Schlüsselwörter

1 Einleitung

Der Europarat ist für Österreich wesentlich. Es ist für Österreich das vorzügliche Forum, in dem es am europäischen Einigungsprozess mitwirken kann. Aber ebenso wichtig ist es, festzustellen, dass auch Österreich, in seiner besonderen geographischen Lage und aus seiner besonderen historischen Erfahrung für die übrigen europäischen Staaten und daher auch für den Europarat bedeutsam ist (Kirschläger 1984, 394).

Österreich weiß sich dem Europarat, unserer ältesten, wahrhaft pan-europäischen Plattform, auf vielfache Weise sehr verbunden. Die Europäische Menschenrechtskonvention steht in Österreich im Verfassungsrang. Demokratie, Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit machen das Wesen Europas aus. Ohne sie kann es das Europa, das wir wollen, nicht geben. Sie müssen freilich jeden Tag neu errungen und gesichert werden (van der Bellen 2018).

Trotz dieser prominenten Bekenntnisse zur Bedeutung des Europarates für Österreich – und Österreichs für den Europarat – kommt der Institution in der politikwissenschaftlichen Forschung (bisher) nur wenig Aufmerksamkeit zu. Es gibt kaum Werke der Außenpolitikanalyse, welche sich konkret mit den Ursachen und Folgen der österreichischen Europaratspolitik oder mit dem Einfluss des Europarates auf Österreich beschäftigen. Es ist daher das Ziel dieses Beitrags, die Grundlage zur Füllung einer augenscheinlichen Forschungslücke zu bieten. Dazu wird im Folgenden ausgeführt, wie Österreich seine Politik gegenüber dem Europarat gestaltet hat und welche Faktoren die Gestaltung dieser Politik geprägt haben.

Nach einer kurzen Beschreibung der Organisation und Funktionsweise des Europarats werden die in der Literatur existierenden Erkenntnisse zur Entwicklung des österreichischen Verhältnisses zum Europarat zusammengetragen und in chronologischer Reihenfolge dargestellt. Diese Entwicklung kann in fünf Phasen unterteilt werden: 1) Von der Idee zur Gründung des Europarates; 2) Beitritt Österreichs; 3) Österreichs Mitgliedschaft während des Kalten Kriegs; 4) Osterweiterung des Europarates nach Fall des Eisernen Vorhangs; 5) Österreichs Mitgliedschaft nach Beitritt zur Europäischen Union. Aufbauend darauf identifiziert der zweite Teil des Kapitels Schwerpunkte der österreichischen Europaratspolitik, formuliert Hypothesen zu deren Zustandekommen und zeigt Richtungen und Wege für die weitere (politikwissenschaftliche) Forschung zu diesem Thema auf.

2 Der Europarat

Der Europarat ist eine zwischenstaatliche Organisation, die 1949 von zehn europäischen StaatenFootnote 1 mit dem Ziel gegründet wurde, „einen engeren Zusammenschluß unter seinen Mitgliedern zu verwirklichen, um die Ideale und Grundsätze, die ihr gemeinsames Erbe sind, zu schützen und zu fördern und um ihren wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt zu begünstigen“ (Die Satzung des Europarates 1949). Seither sind dem Europarat 37 weitere Mitglieder beigetreten, sodass er gegenwärtig (Stand: 2021) nahezu alle Länder des europäischen KontinentsFootnote 2 und etwa 835 Mio. Bürger*innen unter sich vereint (Europarat 2021a).

