Zusammenfassung
Dieses Open-Access-Buch zur Consumer Decision Neuroscience verfolgt das Ziel, durch die Integration neurowissenschaftlicher Methoden in die Käufer- und Konsumentenverhaltensforschung die Identifikation verhaltensrelevanter, neurophysiologischer Variablen zu ermöglichen, um darauf aufbauend eine Theorieerweiterung zu schaffen. In Kapitel 1 wird die wissenschaftliche Relevanz der vorliegenden Arbeit im zeitlichen Bezug und disziplinären Kontext dargestellt sowie die sich daraus ergebende Zielsetzung abgeleitet.
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1.1 Relevanz der Consumer Decision Neuroscience für die Marketingforschung
Ein wesentlicher Bestandteil des Marketing ist es, Austauschprozesse in MärktenFootnote 1 effektiv und bedürfnisgerecht zu gestalten (Meffert, Burmann, Kirchgeorg, & Eisenbeiß, 2019). Im modernen Verständnis des Marketing als marktorientierte Unternehmensführung fokussiert dieses die Bedürfnisse von nachfragenden Gruppen bei allen Unternehmensaktivitäten und bildet somit die Schnittstelle zwischen Markt und Unternehmen (Meffert et al., 2019). Die konsequente Ausrichtung aller marktbezogenen Unternehmensaktivitäten, insbesondere an den Bedürfnissen der Kundinnen/KundenFootnote 2 soll langfristig sicherstellen, dass Unternehmensziele erreicht werden (Meffert et al., 2019). Entsprechend ist ein zentrales Ziel des Marketing, Bedürfnisse und Verhalten der Kundinnen/Kunden zu verstehen, zu antizipieren und zu befriedigen (Meffert et al., 2019). Um Marketingentscheidungen zu treffen (Meffert, 1974; Meffert et al., 2019) und einen Kundennutzen zu generieren, ist ein möglichst umfassendes Verständnis der Bedürfnisse der Kundinnen/Kunden notwendig. Die Analyse und Antizipation der zugrundeliegenden Bedürfnisse durch Nutzung geeigneter Methoden stellt die zentrale Aufgabe der Marketingforschung dar (Meffert et al., 2019).
Daher bilden oftmals Erkenntnisse aus der Käufer- und Konsumentenverhaltensforschung die Grundlage für Marketingentscheidungen, um Kauf- und KonsumentscheidungenFootnote 3 erklären zu können und daraus ableitend Determinanten für das Verhalten von Kundinnen/Kunden sowie Konsumentinnen/KonsumentenFootnote 4 zu identifizieren (Kroeber-Riel & Gröppel-Klein, 2019; Meffert et al., 2019). Da das geäußerte Verhalten bereits das Ergebnis eines abgeschlossenen Prozesses darstellt, auf den nur noch begrenzt Einfluss genommen werden kann, sind insbesondere leistungsfähige Erklärungsansätze, die die vorgelagerten Entscheidungsprozesse für Kauf- und Konsumverhalten erfassen, für die Marketingforschung von großem Interesse (Kroeber-Riel & Gröppel-Klein, 2019; Meffert et al., 2019). In diesem Zusammenhang zeichnet sich die Marketingforschung und im Speziellen die Käufer- und Konsumentenverhaltensforschung durch InterdisziplinaritätFootnote 5 aus, wobei verschiedene Ansätze aus betriebswirtschaftlich fachfremden Disziplinen wie beispielsweise der Psychologie, Soziologie, Verhaltensbiologie oder auch den Neurowissenschaften integriert werden, um Entscheidungsprozesse des Kauf- und Konsumverhaltens zu beschreiben und zu erklären (Kenning, 2020; Kroeber-Riel & Gröppel-Klein, 2019).
