Schlüsselwörter

1 Zielsetzung und Erläuterungen zur Zielsetzung

Der Beitrag verfolgt das Ziel, Potenziale inhaltsanalytischer Begleitforschung in der Wissenschaftskommunikation am Beispiel von Untersuchungen einer konzeptuellen wissenschaftlichen Fragestellung zu skizzieren. Viele sehen dabei die „methodische Mechanik“ im Vordergrund, d. h. die einzelnen Methoden wie Befragung oder Interview. Dieses Handwerkszeug ist unverzichtbar. Wichtig ist zudem, Forschung und Forschungsmethoden im jeweiligen Kontext und Anwendungsgebiet zu betrachten. Der Beitrag greift einige Ergebnisse aus einer umfangreicheren Studie heraus, um zu zeigen, wie inhaltsanalytische Betrachtungen in Forschungsvorhaben und ggf. in Verbünde von Methoden, sogenannte Multi-Methoden-Ansätze, integriert werden können. Aus Platzgründen widmet sich der Beitrag dabei zentralen Aspekten der Gesamtstudie und stellt nur begrenzt Details vor. Die einzelnen Kapitel und Unterabschnitte sind nach einem verbreiteten „Standard“ für empirische Forschungsstudien gegliedert, um den Aufbau der Forschung für viele Leser:innengruppen aufzubereiten: Forschende kennen normalerweise diesen Standard. Diejenigen, die sich mit Forschung vertraut machen wollen, gewinnen einen Eindruck von den Funktionalitäten und Abläufen. Forschungsaktivitäten gehen von wissenschaftlichen und praktischen Fragestellungen aus, was im Abschnitt zur Problemstellung umrissen wird (Abschn. 2.1). Zur „konzeptuellen Basis“ gehören außerdem die begrifflichen Ansatzpunkte sowie Annahmen (Abschn. 2.2). Nur dieser Bezug zu einer konzeptuellen Basis macht empirische Forschungsstudien und Methoden überhaupt sinnhaft interpretierbar. Nach Erläuterungen zu den eingesetzten Forschungsmethoden (Kap. 3) werden einige Ergebnisse vorgestellt (Kap. 4). Darauf folgen Reflexion, Bewertung und Interpretation der Ergebnisse sowie der eingesetzten Methoden. Ein kurzer Ausblick fasst interessante Forschungsfragen oder Problemstellungen für zukünftige Forschung zusammen. Die konkrete Ausgestaltung von Forschungsaktivitäten läuft jedoch nicht mechanisch nach simplen Schemata ab. Forschung ist dynamisch und individuell. Forschungsstudien unterscheiden sich daher in ihrer konkreten Umsetzung. Das hier erläuterte Schema lässt sich grundlegend auf viele Forschungssettings anwenden.

Die vorliegende explorative Studie ergänzt die Befunde einer umfassenderen Forschungsstrategie. Der sogenannte Formatvergleich zielte darauf ab, im Feld der Wissenschaftskommunikation sieben Dialog- und BeteiligungsformateFootnote 1 systematisch und auf empirischer Basis miteinander zu vergleichen. Fragestellungen waren z. B., ob die Teilnahme an den Formaten das Interesse der Teilnehmenden an Wissenschaft und wissenschaftlichen Fragestellungen stärkt. Untersucht wurde zudem, ob die Teilnahme die Aufgeschlossenheit gegenüber der Wissenschaft beeinflusst sowie Sachwissen und Urteilsfähigkeit in Bezug auf das diskutierte Thema steigert. Daneben gab es eine Anzahl von weiteren Forschungsfragen, die aus Platzgründen nicht weiter ausgeführt werden.

Die empirischen Untersuchungen stützen sich auf einen umfangreichen Verbund von sich ergänzenden Forschungsmethoden, einen sogenannten Multi-Methoden-Ansatz (vgl. Abschn. 3 in diesem Beitrag). Ein Verbund aus verschiedenen Organisationen im Bereich der Wissenschaftskommunikation, darunter Wissenschaft im Dialog sowie ZIRIUS von der Universität Stuttgart (damals ZIRN), teilten sich die Aufgaben der Organisation der Veranstaltungen sowie der Begleitforschung. Pro Format wurde eine bestimmte Anzahl von Veranstaltungen durchgeführt: 4 Schüler:innenparlamente, 10 Schüler:innenforen, 10 Junior Science Cafés, 4 Bürger:innenkonferenzen, 1 Konsensuskonferenz, 2 Bürger:innenausstellungen sowie diverse Onlineaktivitäten. Die unterschiedliche Anzahl von Veranstaltungen bei den Formaten erklärt sich aus den teilweise verschiedenen, bei manchen Veranstaltungen hohen Aufwendungen. Die Konsensuskonferenz war vergleichsweise kostenintensiv, sodass sie nur einmal durchgeführt werden konnte. Die meisten Veranstaltungen basierten auf einem Grunddesign, das den Teilnehmenden erlaubte, sich persönlich von Angesicht zu Angesicht miteinander auszutauschen. Es handelte sich um sogenannte Präsenzformate. Die im Vorhaben durchgeführten Online-Designs waren damals noch relativ neu. Die Forschung führte zu relevanten Befunden insbesondere in Bezug auf die Möglichkeiten sich miteinander auszutauschen, d. h. verschiedene Modi der Kommunikation. Insofern fokussiert der vorliegende Beitrag auf die vergleichende Forschung zu diesen Online-Designs.

