Schlüsselwörter

1 Einleitung

Österreich wurde am 14. Dezember 1955 in die Vereinten Nationen (VN) aufgenommen. Bereits die erste Rede vor der Generalversammlung, welche vom damaligen österreichischen Außenminister Leopold Figl (ÖVP) gehalten wurde, zeugte von einem gestalterischen Selbstverständnis der jungen Zweiten Republik. Dies verdeutlicht die von ihm gewählte Formulierung „co-operating actively in discussing and solving the manifold and frequently complex problems of our age“ (Figl 1958). Der vorliegende Beitrag bietet einen Überblick darüber, inwieweit es Österreich gelungen ist, innerhalb der VN die dieserart proklamierte aktive Rolle bei der Lösung internationaler Probleme zu spielen. Wir analysieren die sich wandelnde Identität österreichischer VN-Politik und deren Schwerpunktsetzung von 1955 bis heute.

Dabei kommen wir zu dem Befund, dass Österreich als „not a large country“, wie Bruno Kreisky (1960) (SPÖ) in seiner ersten Rede vor der Generalversammlung etwas euphemistisch bemerkte, die großen weltpolitischen Konstellationen nicht zu beeinflussen vermochte. Aber es war – und ist noch immer – in der Lage, daran mitzuarbeiten, diese in seinem Sinne auszugestalten. Die österreichische Diplomatie hatte dem Kalten Krieg selbst wenig entgegenzusetzen, aber sie leistete ihren Beitrag dazu, die Beziehungen der Supermächte zu stabilisieren, wenn sich dafür Chancen ergaben. In den 1990er-Jahren war Österreich nicht Urheber der Träume einer „neuen Weltordnung“, aber suchte doch, im Lichte seiner Identität und politischen Schwerpunktsetzung, einer solch neuen Weltordnung etwas näher zu kommen. Seit den 2000er-Jahren hat das Abdriften hin zu einer strittigen Weltordnung sehr viel mit den Beziehungen zwischen den Großmächten und sehr wenig mit kleineren Staaten zu tun, aber im Rahmen der sich einengenden Möglichkeiten hat Österreich auch hier teils erfolgreich versucht, sich aktiv für mehr Stabilität einzusetzen.

Da großpolitische Wetterlagen die Rahmenbedingungen für österreichische VN-Diplomatie vorgeben, strukturieren diese auch das vorliegende Kapitel. Wir beginnen mit den Jahrzehnten des Kalten Krieges, widmen uns dann den 1990er-Jahren und analysieren schließlich die letzten zwei Dekaden. Unser Argument lässt sich wie folgt zusammenfassen: Österreichische VN-Diplomatie ist durch eine Identität der aktiven Neutralität gekennzeichnet, wobei der Umfang der Definition von Neutralität seit den 1990er-Jahren immer stärker eingeengt worden ist. Verzahnt mit dieser Identität sind fünf Schwerpunkte österreichischer VN-Politik: Abrüstung, friedenserhaltende Maßnahmen, Menschenrechte, humanitäres Engagement und internationale Rechtsstaatlichkeit. Seit den 1990er-Jahren gibt es Anzeichen dafür, dass zwei dieser Schwerpunkte – die friedenserhaltenden Maßnahmen und das humanitäre Engagement – weniger Aufmerksamkeit erfahren als in den Jahrzehnten davor. Der starke Fokus auf die drei anderen Schwerpunkte blieb nahezu unverändert.

2 Österreich, die VN und der Kalte Krieg: 1955–1989

Die Verpflichtung zur immerwährenden Neutralität hatte die Wiederentstehung eines unabhängigen Österreichs möglich gemacht (Kranenpohl und Opitz 2013, 67; Kramer 2006, 811).Footnote 1 Allerdings wollten politische Entscheidungsträger diese Neutralität nicht dahin gehend verstanden haben, dass sich die junge Zweite Republik damit zufriedengäbe, sozusagen vom Zuschauerraum aus auf die Bühne der Weltpolitik zu blicken. Vielmehr wollte Österreich als neutraler Staat die Bühne, auf welcher vor allem das Drama des Kalten Krieges gespielt wurde, betreten, aktiv mitwirken und auch selbst Bühne sein.

Mithilfe einiger seiner international anerkannten Völkerrechtler*innen definierte Österreich eine aktive Neutralität, welche mit einem VN-Beitritt in Einklang gebracht werden konnte (Verdross 1958, 521; Zemanek 1961, 415). Letzteres war international zunächst umstritten. Während etwa Frankreich dies mit Hinweis auf das System der kollektiven Sicherheit ursprünglich verneint hatte (Hummer 2013, 722), erfolgte 1955 eine positive Beurteilung durch die Staatengemeinschaft. Es wurde im Zuge dessen argumentiert, dass, erstens, nicht alle Mitgliedsstaaten an vom Sicherheitsrat angeordneten (militärischen) Maßnahmen teilnehmen müssten; zweitens, die österreichische Neutralität im Interesse der meisten ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates liege und folglich von diesen gewahrt würde (Sozialwissenschaftliche Arbeitsgemeinschaft 1970, 5).

In seiner ersten Rede vor der Generalversammlung – wir haben sie in der Einleitung bereits zitiert – erhob Figl (1956) (ÖVP) diese aktive Interpretation von Neutralität zur Grundkomponente der außenpolitischen Identität Österreichs während des Kalten Krieges. Die Frage, inwieweit Neutralität und eine proaktive Rolle in der Weltpolitik vereinbar sein könnten, stellte sich jedoch immer wieder, insbesondere im Hinblick auf den aufkeimenden Wunsch Österreichs, sich um einen nichtständigen Sitz im Sicherheitsrat zu bewerben (Tichy 2019, 154; Zemanek 1968, 16–30). Diese Frage wurde schließlich mittels der sogenannten Verdross-Doktrin gelöst, die darauf abstellt, dass VN-Mitglieder einzeln durch den Sicherheitsrat von beschlossenen Zwangsmaßnahmen ausgenommen werden können (Verdross 1956, 65–67; Zemanek 1968, 19–20; Kammel 2013, 57–59; Hummer 2013, 723). Ferner wurde von einer „stillschweigenden Anerkennung des Status der immerwährenden Neutralität“ durch die VN ausgegangen (Kammel 2013, 52; siehe auch Tichy 2019, 154; Zemanek 1961, 413–414; Hummer 2013, 723).