Dabei geht man über ökonomische Ansätze des Homo OeconomicusFootnote 6 zur Erklärung des Verhaltens hinaus (Von Neumann & Morgenstern, 2007; Zinkhan, 1992), um tatsächliches Entscheidungsverhalten möglichst umfassend darstellen zu können (Kroeber-Riel & Gröppel-Klein, 2019; Meffert et al., 2019). Über die Entwicklung von (neo-)behavioristischen Forschungsansätzen (Pavlov, 1927; Skinner, 1938; Watson & Rayner, 1920) ist man letztlich zu Verhaltensmodellen gelangt, die übergreifend als Stimulus-Organismus-Reaktion (S-O-R) ModelleFootnote 7 beschrieben werden können (Kroeber-Riel & Gröppel-Klein, 2019; Meffert et al., 2019). Konträr zu den zunächst vorherrschenden behavioristischen Modellen, auch S-R Modelle genannt (Kenning, 2020; Meffert et al., 2019), stellen die S-O-R Modelle den Organismus, entsprechend das O, in den Fokus und versuchen die Informationsverarbeitungsprozesse und dort intervenierenden Variablen über Indikatoren und latente KonstrukteFootnote 8 abzubilden (Bray, 2000; Kroeber-Riel & Gröppel-Klein, 2019). In diesem Zusammenhang öffnete sich die Wirtschaftswissenschaft und Käufer- und Konsumentenverhaltensforschung zunehmend anderen Ansätzen und DisziplinenFootnote 9, um weiterführende Einblicke in die zugrundeliegendenFootnote 10 Prozesse des Organismus bei der Entscheidungsfindung zu erlangen (Kroeber-Riel & Gröppel-Klein, 2019).
Die Erweiterung im Hinblick auf den Organismus ermöglichte es, neue Perspektiven auf die zugrundeliegenden Variablen und Prozesse zu erlangen, diese zu beschreiben und zu bemessen. Durch die Diversifikation der Methoden, Theorien und Arbeitsstile entstehen fruchtbare Synergien, aber auch konträre Perspektiven im Hinblick auf die Vorgehensweise, wie fundamentale Fragestellungen zu erörtern sindFootnote 11. In diesem Zusammenhang lassen sich zwei Positionen identifizieren, wie wissenschaftliche Erkenntnisse zu generieren und zu präzisieren sind, um die Forschung zu Entscheidungsprozessen weiterzuentwickeln (Gigerenzer, 1996; Kahneman & Tversky, 1996). Dabei könnte Fortschritt durch gezielte und verfeinerte Untersuchung von Phänomenen erreicht werden (Kahneman & Tversky, 1996), jedoch sollte das ultimative Ziel sein, die Bedingungen und Prozesse zu identifizieren, die den Phänomenen zugrunde liegen, um Erkenntnisse im Rahmen einer übergeordneten Prozesstheorie zu interpretieren (Gigerenzer, 1996)Footnote 12,Footnote 13. Demzufolge liegt auch das ultimative Ziel der Käufer- und Konsumentenverhaltensforschung darin, ein Modell zu entwickeln, das die zugrundeliegenden Prozesse beschreibt, um Entscheidungen und Verhalten umfassend erklären zu können (Gigerenzer, 1996).
