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Öffentlich gezeigt und mitgeteilt wird, was alle sehen, hören, wissen können und sollen. Ob Gesamtgesellschaft, Organisation oder Zweierbeziehung: Die Qualität der Öffentlichkeit – wer mitreden kann und wer nicht, was alle wissen und gemeinsam diskutieren, was verschwiegen und versteckt, worüber getäuscht und gelogen wird – ist für das Zusammenleben und für die Zusammenarbeit von entscheidender Bedeutung. Wenn Demokratie herrschen soll, repräsentative oder sogar direkte, kommt es auf die Qualität der öffentlichen Kommunikation ganz besonders an. Deshalb sind kritische Fragen danach und die große Beunruhigung darüber, wie es mit der modernen Öffentlichkeit und ihren digitalisierten Verbreitungsmedien weitergehen wird, ebenso berechtigt wie dringlich.

Anzeichen einer ernsthaften Krise der Öffentlichkeit sind dabei nicht zu übersehen: Fake News über Klimawandel, Pandemie und einen Krieg, der im Land des Aggressors nicht so genannt werden darf, kombinieren sich mit Polarisierungen in der Bevölkerung zwischen Gruppen und Milieus, die den etablierten Verbreitungsmedien vertrauen oder ihnen jegliche Glaubwürdigkeit absprechen, zu einem explosiven Gemisch. Hinzu kommen stark erweiterte, entgrenzte Kommunikationsangebote und eine veränderte Mediennutzung auf Social-Media-Plattformen und mit Messengern; parallel verhindert der Niedergang des klassischen Geschäftsmodells des Journalismus, ohne Aufstieg einer adäquaten Nachfolge, die Fähigkeiten der „alten“ Medien, die neu entstandene Vielfalt einzuordnen und besprechbar zu machen. Die gegenwärtige Umbruchphase muss als „demokratische Herausforderung“ gewertet werden. Dabei ist die Qualität des Journalismus mit Recht ein großes Thema, die sinkende Bedeutung des traditionellen Journalismus für die öffentliche Kommunikation jedoch zu Unrecht ein kleines. Ein Blick ins Internet genügt, um festzustellen, wie sehr Werbung, Content-Marketing und PR, also die interessengeleitete Selbstdarstellung, zusammen mit der Unterhaltung dominieren.

Strukturwandel als gestaltbare Transformation

Wenn gegenwärtig im Anschluss an Jürgen Habermas’ Klassiker aus den 60er-Jahren über einen neuen „Strukturwandel der Öffentlichkeit“ (Seeliger und Sevignani 2021) debattiert wird, wenn Forschungsprogramme über den digitalisierten Medienbetrieb aufgelegt und in populären Fernsehsendungen radikale Reformmaßnahmen – wie die Enteignung des Social-Media-Konzerns Facebook respektive Meta (ZDF Magazin Royale 2021) – gefordert werden, dann ist offensichtlich der Versuch im vollen Gange, aus diesem (mit der scheinbar unaufhaltsamen Kraft des technischen Fortschrittes über uns gekommenen) Umbruch eine gestaltbare Transformation zu machen.

Der vorliegende Band unterstützt diesen Gestaltungsanspruch und argumentiert aus unterschiedlichen Perspektiven dafür, dass der Begriff der Demokratisierung Leitidee und Richtschnur sein kann, um dem neuen Strukturwandel der Öffentlichkeit Orientierung zu geben.

Hintergrund der Publikation ist die Idee der Otto Brenner Stiftung, anlässlich ihres 50-jährigen Bestehens den roten Faden der gewerkschaftlichen und politischen Tätigkeiten ihres Namensgebers – das stetige Vorantreiben der „Demokratisierung von Staat, Wirtschaft und Gesellschaft“ (Becker 2019, S. 592) – angesichts der heutigen Herausforderungen zu aktualisieren und für eine kritische Fortschreibung zu nutzen. Brenner, der als langjähriger 1. Vorsitzender der IG Metall nach dem Zweiten Weltkrieg die Bonner Republik maßgeblich mitprägte, war klar in seiner Haltung: Demokratie ist „nicht nur als ein formales Prinzip“ (Brenner 1997a, S. 37) und als eine „auf den politischen Bereich beschränkte Ordnung“ zu verstehen, sondern als „reale[…] Kraft, die mehr und mehr alle gesellschaftlichen Bereiche durchdringen muss“ (ebd., S. 38). Was Demokratie in diesem Sinne bedeuten sollte, führte Brenner im Einklang mit der Gewerkschaftsbewegung insbesondere anhand der Demokratisierung der Wirtschaft aus, die demnach „als Ergänzung der politischen Demokratie und als Angriff auf die unternehmerische Autokratie“ (Brenner 1997b, S. 97) aufzufassen war. Weniger klar blieb, was unter einer Demokratisierung der Öffentlichkeit im Allgemeinen und der „demokratische[n] Kontrolle der Massenmedien“ (Brenner 2007, S. 392) im Speziellen zu verstehen ist.

