angelegenheiten betrifft, die den selbständigen Wirkungsbereich der Länder betreffen, dann muss der Bundesrat zustimmen. Er hat also ein absolutes Vetorecht.

Nur in EU-Angelegenheiten und teilweise im Bereich des Europäischen Stabilitätsmechanismus ESM bestehen tatsächliche Mitwirkungsrechte, sodass hier zumindest formell von umfassender Parlamentarisierung gesprochen werden kann (Neuhold und Blümel 2007). Dazu zählen Zustimmungsrechte zur Nominierung österreichischer Vertreter*innen in EU-Organen und Stellungnahmerechte gegenüber der Bundesregierung, besondere Genehmigungsrechte bei Vertragsänderungen und ausgewählten Beschlüssen sowie die unmittelbare Teilnahme von Nationalrat und Bundesrat im EU-Frühwarnsystem (Öhlinger und Konrath 2013a; Konrath und Murer 2013; Miklin 2015). Dazu kommt die Mitwirkung an der interparlamentarischen Zusammenarbeit in der EU (Konrath und Liebich 2014). Von entscheidender Bedeutung sind aber die umfassenden Informationspflichten der Bundesregierung über Vorhaben der EU. Für sie gelten im Unterschied zu anderen Kontrollrechten keine Ausnahmebestimmungen wie Amtsverschwiegenheit oder Sicherheitspolitik. Ebenso kann im Unterschied zu Staatsverträgen ein EU-Vorhaben in jedem Stadium der Beratung auch im Nationalrat oder Bundesrat behandelt werden. Angesichts der Tatsache, dass ein substanzieller Teil der österreichischen Außenpolitik im Kontext der EU erfolgt,Footnote 1 können die EU-Mitwirkungsrechte auch zur parlamentarischen Mitgestaltung externer Beziehungen genutzt werden.

Der Nationalrat verfügt auch in einzelnen sicherheitspolitischen Angelegenheiten, denen aufgrund der Neutralitätsverpflichtung „eminente außenpolitische Bedeutung“ zugemessen wurde über Mitwirkungsrechte. Konkret heißt das, dass die Entsendung österreichischer Militär- oder Polizeieinheiten ins Ausland bzw. die Mitwirkung an Beschlüssen der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik der EU (GASP) nur im Einvernehmen von Bundesregierung und Hauptausschuss des Nationalrats erfolgen kann (Öhlinger 2013).

Die Kontrollrechte von Nationalrat und Bundesrat umfassen die gesamte Geschäftsführung der Bundesregierung. Diese schließt die Außenpolitik ausnahmslos mit ein. So können beide Kammern jederzeit außenpolitische Fragen auf die Agenda setzen und in Anfragen, Entschließungen und verschiedenen Debattenformaten (teilweise mit Vertreter*innen internationaler Organisationen) oder auch in einem Untersuchungsausschuss thematisieren.

2.4 Inhaltliche Vorgaben für die Außenpolitik

Die Bundesverfassung spricht an mehreren Stellen von zwingenden integrations- oder außenpolitischen Gründen, die einen besonderen Handlungsspielraum für die Bundesregierung schaffen (Öhlinger und Konrath 2013b, 59). Dieser wird jedoch nirgends näher bestimmt. Es gibt auch sonst keine verfassungsrechtliche Definition außenpolitischer Zielsetzungen. Allerdings bestehen eine Reihe verfassungsrechtlicher, gesetzlicher und völkerrechtlicher Vorgaben und Verpflichtungen, die verbindliche Maßstäbe und Grenzen außenpolitischen Handelns setzen. Dazu zählen insbesondere der Staatsvertrag von Wien und die verfassungsrechtlichen Grundlagen der Neutralität sowie der Umfassenden LandesverteidigungFootnote 2. Auch aus anderen Staatszielen (also programmatischen Bestimmungen der Verfassung, (Öhlinger und Eberhard 2019, 69) wie dem Verbot nazistischer Tätigkeit, der Atomfreiheit oder dem Schutz der Volksgruppen können sich solche Vorgaben ergeben. Dazu kommen die Mitgliedschaften in internationalen Organisationen und internationale Abkommen und Verpflichtungen. Es ist unbestritten, dass all diese Vorgaben zur politischen Beurteilung der Handlungen österreichischer Amtsträger*innen herangezogen werden können. Demgegenüber hängt es sehr von der Formulierung einzelner Bestimmungen und konkreten Handlungen ab, ob bei Zuwiderhandeln auch eine rechtliche Verantwortung folgt (Öhlinger 2013). Weitere inhaltliche Vorgaben folgen aus Entschließungen des Nationalrates bzw. des Bundesrates. Sie sind nicht rechtsverbindlich, bringen aber politische Standpunkte oder Schwerpunktsetzungen zum Ausdruck.

3 Theoretische Erklärungsmodelle

3.1 Ein Matrixmodell der Außenpolitik

Die verfassungsrechtlichen Grundlagen geben einen weiten Rahmen vor und benennen einzelne Zuständigkeiten. Auf ihrer Grundlage ist eine nähere Einordnung und Erklärung politischen Handels aber kaum möglich. Mehr kann aus der Betrachtung von vier verschiedenen Arenen der Politik folgen: die Arena im kleinen Kreis der Regierungsspitze; die Arena des Parlaments mit den Parteien; die Arena in Verbindung mit Interessensgruppen und Expert*innen; und die Arena der Bürokratie und speziell des Außenministeriums.

