5.1 Analytische Erschließung des Untersuchungsfelds

Dem folgenden Teilkapitel liegt die Annahme zugrunde, dass es die – in der Literatur so apostrophierten – Kontextbedingungen sind, die politisches und soziales Verhalten von Einzelpersonen und sozialen Gruppen wesentlich bestimmen, und hierbei insbesondere auch freiwilliges Engagement. In den vorangegangenen Kapiteln 3 und 4 wurden mittels Zusammenhangsanalysen bereits die Verbindungslinien zwischen ausgewählten Variablen, die auch einen kontextuellen Bezug aufweisen, und den Formen zivilgesellschaftlichen Handelns sichtbar gemacht.

Im folgenden Kapitel wird zusätzlich die Erkenntnis aufgenommen, dass Kontexte vor allem als Effekte des näheren Lebensumfelds verhaltenswirksam werden. Ihre Prägekraft, die von Raum zu Raum variieren kann, erhalten die Umfelder der Menschen zum einen durch strukturelle Eigenheiten, wie zum Beispiel Siedlungsstruktur, Wirtschaftskraft, Versorgungsgrad mit öffentlichen Gütern oder Mobilitätsangebote. Zum anderen entspringt sie gehäuften beziehungsweise verdichteten soziodemografischen Merkmalen dort lebender Personen, wie zum Beispiel Altersschichtung, Generationenzugehörigkeit, Bildungsniveau, Stellung im Beruf und Einkommensverteilung. In Kontexten formen sich drittens kulturelle Orientierungen aus, die als Einstellungen und Werthaltungen messbar werden; solche Orientierungen nehmen im Alltag als gelebte soziale Beziehungen praktische Gestalt an (vgl. Heyme et al. 2018; Holtmann 2019).

In den Erfahrungsräumen der lokalen Lebensumfelder entwickelt, festigt oder verringert sich auch freiwilliges Engagement. Folgerichtig wurde in den Länderbericht zum Deutschen Freiwilligensurvey 2014 auch der Hinweis auf die bedeutsame Rolle regionaler Kontexte und ihrer Gegebenheiten aufgenommen und dahingehend begründet, „weil sich Menschen in der Regel dort engagieren, wo sie leben oder arbeiten“ (DZA 2016, S. 8). Erwähnung fanden in dem Vorgängerbericht von 2016 strukturelle Faktoren wie die Altersstruktur und Bevölkerungsdichte, die durch Präsenz und Vielfalt zivilgesellschaftlicher Organisationen gegebenen Gelegenheitsstrukturen, ferner die Güte der Infrastruktur, die wirtschaftliche Stärke beziehungsweise Schwäche von Regionen sowie die Schlüsselrolle, die Ländern, Kreisen und Gemeinden für die Bereitstellung der Rahmenbedingungen für freiwilliges Engagement zukommt (vgl. ebd., S. 8–9).

Ausführlich arbeitet eine 2017 erschienene empirische Studie kontextbedingte Unterschiede heraus, in welcher auf der Basis von Daten des Sozioökonomischen Panels (SOEP) die langfristige Entwicklung des freiwilligen Engagements seit 1990 untersucht wird. In ländlichen Regionen und insbesondere in kleinen Gemeinden sind demzufolge die Anteile der Engagierten höher. Andererseits halten sich Generationeneffekte demnach in Grenzen. Denn mit dem Renteneintritt scheint sich – mit Ausnahme einer einzigen Generation – das freiwillige Engagement nicht signifikant zu verändern (vgl. Burkhardt 2019; Burkhardt und Schupp 2019).

Eine im Jahr 2018 veröffentlichte, umfragebasierte Analyse lokaler Erscheinungsformen von Engagementkultur kam zu dem Befund, dass die tatsächliche Ausprägung und die vorhandenen Potenziale zivilgesellschaftlichen Engagements auf örtlicher Ebene nach den Strukturen kommunaler Umfelder variieren – je nachdem, ob es sich typischerweise um angespannte, wirtschaftlich starke, abgelegene, alternde oder zentrumsnahe Gemeinden handelt (vgl. Heyme et al. 2018, S. 107–156).