Öffnung, Diversifizierung, Dialogorientierung

Bei aller Unbestimmtheit der Beziehung von Öffentlichkeit und Demokratisierung im Sinne Brenners – letztere dreht sich für ihn im Kern um eine Gleichverteilung von Macht und Einfluss durch den Abbau „noch bestehende[r] Privilegien und Machtpositionen einzelner und kleiner Gruppen“ (Brenner 1997a, S. 39) – ist jedoch eine deutliche Affinität zum partizipativen Paradigma moderner Öffentlichkeitstheorien leicht zu erkennen. Diesem Paradigma zufolge sollen „möglichst viele Menschen“ aktiv und diskriminierungsfrei in Meinungsbildungsprozesse eingebunden werden, damit „vielfältige Meinungen“ und „die Pluralität der Gesellschaft […] Eingang in die Öffentlichkeit finden“ (Jarren und Fischer 2021, S. 371). So betonte auch Brenner fast wortgleich, Demokratie könne „nur dort bestehen, wo eine Vielfalt von Meinungen den Weg in die Öffentlichkeit findet“ (Brenner 2007, S. 392).

Ein solcher Anspruch kann an unterschiedlichen Punkten ansetzen. Auf der Organisationsebene der Medienredaktionen spielt das Verhältnis der Medienmacher:innen zu ihrem Publikum eine zentrale Rolle: Ob sich die Einzelnen und die gesamte Redaktion als unidirektionale Weltenerklärer:innen verstehen oder aber als vertrauenswürdige Dialogpartner:innen auf Augenhöhe agieren, entscheidet wesentlich darüber, wie nachhaltig die sozialstrukturelle Selbstreferenz des Journalist:innenberufes aufgebrochen und zumindest um die Lebenswelten des Publikums bereichert werden kann. Ausreichend ist ein solcher Schritt freilich noch nicht, da es um der „Gleichverteilung von Macht und Einfluss“ willen auch notwendig erscheint, die auf der Ebene des Mediensystems sichtbaren vielfältigen Ausschlüsse sozialer Gruppen und ihrer Lebensrealitäten zu problematisieren und zu minimieren. Das Verschwinden ganzer Bevölkerungsschichten als Zielgruppe (und damit als Publikum), ihrer Lebenswirklichkeiten als Thema und ihrer Perspektiven als Blickwinkel der Berichterstattung der großen Verbreitungsmedien müssen auf dieser Grundlage als gefährliche Entwicklung beobachtet und kritisiert werden. Wie Christopher R. Martin in seinem eindrücklichen Buch „No Longer Newsworthy“ (Martin 2019) anhand des Verhältnisses der US-amerikanischen Medien zur einheimischen Klasse der Lohnabhängigen aufzeigt, betreffen diese Ausschlüsse, anders als oftmals kolportiert, keineswegs nur „Minderheiten“ – sondern potenziell alle, die in den Geschäftsmodellen der Medienverlage und in der Weltsicht ihrer Macher:innen keinen ökonomischen, politischen oder kulturellen Wert (mehr) besitzen. Die Demokratisierung der redaktionellen Inhalte und Formate sowie der personellen Zusammensetzung von Redaktionen im Sinne von Öffnung, Diversifizierung und Dialogorientierung steht hier auf dem Programm. Dass es dabei durchaus zu Unversöhnlichkeiten und Konflikten kommen muss – zwischen Medieninhalten und Geschäftsmodellen, zwischen Prioritätensetzungen von Herausgeber:innen, Redaktion und Leser:innenschaft usw. –, liegt in der Natur der Demokratisierung. Schließlich bedeutet Pluralismus nicht nur ein „Nebeneinander“ von Interessen, Gruppen, Meinungen und Wertungen, sondern auch ein „Gegeneinander“ (vgl. Brenner 2007, S. 385).