Wir können das Zusammenwirken dieser Akteure in einem einfachen Matrixmodell darstellen (siehe auch Abb. 1): Auf der horizontalen Achse finden wir zwei gegensätzliche Pole. Auf der linken Seite stehen jene Entscheidungen, die dem außenpolitischen Grundkonsens entsprechen und kaum innerstaatliche Partikularinteressen berühren. Sie entfalten ihre Wirkung extern, also außerhalb der nationalen Grenzen. Am gegenüberliegenden Pol finden sich jene außenpolitischen Themen, zu denen sich divergierende innenpolitische Interessen finden und Entscheidungen innerstaatliches Handeln durch politische Akteure erfordern. In der englischsprachigen Literatur gibt es hierfür den Begriff „intermestic“ (Manning 1977), zusammengesetzt aus den Wörtern „international“ und „domestic“. In der Regel zählen Wirtschaftspolitik und besonders Handelsabkommen zu Bereichen, die stark intermestic geprägt sind, da hier die gegensätzlichen Interessenunterschiede zwischen Unternehmergruppen oder zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbänden unterschiedlich gelagert sein können.

Abb. 1
figure 1

(Quelle: Eigene Darstellung)

Matrixmodell der Außenpolitik mit Akteurskonstellationen.

Eine zur ersten normal verlaufende zweite Achse bezeichnet die Salienz eines politischen Themas und vervollständigt die Matrix. Hierbei geht es darum, ob Themenbereiche eine große Resonanz in der Öffentlichkeit erreichen oder eher bei Insidern wie betroffenen Interessensgruppen auf Widerhall stoßen. Je nachdem lassen sich hoch oder wenig saliente außenpolitische Themen unterscheiden. In der Folge können wir vier Quadranten oder Entscheidungsarenen bestimmen, in welchen aufgrund ihrer Charakteristiken eine außenpolitische Materie von jeweils unterschiedlichen Akteurskonstellationen maßgeblich beeinflusst wird.

Bei hochsensiblen Themen, bei denen von relativer nationaler Geschlossenheit ausgegangen werden kann, sind die wichtigsten Akteure die Regierungsspitzen, vor allem der Bundeskanzler, die Bundeskanzlerin und (meist) der Außenminister, die Außenministerin. Fragen der nationalen Sicherheit oder politische Krisen fallen besonders in diese Kategorie. Dabei ist zu beachten, dass in Österreich beide Ämter seit 1945 meist von derselben Partei besetzt wurden (Ausnahmen 1959–66, 1987–2000 und 2017–19). In Koalitionsregierungen müssen wir dann von einem Abstimmungsbedarf mit dem jeweiligen Partner ausgehen, wenn außenpolitische Themen hohe Relevanz für diesen haben. Der Entscheidungsarena der Regierungsspitze im Fall von Themen mit externer Wirkung steht bei Entscheidungen mit wenig öffentlicher Resonanz hingegen meist nur die administrative Arena gegenüber, in welcher der Außenminister, die Außenministerin, Diplomat*innen und Beamt*innen nach bewährten Standards Routineentscheidungen treffen.

In Politikbereichen mit divergierenden innerpolitischen Interessen, die gleichzeitig von der Öffentlichkeit als wichtig wahrgenommen werden, in jüngster Zeit etwa im Fall der transatlantischen Handelsabkommen CETA und TTIP (ca. 2012–2017), verlagert sich der Entscheidungsprozess in die Arena des Parlaments. Insbesondere die Kontrollrechte ermöglichen der Opposition eine breite Thematisierung und die Schaffung öffentlicher Aufmerksamkeit. Ein älteres Beispiel ist etwa die sogenannte Noricum-Affäre. In diesem Zusammenhang führten illegale Waffenverkäufe an einen kriegführenden Staat und der Verdacht der Verstrickung österreichischer Spitzenpolitiker 1989 zur Einsetzung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses gegen die Stimmen der Sozialdemokratischen Partei Österreich (SPÖ). Zugleich eröffnet sich den Regierungsparteien sowohl die Möglichkeit, interne Meinungsverschiedenheiten innerhalb des Parlaments kontrolliert zu artikulieren, als auch die Chance, eigene internationale Verhandlungsposition unter Nutzung parlamentarischer Artikulationsformen zu stärken.

In jenen weniger von Öffentlichkeit wahrgenommenen Themenbereichen, die dennoch innenpolitische Partikularinteressen betreffen, laufen politische Entscheidungsprozesse in einer Arena, in der Interessensgruppen Einfluss nehmen. Hierzu zählen im österreichischen Gefüge die Sozialpartnerschaft und vor allem die Wirtschaftskammer, die auch formal in den Außenwirtschaftsbeziehungen führend tätig ist. Im Falle weniger salienter Themen wird eher versucht durch direkte Kontaktnahme mit Behörden und Politiker*innen oder mittels juristischer Argumente Einfluss zu nahmen.

Das Matrixmodell der Außenpolitik spiegelt sich letztlich auch in den (verfassungs-)rechtlichen Grundlagen außenpolitischen Handelns und der Praxis, die sich in deren Rahmen entwickelt hat. Nur dort, wo eine hohe innenpolitische Salienz besteht oder wo vor allem die Bürokratie auf mögliche verfassungsrechtliche Probleme hingewiesen hat (Öhlinger 2011) ist auch eine explizite Regelung erfolgt. In anderen Bereichen scheint demgegenüber die sogenannte „Staatspraxis“, also die Summe tradierter Übungen und Übereinkünfte oder auch das Gewährenlassen einzelner Akteur*innen für ausreichend erachtet zu werden.

3.2 Vetospieler und Arenawechsel

Einen weiteren Erklärungsansatz für außenpolitische Entscheidungen kann die Vetospieler-Theorie (Tsebelis 2002) bieten. Sie definiert jene Akteure, die Entscheidungen effektiv blockieren können. Eine Grundregel dieser Theorie besagt, dass je größer die Anzahl der beteiligten Vetospieler*innen ist, desto höher ist die Politikstabilität und desto kleiner sind die Chancen auf Veränderung. Verfolgen die beteiligten Vetospieler*innen unterschiedliche Interessen, so ist demnach die Schnittmenge der angestrebten außenpolitischen Inhalte und Zielsetzungen geringer, als wenn die beteiligten politischen Akteure größere Affinitäten miteinander aufweisen (siehe unten am Beispiel der Regierungsprogramme). In jedem Fall erhöht die Anzahl der Vetospieler und der politischen Gesetzlichkeiten die Wahrscheinlichkeit von Lösungen des kleinsten gemeinsamen Nenners.