2 Konzeptuelle Basis

2.1 Problemstellung

Das Aufkommen neuer Technologien eröffnete für Forschung und Anwendung in der Wissenschaftskommunikation nicht nur neue Möglichkeiten, sondern auch Fragen. Auf die mit der Entwicklung des Internets verbundenen tiefgreifenden sozialen Veränderungsprozesse und -potenziale wurde seit langem hingewiesen (Baek et al. 2011, Carlitz et al. 2005; Galston 1999; Turkle 1995). Diese Dynamik beeinflusst ebenfalls das Feld der Partizipation und Deliberation (Wright et al. 2007). Argumente für oder gegen Virtualisierung von Dialogen liegen schon länger vor. Einerseits bringen Autoren die niedrigen Kosten für Online-Formate bzw. Foren an (Carlitz et al. 2005; Quinlan et al. 2015; Wright et al. 2007). Zum Beispiel erübrigen sich Anreise und Unterbringung von Teilnehmenden. Jedoch fallen andere Kosten an, bspw. für die Software und Systemadministration usw. Die Interaktionsqualität wird ebenfalls thematisiert. Teilnehmende an Online-Diskussionstischen sind eben nicht mehr örtlich in Präsenzveranstaltungen gebunden (Zittel 2001; Vor- und Nachteile zusammenfassend Quinlan et al. 2015). Ein zeitlich ungebundener Austausch z. B. in Online-Foren könnte sogar reflexiver und rationaler sein als Tischdiskussionen. Über Anonymität ließe sich womöglich der freie Austausch fördern. Dagegen könnte die Anonymität ebenso das „Lurking” intensivieren (Amichai-Hamburger 2016), den unhöflichen Umgang miteinander oder stereotype Argumentationen (Quinlan et al. 2015). Recht früh wurde in der Diskussion auch auf das Potenzial zur Polarisierung von Perspektiven und Diskursen hingewiesen (zusammenfassend Wright et al. 2007), z. B. wenn Personen nur in Foren teilnehmen, in denen ihre Perspektive dominiert. So könnten Online-Diskussionen die offene Deliberation geradezu aushöhlen (Wright et al. 2007). Viele Fragen in Bezug auf den technisch vermittelten Austausch sind also noch offen (Barber 1995; Fuchs 2007; Rosenfield 1998; Ravetz 1998). Die verfügbaren Befunde gerade zur Online-Partizipation sind ambivalent (Quinlan et al. 2015). So besteht hoher Bedarf an empirischer Forschung (Carpini et al. 2004). Es braucht differenziertere und integrativere Forschungsstrategien, welche auf die verschiedenen Formen von Partizipation eingehen (Wright et al. 2007). Inhaltsanalysen bilden einen wichtigen Baustein in Bezug auf die Forschungsmethoden.

2.2 Konzeptueller Ansatz und Annahmen

Die zentrale Annahme der Forschungsstrategie des Formatvergleiches lautete, dass Unterschiede zwischen Formaten hinsichtlich der prozeduralen Merkmale bestehen, z. B. hinsichtlich der Kommunikations- und Interaktionsmuster. Dies geht mit Unterschieden zwischen Formaten bezüglich der Wirkungspotenziale auf die Teilnehmenden einher. Mit den vorliegenden Ergebnissen anderer Studien deutet sich bereits an, dass es einen Erfolgsfaktor darstellt, Unterschiede zwischen Designs zu berücksichtigen (für Online Foren Jensen 2003; Quinlan et al. 2015; Wright et al. 2007). Die Forschung zu technisch vermittelten Lernsituationen stellte heraus, dass die Qualität von Interaktionen grundsätzlichen Einfluss auf das Lernen besitzt, wobei Interaktionsmuster gesucht wurden, die Gruppenarbeit fördern (Oliveira et al. 2011). Die Grundannahme des Formatvergleiches wurde für die untersuchten sieben Dialog- und Beteiligungsformate schon an anderer Stelle bestätigt (Goldschmidt 2018; Goldschmidt et al. 2012). Die Unterschiede zwischen Online- sowie Präsenzdesigns lassen sich mit Fokus auf die Interaktions- bzw. Kommunikationsmodi noch detaillierter herausarbeiten.

