Zusammenfassung
Dieser Beitrag widmet sich der Frage nach dem Zustand und der Rolle des Außenpolitikjournalismus in Österreich. Dazu werden eingangs Thesen aufgestellt und in weiterer Folge überprüft, indem zunächst auf ökonomische und professionelle Voraussetzungen und Entwicklungen im österreichischen Journalismus und deren Einfluss auf die Außenpolitikressorts eingegangen wird. In weiterer Folge wird der Fokus der Auslandsberichterstattung durch die quantitative Auswertung von Medienbeiträgen untersucht, um weitere Rückschlüsse auf den Stellenwert des Auslandsjournalismus als eigenständigem Fachbereich in der österreichischen Medienlandschaft ziehen zu können.
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Schlüsselwörter
1 Einleitung
Auslandsjournalismus versteht sich im Zusammenhang mit diesem Beitrag „als Nachrichtenproduktion über Ereignisse, die außerhalb der nationalstaatlichen Grenzen des Territoriums stattfinden, in dem die jeweilige Redaktion hauptsächlich operiert“ (Junghans und Hanitzsch 2006, 418), während sich Außenpolitikjournalismus (APO) als dessen größtes Teilgebiet mit der Berichterstattung über politisch gestaltete oder Politik gestaltende Ereignisse und Entscheidungsprozesse, die ausschließlich das Ausland betreffen oder einen überwiegenden Bezug dazu aufweisen, befasst. Auf Abgrenzungsprobleme wird in weiterer Folge noch einzugehen sein (siehe Abschn. 2.2).
Forschungen zum österreichischen Auslandsjournalismus und insbesondere zum Zugang der österreichischen Medien zu außenpolitischen Berichterstattungsthemen haben bisher nur geringen Niederschlag in der Politikwissenschaft und der Publizistik gefunden. Das Forschungsfeld leidet unter einem Mangel sowohl an Primär-, als auch an Sekundärliteratur. Die Ursachen sind in der verhältnismäßig geringen Bedeutung des Qualitätsjournalismus in Österreich im Allgemeinen (Plasser und Pallaver 2017, 325; Kaltenbrunner et al. 2018, 77; Karmasin et al. 2018, 13) und im niedrigen Stellenwert des Außenpolitikjournalismus im Speziellen (siehe Kap. 1 und 2) zu suchen.
Der gegenständliche Beitrag soll den Stellenwert des Außenpolitikjournalismus in Österreich systematisch untersuchen. Für diesen Stellenwert der außenpolitischen Berichterstattung können zwei Hauptthesen aufgestellt werden, deren Untersuchung sich der Hauptteil (siehe Kap. 2 und 3) widmen wird:
-
1.
Die Größe und der ökonomische Zustand des österreichischen Medienmarktes verursachen eine Ressourcenknappheit in den Auslandsredaktionen, die sich qualitativ und quantitativ auf die Außenpolitikberichterstattung auswirkt.
-
2.
Außenpolitikberichterstattung findet überwiegend unter Bedachtnahme auf Inlandsbezüge statt oder beschäftigt sich unverhältnismäßig häufig mit den mehrheitlich deutschsprachigen Nachbarstaaten, insbesondere mit Deutschland, was deren Radius und eigenständige Bedeutung zusätzlich einschränkt.
Um den Mangel an wissenschaftlichen Bezugsquellen zu kompensieren, wurden für diesen Beitrag eine BefragungFootnote 1 und ein InterviewFootnote 2 durchgeführt sowie MedienmeldungenFootnote 3 verschiedener Quellen ausgewertet.
2 Auslandsjournalistische Ressourcenprobleme
Durch die Entwicklung hin zur digitalisierten Wissensgesellschaft geriet der Journalismus ab der Jahrtausendwende international zunehmend unter ökonomischen Druck, wobei sich, neben der Etablierung einer Gratiskultur im Hinblick auf die Zunahme der Onlineberichterstattung (Plasser und Pallaver 2017, 317), besonders der Verlust an Werbeeinnahmen im Printbereich negativ auswirkte (Kaltenbrunner et al. 2018, 71), aber auch ein „Rückgang bei den Auflagen und der Reichweite der Zeitungen bedingt unter anderem durch veränderte Rezeptionsgewohnheiten“ (Schulten-Jaspers 2013, 104) ausgemacht werden konnte. Im österreichischen Medienmarkt trat zu diesen global auftretenden wirtschaftlichen Herausforderungen ein Digitalisierungsrückstand als nationales Spezifikum hinzu (Kaltenbrunner et al. 2018, 75).
Insbesondere den österreichischen Printmedien gelang es bisher nicht oder nur schleppend, die durch den beschriebenen Transformationsprozess bedingten Einnahmeverluste zu kompensieren. Unter anderem setzten sie vergleichsweise spät auf digitale Bezahlprodukte. So wurde mit NZZ.at erst 2015 das erste bundesweite Online-Medium mit Bezahlschranke gegründet, andere Medien, wie Die Presse in den Jahren 2016 und 2017, entwickelten erst nach und nach ähnliche Abonnementssysteme für den Onlinebereich, wobei reichweitenstarke Plattformen, wie derstandard.at oder krone.at, nach wie vor werbegetrieben agieren oder, wie im Fall von derstandard.at, zusätzlich auf freiwillige Bezahlmodelle setzen. Die österreichweit meistgelesene Nachrichtenplattform orf.atFootnote 4 hat aufgrund rechtlicher Vorgaben und der Finanzierungsstruktur des Österreichischen Rundfunks (ORF) keine Bezahlschranke errichtet (§§ 4a Abs 2 und 31 ORF-G).Footnote 5 Gleichzeitig ist der ORF mit seinem 16 Büros und 24 Mitarbeiter*innen umfassenden Korrespondentennetzwerk (ORF 2021b) der größte Anbieter von Außenpolitikberichterstattung in Österreich (ORF 2018). Der Umstand, dass das Online-Angebot des ORF auch Nicht-Gebührenzahler*innen kostenlos zur Verfügung steht, erzeugt eine gewisse Wettbewerbsverzerrung zu Ungunsten kommerzieller Anbieter wie Privatfernsehsendern, Tageszeitungen oder Zeitschriften. Dem wirkt das ORF-Gesetz nur bedingt entgegen, indem es unter anderem das Anbieten eines Nachrichtenarchivs im Internet verbietet (ORF-Gesetz, ORF-G). Die gesetzliche Vorgabe, nach der die Online-Angebote des ORF „in ihrer Gesamtaufmachung und -gestaltung nicht mit dem Online-Angebot von Tages- oder Wochenzeitungen oder Monatszeitschriften vergleichbar sein“ (§ 4e Abs 2 ORF-G) dürfen, wirkt sich nicht wahrnehmbar auf den Informationsgehalt von orf.at aus.