Zu den Exit-Strategien aus dem Vetospielerdilemma gehört eine a priori-Vereinbarung darüber, wie im Falle eines Konflikts mit einer außenpolitischen Entscheidung umgegangen werden soll, ohne dass eine Koalitionsregierung an einer grundlegenden ideologischen Frage scheitert. Ein Beispiel hierfür wäre etwa das Abkommen zwischen Österreichischer Volkspartei (ÖVP) und Grünen 2020 bei Konflikten in der Asylpolitik (siehe unten). Eine andere Strategie ist der Versuch eines Arenawechsels entweder dorthin, wo Akteure durch politische Verbündete mehr Druck aufbauen oder einem bestehenden Druck besser standhalten können. Die Finanz-, Flüchtlings- und Coronakrise bieten zahlreiche Beispiele, in denen die nationale Politik die Entscheidungsverantwortung auf die europäische Arena und/oder die parlamentarische Arena zu verlagern versuchte, um entweder innenpolitischen Konflikten aus dem Weg zu gehen oder die eigene Verhandlungsposition unter Verweis auf Standpunkte des Parlaments zu stärken.

4 Die empirische Perspektive

4.1 Regierungsprogramme und Außenpolitik

In diesem Abschnitt gehen wir in exemplarischer Weise auf die Nutzung der institutionellen Handlungsspielräume und Arenen ein. Wir konzentrieren uns auf die Formulierung von Regierungsprogrammen, die Beziehungen zwischen Parlament und Regierung und die Rolle der Bundespräsidenten.

In Österreich wie auch anderswo ist es üblich, dass Regierungen ihre außenpolitischen Positionen und davon abgeleiteten Handlungen in ihren Regierungsprogrammen ankündigen. Diese stellen eine verbindliche Quelle von außenpolitischen Maßnahmen dar, auf die sich Regierungsparteien einigen. Gleichzeitig beinhalten diese Programme eine umfassende Bilanz von geplanten oder notwendigen politischen Handlungen, die sich aus Österreichs internationaler Einbettung ergeben. Eine empirische Analyse der RegierungsprogrammeFootnote 3 von 1983 bis 2019 zeigt erstens, wie sehr Österreich politisch von der internationalen Dimension geprägt wird und zweitens, dass diese weit über die eigentliche Außenpolitik hinausgeht, jedoch vielfach als solche nicht wahrgenommen wird. Wir sehen also eine umfassende Internationalisierung und vor allem Europäisierung der österreichischen Politik, die in der Folge alle Bereiche so stark durchdringt, dass sie letztlich als Innenpolitik wahrgenommen wird. Sie ist zunehmend weniger Ausdruck nationaler als vielmehr parteipolitischer oder partikularer Interessen.

Regierungsprogramme variieren in Umfang und innerer Struktur im Laufe der Zeit, was bei Vergleichen und thematische Zuordnungen mitberücksichtigt werden muss. Evident ist, dass die relevanten Themenbereiche im Laufe der Zeit umfangreicher wurden und an Differenzierung zunahmen. Als politische Dokumente spiegeln die Regierungsprogramme auch den Geist und die Terminologie ihrer Zeit wider. Die folgende Analyse bezieht sich auf die in den Programmen formulierten Ziele und behandelt diese gleichrangig, obwohl sie sich in Umfang, Bedeutung und Schwierigkeit der Umsetzung unterscheiden.

Abb. 2 zeigt beispielsweise, dass der Umfang der politischen Zielsetzungen mit internationaler Dimension seit den 1980er-Jahren stark zunimmt. Beispielsweise listet die Regierungserklärung 1983 nicht mehr als fünf explizit ausgewiesen Zielsetzungen mit sehr undifferenzierten Aussagen zu den Themen Neutralität, Europäische Gemeinschaft, Südtirol, Frieden und Außenwirtschaft. Im Vergleich dazu umfasst allein der Bereich Sicherheit der ÖVP-Grünen Regierung 2020 45 Zielsetzungen. Auch im Bereich Umwelt finden sich 31 Zielsetzungen mit internationalem Bezug. Generell zeigen die hier erfassten Zahlen einerseits die Außenpolitik im engeren Sinne der Beeinflussung externer Ziele und Akteure. Andererseits beinhaltet diese Analyse auch jene geplanten Handlungen der Regierung, die sich aus der zunehmend größeren internationalen Einbettung des Landes ergeben und Auswirkungen nach innen haben, in dem sie bspw. die Anpassung von Gesetzen oder Verwaltungsabläufen und damit die Einbindung einer großen Zahl weiterer Akteure erfordern.

Abb. 2
figure 2

(Quelle: Regierungserklärungen 1983–2019, eigene Analyse)

Zielsetzungen mit internationaler Dimension in Regierungserklärungen nach ausgewählten Analysebereichen

Abb. 2 zeigt somit drei Analysebereiche, wobei mit „international“ (INT) jene Zielsetzungen bezeichnet werden, die sich auf externe Aufgaben und Akteure, wie z. B. das geplante Abstimmungsverhalten bei EU-Regierungskonferenzen oder die Annäherung Österreichs an das atlantische Bündnis (NATO) beziehen. „Intermestic“ (IM) verweist auf jenen Bereich, bei dem sich aus der internationalen Dimension im Inland politische Zielsetzungen für Regierungen ergeben. Dies betrifft weite Bereiche, vor allem in der Wirtschaftspolitik, der Landesverteidigung, der Energie- und Verkehrspolitik, der Sicherheitspolitik und der Zuwanderung, aber auch in der Justiz-, Sozial- und Familienpolitik, im Budget und Bildungsbereich. Das Thema der europäischen Integration umfasst einen großen eigenen Zielbereich, wobei die Unterscheidung zwischen international und innerstaatlich bzw. zwischen intern und extern fließend ist und Einordnungen nur tendenziell vorgenommen werden können. Dennoch lassen sich im weiteren interessante Schlüsse ziehen.