Konzeptuell lässt sich die Unterscheidung von Formaten und Designs auf die Differenzierung von aggregierenden versus deliberativen Kommunikations- und Entscheidungsverfahren zurückführen (Cohen 1999a, 1999b; Elster 1999; Feindt 2001; Gerhards 1998; Gerhards et al. 1998; Habermas 1998, Papadopoulos et al. 2007; Wright et al. 2007)Footnote 2. Empirisch scheinen beide Modi in Online-Foren oder Chats aufzutreten (Stromer-Galley et al. 2015; Wolfgang et al. 2015). Deliberation steht für den offenen, intensiven und auf das Gegenüber orientierten, stark reflexiven Verständigungsprozess. Die aufeinander bezogenen Argumente werden in einer Art Schlagabtausch gegenseitig bewertet und versucht, z. B. durch Überzeugen des Gegenübers, die Einigung herbeizuführen. Der aggregierende Modus bildet schlicht das Gegenteil des deliberativen Modus. Auch wenn einzelne Individuen ihre Haltung ändern können, bleiben die Meinungen über mehrere Teilnehmende ohne gegenseitig bezogene gemeinsame, verständigungsorientierte Reflexion in Form von Meinungspolen relativ unverbunden bestehen. Im Ergebnis kann so keine gemeinsame Position entwickelt werden, sondern allenfalls eben ein Aggregat der Meinungspole. Abstimmungen oder teilweise Verhandlungen sind Beispiele für solche Prozesse.

Die Diskussion um die Typisierung von Gesprächsmodi in Online- und Präsenz-Designs besitzt gerade für die Wissenschaftskommunikation hohe Relevanz und zwar in konzeptueller, methodischer und praktischer Hinsicht. Viele erleben derzeit konstruktive Verständigungsprozesse z. B. in Online-Konferenzen. Vor dem Hintergrund eskalierender Diskussionen in Foren oder Twitter-Chats aktualisieren sich jedoch auch die in einigen früheren Beiträgen geäußerten Zweifel, ob die Online-Kommunikation einen wirklich deliberativen Austausch zulässt (Fuchs 2007; Galston 1999; Quinlan et al. 2015; Ravetz 1998; Rosenfield 1998; Wilhelm 2000). Viele der Kontrastierungen folgen dabei – oft implizit – der Unterscheidung entlang der Linie, dass sich die Dialogqualität primär daran entscheidet, ob ein Austausch technisch vermittelt ist oder nicht. Eine solche Ausgangsthese, grade in so einer generellen und absoluten Form, muss eher zurückgewiesen werden. Technologie für sich allein, wie es der technologische Determinismus behauptet, definiert nichts (Wright et al. 2007). Trotzdem bleibt die Aufgabe, empirisch differenzierter zu untersuchen, ob sich tatsächlich Designs z. B. in Bezug auf die Kommunikationsmuster unterscheiden und welche Rolle dabei die technische Vermittlung als Faktor spielt. Diese Frage ist grundlegender Natur und fordert mehr als nur eine Forschungsstudie. Aber eine explorative Studie kann hier Richtungen und Tendenzen aufzeigen.

Deliberative bzw. partizipative Veranstaltungsdesigns lassen sich über zahlreiche Dimensionen vergleichen (Goldschmidt 2018). In Anpassung an die inhaltlichen und methodischen Fragestellungen sowie die Fokussierung auf die Online-Designs wurde für diesen Beitrag der Aspekt der Intensität und Interaktivität des Informationsaustausches gewählt (Quinlan et al. 2015; Wright et al. 2007; Abschn. 4 in diesem Beitrag). Hier können die Länge der Interaktionen bzw. der Argumentationsketten zwischen den Beitragenden sowie die Verteilung der Teilnehmenden und ihrer Handlungen, z. B. das Verhältnis von Lese- und Schreibaktivitäten in einem Forum, untersucht werden. Berücksichtigt werden außerdem die Inhalte. Die Kommunikationsmodi stellen letztlich Grundformen dar, wie Teilnehmende Informationen und Perspektiven austauschen. Die Exploration der Muster über die genannte Dimension ermöglicht zumindest langfristig Aussagen bzw. Studien zu Wirkungspotenzialen dieser Muster, z. B. zur Frage, ob der Austausch die Informiertheit von Teilnehmenden oder deren Urteilsfähigkeit stärkt.