Die Tatsache, dass deutsche Medienkonzerne wie die WAZ-Gruppe und Gruner & Jahr Beteiligungen an österreichischen Medien halten, wird als Spezifikum des österreichischen Medienmarktes betrachtet (Plasser und Pallaver 2017, 318), hat aber darüber hinaus, abgesehen von regelmäßigen Streitigkeiten der WAZ-Gruppe mit den Miteigentümer*innen der Neuen Kronen Zeitung zu keinem nennenswerten zusätzlichen Auslandsbezug in der Berichterstattung beigetragen. Ebenso sind Beteiligungen österreichischer Medienunternehmen wie die Styria, APA oder Russmedia im Ausland zu sehen. Sie dienen ökonomischen Interessen und nicht der Intensivierung außenpolitischer Berichterstattung. Auch gehen diese Investments nicht mit redaktionellen, sondern mit infrastrukturellen Verschränkungen einher, sodass die österreichischen Medienprodukte in ihrer journalistischen Arbeit bisher nicht von Auslandsbeteiligungen ihrer Eigentümer*innen beeinflusst wurden.
Laut Plasser bestehe „am österreichischen Tageszeitungsmarkt eine duopolitische Marktdominanz der Medienkonzerne Mediaprint (Kronen Zeitung und Kurier) und der Styria Medien Gruppe (Kleine Zeitung, Die Presse, Wirtschaftsblatt)“ und kontrolliere „unter ökonomischen Vorzeichen die News-Gruppe (News, Profil, Format, Trend), durch das Magazin Profil ökonomisch mit dem Medienkonzern Mediaprint verbunden, über 90 % der Auflagen politischer Nachrichtenmagazine“ (Plasser und Pallaver 2017, 318). In dieser konzentrierten Auflistung fehlen neben dem ORF, auch jene starken regionalen Medienunternehmen, wie es sie insbesondere in Oberösterreich, Tirol und Vorarlberg gibt.
Letztlich darf aber nicht vergessen werden, dass die genannten Unternehmen und Produkte zwar den klassischen Medienmarkt dominieren, dessen Bedeutung aber insgesamt stark abgenommen hat und weiter abnimmt. Nachdem Werbeeinnahmen aus dem Print- zunehmend in den Online-Bereich und dort vor allem an Suchmaschinenanbieter und Betreiber von sogenannten Sozialen Medien fließen, sahen sich klassische Medien in den vergangenen Jahren immer wieder zu Einsparungsmaßnahmen veranlasst (Wurnitsch 2019, 34; Kager 2001, 9).
Die österreichische Medienlandschaft weist nach mehrheitlicher Ansicht der für diesen Beitrag befragten Journalist*innen und Korrespondent*innen (n = 18) ein, im Verhältnis zu ähnlich großen Staaten kleineres (8) oder gleich großes (6) Korrespondent*innennetzwerk auf. Der langjährige Auslandsjournalist Martin Staudinger (nunmehr Falter, damals Profil) kritisierte bei den ersten Österreichischen Journalismustagen 2014: „In Österreich betreiben wir eine besondere Form des Auslandsjournalismus – vom Schreibtisch aus nämlich“ (Widler 2014, 16). Für Ivo Mijnssen, den Korrespondenten der Neuen Zürcher Zeitung und stellvertretenden Vorsitzenden der Auslandskorrespondenten in Österreich steht „[i]n Zeiten einbrechender Erträge der Medien […] die Aussenpolitik-Berichterstattung besonders unter Druck.“ Dies zeige sich unter anderem darin, „dass Korrespondentennetze seit Jahren verkleinert oder zusammengestrichen werden.“
Einer der befragten österreichischen Journalisten beklagte, dass budgetäre Kürzungen Auslandsaufenthalte immer seltener möglich machten: „Übrig bleibt der ORF als Instanz mit seinen Korrespondenten und meist eine Schar freier Journalisten für Qualitätszeitungen“. Der Rückgriff auf freie Journalist*innen wirft in weiterer Folge Prekarisierungsprobleme auf, zumal „Zeilen- und Seitenhonorare für Beiträge, etwa auch in den führenden österreichischen Nachrichtenmagazinen, seit 30 Jahren nicht erhöht oder sogar gesenkt worden sind“ (Kaltenbrunner et al. 2018, 23).
Die angespannte ökonomische Situation und die damit einhergehenden Finanzierungsprobleme beim Qualitätsjournalismus (Kaltenbrunner et al. 2018, 76) treffen den österreichischen Außenpolitikjournalismus vergleichsweise härter als andere Ressortbereiche. Die Befragung der Auslandsjournalist*innen ergab zunächst nur eine Tendenz für diese Annahme, die aber aufgrund der Sample-Größe nicht als stichhaltig angesehen werden konnte.Footnote 6 Die budgetäre Randlage ergibt sich jedoch aus der redaktionellen. Zwei Journalisten beklagten auf eine offene Frage nach Mängeln im Außenpolitikjournalismus den fehlenden Rückhalt in den Chefredaktionen. Generell wurde die Bedeutung des Feldes als niedrig eingestuft.Footnote 7 Auch Mijnssen spricht der Auslandsberichterstattung in Österreich „einen eher kleinen Stellenwert“ zu. Einer der befragten ausländischen KorrespondentenFootnote 8 in Österreich kritisierte, dass selbst wichtige Medien „außenpolitisch schlecht ausgestattet“ seien. Reportagen vor Ort erzeugen einen höheren Kosten- und Zeitaufwand als im Inland. Im Fall der Krisen- und Kriegsberichterstattung treten teilweise hohe finanzielle Aufwände für Sicherheitsmaßnahmen hinzu, die die budgetären Kapazitäten insbesondere kleinerer Medienunternehmen übersteigen können (Kahlweit 2020).