Der Europarat setzt sich aus mehreren Kerninstitutionen zusammen, welche in Straßburg residieren und von Abgeordneten bzw. Bürger*innen (im Falle der Konferenz der Internationalen Nichtregierungsorganisationen) der Mitgliedstaaten beschickt werden:

  • das Ministerkomitee (zusammengesetzt aus den Außenminister*innen bzw. Ständigen Vertreter*innen der Mitgliedstaaten),

  • die Parlamentarische Versammlung (zusammengesetzt aus insgesamt 324 Vertreter*innen der nationalen Parlamente der Mitgliedstaaten),

  • der Kongress der Gemeinden und Regionen (zusammengesetzt aus Vertreter*innen europäischer Gebietskörperschaften),

  • der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR),

  • die Konferenz der Internationalen Nichtregierungsorganisationen,

  • der/die Generalsektretär*in (für 5 Jahre durch die Parlamentarische Versammlung gewählt), und

  • der/die Menschenrechtskommissar*in (für 6 Jahre durch die Parlamentarische Versammlung gewählt).

Der Europarat steht außerhalb des Institutionengefüges der Europäischen Union (EU), kooperiert allerdings eng mit dieser und teilt mit ihr das Ziel einer friedlichen Integration europäischer Staaten. Während die EU diese Integration auf politischer und wirtschaftlicher Ebene verfolgt, konzentriert sich der Europarat auf kulturelle Verständigung und die Schaffung und Wahrung geteilter Rechtsnormen innerhalb Europas (Europarat 2021b; Europarat und Europäische Union 2007).

Neben einigen Konventionen und Abkommen, die vom Europarat ausgearbeitet, aber nicht von all seinen Mitgliedern unterzeichnet oder ratifiziert wurden, bildet das Kernstück dieses geteilten Rechtsrahmens die Europäische Menschenrechtskonvention (EKMR), die für alle Europaratsmitglieder Gültigkeit besitzt und deren Einhaltung der Europarat (speziell dessen Unterorganisation: der EGMR) überwacht. Zusätzlich zur Erarbeitung und Durchsetzung bindender Rechtsnormen „kann der [Europarat] Regierungsempfehlungen abgeben, Sitzungen mit Experten abhalten, Schulungen durchführen, Untersuchungen und Berichte verfassen sowie Kampagnen zu verschiedenen Themen organisieren“ (bpb 2021). All diese Kompetenzen nutzt der Europarat nach eigener Beschreibung (Europarat 2021c) zur Stärkung der Menschenrechte, zur Bekämpfung von Diskriminierung und Rassismus, zur Verteidigung der Meinungsfreiheit, zur Förderung der Gleichstellung von Frauen und Männern, zum Schutz der Kinderrechte, zur Verteidigung der kulturellen Vielfalt, zur Garantie demokratischer, freier und fairer Wahlen, zur Erziehung europäischer Jugendlicher zu Menschenrechten und Demokratie, und um die Qualität von Arzneimitteln und Gesundheitsfürsorge sicherzustellen.

3 Phasen der österreichischen Europaratsmitgliedschaft

3.1 Von der Idee zur Gründung des Europarats

Der Europarat als Idee eines Zusammenschlusses europäischer Staaten, welcher den Zusammenhalt und Frieden auf dem Kontinent fördern sollte, ist keineswegs ein Produkt der Nachkriegszeit und kann auch nicht auf einzelne Akteure oder Staaten rückverfolgt werden. Eine auch nur ansatzweise vollständige Genealogie dieser Idee würde den Rahmen des vorliegenden Beitrags sprengen (siehe dazu z. B. Heater 1992), es soll aber zumindest darauf hingewiesen werden, dass in der Diskussion um die Gründung des Europarates mehrmals auf die paneuropäischen Thesen von Richard Coudenhove-Kalergi – eines japanisch-österreichischen Politikers, der sich nach Ende des Ersten Weltkriegs aktiv für eine stärkere Verbindung zwischen europäischen Staaten engagierte – zurückgegriffen wurde. Die Relevanz dieses Umstands für ein Handbuch zur österreichischen Außenpolitik liegt einerseits in der Aufmerksamkeit, die Coudenhove-Kalergis Rolle in der entsprechenden Literatur erhält (z. B. Schwimmer 2008; Hack 2008; Gehler 2002), und andererseits darin, dass das Wirken Coudenhove-Kalergis eine gewisse pro-europäische Strömung in der österreichischen Ideenlandschaft illustriert.