Österreich gestaltete in dieser Rolle der aktiven Neutralität (Kramer 2006, 807; Späni-Schleidt 1983, 46; Hummer 2013, 732) zahlreiche Politikfelder mit. Im Folgenden werden die Schwerpunkte näher erörtert. Die (nukleare) Abrüstung war ein zentrales sicherheitspolitisches Anliegen Österreichs.Footnote 2 Dies kam unter anderem in den Reden der Vertreter Österreichs vor der Generalversammlung zum Ausdruck (Figl 1957; Kreisky 1959; Kirchschläger 1972; siehe ferner Zemanek 1961, 421–422; Emmerich 2005, 48). Weiters schlugen sich Österreichs Bemühungen auf die (nukleare) Abrüstung hinzuwirken etwa darin nieder, dass es seine Position als Ort der Vermittlung zwischen Ost und West nutzte, um diesbezügliche Gespräche und Verhandlungen zu fördern (siehe etwa zum „Wiener Gipfel“ 1961 Ruggenthaler 2019, 63; Kofler 2003, 48–57; Kramer 2006, 813; Frey 2011, 150).

Als weiteren Bereich, auf den sich Österreich in sicherheitspolitischer Hinsicht in den Jahren 1955–1989 stark fokussierte, sind die von den VN initiierten friedenserhaltenden Operationen zu nennen (Kranenpohl und Opitz 2013, 69). So partizipierte Österreich an derartigen Einsätzen im Kongo und auf Zypern, sowie auch an der Beobachtungsmission im Suezkanal-Sektor (Stuhlpfarrer 1983, 32–33; Michal-Misak und Quendler 2006, 912–913; Emmerich 2005, 31–37; Hummer 2013, 735). Von der Beteiligung Österreichs an der friedenserhaltenden Operation auf Zypern (UNFICYP) zeugen unter anderem mehrere Briefe, in denen Österreich gemeinsam mit weiteren an dieser Operation teilnehmenden Staaten zur Erhöhung der finanziellen Mittel für eben diese aufrief (VN Sicherheitsrat, UNSC 1984, 1987a, b, 1989a, b). Neben dem unmittelbaren Ziel der Friedenserhaltung, hatte die Teilnahme an friedenserhaltenden Maßnahmen für Österreich auch „[b]esondere Bedeutung für die Entwicklung einer eigenständigen neutralitätspolitischen Konzeption“ (Michal-Misak und Quendler 2006, 912).

Abrüstung und friedenserhaltende Maßnahmen waren mit einer Politik der aktiven Neutralität – des Sich-in-der-Mitte-Positionierens – gut vereinbar. Schwieriger gestaltete sich dies im Rahmen des Kalten Krieges mit einem weiteren Schwerpunkt österreichischer Außenpolitik, den Menschenrechten. So sind Österreichs Reaktionen auf die Niederschlagung des Ungarischen Volksaufstands 1956 – zum Beispiel die Erstellung eines Resolutionsentwurfs (VN Generalversammlung, UNGA 1956) und eines an die UdSSR gerichteten Aufrufs, das Blutvergießen zu stoppen (UNSC 1956)– auch als „erste große Bewährungsprobe“ der Neutralität bezeichnet worden (Kramer 2006, 812; Michal-Misak und Quendler 2006, 912; Kranenpohl und Opitz 2013, 68; Ruggenthaler 2019, 60–61). Im Rahmen der VN kam es in der Periode 1955–1989 insbesondere anlässlich der Sanktionen gegen Rhodesien und Südafrika zu Friktionen zwischen Neutralität und internationalem Engagement (Kranenpohl und Opitz 2013, 69; Ruggenthaler 2019, 66; Rottenberger 2013, 168; Zemanek 1968, 16–32).

Trotz dieses Spannungsverhältnisses setzte sich Österreich immer wieder im Dienste der Menschenrechte ein. Beispielhaft hierfür sind etwa seine eindeutige Positionierung bezüglich Apartheid und Tibet (Zemanek 1961, 418–420). Zudem machte sich Österreich für Frauen und Jugend stark, wie zwei 1979 aus österreichischer Feder stammende Resolutionsentwürfe zeigen (Wirtschafs- und Sozialrat der VN, UN ECOSOC 1979; UNGA 1979). Nicht zuletzt zeugen die vertragsbezogenen Handlungen, die Österreich 1955–1989 im Bereich Menschenrechte tätigte, von dessen hohem Stellenwert: So ratifizierte Österreich vier und unterzeichnete sechs Verträge in dieser Periode; zudem trat es der Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes bei und erhob Einspruch hinsichtlich eines Vorbehalts, der zur Antifolterkonvention angebracht worden war.

Eng mit den Menschenrechten verbunden war das humanitäre Engagement, das insbesondere ab Anfang der 1960er-Jahre intensiv betrieben wurde (Michal-Misak und Quendler 2006, 912). Hummer (2013, 736) formuliert in diesem Zusammenhang sehr treffend, dass aus österreichischer Sicht „eine nicht diskriminierende Humanitäts- und dabei vor allem Asylpolitik ein wichtiger neutralitätspolitischer Grundsatz [war], da Neutrale für humanitäre Dienste in der Staatengemeinschaft als besonders prädestiniert angesehen werden“. Konkret arbeitete Österreich mehrfach mit dem Hohen Flüchtlingskommissar der VN (UNHCR) zusammen (Tichy 2019, 158; Schemper 2016, 53–71) und nahm Flüchtlinge auf oder erlaubte deren Emigration über österreichisches Gebiet (Stuhlpfarrer 1983, 32; Ruggenthaler 2019, 65; Hummer 2013, 736).