3 Vorgehen und Einbettung der inhaltsanalytischen Forschung

Die hier vorgestellte explorative Studie stellt zwei Typen von Online-ForenFootnote 3, ein Online-Table-DesignFootnote 4 sowie Tisch-Diskussionen „konventioneller” Präsenzveranstaltungen einander gegenüber. Mit Verweis auf die Zielsetzung und die umfassendere Hauptstudie konzentriert sich dieser Beitrag stärker auf die Online-Designs und hier auf die Foren. Zur Zeit der Studie 2012 wurden erste Programme zur Durchführung von Online-Diskussionen angeboten, die aktueller Konferenzsoftware ähnelten. Die Designs wurden erprobt und vergleichend untersucht. Diese Forschung stand damals noch relativ am Anfang, wodurch die Studie ihren explorativen Charakter erhielt.

Der empirisch-systematische Formatvergleich (Goldschmidt 2014, 2018; Goldschmidt et al. 2012) ist eine Forschungsstrategie, die Dialog- und Beteiligungsformate mittels eines Multi-Method Designs (Denzin 2009; vgl. auch Gabriel et al. in diesem Band) über mehrere konzeptuelle Dimensionen hinweg miteinander vergleicht. Der Schwerpunkt der bisherigen Studien lag auf dem Vergleich von Präsenzformaten basierend auf mehrwelligen Befragungen der Teilnehmenden, Interviews mit einbezogenen Sachverständigen und Moderierenden sowie nicht-teilnehmenden Beobachtungen. Ergänzend führte das Forschungsteam Medienanalysen durch, z. B. von verfügbarer Berichterstattung über das Projekt bzw. die Formate in Radio oder Zeitungen (vgl. Tab. 1). Das Gesamtdesign der Studie war vergleichsweise komplex. Diese Komplexität erhöhte sich noch dadurch, dass die Datenerhebung in jeder Veranstaltung häufig die Perspektiven verschiedener Zielgruppen erfasste. Allgemein bilden Multi-Method-Designs einen zentralen Entwicklungspfad moderner sozialwissenschaftlicher Analyse. Die folgenden Ausführungen schildern, warum inhaltsanalytische Verfahren gerade für die Untersuchung von Online-Designs eingebunden wurden.

Die systematische Forschungsstrategie forderte eine möglichst vollständige Datenerhebung über alle Designs. Jedoch wäre jede Datenerhebung sinnlos, wenn sie nicht zu den individuellen Erhebungssettings also den Dialogveranstaltungen passt. Jede Multi-Method-Strategie ist nur dann erfolgreich, wenn die Forschenden mit diesen Spannungsverhältnissen umgehen und zielführende Kombinationen von Methoden schaffen, sodass die Erkenntnisse verschiedener Methoden sich gegenseitig befruchten. Für den konkreten Fall war die Einbindung inhaltanalytischer Methoden in den Verbund der Forschungsmethoden zielführend. Die Tischdiskussionen in Präsenz- sowie Online-Designs wurden „konventionell“ z. B. über eine vorstrukturierte nicht-teilnehmende Beobachtung (Goldschmidt 2016) mit Protokollen und unterstützend mit Videoaufnahmen begleitet. Eine solche Begleitung war bei Online-Designs wie Online-Foren nicht möglich. Die Datenerhebungen bei Online-Designs fanden technisch vermittelt durch die Dokumentation von Informationen auf Servern statt. Diese Nutzungsdaten erlaubten somit die umfassende und präzise Abbildung von Aktivitäten, u. a. über Zeitstempel. Die Daten waren ‘ready-for-analysis’ (Black 2009).

Durch die Bindung an die Nutzungsdaten bzw. Beobachtung richteten sich die Analysen dieser Teilstudie damit stärker auf prozedurale Aspekte und die Interaktionen. Befragungen, um die subjektiven Haltungen der Teilnehmenden eingehender zu untersuchen, waren nur dann möglich, wenn z. B. das Online-Forum begleitend an eine Präsenzveranstaltung angeschlossen war, in welcher Daten über die Hauptstudie gesammelt werden konnten. Die Nutzung des alleinstehenden Forums war teilweise anonym, was die Datenerhebung erschwerte. Wie können nun die auf Servern gesammelten Daten inhaltsanalytisch genutzt werden?

Nutzer:innen hinterlassen mit ihren Aktivitäten in Foren Spuren z. B. durch Posts. Für die Analyse können die Häufigkeiten von Ereignissen wie Posts in den Foren ausgezählt werden, insgesamt oder bspw. nach Zeitabschnitten in Verbindung mit den Zeitstempeln oder pro Thread (Diskussion zu einem Thema im Forum). Eine Analyseeinheit bilden Argumentationsketten, also die Betrachtung der Beiträge zu einem Thema in ihrer zeitlichen Abfolge. Des Weiteren können bei den Beiträgen textstrukturelle Merkmale wie die Textlänge untersucht werden. Das Forschungsteam wertete außerdem die Inhalte von Posts qualitativ aus, z. B. um Kernthemen der Threads und Posts zu typisieren oder um den Anteil von aggressiven Formulierungen zu bestimmen. Insgesamt diente das Datenmaterial zur Beschreibung und Typisierung der Kommunikations- und Interaktionsmuster jedes Designs und letztlich dem Vergleich der Designs. Im Ergebnisteil des Beitrags findet sich eine Auswahl von Befunden für die oben fokussierte Dimension der Intensität und Interaktivität, um Analysemöglichkeiten zu skizzieren. Aus Platzgründen fokussiert der nachfolgende Abschnitt auf die inhaltsanalytischen Betrachtungen der Forendiskussion und stellt andere Ergebnisse aus der Gesamtstudie zusammenfassend dar.