Gleichzeitig muss bedacht werden, dass die außenpolitische Ressourcenausstattung der einzelnen Medien nach Ansicht aller befragten österreichischen Auslandsjournalisten unterschiedlich bis sehr unterschiedlich ausfällt. Mijnssen nennt als Positivbeispiele den ORF und die „Presse, die in der Lage ist, auslandspolitische Schwerpunkte zu setzen […] weniger Der Standard“. Koltermann (2018, 162) sieht die Bedeutung von fest stationierten Korrespondenten generell im Abnehmen begriffen und führt dies auf „Veränderungen in der Medienlandschaft“ seit der Jahrtausendwende zurück. International hat der Auslandsjournalismus unter anderem deshalb mit erhöhtem ökonomischem Druck zu kämpfen, weil Werbekunden zumindest im Bereich der TV-Berichterstattung durch die Nähe zu oft krisenhaften außenpolitischen Themen abgeschreckt werden (Heywood 2017, 26).
3 Außenpolitische Schrebergartenperspektive?
3.1 Eine quantitative Perspektive
Auch wenn Status und Entwicklung des österreichischen Auslandsjournalismus im Allgemeinen und des Außenpolitikjournalismus im Besonderen nicht unabhängig von den angeführten ökonomischen Veränderungen betrachtet werden können, spricht bei intensiverer Betrachtung doch vieles für multifaktorielle Ursachen für ihren verhältnismäßig geringen Stellenwert in der Medienlandschaft.
Staudinger wandte sich 2014 gegen eine Einengung der Stellenwertproblematik auf rein ökonomische Ursachen. Im österreichischen Auslandsjournalismus gebe es vielmehr „zu wenig Fachkenntnis und zu viel Pauschalreisementalität, zu wenig Recherche und zu viel Meinung“ (Widler 2014, 16). Einer der befragten Korrespondent*innen vertrat eine ähnliche Auffassung, indem er angab, dem österreichischen Außenpolitikjournalismus mangle es „an Geld, mehr aber noch am Interesse. Experten sind kaum gefragt, das Know-how ist zu gering.“ Mangelnde Professionalisierung, wenn auch nicht spezifisch auf die Auslandsberichterstattung bezogen, wird auch in der Forschung als Kritik an der österreichischen Medienlandschaft vorgebracht, weswegen sie zum Teil in das mediterrane oder „Polarized Pluralist Model“ der Mediensysteme eingeordnet bzw. als Übergangsbeispiel zum qualitativ differenzierteren „Democratic Corporatist Modell“ angesehen wird (Karmasin et al. 2018, 7, 9, 13). Letztlich verfügen nur 33 % der österreichischen Journalist*innen über einen akademischen Abschluss. (Karmasin et al. 2018, 9). Dieses verhältnismäßig niedrige Qualifikationsprofil des österreichischen Journalismus steht in einem deutlichen Spannungsverhältnis zum Anforderungsprofil an Auslandsjournalist*innen und insbesondere Auslandskorrespondent*innen, die international im Durchschnitt erfahrener und besser gebildet sind als ihre Kollegen im Inland (Junghans und Hanitzsch 2006, 415).
Darüber hinaus korrespondiert die Bedeutung der Außenpolitikjournalismus in den Redaktionen mit der Aufmerksamkeit, die der Außenpolitik durch die österreichischen Bundesregierungen der letzten Jahrzehnte beigemessen wird. Vier der sechs seit der Jahrtausendwende ernannten Ressortverantwortlichen stammten aus dem diplomatischen Dienst und wurden, wenn auch parteipolitisch punziert, als Expert*innen präsentiert ( Salzburger Nachrichten 2017; BMEIA 2019). Zudem war seit dem Jahr 2000 kein Außenminister oder Außenministerin länger als fünf Jahre im Amt. Zwei Außenminister, Michael Spindelegger (ÖVP) und Sebastian Kurz (ÖVP) wurden während ihrer Amtszeit Parteichefs und strebten daher andere Ämter an. Spindelegger wechselte ins Finanzministerium, während Kurz nach einer Neuwahl zum Bundeskanzler ernannt wurde. Besonders Kurz vermochte das Amt und die damit verbundene Kommunikation zur innenpolitischen Profilierung, insbesondere im Hinblick auf seine Migrationspolitik, zu nutzen. Die Ressourcenschwäche des Außenpolitikjournalismus stellte sich dabei aus politischer Perspektive als Vorteil heraus. So nutzte Kurz einen Besuch in Malta 2017 zur Inszenierung seiner Flüchtlingspolitik und besuchte ein Boot der maltesischen Küstenwache, das vorab als Frontex-Schiff avisiert worden war, das das Außenministerium vergeblich für einen Fototermin zu organisieren versucht hatte (Moser 2017). Der Außenminister erhielt dennoch eine breite Vorab- und Nachberichterstattung über den geplanten Besuch auf dem Frontex-Schiff. So berichtete etwa die Presse am 24. März unter der Überschrift „Kurz:,Der NGO-Wahnsinn muss beendet werden‘“ (Presse 2017) fälschlich, Kurz habe „ein für die EU-Grenzschutzagentur Frontex eingesetztes Schiff der maltesischen Küstenwache“ bestiegen. Zu diesem Zeitpunkt waren alle Frontex-Schiffe auf See (Moser 2017).
3.2 Methodik und Erwägungen
Neben wirtschaftlichen Aspekten könnte auch die, in der eingangs aufgestellten zweiten These vermutete, Einengung der Außenpolitikberichterstattung auf Themen mit Bezug zu Österreich oder zur deutschen Innenpolitik zu einer verminderten Wahrnehmung als selbständiger Fachbereich im Journalismus und somit zu einem niedrigen Stellenwert beitragen. Gleichzeitig würde durch ein mediales Verweilen im politischen Schrebergarten der österreichischen Innenpolitik und ihres nachbarschaftlichen Umfeldes die Berichterstattung zu globalen Themen hintangestellt oder verdrängt.