Neben einer Vervielfachung der Zielsetzungen, sehen wir auch eine Diversifizierung der Themen. Die internationalen Entwicklungen und Verflechtungen Österreichs haben einen zunehmenden Einfluss auf die heimischen Akteure und Institutionen. Die Grafik zeigt auch, dass einerseits die externe Dimension (INT) und andererseits die interne Dimension (IM) eng miteinander verbunden sind und die Kurven etwa parallel verlaufen. Es wird auch deutlich, dass dies eng mit dem EU-Beitritt 1995 zusammenhängen, aber nicht ausschließlich auf diesen Umstand zurückzuführen sind.

In den älteren Regierungsprogrammen fallen die meist kurzen Hinweise auf die österreichische Neutralität oder das Selbstverständnis als Schutzmacht Südtirols auf. Auch Verweise auf einzelne Ziele wie die Friedenspolitik waren in den 1980er-Jahren ständig präsent, sind aber inzwischen verschwunden. Während der Bereich Europäische Gemeinschaft (EG) 1983 gerade mit einer eine Zielformulierung bedacht wurde, wies das Regierungsprogramm 2019 sogar 135 zur EU aus. Dominierten zunächst internationale Zielsetzungen ohne EG (später EU) -Bezug, wurde letzteres ab Mitte der Neunzigerjahre der wichtigste Politikbereich mit internationalem Bezug. Zunächst spiegeln die Zielsetzungen das Bemühen des Landes wider, den EU-Beitritt zu sichern und eine vollwertige Mitgliedschaft in der Union zu erreichen, wie etwa die Zielsetzung im Regierungsprogramm 1996, das die volle Einbindung Österreichs in europäische Sicherheitsstrukturen fordert. Gleichzeitig ergeben sich daraus zunehmend Handlungskonsequenzen im Innern, wie etwa die Erhöhung der Verfügungsbereitschaft von Einheiten des Bundesheeres.

In ihrer Begrifflichkeit weisen die Regierungsprogramme in Sachen EU eine positiv-neutrale Wortwahl sowie ein Bemühen um eine mustergültige Integration aus. Nur in wenigen Bereichen (Wasserwirtschaft, Atomkraft, Neutralität) wird anfänglich explizit auf österreichische Sonderpositionen verwiesen. In nachfolgenden Regierungsprogrammen werden aber zunehmend jene Punkte betont, die innenpolitisch hohe Bedeutung haben und die steigende EU-Skepsis in der Bevölkerung aufgreifen. Das trifft zunächst auf die erste ÖVP-FPÖ-Regierung (Freiheitliche Partei Österreich) 2000 zu, aber auch im Regierungsprogramm SPÖ-ÖVP 2006 weist der Bereich Sicherheit und Zuwanderung die meisten Zielsetzungen mit internationalem Bezug auf. Besonders EU-kritische Punkte finden sich im ÖVP-FPÖ Regierungsprogramm 2017, in dem explizit eine Weiterentwicklung der Europäischen Union im Sinne von „weniger aber effizienter“ gefordert wird oder die Absage an eine EU-Mitgliedschaft der Türkei. Dies ist einmalmehr Beleg für die bereits angesprochene mit „intermestic“ bezeichnete Dimension und die ‚Innenpolitisierung‘ der österreichischen Außenpolitik nach parteipolitisch ideologischen Gesichtspunkten. Demgemäß beziehen sich die internationalen Zielsetzungen das ÖVP-Grünen Regierungsprogramm 2019 vorwiegend auf die Bereiche Sicherheit und Immigration einerseits sowie Klima, Energie und Verkehr.

Abb. 3 zeigt die wechselnde Bedeutung ausgewählter Politikbereiche im Lichte innenpolitischer Umwälzungen. Dominierte etwa das Thema Wirtschaft, wie zu erwarten, noch bis in die Neunzigerjahre, so sind die Bereiche Sicherheit, Umwelt und Immigration mittlerweile ebenso zahlreich in puncto Zielsetzungen. Gerade bei den letzten beiden Regierungsprogrammen vor Erstellung dieses Buchs ist dies gut zu erkennen, wobei etwa der die Anzahl der Zielsetzungen mit internationaler Dimension im Umweltbereich von der Regierungsprogramm 2017 zum Regierungsprogramm 2019 mit Beteiligung der Grünen von 10 auf 31 stieg. So zeigt sich abermals, wie sehr politische Zielsetzungen mit internationalem Bezug von parteipolitischen Präferenzen und somit innenpolitischen Kalkülen geprägt werdenFootnote 4.

Abb. 3
figure 3

(Quelle: Regierungserklärungen 1983–2019, eigene Analyse)

Zielsetzungen mit internationaler Dimension in Regierungserklärungen nach ausgewählten Politikbereichen

4.2 Bundesregierung und Parlament

Obwohl Nationalrat und Bundesrat über eine vergleichsweise große Zahl von Mitwirkungsrechten in außen- und europapolitischen Fragen verfügen, werden diese nur sehr eingeschränkt genutzt. Damit wird die außenpolitische Dominanz der Bundesregierung bestätigt.

Die Selbstbeschränkung des Parlaments bzw. die mangelnde Nutzung des Parlaments als Forum für Außenpolitik kann an mehreren Punkten deutlich gemacht werden. Zunächst fällt auf, dass Karriereverläufe vom Parlament in die Außenpolitik selten geworden sind. Seit den 1990er-Jahren waren nur einzelne Außenminister (Alois Mock/ÖVP, Wolfgang Schüssel/ÖVP und Michael Spindelegger/ÖVP) zuvor Abgeordnete zum Nationalrat.