Diesem Ziel folgend wurden im Laufe der Jahre eine Reihe an Modellen entwickelt, die versuchen Entscheidungsprozesse (umfassend) abzubilden (Bänsch, 1996; Bray, 2000; Kroeber-Riel & Gröppel-Klein, 2019; Kuß & Tomczak, 2007). Dabei kann jedoch ein hoher Grad an Abstraktion eine beobachtbare Quantifizierung der oftmals impliziten, intervenierenden, latenten Konstrukte einschränken (Bray, 2000; Hebb, 1958; Jacoby, 2002). Des Weiteren kann ein rein kognitiv beschriebener Prozess zwar Abwägungsentscheidungen erklären (Ajzen, 1991; Blackwell, Miniard, & Engel, 2001; Fishbein & Ajzen, 1975; Howard & Sheth, 1969), jedoch komplexere Entscheidungsprozesse von extensiv über limitiert bis habitualisiert hin zu impulsiven Kaufentscheidungen nicht umfassend abbilden (Bänsch, 1996; Kuß & Tomczak, 2007; Weinberg, 1981). Entsprechend konstituierten sich Ansätze, die sowohl kognitive Prozesse als auch implizite, impulsive Prozesse integrieren. Aus der Psychologie kommend werden diese Ansätze übergeordnet als Dual-Process Theorien beschrieben (Chaiken & Trope, 1999; Evans & Stanovich, 2013; Gawronski & Creighton, 2013; Reyna & Brainerd, 2011). Das definierende Charakteristikum dieser Theorien ist, dass dem Entscheidungsprozess zwei mentale Prozesstypen unterstellt werden, die nach unterschiedlichen Verarbeitungslogiken operieren (Chaiken & Trope, 1999; Gawronski & Creighton, 2013). Zunächst zur Erklärung einzelner Phänomene aufgestellt, konnten alsdann phänomenunabhängige und -übergreifende Prinzipien der unterstellten Verarbeitungsprozesse identifiziert werden, die anschließend in generalisierten Dual-Process Modellen zusammengefasst wurden (Gawronski & Creighton, 2013). Durch diese Modelle können sowohl kognitiv getroffene, extensive Entscheidungen, als auch limitierte, habitualisierte oder impulsive Entscheidungsprozesse erklärt werden (Gawronski & Creighton, 2013; Weinberg, 1981).
Auch wenn Dual-Process Theorien Entscheidungsprozesse in vielen Fällen erklären können, gibt es anhaltende Kritik an der Plausibilität dieser Ansätze, da die Differenzierung in zwei mentale Prozesse zunächst willkürlich erscheint und Entscheidungsverhalten ebenso durch ein- oder mehrgliedrige Verarbeitungsprozesse beschrieben werden kann (Evans & Stanovich, 2013; Kruglanski & Gigerenzer, 2011; Marewski, Gaissmaier, & Gigerenzer, 2010). Als wesentliches Argument in dieser Diskussion dient oftmals die biologische Plausibilität (Evans & Stanovich, 2013; Kruglanski & Gigerenzer, 2011)Footnote 14. Entsprechend scheint generell ein biologischer Determinismus unterstellt zu werden, das heißt, Entscheidungen sind hauptsächlich durch biologische Prozesse bestimmt und das Gehirn stellt in diesem Zusammenhang das zentrale Organ dar, um mit der Umwelt zu interagierenFootnote 15 (Hanser, 2000). Auch wenn sich aus dieser Ansicht heraus philosophische Fragestellungen nach Willensfreiheit aus einem Zielkonflikt zwischen einem intuitiv evidenten Freiheitsbewusstseins und dem Bedürfnis nach einem kohärenten Modell über die Natur des Menschen ergebenFootnote 16 (Habermans, 2005; Keil, 2018; Vollmer, 1994), sollten Modelle, die den Anspruch erheben Entscheidungsverhalten umfassend erklären zu können, biologisch plausibel sein und sich nach Möglichkeit in neuralen Prozessen widerspiegeln.
Aufgrund des technischen Fortschritts und der interdisziplinären Öffnung der Neurowissenschaften ist es in der heutigen wissenschaftlichen Praxis möglich, neurophysiologische Prozesse während der Entscheidungsfindung direkt im Organismus zu messen und Modelle im Bezug hierauf zu prüfen und zu modifizieren (Huettel, 2010; Kroeber-Riel, 1979; Smith & Huettel, 2010; Yoon et al., 2012). Durch die Möglichkeit der Identifizierung und Quantifizierung neurophysiologischer Prozesse, die der Entscheidung zugrunde liegen, wird das zuvor avisierte, zentrale und ultimative Ziel der Formulierung eines umfassenden, zugrundeliegenden und einheitlichen Modells – einer Unified TheoryFootnote 17 – über die menschlichen Entscheidungsprozesse erreichbar (Camerer, Loewenstein, & Prelec, 2005; Foxall, 2008; Gigerenzer, 1996; Glimcher & Rustichini, 2004; Kenning & Plassmann, 2005).
