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Im Rahmen des Projekts Glitzern & Denken – das Wissenschaftsvarieté wurden von 2019 bis 2022 am Museum für Naturkunde Berlin (MfN) zu verschiedenen naturwissenschaftlichen Themen Varieté-Abende konzipiert und umgesetzt. Wissenschaft im Dialog (WiD) begleitete das Projekt u. a. als Evaluationspartner.Footnote 1 Im folgenden Beitrag wird skizziert, wie die im Herbst 2020 dreimalig aufgeführte und digital übertragene Show mit dem Titel Schleimig! zum Thema Weichtiere (Mollusca – also Schnecken, Muscheln und Tintenfische) durch qualitative Vorher-Nachher-Interviews evaluiert wurde.

1 Das Projekt Glitzern & Denken und seine Ziele

Die Idee hinter Glitzern & Denken war es, Performance-Kunst mit Wissenschaft zu verbinden, inspiriert von den künstlerischen und wissenschaftlichen Salons des 18. und 19. Jahrhunderts. Hierfür entwickelten Künstler:innen in Zusammenarbeit mit Wissenschaftler:innen ein Varieté zu wissenschaftlichen Themen. Fakten aus der aktuellen Forschung sowie interessante Geschichten aus Naturwissenschaften und Kulturgeschichte wurden gemeinsam mit Akrobatik und thematisch abgestimmter Musik präsentiert.Footnote 2

Das Format zielte auf eine diversere öffentliche Kommunikation über Wissenschaft und insbesondere die naturwissenschaftliche Forschung am MfN ab. Das Format versprach sowohl eine intellektuelle als auch emotionale Ansprache des Publikums. Dadurch wurde angestrebt, einerseits bestehende Zielgruppen zu erreichen, die bereits wissenschaftskommunikative Angebote (speziell auch des MfN) wahrnehmen. Ihnen sollten neue Facetten des Hauses und dessen Forschung eröffnet sowie ein Kennenlernen der Mitarbeitenden und Forschenden der wissenschaftlichen Sammlungen ermöglicht werden. Andererseits sollten durch das Varieté-Format auch Personen angesprochen werden, die bisher nicht zu den erreichten Zielgruppen des MfN gehören – insbesondere Menschen, die zwar ein bestehendes Interesse für Formate der Performance-Kunst haben, aber eine gewisse Distanz zu naturwissenschaftlichen Themen aufweisen. Mit dem Wissenschaftsvarieté wollte man in der neuen Zielgruppe ein erstmaliges Interesse an Wissenschaftskommunikationsangeboten erwecken. Darüber hinaus galt für beide Zielgruppen das Ziel, mit dem Format ein positives Erlebnis zu schaffen und eine neuartige Auseinandersetzung mit Wissenschaft und Forschung zu ermöglichen, die ihre Perspektiven auf ebendieses Feld erweitern.

2 Evaluationsinteressen und Verortung der Evaluation im Projekt Glitzern & Denken

Von den im vorherigen Abschnitt präsentierten qualitativen Projektzielen abgeleitet, sollte in der Evaluation der Schleimig!-Shows im Herbst 2020 insbesondere den folgenden Fragen nachgegangen werden:

  • Erreicht die Show neben den bereits bestehenden Zielgruppen des MfN auch neue Zielgruppen und kann sie diese für das Format gewinnen?

  • Welche Bilder von Kunst und Wissenschaft sowie Wissenschaftler:innen und Künstler:innen bringt das Publikum (bzw. die unterschiedlichen Zielgruppen) mit? Werden diese durch die Shows beeinflusst?

  • Wie werden die Varieté-Shows vom Publikum (bzw. von den unterschiedlichen Zielgruppen) wahrgenommen? Wie wird das Programm der Shows bewertet und wie ließe es sich aus Publikumssicht noch verbessern?

Die Beantwortung dieser Evaluationsfragen im laufenden Projekt sollte Anpassungen im Prozess ermöglichen und damit die Verwirklichung der übergeordneten Projektziele über die gesamte Projektlaufzeit unterstützen.