Dann ist bemerkenswert, dass Staatsverträge im langjährigen Durchschnitt ca. ein Drittel der Regierungsvorlagen an den Nationalrat ausmachen (24. Gesetzgebungsperiode/GP: 173 Staatsverträge: 496 Gesetzesvorlagen der Bundesregierung; 25. GP: 86: 331; 26. GP: 35: 117). Da sie in den Fachausschüssen beraten werden, müssten wir eigentlich davon ausgehen, dass hier ein starker Anknüpfungspunkt besteht, um innerstaatliche und internationale Fragen und Erfahrungen zu verbinden. Tatsächlich aber werden in der parlamentarischen Praxis Staatsverträge nie mehr als einmal im zuständigen Ausschuss beraten, und seit den 1980er-Jahren wurde nicht mehr von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, österreichische Erklärungen oder Vorbehalte zu Staatsverträgen zu ändern oder zu ergänzen (Stöger 2012).

Die Mitwirkungsrechte des Hauptausschusses kommen insbesondere bei der Entsendung österreichischer Sicherheits- oder Militäreinheiten zum Tragen. Auch diese werden jeweils nur in einer Sitzung behandelt und darüber hinaus nicht weiter parlamentarisch erörtert. Selbst die Mitwirkung von Nationalrat und Bundesrat in EU-Angelegenheiten erfolgt primär auf Ebene der Ausschüsse. Sie hat sich seit dem Vertrag von Lissabon insofern intensiviert, als die Wahrnehmung der Beteiligungsrechte im Frühwarnsystem eine laufende Sitzungstätigkeit erfordert. Aber auch hier fällt auf, dass nur ein Bruchteil der EU-Vorhaben und dieser in der Regel nur einmal (meist vor Beschlussfassung im Rat) behandelt wird (Pollak und Slominski 2009; Miklin 2015; Auel und Pollak 2020). Selbst die als bedeutsam angesehenen Mitwirkungsrechte im Bereich des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) (Konrath und Murer 2013) gelangen praktisch nicht zur Anwendung.

Wie die Tab. 1 zeigt, werden außenpolitische Themen auch vergleichsweise wenig über Kontrollrechte – und damit in erster Linie durch die Opposition – auf die Agenda gebracht. Hier liegt der Fokus klar auf der Innenpolitik. Zwei Bereiche fallen jedoch auf: Die hohe Zahl an Aktivitäten in der 25. GP und die vergleichsweise hohe Zahl an Entschließungen. In der 25. GP waren die Verhandlungen über die internationalen Handelsabkommen TTIP, TISA und CETA ein bestimmendes Thema politischer Debatten in Österreich. Eine begleitende parlamentarische und öffentliche Auseinandersetzung konnte nur über die Nutzung von Kontrollinstrumenten und die Möglichkeit der Thematisierung im Bereich der EU-Mitwirkung stattfinden. Die hohe Salienz des Themas führte zu einer ungewöhnlich breiten parlamentarischen Debatte auch über die Frage der Mitwirkungsrechte (Parlament 2016). Damit wird analog zur Mitwirkung an EU-Agenden auch hier sichtbar, wie die parlamentarische Thematisierung und Beschlussfassung dafür genutzt wird, die Position der Regierung innen- und außenpolitisch zu stärken und breit zu legitimieren (Pollak und Slominski 2009). Das wird auch an Entschließungen, die nur mit Mehrheit angenommen werden können, deutlich. Sie dienen in erster Linie dem Ziel, die Regierungslinie zu unterstützen und entsprechen damit in der Regel auch den Schwerpunktsetzungen der Regierungsprogramme.

Tab. 1 Parlamentarische Mitwirkung an außen- und Europapolitischen Entscheidungen

Im Unterschied zur relativ beschränkten Nutzung formeller Instrumente der Mitwirkung an der Außenpolitik können wir aber eine deutliche Zunahme anderer außenpolitischer Aktivitäten des Parlaments beobachten. Dazu zählen insbesondere die Reise- und Besuchstätigkeiten der Präsident*innen des Nationalrats, die Mitarbeit in internationalen Parlamentsnetzwerken und internationalen Aktivitäten einzelner Abgeordneter und Gruppen von Abgeordneten. Das Engagement fällt auch international auf und führte dazu, dass das österreichische Parlament 2021 als erstes nationales Parlament die Weltkonferenz der Parlamentspräsidenten ausrichtete. Damit folgt das Parlament internationalen Trends und gegenseitigen Rollenerwartungen insbesondere von Parlamentspräsident*innen (Stavridis 2021). Das wird auch in organisatorischen Veränderungen der Parlamentsverwaltung und dem Ausbau von deren „EU- und Internationalem Dienst“ manifest (Konrath et al. 2021). Zwischen diesen Aktivitäten und den parlamentarischen Mitwirkungsrechten lassen sich jedoch kaum Verbindungen finden. Das legt nahe, dass die faktisch schwache Rolle gegenüber der Regierung in anderen Bereichen zu kompensieren versucht wird.