„Die Augen des Voyeurs und die Finger des Flâneurs“

Brenners Demokratisierungsverständnis teilt weiterhin sowohl Elemente des deliberativen wie auch des klassischen liberalen Paradigmas moderner Öffentlichkeitstheorien. Mit ersterem hat es gemein, dass es die grundsätzliche Pluralität der Meinungen nicht nur durch zivil- und strafrechtliche Schranken begrenzt, sondern auch an Menschenrechte und demokratische Grundrechte gebunden sieht. Diese Wertebindung führt zur Opposition einem digitalisierten Kapitalismus von Facebook & Co. gegenüber, welcher Kommunikation – „ein Mittel der Verständigung und Orientierung“ (Stalder 2019) – in eine Ware verwandelt, indem er sie zu „engagement“ degradiert: Ein Begriff, der für ein Verständnis von Kommunikation steht, dem Inhalte völlig gleichgültig sind; bedient werden „die Augen des Voyeurs und die Finger des Flâneurs“ (Moreira 2008). Von Reizen ausgelöste Reaktionen auf kommunikative Aktionen, registrierbar, quantifizierbar und vermarktbar, bilden das inhärente Ziel der heutigen Social-Media-Konzerne. Wer die Warenförmigkeit von Kommunikation im Allgemeinen und ihre spezielle Ausprägung im Zeitalter der Social-Media-Plattformen – die weder willens noch in der Lage sind, zwischen investigativem Bericht, Werbespot, Katzenvideo und menschenfeindlicher Hetze zu unterscheiden – begrenzt oder überwunden sehen möchte, kommt nicht umhin, grundlegende Fragen zu stellen und sich auseinanderzusetzen

  • mit bestehenden und denkbaren Finanzierungsmodellen im Journalismus,

  • mit den Eigentumsverhältnissen der Medienlandschaft,

  • mit der Regulierung der und Alternativen zur heutigen technischen Infrastruktur sozialer Medien.

Während in diesen Feldern die Warenförmigkeit der Kommunikation strukturell begrenzt und „bestehende Privilegien und Machtpositionen einzelner oder kleiner Gruppen“ abgebaut werden müssen, gilt es, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk gerade im Hinblick auf letztere kritisch zu durchleuchten und die Voraussetzungen seiner Zukunftsfähigkeit zu reflektieren.

Mit dem liberalen Paradigma haben Brenners Vorstellungen über Demokratisierung schließlich den Anspruch der Transparenz und der Sachlichkeit öffentlicher Kommunikation gemein. Dazu bedarf es der Medienkompetenz auf Seiten des Publikums und des generellen Überschreitens der nationalen Perspektive auf Seiten der Redaktionen. Die Denkungsart hinter der journalistischen Arbeitsweise muss über die großen Themen mindestens einen europäischen, besser einen globalen Perspektivenschirm spannen, um die Rezipient:innen in die Lage zu versetzen, ihrer Rolle als (Welt-)Bürger:innen in unserer politischen Demokratie gerecht werden zu können.

In Biografien über Otto Brenner wird immer wieder betont, dass er als einer der ersten Gewerkschafter in Deutschland ausgiebig auf akademischen Rat zurückgriff und mit dem „Who is Who“ der gesellschaftskritischen Sozialwissenschafter:innen seiner Zeit kooperierte, um die politischen und gesellschaftlichen Analysen der Gewerkschaftsbewegung zu schärfen. Die Herausgeber:innen dieses Bandes wissen sich mit diesem Ansatz verbunden und sind froh, sich fünfzig Jahre nach Gründung der nach Brenner benannten Stiftung und in seiner Tradition gemeinsam mit einen Kreis renommierter kritischer Medien- und Kommunikationsexpert:innen aus Wissenschaft und Praxis der entscheidenden Frage nach der Zukunft der Öffentlichkeit stellen zu können: Wie kann Demokratisierung als Bewertungsfolie für Strukturen, Institutionen und Prozesse, Inhalte und Formate des modernen digitalisierten Mediensystems konzeptionell entwickelt und praktisch mit Leben gefüllt werden?