Nachstehend werden Kontextfaktoren betrachtet, welche anders als allgemeine Indikatoren wie etwa Alter oder Geschlecht zu den kennzeichnenden Merkmalen des sozialräumlichen Umfelds der Menschen zählen. Bevor diese nach ihren Kontextbezügen ausgewählten strukturellen und soziodemografischen Hintergründe von Engagement dargestellt werden, wird zunächst auf solche Kontexteffekte eingegangen, die sich auf der Einstellungsebene wiederspiegeln. Hierbei wird bewusst eine analytische Verengung vorgenommen. Der Fokus liegt hier auf solchen Einstellungen, die sich im öffentlichen Raum kleinräumiger Lebenswelten reproduzieren. Konkret wird folgenden Fragen nachgegangen: Welches Maß an generalisiertem Vertrauen bringt die Bevölkerung der kommunalen Politik und Verwaltung entgegen? Und: Wie werden jene Kontakt- und Beteiligungsmöglichkeiten wahrgenommen und bewertet, die seitens der kommunalen Institutionen auf der lokalen Ebene angeboten beziehungsweise bereitgestellt werden? Diese auf das lokale Umfeld bezogenen Einstellungsdimensionen erscheinen dazu geeignet, mögliche Kontexteffekte des politisch-administrativen Sektors, der ja eine wichtige und unmittelbare Bezugsgröße für freiwilliges Engagement ist, zu überprüfen.

5.2 Kontexteffekte auf der Einstellungsebene: methodisches Vorgehen

Zur Kontrolle angenommener Kontexteffekte auf der Einstellungsebene werden im Folgenden Daten einer repräsentativen Bevölkerungsumfrage herangezogen, die vom Institut info (Berlin) von Ende August bis Mitte September 2020 deutschlandweit durchgeführt wurde. Dieser Datenbestand erscheint deshalb als passfähig für den FWS-Länderbericht 2019, weil mit ihm eine der wenigen Bevölkerungsumfragen jüngeren Datums vorliegt, bei welcher die Antworten auch nach Bundesländern aufgeschlüsselt sind. So können zu ausgewählten politischen Einstellungen, für die ein zumindest mittelbarer Zusammenhang mit bürgerschaftlichem Engagement angenommen werden kann, länderspezifische Zusatzinformationen gewonnen werden.

Herangezogen wurden hier folgende 4 Variablen der info-Erhebung, welche vorgängig darauf schließen lassen, dass sie als Kontextbedingungen für Engagement eine Rolle spielen:

  • Lebenszufriedenheit

  • Bewertung der lokalen Möglichkeiten von Bürgerpartizipation

  • Vertrauen in Kommunalpolitikerinnen und -politiker

  • Vertrauen in die öffentliche Verwaltung

In einem ersten Schritt werden diese 4 Variablen einzeln in ihrer Länderverteilung dargestellt, unterteilt nach positiven und negativen Bewertungen. Die sich dabei jeweils ergebende Rangfolge der Länder wird sodann zu den länderspezifischen Engagementquoten der Daten des Deutschen Freiwilligensurveys 2019 in Beziehung gesetzt. Da die bekundete Lebenszufriedenheit – jedenfalls bis zum Beginn der Coronapandemie – generell hoch ausfällt und ihre Varianz über die Länder hinweg gering ist, wird in einem weiteren Schritt aus den 3 im engeren Sinne lokalbezogenen Variablen für jedes Bundesland ein additiver Kontextindex gebildet. Diesen Indizes werden wiederum die für die Länder ermittelten Engagementquoten des FWS 2019 gegenübergestellt.

Im zweiten Schritt werden ausgewählte sozialstrukturelle Merkmale (Religionszugehörigkeit, Migriertenanteil) sowie raumbezogene Indikatoren (engagementunterstützende Einrichtungen, Kreistypen ländlich/städtisch, Ortsgröße je Bundesland) zu den Engagementquoten der Bundesländer in Beziehung gesetzt.

Auf dieser Grundlage wird die Ausgangsfrage nach Kontexteffekten freiwilligen Engagements einer zusammenfassenden Einschätzung unterzogen.

5.3 Empirische Befunde auf der Einstellungsebene

5.3.1 Lebenszufriedenheit

Die generelle Lebenszufriedenheit ist bis zu den Wellen der Coronapandemie deutschlandweit hoch ausgeprägt (vgl. Unzicker und Boehnke 2019). Die Spanne zwischen der regional höchsten (gut 84 % in Rheinland-Pfalz) und geringsten positiven Bewertung (rund 78 % in Thüringen) fällt mit gut 6 Prozentpunkten bundesweit vergleichsweise gering aus. Rheinland-Pfalz, das hier die günstigste Benotung vorweisen kann, liegt auch im FWS 2019 bei freiwilligem Engagement in der Spitzengruppe, nämlich auf Platz 3. Andererseits rangiert Thüringen, welches die relativ geringste Lebenszufriedenheit aufweist, bei der Engagementquote mit Rangplatz 7 dicht hinter Rheinland-Pfalz. Eine eindeutige Konvergenz von Lebenszufriedenheit und Engagement lässt sich folglich nicht feststellen. Eine klare Ost-West-Scheidelinie ist bei diesem Datenvergleich ebenfalls nicht erkennbar (vgl. Tab. 5.1).