Weiter gefasst ist festzustellen, dass Österreich versuchte, die Ausweitung rechtsstaatlicher Prinzipien auf die internationale Politik voranzutreiben. Dies war das Leitmotiv seiner ersten Mitgliedschaft im Sicherheitsrat in den frühen 1970er-Jahren, zum Beispiel während des Jom-Kippur-Kriegs 1973 und der Zypern-Krise 1974 sowie der Debatten um die weißen Minderheitsregierungen in Südafrika und Rhodesien. Österreichs hohes Interesse an der Rechtsstaatlichkeit zeigt sich auch daran, dass der Staat die Rechtsprechung des Internationalen Gerichtshofs 1971 ohne inhaltliche Einschränkung als bindend anerkannte (Tichy 2019, 149). Bedingt ist Österreichs Befürwortung der Rechtsstaatlichkeit im internationalen Bereich wohl unter anderem dadurch, dass internationale Zusammenarbeit für einen „kleinere[n] und friedliebende[n] Staat“ besonders relevant ist (Tichy 2019, 143; siehe auch Stuhlpfarrer 1983, 20; Rottenberger 2013, 163; Kramer 2006, 808).

Österreich gab sich nicht damit zufrieden, die VN-Bühnen in New York und Genf zu betreten, sondern arbeitete unter Kanzler Kreisky (SPÖ) trotz innenpolitischen Widerstands beharrlich auf den Bau einer weiteren Bühne in Wien hin (Österreichischer Rundfunk, ORF 2019). Neben dem „Bestreben Österreichs nach internationaler Integration“ (Rottenberger 2013, 166) wurde mit der Amtssitzpolitik nicht zuletzt auch der „Schutz Österreichs durch die Präsenz von IO [internationalen Organisationen]“ (Tichy 2019, 160) bezweckt (siehe ähnlich Frey 2011, 147–149). Die Niederlassung der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEA) in Wien 1957 stellte den ersten Erfolg von Österreichs dahingehendem politischen Engagement dar. 1967 ließ sich auch die Organisation der Vereinten Nationen für industrielle Entwicklung (UNIDO) in Wien nieder und seit 1979 ist Wien einer der Amtssitze der VN (Stuhlpfarrer 1983, 37; Michal-Misak und Quendler 2006, 914; Frey 2011, 150–158; spezifisch zur IAEA Ruggenthaler 2019, 62). Ab der 1960er-Jahre wurde Wien ebenso vermehrt zum Austragungsort diverser Konferenzen (Stuhlpfarrer 1983, 37; Emmerich 2005, 50; Rottenberger 2013, 166; Hummer 2013, 733–734; Troy 2022)Footnote 3. Hierbei seien vor allem jene genannt, die das Wiener Übereinkommen über Diplomatische Beziehungen und die Wiener Vertragsrechtskonvention ausverhandelten.

Schließlich war in den 1960er- und frühen 1970er-Jahren die Südtirol-Frage ein Schwerpunkt österreichischer VN-Politik. 1960 brachte Kreisky den Konflikt vor die Generalversammlung (Kreisky 1960; siehe auch Tichy 2019, 150; Michal-Misak und Quendler 2006, 912). Aufgrund der Tatsache, dass Österreich sich als Schutzmacht der in Italien lebenden deutschsprachigen Minderheit erachtete, stellte dieses Thema einen „Aspekt der österreichischen Sicherheits- und Außenpolitik“ (Rottenberger 2013, 165) dar. Konkreter Inhalt des Konflikts war die mangelnde Gleichstellung der in Italien (Südtirol) lebenden deutschsprachigen Minderheit sowie die fehlende Gewährung von Autonomie an Südtirol (Stuhlpfarrer 1983, 29–30; Kramer 2006, 815). Anfang der 1970er-Jahre begannen Italien und Österreich mit der Umsetzung der unter der Schirmherrschaft der VN erarbeiteten Lösung des Disputs (Kirchschläger 1970; 1972; Pallaver 2022)Footnote 4. Diese – nicht unähnlich der Beilegung des Konflikts um Åland zwischen Finnland und Schweden im Jahre 1921 und gemäß der Formel der Anerkennung des territorialen Status Quo für die Autonomie nationaler Minderheiten – ist bis heute ein Modell zur Lösung territorialer, genauer gesagt irredentistischer, Konflikte zwischen Staaten (Kornprobst 2008, 14–15).

Innenpolitisch hatte die Außenpolitik in Österreich nie einen einfachen Stand. Das außenpolitische Interesse im Inland ist recht begrenzt. Die außenpolitische Anerkennung österreichischer VN-Politik im Ausland hingegen war in den 70er-Jahren sehr hoch. Ein Indikator dafür ist die Wahl Österreichs in den Sicherheitsrat. 1972 gaben 115 von 118 Staaten Österreich ihre Stimme (Emmerich 2005, 73). Österreichs Vermittlertätigkeit im Sicherheitsrat zwischen den Supermächten und auch zwischen dem Globalen Süden und Norden, welche viel mit der Interpretation einer aktiven Neutralität durch Botschafter Peter Jankowitsch zu tun hatte, wirkte sich zusätzlich positiv auf Österreichs internationale Reputation aus (UNSC 1973). Auch die Wahl Kurt Waldheims (parteilos) zum VN-Generalsekretär (Stuhlpfarrer 1983, 36–37) ist – zu diesem Zeitpunkt – als Indiz für die hohe internationale Reputation Österreichs zu werten. Deshalb ist es wohl nicht übertrieben, die 1970er-Jahre als „Höhepunkt in der Aktivität und im politischen Ansehen Österreichs in den Vereinten Nationen“ (Kramer 2006, 817–818) zu bezeichnen.

Danach allerdings gab es auch Perioden, in denen Österreich um seinen guten Ruf bangen musste, zum Beispiel während der Waldheim-Affäre (Ruggenthaler 2019, 68; Kramer 2006, 820–822). Der öffentlichen Meinung in Österreich mag Außenpolitik nicht allzu wichtig erschienen sein, aber der Welt war die österreichische Innenpolitik – vor allem aufgrund der Geschichte Österreichs – alles andere als gleichgültig. Eine Präsidentschaftswahl konnte daher sehr wohl außenpolitische Konsequenzen haben. Das Ansehen Österreichs in der Welt war nicht in Stein gemeißelt. Es war – und bleibt – eine unter anderem von Innenpolitik und Regierungskonstellationen abhängige Variable.

