Während die untergeordneten Untersuchungsfragen mit der Zusammenstellung des Forschungsstands in Abschnitt 2.2 und mit den Ergebnissen der beiden eigenen Studien in Kapitel 4 beantwortet sind, soll in diesem Kapitel die übergeordnete forschungsleitende Frage: „Wie ist Geographieunterricht angesichts des Zentralabiturs möglich?“ abschließend beantwortet werden, indem die Kernergebnisse diskutiert und systemtheoretisch eingeordnet werden.

5.1 Die Komplexität von Unterricht und unterrichtlichem Prüfen

Aus systemtheoretischer Sicht ist Unterricht komplex. Erstens treffen verschiedene Systeme aufeinander. Die unterrichtliche Kommunikation kann nicht in die Gedankenwelt der Lernenden und deren Organismus (z. B. Hirnströme) eingreifen, Schüler_innen müssen selbst lernen. Dies ist das in Abschnitt 2.1.2 vorgestellte Rationalitätsproblem der Erziehung. Dies kann für die Lehrkraft ernüchternd sein:

„Was man merkt jetzt in der Oberstufe bei zweistündigem Fach: Das läuft bei den Schülern halt so nebenher. Also, da ist das Interesse nicht sonderlich groß an der Geographie. Ja.

Und es bedarf sehr, sehr viel Motivation. Ja. Im Schwäbischen gibt es so einen Spruch: ‚Man kann den Hund nicht zum Jagen tragen.‘ Und das ist teilweise so, dass man versuchen muss, den Hund zum Jagen zu tragen. Die sitzen halt ihre Stunden ab.“ (4.III, 4.63, 37–38)

Leistungs- und Notendruck werden deshalb zur Disziplinierung eingesetzt:

„Ich brauche immer mal wieder auch schriftliche Tests, um wirklich zu sehen: Kann der das, was ich da unterrichtet habe? Und da haben wir natürlich dann ein anderes Problem. Jetzt wird es natürlich sehr umfangreich, dieses Volitionale, was natürlich dann immer noch im Zentrum steht, dass viele Schüler, wenn keine Noten gegeben werden, natürlich oftmals auch nicht liefern […].“ (3.XII, 3.30, 110)

Aber auch jeder Mensch selbst kann nur sehr bedingt in die eigenen Gedanken und den eigenen Stoffwechsel eingreifen. Eine Geographielehrerin bedauert die Situation erfolgloser Schüler_innen:

„Aber es gibt halt wirklich auch die, die halt eben kognitiv ein bisschen begrenzt sind, aber fleißig. Und dann schaffen die halt mal, haben die in der ersten Klausur eine 5+, dann arbeiten die, ist es trotzdem aber eine 4-, ein Defizit. Die Motivation, dann noch weiter an sich zu arbeiten ist wirklich relativ gering. Also ich / mein bestes Beispiel ist jetzt zwar in der Sekundarstufe I, aber ich habe da einen Schüler, der ist fleißig, der lernt ohne Ende, der sagt sich aber, ja gut, wird ja eh wieder eine Vier oder eine Fünf, muss ich ja eh nichts mehr machen. Diese resignieren halt irgendwann.“ (16.XXVI, 16.42, 190)

Zweitens ist die Komplexität dadurch gegeben, dass sich Interaktionssysteme wie der Unterricht durch Kommunikation konstituieren und sich folglich durch Kontingenz auszeichnen (s. Abschnitt 2.1.2). Das Problem der doppelten Kontingenz stellt die Lehrer_innen vor Herausforderungen: „Wir haben das [Anm.: Monsun] ewig lange besprochen und das verstehen so zehn von 30 und die anderen 20 merken sich auswendig, ja, irgendwas verschiebt sich und irgendwas ist die ITC“ (11.XXV, 11.31, 138). Um der doppelten Kontingenz zu begegnen, greifen Lehrer_innen auf Handlungsstrategien zurück, die das Gelingen des Unterrichts unabhängig vom Gelingen der unterrichtlichen Kommunikation machen sollen. Diese Absicherungsstrategien beziehen sich darauf, Richtiges zur Verfügung zu stellen. Eine Lehrerin wünscht sich deshalb mehr aufbereitetes richtiges Wissen in Schulbüchern:

„Na, so gestern war eine Schülerin in der 10, die sollten eine Raumanalyse vorbereiten. Da gab es auch so eine Checkliste als Arbeitsblatt. Und dann fragte sie: Was ist denn der Unterschied zwischen Landoberfläche und Landnutzung? Nachdem wir da 45 Minuten uns befasst hatten. Hätte ich gerne ein Buch, wo saubere Definitionen drin sind, wo ich sag: Lies es dir bitte nochmal durch. Wenn es nächste Stunde immer noch nicht klar ist, okay, reden wir nochmal drüber. Aber so diese Absicherung, das fehlt, das leistet unser Buch nicht.“ (15.XIV, 15.15, 96)

Auch die Schüler_innen wollen sich nicht auf das Gelingen der unterrichtlichen Kommunikation verlassen, beziehungsweise wünschen eine Absicherung, für den Fall, dass sie etwas nicht richtig verstanden haben:

„Ja, insofern, oder sagen, also was ich immer zum Halbjahr und am Ende lassen die mich so einen Reflektierbogen bewerten, das ist so ein Bewertungsbogen und was Schüler immer wieder nennen ist, dass ich zu, also Schüler wollen immer gerne Tafelbilder. Sie wollen am Ende fixierte Ergebnisse, die sie übernehmen können, was Vor- und Nachteile hat. Und, also ich bin mehr dazu übergegangen, Ergebnisse immer wieder zu sichern, weil Schüler einfach nicht in der Lage sind, oder vielleicht es auch nicht gelehrt bekommen haben, Dinge für sich mitzuschreiben, aus einem Prüfungsgespräch, weil sie natürlich vielleicht auch aktiv an so einem Gespräch gerade teilnehmen.“ (19.X, 19.64, 88)

Als Drittes tritt das Kausalitätsproblem auf, weil nicht mit Sicherheit gesagt werden kann, woher Wissen von Schüler_innen stammt. Zwei Beispielpassagen aus Interviews veranschaulichen dies: „Und gerade in Geographie haben sie ja Vorwissen zum Teil, was in der Welt los ist“ (13.XIV, 13.9, 64) und „Also gerade in der 12.2 kommt dann ganz viel zu Deutschland, so Stadtgeographien, das sind so Sachen, die sind denen schon irgendwie geläufig“ (11.XXIII, 11.55, 206).

Erzieherische Interaktion werde „von ihrer eigenen selbst generierten Komplexität überfordert“, konstatiert Vanderstraeten (2004, S. 63). Dies gelte schon für die einzelne Unterrichtssituation, aber noch mehr, wenn das Erziehen langfristige Ziele verfolge. Bereits für das Ziel Zentralabitur gibt es keine hundertprozentige Sicherheit, dies zeigen die Geographielehrer_innen im Sample, die sich fragen, ob ihre Schüler_innen beziehungsweise sie selbst das Zentralabitur schaffen. Umso mehr gilt dies, wenn noch langfristigere und diffuse, den möglichen Lebenslauf der Schüler_innen betreffende Ziele anvisiert werden.

„[…] ja, also ich könnte mir beispielsweise ein Bildungssystem vorstellen, wo man sagt, dass man, in der 12. Klasse hat man so einen Waldorfabschluss und jetzt geht man in das Leben an eine Uni und die Uni macht ein Auswahltest. Ich finde das nämlich eigentlich viel richtiger, was nützt mit ein Einser-Kandidat im Abi, ein Abi-Einser, das heißt noch lange nicht, dass er ein guter Arzt wird oder ein guter Lehrer, ja? Also, sondern das muss man doch anders herausfinden. Also, dass er eine Befähigung hat, klar, und dann die Unis hin kommt und die Zeit hat und nicht sagen die, irgendwann zu einem sagen, ja, dich nehmen wir, du bist der Künftige, du bist ein guter Arzt, weil das sind doch die Fachleute. Also ich würde mir das ganz anders, also wenn ich mir jetzt beschreibe, ein ganz anderes Bildungssystem.“ (12.XXIII, 12.34, 220)

„Führt man sich die Diskrepanz dieser Anforderungen des situativen Lavierens und Erreichens angestrebter Lernerfolge vor Augen, sieht man zugleich, daß es für die Lösung dieses Problems kaum Rezepte geben kann“, erkennt Luhmann (1987b, S. 69–70). Es gibt keine eindeutige Antwort auf die Frage: „Wie unterrichte ich richtig?“ (vgl. Abschnitt 2.1), keine Technologie des Unterrichtens.

Auch das Prüfen ist komplex. Das in Abschnitt 2.2.1.1 vorgestellte Modell „der pädagogischen Beurteilung als Interaktion zwischen Beurteiler und Beurteilten“ von Ingenkamp und Lissmann (2008, S. 16) schematisiert dies. Im Sample zeigt sich die Komplexität zum Beispiel anschaulich beim in Abschnitt 4.2.2.3 exemplarisch für den Gestaltungstypus 5 vorgestellten Fall aus Interview 19, bei dem die Divergenz der Beurteilungen im Zentralabitur vom in die unterrichtliche Interaktion eingebundenen Erstkorrektor und dem außenstehenden Zweitkorrektor einen Umbruch im Handeln ausgelöst hat: „Also die Frage ist immer, wo ist meine Skalierung, da gibt es ja auch verschiedene Ansätze und ich war vielleicht aufgrund der Tatsache eben neu, erstes Jahr, netter Kurs, gutes Kursklima, zu positiv“ (19.VI, 19.59, 78). Auch die Tatsache, dass die übliche Notengebung problematisch ist (Ingenkamp & Lissmann, 2008, S. 142–143), ist Lehrer_innen im Sample bewusst:

„Und auch beim Zentralabitur ist es ja in der Korrektur ja schon so, dass da große Unterschiede rauskommen, trotz Erstkorrektor und Zweitkorrektor.