Tab. 5.1 Zufriedenheit mit dem Leben insgesamtFootnote

Für diese und die folgenden Tab. 10 bis 16 werden zur Identifizierung der Bundesländer die offiziellen Länderkürzel verwendet (vgl. https://www.destatis.de/DE/Methoden/abkuerzung-bundeslaender-DE-EN.html, abgerufen am 27.04.2022).

5.3.2 Kommunale Beteiligung und Mitsprache

Im Unterschied zur regional nur gering variierenden allgemeinen Lebenszufriedenheit weisen sowohl die gute als auch die schlechte Bewertung der Beteiligungs- und Mitsprachemöglichkeiten vor Ort nach Bundesländern eine deutlichere Schwankungsbreite auf. Die maximale Differenz bei positiver Benotung beträgt rund 19 Prozentpunkte (zwischen Bayern und Berlin), bei negativer Benotung sind es 14,2 Prozentpunkte (zwischen Baden-Württemberg und Sachsen-Anhalt).

Unterdurchschnittlich gut benotet werden die kommunalen Beteiligungs- und Mitsprachemöglichkeiten in den 3 Stadtstaaten, was vermutlich der höheren Komplexität großstädtischer Probleme und Bedarfslagen sowie einem in urbanen Gesellschaften stärker ausgeprägten Partizipationsanspruch und Verlangen nach Responsivität geschuldet ist. Auch in allen ostdeutschen Flächenländern liegt die Bewertung unter dem Bundesdurchschnitt, wobei ihn Brandenburg und Sachsen allerdings nur geringfügig unterschreiten (vgl. Tab. 5.2). Bei schlechter Benotung ergibt sich ein etwas anderes regionales Verteilungsbild: Von den 3 Stadtstaaten liegt nur Berlin im oberen Drittel. Von den ostdeutschen Flächenstaaten liegt hierbei lediglich Sachsen leicht unter dem negativen Durchschnittswert.

Tab. 5.2 Beteiligungs- und Mitsprachemöglichkeiten der Bürgerinnen und Bürger im kommunalen Bereich (auf Gemeinde- bzw. Stadtteilebene)

Im Gesamtbild der Reihung zeigt sich ein deutliches West-Ost-Gefälle (vgl. Tab. 5.3). Bei positiver Bewertung kommunaler Beteiligung und Mitsprache nehmen westdeutsche Länder die ersten 7 Plätze ein. Bei negativer Benotung rangieren ostdeutsche Länder auf den Plätzen 1 bis 5. Das entspricht tendenziell der Länderplatzierung bei den im Freiwilligensurvey 2019 ermittelten Engagementquoten, wo die ostdeutschen Länder – mit Ausnahme Thüringens – in der unteren Hälfte rangieren.

Tab. 5.3 Länderrangfolge bei Bewertung von kommunaler Beteiligung

5.3.3 Vertrauen in die kommunalen Akteurinnen und Akteure

Insgesamt ist das Vertrauen in die kommunalpolitischen Akteurinnen und Akteure hoch (vgl. Tab. 5.4). Gleichwohl weist die Bandbreite sowohl hohen als auch geringen Vertrauens zwischen den Bundesländern deutliche Schwankungen auf. So beträgt die maximale Differenz bei der ein Vertrauen positiv bekundenden Benotung 19 Prozentpunkte (45 % gut in Berlin gegenüber 64 % gut in Niedersachsen). Bei der Bejahung von Vertrauensdefiziten sind es gut 13 Prozentpunkte (rund 32 % für Berlin gegenüber 19 % in Niedersachsen).

Tab. 5.4 Vertrauen in die kommunalpolitischen Akteurinnen und Akteure in Stadt/Gemeinde

Unterdurchschnittlich positive Vertrauenszuweisungen in Kommunalpolitikerinnen und -politiker verzeichnen mit Ausnahme Mecklenburg-Vorpommerns die ostdeutschen Flächenländer, aber auch 5 westdeutsche Flächenländer sowie die 3 Stadtstaaten. Die größte Vertrauenslücke klafft in Berlin, und dies sowohl bei erklärter Zuweisung wie dezidierter Versagung von Vertrauen. Allerdings lassen die Daten im Falle Berlins keine klare Abgrenzung zwischen der Landesebene und der im engeren Sinne kommunalen Ebene der Bezirke zu. In Niedersachsen wird der Kommunalpolitik das meiste Vertrauen entgegengebracht.