Die österreichische Positionierung zum Europarat in der unmittelbaren Nachkriegszeit war in ihrer Rhetorik von dieser pro-europäischen Strömung geprägt, die praktische politische Vorgehensweise des Landes jedoch gestaltete sich ambivalenter und war durch äußere Umstände mitbestimmt. Die Anwesenheit von und Rivalität zwischen den Besatzungsmächten setzte den österreichischen Entscheidungsträger*innen gewisse Grenzen hinsichtlich ihrer Annäherung an westeuropäische Initiativen und Zusammenschlüsse, vor allem wenn diese über wirtschaftliche Abkommen hinausgingen. Einige Autoren (Schwimmer 2008, 59; Hack 2008, 121–122) nennen diese äußeren Umstände als Grund dafür, warum Österreich nicht an der Gründung des Europarats – welche am 5. Mai 1949 stattfand – mitwirkte und ihm auch in den unmittelbar darauffolgenden Jahren nicht sofort beitrat.

In dieser Anfangszeit distanzierten sich österreichische Vertreter*innen jedoch keinesfalls gänzlich vom Europarat (zum gesamten folgenden Absatz: Schwimmer 2008, 57 und 61). Eine österreichische Delegation saß dem Europäischen Kongress in Den Haag (1946) bei, bei dem unter anderem die Gründung eines Europarates gefordert wurde und in dessen Folge sich die Europäische Bewegung gründete, welche anschließend die tatsächliche Bildung eines Europarates vorantrieb und umsetzte. Ab dem Jahr 1951 (nach entsprechender Einladung) entsandte die Bundesregierung zudem zwei Nationalratsabgeordnete als Beobachter*innen zur Beratenden Versammlung des Europarates. Ein Beisitz bei den Sitzungen des Ministerkomitees wurde dem Nicht-Mitglied nicht gestattet, es konnte aber einen Ständigen Vertreter zum Europarat nominieren, was Österreichs Außenministerium ab dem Jahr 1953 tat.

3.2 Beitritt Österreichs zum Europarat

Ein Beitritt Österreichs zum Europarat war, wie bereits erwähnt, sowohl für die damals führenden österreichischen Politiker wie auch für die (im Ministerkomitee sitzenden) Vertreter*innen der bestehenden Europaratsländer vor Erlangung der vollen Souveränität durch die Unterzeichnung eines Staatsvertrags ausgeschlossen. Was es aber durchaus gab, waren offizielle Absichtserklärungen für einen möglichen Beitritt nach Abzug der Besatzungsmächte: Im Dezember 1951 etwa richtete der Ausschuss für Allgemeine Angelegenheiten der Beratenden Versammlung einen Entschließungsentwurf an das Ministerkomitee des Europarates und forderte es dazu auf, die erste Gelegenheit zu ergreifen, Österreich zur Mitgliedschaft im Europarat einzuladen (Beratende Versammlung 1951). Von österreichischer Seite gab es zwei Jahre später, im Dezember 1953, einen parlamentarischen Entschließungsantrag, der von einer Gruppe aus ÖVP- und SPÖ-Abgeordneten vorgelegt und in dem die Bundesregierung darum ersucht wurde „zu prüfen, ob die Voraussetzungen für den Beitritt der Republik Österreich als ordentliches Mitglied zum Straßburger Europarat vorliegen“ (Pittermann und Stürgkh 1953).

Dieser Entschließungsantrag hatte allerdings erst nach zwei weiteren Jahren substanzielle Auswirkungen, da er vor Abschluss des Staatsvertrages keinen prominenten Platz auf der Regierungsagenda fand. Am 21. Februar 1956 beschloss der österreichische Ministerrat, ein Beitrittsansuchen an den Europarat zu stellen. Weil es sich bei einem Beitritt um den Abschluss eines völkerrechtlichen Vertrags handelt, musste dieser Beschluss vor Weiterreichung nach Straßburg im österreichischen Nationalrat angenommen werden, was Anfang März mit Unterstützung der Parteien ÖVP, SPÖ und VdU geschah. Eine Woche später, am 8. März 1956, wurde der Antrag vom Ministerkomitee des Europarats akzeptiert, und der offizielle Beitritt Österreichs als Vollmitglied beim Europarat wurde mit 16. April 1956 ratifiziert (Schwimmer 2008, 61).

