Der hier vorgelegte Länderbericht basiert auf den Daten des Fünften Deutschen Freiwilligensurveys (FWS 2019) und seiner Vorgängerstudien von 1999, 2004, 2009 und 2014. Der Deutsche Freiwilligensurvey ist eine vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) geförderte repräsentative Studie zum Stand des freiwilligen und ehrenamtlichen (wird im Länderbericht synonym verwendet) Engagements in Deutschland. Aufgrund seiner hohen und seit 1999 kontinuierlich steigenden Fallzahl (vgl. Abb. 2.2) sind neben bundesweiten (vgl. Simonson et al. 2021) auch länderspezifische Analysen möglich. Mit dem aktuellen Länderbericht werden die Daten des Freiwilligensurveys seit 2014 zum zweiten Mal in einem Vergleich über die 16 verschiedenen Bundesländer hinweg analysiert. Erstellt werden( mit Ausnahme Bremens) 15 Länderprofile.Footnote 1

Ziel dieses Länderberichts ist die Darstellung der unterschiedlichen Engagementformen und des Engagementpotenzials im Vergleich der Bundesländer. Dazu zählen die öffentlich gemeinschaftlichen Aktivitäten, das freiwillige Engagement, die Engagementbereitschaft von Nichtengagierten, die Spendenaktivität im letzten Jahr, die Mitgliedschaft in Organisationen und das Engagement für Geflüchtete (2014 bis 2019). Diese Sachverhalte werden sowohl in ihren aktuellen Verteilungen als auch im zeitlichen Verlauf – soweit die Daten vorhanden sind – seit 1999 im direkten Ländervergleich abgebildet und beschrieben (Kap. 3). Zusätzlich wurden zwei globale Indikatoren über alle Formen des hier untersuchten Engagements erstellt und in einem Bundesländerranking aufbereitet. Dabei wird aufgezeigt, wie sich Engagement anteilig verteilt, aber auch, wie das Engagement oder die Aktivität ausgeübt wird. Im Fall der öffentlich gemeinschaftlichen Aktivitäten werden die 5 häufigsten Bereiche für die Länder aufgeschlüsselt. Beim tatsächlichen freiwilligen Engagement, das über bloße Aktivität hinausgeht, werden neben den häufigsten Engagementbereichen zusätzlich der Zeitaufwand, die Motivationen, die Zielgruppen und die jeweilige organisationale Rahmung des Engagements im Bundesländervergleich betrachtet. Hinzu kommen wahrgenommene Verbesserungsbedarfe, und zwar erstens in Bezug auf die Ebene der Organisation (interne Dimension) und zweitens in Bezug auf die Ebene von Staat und Öffentlichkeit (externe Dimension). In Relation dazu werden Hinderungsgründe für die Aufnahme eines Engagements sowie für die Beendigung eines solchen betrachtet. Diese Faktoren werden ebenfalls nach Ländern aufgeschlüsselt dargestellt.

In einem weiteren Kapitel werden die hauptsächlichen Einflussfaktoren der hier untersuchten Engagementformen aufgezeigt und anschließend im Ländervergleich analysiert. Ziel ist es dabei, landesspezifische Zusammenhänge herauszuarbeiten und abzubilden (Kap. 4). Als mögliche Determinanten des Engagements werden individuelle Faktoren, die dem Forschungsstand zufolge in Kontexten verdichtet auftreten können, in die Analyse mit einbezogen. Dazu gehören klassische sozioökonomische Faktoren wie Bildung, Einkommen und Erwerbsstatus, aber auch Migrationserfahrung, Geschlecht, Alter, Wohndauer am Wohnort und der Haushaltsstatus, wobei hier das Vorhandensein von Kindern im Haushalt von besonderer Bedeutung ist. Weitere einstellungsbezogene und vor allem sozialkapitalaffine Differenzierungskriterien stellen die Religionszugehörigkeit, die Bewertung des sozialen Zusammenhalts und ein daraus resultierendes Zugehörigkeitsgefühl dar.