4.3 Der Bundespräsident

Seit 1920 bestimmt die Bundesverfassung den Bundespräsidenten (die Bundespräsidentin) zum Vertreter der Republik nach außen. Seit 1929 (faktisch seit 1951) wird er (sie) vom gesamten Staatsvolk gewählt. Die Darstellung der verfassungsrechtlichen Grundlagen (oben 2.2) macht deutlich, dass die Außenvertretung rechtlich beschränkt ist. Eine weitergehende Betrachtung führt jedoch zu einem differenzierten Bild. Dabei kommt den meist weniger beachteten sekundären Aspekten besondere Bedeutung zu. Hierzu zählt etwa die relative Länge der Amtszeit von sechs Jahren gegenüber den de facto deutlich kürzeren Amtsperioden von Bundesregierungen. Unter diesen Umständen kann der Bundespräsident (die Bundespräsidentin) gegenüber Regierungen etwa den Vorteil größerer Kontinuität für sich in Anspruch nehmen (Fischer 2018, 249). Ein weiterer Faktor ist die Rolle des Bundespräsidenten (der Bundespräsidentin) bei der Ernennung des Bundeskanzlers (der Bundeskanzlerin). Zwar hängt die Entscheidung über die Regierungskonstellation zentral von den Mehrheitsverhältnissen im Nationalrat ab, dennoch ergibt sich die Möglichkeit, dass Bundespräsident*innen „Präferenzen zeigen“ und auch auf „bestimmte Regierungskonstellationen“ hinarbeiten“ (Fischer 2017, 20). Politisch weitergedacht ergeben sich daraus Stärkepositionen im politischen Bargaining, die schlagend werden können, wenn parteipolitisch unabhängige Präsident*innen jenseits der bisherigen Usancen und mit klaren politischen Zielen auf ein zunehmend fragmentiertes Parteiensystem mit geringer Legitimationkraft und kurzen Regierungsperioden treffen.

Zum anderen jedoch sind dem Bundespräsidenten (der Bundespräsidentin) in der Außenpolitik auch enge Grenzen auferlegt, die auch von öffentlichen Erwartungen (Profil 2004) sowie den zur Verfügung stehenden Ressourcen bestimmt werden. In allen außenpolitischen Fragen gibt es in der Praxis einen intensiven Informationsaustausch mit dem Außenministerium, das Unterlagen und Dossiers vorbereitet. Bei Auslandsreisen und beim Empfang ausländischer Staatsgäste in Österreich ziehen Bundespräsident*innen in der Regel Vertreter*innen der Bundesregierung und insbesondere den Außenminister oder die Außenministerin bei (Cede und Prosl 2017, 116). Auch stehen dem Bundespräsidenten (der Bundespräsidentin) im Vergleich zur Bundesregierung nur bescheidene Ressourcen zur Verfügung. Die Präsidentschaftskanzlei umfasst insgesamt etwa 70 Mitarbeiter*innen und stellt damit die „zahlenmäßig kleinste Zentralstelle im Bundesdienst“ dar (Cede und Prosl 2017, 109).

Die außenpolitische Praxis des Bundespräsidenten ist vor allem durch die Entwicklungen seit 1994 geprägt. Im Vorfeld des EU-Beitritts war zu klären, ob der Bundespräsident oder der Bundeskanzler berechtigt sei, Österreich im Europäischen Rat zu vertreten. Die verfassungsrechtliche Ambivalenz geht im Kern auf die Frage zurück, welches Verfassungsverständnis, jenes von 1920 oder jenes von 1929, der Republik politisch zugrunde liegt. Im konkreten Fall wurde die Auseinandersetzung zugunsten des Bundeskanzlers gelöst (was auch Kontrolle durch den und Verantwortlichkeit gegenüber dem Nationalrat sicherte). Informell wurde jedoch vereinbart, dass der Bundespräsident (die Bundespräsidentin) das Recht hat, eine*n Mitarbeiter*in in die Delegation des Bundeskanzlers (der Bundeskanzlerin) zu entsenden. Zugleich wurde dem Bundespräsidenten (der Bundespräsidentin) aber das Recht zugestanden, bei allen übrigen multilateralen Treffen von Staats- und Regierungschef*innen (z. B. UNO, OSZE, Europarat) eine Vorrangstellung einzunehmen (Kloss und Rohan 2017, 98).

Eine wesentliche praxisbezogene Grenze, die einer stetigen Veränderung unterliegt, sind das Rollenverständnis der Amtsinhaber*innen und die entsprechenden Erwartungshaltungen der Bevölkerung (Horvath 2017; Fischer 2017). Im Jahr 2021 stimmten z. B. 62 % der Österreicher*innen entweder voll oder teilweise der Aussage zu, dass der amtierende Bundespräsident Van der Bellen (Grüne) im Ausland ein „hohes Ansehen“ genieße. Eine ähnlich hohe Anzahl an Befragten befinden gänzlich oder teilweise, dass Van der Bellen „über den Parteien“ stehe (Seidl 2021). Damit unterstreicht eine Mehrheit der Bevölkerung diese beiden Facetten des gegenwärtigen Amtsverständnisses, doch dies war nicht immer so.

Dem in der Republik lange nachwirkenden monarchischen Autoritätsverständnis entsprechen wesentliche Teile der Rolle der Bundespräsident*innen. Staatsempfänge für ausländische Gäste oder protokollarische Treffen auf höchster Ebene sind ebenfalls Ausdruck der Funktion des Staatsoberhauptes als Ersatzmonarch*in, die somit stets auch außenpolitische Dimension aufwies.

Dennoch wäre es übertrieben zu behaupten, dass die Außenpolitik im engeren Sinn zum ursprünglichen Amtsverständnis des Staatsoberhauptes gehörte. Bundespräsidenten wie Karl Renner (1945–1950, SPÖ), Theodor Körner (1951–1957, SPÖ), Adolf Schärf (1957–1965, SPÖ) und Franz Jonas (1965–1974, SPÖ) brachten dafür kaum die biografischen Voraussetzungen mit und waren vornehmlich auf innere Stabilität fokussiert. Sie waren von parteipolitischen Funktionen geprägt, und dementsprechend wäre politisches Ausscheren oder unabhängige außenpolitische Initiativen in Anbetracht der Nachkriegssituation undenkbar gewesen (Fischer 2018, 251).