Um im Zuge der Überprüfung dieser These die Schwerpunkte der österreichischen Außenpolitikberichterstattung zu bewerten, wurde eine Referenzgruppe aus auflagestarken Qualitäts- und Boulevardzeitungen sowie -zeitschriften gebildet und über den APA Onlinemanager (AOM)Footnote 9 der Austria Presse Agentur (APA) ausgewertet.Footnote 10 In diesem sind österreichische und internationale Medienmeldungen der vergangenen Jahre gesammelt oder einzeln abrufbar. Zunächst wurden die Häufigkeit der Erwähnung der einzelnen österreichischen Nachbarstaaten für einen zehnjährigen ZeitraumFootnote 11 untersucht. Zum Vergleich wurden die Meldungen des APA-Basisdienstes, die das tägliche Nachrichtengeschehen für die APA-Gesellschafter abdecken, für denselben Zeitraum ausgewertet.Footnote 12
Da es bei den vorgenannten quantitativen Auswertungen zwangsläufig zu Überschneidungen zwischen der außenpolitischen Berichterstattung und den Meldungen anderer Ressorts kommt, wurden als Kontrollgruppe die Meldungen des APA-AuslandsressortsFootnote 13 im Rahmen des APA-Basisdienstes separat ausgewiesen (siehe Abb. 2). Dadurch war es möglich, einen Vergleich zwischen allgemeiner und außenpolitischer Berichterstattung anzustellen.
Um zusätzlich die politische Berichterstattungsdichte für bestimmte Staaten messen zu können, wurden all jene Meldungen für das Jahr 2020Footnote 14 untersucht, die die Namen der jeweiligen Staats- und Regierungsspitzen enthielten. Um ein globales Bezugssystem zu schaffen, wurde zudem die Erwähnungsdichte bei ausgewählten Staaten außerhalb Europas untersucht. Im Fall Deutschlands kamen zur Thesenüberprüfung weitere Spitzenpolitiker hinzu. Für diese Vorgehensweise spricht die herausragende Stellung, die politische Führungspersönlichkeiten in der Auslandsberichterstattung einnehmen. Bei der Auswahl wurde auf das verfassungsrechtliche Machtgefüge von parlamentarischen, präsidentiellen und semipräsidentiellen Systemen Rücksicht genommen.
Die Ergebnisse legen den wenig überraschenden Schluss nahe, dass populistische oder durch ihre Aussagen polarisierende Politiker häufiger zum Gegenstand internationaler, im Untersuchungsfall österreichischer Berichterstattung werden. So wies die Suche nach dem ehemaligen US-Präsidenten Donald TrumpFootnote 15 im Vergleichszeitraum 5723 Meldungen aus, fast dreimal so viele wie für die damalige deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), (1995). Auch der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán (713) wurde im beispielhaften Vergleich mit seinem damaligen italienischen Amtskollegen Giuseppe Conte (455) deutlich häufiger in Meldungen der Referenzgruppe erwähnt.
Bei der Bewertung der Ergebnisse ist außerdem zu berücksichtigen, dass die Berichterstattung zu außenpolitischen Großereignissen, wie der US-amerikanischen Präsidentschaftswahl oder prozessualen Dauerthemen, wie dem Austritt des Vereinigten Königreiches aus der Europäischen Union, zu einer gehäuften Nennung der involvierten Spitzenpolitiker*innen führte. So wies auch der britische Premierminister Borris Johnson (1455) einen verhältnismäßig hohen Wert an Nennungen aus, der sich ohne qualitative Auswertung aber nicht seinem kontroversen Auftreten und/oder dem Thema Brexit zuordnen lässt.
3.3 Ergebnisse
Die Untersuchung der Erwähnungen der österreichischen Nachbarstaaten in der Referenzgruppe zeigte über einen zehnjährigen ZeitraumFootnote 16 hinweg einen deutlichen Überhang zugunsten der mehrheitlich deutschsprachigen Nachbarn. So wurde beispielsweise die Schweiz in 138.081 Meldungen und damit häufiger erwähnt als Tschechien (40.801)Footnote 17, die Slowakei (29.552) und Ungarn (67.095) zusammengenommen. Italien, als zweitbevölkerungsreichstes Nachbarland und wichtiger Handelspartner bildet hier die einzige substanzielle Ausnahme. Auf Deutschland (279.669), die Schweiz und Liechtenstein (15.155) entfielen insgesamt 56,3 % aller Suchergebnisse, die die Namen von österreichischen Nachbarstaaten enthielten. Der Suchbegriff „Österreich“ schien im Vergleichszeitraum etwa 6,6 Mio. Mal auf und belegt den zu erwartenden Überhang an Inlandsberichterstattung bzw. Auslandsmeldungen mit Inlandsbezug (Abb. 1).
Eine im Vergleich zu den Nachbarstaaten leicht gehäufte Erwähnung Sloweniens und Ungarns ließ sich durch die gesonderte Auswertung des Jahres 2015, in dem diese Staaten im Fokus der Migrations- und Fluchtbewegung standen, nicht vollständig erklären.Footnote 18 Die Häufung trat aber bei der zusätzlichen Auswertung der Meldungen des APA-Basisdienstes nicht auf.
In den Meldungen des APA-Basisdienstes, die als Nachrichtenmeldungen in viele österreichische Medien Eingang finden und sich daher zumindest teilweise mit den Meldungen der Referenzgruppe decken, spielte die Deutschlandberichterstattung eine noch größere Rolle. Während 36,4 % der Meldungen der Referenzgruppenmedien, in denen österreichische Nachbarstaaten erwähnt wurden, Deutschland betrafen, waren es beim APA-Basisdienst 52,3 %. Damit war dieses Nachbarland im Verhältnis zu seiner wirtschaftlichen Bedeutung – 30,5 % der österreichischen Exporte gingen 2020 nach Deutschland, 35 % der Importe stammten von dort (WKO 2021, 1–2) – bei beiden Untersuchungen überrepräsentiert. Bei den Meldungen des APA-Basisdienstes bestand der Überhang auch im Vergleich zur Bevölkerungszahl. In Deutschland leben etwa 46,3 % der Einwohner aller österreichischen Nachbarstaaten. Bemerkenswert erscheint auch, dass sich die Reihenfolge der meisterwähnten Nachbarstaaten in beiden Untersuchungen nahezu deckt. Nur Tschechien kam in den Meldungen des APA-Basisdienstes im Verhältnis zu Slowenien häufiger vor als in Meldungen der Referenzgruppe.