Im anschließenden Kapitel werden die landesspezifischen Ergebnisse in umfeldbedeutsame Kontexte eingebettet (Kap. 5). Dieser Untersuchungsschritt soll, wie in der Einleitung bereits ausgeführt, dazu beitragen, Unterschiede zwischen den Bundesländern besser einordnen und Erklärungsansätze nachvollziehen zu können. Indikatoren für jene strukturellen und kulturellen Tatbestände, aus denen ein Kontext erwächst, sind Lebenszufriedenheit, kommunale Beteiligungsmöglichkeiten, Vertrauen in die kommunale Politik und Verwaltung sowie die konkrete Beurteilung von Beteiligungsmöglichkeiten (Einstellungsdimension). Von den soziodemografischen Kontextfaktoren werden die Konfessionsverteilung, Anteile an Personen mit Migrationshintergrund, siedlungsstrukturelle Kreistypen und Gemeindegrößen, ergänzt durch eine engagementstützende Infrastruktur (Einrichtungen), herangezogen.

Im Anschluss an das Kontextkapitel werden die Ergebnisse in einer Kurzzusammenfassung nochmals konzentriert dargestellt (Kap. 6). Für einen genauen Überblick der Verteilung und Ausgestaltung, der Zusammenhänge und Einflussfaktoren der einzelnen Bundesländer werden in Kap. 6 die Länderprofile für alle Bundesländer (außer Bremen) nochmals detailliert aufbereitet und in den Bericht integriert. Diese Länderprofile enthalten Informationen zur Verteilung der abhängigen Variablen, wobei das betreffende Bundesland stets im Verhältnis zu den übrigen Bundesländern dargestellt wird. Die Darstellung umfasst die jeweiligen Zeitverläufe von Aktivität und Engagement, die Verteilung aller 14 Engagementbereiche (aktiv/engagiert), die bekundeten Adressatinnen und Adressaten freiwilliger Tätigkeit, ferner die anteilig unterschiedlichen Engagementformen im Ost-West-Vergleich und bundesweit, die wahrgenommenen Verbesserungsbedarfe (Organisation/Staat) sowie die Verteilung gemäß den Differenzierungskriterien (Geschlecht, Alter, Bildung, Einkommen, Erwerbsstatus, Konfession, Kinder im Haushalt, Migrationserfahrung) für alle Engagementformen.

Ein noch weiter differenziertes vergleichendes Bild bietet in Kap. 7 eine Tabellenübersicht, welche die 5 Formen von Engagement sowie die Gründe für dessen Beendigung und ein Nichtengagement in Abhängigkeit von Geschlecht, 6 Altersgruppen, Schulbildung, 5 Einkommensgruppen, Erwerbsstatus, Kindern im Haushalt, Religion, Migrationserfahrung, Kreistypus und Gemeindegröße darstellt und nach Bundesländern und Gesamtdeutschland abbildet.

Im Folgenden wird vor dem Eintritt in die ländervergleichende Darstellung kurz das Erhebungsinstrument vorgestellt. Aus Gründen der Übersichtlichkeit beschränken wir uns auf die für den Bericht grundlegenden Variablen, nämlich öffentlich gemeinschaftliche Aktivitäten, freiwilliges Engagement, Bereitschaft für ein zukünftiges Engagement, Spendenaktivität (Geld) und Mitgliedschaft in Vereinen und gemeinnützigen Organisationen.

2.1 Die verschiedenen Indikatoren und Erscheinungsformen zivilgesellschaftlichen Handelns im Länderbericht

Im Freiwilligensurvey werden verschiedene Erscheinungsformen, -potenziale und Möglichkeiten zivilgesellschaftlichen Handelns betrachtet. Im Rahmen des hier vorgelegten Länderberichts liegt das Hauptaugenmerk auf den folgenden 5 Erscheinungsformen:

  • öffentlich gemeinschaftliche Aktivitäten

  • freiwilliges Engagement

  • Bereitschaft zur Aufnahme eines Engagements

  • Spendentätigkeit (Geld gespendet im letzten Jahr)

  • Mitgliedschaft in Vereinen oder einer gemeinnützigen Organisationen

Öffentlich gemeinschaftliche Aktivitäten:

Ob eine Person öffentlich gemeinschaftlich aktiv ist, wurde im FWS 2019 mit folgender Fragestellung gemessen (1. Stufe):