Auch wenn das Potenzial der Neurowissenschaften für die Marketingforschung generell und für die Käufer- und Konsumentenverhaltensforschung im Speziellen schon frühzeitig erkannt wurde (Kroeber-Riel, 1979; Krugman, 1971), wurde dieses erst nach einer jahrelangen Abstinenz (Saad, 2008) und begünstigt durch die Decade of the brain (Goldstein, 1994; NANDSC, 1989; Tandon, 2000) in der Forschung genutzt (Kenning, 2020). Mit ersten Studien in der Ökonomie (Sanfey, Rilling, Aronson, Nystrom, & Cohen, 2003) und später auch in der Käufer- und Konsumentenverhaltensforschung (McClure et al., 2004) entstanden erste, grundlegende, neurophysiologische Erkenntnisse über die Prozesse der Entscheidungsfindung. Es konstituierte sich das Forschungsfeld der Decision Neuroscience (Shiv et al., 2005), in dem Möglichkeiten der Neurowissenschaften für den Fortschritt der Entscheidungsforschung genutzt werden. Da die Marketingforschung und im Speziellen die Käufer- und Konsumentenverhaltensforschung, wie zuvor bereits erwähnt, sich insbesondere durch einen interdisziplinären Charakter und methodische Offenheit gegenüber benachbarten Disziplinen auszeichnen, ist es kaum verwunderlich, dass neurowissenschaftliche Methoden und Ansätze aufgenommen wurden, um neurale Verarbeitungsprozesse von Konsumentinnen/Konsumenten zu untersuchen und damit das Forschungsfeld der Consumer Neuroscience zu begründen (Karmarkar & Yoon, 2016; Kenning, Plassmann, & Ahlert, 2007; Plassmann, Venkatraman, Huettel, & Yoon, 2015; Yoon et al., 2012). Mit explizitem Fokus der Integration neurowissenschaftlicher Erkenntnisse, Methoden und Theorien auf die Entscheidungsfindung (Decision Neuroscience) von Konsumentinnen/ Konsumenten (Consumer Neuroscience) und dem übergeordneten Ziel, eine Unified Theory zur Erklärung von Entscheidungsverhalten zu beschreiben, definiert sich das spezifische Forschungsfeld der Consumer Decision NeuroscienceFootnote 18.
Wie in den vorangegangenen Ausführungen zu erkennen, hat eine kognitive KriseFootnote 19 mit (neo-)behavioristischen Ansätze dazu geführt, dass der Organismus als entscheidendes, intermediierendes Element fokussiert wurde, dem kognitive und implizite Prozesse unterstellt werden. Durch den revolutionärenFootnote 20 wissenschaftlichen Fortschritt unter anderem auch aufgrund der Integration von neurowissenschaftlichen Erkenntnissen, Theorien, Konzepten und Methoden zur fundamentalen Untersuchung des Organismus und hierbei im Spezifischen der Untersuchung von Entscheidungsprozessen bei Konsumentinnen/Konsumenten, konnte sich das relativ junge, noch wachsende Forschungsfeld der Consumer Decision Neuroscience entwickeln (Kenning, 2020). Im Rahmen der vorliegenden Arbeit wird das Forschungsfeld der Consumer Decision Neuroscience definiert und von anderen Fachrichtungen differenziert, um anhand der wissenschaftlichen Beiträge, Erkenntnisse für die Forschung und Praxis auf theoretischer und methodischer Ebene herzuleiten und die Weiterentwicklung der Disziplin und insbesondere der Käufer- und Konsumentenverhaltensforschung zu ermöglichen.