Im regionsübergreifenden Gesamtbild zeigt sich hier ein teilweise ‚durchbrochenes‘ West-Ost-Gefälle (vgl. Tab. 5.5). Fasst man die Kategorien Vertrauen und Nichtvertrauen jeweils zusammen, weist die Ländertrias Niedersachsen, Baden-Württemberg und Bayern die besten Vertrauenswerte auf; auch Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen liegen im oberen Länderdrittel. Ein klar positiver oder negativer Zusammenhang von kommunalem Vertrauenskapital und den im FWS 2019 gemessenen Engagementquoten der Länder ist nicht nachweisbar.

Tab. 5.5 Länderrangfolge bei Vertrauen in kommunalpolitische Akteurinnen und Akteure

5.3.4 Verwaltungsvertrauen

Das Verwaltungsvertrauen fällt im Allgemeinen höher aus als das Vertrauen in politische Akteurinnen und Akteure (vgl. Gabriel und Neller 2010, S. 105–106; Gabriel und Holtmann 2015, S. 165). Die in Tab. 15 abgetragenen Länderdaten der info-Erhebung 2020 bestätigen einmal mehr den regelmäßig wiederkehrenden empirischen Befund, dass den im engeren Sinne (partei-)politischen Institutionen weniger vertraut wird als den sogenannten rechtsstaatlichen Institutionen, welchen auch die Verwaltung zugerechnet wird. Bei letzteren Institutionen wird traditionell ein neutrales, das heißt unparteiisches Sachhandeln vermutet. Auch wenn bei den hier herangezogenen Daten nicht zwischen Verwaltungsebenen unterschieden wird: Da Verwaltungsstellen und ihre Bediensteten vorrangig als Ansprech- und Kontaktpersonen für bürgerschaftliches beziehungsweise freiwilliges Engagement fungieren, ist Verwaltungsvertrauen ein Indikator für günstige beziehungsweise weniger günstige Rahmenbedingungen für bürgerschaftliches Engagement.

Die Bandbreite sowohl hohen als auch geringen Vertrauens in die Akteurinnen und Akteure der öffentlichen Verwaltung weist zwischen den Bundesländern deutliche Schwankungen auf (vgl. Tab. 5.6). Die maximale Differenz beim Grad des bekundeten Vertrauens beträgt rund 23 Prozentpunkte (bei vertraue zwischen 48 % für Berlin und über 71 % für Niedersachsen). Bei der Ausprägung von Vertrauensdefiziten sind es rund 20 Prozentpunkte (zwischen knapp 33 % für Berlin und annähernd 13 % für Niedersachsen).

Tab. 5.6 Vertrauen in die Akteurinnen und Akteure der öffentlichen Verwaltung

Unterdurchschnittlich positive Vertrauenszuweisungen in Kommunalpolitikerinnen und -politiker verzeichnen, wiederum mit Ausnahme Mecklenburg-Vorpommerns, die ostdeutschen Flächenländer. Ebenso verhält es sich unter den westdeutschen Flächenländern bei Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen, ferner bei 2 von 3 Stadtstaaten, nämlich Hamburg und Berlin (vgl. Tab. 5.7). Am größten fällt auch bei diesem Konfidenzwert das Vertrauensdefizit für Berlin aus, und dies sowohl in der erklärten Zuweisung als auch in der dezidierten Versagung von Vertrauen. Abermals wird der Kommunalpolitik Niedersachsens von den Bewohnerinnen und Bewohnern des Bundeslands in beiden Benotungskategorien der beste Vertrauensbonus gewährt. Wie ein Datenvergleich zeigt, weisen die kommunal bezogenen Vertrauensraten und die Engagementquoten beim linearen Trendverlauf für die Länder tendenziell in die gleiche Richtung (vgl. Abb. 5.1 und Abb. 5.2): Höheres Vertrauen korrespondiert mit höherem Engagement, geringeres Vertrauen mit geringerem Engagement.

Tab. 5.7 Länderrangfolge bei Verwaltungsvertrauen
Abb. 5.1
figure 1

(Quelle: Eigene Berechnungen, Grundlage: FWS 2019 und info-Erhebung 2020.)

Beurteilung der Beteiligungs- und Mitsprachemöglichkeiten der Bürgerinnen und Bürger im kommunalen Bereich (gut und sehr gut in %).