Die Kontrollgruppe mit Meldungen, die ausschließlich aus dem Außenpolitikressort der APA stammten, brachte, bei einer naturgemäß niedrigeren Fallzahl, ähnliche Ergebnisse. Auch hier wurde Deutschland (133,046) deutlich häufiger als das zweitgereihte Italien (45.303) und insgesamt öfter genannt als alle anderen Nachbarstaaten zusammen (siehe Abb. 2). Dies lässt den Schluss zu, dass der festgestellte Berichterstattungs-Bias trotz der, insbesondere bei der Referenzgruppe gegebenen Abgrenzungsprobleme zu anderen Ressorts, auch für den Bereich der Außenpolitikberichterstattung als gegeben angesehen werden kann.
Von den österreichischen Parteien kam die ÖVP (3633) 2020 als Koalitionspartner, dem das Außenministerium zuzurechnen war, gehäuft in außenpolitischen Meldungen des APA-Basisdienstes vor, während die SPÖ (1003) ein, für eine Oppositionspartei hohes Niveau halten konnte, und bei der FPÖ (565) und NEOS (439) eine verhältnismäßig geringe Relevanz in der außenpolitischen Berichterstattung festgestellt werden konnte. Die Nennung der Grünen war aufgrund der vielfältigen grammatikalischen Varianten ihres Parteinamens, international gleichlautender Parteibezeichnungen und der mangelnden Abgrenzbarkeit zu bloßen Farbbezeichnungen nicht gesichert zu erheben.
Weitere Auswertungen belegten einen ausgeprägten Bias in der Berichterstattung der ausgewählten Printmedien im Hinblick auf den globalen Norden und die westliche Hemisphäre, insbesondere die Europäische Union und Nordamerika. Während die Vereinigten StaatenFootnote 19 (257.348) in der Referenzgruppe zwischen 2011 und 2020 vergleichsweise sehr und Russland (99.956) relativ häufig erwähnt wurden, wurden andere Staaten wie China (83.787) oder Indien (32.799) im Vergleich zu ihrer Wirtschaftskraft und Bevölkerung seltener genannt. Andere bevölkerungsreiche Staaten des globalen Südens wie Nigeria (9546), Bangladesch (3359) oder Indonesien (6198) erhielten im Untersuchungszeitraum nur wenig mediale Aufmerksamkeit.
Dieses Bild wiederholte sich bei der Auswertung der Erwähnungen von Spitzenpolitikern in den Medien der Referenzgruppe für das Jahr 2020. So wurden der chinesische Staatspräsident Xi Jinping (390) und der indische Ministerpräsident Narendra Modi (54) im Verhältnis zur Größe und internationalen Bedeutung ihrer beiden Staaten nur selten erwähnt. Auch der international immer wieder für Kontroversen sorgende brasilianische Staatspräsident Jair Bolsonaro (253) kam seltener vor als beispielsweise der deutsche Innenminister Horst Seehofer (294).
Im Rahmen der Auswertung war insgesamt ein erhebliches Ungleichgewicht in der österreichischen Auslandsberichterstattung zugunsten politischer Proponenten aus Deutschland festzustellen, den man mit dem Schlagwort Schrebergartenperspektive beschreiben könnte. So wurde unter anderem auch der deutsche Außenminister Heiko Maas (944) 2020 in Meldungen des APA-Basisdienstes im Vergleich zu seinem österreichischen Amtskollegen Alexander Schallenberg (1309) häufig erwähnt. Der Korrespondent eines ausländischen Mediums in Österreich konstatierte im Rahmen der Befragung, die Welt werde hierzulande „stark durch die österreichische Brille gesehen. Deutschland wird zu wichtig genommen.“ Ivo Mijnssen fällt „der starke Fokus auf EU-Themen und die unmittelbaren Nachbarländer auf“ (Abb. 3).
Für die Annahme einer vorwiegend nach Deutschland orientierten Auslandsberichterstattung des österreichischen Journalismus spricht auch, dass der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU), (512) im Vergleichszeitraum häufiger in Meldungen der ausgewählten Medien vorkam, als die Regierungschefs Tschechiens, der Slowakei, Sloweniens und Liechtensteins sowie die Schweizer Bundespräsidentin zusammengerechnet. Darüber hinaus wiesen die Meldungen mit Nennung Söders einen besonders hohen Grad an inhaltlicher Tiefe auf, da sein Name in mehr als der Hälfte der Fälle (226) auch als Schlagwortfolge gesetzt wurde. Solche Beschlagwortungen verweisen im AOM auf Meldungen mit inhaltlichem Schwerpunkt zum Suchbegriff.
Gleichzeitig dürften sich die ausgewählten Medien bei Erwähnungen des bayerischen Ministerpräsidenten, im Gegensatz zu anderen Nachbarstaaten, öfter über innenpolitische Vorgänge ohne Österreichbezug berichtet haben. Darauf deutet zumindest das gehäufte Vorkommen der Schlagwortfolge „Angela Merkel“ (142) in Artikeln, in denen auch Markus Söder genannt wird, hin. Der Name des österreichischen Bundeskanzlers Sebastian Kurz (96) folgt als Schlagwortreihe bei Meldungen mit der Nennung Söders damit erst nach jenem Merkels. Das ist insofern bemerkenswert, als dass Kurz Name ansonsten mit nur einer weiteren AusnahmeFootnote 20 direkt nach jenem des jeweiligen Regierungschefs jedes Nachbarstaates bzw. der Schweizer Bundespräsidentin als Schlagwortfolge zu Meldungen aufgeführt wird, in denen die betreffenden Personen vorkommen. In Meldungen, in denen der bayerische Ministerpräsident 2020 genannt wurde, ging es also verhältnismäßig seltener auch um den österreichischen Kanzler, als in Meldungen in denen Staats- und Regierungsspitzen anderer Nachbarstaaten vorkamen. Zwar dürften die Pandemie und deren Folgen einen Einfluss auf die häufige Nennung Söders gehabt haben, so stieg die Zahl seiner Nennungen in der Referenzgruppe von 217 im Jahr 2019 auf die genannten 512 Fälle im Folgejahr, allerdings war Söder 2018 immerhin 498-mal genannt worden und die Debatte um den CDU-Vorsitz wurde 2020 deutlich häufiger mit Söder beschlagwortet als COVID-19-relevante Themen.