Im derzeitigen wissenschaftstheoretischen Status der Consumer Decision Neuroscience besteht eine große Varianz in den zugrundeliegenden, theoretischen Rahmenbedingungen, in methodischen Herangehensweisen und entsprechend auch in der Interpretation von Forschungsergebnissen, die mittels einer Unified Theory zusammengeführt werden sollen. In diesem Prozess eingebettet und dem übergeordneten Ziel folgend, sollen in der vorliegenden Arbeit durch ausgewählte Beiträge im Bereich der Consumer Decision Neuroscience Evidenzen für zugrundeliegende Entscheidungsprozesse geliefert und diese in einen theoretisch konzeptionellen Rahmen eingegliedert werden. Unter Berücksichtigung eines neurowissenschaftlich fundierten Dual-Process Modells (Strack & Deutsch, 2004), sollen durch die ausgewählten Beiträge implizite, impulsive Prozesse und deren Interaktion mit expliziten, reflektiven Prozessen anhand verschiedener methodischer, neurowissenschaftlich fundierter Herangehensweisen empirisch nachgewiesen werden. Des Weiteren soll gezeigt werden, dass durch die Annahme eines neurowissenschaftlich fundierten Modells Entscheidungen von Konsumentinnen/Konsumenten effektiver unterstützt werden können und das damit verbundene Verhalten erfolgreich vorhergesagt werden kann. Explizit ergeben sich hieraus folgende Forschungsfragen:
Bietet ein neurowissenschaftlich fundiertes Modell einen Rahmen für die Consumer Decision Neuroscience, um zugrundeliegende Prozesse von Entscheidungen von Konsumentinnen/Konsumenten umfassend beschreiben zu können?
Können durch Annahmen eines neurowissenschaftlich fundierten Modells Entscheidungen von Konsumentinnen/Konsumenten effektiver unterstützt und erfolgreich vorhergesagt werden?
1.2 Gang der Arbeit
Um diese Forschungsfragen zu beantworten, gliedert sich die vorliegende Arbeit in fünf Kapitel, die am Ende in einer übergreifenden Schlussfolgerung zusammenfließen. Bisher wurde in Kapitel 1 die wissenschaftliche Relevanz der vorliegenden Arbeit im zeitlichen Bezug und disziplinären Kontext dargestellt sowie die sich daraus ergebende Zielsetzung abgeleitet. Im folgenden Kapitel 2 werden die theoretischen und begrifflichen Grundlagen der Consumer Decision Neuroscience dargestellt. Dabei werden in Abschnitt 2.1 zunächst ökonomische, behavioristische und kognitive Ansätze beschrieben, wobei das Kapitel mit ersten Dual-Process Theorien und dazugehörigen Kritikpunkten endet, die eine theoretische Weiterentwicklung der Modelle durch die Integration von neurowissenschaftlichen Erkenntnissen zur Erklärung von Konsumentenentscheidungsprozessen avisieren. Die Forschungsgebiete, die sich aus dieser neurowissenschaftlichen Integration ergeben, werden in Abschnitt 2.2 definiert, systematisiert und differenziert, um anschließend das daraus entstandene Forschungsgebiet der Consumer Decision Neuroscience von bestehenden Forschungsgebieten abzugrenzen. Aufbauend auf den beiden vorangegangenen Kapiteln, wird in Abschnitt 2.3 anschließend das Reflektiv-Impulsiv Modell als eine neurowissenschaftlich fundierte Dual-Process Theorie vorgestellt, die als konzeptioneller Rahmen der vorliegenden Arbeit dient. Diese theoretische Grundlage dient alsdann in Kapitel 3 der Einordnung der ausgewählten Beiträge. In diesem Zusammenhang werden die wesentlichen inhaltlichen Aspekte der einzelnen Beiträge beschrieben und erläutert. In Kapitel 4 werden die ausgewählten Beiträge dargestellt. Im abschließenden Kapitel 5 werden die wesentlichen Erkenntnisse zusammengefasst (Abschnitt 5.1) und die daraus ableitbaren Implikationen für die Forschung und Praxis beschrieben (Abschnitt 5.2). Nachdem die vorliegende Arbeit vor dem Hintergrund theoretischer Weiterentwicklung kritisch reflektiert wurde (Abschnitt 5.3), erfolgt am Ende im letzten Kapitel 6 eine zusammenfassende Schlussbemerkung.