Abb. 5.2
figure 2

(Quelle: Eigene Berechnungen, Grundlage: FWS 2019 und info-Erhebung 2020.)

Beurteilung der Beteiligungs- und Mitsprachemöglichkeiten der Bürgerinnen und Bürger im kommunalen Bereich (schlecht und sehr schlecht in %).

5.3.5 Kontextindizes und Engagementquoten nach Bundesländern

Im nächsten Schritt werden aus den zunächst einzeln vorgestellten 3 lokalbezogenen kontextuellen Einstellungsvariablen additive Kontextindizes gebildet und nach Bundesländern gruppiert. Dafür wurden die pro Variable ermittelten Länderdaten jeweils in 3 Terzile aufgeteilt (oberes Terzil = Wert 3, mittleres Terzil = Wert 2, unteres Terzil = Wert 1) und die entsprechenden 3 Länder-Teilwerte zusammengezählt. In den beiden nachfolgenden Balkendiagrammen (vgl. Abb. 5.3 und Abb. 5.4) ist die entsprechend dem Ergebnis der Addition unterschiedliche Höhe der Länderbalken erkennbar. Abgebildet ist die indexierte Rangfolge der Länder, und zwar einmal nach zusammengefassten positiven Bewertungen (vgl. Abb. 5.3) und einmal nach kumulierten negativen Bewertungen (vgl. Abb. 5.4). Die durchlaufende Linie zeigt das freiwillige Engagement nach Ländern an.

Abb. 5.3
figure 3

(Quelle: Eigene Berechnungen, Grundlage: FWS 2019 und info-Erhebung 2020.)

Index aus Beteiligung und Mitsprache (gut) + verwaltungs- und kommunalpolitisches Vertrauen (vertraue) in Gegenüberstellung des freiwilligen Engagements (in %).

Abb. 5.4
figure 4

(Quelle: Eigene Berechnungen, Grundlage: FWS 2019 und info-Erhebung 2020.)

Index aus Beteiligung und Mitsprache (schlecht) + verwaltungs- und kommunalpolitisches Vertrauen (vertraue nicht) in Gegenüberstellung des freiwilligen Engagements (in %).

Bei den positiven Werten nehmen nach der Indexbildung die Länder Bayern und Niedersachsen vor Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz die Spitzenpositionen ein (Abb. 5.3). In der dann folgenden Ranggruppe befinden sich mit Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen 2 ostdeutsche Bundesländer. Am Schluss liegen Sachsen-Anhalt und Berlin. Fast spiegelbildlich ist die Platzverteilung bei den Landesindizes der negativen Einstellungen: Hier führen Berlin, Brandenburg und Sachsen-Anhalt, während Bayern und Niedersachsen die letzten Ränge belegen (vgl. Abb. 5.4).

In den beiden Abbildungen wird ebenfalls erkennbar, dass den Kontextindizes der Länder zusätzlich die länderspezifischen Engagementhäufigkeiten des Freiwilligensurvey 2019 zugeordnet werden. Es zeigt sich bei dieser vergleichenden Betrachtung ausweislich der gestrichelt dargestellten linearen Trendlinien der folgende Umstand deutlich: Eine regional positivere Perzeption lokaler Kontextfaktoren und eine regional höhere Engagementquote weisen tendenziell in die gleiche Richtung – und ebenso verhält es sich vice versa bei einer schlechteren Bewertung lokaler Kontextfaktoren und einer geringer ausfallenden Engagementquote.

Die 4 nach Kontextindex erstplatzierten Länder weisen in den Fällen der guten Bewertung mehrheitlich auch überdurchschnittliche Engagementquoten auf (vgl. Abb. 5.3). Hingegen fällt umgekehrt für alle 4 bei diesem positiven Kontextindex letztplatzierten Länder auch das Engagement unterdurchschnittlich aus. Für die negative Perzeption lokaler Kontextfaktoren (vgl. Abb. 5.4) ist dieser Zusammenhang im Einzelfall indes nicht ganz so deutlich. Hier weisen 3 der 4 erstplatzierten Länder auch eine unterdurchschnittliche Engagementquote auf, während bei immerhin 2 von 4 Ländern, die auf der Kontextindex-Skala letzte Plätze einnehmen, das Engagement über dem Durchschnitt liegt.