3 Österreich, die VN und der Zenit der liberalen Weltordnung: 1990–1999

Das Ende des Kalten Krieges und die weitere Liberalisierung der Weltordnung brachte Österreich dazu, seine außenpolitische Identität zu adaptieren. Die „Rolle als Ost-Westmittler“ (Rottenberger 2013, 169) verlor an Bedeutung. Mit dem Beitritt zur Europäischen Union (EU) gewann Österreich eine außenpolitische Arena hinzu, welche es zur Amplifizierung (Kornprobst 2019, 56) seines Einflusses in der internationalen Politik nutzen konnte, die jedoch auch umgekehrt auf seine Außenpolitik einwirkte (Kramer 2016, 51–52). Gleichzeitig wurde die Neutralität auf ein Mindestmaß reduziert (Hummer 2013, 737; Ruggenthaler 2019, 72). Dieser Prozess hing zwar in gewissem Maße auch mit dem EU-Beitritt zusammen, begann aber schon eine halbe Dekade zuvor. Bereits während der Kuwait-Invasion 1990/1991 durch den Irak sah sich Österreich, ab 1991 wiederum nichtständiges Mitglied des VN-Sicherheitsrates, gezwungen, fundamentale Entscheidungen bezüglich seiner Neutralität zu treffen. Herrschte in Österreich lange die Meinung, der neutrale Status würde die Teilnahme an Interventionen und Sanktionen, auch im Rahmen der VN, verunmöglichen, wurde diese Annahme im Zuge der Kuwait-Krise überdacht. Österreich erteilte beispielsweise Überflugrechte für in Saudi-Arabien stationierte Truppen (Mock 1991). Tichy (2019, 154) beschreibt diesen Wandel mit den Schlagworten „Solidarität statt Neutralität.“ Dieser Veränderungsprozess reduzierte Neutralität auf einen immer enger definierten militärischen Bereich (Kramer 2016, 51).

Trotz dieser Veränderungen blieb Österreich alles in allem den Schwerpunkten seiner VN-Politik treu. In der Abrüstung kooperierte es eng mit einigen anderen Staaten wie Kanada, Mexiko, Norwegen, Schweiz und Südafrika, um die Ächtung von Waffenkategorien anders zu denken. Maßgabe bei dieser Ächtung sollte die menschliche – und nicht mehr die nationale – Sicherheit sein. Waffenkategorien, die qua ihrer Technologie nicht zwischen Kombattant*innen auf der einen und Zivilist*innen auf der anderen Seite unterscheiden können, und damit gegen einen Grundpfeiler des internationalen humanitären Rechts verstoßen, sollten verboten werden. 1997 war Österreich eines der ersten Länder, welches sich für ein Verbot von Anti-Personen-Minen (APM) stark machte und beim Vertragsentwurf für die APM-Verbotskonvention federführend mitwirkte. Dieser wurde nach weiteren Verhandlungen und Konsultationen mit geringfügigen Änderungen im Dezember 1997 von 123 Staaten in Ottawa unterzeichnet (Bundesministerium für auswärtige Angelegenheiten, BMaA 1997, 179–80).

Die Beteiligung an friedenserhaltenden Operationen blieb ein Bestandteil österreichischer VN-Politik. Im Gegensatz zum Abrüstungsfeld wurde dieses Engagement jedoch nicht aus-, sondern abgebaut. 1991 und 1992 stellte Österreich mit rund 970 Soldat*innen 9,3 % bzw. 8,5 % des gesamten VN-Peacekeeping-Personals. Ab 1992 sank der prozentuelle Beitrag Österreichs kontinuierlich (berechnet auf Basis von United Nation Peacekeeping 2021). Dies lässt sich zuerst einmal mit dem sehr starken Gesamtanstieg des VN-Peacekeeping-Personals (und damit einhergehend einer immer höheren Zahl von Staaten des Globalen Südens) erklären.Footnote 5 Allerdings sank Österreichs Beitrag auch in absoluten Zahlen von Jahr zu Jahr. Waren 1990 noch 967 Österreicher*innen im Einsatz, waren es 2001 nur noch 510 und 2010 nur mehr 424 (United Nation Peacekeeping 2021).Footnote 6 Das Bundesheer selbst führt die Reduktion seines Beitrags primär auf ein in Österreich chronisch unterfinanziertes Budget für Landesverteidigung zurück (Schmiedl 2014, 18).Footnote 7

Ursprünglich lehnte Österreich die Teilnahme an friedenserhaltenden Maßnahmen am Balkan im Jahre 1992 ab und begründete dies mit der geografisch sehr nahen Lage und den historischen Verbindungen zur Balkan-Region. Dies änderte sich jedoch mit dem Beitritt zur EU (Hazdra 2003). Als neuer EU-Mitgliedstaat leistete es einen signifikanten Beitrag. 2005/2006 übernahm Österreich das Brigadekommando der europäischen Militärmission (European Union Force, EUFOR) „Althea“ und 2009 stellte Österreich den Force Commander der EU-Operation in Bosnien-Herzegowina (Schmiedl 2014, 18). Zudem wurde Botschafter Wolfgang Petritsch (SPÖ) 1999 zum Hohen Repräsentanten der VN für Bosnien-Herzegowina berufen. Diese Funktion übte er bis 2002 aus und war damit an der zivilen Implementierung des Dayton-Abkommens beteiligt (Petritsch 2021). Botschafter Valentin Inzko (parteilos) hatte dieselbe Position von 2009 bis 2021 inne (Cede und Prosl 2015, 48–49).