Die sind ja an einer Schule, und man spricht sich ja trotzdem irgendwie ab, was man jetzt für einen Erwartungshorizont hat. Das variiert dann von Schule zu Schule ganz extrem. Und da wird es halt noch kritischer, diese Schnitte jetzt irgendwie zu vergleichen.

Ist klar, wenn ich jetzt einen Chef habe, der mir Druck macht, und sagt, die Schnitte müssen besser werden, korrigieren wir halt das nächste Mal das Abitur so, dass wir halt gnädiger sind einfach irgendwo, wenn wir sagen, ja, wir wollen das ja irgendwie da hinkriegen. Und dann führt das Zentralabitur dazu, dass es überhaupt keinen Sinn macht, Zentralabitur zu machen, wenn eh jeder so korrigiert, dass der Schnitt hinkommt.

Also muss ich mich halt entscheiden, was ich mit der Prüfung haben will. Will ich mich als Selbstbeweihräucherung sagen und sagen: ‚Boah, ich habe jetzt einen Schnitt, der ist besser, als der bayernweite Durchschnitt. Ich bin so ein toller Lehrer und meine Schüler sind ja so super toll und übrigens liegt es sowieso nur an mir, dass die jetzt so toll waren.‘

Oder ich sage, ich nehme das Abitur dazu, dass ich sage, ‚naja, ich möchte so ein Mindeststandard abprüfen, den mein Schüler können muss, wenn er hier die Schule verlässt.‘ Dann würde es ja wieder reichen, wenn ich sage, es reicht: ‚Er hat es bestanden.‘ Punkt. Dann brauche ich nicht rumtun: ‚Oh ja, der eine hat 1,4 und der andere hat 1,5 und‘ – schlimm.“ (10.XVIII, 10.33, 174–178)

Allerdings sei man daran gewöhnt, äußert sich ein anderer Interviewter:

„Ja und dann wissen sie es schon, wie es ist und jetzt sind es halt die Punkte und ich habe nur die und so. Fertig. Es ist auch nicht fair, das Verfahren, aber es wird eher eingesehen und deswegen möchte ich eigentlich auf dieses Verfahren nicht verzichten, weil das ist auch oft, da wird die Person dann rausgenommen. Ich habe das jetzt geschrieben, das ist halt meins, habe halt Pech gehabt oder so.“ (2.XIII, 2.42, 196)

In den Abschnitte 4.2.1.1 und 4.2.1.3 wurden verschiedene Bewertungsspielräume und Anpassungsstrategien beschrieben. Im folgenden Beispiel werden mündliche Noten eingesetzt, um schlechte Noten, die daraus resultieren, dass die schriftliche Leistungserfassung die Leistung nicht adäquat zu erfassen vermag, auszugleichen:

„B2: […] Also, weil du vorhin schon gesagt hast. [Name eines Schülers] würde ich absolut zum Kolloquium raten.

B1: Weil das so einer ist, der zu wenig schreibt. Der weiß das dann. Aber der braucht das, glaube ich, auch noch mal.

B2: Der hat es bei mir geschafft dreier Noten zu schreiben letztes Jahr.

B1: Ja.

B2: Und dann habe ich ihm tausend Mal 15 Punkte im Mündlichen eingetragen, dass das einigermaßen in Relation war.

B1: Ich hatte den in der Achten und da war es auch so. Also, das ist so ein/

B2: Das sagen alle Kollegen. Der kriegt das nicht auf das Blatt, was er eigentlich weiß und kann.“ (1.XVIII, 1.27, 139–145)

Hinzu kommen als weitere Herausforderungen die Frage nach der Bezugsnorm der Beurteilung und die Frage, wie Unterricht adäquat abgebildet werden kann. Nach Sacher (2000, S. 63–64) muss angestrebt werden, den Unterricht möglichst in einem „repräsentative[n] Querschnitt des vorangegangenen Unterrichts“ proportional abzubilden und abwechslungsreiche Prüfungsaufgaben zu stellen, die Aktivitäten fordern „wie sie auch im vorangegangenen Unterricht vorherrschten“. Unterrichtet man im Sinne einer neuen Lernkultur, prüft aber wie seit jeher, führt dies zu einem Spannungsverhältnis (Winter, 2016, S. 6–30). Dies wurde im Abschnitt 4.2.1.3 ausführlich beschrieben. Dabei ist augenscheinlich geworden, dass es nicht nur darum geht, eine andere Art zu unterrichten und zu lernen adäquat abzubilden (zum Beispiel Projektunterricht), sondern dass es auch eine fachspezifische Ausprägung des Spannungsverhältnisses gibt. In einem Interview wird dies wie folgt problematisiert:

„Also ich glaube, wenn wir bei dem Thema Prüfungen jetzt sind, vor allem schriftliche, das ist natürlich nach wie vor ein Problem, dass wir das, was wir im Unterricht machen sollten und auch aus meiner Sicht machen, viele Kollegen in Geographie, nämlich beispielsweise Öffnung nach außen, Anbindung von multimedialen Möglichkeiten in unserem Fach, auch didaktische Öffnung des Unterrichts in neue Formen, auch diese Variante Thinking-through-Geography, moderater Konstruktivismus, dass es eben beispielsweise keine eindeutigen Lösungen mehr gibt, sondern dass der Schüler nachher begründen muss, warum er jetzt diese Sache gewählt hat. Das jetzt in ein sehr starres Prüfungskorsett zu bringen, das ist eigentlich die große Kunst. Das bereitet uns zeitlich Schwierigkeiten, weil ich kann beispielsweise in einer normalen Klausur nie zwei Zeitstunden überschreiten. Im Abitur habe ich dann nachher aber viereinhalb. Also ich kann den Ernstfall eigentlich kaum durchspielen.