3.3 Österreichs Europaratsmitgliedschaft während des Kalten Kriegs

Die Menge an Literatur zu Österreichs Mitgliedschaft im Europarat hält sich in Grenzen – egal, ob man akademische, populärwissenschaftliche oder biografische Werke konsultiert. In einem zweiteiligen Sammelband zu diesem Thema (Hummer 2008a, b) wird dargelegt, an welchen Konventionen zur Rechtsharmonisierung und an welchen anderen europaweiten Initiativen (bspw. dem Europäischen Arzneibuch) sich Österreich in den ersten Jahrzehnten seiner Mitgliedschaft beteiligte (siehe dazu den Beitrag von Schwimmer 2008), in welchen Positionen österreichische Vertreter*innen an der Arbeit des Europarates mitwirkten (siehe die Beiträge von Schwimmer 2008; Schieder 2008), und inwieweit Europaratsnormen in verschiedenen Feldern Aufnahme in die österreichische Gesetzgebung fanden (v. a. in den Beiträgen im zweiten Band der Sammelausgabe, Hummer 2008b). Dabei werden jedoch vor allem juristische und für die innenpolitische Gesetzgebung relevante Gesichtspunkte begutachtet; eine außenpolitische Analyse, die relevante Entwicklungen in der Beziehung Österreichs zum Europarat nachzeichnete und die den Versuch unternähme, Schwerpunkte, treibende Faktoren und Konsequenzen der Interaktionen Österreichs mit dem Europarat zu identifizieren, ist noch ausständig.

3.4 Osterweiterung nach Fall des Eisernen Vorhangs

Die Integration der Staaten des Ostblocks in das „gemeinsame Haus Europa“ (ehemaliger Bundeskanzler Klaus (ÖVP) vor der Parlamentarischen Versammlung 1969, zitiert nach Schwimmer 2008, 64) wurde von österreichischer SeiteFootnote 3 positiv betrachtet und später, nach Fall des Eisernen Vorhangs, auch aktiv vorangetrieben (Hack 2008, 126–130). Bereits während des Kalten Krieges wurde Österreich sowohl von sich selbst wie auch von einigen „regimekritisch eingestellten“ Gruppen in seinen östlichen Nachbarländern die Rolle des Ost-West-Vermittlers zugeschrieben (Schwimmer 2008, 71), welche es in den 1990er-Jahren mit seinem Einsatz für eine Aufnahme der postsozialistischen Staaten in den Europarat (unter gewissen Konditionen bzgl. innerstaatlicher Reformen) auslebte.

Was Österreichs außenpolitische Strategie unmittelbar nach Ende des Kalten Krieges angeht, war der Europarat nicht nur als Schauplatz für Integrationsbemühungen, sondern auch als Instrument für die Einflussnahme auf Geschehnisse außerhalb der eigenen Staatsgrenzen von Bedeutung. Über das Forum des Europarates setzten sich österreichische Vertreter*innen dafür ein, dass „Respektierung und Umsetzung der Menschenrechts-Prinzipien und pluralistischer Demokratie“ (Hack 2008, 128) nach Fall des Eisernen Vorhangs in den neuen Europarats-Beitrittskandidaten gefördert werden sollten. Zudem wandte sich der damalige Außenminister Mock (ÖVP) im Mai 1991 unter anderem (er brachte das Anliegen auch vor der Europäischen Gemeinschaft (EG) vor) an den Europarat, um seine Ideen und Vorschläge für eine europäische „Lösung der Jugoslawien-Krise“ (Hack 2008, 124) umzusetzen.