5.3.6 Zusammenfassende Einschätzung der Einstellungsdimension

Bei vergleichender Betrachtung treten diverse regionale Unterschiede zutage, und zwar sowohl bei der länderspezifischen Bewertung der hier ausgewählten und den Kontextfaktoren zugeordneten Einstellungsvariablen als auch bei deren Abgleich mit den Anteilen der Bundesländer am freiwilligen Engagement. Zudem wird bei einem Vergleich der auf Basis der Info-Erhebung 2020 komplexer konstruierten Kontextindizes mit den Daten des Freiwilligensurvey 2019 tendenziell eine Gleichgerichtetheit von positiver Kontexterfahrung und häufigerem Engagement erkennbar.

Die statistischen Zusammenhänge zwischen der Bewertung des politisch-administrativen Umfelds einerseits und den nach Ländern aufgeschlüsselten Daten des Freiwilligensurveys zu den Anteilen freiwilligen Engagements andererseits sind jedoch in einem Sinne nicht eindeutig: Nicht klar nachweisbar ist, dass ein größeres generelles Vertrauen in die Akteurinnen und Akteure öffentlicher Verwaltung und kommunaler Politik in Verbindung mit einer positiven Wahrnehmung lokaler Beteiligungs- und Berücksichtigungschancen generell beziehungsweise ausnahmslos mit erhöhtem Engagement einherginge (und umgekehrt).

Es zeigt sich also: Context matters, auch auf der Einstellungsebene – aber eben nicht überall in gleicher Dichte, Verbreitung und Intensität. Offenbar werden der lokale politisch-administrative Sektor einerseits und die Betätigungsfelder freiwilligen Engagements andererseits auch von vielen, möglicherweise auch freiwillig aktiven Menschen als unverbundene Bereiche wahrgenommen.

Eine solche Entkopplung öffentlicher Räume ist indes unspektakulär und sollte unseres Erachtens nicht unbesehen gleichgesetzt werden mit jener „Dichotomie von staatsnah und bürgergetragen“ (Ziviz-Survey 2017a, S. 19), die das Selbstverständnis zivilgesellschaftlicher Aktivitäten offenbar häufig kennzeichnet (vgl. ebd., ferner Ziviz-Survey 2017b). Denn zum einen dürfte die in der Literatur erwähnte dichotome Perzeption häufig Ausdruck einer organisationsbezogenen Perspektive sein, die das gesellschaftlich vorhandene Engagement und Engagementpotenzial nicht vollständig abdeckt. Und zum anderen werden offenbar Organisationen mit Bildungsbezug zahlreicher, deren Aktive sich selbst als „Akteure der politischen Willensbildung“ (Ziviz-Survey 2017a, S. 13) verstehen beziehungsweise „in der Rolle als Dienstleistungserbringer wohlfahrtsstaatlicher Leistungen“ (ebd.) sehen und Kooperation mit dem Staat befürworten. Insofern sind die hier zusätzlich herangezogenen Umfragedaten zu Kontextbezügen auch deshalb aufschlussreich, weil sie auf ein – in den Bundesländern unterschiedlich ausgeprägtes – politisch-kulturelles und sozial-kulturelles Umfeld verweisen, das insbesondere dort, wo es positiv eingeschätzt wird, für eine „Einbindung zivilgesellschaftlicher Akteure in kommunale Bildungslandschaften“ (ebd., S. 5) recht günstige Rahmenbedingungen bietet.

5.4 Soziodemografische Kontextfaktoren und freiwilliges Engagement

5.4.1 Konfessionszugehörigkeit und Engagement

Zwischen Kirchennähe und Engagement im kirchlichen beziehungsweise religiösen Bereich besteht ein klarer Zusammenhang. Je größer der Anteil an katholischen und protestantischen Personen in einem Bundesland ist, desto höher fällt, von wenigen ‚Ausreißern‘ im Länderspektrum abgesehen, auch die Rate des freiwilligen Engagements im konfessionellen Milieu aus (vgl. Abb. 5.5). Während die westdeutschen Flächenländer größere Zahlen kirchlich Gebundener und zugleich zweistellige an kirchliche Angebote angebundene Engagementraten haben, fallen demgegenüber die Stadtstaaten Hamburg und Berlin sowie die ostdeutschen Bundesländer bei diesem doppelten Zahlenvergleich deutlich ab.

Abb. 5.5
figure 5

(Quelle: Eigene Berechnungen, Grundlage: FWS 2019 und amtliche Statistiken.)

Konfessionszugehörigkeit (2018) im Land und freiwilliges Engagement (religiös bzw. kirchlich).