In den 1990er-Jahren, beginnend mit einer weiteren Periode als nichtständiges Mitglied im Sicherheitsrat von 1991 bis 1992, gestaltete Österreich mit, was damals als Vision der „neuen Weltordnung“ in aller Munde war. Darüber hinaus verband die österreichische Diplomatie immer wieder die Schwerpunkte Menschenrechte, humanitäres Engagement und internationale Rechtstaatlichkeit. So hielt Österreich 1993 die Weltkonferenz über Menschenrechte ab. Das wichtigste Ergebnis dieser Konferenz war das Aktionsprogramm von Wien, welches eine erhebliche Ausweitung des Geltungsbereichs der völkerrechtlichen Maßnahmen zum Schutz der Menschenrechte vorsah. Des Weiteren wurde die Einrichtung eines VN-Hochkommissariats für Menschenrechte beschlossen (Kramer 2006, 828).

Während Österreichs Mitgliedschaft im Sicherheitsrat 1991/1992 beschäftigte sich dieser vor allem mit der Golfkrise und dem Zerfall Jugoslawiens. Österreichs Repräsentant Botschafter Peter Hohenfellner wurde zum Vorsitzenden des Komitees zur Überwachung der Sanktionen im Irak (welches durch SR-Resolution 661 geschaffen wurde) gewählt. In dieser Position oblag es Österreich, die Durchführung der Sanktionen gegen den Irak zu kontrollieren und über Ausnahmen von Strafmaßnahmen zu entscheiden. Dabei galt es, einen Ausgleich zwischen der Durchsetzung der Sanktionen gegen das Saddam-Regime und der Aufrechterhaltung der Versorgung für die Zivilbevölkerung zu finden. Dies erlaubte Einfluss auf die humanitäre Lage der Zivilbevölkerung zu nehmen, eines der deklarierten Ziele der österreichischen VN-Politik (BMaA 1991, 534–536; Cede und Prosl 2015, 47). Hohenfellner wurde im Jahre 1992 in dieser Position wiedergewählt (BMaA 1992, 583). Österreich übernahm im März desselben Jahres den Vorsitz des Sicherheitsrates, was mit der Beendigung der Kampfhandlung des Irak zusammenfiel. Im Zuge dessen verhandelte der Sicherheitsrat erneut unter dem Vorsitz Hohenfellners die Ausarbeitung der Modalitäten für die Rückgabe kuwaitischen Eigentums (BMaA 1991, 534–536).

Im Zuge der diplomatischen Arbeit zu Menschenrechten, humanitärem Engagement und internationaler Rechtstaatlichkeit machte Österreich auch vor Ideen zur Einschränkung der staatlichen Souveränität nicht halt. Jandl (2013, 30) verweist zurecht darauf, dass Österreich in der Zeit seiner zweiten Mitgliedschaft im Sicherheitsrat an einer wichtigen Debatte im für die Zweite Republik so wichtigen Punkt der internationalen Rechtsstaatlichkeit mitwirkte. Provokant ausgedrückt, lief die international vorherrschende und gleichsam absolute Interpretation von staatlicher Souveränität darauf hinaus, dass Staaten das internationale Recht hatten, innenpolitisch Unrecht zu tun (Kratochwil 1995). Im Lichte der Resolutionen zu Jugoslawien und anderen Fällen innerstaatlicher Kriege wurden diejenigen Stimmen immer lauter, die eine weniger absolute Interpretation von Souveränität postulierten. Bereits 1991 setze sich Alois Mock (ÖVP) mit den folgenden Worten dafür ein: “Respect for human rights must be one of the pillars of the international order. Therefore, concerns over human rights violations and inquiries with a view to safeguarding these rights cannot be considered interference in the internal affairs of a State.” Ab Mitte der 1990er-Jahre, verstärkt jedoch ab 1999, brachte Österreich in diesem Zusammenhang das Paradigma von menschlicher Sicherheit ins Spiel (Klestil 1995, 2000; Schüssel 1997; Ferrero-Waldner 1999; 2000; 2001; 2003; Plassnik 2005).

So lässt sich für die 1990er Jahre insgesamt durchaus ein positives Fazit ziehen. Die liberale Weltordnung ist unter anderem dadurch gekennzeichnet, dass Menschenrechte mehr in den Vordergrund gestellt werden (Kornprobst und Paul 2021); Österreich wirkte dabei aktiv mit. Menschliche Sicherheit war nicht nur ein Prisma, durch das hindurch österreichische Außenpolitik Abrüstungspostulate dachte und formulierte, sondern generell ein Kompass österreichischer VN-Politik. Allerdings begannen sich bereits Mitte der 1990er-Jahre Probleme abzuzeichnen, die österreichische VN-Politik in den nächsten Jahren immer mehr begleiten sollten. Das Budget des österreichischen Außenministeriums wurde signifikant gekürzt und die Anzahl an Mitarbeiter*innen wurde von 1995 bis 2014 um ein Drittel reduziert. Des Weiteren stagnierte auch das Budget für Entwicklungshilfe, vor allem ab den 2000er-Jahren (Kramer 2016).Footnote 8

4 Österreich, die VN und die strittige Weltordnung: 2000–2021

In den 2000er-Jahren wurden Träume einer „neuen Weltordnung“ kaum mehr thematisiert. Stattdessen schlitterte die Welt zuerst über die Terroranschläge des 11. September und das Erstarken des Islamistischen Terrorismus, die US-Interventionen in Afghanistan und Irak und später durch die sich signifikant verschlechternden Beziehungen der Großmächte USA, China und Russland in eine neue Ära des Wettstreits, in der die liberale Weltordnung immer mehr unter Druck geriet. War dies bereits eine neue weltpolitische Konstellation, welche die Umsetzung der Schwerpunkte österreichischer Außenpolitik erschwerte, kam für Österreich Anfang der 2000er-Jahre auch noch eine europa- und sogar weltweite Kritikwelle gegen die Angelobung der ersten schwarz-blauen Regierung im Februar 2000 hinzu. Die Charakterisierung Österreichs als „pariah state“ (Nowotny 2000) ist überzogen, aber sein außenpolitischer Ruf litt und damit verkleinerte sich sein Handlungsspielraum (Happold 2000).