3.5 Österreichs Europaratsmitgliedschaft seit Beitritt zur Europäischen Union

Nach Gründung der Europäischen Union geriet der Europarat nach Ansicht vieler zeitgenössischer Beobachter*innen ernsthaft in Gefahr, an Bedeutung einzubüßen, und dieser drohende Bedeutungsverlust wurde auch von rückblickenden Analysen wiederholt thematisiert. Autor*innen wie Stivachtis und Habegger (2011) sowie MacMullen (2004) beschreiben zwar, wie sich der Europarat im Bereich des Schutzes der Menschenrechte und rechtsstaatlicher Grundsätze eine Nische schafft und damit seine Existenzberechtigung neben der Europäischen Union erhält, sie bestreiten aber nicht, dass diese Existenzberechtigung angesichts der politisch viel weitergehenden Integration innerhalb der EU in einen Zustand ständiger Erklärungsnot geraten ist.

Einen Bedeutungsverlust des Europarats in der öffentlichen Wahrnehmung, wenn auch nicht in tatsächlichen politischen Prozessen, im Anschluss an den EU-Betritt konstatieren auch jene Autor*innen, die sich dazu speziell im Fall Österreich äußern:

Nicht dass der Europarat oder die Mitgliedschaft und die zwischenstaatliche Zusammenarbeit in dieser Organisation für Österreich weniger wichtig geworden wäre, aber durch den Beitritt zur EU, die sehr viele personelle und zeitliche Kapazitäten in Regierung und Ministerien bindet, verlor er wohl an Gewicht und sicher an Beachtung, mit der er schon vorher nicht verwöhnt worden war (Hack 2008, 133; für eine ähnliche Einschätzung, siehe auch Schwimmer 2008, 71–72).

Kommentare anderer Beobachter*innen (vgl. z. B. Dürr und Jandl 2021) heben dem gegenüber hervor, dass der Europarat hinsichtlich der Themen Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte bis heute eine wichtige Rolle beibehält. Besonders relevant für Österreich ist dies einerseits, weil es im Laufe seiner Mitgliedschaft etliche Europaratsabkommen ratifiziert hat und der Europarat daher regelmäßig Begutachtungen zur Lage von Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Menschenrechten und verwandten Themen auch innerhalb Österreichs durchführt, welche Einflüsse auf die inländische Politik nehmen können. Andererseits diente und dient der Europarat mit seiner normgebenden bzw. -wahrenden Funktion als Forum, in dem Ideen, Ideale und Werte von Österreich aus auf andere Länder eine Strahlwirkung ausüben können. Dürr und Jandl (2021, 200), beschreiben eine Normausbreitung dieser Art anhand des Beispiels des „‚österreichischen Modells‘ der Verfassungsgerichtsbarkeit“, das Eingang in die Venedig-Kommission des Europarats fand und dadurch die Ausgestaltung der neuen Verfassungsgerichte in post-diktatorischen Staaten Europas stark mitgestaltete.

3.6 Gegenwärtige Lage

Daten zu den formellen Berührungspunkten zwischen Österreich und dem Europarat sind offen zugänglich und übersichtlich auf den entsprechenden Webportalen des Europarats und seiner Gremien dargestellt (https://www.coe.int/de/web/portal/austria). Dort findet sich eine Auflistung jener Kommissionen und Unterorganisationen, welche periodisch Länderberichte zur Einhaltung verschiedener Europaratskonventionen und -verträge in Österreich durchführen (z. B.: Europäische Kommission gegen Rassismus und Intoleranz, Staatengruppe gegen Korruption), sowie eine Sammlung jener Europarats-Gremien, in denen österreichische Vertreter*innen mitwirken.

Sekundärliteratur zu Auswirkungen dieser Interaktionen auf die österreichische Politik und Rechtsprechung oder zu den Ursachen für Art und Ausmaß der österreichischen Beteiligung in verschiedenen Kommissionen und Gremien existiert allerdings (noch) keine. Weiter unten wird deshalb darauf eingegangen, wie die offensichtliche Lücke in der außenpolitikwissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Thema „Österreich im Europarat“ behoben werden kann.