Die Varieté-Veranstaltungen von Glitzern & Denken waren ursprünglich als Live-Shows vor einem Publikum von ca. 150 Personen pro Abend im Experimentierfeld für Partizipation und Offene Wissenschaft des MfN geplant. Aufgrund der anhaltenden COVID-19-Pandemie wurde das Format digital umgesetzt und im Herbst 2020 live auf den YouTube- und Facebook-Kanälen des Museums vor einem Online-Publikum gestreamt. Die ursprünglich geplanten Evaluationsmethoden (u. a. halbstandardisierte Vorher-Nachher-Interviews vor Ort und teilnehmende Beobachtungen) konnten nicht wie geplant durchgeführt werden und wurden auf diese Gegebenheiten angepasst: Damit fokussierte sich die Evaluation neben der Analyse der YouTube-Daten auf eine Vor- und Nachbefragung der Zuschauenden über weitestgehend standardisierte Online-Fragebögen und eine inhaltsanalytische Auswertung der YouTube- und Facebook-Kommentare. Aufgrund geringer Fallzahlen konnten allerdings keine belastbaren Ergebnisse generiert werden, weshalb zusätzlich eine nachträgliche Datenerhebung mittels qualitativer, leitfadengestützter Vorher-Nachher-Interviews angeschlossen wurde, bei der die speziell hierfür rekrutierten Interviewpartner:innen eine Aufzeichnung der Schleimig!-Shows über YouTube (als Stimulus) sahen. Diese Datenerhebungen stehen im Fokus dieses Beitrags.

Dennoch lieferten die Daten aus Online-Fragebögen, YouTube-Analytics und den Kommentarspalten wertvolle Informationen für die zusätzliche Datenerhebung über leitfadengestützte Vorher-Nachher-Interviews und ihre qualitative Auswertung; beispielsweise Anhaltspunkte für Kategorien der Assoziationen mit Wissenschaft und Kunst, die aus den Antworten der Befragten auf offene Fragen im Online-Fragebogen gewonnen wurden. Zusätzlich lieferten die Ergebnisse der standardisierten Erhebung des Freizeitverhaltens und der Soziodemografie der Online-Befragten erste Hinweise, dass sich das Show-Publikum nicht zwangsläufig trennscharf in die MfN-bekannte Zielgruppe und eine neu erschlossene, eher an Performance-Kunst statt an Wissenschaften interessierte Zielgruppe einordnen ließ.

Offene Fragen für die Evaluation bezüglich der Bewertung der einzelnen Programmpunkte hinterließen die Schwankungen in den Zuschauerzahlen des Livestreams. Ob sich hohe Absprungzahlen durch einen aktuell laufenden Programmpunkt erklären ließen oder pragmatisch begründet waren, weil die Zuschauer:innen zu Hause etwa zu bestimmten Uhrzeiten anderen Verpflichtungen nachkommen mussten (beispielsweise Kinder ins Bett zu bringen), blieb unklar.

3 Durchführung der qualitativen Befragungen

Aufbauend auf diesen ersten Ergebnissen der Datenerhebungen während der Live-Shows wurden die qualitativen Befragungen in Form von leitfadengestützten Vorher-Nachher-Interviews im Zeitraum vom 18. Juni 2021 bis 13. Juli 2021 durchgeführt und anschließend ausgewertet. Diese Art der Datenerhebung erlaubte es, tiefe Einblicke in das „subjektive Erleben“ des Publikums zu gewinnen (Döring und Bortz 2016, S. 356), Assoziationsmuster mit Wissenschaft und Kunst durch Nachfragen näher zu erörtern und durch offene Fragen auf unerwartete Blickwinkel zu stoßen (siehe auch Metag und Scheu in diesem Band). Die Gesprächssituation eignete sich auch gut dazu, die Zielgruppen eines neuen Formats wie Glitzern & Denken besser kennenzulernen und zu verstehen.

3.1 Vorbereitung der Interviews

Die Auswahl der Interviewpartner:innen geschah auf Basis eines Screening-Fragebogens, der mit einem Aufruf zur Teilnahme an der Evaluation über Social-Media-Kanäle geteilt wurde.Footnote 3 Über diese kurze Online-Befragung konnten Personen ihr Interesse an einer Teilnahme signalisieren und ihre Kontaktdaten hinterlassen. Ziel dieses Vorgehens war es, Interviewpartner:innen zu identifizieren, welche die beiden Zielgruppen der Show im ähnlichen Verhältnis abbildeten. Die Unterscheidung dieser Zielgruppen wurde an der Frage festgemacht, wie häufig sie im RegelfallFootnote 4 im Laufe eines Jahres bestimmte Freizeitaktivitäten wahrnehmen, die entweder ein Interesse an künstlerischen Darbietungen oder an wissenschaftlichen Themen signalisieren. Darüber hinaus wurden mit dem Screening-Fragebogen soziodemografische Angaben sowie die bisherige Kenntnis des Formats des Wissenschaftsvarietés und des Projekts Glitzern & Denken erhoben.