Eine schematische Zusammenfassung des Aufbaus der vorliegenden Arbeit kann Abbildung 1.1 entnommen werden.
Notes
- 1.
In der betriebswirtschaftlich orientierten Definition werden Märkte u. a. als Gesamtheit der Beziehungen zwischen Angebot und Nachfrage betrachtet (Kreikebaum et al., 2011).
- 2.
In der Definition nach Meffert werden Käuferinnen/Käufern oder, aus Perspektive des Anbietenden, Kundinnen/Kunden betrachtet, worunter sowohl Privatpersonen als auch Unternehmen und Institutionen zählen (Meffert, 1974; Meffert et al., 2019). Es kann in Konsumentinnen/Konsumenten spezifiziert werden (Kroeber-Riel & Gröppel-Klein, 2019), wenn es sich um die Nachfrage einer Privatperson handelt (Meffert et al., 2019). Da entsprechend Konsumentinnen/Konsumenten unter Kundinnen/Kunden subsumiert werden können, wird diese nachfragende Gruppe ebenfalls adressiert. Da in der vorliegenden Arbeit insbesondere das Konsum- und Entscheidungsverhalten von Privatpersonen untersucht wird, werden nach Möglichkeit jedoch immer beide nachfragenden Gruppen genannt (Kenning, 2020). Eine Differenzierung der verschiedenen Begrifflichkeiten erfolgt in Kapitel 2.
- 3.
Im Englischen Consumer Decision.
- 4.
Im Englischen Consumer Behaviour.
- 5.
Interdisziplinarität bezeichnet die Integration mehrerer wissenschaftlicher Fachrichtungen, wobei das Verständnis einer Fachrichtung graduell variiert und vom enger gefassten Sinn der Teildisziplinen innerhalb einer Fachrichtung (z. B. in den Wirtschaftswissenschaften eine Interdisziplinarität zwischen Marketing und Controlling), bis hin zum Zusammenschluss differenzierter Fachdisziplinen, die sich in Forschungsgegenstand, Methoden, Erkenntnisinteressen, Theorien und Arbeitsstilen unterscheiden können (z. B. Psychologie und Marketing), gefasst werden kann (Dejila & Di Giulio, 1998; Weingart, 1997). In dieser Arbeit wird ein weitgefasstes Verständnis der Interdisziplinarität zugrunde gelegt, welches fachfremde Methoden, Theorien und Arbeitsstile der Betriebswirtschaft umfasst.
- 6.
Der Homo Oeconomicus ist die „Modellvorstellung der Wirtschaftstheorie eines idealen, ausschließlich nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten denkenden und handelnden Menschen“ (Pollert, Kirchner, Pollert, & Bauer, 2016, S. 23), der nur ökonomische Ziele kennt und durch rationales Verhalten motiviert ist, um anhand vollständiger Kenntnis aller Entscheidungsmöglichkeiten und Informationen den größtmöglichen Nutzen zu erzielen (Pollert et al., 2016).
- 7.
In der Literatur lassen sich mehrere Wissenschaftler finden, die dieses Modell begründet haben und in die unterschiedlichen Disziplinen einführten, dazu zählen u. a. Woodworth (Woodworth, 1929) und Hebb (Hebb, 1958) (Bray, 2000; Cziko, 2000).
- 8.
Latenten Konstrukte werden insbesondere im Rahmen der statistischen Strukturgleichungsmodellierung verwendet, die in der Marketingforschung ein dominierendes Analyseverfahren darstellt (Hildebrandt & Temme, 2005; Meffert et al., 2019).
- 9.