Ich bin methodisch sehr, sehr stark gebunden. Wenn ich denen in einer normalen Klausur jetzt eine kommentierte Profilskizze machen lasse, dann ist die Hälfte der Zeit schon weg. Das macht es nicht ganz einfach. Und ich kann natürlich nach wie vor, und das wird auch immer so sein, ganz viele wichtige Dinge in der Geographie in der Klausur eigentlich nicht prüfen. Also eine Landschaft zu lesen, was ich auf einer Exkursion mache, oder Hypothesen zu stellen und zu prüfen, oder auch die ganzen praktischen Dinge, eine Bodenprobe zu ziehen und zu analysieren, das ist in einer Klausur natürlich unglaublich schwierig.“ (3.I, 3.16, 73–74)

Die Reaktionen der Lehrenden auf das Spannungsverhältnis unterscheidet sich (vgl. Abschnitt 4.2.1). Entlastend wirke die Kombination aus schriftlicher und mündlicher Leistungserfassung, da letztere leichter zu modifizieren sei. Die Verbindung zwischen Unterricht und Klausur könne über die Inhalte hergestellt werden. Es sei nicht möglich, aber auch nicht nötig, den Unterricht proportional abzubilden, der Unterricht habe eine über die Selektion hinausgehende Funktion für den Lebenslauf der Schüler_innen. Es sei sowieso schädlich, besonders gestalteten Unterricht in die Leistungserfassung einzubeziehen, da dies den Schüler_innen den Spaß verderbe. Die Leistungserfassung habe sich durch alternative Antwortformate bereits gewandelt. Es werden aber auch vielfältige Änderungsvorschläge benannt.

Ein zweites Spannungsverhältnis tritt auf, da Selektion und Förderdiagnostik unterschiedliche Anforderungen an das Prüfen stellen und widersprüchliche Ziele verfolgen. Winter (2018) nennt zwei mögliche Handlungsalternativen: die förderdiagnostische Umdeutung herkömmlicher Leistungserfassung und die Trennung von Selektion und Förderung. Beide Strategien ließen sich auch in der Interviewstudie finden. Während das Feedback mittels herkömmlicher Leistungserfassung als einfach umsetzbar angesehen wird, gilt die Trennung von Leistungserfassung und Förderdiagnostik als schwierig, da dieses Vorgehen für die Beteiligten ungewohnt ist und deshalb Druck erzeugt:

„Ich habe das [Anm.: Diagnose] ein Jahr mal gemacht in Geographie in der fünften Klasse. Das hat aber bedeutet, dass ich spätestens jede sechste Stunde in irgendeiner Art und Weise eine Testung vornehmen musste. Da haben die Eltern dann schon reagiert. Ich habe die Tests nicht immer benotet, aber natürlich standen die Schüler ständig unter einem Diagnosedruck, aber wenn ich es objektiv machen will, muss ich testen.

Ich kann nicht subjektiv denken: ‚Der kann es jetzt wahrscheinlich.‘ Und das ist natürlich inhaltlich auch ein wahnsinniger Aufwand für mich als Lehrer. Und wenn das jedes Fach machen würde, und so ist es ja eigentlich gedacht, dann wäre das für die Schüler auch nicht mehr bewältigbar.“ (3.V, 3.22, 88)

Außerdem wird thematisiert, dass unter den gegebenen Rahmenbedingungen nur ein Feedback über Noten umsetzbar sei:

„Jeder von uns will Rückmeldungen über seine Leistungen und seine Fähigkeiten und natürlich würden wir es individueller in Einzelgesprächen vielleicht ohne Noten besser haben, aber das geht in dem System nicht. Wie soll das funktionieren? Ich kann nicht nach einer Klassenarbeit mit jedem Schüler eine halbe Stunde Gespräche führen. Schön wäre es, aber dann müssten wir die Rahmenbedingungen komplett verändern.“ (3.IX, 3.45, 117)

Zusammenfassend kann auf Abschnitt 2.2.4.1 und die Feststellung von Lüsebrink (2002, S. 44) verwiesen werden, dass Unsicherheit ein „konstitutives Element des konkreten alltäglichen LehrerInnenhandelns“ ist.

5.2 Komplexitätsreduzierende Handlungsstrategien

Das Zentralabitur ist das Ergebnis einer komplexitätsreduzierenden Handlungsstrategie.

Es kann nicht auf die Komplexität des einzelnen Unterrichts eingehen und versuchen, diesen möglichst proportional abzubilden. Das Fach Geographie hebt sich mit seinen vielfältigen Fachmethoden von anderen Fächern ab, gerade diese können aber – siehe Zitat oben – nur eingeschränkt in eine schriftliche Klausur transformiert werden.