4 Politikwissenschaftliche Analysen zur österreichischen Europaratsmitgliedschaft

Wie in diesem Kapitel bereits mehrfach vermerkt, ist die Forschungsliteratur über das österreichische Verhältnis zum Europarat stark unterentwickelt. Die angebotene Identifizierung von Schwerpunkten in der österreichischen Europaratspolitik seit 1945, inklusive der Nennung möglicher Ursachen für diese Schwerpunktsetzung, ist vorläufiger Natur und es soll nicht ausgeschlossen sein, dass sie in Zukunft aufgrund tiefergreifenderer Untersuchungen ergänzt, adaptiert, oder auch revidiert wird. Um solche Untersuchungen zu unterstützen, schließt dieser Beitrag mit einem Verweis auf Kausalfaktoren und Forschungsfragen, die in der politikwissenschaftlichen Literatur bisher kaum Beachtung finden, und mit einem Appell an interessierte Leser*innen, sich dieser Faktoren und Fragen in zukünftigen Arbeiten zuzuwenden.

4.1 Schwerpunktsetzung in der österreichischen Europaratspolitik

Österreichs Positionierung gegenüber dem Europarat in den unmittelbaren Nachkriegsjahren und wohl auch während des Kalten Krieges wurde durch das Ziel geprägt, einer Westzugehörigkeit Ausdruck zu verleihen, ohne dabei den Status der (militärischen) Neutralität ad absurdum zu führen. In den frühen 1990er-Jahren wandelte sich die Zielsetzung, die Österreich mit seiner Europaratsmitgliedschaft verfolgte. Während die symbolische Westanbindung mit Fall des Eisernen Vorhangs an Bedeutung verlor, rückte der Wunsch einer Annäherung an die Länder Osteuropas in den Vordergrund, und österreichische Politiker*innen schienen im Europarat eine Institution zu sehen, welche zur Erfüllung dieses Wunsches beitragen könne.

Österreichs Beitritt zur Europäischen Union und deren Erweiterungen nach 2003 führten abermals zu einer Verschiebung der Rolle des Europarats für Österreichs Außenpolitik, da Chancen zur Förderung stärkerer Beziehungen zu Osteuropa seit 2000 aufgrund dieser Entwicklungen eher in den Institutionen der EU als im Europarat gesehen wurden. Mangels politikwissenschaftlicher Analysen zu Österreichs Handeln im Europarat und mangels Untersuchungen zu Einstellungen verschiedener österreichischer Akteure gegenüber dem Europarat ist gegenwärtig unklar, ob und wo sich Schwerpunkte der österreichischen Europaratspolitik in der näheren Vergangenheit (seit etwa der Jahrtausendwende) verorten ließen.

Sieht man sich in der vorliegenden Literatur zu Österreichs Europaratsmitgliedschaft nach Ursachen für die Entscheidungen und Handlungen Österreichs um, so stößt man auf keine umfangreichen Analysen, findet jedoch zerstreute Verweise auf mögliche kausal relevante Faktoren. Darunter befinden sich einerseits die geografische Lage und daraus erwachsende wirtschaftliche Interessen, andererseits Österreichs Selbstverständnis als Teil der „entwickelten Staaten Westeuropas“ aber auch als „Brückenbauer im Herzen Europas“ (z. B. Schwimmer 2008; siehe auch den Beitrag von David Wineroither in diesem Handbuch).

Beide dieser eben genannten Ansätze können plausible Erklärungen für den Wunsch einer Westanbindung nach 1945 und für das Streben nach einer Öffnung gegenüber Osteuropa nach 1990 liefern. Inwieweit aber materielle und symbolische Faktoren, oder eine Mischung der beiden, tatsächlich ursächlich für die österreichische Außenpolitik gegenüber dem Europarat sind und waren, kann nur durch eingehende Kausalanalysen eruiert werden. Im folgenden Abschnitt werden die Voraussetzungen für solche Kausalanalysen dargelegt, sowie weitere Untersuchungsgegenstände rund um Österreichs Europaratsmitgliedschaft aufgezeigt.