Diese Entwicklung manifestierte sich insbesondere durch die Vergabe des Nobelpreises für Wirtschaftswissenschaften im Jahre 2002 an Kahneman (Nobel Media AB, 2002), der den Preis mit Smith teilte. Den Nobelpreis erhielt Kahneman für die Einführung psychologischer Forschung in die Wirtschaftswissenschaft (Nobel Media AB, 2002), insbesondere durch seine Publikationen zur Prospect Theory (Kahneman & Tversky, 1979) und der heuristischen Entscheidungsfindung (Kahneman & Tversky, 1984) mit seinem Kollegen Amos Tversky (*16.03.1937 ✝02.06.1996).
- 10.
Es wird bewusst von zugrundeliegenden und nicht dahinterliegenden Prozessen gesprochen, da ein zugrundeliegender Prozess impliziert, dass dieser das Verhalten begründet und direkt durch das Bemessen von Verhalten quantifiziert werden kann, wohingegen dahinterliegend darauf hinweist, dass diese Prozesse dem Verhalten hinterlegt sind und sich nicht direkt durch dieses messen lassen. Darüber hinaus wird zugrunde liegen im Duden definiert als „einer Sache als Grundlage dienen; die Grundlage für etwas bilden“ (Dudenredaktion, 2020b), wohingegen dahinterliegend im Duden nicht definiert ist.
- 11.
Bezeichnend hierfür ist eine Diskussion zwischen Kahneman und Tversky mit Gigerenzer über die Herangehensweisen und Weiterentwicklungen der (Konsumenten-)Verhaltensforschung, insbesondere über das Verständnis und die Interpretation von Heuristiken. In mehreren Publikationen (Gigerenzer, 1991, 1993, 1996; Kahneman & Tversky, 1984, 1996; Tversky & Kahneman, 1974) kritisierte Gigerenzer die Annahmen und Schlüsse von Kahneman und Tversky über die Funktionsweise von Heuristiken, u. a. der Verzerrungen der Selbstüberschätzung (Overconfidence Bias: „Entscheider sind overconfident, wenn sie ihre eigenen Urteile für präziser halten als sie es tatsächlich sind“; Gillenkirch, 2020), des konjunktiven Fehlschlusses (Conjunction Fallacy: „[Die Wahrscheinlichkeit] von zwei konjunktiv verknüpften Ereignissen [wird als] größer [erachtet] als die Wahrscheinlichkeiten für jedes der beiden Einzelereignisse“; Wenninger, 2000) und des Prävalenzfehlers (Base-Rate Neglect: „Informationen für eine bedingte Wahrscheinlichkeit einer einzelnen Variable und Informationen für die statistische Grundgesamtheit [werden] vermischt“; Glaser, 2019). Laut Gigerenzer liegt diesen angeblichen Verzerrungen im Entscheidungsverhalten eine ökologische Rationalität („ein funktionelles Verständnis von rationalem Verhalten, das die Passung zwischen Kognition und Umwelt analysiert“; Wirtz, 2020) zugrunde, die durch eine probabilistische Darstellungsweise, wie bei Kahneman und Tversky unterstellt, fehlerhaft erscheinen, jedoch durch frequenzbasierte Interpretationen mit Einbezug inhaltlicher Kontexte erklärt werden können (Gigerenzer, 1991, 1993; Wirtz, 2020). Für eine detaillierte Analyse der Argumente vgl. z. B. Collins, 2019; Polonioli, 2012; Vranas, 2000.
- 12.
Gigerenzers ultimatives Ziel wird durch folgendes Zitat deutlich: “I am concerned with understanding the processes and do not believe that counting studies in which people do or do not conform to norms leads to much. If one knows the process, one can design any number of studies wherein people will or will not do well” (Gigerenzer, 1996, S. 594).
- 13.
Können neue Phänomene nicht innerhalb einer vorherrschenden Theorie interpretiert werden, können dieses als paradox beschrieben werden und darauf hinweisen, dass die unterstellten Prozesse weiterentwickelt werden müssen, da sie nicht umfassend genug sind, um Entscheidungsverhalten ganzheitlich zu verstehen (Cantini & Bruni, 2017; Kenning, 2019). Zu Beginn von Abschnitt 2.1.4. wird auf diesen Aspekt noch einmal eingegangen.