Die Standardisierung des Zentralabiturs bedingt außerdem, dass die Prüfungsaufgaben gleichförmig sind. In der quantitativen Studie zur Aufgabenkultur im Zentralabitur im Fach Geographie konnte zunächst gezeigt werden, dass die Steuerungswirkung der Einheitlichen Prüfungsanforderungen der KMK auf Bundesebene gering ist und nicht von einer bundesländerübergreifenden Standardisierung gesprochen werden kann. Mithilfe von Kontingenzanalysen konnte aber nachgewiesen werden, dass die Verteilung der unterschiedlichen Ausprägungen der einbezogenen Variablen im Datensatz maßgeblich von der Variable Bundesland abhängt. Es gibt also signifikante Unterschiede zwischen den schriftlichen zentralen Abiturprüfungen im Fach Geographie/Erdkunde der Bundesländer Baden-Württemberg, Bayern, Hessen, Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen. Gleichzeitig bedeutet dies, dass diese Prüfungen innerhalb der Bundesländer sehr ähnlich sind, hier also ein hoher Grad an Standardisierung vorliegt. Die Clusteranalyse konnte zusätzlich zeigen, dass sich die rechnerisch gebildeten Fallgruppen in großen Teilen mit der Fallzugehörigkeit zu den Bundesländern decken. Es hat sich dann beim vertieften Blick auf die Prüfungen auf erhöhtem Anforderungsniveau in den einzelnen Bundesländern gezeigt, wie unterschiedlich diese im Detail konzipiert sind.

Bemerkenswert ist, dass es sowohl für die Kontingenzanalysen als auch die Clusteranalyse nicht nötig war, zwischen Prüfungen auf grundlegendem und erhöhtem Anforderungsniveau zu unterscheiden, da die Unterschiedlichkeit zwischen und Gleichförmigkeit innerhalb der Bundesländer ausreichend groß ist, selbst wenn man alle Prüfungen zusammen nimmt.

Aufgrund der skizzierten Komplexität von Unterricht entsteht die paradoxe Situation, dass Unterricht unplanbar ist, aber doch geplant und dann situativ angepasst werden muss. Ein Beispiel für das spontane Eingehen auf das spezifische Unterrichtsgeschehen wird in folgender Interviewpassage beschrieben:

„Zunächst ging es um die Geographie des Glücks. Das heißt, wir haben uns das Fach Mathematik herangezogen und haben verschiedene Statistiken ausgewertet. Und haben dann so Glücksindikatoren für Europa festgelegt. Und haben dann die Korrelation ausgerechnet. Also da waren ganz kuriose Sachen dabei. Wir haben festgestellt, dass die Leute, jetzt muss ich überlegen, da müsste ich oben gucken bei meinen Materialien, dass die Leute in südlichen Ländern bei Umfragen, das kann man abrufen über bestimmte Datenbanken, in südlichen Länder gesagt haben/ oder einen viel höheren Glücksindikator als zum Beispiel jetzt in Deutschland. Und als wir das rausgefunden hatten, sollten die Schüler Thesen aufstellen.

Ja. Ganz abstruse, ganz abstruse Thesen. Einer hat gesagt: ‚Ja, ist ja klar, dass sie in Griechenland und in Italien glücklicher sind, da sind die Frauen viel, viel hübscher als in Deutschland.‘ Und da habe ich gesagt: ‚O.k.! Prüfe es! Prüfe es!‘ Ja. ‚Prüf es!‘ Und dann habe ich ihnen gezeigt wie man mit Datenbanken umgeht, wie man recherchiert, wie man das rausfindet. Und dann mussten sie die Korrelation berechnen. Also, gibt es einen Zusammenhang oder eine Begründung dafür oder salopp gesagt, dass die Griechen glücklicher sind, weil dort die Frauen angeblich deiner Meinung nach hübscher sind. Das war so die Herangehensweise.“ (4.IV, 4.29, 79–80)

Geographielehrer_innen im Sample greifen angesichts der Komplexität auf komplexitätsreduzierende Handlungsstrategien zurück, die über Themen und Rollendifferenzen (vgl. Abschnitt 2.1.2) hinausgehen. Es konnten Strategien der Rellocation, des Aligning, des negative Coaching und auch des Cheating festgestellt werden (vgl. dazu Abschnitt 2.2.4.2). Auslöser ist Stress, der in Abschnitt 2.2.4.1 mit Hobfoll (2004, S. 55) als drohender oder tatsächlicher Ressourcenverlust oder als ausbleibender Erfolg nach einer Investition von Ressourcen definiert wurde. In der Interviewstudie wurden als Gründe vor allem Stress durch die Stofffülle in der Oberstufe und der damit verbundene Zeitdruck sowie Stress durch das nahende Zentralabitur, das zu Leistungsdruck führt, identifiziert. Hinzu kommt, dass je aufwändiger der Unterricht geplant ist, desto mehr Stress entsteht, wenn ein ausbleibender Erfolg befürchtet wird:

„Also, wenn ich irgendwas mit PowerPoint mache, oder kleine Filme zeige, oder mal mit GIS irgendetwas mache, muss ich mich ja echt vorher vorbereiten. Das ist immer fünf Minuten so ein kurzer Schockmoment, wo ich mir denke, was ist, wenn der Computer nicht geht. Der geht mal eine ganze Stunde nicht. Klar, dann geht es auch anders. Aber das ist immer so der kurze Adrenalinschock, den man da bekommt. Und dann meistens klappt es aber. Also da kann man sich schon drauf verlassen. Aber wenn man natürlich mit Buch und Tafel arbeitet, hätte ich vorher keinen Stress. Also solche Stunden sind für mich vorher unstressiger, weil ich weiß, wenn der Overhead nicht geht, wenn was nicht geht, die haben einen Atlas, die haben ein Buch und fertig. Aber wenn ich weiß, ich will heute eigentlich den Film zeigen und die Animation und das, finde ich halt schade, wenn ich das nicht zeigen kann. Weil dann, die Schüler merken ja nicht, was sie verpassen. Aber ich weiß ja, was sie verpasst haben. Weil ich es ja extra vorbereitet habe.“ (11.XXXII, 11.50, 212)

Je größer die Eigenaktivität der Schüler_innen ist, desto weniger planbar erscheint der Unterricht. Dies bedingt, dass lehrer_inzentrierter Unterricht das Gefühl, steuern zu können und die Situation unter Kontrolle zu haben, vermittelt, während schüleraktivierender Unterricht Unsicherheit mit sich bringt. Dies soll anhand der folgenden zwei Beispiele veranschaulicht werden.

„B1: […] In der 10. Klasse, die ich jetzt auch wieder habe, ist es halt so, dass ich mir suche, was brauche ich für die Oberstufe als Grundwissen, was kommt da wieder definitiv dran für das Abitur, da muss ich zugeben, bin ich doch derjenige, der das dann gerne sehr lehrerzentriert macht.

I: Und woran liegt das dann genau, dass man da /

B1: Weil ich finde – ich meine, diese offenen Arbeitsformen, Präsentationen und dieses selber Erarbeiten, finde ich sinnvoll, wenn es um Methodenkompetenz geht. Klar, ich muss ja das üben, irgendwie das Einüben – Texte umgehen, Statistiken umgehen – aber die Ergebnisse, die rauskommen, die sind halt nicht einheitlich und nicht standardisiert, und ich tue mich halt sehr schwer, wenn wir gerade bei Prüfungen sind, das dann in der Prüfung abzufragen, wenn ich dann 25 verschiedene Ergebnisse habe, die ja alle irgendwie stimmen, aber ich trotzdem alle einheitlich irgendwie beurteilen muss. Was ich ins Heft schreibe und ins Heft diktiere oder anschreibe, das kann ich auch dann abfragen.“ (10.XII, 10.5, 26–28)

„Und in der fünften Klasse versuche ich halt immer, denen was in die Hand zu drücken, oder ihnen was zum Arbeiten zu geben. Wo sie selbst kindgerecht noch arbeiten können. Also ich habe zum Beispiel auch einen Emil, also den Emil eingeführt. Der Emil ist so ein Klassenmaskottchen, oder ein Geographiemaskottchen, der für die Schüler die Welt bereist und eben sich die Sachen ansieht, die die Schüler halt quasi nicht sehen können, weil die im Klassenzimmer sitzen. Und so versuche ich halt, das, ja, schon sehr kindgerecht noch zu machen, weil halt, klar, wenn man jetzt zu Mittel- oder Oberstufen geht, da muss man halt ganz anders arbeiten. Ich glaube, ja, das Problem ist eher, dass man die Zeit nicht hat. Wenn man mehr Zeit hätte, gerade auch zum Unterrichten, weniger Stoff im Lehrplan drinstehen würde, dann könnte man ganz andere Sachen machen. Da könnte man Projekte machen, mehr Freiarbeit machen, auch wirklich differenzieren nach Leistungsniveau. Aber leider geht das nicht. Das funktioniert einfach nicht. Es ist leider immer noch eine Art Unterricht mit Elementen, die halt dann mal schöner sind. Aber es ist immer lehrerzentriert und man gibt wirklich wenig in Schülerhand raus. Also es ist kein richtig entdeckendes Lernen. Es ist immer sehr geleitet. Das finde ich schade, weil da ganz viel Potential verloren geht, aber es ist einfach im System nicht anders machbar.“ (7.XII, 7.7, 51)

In den Interviews konnten alle von Hobfoll (2004, S. 89–118) benannten Strategien der Stressbewältigung gefunden werden (vgl. Abschnitt 4.2.1 und 4.2.2). Insbesondere die Ressource Zeit als Zeit zur Vor- und Nachbereitung, Zeit im Unterricht und private Zeit wird thematisiert. Es wird gefragt, welche Investitionen sich lohnen, die eigene Einstellung wird verändert und Verantwortung den Schüler_innen übertragen, es wird anerkannt, dass nur begrenzte Zeitressourcen zur Verfügung stehen und in einigen Interviews wird auch ein Missachten von Vorschriften beschrieben.