In Folge bekleideten jedoch mit Rudolf Kirchschläger (1974–1986, parteilos), Kurt Waldheim (1986–1992, parteilos) und Thomas Klestil (1992–2004, ÖVP) drei Spitzendiplomaten das Amt des Bundespräsidenten. Sie veränderten das Rollenverständnis in Sinne der auswärtigen Beziehungen nachhaltig. Dennoch waren den ersten beiden durch äußere Umstände enge Grenzen gesetzt. Die Amtszeit Kirchschlägers wurde außenpolitisch von Bundeskanzler Kreisky (SPÖ) und seiner singulären Rolle im internationalen Gefüge geprägt. Waldheim wiederrum hätte angesichts eines außenpolitisch unerfahrenen Bundeskanzlers Vranitzky (SPÖ) wohl größere Möglichkeiten vorgefunden, war jedoch durch die Kontroverse um seine NS-Vergangenheit in seinen Möglichkeiten zu sehr eingeschränkt. Bezeichnenderweise zeigten die internationale Isolation Waldheims und die Bemühungen Vranitzkys, als eine Art Ersatzbundespräsident bestimmte außenpolitischen Aufgaben zu übernehmen (Horvath 2017, 125), wie wichtig der außenpolitische Aspekt im Amtsverständnis des Bundespräsidenten geworden war. Gleichzeitig verstärkte sich im Laufe der Jahrzehnte die empfundene Distanz des Amtes des Bundespräsidenten zu den Parlamentsparteien. Kirchschläger war parteilos gewesen und wurde in einer ersten großen Legitimationskrise des Parteienstaates auch zu dessen ersten Mahner (Kirchschläger 1980). Bei Waldheim wiederum war es die Regierung, vor allem die Kanzlerpartei SPÖ, die zum Staatsoberhaupt und zur Person betont auf Distanz ging. Klestil war in Folge der erste Bundespräsident, der übergroße außenpolitischen Ambitionen mitbrachte. Er begann, die ambivalenten Grenzen des Amts bewusst auszureizen, zumal er eine Rollendefinition nach „französischem bzw. finnischem Vorbild“ präferierte (Kloss und Rohan 2017, 99). Damit riskierte er einen offenen Bruch mit seiner Partei und deren Vorsitzenden (Schüssel 2009, 112–120, 177).

Mit den zunehmenden Legitimationsproblemen der Parteien kann also die Wahrscheinlichkeit steigen, dass Präsident*innen ihre Rolle uminterpretieren und sich von diesen Parteien nicht nur emanzipieren, sondern deren Kontrolle zu einem expliziten Teil des Amtsverständnisses machen. Die Ära Klestil bildet somit einen gewissen Referenzrahmen für eine mögliche Zukunft, in der ein aktivistisches Rollenverständnis auch in der Außenpolitik auf einen geschwächten Parteienstaat trifft.

Bundespräsident Fischer (2004–2016, SPÖ) wiederum war stark innenpolitisch geprägt und wurde auch von der Bevölkerung zunächst in Verbindung mit seiner jahrzehntelangen Rolle als Spitzenpolitiker der SPÖ wahrgenommen (Horvath 2017, 130). Fischer wirkte daher stärker „Hinter den Kulissen“ (Heinz Nußbaumer zitiert in Horvath 2017, 129) und vertrat die Auffassung, Österreich wäre außenpolitisch stärker, wenn eine gemeinsame Position vertreten würde (Fischer 2018, 248; Horvath 2017, 129).

Mit dem Fortbestand der großen Koalition nahm die Unzufriedenheit mit der Regierungspolitik und dem etablierten politischen System deutlich zu (Heinisch und Wintersteiger 2018). Die Diskussionen um eine/n aktiven Bundespräsidenten (Bundespräsidentin), der/die Partei- und Regierungsmacht kontrollieren müsse und über den anderen politischen Akteuren stünde, gewannen im Präsidentschaftswahlkampf 2016 an Bedeutung. Gerade der lange als Favorit geltende Vertreter der FPÖ Norbert Hofer hatte sich als starker Akteur und Korrektiv zur damaligen Koalition aus SPÖ und ÖVP profilieren wollen und deutete an, unpopuläre Regierungsvorhaben blockieren zu wollen. In einer denkwürdigen Aussage zur Rolle des Bundespräsidenten meinte Hofer etwa „Sie werden sich noch wundern, was alles möglich ist“ (Breitegger 2016). Im Hinblick auf Außen- und Europapolitik betraf dies im Wahlkampf die Frage, ob der Bundespräsident einen vom Parlament beschlossenen Staatsvertrag aus politischen Gründen ablehnen könnte. Die konkreten Anlassfälle waren wiederum die Handelsabkommen CETA und TTIP.

Spätestens seit den Diskussionen um einen „Rollenverzicht“ (Pelinka 1994, 181) muss mitbedacht werden, dass Amtsverständnis und politische Zielsetzungen von zukünftigen Bundespräsident*innen innerhalb gewisser Schranken völlig unterschiedlich gehandhabt werden können (Pelinka 1994). Dies umfasst besonders die Außenbeziehungen des Landes, da hierbei auch die Verfassung deutlich mehr Spielraum zulässt (Fischer 2018, 248).

Kritiker dieser Sichtweise (Konrinek 2002) verweisen gerne darauf, dass das österreichische Modell des gewaltenteilenden Rechtsstaates allzu große diesbezügliche Änderungen unterbinden würde. Formal stimmt das natürlich, doch beruht diese Annahme auf einem sehr statischen Verständnis des österreichischen Parteienstaates mit stabilen Mehrheitsverhältnissen und verantwortungsvollen Akteuren im Sinne der „responsible“ und nicht „responsive politics“ (Mair 2009; Bardi et al. 2014). Politisch viel wahrscheinlicher ist jedoch die Vorstellungen, dass es zu ideologisch oder interessengeleiteten Allianzen zwischen einzelnen Akteuren dieser Machtblöcke kommt oder dass Bundespräsident*innen als Power Broker zu Gunsten einer bestimmten politischen Linie auftreten, ohne dabei die Mehrheitsverhältnisse gänzlich außer Acht zu lassen.