- 14.
Dabei sahen sich Dual-Process Modelle anfänglich u. a. durch Split-Brain Erkenntnisse bestätigt (LeDoux & Gazzaniga, 1981; Puccetti, 1981). Unter Split-Brain versteht man die neurologischen Eingriffe, die im Rahmen der Epilepsieforschung u. a. von Sperry und Gazzaniga durchgeführt wurden (Gazzaniga, 1967; Sperry, 1967), bei denen den Betroffenen der Hirnbalken (Verbindung beider Gehirnhemisphären oberhalb des medial gelegenen Thalamus) durchtrennt wurde und diese anschließend unter experimentellen Umständen Auffälligkeiten in Verarbeitungsprozessen aufwiesen. Sperry erhielt für seine Forschung hierzu 1981 den Nobelpreis der Medizin (Nobel Media AB, 2020).
- 15.
Eine in diesem Zusammenhang radikale Ansicht wird von dem Neurowissenschaftler Llinás vertreten. Anhand von primitiven Meerestieren (lat. Ascidiacea), die nach ihrer mobilen Larvenphase ihr hirnähnliches Ganglion verdauen, argumentiert Llinás, dass das Gehirn lediglich dazu dient, sich anhand von sensorischen Reizen aktiv in der Umgebung zu bewegen. Die Fähigkeit der Vorhersage stellt dementsprechend die zentrale Gehirnfunktion dar, welche jedes Verhalten determiniert (Llinás, 2001).
- 16.
Habermans sieht diese beiden Anliegen als inkommensurabel an, sodass diese nicht aufeinander reduziert werden können (Habermans, 2005), womit beide Perspektiven – die des Beobachters und die des Teilnehmers – beachtet werden müssen. Gleichzeitig unterstellen Andere, dass der Mensch Teil der Natur ist und durch die Adaption an diese in seiner Wahrnehmung und Denkfähigkeit beschränkt ist, sodass er diese niemals vollständig verstehen und beherrschen kann (Vollmer, 1994). Für weitere Ausführungen zu dieser philosophischen Fragestellung vgl. Habermans, 2005; Keil, 2018; Vollmer, 1994.
- 17.
Hier und im Folgenden soll unter Unified Theory dieses übergeordnete Ziel verstanden werden, das der (Consumer) Decision Neuroscience und damit der vorliegenden Arbeit zugrunde liegt.
- 18.
Eine detaillierte Differenzierung, Abgrenzung und Definition der verschiedenen Teildisziplinen erfolgt in Abschnitt 2.2.
- 19.
Hiermit wird implizit auf den wissenschaftstheoretischen Ansatz von Kuhn (Kuhn, 1979) hingewiesen, der davon ausgeht, dass eine Wissenschaft Rahmenbedingungen (Paradigmen) definiert, innerhalb derer wissenschaftliche Aktivitäten stattfinden, wobei eine Krise aus wachsenden Misserfolgen eines vorherrschenden Paradigmas entstehen kann, die zur Widerlegung dieses führen sowie eine Verdrängung durch alternative Paradigmen (Revolution) begünstigen (Chalmers, 1999; Kuhn, 1979). In Abschnitt 2.3.2 wird diese wissenschaftstheoretische Einordnung näher beschrieben.
- 20.
Hiermit wird implizit im Rahmen des wissenschaftstheoretischen Ansatzes von Kuhn (Kuhn, 1979) auf eine Revolution hingewiesen, die den Wechsel zwischen zwei Paradigmen darstellt (Chalmers, 1999; Kuhn, 1979). In Abschnitt 2.3.2 wird diese wissenschaftstheoretische Einordnung näher beschrieben.
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Gier, N.R. (2022). Einleitung. In: Consumer Decision Neuroscience. Springer Gabler, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-38206-3_1
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