Angesichts der Komplexität von Unterricht kann es keine Technologie des Unterrichtens geben. Es gibt keine eindeutige Antwort auf die Frage: „Wie unterrichte ich richtig?“ (vgl. Abschnitt 2.1). Das Zentralabitur mit dem darauf vorbereitenden Teaching-to-the-Test, die Inhalte im Lehrplan mit dem lehrer_inzentrierten Unterricht werden als Scheintechnologie zum Technologieersatz erhoben. Auch angesichts der Komplexität des unterrichtlichen Prüfens greifen Geographielehrer_innen im Sample auf komplexitätsreduzierende Handlungsstrategien zurück. So wird im folgenden Beispiel wegen Zeitknappheit auf die soziale Bezugsnorm zurückgegriffen:

„Ja, die gibt es offiziell natürlich nicht, aber in der Praxis ist es tatsächlich so. Die Klassen werden so bewertet, wie der beste und der schlechteste Schüler ist. Ja. Also, eine gute Klasse hat genau so Einser- und Fünferkandidaten drinnen wie eine schlechte Klasse. Ja. Das ist leider so. Also das ist auch was, was ich gar nicht gerne mag. Man hat halt die Sozialbezugsnorm innerhalb der Klasse, aber es ist nicht möglich, es anders zu machen im Lehreralltag. Also nicht mit dem, was wir hier leisten müssen. Ich würde gerne individueller benoten oder auch gar nicht benoten, sondern einfach den Leistungsfortschritt irgendwie dokumentieren. Aber das ist nicht möglich. Ich habe die Zeit dann einfach gar nicht dafür.“ (7.XI, 7.31, 121)

Die alten Zentralabiturklausuren werden als Ersatztechnologie eingesetzt (s. Abschnitt 4.2.1.3). Das rezeptologische Zurückgreifen auf das Prüfungsformat aus dem Zentralabitur ist nicht nur eine Teaching-to-the-Test-Strategie, sondern auch eine komplexitätsreduzierende Handlungsstrategie. Greift man darauf zurück, muss man sich selbst keine weiteren Gedanken machen: „Und. Naja dann ist es das Übliche. Dann ‚Beschreiben Sie‘, ‚Begründen Sie‘, ‚Erläutern Sie‘. Einfach bei eins, zwei und drei“ (14.XV, 14.13, 86) und kann zum Beispiel auf alte Abiturklausuren zurückgreifen und diese als unterrichtliche Klausuren neu stellen (vgl. Abschnitt 4.2.1.3).

5.3 Komplexitätsreduzierende Handlungsstrategien als Selbstbeschränkung des Unterrichts

Das Interaktionssystem Unterricht ist autopoietisch, es erschafft und erhält sich selbst. Die systemkonstituierende Operation ist die Kommunikation. Sie zeichnet sich unter anderem durch Kontingenz (s. o.) aus, dem „Gegenteil von Notwendigkeit bzw. Determiniertheit“ (Rosenberger, 2018, S. 36) und ist somit komplex. Ihr Ablauf und ihre Entwicklung ist ungewiss (Rosenberger, 2018, S. 37). Davon ausgehend lässt sich angesichts der im Rahmen dieser Arbeit festgestellten empirischen Ergebnisse folgende These diskutieren: Wenn sich Unterricht durch Kommunikation konstituiert bzw. selbst erschafft, schafft er sich mit jeder Beschränkung derselben ein Stück weit selbst ab und damit auch das Erziehungssystem als Ganzes.

  1. (1)

    Das erste Argument dafür ist, dass Ungewissheit den Lehrer_innen angesichts des Zentralabiturs nicht recht ist. Sie greifen deshalb zu den oben genannten Strategien der Komplexitätsreduktion. Aber je mehr Scheintechnologien angewendet werden und je weniger die Schüler_innen am Unterrichtsgeschehen beteiligt sind, desto determinierter wird die unterrichtliche Kommunikation. Damit wird das Hauptprinzip der sozialen Interaktion durch Kommunikation, die (doppelte) Kontingenz, unterlaufen. Ein Lehrervortrag entlang eines Skripts zum Beispiel beschränkt die Beteiligung der Schüler_innen erheblich:

    „Also in der Oberstufe, da muss ich regelmäßig ein Kapitel komplett als Lehrervortrag machen mit Skript. […] Ja, man schafft es einfach schneller. […] Und das presst man denen rein […]. […] So trägt man es vor, und am Ende der Stunde, wenn jemand Fragen hat, kann er Fragen stellen oder es selbst nachlesen und dann hat man halt in drei Stunden was erledigt, wo man sonst halt neun Stunden braucht. Das muss man am Ende einfach oft machen, weil man zeitlich nicht hinkommt.“ (11.XXIII, 11.55, 204–206)

  1. (2)

    Auch ist der Fortgang der Kommunikation keineswegs ungewiss, wenn der Zeit- und Themenplan so eng getaktet ist, dass kein Raum für Spontanes bleibt. Dies zeigt das folgende Beispiel:

    „B1: Also in der Oberstufe hat man da leider nicht so viel Spielraum. So erlebe ich das. Also man ist sehr unter Zeitdruck und man muss sich genau überlegen. Also ich bin jetzt zum Beispiel in der Q12 bei Bevölkerung, bei Migration.

