Der letzte Teil der Arbeit fasst die wichtigsten Erkenntnisse aus der Studie prägnant zusammen. Dazu soll auf das eingangs in der Arbeit geschilderte Forschungsproblem und die übergeordneten Forschungsfragen eingegangen werden. Gleichzeitig werden die eigenen Ergebnisse kritisch reflektiert und Vorschläge für zukünftige Forschung gemacht.

Das erklärte Ziel der Forschungsarbeit war es, Grundlagenforschung zu den schriftsprachlichen Kompetenzen dual Schriftnutzender zu leisten, eine theoretische Basis mit Beispielen für die Förderung dual Schriftnutzender zur Verfügung zu stellen und einen Anschluss an die internationale Forschung zur dualen Schriftnutzung herzustellen. Dazu wurde ein sequenzielles, explanatives Mixed-Methods Design gewählt mit einer ersten quantitativen und einer nachfolgenden qualitativen Datenerhebung und Analyse sowie einer Zusammenführung der Ergebnisse beider Teile durch eine Integrationsphase.

Im ersten Untersuchungsteil, der Kompetenzerhebung, stellte sich die Frage (F1), welche schriftsprachlichen Kompetenzen dual Schriftnutzende im Vergleich zu nur Braille Lesenden und der Normierung ohne Sehbeeinträchtigung erreichen. Die größten Unterschiede zeigten sich dabei im Bereich der Braille-Leseflüssigkeit. Dem gegenüber fielen die Differenzen in den Bereichen Rechtschreibung, dem Lese- und Hörverstehen geringer aus. Die besten Resultate erzielten dual Schriftnutzende, die früh die Punktschrift erlernt hatten und diese schon lange nutzten. Dazu stellte sich im quantitativen Bereich die Frage (F2), welche Brailleschriftsysteme dual Schriftnutzende lernen und welche Hilfsmittel sie nutzen. Diesbezüglich zeigten die Antworten aus dem Fragebogen, dass die meisten dual Schriftnutzenden mehrere Punktschriftsysteme gelernt hatten. Häufig hatten sie diese auch in einer kürzeren Zeit erworben als die Vergleichsgruppe der nur Braille Lesenden. Bei den Hilfsmitteln waren viele dual Schriftnutzende gut versorgt. Allerdings zeigte sich bei einigen Personen eine Unterversorgung, entweder bei den blindenspezifischen oder sehbehindertenspezifischen Hilfsmitteln.

Der zweite Untersuchungsteil widmete sich der Frage (F3), wie dual Schriftnutzende schriftsprachliche Kompetenzen entwickeln und wie sie in diesem Bereich gefördert werden können. Dazu wurden eine Pilotfallstudie und vier Fallstudien durchgeführt. Im Zuge der Fallarbeit wurde für jeden Teilnehmenden die Entwicklung der Lesegeschwindigkeit in beiden Schriftmedien über einen Zeitraum von einem Jahr dokumentiert. Dabei gelang es erstmals, einen parallelen Erwerbsprozess der Braille- und Schwarzschrift detailliert zu beschreiben und die Vorteile eines gleichzeitigen Erwerbs aufzuzeigen. Aus den Fallstudien ging zudem hervor, dass dual Schriftnutzende durchaus das Potenzial haben, gute Braille Leserinnen und Leser zu werden. In einigen Fällen zeigte sich, dass bereits kleine Fördereinheiten große Effekte auf die Lernentwicklung haben können. Aus der Begleitung der Fälle geht jedoch auch hervor, dass die Förderung von dual Schriftnutzenden oftmals einem Balanceakt zwischen fachlichen Zielen, Leseförderung und weiteren Förderbereichen gleicht. Die Frage, wie dual Schriftnutzende bestmöglich gefördert werden können, muss deshalb für jede Schülerin oder jeden Schüler individuell beantwortet werden. In den Fallstudien wurde dies mithilfe von Förderempfehlungen und einer Beschreibung von Fördermaterial für jeden Teilnehmenden umgesetzt. Fallübergreifend zeigte sich zudem die Wichtigkeit von ausgebildeten, motivierten Lehrpersonen, ausreichenden zeitlichen Ressourcen, einer hohen Erwartungshaltung und Zielen sowie die Bedeutung von Kooperation im pädagogischen Team und mit den Eltern.