„Es gibt vielfältige Möglichkeiten, außerhalb von Beruf und Familie irgendwo mitzumachen, beispielsweise in einem Verein, einer Initiative, einem Projekt oder einer Selbsthilfegruppe. Ich nenne Ihnen verschiedene Bereiche, die dafür in Frage kommen. Wenn Sie an die letzten 12 Monate denken: Haben Sie sich in einem oder mehreren dieser Bereiche aktiv beteiligt… Sind Sie oder waren Sie irgendwo aktiv…“

Anschließend wurden den Befragten folgende 14 Bereiche aufgezählt, in welchen die Befragten ihre (potentielle) Aktivität mit Ja oder Nein verorten konnten:

  1. 1.

    Sport und Bewegung, zum Beispiel in einem Sportverein oder in einer Bewegungsgruppe,

  2. 2.

    Kultur und Musik, zum Beispiel in einer Theater- oder Musikgruppe, einem Chor, einer kulturellen Vereinigung oder einem Förderverein,

  3. 3.

    sozialer Bereich, zum Beispiel in einem Wohlfahrtsverband oder einer anderen Hilfsorganisation, in der Nachbarschaftshilfe oder einer Selbsthilfegruppe,

  4. 4.

    Freizeit und Geselligkeit, zum Beispiel in einem Kleingartenverein oder einem Spieletreff,

  5. 5.

    Schule oder Kindergarten, zum Beispiel in der Elternvertretung, der Schülervertretung oder einem Förderverein,

  6. 6.

    berufliche Interessenvertretung (extern),

  7. 7.

    außerschulische Jugendarbeit oder Bildungsarbeit für Erwachsene, zum Beispiel Betreuung von Kinder- und Jugendgruppen oder Durchführung von Bildungsveranstaltungen,

  8. 8.

    Umwelt, Naturschutz, Tierschutz, zum Beispiel in einem entsprechenden Verband oder Projekt,

  9. 9.

    kirchlicher beziehungsweise religiöser Bereich, zum Beispiel in der Kirchengemeinde, einer religiösen Organisation oder Gemeinschaft,

  10. 10.

    Politik und politische Interessenvertretung, zum Beispiel in einer Partei, im Gemeinderat oder Stadtrat, in politischen Initiativen oder Solidaritätsprojekten,

  11. 11.

    Gesundheitsbereich, zum Beispiel als Helferin oder Helfer in der Krankenpflege oder bei Besuchsdiensten, in einem Verband oder einer Selbsthilfegruppe,

  12. 12.

    Unfall- oder Rettungsdienst, Freiwillige Feuerwehr,

  13. 13.

    Justiz und Kriminalität, zum Beispiel als Schöffin beziehungsweise Schöffe oder als Ehrenrichterin oder Ehrenrichter, in der Betreuung von Straffälligen oder Verbrechensopfern,

  14. 14.

    Sonstiges, zum Beispiel in Bürgerinitiativen oder Arbeitskreisen zur Orts- und Verkehrsentwicklung, aber auch in Bürgerclubs und anderen in der Umfrage nicht aufgeführten Initiativen.

Wenn die befragte Person angab, sich in einem oder mehreren dieser Bereiche in den letzten 12 Monaten beteiligt zu haben, gilt sie als aktiv. Die Schwelle für öffentlich gemeinschaftliche Aktivität liegt damit unterhalb jener des freiwilligen Engagements. Öffentlich gemeinschaftliche Aktivität kann aber Anschlussmöglichkeiten zum freiwilligen Engagement hin bieten (vgl. auch Abb. 2.1).

Abb. 2.1
figure 1

Verschiedene Erscheinungsformen zivilgesellschaftlichen Handelns und ihre Abhängigkeiten untereinander

Abb. 2.2
figure 2

(Quellen: Eigene Abbildung und Berechnung, Grundlage: FWS-Datensätze/DZA-Methodenbericht.)

Fallzahlen im Vergleich der 16 Bundesländer seit 1999.