5 Fazit

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Rollen von Bundespräsident und Bundesregierung in der Außenpolitik von Ambivalenz geprägt sind. Zum einen zeigt sich dies schon bei den verfassungsrechtlichen Kompetenzen, die einiges an Deutungsspielraum zulassen. Auch zeigt die Empirie, dass die internationale Einbettung Österreichs, gemessen an der Anzahl der Staatsverträge und den von Regierungen formulierten politischen Zielsetzungen mit Auslandsbezug, einen wesentlichen Teil der Politik bestimmt und insgesamt stark zugenommen hat. Diese Tatsache ist wahrscheinlich nicht nur den meisten Bürger*innen unbekannt, sondern scheint auch für Parteien und Abgeordnete von begrenztem Interesse zu sein. Wie die parlamentarische Praxis zeigt, werden selbst die dem Parlament eingeräumten Kontroll- und Mitbestimmungsinstrumente selten über das geforderte Minimum hinaus genutzt. Nur wenn bestimmte Themen durch die Medien eine hohe Resonanz erfahren, ändert sich dies, doch haben Regierungsakteure oft genug die Möglichkeit, die Entscheidungsarenen weitgehend zu bestimmen, oder sie versuchen über die parlamentarische Arena zusätzlich Legitimation zu erzielen.

Der Bereich der Außenpolitik unterliegt verfassungsrechtlichen Grauzonen und politischen Freiräumen, die eine noch detailliertere Analyse erfordern, als sie hier vorgenommen werden konnte. Dies ist umso wichtiger, da zwei institutionelle Aspekte besonders im Fluss sind. Dies sind zum einen die Rolle der Bundespräsident*innen als kontrollierendes Gegengewicht zu einem zunehmend fragmentierten Parteienstaat mit abnehmender Legitimität und zum anderen die stärker divergierenden Parteipositionen zur europäischen Integration. Dies bedeutet, dass in Zukunft die außen- und europapolitischen Positionen der Parteien ein Kriterium für die Unterstützung eines Bundespräsidenten oder einer Bundespräsidentin für eine bestimmte Regierungskonstellation sein können. Gleichzeitig können die europapolitische Dimension bzw. die internationale Ausrichtung in dem Sinne, mit welchen Staaten eine engere politische Zusammenarbeit angestrebt werden soll, ein wichtiges Kriterium bei der Wahl eines Bundespräsidenten (einer Bundespräsidentin) werden.

Die Einbindung Österreichs in das europäische Mehrebenensystem und die internationale Dimension vieler Politikbereiche wie Wirtschaft, Umwelt und Bildung lassen die Grenzen zwischen Außen- und Innenpolitik zunehmend verschwimmen. Dies spiegelt sich einerseits darin wider, dass viele dieser Bereiche nicht vom Außenministerium, sondern von Ministerien und anderen Akteuren bestimmt werden und deren Inhalte nach parteipolitischen oder partikularen Präferenzen entschieden werden. Der klassischen Trennung zwischen Außen- und Innenpolitik bzw. zwischen national und international steht heute ein großer Bereich „intermestic“ gegenüber, in dem es zu einer ständigen Wechselwirkung dieser beiden Dimensionen kommt. Institutionell erfolgte somit eine Art „Innenpolitisierung“ der Außenpolitik, wobei die Bedeutung der spezifischen außenpolitischen Institutionen und Instrumentarien zugunsten innenpolitischer Kalküle und Entscheidungsprozesse abnimmt. Gleichzeitig findet Außenpolitik im engeren Bereich bei den parlamentarischen Kontrollinstanzen und Oppositionsparteien ein eher bescheidenes Interesse.

Weiterführende Quellen

Adamovich, Ludwig, Franz Cede, und Christian Prosl, Hrsg. 2017. Der österreichische Bundespräsident: Das unterschätzte Amt. Innsbruck: Studien Verlag.

Das Werk beleuchtet die zentrale aber auch ambivalente Rolle des Bundespräsendeten aus verschiedenen rechtlichen und politischen Perspektiven. Es zeigt auch die zunehmende Verzahnung der innern- wie außenpolitischen Funktion und dessen Veränderung über die Zeit.

Müller, Andreas, und Werner Schroeder, Hrsg. 2017. Demokratische Kontrolle völkerrechtlicher Verträge. Perspektiven aus Österreich und der Schweiz. Wien: Facultas.

Die intensiven Debatten über den Abschluss einer neuen Generation internationaler Handelsabkommen wie TTIP und CETA haben das Interesse an der Mitwirkung von Parlamenten an völkerrechtlichen Vereinbarungen erneuert. In diesem Band werden diese Fragen aus der Perspektive Österreichs, der Schweiz und der EU erörtert.

Öhlinger, Theo. 1973. Der völkerrechtliche Vertrag im staatlichen Recht. Wien/New York: Springer.

Dieses Werk stellt die erste detaillierte Auseinandersetzung mit dem Zusammenspiel von Völkerrecht und staatlichem Verfassungsrecht in Österreich dar. Es setzt sich intensiv mit den verschiedenen beteiligten Akteuren auseinander und bildet nach wie vor ein Referenzwerk.

Troy, Jodok, Hrsg. 2016. Schwerpunktheft zum Thema Außenpolitik, Österreichische Zeitschrift für Politikwissenschaft 45(2).

Diese Quelle bietet besonders eine Übersicht über die klassische Außenpolitik, die Entwicklungs- und Europapolitik, sowie eine Diskussion über die Abschwächung der früheren pro-aktiven Außen- und Vermittlungspolitik auf eine ambivalente Politik in der EU.

de Flers, Nicole Alecu. 2012. EU foreign policy and the Europeanization of neutral states: comparing Irish and Austrian foreign policy. London: Routledge.

Dieses Werk analysiert wie ähnliche Anreizstrukturen der europäischen Integration, vor allem in die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik unterschiedliche vor allem institutionelle Effekte in Österreich und Irland hatten.