Von den insgesamt 42 Interessierten wurden zwei Kandidat:innen ausgewählt, die ein stärkeres Interesse an Kunst signalisierten und gleichzeitig ein geringeres Interesse an wissenschaftlichen Themen; zwei weitere, deren Freizeitverhalten auf ein größeres Interesse an Wissenschaft und ein geringeres Interesse an Kunst deutete; und schließlich zwei Personen, die keine klare Zuordnung auf Basis des Freizeitverhaltens zuließen, aber aufgrund ihres Alters und formalen Bildungsniveaus interessante, ergänzende Perspektiven versprachen. Die Auswahl fiel bewusst auf Personen, die Glitzern & Denken noch nicht kannten. Dies erlaubte einen unbeeinflussten Einblick in Erwartungen und Assoziationen und bot damit ideale Voraussetzungen für die Vorbefragung, um schlussendlich Vergleiche ziehen zu können.

Inhaltlich wurden die qualitativen Befragungen vorbereitet, indem basierend auf den Erkenntnisinteressen der Evaluation Themenblöcke entwickelt, anschließend konkrete Interviewfragen innerhalb der Themenblöcke formuliert und schließlich jene Fragen den Vorher- und/oder Nachher-Interviews zugeordnet wurden. Anschließend wurden die Themenblöcke in einer für die Interviewpartner:innen möglichst intuitiven ReihenfolgeFootnote 5 angeordnet. In den Themenblöcken wurden die (in der Regel ca. vier) Fragen so geordnet, dass zunächst ein allgemeiner Eindruck eingeholt und anschließend näher ins Detail gegangen wurde. Bezüglich der konkreten Formulierung der Fragen wurden möglichst ausgewogene Fragestellungen gewählt, die weder eine positive oder negative Antwort nahelegten, und darüber hinaus jegliche suggestive Formulierungen vermieden.

Die zehn- bis fünfzehnminütigen Vorher-Interviews, welche mit den konkreten Anweisungen für die Rezeption verbunden wurden, beinhalteten die nähere Abfrage des Freizeitverhaltens (um die Zielgruppenzuordnung zu überprüfen), Erwartungen an ein Wissenschaftsvarieté und die aktuellen Vorstellungen von Wissenschaft und Kunst sowie Wissenschaftler:innen und Künstler:innen. Anschließend hatten die Interviewpartner:innen drei bis fünf Tage Zeit, um sich die Aufzeichnung der vergangenen Show Schleimig! auf YouTube anzusehen. Es wurde darum gebeten, die Rezeption so natürlich wie möglich zu gestalten – wer die Show in Gesellschaft anschauen wollte, durfte dies tun, auch kurze Pausen waren erlaubt. Die zweiten Interviews dauerten zwischen 20 und 30 Minuten. Zu Beginn wurden hier im gleichen Wortlaut die Assoziationen zu Wissenschaft und Kunst sowie zu Wissenschaftler:innen und Künstler:innen abgefragt. Erst danach widmete sich das Gespräch der Besprechung des Programms, beginnend mit allgemeinen Eindrücken und dem Abgleich mit zuvor formulierten Erwartungen und weiterführend mit der Besprechung konkreter Programmpunkte. Abschließend wurden Verbesserungsvorschläge gesammelt.

3.2 Vorgehen bei der Datenauswertung

Die Interviews wurden aufgezeichnet und überwiegend stichwortartig transkribiert. Besonders prägnante Zitate und Aussagen bei der Abfrage von Assoziationen wurden jedoch wortgetreu übernommen und höchstens grammatikalisch geglättet. Die Transkripte wurden in einem vorbereiteten Analyseraster angelegt, um direkte Vergleiche zwischen den Zielgruppen sowie Vorher-Nachher-Vergleiche der Einzelpersonen vornehmen zu können.