Freiwilliges Engagement:

Sofern eine Person in mindestens einem Bereich eine öffentlich gemeinschaftliche Aktivität angegeben hatte, folgte anschließend die Frage nach freiwillig übernommenen Aufgaben oder Arbeiten in diesem oder diesen Bereichen (2. Stufe).

Die Fragestellung lautete:

„Uns interessiert nun, ob Sie in den Bereichen, in denen Sie aktiv sind, auch ehrenamtliche Tätigkeiten ausüben oder in Vereinen, Initiativen, Projekten oder Selbsthilfegruppen engagiert sind. Es geht um freiwillig übernommene Aufgaben und Arbeiten, die man unbezahlt oder gegen geringe Aufwandsentschädigung ausübt. […] Wenn Sie an die letzten 12 Monate denken: Haben Sie in diesem Bereich auch Aufgaben oder Arbeiten übernommen, die Sie freiwillig oder ehrenamtlich ausüben?“

Im Rahmen des Freiwilligensurveys fallen unter freiwilliges Engagement also Tätigkeiten, die freiwillig und gemeinschaftsbezogen ausgeübt werden, im öffentlichen Raum stattfinden und nicht auf materiellen Gewinn ausgerichtet sind.

Bereitschaft zur Aufnahme eines Engagements:

Wer zurzeit nicht oder nicht mehr engagiert ist, aber darüber nachdenkt, in Zukunft eventuell oder sicher ein freiwilliges Engagement aufzunehmen, wird im Rahmen der Studie als engagementbereit eingeordnet. Die Engagementbereitschaft stellt gewissermaßen das ungenutzte Potenzial freiwilligen Engagements dar. Im Wortlaut wurde gefragt:

„Wären Sie bereit, sich zukünftig zu engagieren und freiwillig oder ehrenamtlich Aufgaben zu übernehmen? Würden Sie sagen: ‚Ja, sicher‘, ‚ja, vielleicht‘ oder ‚nein‘?“

Dabei werden die Antworten Ja, sicher und ja, vielleicht summiert als Bereitschaft gerechnet. Bei dem Indikator der Bereitschaft, sich zukünftig zu engagieren, handelt es sich somit nicht um eine Form von Engagement, sondern um das Engagementpotenzial.

Spendentätigkeit (Geld gespendet im letzten Jahr):

Die Spendentätigkeit (Geld) im letzten Jahr vor der Befragung wurde über die folgende Frage gemessen:

„Wir haben nun die meisten Fragen besprochen. Ich habe jetzt noch ein paar weitere Fragen, die ich Ihnen gerne stellen möchte. Manche Menschen leisten gelegentlich oder regelmäßig Geldspenden für soziale oder gemeinnützige Zwecke. Haben Sie in den letzten 12 Monaten solche Spenden geleistet?“

Das Spenden stellt unter den hier vorgestellten Erscheinungsformen zivilgesellschaftlichen Handelns eine besondere Form dar, da es auch gänzlich ohne soziale Kontakte auskommt und eine vergleichsweise niedrigschwellige MöglichkeitFootnote 2 einer sozial ausgerichteten Beteiligung bietet. Zudem kann eine Spende mittlerweile fast ausnahmslos ortsunabhängig erfolgen. Spenden werden in der Regel für bestimmte Zwecke direkt eingesetzt.

Mitgliedschaft in einem Verein oder einer gemeinnützigen Organisation:

Die Mitgliedschaft in einem Verein oder einer gemeinnützigen Organisation kann als eine gute Voraussetzung für ein weiterführendes freiwilliges Engagement angesehen werden. Über Vereins- oder Organisationsmitgliedschaft eröffnet sich dafür eine Vielzahl von Möglichkeiten und Gelegenheitsstrukturen, zum Beispiel durch Übernahme von Verantwortung. Der Fragewortlaut war:

„Sind Sie Mitglied in einem Verein oder einer gemeinnützigen Organisation?“

In der folgenden Abbildung ist das für den Länderbericht als Grundlage dienende Beziehungsmuster dieser Erscheinungsformen zivilgesellschaftlichen Handelns untereinander grafisch dargestellt. Dabei ist zu beachten, dass sich die einzelnen Formen wechselseitig verstärken können. Die Intensität, mit welcher das geschieht, ist den Korrelationen unter der Abbildung zu entnehmen. Diese tendieren gegen + 1, wenn ein vollständig positiver Zusammenhang besteht, und sie nehmen den Wert 0 an, wenn keine Beziehung zwischen den Konstrukten existiert. Bei einer negativen Abhängigkeit ändert sich das Vorzeichen in ein Minus.