Tab. 1 Übersicht der Forschungsmethoden des Format- und Designvergleiches. (Quelle: Goldschmidt 2018, angepasst)

4 Empirische Ergebnisse zur Intensität des Austausches

Der folgende Abschnitt skizziert die empirisch beobachteten Interaktionsmodi der untersuchten Prozessdesigns. Neben den konzeptuell zu erwartenden Modi der aggregierenden versus deliberativen bzw. konstruktiven Kommunikation wurde der „additive“ Modus festgestellt, der bisher kaum diskutiert ist. Die Designs unterschieden sich bzgl. der festgestellten Gewichtung der drei Interaktionsmodi:

  • Online-Foren: Für das alleinstehende Forum waren intensive interaktive Dialoge eher untypisch. Die 158 untersuchten Threads hatten im Durchschnitt 4,43 Replies. Dabei konzentrierten sich die Aktivitäten in einigen Threads. 16 % der 158 Threads erhielten überhaupt keine Replies, 35 % wiesen ein bis zwei auf (niedrige Aktivität). Bei 43 % der Threads zeigte sich eine mittlere Aktivität bis zu 13 Replies. Und nur 5 % wiesen eine höhere Intensität über dreizehn Replies auf. Der längste Thread bestand aus 23 Replies. Hierbei wurde noch ein verstärkender Effekt festgestellt: Die meistdiskutierten Threads wurden von den Moderierenden zur sogenannten „Idee des Monats“ gekürt. Sachverständige wurden eingeladen, diese Ideen bzw. die Diskussion zu kommentieren. Nicht alle Threads waren erfolgreich, denn das Mittel lag hier bei 13.25 Replies pro Thread, einschließlich der Expert:innenmeinung. Doch insgesamt stellte die Analyse heraus, dass die Expert:innenkommentare ausführlicher ausfielen und weitere Posts von Nutzer:nnen auslösten. Die Möglichkeit, sich mit Expert:innen auszutauschen, beförderte also die Motivation der Nutzer:innen und letztlich die Intensität des Austauschs. Zudem fachten die Moderierenden mit ihren Aktivitäten die Diskussionen an. Über alle Threads des Forums betrachtet zeigte sich die vergleichsweise niedrige Intensität von Foren daran, dass bei den Aktivitäten das Lesen der Threads gegenüber den aktiven Beiträgen durch eigene Posts dominierte. Das traf ebenfalls auf die Ideen des Monats zu. Beim Thread „Energieproduktion in Fitnesszentren” wurde fast zehnmal so häufig gelesen wie gepostet bzw. erwidert (184 zu 19, Rate = 9,68:1). Bei Threads von mindestens mittlerer Intensität fiel das Verhältnis kleiner aus. Bei solchen Threads lagen die Verhältnisse Lesen: Posten im Bereich von 3:1 bis 5:2. Generell wies die Analyse auf eine relativ niedrige Gesamtaktivität im Forum hin. Nach strukturellen Gesichtspunkten betrachtet, stockte also im Forum der Zufluss neuer Informationen in den Austausch. In Bezug auf die Textstruktur waren die meisten Replies kurzgehalten, z. B. „gute Idee”. Gelegentlich stoppte der Austausch abrupt. Diese eher kurzatmige Form des Austausches unterstützte die Nutzer:innen kaum dabei, Gedanken gemeinschaftlich weiterzuentwickeln und ein kollektives Verständnis der Themen aufzubauen. Von einem bzw. vom eigenen Meinungskern abweichende Meinungen wurden häufig nicht weiter adressiert und blieben damit einfach stehen.Footnote 5 Aufgrund dieses spezifischen Charakters der Kommunikation deutete alles auf einen eigenen Typus des Austauschs hin. Über alle Daten gesehen zeichnete sich der „additive“ Kommunikationsmodus durch das Aneinanderketten einzeln für sich stehender, isolierter Beiträge aus. Einige der Replies in einer Argumentationskette bezogen sich nicht einmal auf den ursprünglichen Thread. Die Perspektiven blieben unvermittelt quasi als „Teile-Haufen“ liegen. Überraschend war die empirische Relevanz des additiven Modus im alleinstehenden Forum mit 52,2 % aller 158 Threads. Jedoch fanden sich auch die beiden konzeptuell herausgestellten Modi, z. B. der aggregierende Modus mit etwas über einem Viertel der Threads (26,4 %). Beim aggregierenden Kommunikationsmodus bezogen sich die Posts einer Argumentationskette auf das Threadthema und häufiger auch aufeinander. Jedoch dienten die Darstellungen dazu, bestimmte Perspektiven zu stärken, was die Reflexion von verbindenden Elementen einschränkte. Es bildeten sich somit Fraktionen bzw. Meinungsaggregate. Ein geringer Anteil von 15,7 % der Threads wurden als konstruktiv bzw. deliberativ eingestuft.Footnote 6 Über einen intensiven, wechselseitig bezogenen Austausch in einer tatsächlichen Kette von Argumenten innerhalb des Thread-Themas wurden die zu Beginn eingeführten Ideen von den Beitragenden gemeinsam weiterentwickelt. Die Beiträge konstruktiver Argumentationen waren gemeinhin länger und in Einzelheiten ausgearbeiteter als die der anderen Modi.