Trotz der sich wandelnden politischen Großwetterlage und der innenpolitischen Veränderungen waren die außenpolitische Identität Österreichs und die Schwerpunkte österreichischer VN-Politik weiterhin mehr von Kontinuität als von abrupten Veränderungen geprägt. Dies lässt sich an der Fortsetzung der bisher gelebten Schwerpunktsetzung gut ablesen. So versuchte Österreich, wie gehabt, die Abrüstung voranzutreiben. Der Erfolg des Landminenverbots veranlasste die Kerngruppenstaaten dazu, weiterhin Abrüstung im Sinne der menschlichen Sicherheit zu postulieren. Die Konvention zum Verbot von Streuminen, welche 2008 in Oslo unterzeichnet wurde, stellte ein weiteres Resultat dieser Bemühungen dar (Maitre und Lévy 2019, 540). Ein kleinerer Teil der ursprünglichen Kerngruppenstaaten begann dann, das Argument der menschlichen Sicherheit auf nukleare Abrüstung anzuwenden. Mit starker österreichischer Unterstützung entwickelte sich innerhalb weniger Jahre ein immer größer werdendes Netzwerk von Staaten und nichtstaatlichen Akteuren, die sich in der Humanitären Initiative (HI) organisierten. Dies resultierte 2017 im Atomwaffenverbotsvertrag, der 2021 in Kraft trat. Österreich arbeitete aktiv an weiteren wichtigen Instrumenten hin zu mehr Rüstungskontrolle mit. Bereits 2013 setzte sich Österreich für einen robusten Vertrag über den Waffenhandel in der Generalversammlung ein und forderte, den internationalen Handel mit konventionellen Waffen strengeren Regeln zu unterwerfen. 2014 erfolgte die Ratifikation sowie das Inkrafttreten des Vertrages. Für die Organisation des Vertrages über das umfassende Verbot von Nuklearversuchen (CTBTO) und die Kontrolle der Einhaltung des Kernteststopp-Vertrags stellt Österreich sowohl 2020 als auch 2021 3,1 Mio. Euro zur Verfügung (Bundesministerium für Finanzen, BMF 2020, 22, 32; BMF 2021, 21, 31). Die IAEA erhält außerdem ein eigenes Budget, das allerdings zwischen 2020 und 2021 von 3,25 auf 2,75 Mio. Euro reduziert wurde. Insgesamt wurden die VN-Beiträge Österreichs um 5,7 Mio. Euro bzw. 6,5 % gesenkt (BMF 2021, 5).Footnote 9

Österreich beteiligte sich nach wie vor an friedenserhaltenden Maßnahmen. Es kam zum Beispiel zu kürzeren Einsätzen in Albanien und Afghanistan; von 2008 bis 2010 partizipierte Österreich mit 170 Soldat*innen an einer Friedensmission im Tschad, welche vor der Überleitung in eine VN-Mission von der EU initiiert worden war. Diese löste jedoch eine Debatte über die Sinnhaftigkeit solcher Einsätze innerhalb der Bevölkerung aus (Schmiedl 2014). Seit 2010 stellte Österreich Personal für sieben Missionen, wobei der Einsatz in den Golanhöhen inzwischen bereits abgeschlossen ist (Bundesheer 2009, 2021). Die sechs laufenden Missionen mit österreichischer Beteiligung finden sich im Kosovo (UNMIK), Libanon (UNIFIL), Mali (MINUSMA), Nahen Osten (UNTSO), Westsahara (MINURSO) und auf Zypern (UNFICYP) (Bundesheer 2021). Der 10-Jahresvergleich der VN-Beiträge zeigt einen Rückgang von 44,55 Mio. Euro im Jahr 2010 auf 40,2 Mio. Euro im Jahr 2020. Drastischer ist die Budgetgegenüberstellung der Jahre 2020 und 2021; hier sank das geplante Budget für friedenserhaltende Operationen auf 25,6 Mio. Euro (BMF 2021, 5; BMF 2009, 243). Der Rückzug vom Golan wurde im Ausland teils sehr kritisch kommentiert und als Bruch der außenpolitischen Tradition des Landes wahrgenommen (Greenwood und Chulow 2013; Reuters 2013). Österreichische Blauhelme hatten 39 Jahre lang dazu beigetragen, dass die sensible Grenzregion zwischen Israel und Syrien nicht erneut zum Schauplatz eines Krieges wurde.

Menschenrechte stellten nach wie vor einen wichtigen Schwerpunkt österreichischer VN-Politik dar. Seit der VN-Menschenrechtsrat (UNHRC) die VN-Menschenrechtskommission im Jahre 2006 abgelöst hatte, war Österreich bereits zweimal darin vertreten: 2011–2014 und 2019–2021. 2020 stellte Österreich mit Botschafterin Elisabeth Tichy-Fisslberger die Präsidentin. Dabei wurde die Wahrung der Rechte von Frauen, Kindern und Menschen mit Behinderung, die Bekämpfung des Menschenhandels, die Abschaffung der Todesstrafe, das Überwinden von Rassismus und Diskriminierung (Bundesministerium für Europäische und Internationale Angelegenheiten, BMEIA, 2019a, 2–3) sowie der Einsatz gegen Straflosigkeit (Schallenberg 2019, 2) priorisiert. 2014 brachte die Republik bei der 27. regulären Tagung des UNHRC eine Resolution zur Reduktion der Kindersterblichkeit ein (BMEIA 2014, 213); eine weitere zu Menschenrechten in der Rechtspflege folgte 2018 (BMEIA 2018, 95). Derzeit übt Österreich in seiner Funktion als Rapporteur im Dritten Komitee der Generalversammlung zusätzlich inhaltlichen Einfluss aus (BMEIA 2018, 96). Die Rolle der Menschenrechte rückte nicht zuletzt aufgrund des Syrienkonflikts und der Notwendigkeit für humanitäre Hilfe weiter in den Vordergrund. 2012 war Österreich als Mitglied des Menschenrechtsrats aktiv geworden, um auf die Verletzungen im Krisengebiet hinzuweisen (BMEIA 2012, 199), die Strafverfolgung von Tätern besonders bei Übergriffen auf die Zivilbevölkerung zu forcieren (BMEIA 2012, 216) und einen Bericht zur Menschenrechtslage von der VN-Hochkommissarin für Menschenrechte anzufordern (BMEIA 2019b, 139).