Am Beispiel von Aktivität und Engagement ist der abgebildete Wert von + 0,582 wie folgt zu interpretieren: Gemeinschaftlich öffentliche Aktivitäten und die Ausübung freiwilligen Engagements hängen stark miteinander zusammen. Das heißt, wenn eine Person aktiv ist, steigt die Wahrscheinlichkeit eines Engagements stark an. Aufgrund der Erhebungsform im FWS kann dieser Zusammenhang auch kausal interpretiert werden, das heißt, Aktivität führt zu Engagement und nicht andersherum, was im Umkehrschluss bedeutet: Jede engagierte Person ist auch aktiv, aber nicht jede aktive Person ist auch ehrenamtlich engagiert.

Bei den anderen in den Bericht aufgenommenen Erscheinungsformen zivilgesellschaftlichen Handelns ist dies nicht der Fall. So kann beispielsweise nicht klar festgestellt werden, ob ein ausgeprägtes Spendenverhalten Vereinsmitgliedschaften befördert und vice versa. Immerhin kann dargestellt werden, wie stark die Indikatoren von Engagement miteinander korrelieren (vgl. Abb. 2.1).

Korrelationskoeffizient Pearson’s R von − 1 bis + 1

Aktivitäten

Engagement°

Engagement-

bereitschaft

Spendentätigkeit

Mitgliedschaft in V. und Org

Aktivität

1

,582**

,097**

,170**

,429**

Engagement

1

#

,139**

,450**

Engagement

bereitschaft

1

− 0,20*

,010

Spende

1

,159**

Mitgliedschaft in Verein

1

  1. ° Freiwilliges Engagement wird aus öffentlich gemeinschaftlicher Aktivität generiert (vgl. die Ausführungen im vorigen Abschnitt). Folglich fällt dieser Zusammenhang sehr hoch aus.
  2. # Engagementbereitschaft wird nur für Nichtengagierte erhoben, folglich kann für Engagement und Engagementbereitschaft kein Zusammenhang ausgewiesen werden.
  3. ** Korrelationen sind auf einem Niveau von ≤  1 % signifikant, * ≤  5 %.

Für den Freiwilligensurvey 2019 wurde erstmals eine neue, die individuelle Bildung der Befragten berücksichtigende Gewichtung vorgenommen. In Anbetracht des viel diskutierten Für und Widers der Einführung einer nachträglichen Gewichtung in eine als Längsschnitt angelegte Studie sei hier auf die Ausführungen des DZA verwiesen. Die vorliegende Auswertung des Fünften Deutschen Freiwilligensurveys verwendet ebenfalls die aktuelle Gewichtung des DZA:

„Erstmals werden die Ergebnisse für alle Erhebungswellen des Freiwilligensurveys nach Bildung gewichtet dargestellt. Dies ist notwendig, da Menschen mit höherer Bildung in Befragungsstudien häufig stärker vertreten sind, als es ihrem Anteil an der Bevölkerung entspricht, und sie gleichzeitig zu größeren Anteilen freiwillig engagiert sind als Menschen mit niedriger oder mittlerer Bildung. Die nun durchgängig nach Bildung gewichteten Ergebnisse repräsentieren die Verhältnisse in der Bevölkerung angemessener als bisher. Die Engagementquoten fallen für alle Erhebungswellen nach der jetzigen Gewichtung um drei bis vier Prozentpunkte geringer aus als die bislang ohne diese Gewichtung berechneten Quoten. Bei der Betrachtung der Engagementquoten über die Zeit ändert sich somit das Niveau, der Trend des Anstiegs der Engagementquote über die letzten zwanzig Jahre bleibt jedoch im Wesent lichen bestehen.“ (Simonson et al. 2021a, S. 10 f.)