Die Datenauswertung folgte einem qualitativen Forschungsansatz, der sich besonders dafür eignet, neue Muster auf Basis des vorliegenden Materials zu entdecken und Theorien zu entwickeln (Döring und Bortz 2016, S. 26). So wurde beispielsweise eine induktive Kategorienbildung (siehe auch Metag und Scheu in diesem Band) des Freizeitverhaltens vorgenommen, um nach unterschiedlichen Mustern zwischen den Interviewpartner:innen zu suchen. Hierfür wurden zunächst alle Antworten betrachtet, um erste mögliche Kategorien der Freizeitgestaltung zu sammeln. Anschließend wurden einige Kategorien thematisch zusammengelegt, um dann nochmals alle Antworten dieser finalen Kategorisierung folgend zu kodieren.

Die Auswertung zur Beantwortung der weiteren Evaluationsfragen folgte hingegen einer deduktiven Logik (siehe auch Metag und Scheu in diesem Band). Für die Analyse der Programmbewertung lag ein vorstrukturiertes Raster vor, in dem Aussagen in neutrale Kommentare, positives und negatives Feedback sowie Verbesserungsvorschläge unterteilt wurden. Die Verbesserungsvorschläge wurden vorab in technische Anmerkungen (z. B. zum Bühnenbild, den Lichtverhältnissen oder der Kameraführung), inhaltliche Anmerkungen (z. B. zu gewünschten Gesprächsthemen oder der Verständlichkeit) und strukturelle Anmerkungen (z. B. zu der Moderation oder der Länge bestimmter Programmpunkte) unterteilt.

Um die möglichen Wirkungen der Show auf Vorstellungen von Wissenschaft und Kunst sowie von Wissenschaftler:innen und Künstler:innen zu untersuchen, wurden die Interviewpartner:innen im Vorfeld und im Nachgang der Show gefragt, welche Assoziationen die Begriffe Wissenschaft und Kunst in ihnen auslösen und welche Eigenschaften und Kompetenzen sie mit Wissenschaftler:innen sowie Künstler:innen verbinden. Die Antworten wurden in ein Kodierschema eingeordnet, das dem Wissenschaftsbarometer (Ziegler et al. 2018, S. 10 f.) entlehnt ist, aber für die vorgestellten Erkenntnisinteressen angepasst und ergänzt wurde (siehe Tab. A.1 und A.2). Im Vorher-Nachher-Vergleich ließ sich erkennen, welche Antworten wiederholt, ergänzt oder nicht wieder aufgegriffen wurden – und dementsprechend, welche Vorstellungen nach der Show in den Vordergrund traten und welche in den Hintergrund rückten.

4 Ergebnisse der qualitativen Befragungen

Zunächst wird auf die Evaluationsergebnisse zur Erreichung der Zielgruppen von Glitzern & Denken eingegangen, da ihre Unterscheidung auch für die Beantwortung der weiteren Evaluationsfragen relevant ist. Die Auswertung des Screening-Fragebogens, dessen Ergebnisse zur Rekrutierung und Auswahl der Interviewpartner:innen genutzt wurden, deutete bereits an, dass basierend auf den Fragen zum Freizeitverhalten nur in wenigen Fällen eine trennscharfe Zuordnung in eine der beiden eingangs skizzierten Zielgruppen des Projekts möglich war. Die Vorher-Nachher-Interviews verstärkten diesen Eindruck, denn alle Interviewpartner:innen nannten ähnliche Formen der Freizeitgestaltung, von Sport und Bewegung über soziale Aktivitäten bis hin zu Kultur und Unterhaltung. Randbemerkungen der Interviewten zu dieser Frage zeigten, dass das Freizeitverhalten stärker von der aktuellen Lebenssituation abzuhängen schien als von einer Neigung für Kunst und/oder Wissenschaft: von zeitlichen Ressourcen, Verantwortlichkeiten wie Kinderbetreuung oder Studium oder auch davon, ob man in der Stadt oder ländlich wohnt. Auch den beruflichen Hintergrund gilt es hier zu beachten. Beide Interviewpartner:innen, die basierend auf ihren Angaben zum Freizeitverhalten bei der Rekrutierung in die erste, mit Wissenschaftskommunikationsangeboten (des MfN) bekannte Zielgruppe eingeordnet wurden, arbeiteten selbst im akademischen Bereich, weshalb sie häufig wissenschaftsbezogene Veranstaltungen besuchen – dies stellt allerdings nicht zwangsläufig ein Freizeitvergnügen dar. Personen, die bisher wenig Berührungspunkte mit Wissenschaft hatten, suchten stattdessen gezielter nach neuen, noch ungewohnten Einblicken in die Wissenschaft. Die fehlende Trennschärfe der ursprünglichen Zielgruppeneinteilung zeigte sich auch bei den Erwartungen an ein Wissenschaftsvarieté. Der Wunsch, Neues zu lernen, unterhalten zu werden und eine neue Perspektive auf Wissenschaft zu gewinnen, tauchte bei Interviewpartner:innen aller Gruppen auf. Ähnlich verhielt es sich mit den Vorstellungen von Wissenschaft und Kunst, die kaum Anhaltspunkte für strukturelle Unterschiede zwischen den Zielgruppen lieferten.