Dennoch ließ sich eine Häufung von Österreichperspektiven, wenn auch nicht prävalent, so doch deutlich in Meldungen mit Deutschlandbezug belegen. Von insgesamt 1955 Meldungen, die den Namen der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel enthielten, wurden 833 Beiträge aufgrund des näheren Zusammenhanges mit ihrer Person auch mit „Angela Merkel“ beschlagwortet. Bei immerhin mehr als der Hälfte dieser Meldungen (444) verwies der Schlagwortfilter auch auf den österreichischen Bundeskanzler Sebastian Kurz, gefolgt vom französischen Staatspräsidenten Emmanuel Macron (146) und Donald Trump (92). Meldungen, die sich Angela Merkel eingehend widmeten, betrafen 2020 damit fast fünfmal häufiger den österreichischen Bundeskanzler als den US-amerikanischen Präsidenten.
Selbst bei Beschlagwortungen mit Donald Trump (3716) – also solchen Meldungen, die nicht nur seinen vollen Namen enthielten, sondern sich eingehender mit dem ehemaligen US-Präsidenten befassten – lag Sebastian Kurz (224) im Vergleichszeitraum an dritter Stelle der gleichzeitig markierten Persönlichkeiten, knapp hinter dem ehemaligen US-Präsidenten Barack Obama (229) und noch vor dem demokratischen Präsidentschaftsbewerber Bernie Sanders (171).
Dass auch bei allen Meldungen, die 2020 in der Referenzgruppe zum Suchbegriff „Deutschland“ (21.207) ausgewiesen wurden, Sebastian Kurz (1002) deutlich häufiger als Schlagwortfolge aufschien als Angela Merkel (594), zeigt wie stark die Berichterstattung im österreichischen Journalismus mit dem größten Nachbarstaat verknüpft wird. Gleichzeitig zeigt eine Auswertung der Berichterstattung über die Regierungsspitzen der übrigen österreichischen Nachbarstaaten, dass Österreichbezüge auch hier dominieren: Von 49 mit dem Namen des tschechischen Ministerpräsidenten Andrej BabišFootnote 21 beschlagworteten Meldungen erfolgten 24 bei gleichzeitiger Beschlagwortung mit dem Namen des österreichischen Bundeskanzlers Sebastian Kurz. In den 407 Meldungen, in denen den ungarischen Ministerpräsidenten Viktor OrbánFootnote 22 als Schlagwortfiltertreffer aufschien, fand sich auch Kurz 108-mal wieder.
Bestimmte außenpolitische Ereignisse, wie die Gespräche über das iranische Atomprogramm in Wien, erweckten aufgrund ihres Österreichbezugs ein erhöhtes mediales Interesse. In der Referenzgruppe finden sich immerhin 2536 Meldungen zum Suchbegriff „Iran“ für das Jahr 2020 im APA-Onlinemanager, wobei 401 mit Wien und 400 mit Teheran als Ortsangabe beschlagwortet waren.
Die Dominanz inländischer Bezugspunkte im Auslandsjournalismus mag in Österreich besonders ausgeprägt sein, ist jedoch international verbreitet. Eine von Emma Heywood durchgeführte Studie zur außenpolitischen Konfliktberichterstattung der Nachrichtensendungen News at Ten (BBC, Vereinigtes Königreich), 20 Heures (France 2, Frankreich) und Vremya (Pervy kanal, Russland) legt nahe, dass auch diese einen erheblichen Bias in ihrer Auslandsberichterstattung an den Tag legten. Die Inhalte konzentrierten sich im Zusammenhang mit internationalen Konflikten etwa auf britische Auslandseinsätze oder Bemühungen der französischen Diplomatie (Heywood 2017, 25–44). Diese Ergebnisse legen eine international vergleichbare Wechselwirkung zwischen der Bedeutung von Außenpolitik und Außenpolitikberichterstattung nahe. Nicole Gysin gelangte in ihrer Befragung von 54 Korrespondenten Deutschschweizer Printmedien zwar zu dem Ergebnis, dass diese in ihrer Berichterstattung die Schweizer Außenpolitik weitgehend ignorierten (Junghans und Hanitzsch 2006, 413), dies mag aber auch auf Ressortzuständigkeiten innerhalb der Schweizer Medien sowie die Tatsache zurückzuführen sein, dass die Neue Zürcher Zeitung laut Mijnssen als einziges Schweizer Printmedium „mit einem richtigen eigenen Korrespondentenpool“ aufwarten kann und Schweizer Perspektiven auf internationale Berichterstattungsthemen dort vorwiegend von Journalisten in der Schweizer Redaktion verarbeitet werden.
Eine weitere Auswertung spricht dafür, dass die Außenpolitik der Republik Österreich, in der außenpolitischen Berichterstattung im Sinne einer „public diplomacy“ nur eine untergeordnete Rolle spielt. So fanden sich im APA-Basisdienst zwischen 2011 und 2020 nur 262 Meldungen mit der Suchwortfolge „österreichische Außenpolitik“, wobei die grammatikalischen Varianten durch die Wortstammsuche miterfasst wurden. In den Medien der Referenzgruppe ergab die diesbezügliche Suche 420 Treffer, wobei die Mehrheit davon auf Meldungen der beiden Qualitätszeitungen Die Presse (156) und Der Standard (93) entfiel. Die „Außenpolitik Österreichs“ wurde in der Referenzgruppe im Zehnjahreszeitraum 43-mal, im APA-Basisdienst gar nur 22-mal erwähnt.
Dieser Zustand deckt sich mit den bereits in einer 2010 von der Plattform Wikileaks veröffentlichten Depesche der US-amerikanischen Diplomatie gemachten Einordnungen zur österreichischen Außenpolitik. Dieser wurde darin ein „lack of a long-term goal“ sowie „popular isolationism“ (Wikileaks 2010) attestiert. Der auflagestärksten österreichischen Tageszeitung, der Kronen Zeitung, wurde darin ebenfalls vorgeworfen, isolationistische Positionen zu vertreten. Die herrschenden Vorstellungen über das Wesen der österreichischen Neutralität begünstigten überdies solche Einstellungen auch in der Bevölkerung (Wikileaks 2010).