4.2 Lücken in der bestehenden Literatur zu Österreichs Europaratspolitik

Will man die österreichische Außenpolitik als zu erklärendes Phänomen untersuchen, so scheint – basierend auf der für diesen Beitrag durchgeführten Literaturrecherche – eine deskriptive Darstellung der österreichischen Europaratspolitik eine noch ausstehende Voraussetzung zu sein. Eingebettet in den Kontext österreichischer und internationaler Politik und Gesellschaft zur jeweiligen Zeit sollten zuerst relevanteFootnote 4 Ereignisse und Entwicklungen im Interagieren Österreichs mit dem Europarat identifiziert werden, welche in weiterer Folge einer erklärenden Analyse unterzogen werden können. Das Skelett einer solchen deskriptiven Darstellung wurde im ersten Teil dieses Kapitels geliefert; umfassendere (primärdatenbasierte) Untersuchungen, eventuell gestützt auf methodische und inhaltliche Expertise in den Geschichts- und Rechtswissenschaften, versprechen jedoch zweifelsohne weiteren Mehrwert, vor allem wenn es darum geht, eine Grundlage für die erklärende Außenpolitikforschung in diesem Themengebiet zu schaffen.

Auf dieser Basis und orientiert an Abschn. 1 des vorliegenden Handbuchs, der für die Identifizierung potenziell relevanter Akteure und Strukturmerkmale herangezogen werden kann, sollte es dann möglich sein, Studien zu entwerfen, um Entscheidungen, Handlungen, und Entwicklungen in der österreichischen Außenpolitik dem Europarat gegenüber ursächlich zu erklären. Dafür dürften sowohl eine Auseinandersetzung mit jener Analyseebene, die in der bisherigen Forschung zu Österreichs Europaratspolitik noch kaum oder keinerlei Erwähnung fand – die innerstaatliche Ebene bürokratischer Gruppierungen –, wie auch ein näherer Blick auf oben bereits erwähnten Ebenen des internationalen Systems, des Staates (seiner geographischen Lage, seines Rollenbildes) und des Individuums neue Einblicke liefern.

Weitere politikwissenschaftlich gewinnbringende Untersuchungen könnten die österreichische Europaratspolitik als Fallstudie zur Überprüfungen von bestehenden Ansichten und Narrativen heranziehenFootnote 5, oder die Folgen der österreichischen Europaratsmitgliedschaft auf verschiedene Akteure und Strukturen nachzeichnen. Studien, die zu letzterem Projekt beitragen wollen, können entweder den Versuch unternehmen, einen Überblick über die Gesamtheit der intendierten wie auch ungewollten Effekte der österreichischen Europaratspolitik zu geben, oder sie können untersuchen, inwieweit Österreich die eigenen – explizit deklarierten oder implizit erkennbaren – Ziele seines außenpolitischen Engagements gegenüber dem Europarat erreichte bzw. erreicht.

5 Resümee

Dieses Kapitel schließt mit einem Appell an all jene Leser*innen, die ein Interesse an der aktiven Auseinandersetzung mit akademischer Außenpolitikanalyse und/oder Organisationslehre haben. Wie bereits mehrfach ausgeführt, befindet sich der Forschungsstand zum Europarat und Österreichs Rolle darin in seinen Anfangsstadien und es gibt eine Fülle an Frage- und Problemstellungen, die noch auf ausgiebige Bearbeitung und Diskussion warten. Daraus lässt sich schließen, dass es sich hierbei um ein vielversprechendes Forschungsfeld handelt, in dem zukünftige Studien einen erheblichen Beitrag zu Erkenntnisfortschritten leisten können.