Obwohl der Einsatz für Menschenrechte grundsätzlich mit humanitärem Engagement eng verwoben ist, hat Österreich sein humanitäres Engagement seit 2015 reduziert. Zahlungen an die Flüchtlingskomission der VN (UNHCR) sanken zwischen 2017 und 2018 von 8,3 Mio. auf 2,5 Mio. Euro (UNHCR 2019). Nachdem das diesbezügliche öffentliche Echo die Regierung in Verlegenheit gebracht hatte, wurde der Betrag im folgenden Jahr wieder auf 5,82 Mio. Euro angehoben (ORF 2020). Im September 2016 waren österreichische Diplomat*innen bei der Ausverhandlung der New Yorker Erklärung für Flüchtlinge und Migrant*innen beteiligt. Aufgrund der dort vertretenen kontroversen Sichtweisen mündete diese Erklärung nicht in einen rechtlich bindenden Vertrag, sondern lediglich in den Globalen Pakt für Flüchtlinge und den Globalen Pakt für Migration, welche im Dezember 2018 von der Generalversammlung angenommen wurden. Zur großen Überraschung vieler VN-Mitgliedsstaaten stimmte Österreich Letzterem nicht zu, obwohl österreichische Diplomat*innen und Völkerrechtler*innen an seiner Ausformulierung beteiligt gewesen waren. Der Weg zu diesem Schritt wurde im Ausland detailgetreu und sehr kritisch seziert. Die Identitären übten Druck auf die mitregierende FPÖ aus; diese stellte sich dem Migrationspakt daraufhin entgegen (Baumann 2018).

Im Gegensatz zur Reduktion seines humanitären Engagements vergrößerte Österreich seinen Einsatz für internationale Rechtsstaatlichkeit. Seit 2005 organisiert Österreich die „Group of Friends of the Rule of Law“, der etwa 50 Staaten angehören (BMEIA 2021b). Ein Schritt in die von Österreich befürwortete Richtung wurde 2012 mit der Konsens-Abstimmung über Resolution A/RES/67/1 (Declaration of the High-level Meeting of the General Assembly on the Rule of Law at the National and International Levels) getan. Im Rahmen dieser „Group of Friends“ tritt Österreich „vehement für eine Verankerung der ‚Rule of Law‘ in den Nachhaltigen Entwicklungszielen der VN ein“ (BMEIA 2014, 191). Um die Rechtsstaatlichkeit in der Post-2015-Agenda (BMEIA 2021b), den Nachhaltigen Entwicklungszielen (SDGs) und der Agenda 2030 zu verankern, organisierte Österreich in Zusammenarbeit mit Mexiko und Liechtenstein sowie der VN-Einheit für Rechtsstaatlichkeit mehrere Informationsveranstaltungen (BMEIA 2015, 174).

Als Österreich von 2009 bis 2010 zum dritten Mal nichtständiges Mitglied im Sicherheitsrat wurde, konzentrierte es sich wiederum stark auf internationale Rechtsstaatlichkeit. Dabei legte es den Hauptfokus auf den Schutz von Zivilist*innen, insbesondere von Frauen und Kindern, und brachte in seiner Vorsitzperiode Resolution 1894 (UNSC 2009) ein, welche einstimmig angenommen wurde. Darin bekräftige der Sicherheitsrat unter anderem seine Bereitschaft, im Falle von vorsätzlichen Angriffen auf Zivilpersonen oder bei gezielter Behinderung humanitärer Hilfe angemessene Maßnahmen im Rahmen der geltenden gesetzlichen Grundlagen der VN zu setzen. Des Weiteren spricht sich die Resolution klar gegen die Straflosigkeit schwerer Übergriffe auf die Zivilbevölkerung aus und sieht erstmals umfassende Mechanismen strafrechtlicher Verantwortung vor (UNSC 2009). Im Jahr 2010 fokussierte sich Österreich dann auf die effektive Umsetzung der Resolution (BMEIA 2010, 49–50).

Außerdem nutzte es seine Sicherheitsratsmitgliedschaft dazu, um sich für den Rechtsschutz von Personen stark zu machen, welche von gezielten Sanktionen betroffen sind. Dies ist insbesondere deshalb ein wichtiges Thema, weil es immer wieder zu Verwechslungen oder ungerechtfertigten Verhängungen kommt und keine Anlaufstelle für Betroffene bestand. Zwar waren aufgrund der skeptischen Haltung anderer Mitglieder, vor allem der ständigen, nur kleine Fortschritte möglich, jedoch konnte unter aktiver Mithilfe Österreichs die Gründung einer Ombudsstelle für Beschwerden von Terrorismusverdächtigen als Überprüfungs- und Anlaufstation umgesetzt werden (Tichy 2019, 155). Diese Initiative Österreichs (Res 1904) hängt stark mit der Position Botschafter Thomas Mayr-Hartings als Vorsitzender des 1267-Sanktionenkomitee (Al-Qaida/Taliban) zusammen (BMEIA 2010, 61). Österreich war in seiner anderthalbjährigen Vorsitztätigkeit für die ausführlichste Sichtung und Überprüfung der Liste seit deren Bestehen verantwortlich und tatsächlich konnten 47 Namen rehabilitiert werden (Spindelegger 2013, 19).

5 Fazit und Ausblick

Kehren wir noch einmal zur ersten Rede eines österreichischen Außenministers vor der VN-Vollversammlung zurück. Ist Österreich seinem Anspruch gerecht geworden, „aktiv zu kooperieren, um die vielen und oftmals komplexen Probleme in unserem Zeitalter zu diskutieren und lösen“? Diese Frage ist differenziert zu beantworten.