Im Mittelpunkt des Integrationsteils, also der Zusammenführung der Untersuchungsteile, stand die Frage (F4), welche Erklärungen die qualitativen Fallstudien für das Abschneiden der dual Schriftnutzenden in der quantitativen Kompetenzerhebung liefern. Zur Beantwortung dieser Frage wurden die Ergebnisse in einem Joint-Display tabellarisch gegenübergestellt und es wurde nach Bestätigungen, Erweiterungen und Differenzen gesucht. Übereinstimmend zeigte sich in beiden Erhebungsteilen, dass dual Schriftnutzende, die möglichst früh mit der Brailleschrift beginnen, höhere schriftsprachliche Kompetenzen entwickeln. Damit bestätigten die Fallstudien ein Schlüsselergebnis aus der Kompetenzerhebung. Die Gegenüberstellung verdeutlichte zudem, dass viele dual Schriftnutzende lernbiografisch nicht genügend Zeit zum Erwerb der Brailleschrift zur Verfügung stand. Diese Erkenntnis erklärt, weshalb viele Teilnehmende der Kompetenzerhebung mit dualer Schriftnutzung die Schwarzschrift schneller lasen als die Brailleschrift. Eine weitere ausschlaggebende Erkenntnis aus der Integration ist, dass eine lange Braillenutzungsdauer bei dual Schriftnutzenden nicht automatisch zu höheren Lesekompetenzen führt. Entscheidend sind eine systematische und kontinuierliche Förderung sowie Angebote zur Verbesserung der Leseflüssigkeit. Dazu wird vermutet, dass die Lese- und Schreibzeiten im Unterricht einen starken Einfluss auf das Kompetenzniveau der dual Schriftnutzenden haben. Problematisch erscheint in diesem Zusammenhang, dass viele dual Schriftnutzende in der Kompetenzerhebung, aber auch in den Fallstudien diese nicht hatten. Der tägliche Schriftkontakt wird jedoch als grundlegend erachtet, damit sich Lernfortschritte entfalten können. Hinsichtlich der Lernreihenfolge (parallel oder nicht-parallel) komplementierten die Fallstudien die Ergebnisse der Kompetenzerhebung, indem sie Vorteile eines parallelen Lernweges aufzeigen konnten.

Auf die Limitierungen der einzelnen Untersuchungsteile wurde bereits ausführlich in Abschnitt 4.5 und 5.3 eingegangen. In diesem Zusammenhang wurde unter anderem angeführt, dass die erprobten Materialien und Fördermethoden in den Fallstudien nicht im Sinne einer evidence-based-practice (Council for Exceptional Children, 2014) evaluiert werden konnten. Darin wird jedoch eine wichtige Aufgabe für die zukünftige Forschung gesehen. Aufgrund der Ergebnisse zur Leseflüssigkeit der dual Schriftnutzenden (aber auch der nur Braille Lesenden) sollte sich die Blinden- und Sehbehindertenpädagogik eingehender mit wirksamen Methoden zur Steigerung der Leseflüssigkeit auseinandersetzen. Bislang fehlt es an Interventionsstudien, welche auch für Schülerinnen und Schüler mit Blindheit und Sehbeeinträchtigung Effekte von Methoden (z. B. Lautlesetandems) nachweisen.

Zu den Stärken der vorliegenden Arbeit gehört die breite Datenbasis, aus denen die Erkenntnisse abgeleitet werden konnten. Die Untersuchung liefert damit einen wichtigen Beitrag zur Grundlagenforschung im Bereich dualer Schriftnutzung. Dazu trägt sie zur Vereinheitlichung der Begrifflichkeit im deutschen Sprachraum bei und stellt einen Anschluss an die internationale Forschung her. Mithilfe der Ergebnisse aus der Kompetenz- und Fragebogenerhebung konnte zudem eine wichtige Forschungslücke geschlossen werden. Die Untersuchung zeichnet sich überdies durch eine hohe Praxisorientierung aus. Diese tritt besonders gut in den Fallstudien zum Vorschein, in denen mehrere Teilnehmende über ein Jahr begleitet wurden. Durch das Längsschnittdesign war es möglich, die Lernentwicklung sichtbar zu machen, die Fördersituation differenziert zu analysieren und Empfehlungen sowie Fördermaterial auszuarbeiten. Damit beschränkt sich die Arbeit nicht auf eine Problembeschreibung, sondern gibt exemplarische Hinweise, wie dual Schriftnutzende konkret gefördert werden können.

Die vorliegende Untersuchung konnte zudem zeigen, dass ein dualer Schriftzugang einen positiven Effekt auf die Zugangsmöglichkeiten von vielen Lernenden haben kann, deren Sehbeeinträchtigung den Nutzen der Schwarzschrift stark limitiert. Die Förderung dieser Schülerinnen und Schüler erfordert eine Synthese von blinden- und sehbehindertenpädagogischer Expertise, die am besten erreicht werden kann, wenn Pädagoginnen und Pädagogen im Team zusammenarbeiten. Das Ziel muss dabei sein, dass alle Lernenden, unabhängig vom Verlauf der Augenerkrankung, bis zum Ende der Schulzeit funktionale Lese- und Schreibkompetenzen erwerben. Insbesondere Schülerinnen und Schüler, die möglichst früh mit Braille- und Schwarzschrift beginnen, können von einer erhöhten Flexibilität, mehr Wahlmöglichkeiten und Unabhängigkeit, die ein dualer Schriftspracherwerb mit sich bringt, profitieren.