In dem diesbezüglich ausgeprägten Ost-West-Unterschied wirkt die vormalige deutsche Teilung nach. Die DDR hatte dem wiedervereinigten Deutschland eine „Kultur der Konfessionslosigkeit“ (Pickel 2019) als Legat hinterlassen. 1989 waren fast 70 % der ostdeutschen Bevölkerung konfessionslos, und diese Größenordnung blieb seither gewahrt (vgl. ebd.). Der daraus für freiwilliges Engagement und ebensolche Engagementbereitschaft im kirchlichen beziehungsweise religiösen Segment entspringende, doppelte Kontexteffekt lässt sich folgendermaßen beschreiben: Wenn, wie der Religionssoziologe Gert Pickel anmerkt, Säkularisierung den „sozialen Bedeutungsverlust von Religion“ anzeigt, „der sich maßgeblich in Entkirchlichungsprozessen äußert“ (ebd.), dann fällt folgerichtig zum einen ein in religiöse Sozialisation eingebundenes soziales Engagement schwächer aus; das soziale Umfeld sendet dann kaum oder gar keine religiös unterlegten normativen Impulse. Zum anderen gehen mit der institutionell schwächeren Verankerung der Kirchen und Religionsgemeinschaften weniger Angebote für kirchennahes freiwilliges Engagement einher.

Ob diese spezielle Engagementlücke in Zukunft wenn nicht geschlossen, so doch wenigstens verringert werden kann, ist schwer einzuschätzen. Einerseits ist grundsätzlich vorstellbar, dass auch kirchliche Vorfeldorganisationen, die auf bürgerschaftliches Engagement setzen, in Ostdeutschland im Zuge ihres Um- und Neuaufbaus nach 1990 stärker zweckrationale Züge ausgeformt haben – ähnlich der von Thomas Olk und Holger Backhaus-Maul beschriebenen „Modernisierung der tradierten Verbändewohlfahrt“ (Olk und Backhaus-Maul 1995, S. 199). Das könnte es säkular eingestellten Ostdeutschen mit Engagementbereitschaft unter Umständen erleichtern, im Feld konfessioneller Vereine und Verbände aktiv zu werden. Andererseits hat, wie das nachfolgende Abschn. 5.4.2 zeigt, die in einem Bundesland bestehende Dichte von ein Engagement unterstützenden Einrichtungen nur geringen Einfluss auf die regionale Engagementquote.

5.4.2 Regionale Häufigkeit und Effekt engagementstützender Einrichtungen

Das existierende Angebot engagementstützender EinrichtungenFootnote 2 variiert zahlenmäßig zwischen den Bundesländern beträchtlich. Die Spannbreite liegt zwischen 2,4 pro 100.000 Einwohnerinnen und Einwohnern in Berlin und 8,4 in Thüringen (vgl. Abb. 5.6). Hierbei ist jedoch die geringere Populationsdichte in den ostdeutschen Flächenländern zu berücksichtigen. Die hier statistisch ausgewiesene institutionalisierte Anreizwirkung für freiwilliges Engagement erreicht folglich einen entsprechend begrenzten Kreis von Adressatinnen und Adressaten. Die Engagementquoten für Thüringen (41 %) und Berlin (37 %) liegen im Übrigen nicht weit auseinander. Im Gesamtbild betrachtet ergeben sich die länderspezifischen Engagementquoten unabhängig von der Zahl der im Land jeweils vorhandenen engagementstützenden Einrichtungen.

Abb. 5.6
figure 6

(Quelle: Eigene Berechnungen, Grundlage: FWS 2019 und Generali Engagementatlas 2015.)

Ein Engagement unterstützende Einrichtungen (2015) im Land und freiwilliges Engagement.

5.4.3 Länderanteile an Migrierten und Engagement für Geflüchtete

In örtlichen Gemeinschaften stellen – zumal unfreiwillig – Zugewanderte insofern einen Kontextfaktor dar, als diese als ‚Andere‘ beziehungsweise ‚Fremde‘ empfundenen Personen seitens der eingesessenen Bevölkerung auf zweierlei Weise wahrgenommen werden können: nämlich entweder als eine positive, sprich bereichernde oder als eine negative, also bedrohliche Herausforderung. Bei Betrachtung der Daten des Freiwilligensurveys 2019 lässt sich folgende Tendenzaussage formulieren: Bewohnerinnen und Bewohner jener Bundesländer, die vergleichsweise höhere Anteile an Migrierten aufweisen, sind überwiegend auch in der freiwilligen Betreuung von Geflüchteten häufiger engagiert (vgl. Abb. 5.7). Hier treten im Ländervergleich abermals Ost-West-Unterschiede zutage. Mit einem Migriertenanteil von 5 % oder wenig darüber bilden die 5 ostdeutschen Bundesländer einen kompakten Block am unteren Ende der Skala. In 3 von ihnen ist das Engagement für Geflüchtete mit am geringsten ausgeprägt.