Das Ergebnis der Auswertung der Medienmeldungen deckt sich letztlich mit der Wahrnehmung der sieben befragten österreichischen Außenpolitikjournalist*innen von denen niemand angab, die Außenpolitikberichterstattung nehme in Österreich einen verhältnismäßig hohen Stellenwert ein.Footnote 23 Gleichzeitig waren sechs der Meinung, die Bedeutung der Außenpolitikberichterstattung in Österreich habe abgenommen.Footnote 24
4 Resümee
Unter den befragten Auslandsjournalist*innen scheint Konsens darüber zu bestehen, dass entweder ein weitgehendes öffentliches Desinteresse an außenpolitischen Themen existiert oder von Entscheidungsträger*innen innerhalb der Redaktionen als existent angenommen wird. Während einer der Befragten darauf beharrt, dass das von Chefredakteur*innen oder Programmmachenden geltend gemachte Desinteresse der österreichischen Öffentlichkeit so nicht bestehe,Footnote 25 gibt ein anderer zu bedenken, dass man im Bereich der Außenpolitikberichterstattung im Online-Bereich nicht nur auf Zugriffe setzen dürfe.Footnote 26 Gerade die Klick-Getriebenheit von Online-Medien dürfte den Fokus der Auslandsberichterstattung in Zukunft noch stärker auf Themen lenken, die die Leser*innen emotional ansprechen und zum Öffnen der Nachrichtenseite bewegen. Dabei ist es leichter einen persönlichen Bezug zu Geschichten herzustellen, die mit dem eigenen Lebensumfeld, dem eigenen Land, im Zusammenhang stehen. Heywood spricht treffend vom „need for the foreign event to have a domestic link“ (Heywood 2017, 26). Dieser Zusammenhang ist für den Auslandsjournalismus in Staaten, die sich aufgrund ihrer Größe und militärischen oder wirtschaftlichen Bedeutung international großflächiger engagieren als Österreich, sicherlich leichter herzustellen. Gleichzeitig bietet die österreichische Außenpolitik aber auch kein strategisches Konzept, an dem sich der Journalismus berichterstattend orientieren könnte.
Die ökonomische Krise der Medienbranche hat zur weiteren Prekarisierung insbesondere des Außenpolitikjournalismus beigetragen, den einer der befragten Journalist*innen als redaktionelles „Stiefkind“ bezeichnet und dem Mijnssen einen „eher kleinen Stellenwert“ beimisst. Die hohe Konzentration (Karmasin et al. 2018, 13) und der verzerrte Wettbewerb (siehe Kap. 1) am österreichischen Medienmarkt lassen außerdem wenig Raum für alternative Angebote. Hinzu kommt, dass selbst der im geringeren Ausmaß wettberwerbsgetriebene ORF sein außenpolitisches Produkt Weltjournal nur in der Randzeit ab 22:30 oder 23:00 Uhr und das Zusatzmagazin Weltjournal + erst anschließend sendet, während beispielsweise das innenpolitische Magazin ORF Report ab 21:05 Uhr ausgestrahlt wird. Bedingt durch die Sendezeit erreichte das Weltjournal 2020 im Schnitt zwar 19 % Marktanteil aber nur 360.000 Zuseher, während der ORF Report mit 18 % Anteil auf 569.000 kam (ORF 2021a). Außerdem kann das interessierte Fachpublikum im Zeitalter der Digitalisierung jederzeit auf breitere Angebote anderer deutsch- und fremdsprachiger Medien zurückgreifen, gegenüber denen der österreichische Auslandsjournalismus nicht konkurrenzfähig ist.
All diese Faktoren erzeugen letztlich ein Angebot, das sich im Wesentlichen auf Agenturmeldungen, Fernanalysen, Reportagen zu internationalen Großereignissen, die Berichterstattung zu Auslandsthemen mit Inlandsbezug sowie auf die unmittelbare deutschsprachige Nachbarschaft konzentriert und hinter dem der Außenpolitikjournalismus als eigenständige Disziplin zu verblassen droht.
Weiterführende Quelle
Kaltenbrunner, Andy, Renée Lugschitz, Corinna Gerard-Wenzel. 2018. Qualitätsbestimmung im Journalismus. Analyse des internationalen Forschungsstandes und neuer Ansätze in der digitalen Ära. Wien: Medienhaus Wien im Auftrag von Bundeskanzleramt/Bundespressedienst.
Die im Auftrag des Bundespressedienstes entstandene Studie aus dem Jahr 2018 untersucht eingehend den Zustand der österreichischen Medienlandschaft und vermisst die Qualitätsproblematik im österreichischen Journalismus.
Karmasin, Matthias, Klaus Bichler, und Andy Kaltenbrunner. 2018. „Austria back on the democratic corporatist road?“ In The European Handbook of Media Accountability, hrsg. von Tobias Eberwein, Susanne Fengler, Matthias Karmasin, 7-13. London: Routledge.
Der Beitrag befasst sich mit den qualitativen Entwicklungen im österreichischen Journalismus bis zum Jahr 2018 und kommt unter anderem zum Schluss, dass bei der Selbstregulierung der Medien zu positiven Entwicklungen zu vermerken sind.
Heywood, Emma. 2017. European Foreign Conflict Reporting – A Comparative Analysis of Public News Providers. Abingdon: Routledge.
Die von Emma Heywood 2017 durchgeführte Vergleichsstudie belegt eindrucksvoll die hohe Fallzahl von Inlandsbezügen in der Auslandsberichterstattung einer britischen, einer französischen sowie einer russischen Fernsehnachrichtensendung.
Notes
- 1.
Die anonyme Befragung richtete sich an österreichische Außenpolitikjournalist*innen und Korrespondent*innen ausländischer Medien in Österreich. Sie beruhte auf einem vom Autor erstellten und durch den Presseclub Concordia an die österreichische Auslandsjournalistik (n = 60) sowie vom Verband der Auslandspresse in Wien (n ~ 100) an seine Mitglieder*innen versandten Onlinefragebogen. Die Feldarbeit fand iH auf die Außenpolitikjournalist*innen (Antworten: n = 7) zwischen dem 20. April und dem 5. Mai 2021, iH auf die Korrespondent*innen (Antworten: n = 11) zwischen dem 5. und 20. Mai 2021 statt. Aufgrund der durch das kleine Sample bedingten hohen Schwankungsbreiten wurden nur Ergebnisse x ≥ 6 (Außenpolitikjournalist*innen, Schwankungsbreite 25,9 %) bzw. x ≤ 6 (Außenpolitikjournalist*innen und Korrespondent*innen, Schwankungsbreite 21,8 %) verwendet. Antworten auf offene Fragen wurden qualitativ ausgewertet.