  • Das „begleitende Forum” unterschied sich vom alleinstehenden Forum durch noch deutlichere Unterschiede zwischen den Anteilen von Lesen und Posten. Die Verhältnisse von Lesen: Posten lagen zwischen 17:1 beim Thema „Windenergie“ und 40:1 beim Thema „Kernenergie“. Die Threads besaßen dezidiert höhere Reichweite bei eingeschränkter aktiver Beteiligung. Trotz der Gemeinsamkeiten im Grundcharakter beider Foren-Designs gab es interessante Abstufungen. Das begleitende Forum erweiterte und ergänzte die Diskussionen der Präsenzveranstaltung. Es fungierte als Informationsquelle für offene Fragen. Das zeigten direkte inhaltliche Bezüge von Forenbeiträgen auf Diskussionen der Präsenzveranstaltung (36 von 99 Beiträgen) neben der erwähnten hohen Rate von Lesezugriffen. Die Beiträge und Argumentationsketten des begleitenden Forums waren elaborierter bzw. reflexiver als beim alleinstehenden, was sich auch an einem geringeren Anteil des additiven Modus zeigte.

  • Nach den Beobachtungsergebnissen ähnelten sich Online- und Präsenz-Tischdesigns in Bezug auf viele Merkmale. Der konstruktive Kommunikationsmodus dominierte nach den Ergebnissen der Beobachtung am Referenztisch A der Präsenzveranstaltung. Die Teilnehmenden entwickelten die Dialogergebnisse gemeinsam. Gegensätzliche Meinungen und Argumente wurden aktiv in der Gruppe reflektiert. So bildeten sich im Dialog relativ dichte Ketten von gemeinsam reflektierten Argumenten, auf deren Basis die Ergebnisse abgeleitet wurden.Footnote 7 Die Teilnehmenden von Tisch A würdigten Beiträge, z. B. wenn Repräsentant:innen die Tischergebnisse während der Plenarsitzungen der Konferenz vorstellten oder sogar die Rolle von Co-Moderator:innen übernahmen und die Tischdiskussion zusammenfassten. Die konstruktiv verlaufenden Tischdiskussionen waren allerdings nicht gefeit gegen einen Wechsel in andere Kommunikationsmodi wie den aggregierenden Austausch. Beim Referenztisch A gab es eine Konfliktsituation, die sich auf die Diskussion anderer Themen auswirkte. Ein Teilnehmer erinnerte jedoch an die bisher gemeinsam geleistete Arbeit und schlug vor, die gegensätzlichen Perspektiven in die Ergebnisse aufzunehmen (Aggregat). Insgesamt erwies sich die Diskussion an Tisch A mit dem offenen, interaktiven und intensiven Charakter als typischer Fall des konstruktiven bzw. deliberativen Modus‘. Nur an Referenztisch B der Präsenzveranstaltung dominierte der aggregierende bzw. zeitweise sogar additive Kommunikationsmodus. Das beeinflusste die Ergebnisqualität.Footnote 8