Doch auch ohne die Unterteilung in verschiedene Gruppen lieferte die Auswertung der Vorstellungen von Wissenschaft und Kunst interessante Erkenntnisse. Die Kodierungen der entsprechenden Assoziationen der Interviewpartner:innen fielen im Vorher-Nachher-Vergleich sehr unterschiedlich aus und boten – mit einer Ausnahme im Bereich Kunst – neben Begriffen für die eigens formulierten Kategorien auch Beispiele für alle Kategorien, die aus dem Wissenschaftsbarometer übernommen wurden (siehe Tab. A.1 und A.2). Auch wenn aufgrund der geringen Anzahl von Interviewpartner:innen und der damit überschaubaren Anzahl an Nennungen keine signifikanten Unterschiede und Veränderungen zwischen den Kategorien präsentiert werden können, sollen im Folgenden dennoch einige erkenntnisreiche deskriptive Einblicke beispielhaft wiedergegeben werden.

Assoziationen mit Wissenschaft und Kunst:

  • Vor der Show assoziierten Interviewpartner:innen mit Wissenschaft und Forschung vorrangig wissenschaftliche Disziplinen aus den Naturwissenschaften und persönliche Berührungspunkte sowie (wertende) Wahrnehmungen, wie „kann ich nicht“, „Elfenbeinturm“, aber auch positive Assoziationen wie „bunt“ und „interessant“. Im Nachher-Interview nahmen Beispiele und Wertungen ab und Anmerkungen zur Arbeitsweise in der Wissenschaft oder ihrer Erkenntnisorientierung nahmen zu.

  • Wissenschaftler:innen wurden vor der Show positiv und idealisiert beschrieben, nur ihre Kommunikationskompetenzen wurden in drei Interviews kritisch kommentiert. Nach der Show wurden Begriffe zu ihrer Integrität vermehrt genannt, die Kritik an ihrer Kommunikation trat nicht mehr auf.

  • Wissenschaftler:innen und Künstler:innen galten nicht als Gegensätze. Beiden wurde eine Hartnäckigkeit und Offenheit zugeschrieben. Unterschiede zeigten sich in sozialen Aspekten: Mit Künstler:innen wurde im Gegensatz zu Wissenschaftler:innen eine Nähe und Kommunikationskompetenz verbunden, die nach der Show noch verstärkt genannt wurde. Wissenschaftler:innen wurden nach der Show zwar nicht mehr mit begrenzten Kommunikationskompetenzen assoziiert, aber auch nicht in diesem Maße lobend hervorgehoben. Eine Erklärung hierfür boten Interviewpartner:innen, die als Beispiel die Moderatorin der Show, die Sängerin und Leiterin des Ensembles, nannten. In ihren Augen waren die Künstler:innen die Verbindung zwischen Wissenschaft und Publikum – sie übernahmen die Wissenschaftskommunikation, nicht die Wissenschaftler:innen selbst.

Programmbewertung und Feedback:

  • Die Show wurde insgesamt – mit Blick auf die Struktur, die Inhalte, die wissenschaftlichen Gäste wie auch die künstlerischen Darbietungen – positiv wahrgenommen.

  • Auf inhaltlicher Ebene wurden Vorschläge für weitere mögliche Gesprächsthemen (z. B. Einblicke in den Forschungsalltag) zum Show-Motto genannt.

  • Auf struktureller Ebene kamen Impulse zur (zeitlichen) Schwerpunktsetzung im Programm, bzgl. des Verhältnisses von Publikumsfragen, wissenschaftlichen Beiträgen und künstlerischen Darbietungen.

  • Auf technischer Ebene wurden Tipps für die Ausleuchtung, die Kameraführung und das Bühnenbild gegeben, damit die Show für das Online-Publikum besser am Bildschirm zu verfolgen ist.