- 2.
Das qualitative Interview wurde mit einem der Korrespondenten der Neuen Zürcher Zeitung und stellvertretenden Präsidenten des Verbandes der Auslandspresse in Wien, Ivo Mijnssen, am 5. Mai 2021 geführt.
- 3.
Zur Methodik siehe Abschn. 2.1.
- 4.
Mehr als die Hälfte der österreichischen Internetnutzer*innen besuchen die Seite mindestens einmal im Monat (ÖWA 2019).
- 5.
Die Online-Ausgabe der New York Times war bereits 2011 hinter einer paywall verschwunden, auch vergleichbare europäische Zeitungsunternehmen wie Aftenposten (2013) hatten vorher kostenpflichtige Online-Angebote entwickelt.
- 6.
Auf die Aussage „Von Einsparungsmaßnahmen sind APO-Redaktionen häufig stärker betroffen als andere Medienbereiche.“ antworteten vier von sieben befragten Journalisten mit „weiß nicht“, drei mit „stimmt“.
- 7.
Von den Journalist*innen und Korrespondent*innen (n = 18) gaben auf die Frage „Wie stark korreliert die Bedeutung der Außenpolitikberichterstattung mit der Bedeutung der Außenpolitik in Österreich?“ sechs an, Berichterstattung und Außenpolitik wären jeweils unbedeutend, fünf waren der Ansicht, die Berichterstattung sei unbedeutender als die Außenpolitik, drei sahen die Berichterstattung als bedeutender an, je zwei hielten beides für bedeutend oder antworteten mit „weiß nicht“.
- 8.
Die anonyme Befragung fand nach Aussonderung der Antworten der österreichischen Auslandsjournalist*innen mit demselben Fragebogen statt und wurde vom Verband der Auslandskorrespondenten in Österreich an seine Mitglieder verschickt. Die Feldarbeit lief zwischen dem 5. und 20. Mai 2021.
- 9.
- 10.
Ausgewertet wurden alle im AOM eingespeisten Meldungen von Der Standard, Die Presse, Heute, Kleine Zeitung, Kronen Zeitung, Kurier, News und Profil. Die ebenfalls auflagenstarke Boulevardzeitung „Österreich“ speist ihre Meldungen nur bedingt ein und wurde daher nicht ins Sample aufgenommen.
- 11.
Die Auswertung umfasste alle zwischen dem 1. Jänner 2011 und dem 31. Dezember 2020 datierten Meldungen (n = 6.577.374). Die Daten wurden am 26. Mai 2021 erhoben.
- 12.
Die Auswertung umfasste alle zwischen dem 1. Jänner 2011 und dem 31. Dezember 2020 datierten Meldungen (n = 1.708.420). Die Daten wurden am 27. Mai 2021 erhoben.
- 13.
Die Auswertung umfasste alle zwischen dem 1. Jänner 2011 und dem 31. Dezember 2020 datierten Meldungen (n = 536.232). Die Daten wurden am 27. Mai 2021 erhoben.
- 14.
Die Auswertung umfasste alle zwischen dem 1. Jänner und dem 31. Dezember 2020 datierten Meldungen (n = 587.791). Die Daten wurden am 20. Mai 2021 erhoben.
- 15.
Gesucht wurde jeweils der exakte Begriff, also die konsekutive Nennung von Vor- und Nachnamen.
- 16.
Die Auswertung umfasste alle zwischen dem 1. Jänner 2011 und dem 31. Dezember 2020 datierten Meldungen (n = 6.577.374 ). Die Daten wurden am 26. Mai 2021 erhoben.
- 17.
Gezählt wurden die Nennungen „Tschechien“ und „Tschechische Republik“ mit Wortstammsuche.
- 18.
In beiden Fällen entfielen 11,3 % der Meldungen der Dekade auf das Jahr 2015.
- 19.
Gezählt wurden die Nennungen „USA“ und „Vereinigte Staaten“ mit Wortstammsuche.
- 20.
Der bis zum 21. März 2020 amtierende slowakische Ministerpräsident Peter Pellegrini wurde zwölf mal in Artikeln genannt, die mit seinem Vorgänger Robert Fico beschlagwortet waren, sieben mal in solchen, die die Schlagwortfolge Sebastian Kurz enthielten.
- 21.
Berücksichtigt wurden die Schreibweisen Babiš und Babis.
- 22.
Berücksichtigt wurden die Schreibweisen Orbán und Orban.
- 23.
Fünf Befragte sahen einen im internationalen Vergleich niedrigen, zwei einen mittleren Stellenwert.
- 24.
Eine Person antwortete mit „weiß nicht“.
- 25.
Antwort auf die offene Frage „Was fehlt ihrer Meinung nach dem Außenpolitikjournalismus in Österreich?“: „Verständnis seitens der Chefredkateure [sic] oder Programmmacher. Es wird vermutet, ‚das interessiert die Leute nichtʻ. Was so nicht stimmt…“
- 26.
Antwort auf die offene Frage „Haben Sie abschließende Anmerkungen und Hinweise?“: „In der apo kann man mMn nicht nur auf Leser-Interesse/Klicks schauen“.
Literatur
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Bundesministerium für europäische und internationale Angelegenheiten (BMEIA) und Österreichische Botschaft Lima. 2019. „Neuer Außenminister: Mag. Alexander Schallenberg“. https://www.bmeia.gv.at/oeb-lima/aktuelles/detail/article/neuer-aussenminister-mag-alexander-schallenberg
Heywood, Emma. 2017. European Foreign Conflict Reporting – A Comparative Analysis of Public News Providers. Abingdon: Routledge.
Kager, Günther. 2001. „Trennungen sind immer schmerzlich“. Horizont 44 (01), S. 9.
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Moser, M. (2023). Medien und Außenpolitik. In: Senn, M., Eder, F., Kornprobst, M. (eds) Handbuch Außenpolitik Österreichs. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-37274-3_9
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