  • Die Online-Tisch-Diskussion unterschied sich hinsichtlich der Intensität kaum und wenn nur in Nuancen von der Kommunikation an den Referenztischen der Präsenzveranstaltung. Die Teilnehmenden nutzten einen „Voice-Channel“ als Hauptmedium des Austausches. So besaß eine Person das Rederecht. Während an Präsenztischen non-verbale Kommunikation mit Gestik und Mimik gegenwärtiger war, bot die Diskussion am Online-Tisch keine Live-Videoporträts wie bei heutiger Konferenzsoftware üblich (Abb. 1). Die Online-Tisch-Diskussion war dadurch weniger immersiv, was in einer anderen Analysedimension der Studie eingehender betrachtet wurde. Analog zu Tischdiskussionen gab es im Online-Design zusätzliche Kanäle für den Austausch wie Emojis in einem Text-Chat. Eine ganze Anzahl von Moderationsinstrumenten unterstützte den Austausch am Online-Tisch, z. B. durch eine virtuelle Tischfläche, auf welcher die Teilnehmenden von ihnen beschriebene Klebezettel hängen konnten. Ein weiterer Kommunikationskanal des Online-Tisches war der Textchat, wo Teilnehmende parallel zum laufenden Austausch kurze Kommentare abgeben konnten. Online- wie Präsenz-Designs zeigten sich als flexibel, den laufenden Dialog an die Wünsche der Teilnehmenden anzupassen, z. B. in Bezug auf gemeinsame Regeln wie Entscheidungen getroffen werden sollen (Bütschi et al. 2004; Goldschmidt et al. 2012; Leach 2006; Stern et al. 1996).

    Abb. 1
    figure 1

    (Quelle: O. Scheel, ZIRIUS)

    Screenshot der Arbeitsoberfläche des Online-Tisches.

5 Abschließende Reflexion von Ergebnissen und Vorgehen

Die inhaltsanalytische Betrachtung erbrachte folgende Erkenntnisse: Grundsätzlich ermöglichten alle untersuchten Designs den Austausch von Informationen, Argumenten und Perspektiven. Die Online-Foren unterschieden sich deutlich von allen Tischdesigns in Bezug auf die untersuchte Dimension der Intensität und Interaktivität. Die im einleitenden Teil konzeptuell abgeleiteten Kommunikationsmodi des deliberativen bzw. aggregierenden Austausches wurden in allen Designs festgestellt. Der deliberative Austausch ist dabei vergleichsweise intensiv. Dabei kann es durchaus deutliche Meinungs- und Perspektivunterschiede geben. Alle eingebrachten Inhalte und Argumente werden jedoch von Teilnehmenden gemeinsam reflektiert und im Regelfall in einem offenen Verständigungsprozess gemeinsam weiter ausgearbeitet bzw. in gemeinsam getragene Schlussfolgerungen überführt. Im aggregierenden Modus entwickeln die Teilnehmenden keinen intensiven Verständigungsprozess und damit auch keine gemeinsame Position. Bestimmte Meinungsaggregate bleiben bestehen. Diese konzeptuell und empirisch herausgestellten Kontraste sind wichtig. Besonders interessant ist jedoch die dritte Form des „additiven“ Austausches, die sich bei den untersuchten Online-Foren auf Basis der inhaltsanalytischen Untersuchungen als typisch erwies. Wie die Auszählungen der Aktivitäten zeigten, äußerte sich der additive Modus durch niedrige Gesamtaktivitäten und durch eine betonte Lese- gegenüber der Schreibaktivität. Foren zeigten sich also weniger interaktiv bzw. die Rezeption von Informationen dominierte. Intensive Reflexionen bzw. Erörterungen waren in den Foren eher selten. Auch der Charakter der Beiträge unterschied sich im Regelfall von den anderen Designs bzw. Austauschmodi. Die Forenbeiträge waren in der Regel kürzer als bspw. Beiträge in Tischdiskussionen. Im Extremfall verkürzte sich der Austausch bei Meinungsverschiedenheiten in den Foren auf das Teilen von Links zu Medienbeiträgen, worauf der Austausch abrupt endete. Der Charakter des additiven Stils in Foren mag oberflächlich betrachtet vor allem durch die technische Vermittlung geprägt erscheinen. Im Kontrast zu Foren bringen Teilnehmende in Tischdiskussionen seltener Beiträge z. B. in Form von Videos ein. Inputs dieser Art werden in Tischrunden in aller Regel von den entsprechenden Beitragenden erläutert bzw. dann in der Runde erörtert. An dieser Stelle kommen wir nun auf die Ausgangsfragen des Beitrags zurück.