Solche Studien können am Fundament ansetzen und sich mit der historiografischen Darstellung der Beziehungen Österreichs zum Europarat seit 1945 auseinandersetzen. Im vorliegenden Kapitel wurden einige bedeutsam scheinende Entwicklungen in diesen Beziehungen angeführt, wie etwa die Ereignisse, die dem Beitritt Österreichs vorangingen, oder das Vorgehen Österreichs gegenüber der Osterweiterung des Europarates. Dies stellt allerdings nur einen – auf existierender Sekundärliteratur beruhenden – Abriss der Geschichte Österreichs im Europarat dar und es scheint sehr wahrscheinlich, dass ein tiefergehendes Studium derselben weiteren Mehrwert bringen würde.

Neben derartigen historisch angelegten Untersuchungen wurden in Unterpunkt Abschn. 4.2 dieses Kapitels einige Ideen zur außenpolitikwissenschaftlichen Analyse der österreichischen Europaratsmitgliedschaft präsentiert. Die Ursachen und Folgen der österreichischen Außenpolitik wurden als mögliche Untersuchungsobjekte vorgestellt, wobei absichtlich keine klare Ausrichtung hinsichtlich Analyseebenen oder zu überprüfender Hypothesen vorgeschlagen wurde; das endgültige Design zukünftiger Studien kann – je nach Wahl der untersuchten Akteure/Strukturen, der theoretischen Grundannahmen und der methodischen Vorgehensweise – eine Vielzahl an Formen annehmen. Die konkrete Ausgestaltung von Forschungsarbeiten zum Thema Österreich im Europarat hängt vom Erkenntnisinteresse, den Zielen und Überzeugungen der jeweiligen Studienautor*innen ab und soll hier nicht vorweggenommen werden. Der Aufruf zu weiterführender Forschung in diesem Kapitel bleibt daher eher abstrakter Natur und beruht auf der Überzeugung, dass zur Erkundung und Entwicklung eines bisher stark vernachlässigten Forschungsfeldes das Zusammenspiel verschiedener Herangehensweisen und Perspektiven hilfreich – wenn nicht sogar notwendig – ist.

Weiterführende Quellen

https://www.coe.int/de/web/portal/austria: Auf der offiziellen Website des Europarates finden sich Länderprofile für alle Mitgliedsstaaten, in denen ihre Aktivitäten im Europarat sowie Projekte des Europarates in den Mitgliedsstaaten gelistet, beschrieben und verlinkt werden. Dies kann sowohl für einen schnellen Überblick wie auch für eine tiefergehende Analyse des Verhältnisses Österreichs zum Europarat hilfreich sein.

Hummer, Waldemar. 2008a. Österreich Im Europarat 1956–2006: Bilanz Einer 50-jährigen Mitgliedschaft, Bd. 1. Wien: Böhlau: Im ersten Teil des von Hummer 2006 herausgegebenen Band zur österreichischen Europaratsmitgliedschaft finden sich eine Vielzahl an – oftmals rechtswissenschaftlich fundierten – Beiträgen zu den Entwicklungen, die Österreichs Mitgliedschaft im Europarat über die Zeit hinweg auszeichnen. Die Zugänglichkeit der Beiträge wird vor allem dadurch gestärkt, dass sie kaum juristisches Fachwissen voraussetzen und in sich geschlossen sind (d. h. nicht auf der Lektüre des restlichen Bandes aufbauen).

MacMullen, Andrew. 2004. „Intergovernmental Functionalism? The Council of Europe in European integration“. Journal of European Integration 26(4): 405–429. https://doi.org/10.1080/0703633042000306544: In diesem Artikel wird der Europarat von einer politiktheoretischen Perspektive betrachtet. Es werden einige grundlegende Fragen zum Verhältnis des Europarates zu seinen Mitgliedsstaaten aufgeworfen und mithilfe der Theorien des Funktionalismus sowie des Liberalen Intergouvernementalismus diskutiert. Der Artikel zeigt vielversprechende Richtungen für zukünftige Fallstudien zum Thema auf und liefert hilfreich scheinende Empfehlungen zum Design solcher Forschungsarbeiten.