  • Offene Anmerkungen der Interviewten wiesen außerdem auf nicht-intendierte Wirkungen subtiler, unterbewusster Interaktionen zwischen den Akteur:innen hin: Beispielsweise fielen zwei Interviewpartner:innen Rückbezüge auf vorherige Shows und Proben auf, die sie irritierten.

5 Fazit

Im Verlauf des Projekts Glitzern & Denken wurde die qualitative Befragung aufgrund der pandemischen Entwicklungen und ihrer unvorhergesehenen Folgen für die Umsetzung und Evaluation der Shows gewählt. Die Methodik geht, wie jede andere auch, mit einigen methodischen Einschränkungen einher: Die Ergebnisse der Interviews können aufgrund der geringen Fallzahl kein umfassendes, verallgemeinerndes Bild liefern. Zudem sollte erwähnt werden, dass der zeitliche Abstand zwischen den Interviews vor und nach Rezeption der Show teilweise relativ kurz war, weshalb sich einige der Interviewten noch sehr gut an ihre Antworten im Vorher-Interview erinnern konnten und verunsichert waren, ob sie der Konsistenz halber die gleichen Vorstellungen von Wissenschaft und Kunst erneut nennen oder bewusst neue Begriffe einbringen solltenFootnote 6. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Erinnerung an das Vorher-Interview und der Wunsch, konsistente Antworten zu geben oder Abwechslung zu liefern, in die Ergebnisse einflossen.

Dabei sind allerdings die vielen Vorteile des qualitativen Zugangs nicht zu unterschlagen: Für ein neues Projektkonzept, das bisher relativ unerforscht ist, bieten Interviews tiefere Einblicke, um Wahrnehmungen und mögliche Wirkungsmechanismen zu erkunden. Insgesamt konnten mit relativ überschaubarem Aufwand für die Evaluation – zwölf Interviews mit einer Dauer zwischen zehn und dreißig Minuten – viele Ergebnisse gewonnen werden, welche die weitere Entwicklung des Projekts auf vielfältige Art unterstützten. Neben den zahlreichen Anmerkungen hinsichtlich der Bildschirmoptimierung der Show für das Online-Publikum und inhaltlicher Impulse stachen vor allem zwei besonders wertvolle Erkenntnisse hervor.

Zum einen stellten die Gespräche die Unterteilung in eine wissenschaftsaffine Zielgruppe auf der einen Seite und eine kunstaffine und gleichzeitig wissenschaftsferne Zielgruppe auf der anderen Seite in Frage. Es ergeben sich verschiedene Erklärungsansätze, weshalb sich diese Zielgruppentrennung nicht in der Evaluation bestätigte: Möglicherweise wurden Repräsentant:innen dieser Gruppen im Rahmen der Rekrutierung für die vorgestellte Evaluation nicht erreicht oder die Operationalisierung der Zielgruppen über das jeweilige Freizeitverhalten, die im Screening-Fragebogen und während der Interviews gewählt wurde, war nicht zielführend. Eine weitere Erklärung wäre, dass die dahinter liegenden Annahmen in der Projektkonzeption noch nicht ausgereift waren, um die zentralen Unterscheidungsmerkmale zwischen den gewünschten Zielgruppen klar zu benennen. Die qualitativen Ergebnisse können hierfür nun neue Inspiration liefern, um groben Vorstellungen mehr inhaltliche Tiefe zu verleihen.

Die Ergebnisse der Interviews wiesen dabei auf andere Kriterien für die Unterscheidung von Zielgruppen hin, die in der weiteren Kommunikation und Programmgestaltung im Projekt von Interesse waren, so zum Beispiel die Motive für einen Museumsbesuch und die Auseinandersetzung mit den Inhalten von Glitzern & Denken. Dieser Impuls ergab sich aus den Gesprächen mit den bereits im akademischen Bereich Tätigen, deren Motive sich von den Personen fernab des akademischen Systems unterschieden. Die Affinität für künstlerische oder (natur-)wissenschaftliche Inhalte mag sich somit nicht direkt in der Freizeitgestaltung widerspiegeln, sondern im Kontext von Glitzern & Denken eher in der Art und Weise, wie man den Inhalten der Varieté-Show allgemein begegnen würde, worin diesbezügliche Neugierde oder Desinteresse begründet sein könnten oder auch, inwieweit man sich in der Lage fühlt, naturwissenschaftliche Themen zu verstehen.