Die Gewichtung nach Bildung in den Daten des Freiwilligensurveys dient also dazu, ein weniger verzerrtes Bild des freiwilligen Engagements der Bevölkerung zu erhalten. Nachgewiesen ist, dass in Bevölkerungsumfragen Personen mit höherer Bildung in der Regel antwortbereiter und deshalb überrepräsentiert sind, während bei Befragten mit niedriger Bildung überproportionale Antwortausfälle verzeichnet werden. Daher werden erstere Personen geringer und letztere stärker gewichtet. Ohne die Berücksichtigung des Faktors Bildung bei der Gewichtung wären die Engagementquoten verzerrt und würden folglich überschätzt.Footnote 3

Bevor im Anschluss die Auswertung der Daten präsentiert wird, sei noch kurz auf ein grundsätzliches Problem von Erhebungsdaten hingewiesen, welche implizit ein Verhalten messen möchten (vgl. Tab. 2.1). In der Regel kann mit Befragungen nur herausgefunden werden, welche Voraussetzungen bei den Probandinnen und Probanden für bestimmte Verhaltensweisen vorhanden sind. So kann das ‚zu untersuchende Verhalten‘ mehr oder weniger genau vorhergesagt werden. Im Fall des freiwilligen Engagements wären das beispielsweise das Wissen (kognitive Komponente) über, die Bewertung oder Einstellung (evaluative Komponente) zum freiwilligen Engagement und der Wille oder die Bereitschaft dazu (konative Komponente). Das tatsächliche Verhalten kann durch Befragung nicht erhoben, sondern nur als Eintrittswahrscheinlichkeit eingeschätzt werden. Dabei wird die Kluft zwischen Einstellung und Verhalten vor allem durch die ‚Kosten‘ determiniert. Diese können beispielsweise durch zeitlichen Aufwand oder auch finanzielle Aufwendungen entstehen. Hierbei gilt: Je höher die Kosten, desto größer die Lücke zwischen Einstellung und Verhalten.

Tab. 2.1 Problematik bei der Messung von Einstellungen und tatsächlichem Verhalten

Eine weitere Problematik bei der Vorhersage beziehungsweise Messung von berichtetem Verhalten auf der Basis von Befragungsdaten ist struktureller Natur. Es besteht immer ein gewisses Maß an Unsicherheit bezüglich der tatsächlichen Aussagekraft der Ergebnisse. Dieses Unsicherheitsmaß ist stets dann besonders groß, wenn ein als sozial erwünscht konnotiertes Verhalten abgefragt wird, wie beispielsweise die Beteiligung an allgemeinen Wahlen. Deshalb überschätzen Umfragen in der Regel die tatsächliche Wahlbeteiligung deutlich.Footnote 4 Bei der Messung freiwilligen Engagements kann davon ausgegangen werden, dass der tatsächliche Wert ebenfalls leicht überschätzt wird, da auch hier nach einem sozial eher erwünschten Verhalten gefragt wird.Footnote 5 Eine erste Korrektur wird zweifelsfrei mit der Berücksichtigung des Faktors Bildung bei der Gewichtung der Daten vorgenommen. Diese Gewichtung beeinflusst aber nicht die Effekte des Faktors sozial erwünschtes Verhalten. Eine mögliche Verbesserung der Aussagekraft verheißt die Berücksichtigung der in Tab. 1 dargestellten Einstellungsdimensionen bei der Planung und Erstellung des Erhebungsinstrumentes.

Im Folgenden kommen wir zu den Stichproben- und Fallzahlen für die einzelnen Bundesländer, diese haben sich im Fortgang des FWS kontinuierlich verändert. In der folgenden Abbildung sind die unterschiedlichen Entwicklungen zusammenfassend dargestellt.

Mit der Auswertung beginnend starten wir im nachfolgenden Kap. 3 zunächst rein deskriptiv dargestellt mit einer Betrachtung von landesspezifischen Ausprägungen der unterschiedlichen Erscheinungsformen zivilgesellschaftlichen Handelns auf der Datenbasis des deutschen Freiwilligensurveys 2019. Zudem werden die jeweiligen Zeitverläufe über alle Bundesländer hinweg betrachtet und analysiert.