Einerseits ist Österreich seinem Selbstverständnis als weltpolitisch mitgestaltender Staat gerecht geworden. Gemessen an seiner Größe und Wirtschaftskraft schaffte es Österreich „to punch above its weight“, wie Diplomat*innen anderer Länder es manchmal formulieren. Dies trifft vor allem auf die Schwerpunkte seiner VN-Diplomatie zu: Abrüstung, friedenserhaltende Maßnahmen, Menschenrechte, humanitäres Engagement und internationale Rechtsstaatlichkeit. Auch in anderen Bereichen, die aufgrund der Kürze dieses Kapitels nicht weiter behandelt werden können, zum Beispiel Seerecht, Umweltrecht und Weltraumrecht, hat sich Österreich einen Status als international respektierter Mitgestalter erarbeitet.

Auf der anderen Seite gibt es auch Defizite. Oben wurde bereits erwähnt, dass friedenserhaltenden Maßnahmen und humanitärem Engagement nun nicht mehr die politische Priorität eingeräumt wird, die diese Schwerpunkte einmal innehatten. In der Entwicklungspolitik hat Österreich zwar auf diplomatischem Parkett einige wichtige Impulse gesetzt – wir führten hierbei bereits die Rechtsstaatlichkeit und die Ziele der nachhaltigen Entwicklung an –, aber die finanzielle Ausstattung der österreichischen Entwicklungspolitik bleibt weit unter dem, was in internationalen Foren immer wieder versprochen wurde. Österreich bleibt sehr weit von dem Ziel entfernt, die 0,7 % seines Bruttoinlandsprodukts für Entwicklungspolitik zu verwenden, die es in zahlreichen Dokumenten seit 1970 zugesagt hat.

In Figls Zitat gibt es den wichtigen Zusatz „in unserem Zeitalter“. Was charakterisiert das heutige Zeitalter, welche plausiblen Szenarien für künftige Entwicklungen gibt es und was heißen diese eigentlich für die österreichische VN-Diplomatie?

In den letzten 50 Jahren hat sich die internationale Diplomatie immer mehr zur globalen Diplomatie gewandelt (Bjola und Kornprobst 2016). Mehr und mehr staatliche und nichtstaatliche Akteur*innen gesellen sich zu Repräsentant*innen von Außenministerien auf der diplomatischen Bühne. Mehr und mehr Politikbereiche, von Umwelt bis Gesundheit, werden auf dieser diskutiert und verhandelt. In diesem Umfeld muss multilaterale Diplomatie Strategien und Taktiken verändern. Um etwas ausrichten zu können, muss sie zentrale Knoten in Netzwerken besetzen, immer weitere Netzwerke (oft auch ad hoc) zu staatlichen und nichtstaatlichen internationalen Akteur*innen spinnen und Brücken zwischen Politikfeldern bauen. Uns erscheint, dass österreichische VN-Politik schon seit Jahren immer dort erfolgreich ist, wo ihr all dies gelingt. Die Humanitäre Initiative war ein solch breites Netzwerk, das Brücken zwischen Menschenrechten und Abrüstung geschlagen hat (Kmentt 2022).Footnote 10

In unserem Zeitalter gibt es eine immer größere Vielzahl an neuen Problematiken, derer sich die Diplomatie annehmen muss. Es sollte der Anspruch Österreichs sein, wichtige Problematiken ehestmöglich zu erkennen und einen Beitrag dazu zu leisten, sie auf die globale Agenda zu setzen. Um nur zwei Beispiele hierfür zu nennen, hat Österreich vor der Corona-Pandemie globale Gesundheit ähnlich vernachlässigt wie die allermeisten anderen Staaten, obwohl Expert*innen zumindest seit der SARS-Epidemie in den frühen 2000er-Jahren immer eindringlicher vor der Möglichkeit einer Pandemie gewarnt hatten.Footnote 11 Digitale Innovation wird Diplomatie in der Zukunft immer mehr beschäftigen. Digitale Technologie entwickelt sich so rasant, dass wir uns vielleicht schon bald dem Übergang von der digitalen zur Quantum-Datenverarbeitung nähern. Diplomatie wird diesem atemberaubenden technologischen Fortschritt immer ein Stück weit hinterherlaufen müssen, aber Regeln für digitale Interaktionen müssen dennoch möglichst zeitnah auf internationaler Ebene ausverhandelt werden.

Beide Beispiele unterstreichen übrigens auch, wie herkömmliche Diplomatie immer mehr durch wissenschaftliche und technische Expertise angereichert werden sollte, um innovative Ideen und Lösungsansätze zu finden. Staaten, die in dieser Hinsicht erfolgreicher sind als andere, haben einen großen Vorteil dabei, ihre Lösungsansätze international einzubringen (Bjola und Kornprobst 2021). Und dabei macht es nicht einmal einen großen Unterschied, welche territoriale oder demografische Größe ein Land hat.

Weiterführende Quellen

Gareis, Sven. 2019. „Frieden und Vereinte Nationen“. In Handbuch Frieden, hrsg. von Hans J. Gießmann und Bernhard Rinke, 741–751. Wiesbaden: Springer.

Das Kapitel gibt einen guten Überblick darüber, wie Staaten, Österreich inbegriffen, in Kernpolitikbereichen der Vereinten Nationen interagieren.

Weiss, Thomas G., und Sam Daws. Hrsg. 2018. The Oxford Handbook on the United Nations. Oxford: Oxford University Press.

Dieses Standardwerk zu den Vereinten Nationen behandelt auch die Rolle Österreichs in einer Reihe von Politikfeldern wie Menschliche Sicherheit, Medien, Minderheiten und Gegenmaßnahmen zu organisierter Kriminalität.

Conforti, Benedetto, und Carlo Focarelli. 2016. The Law and Practice of the United Nations. Dordrecht: Brill.

Beim Zusammenspiel von Völkerrecht und diplomatisch-politischen Praktiken kommt es nicht zuletzt auf völkerrechtliche Expertise an. Österreichische Völkerrechtler haben sich hierbei vor allem im Bereich der Menschenrechte hervorgetan.

Lavelle, Kathryn C. 2020. The Challenges of Multilateralism. New Haven, CT: Yale University Press.

Das Buch behandelt die gegenwärtigen Probleme des Multilateralismus und kommt dabei auch auf multilaterale Initiativen Österreichs zu sprechen.