Diese Erkenntnis legt für künftige Projekte nahe, mehr Energie in die Analyse der Zielgruppen des Projekts zu investieren, um ihre Beweggründe und Abgrenzungsmerkmale besser zu identifizieren, kommunikativ gezielter zu adressieren, ihren Bedürfnissen inhaltlich besser zu begegnen und schlussendlich auch evaluativ erfassen zu können, ob diese tatsächlich erreicht wurden. Im Fall der Glitzern & Denken-Evaluation boten die Ergebnisse neue Denkanstöße, um in der Evaluation darauffolgender Shows neue Abgrenzungsmerkmale der Zielgruppen zu testen.

Zum anderen zeigten die Interviews unintendierte Effekte des Formats auf: Mit der Konzeption des Formats wurde erhofft, dass durch die Verbindung von Kunst und Wissenschaft nicht nur die wissenschaftlichen Inhalte unterhaltsamer und nahbarer gestaltet werden, sondern auch das Image der Forschenden vom gemeinsamen Bühnenauftritt mit Künstler:innen profitiert, indem ihre sozialen und kommunikativen Eigenschaften hervorgehoben werden – Aspekte, die nicht als die zentralen Charakteristiken von Wissenschaftler:innen gelten (Ziegler et al. 2018, S. 7). Zwar zeigte sich, dass die Wissenschaftler:innen ein allgemein positives Feedback bekamen und diese offenbar in der Lage waren, das anfangs negative Vorurteil ihrer begrenzten Kommunikationsfähigkeiten in den Augen der Interviewpartner:innen zumindest abzuschwächen, gleichzeitig standen sie jedoch im direkten Vergleich mit den schillernden Persönlichkeiten der Künstler:innen. Der Effekt einer starken Kontrastierung zwischen den Wissenschaftler:innen auf der einen Seite und den Künstler:innen als bühnenerfahrenen, professionellen Kommunikator:innen auf der anderen Seite, sollte nicht unterschätzt werden. Auch kommunikativ talentierte Wissenschaftler:innen könnten in der direkten Gegenüberstellung zu Künstler:innen als verhältnismäßig schwächer kommunizierend wahrgenommen werden. Somit kann der gegenteilige Effekt der eigentlichen Zielsetzung dieser künstlerisch-wissenschaftlichen Veranstaltung eintreten: Wissenschaftler:innen können nicht etwa als nahbare und kommunikative Personen, sondern gegenüber den Künstler:innen als „blass“ und unnahbar erscheinen. Dieser Effekt wurde bei Schleimig! gegebenenfalls noch dadurch verstärkt, dass die Künstler:innen in ihrer Performance mit dem Stereotyp des schwer verständlichen Wissenschaftlers oder der „nerdigen“ Wissenschaftlerin spielten, was aus Sicht der künstlerischen Darbietung sicherlich nachvollziehbar ist, für die ultimativen Projektziele von Glitzern & Denken jedoch schlussendlich als wenig förderlich eingeschätzt wurde. Im Fall von Glitzern & Denken gab dieses Ergebnis den Impuls, auch den Wissenschaftler:innen mehr Möglichkeiten in der Show zu geben, um ihr kommunikatives Talent unter Beweis zu stellen und die Moderation für mögliche unintendierte Effekte zu sensibilisieren. Diese Erkenntnis kann sicher auch für andere Formate, in denen Wissenschaftler:innen auf der Bühne mit Kommunikationsprofis – seien es Künstler:innen oder ausgebildete Moderator:innen – agieren, gewinnbringend sein. Darüber hinaus wären weitere Untersuchungen dazu interessant, wie Wissenschaftler:innen in solchen Veranstaltungen wahrgenommen werden, die bewusst mit kontrastierenden Persönlichkeiten und Klischees spielen.

Die qualitativen Befragungen von Zuschauer:innen der Show beleuchteten Stärken und Fremdwahrnehmungen, aber auch Optimierungspotenziale und mögliche unintendierte Effekte von Glitzern & Denken, die standardisierten Fragebogendaten und ihre quantitative Auswertung allein nicht hätten aufdecken können. Der direkte Austausch ermöglichte dem Projektteam einen neuen Blick auf das Projekt und seine Zielgruppen und generierte Erkenntnisse für Wissenschaftsvarietés und ähnliche Formate. Darüber hinaus hatten sie auch Folgen für das weitere Evaluationsdesign im Projekt: Es wurde verstärkt auf qualitative Befragungen in einem Mixed-Methods-Ansatz gesetzt.