Abb. 5.7
figure 7

(Quelle: Eigene Berechnungen, Grundlage: FWS 2019 und Daten des Statistisches Bundesamts.)

Anteil Migrierter (2020) im Land und Engagement für Geflüchtete.

Diese ostdeutsche Besonderheit kann als Bestätigung der auf Allport und Williams (1954) rückführbaren Kontakthypothese genommen werden: Sind Kontakte zwischen verschiedenen Gruppen häufiger möglich, kann dies zur Folge haben, dass Vorurteile und diskriminierende Ansichten über die ‚Fremdgruppe‘ abgebaut werden – vorausgesetzt, die Kontakte finden auf Augenhöhe statt, also zum Beispiel am Arbeitsplatz, im Bereich Schule oder Kindergarten oder im Verein (vgl. Holtmann et al. 2020, S. 146). Und umgekehrt mangelt es schlicht dort an Gelegenheitsstrukturen für ein Engagement für Geflüchtete, wo deren Zahl im Lebensumfeld der Wohnbevölkerung gering ist und sich zudem über ländliche, dünn besiedelte Räume verteilt.

5.4.4 Ortsgröße und Kreistypus – sozialräumliche Kontexteffekte auf öffentlich gemeinschaftliche Aktivitäten im Bereich Unfall- oder Rettungsdienst und Freiwillige Feuerwehr

Der folgende kurze Unterabschnitt soll wie auch in Teilen schon die vorangegangenen Ausführungen verdeutlichen, dass es einzelne Bereiche von Aktivität und Engagement geben kann (zum Beispiel Religion und Kirche, Freiwillige Feuerwehr), die sich stärker zwischen dem ländlichen und städtischen Raum unterscheiden, obwohl das Engagement insgesamt oder auch die Aktivitäten durch diese Unterschiede kaum beeinflusst sind. Einmal mehr zeigt sich, dass es von Bedeutung ist, auch einzelne Bereiche der Aktivität und des Engagements in den Blick zu nehmen, um mögliche Differenzen zu erkennen, sodass passgenauere Handlungsmöglichkeiten eröffnet werden können.

Wer öffentlich aktiv ist beziehungsweise sich speziell im Bereich der Notdienste und im Katastrophenschutz freiwillig engagiert, tut dies häufiger in ländlichen Kreisen, seien diese dünn besiedelt oder verdichtet, in Gemeinden mittlerer und kleinerer Größe sowie in Randbereichen urbaner Zentren. Demgegenüber erfolgt dies in kreisfreien Großstädten, städtischen Kreisen sowie in den Kernbereichen mittelgroßer und großer Städte weniger (vgl. Abb. 5.8). Ursächlich hierfür ist die verdichtete und professionell ausdifferenzierte Infrastruktur dieser Versorgungsdienste in verstädterten Regionen. Im Kontrast dazu steht nach wie vor die zentrale Funktion Freiwilliger Feuerwehren in ländlichen Räumen: Dort haben sie über ihre ureigene Aufgabe des Löschens und Bergens hinaus für den sozialen Zusammenhalt örtlicher Gemeinschaften eine hohe Bedeutung, die häufig die kommunalpolitische Arena bürgerschaftlichen Engagements dort einschließt, wo Feuerwehren als (nicht selten einzige) Wahllisten bei Kommunalwahlen antreten (vgl. Holtmann et al. 2012, S. 160).

Abb. 5.8
figure 8

(* Unterschiede sind auf einem Niveau von ≤ 5 % signifikant.)

Wo man eher öffentlich aktiv ist – Standarddifferenzierung (Kontext) (Unfall- oder Rettungsdienst, Freiwillige Feuerwehr; Angaben aktiv in %, Zahlenangaben für Einwohnerinnen und Einwohner).

5.4.5 Kontext und Engagement – kurzes Fazit

Wie im vorstehenden Kapitel dargestellt ist freiwilliges Engagement eingebettet in fördernde oder hemmende Bedingungen des nahen sozialräumlichen Umfelds der Menschen. Dieser Kontext bietet sowohl institutionell verfestigte Gelegenheitsstrukturen als auch individuelle Anreize für Engagement, das auf die Bedingungen und Herausforderungen persönlicher Lebenswelten bezogen werden kann. Solche Kontexteffekte ergeben sich folglich aus strukturellen Gegebenheiten und aus psychologischen Beweggründen.

Im folgenden Kapitel werden aussagekräftige Ergebnisse des Länderberichts nochmals zusammengefasst.