Die Befunde zusammen genommen führen zu der Schlussfolgerung, dass die Qualität bzw. der Modus des Austauschs zuerst mit sozialen Faktoren in Zusammenhang steht. Technische Vermittlungsformen wie der Kontrast zwischen Online-Dialog oder Face-to-Face-Austausch stellen einen zwar wichtigen, aber nachgeordneten Faktor dar. Online-Foren verlieren mit den Befunden nicht an ihrem Wert für die Wissenschaftskommunikation. Im Gegenteil lässt sich ihr Wert nun differenzierter herausarbeiten. Sie unterstützen z. B. die Verbreitung von Informationen und ergänzten laufende Präsenz- bzw. Dialogformate wie im vorliegenden Fall zwei miteinander verbundene Bürger:innenkonferenzen. Es fanden sich Hinweise, dass Diskussionen bzw. Themen der Bürger:innenkonferenzen in Foren diskutiert wurden. Zudem erwiesen sich die Modi jedes Designs als nicht in Stein gemeißelt. Moderierende von Foren können mit gezielten Aktivitäten Threads bzw. Diskussionen in den Foren „beleben“ und durchaus interaktiver machen, wie sich bei der „Idee des Monats“ andeutete. Deliberative, von Angesicht zu Angesicht laufende Tisch-Diskussionen können wie Foren in andere Modi wechseln. Wenn Veranstaltungsdesigns auf einen deliberativen Austausch in einer Präsenzveranstaltung abzielen, eröffnet das viele Potenziale, aber ist noch kein Garant, dass der deliberative bzw. konstruktive Modus auch entwickelt und durchgehalten wird. Das deliberative Design ist also ebenfalls Anforderung und kein sicherer Hafen. Die explorative Untersuchung bestärkt zudem die grundlegende Schlussfolgerung aus der Hauptstudie, dass die Organisatoren von Dialog- und Beteiligungsverfahren die Wahl des Formats und nun auch der Designs, insbesondere hier Face-To-Face versus Online, unter Berücksichtigung der konkreten Zielsetzungen des geplanten Austauschprojektes bewusst abwägen sollten. Technik allein, also ohne ihre soziale Einbettung bedeutet also auch in Bezug auf die „Kanäle“ in der Wissenschaftskommunikation weniger als man oberflächlich betrachtet annehmen könnte. Die Ergebnisse fordern geradezu weitere vertiefende Forschung zu den hier behandelten Fragestellungen.

Die inhaltsanalytische Betrachtung erbrachte folgende methodischen Erkenntnisse: Die vorliegende Studie stellt eine Exploration dar, welche Einbettung und Anwendung von inhaltanalytischen Betrachtungen im Multi-Method-Kontext des Formatvergleiches skizziert. Die Forschenden sehen sich bei diesen Multi-Method-Ansätzen in einem Spannungsverhältnis: Alles vergleichbar zu halten und gleichzeitig die Methoden passend zu den entsprechenden Kontexten einzusetzen. Vor allem in Bezug auf die Anpassung an die besonderen Erhebungskontexte bei Online-Designs erwiesen sich die inhaltsanalytischen Betrachtungen als zielführend. Dabei wurden die Gesamtstruktur der Argumente über die Argumentationsketten sowie strukturelle und inhaltliche Merkmale der Beiträge untersucht. Bei diesem Vorgehen zeichneten sich Analogien zur Methode der Beobachtung ab, die ebenfalls die Analyse der Häufigkeit von Redebeiträgen, aber auch von deren Struktur und Inhalt erlaubt. Beide Methoden treten so in Synergie, um Online- und Präsenzveranstaltungen vergleichend zu untersuchen. Argumentationsketten erwiesen sich als eine geeignete Analyseeinheit für die Format- und Design-übergreifende Beschreibung, Typisierung und Bewertung von Kommunikationsdesigns im Online- sowie Präsenzbereich.

Diese hier skizzierte integrative Vorgehensweise der vergleichenden Betrachtung von mehreren Dialogformaten bzw. -designs auf Basis mehrerer Methoden eröffnet Gestaltungsoptionen für die Begleitforschung in der Wissenschaftskommunikation. Ein großes Potenzial liegt in der reflektierten Annäherung an die Internetforschung. Zum Beispiel im Feld der Twitter-Forschung gibt es einen regelrechten Wettlauf um die Anzahl untersuchter Twitter-Nachrichten. Stichproben liegen hier häufig schon im Millionenbereich. Diese Forschung läuft hochgradig digitalisiert ab und nutzt sogenannte Dictionaries oder das Machine learning (Saif et al. 2016). Speziell die Sentimentanalyse zielt darauf ab, die mit Posts verbundenen subjektiven Wertungen zu untersuchen, was eine herausfordernde Aufgabe ist (Hussein 2016; Soleymani et al. 2017). Diese Analysen besitzen Stärken wie Schwächen. Eine differenzierte Studie, um Kommunikationen in Foren oder anderen Online-Designs strukturell und inhaltlich zu explorieren, zu beschreiben und zu typisieren, ist aufwendig. Sie verspricht jedoch hohes Potenzial, Forschungsmethoden weiter zu qualifizieren. Mit welcher Strategie eine Studie vorgeht, digitalisierend oder nicht bzw. ob mit kleinen oder riesigen Datenmengen, muss konzeptuell begründet und anhand des konkreten Forschungskontextes entschieden werden. Die Integration von inhaltsanalytischen Methoden in einen Multi-Methoden-Ansatz erwies sich als zielführend und verspricht Vorteile für aktuelle und zukünftige Forschungen im Feld der Wissenschaftskommunikation.