    B2: Seit wann? Diese Woche.

    B1: Diese Woche.

    B2: Ich fange morgen an. Ich habe nämlich meine Aufzeichnungen letztes Jahr gesehen und da war ich schon eine Woche weiter.

    B1: Ja, genau. Und ich hätte jetzt/ Man könnte da ja ganz viele Diskussionen auch haben oder so eine Bevölkerungskonferenz machen. Das kann man eigentlich nicht.

    B2: Nein, das geht nicht.

    B1: Also so eine ganze Stunde für so etwas opfern und man bräuchte das, wenn die sich einlesen sollen und sollen da eine Meinung vertreten. […]“ (1.I, 1.12, 38–44)

Darübe r hinaus kann die Ungewissheit, wie sich die Kommunikation entwickelt, ins Gegenteil verkehrt werden, wenn Unterricht mit einer größeren Beteiligung der Schüler_innen mit einem zuvor exakt festgelegten Ergebnis endet (und Schüler_innen sich nur beteiligen können, wenn ihr Ergebnis diesem entspricht). Als Beispiel sei folgende Passage aus dem Interview 19 zitiert:

„Und, also ich bin mehr dazu übergegangen, Ergebnisse immer wieder zu sichern […] Es hat sicherlich den Vorteil, dass Ergebnisse zentraler dann zur Verfügung stehen, aber das mache ich jetzt dann zum Beispiel häufiger, dass ich Grundlage von Lösungsbüchern oder mir zuhause doch eben noch mehr Notizen im Vorfeld mache. […] Also ich finde, dadurch dass, also manchmal lasse ich das auch durch Schüler moderieren, die dann schnell sind, so durch Binnendifferenzierung, dass ich sage: ‚Okay, ihr beiden moderiert gleich Ergebnissicherung‘, ich gucke kurz die Ergebnisse der Schüler mir an, sehe, das passt inhaltlich einigermaßen, gebe ihnen vielleicht noch von mir zwei, drei Aspekte da durch. Wenn das nicht der Fall ist, stehe ich natürlich vorne und sichere den Prozess. Natürlich können sich Schüler noch daran beteiligen, aber es ist dann wieder lehrerzentriert.“ (19.XVII, 19.61, 88–90)

Hinzu kommt, dass selbst bei der Ergebnissicherung Zeitstress bestehen kann, der die Aktivität der Schüler_innen weiter sinken lässt. Das folgende Beispiel kann dies verdeutlichen:

„Und dazu habe ich zum Beispiel auch wieder eine PDF-Datei. Ich habe da zu dem ganzen Film so eine Strukturskizze erstellt. Ich habe gesagt, wer mit mir in meinem Zimmer mit vorkommt, kann es auf einen Stick holen. […] Weil, wenn die jetzt noch in der Stunde viel mit malen und wollen das so sauber haben, wie ich das habe, dann haben wir wieder den Zeitfaktor.“ (1.XIII, 1.21, 105–107)

Gegen die These, dass das Interaktionssystem Unterricht und damit auch das Erziehungssystem als Funktionssystem der Gesellschaft durch die beschriebenen Handlungsstrategien zusammenschrumpft, sprechen zwei Argumente.

  1. (1)

    Die Luhmannsche Systemtheorie setzt mit der Identifikation einer spezifisch pädagogischen Kommunikation schon Beschränkungen der Autopoiesis des Interaktionssystems Unterricht voraus. Außerdem wird angenommen, dass sich das Erziehungssystem nicht durch jede beliebige unterrichtliche Kommunikation konstituiert.

Zunächst einmal ist Unterricht nach Luhmann (2015, S. 23) kein „freies“, sondern ein „organisationsabhängige[s]“ Interaktionssystem (s. Abschnitt 2.1.2). Unterricht sei eine „nicht beliebige Kommunikationsofferte“ (Scheunpflug & Mette, 2007, S. 44). Es handele sich um eine spezifisch pädagogische Kommunikation, die Beschränkungen unterliege (Luhmann, 2002, S. 110; Prange, 1987, S. 209; Scheunpflug & Mette, 2007, S. 44; Vanderstraeten, 2004, S. 61). Dazu gehörten die asymmetrische Rollenstruktur mit einer deutlich erhöhten Redezeit der Lehrer_innen und die Kommunikation über zuvor festgesetzte Themen: „Man sollte vielleicht mal das Stundenthema am Anfang sagen.“, erinnert sich die Geographielehrerin im Interview 11 an einen Tipp aus einer Fortbildung (11.IX, 11.54, 238).

Lehrer_innen seien außerdem keine beliebigen an der unterrichtlichen Kommunikation Beteiligten, ihre Rolle referiere auf die Schulorganisation (und Gesellschaft) (Luhmann, 2002, S. 105). Als Beispiel kann der Fall des Geographielehrers im Interview 19 herangezogen werden, der sein Handeln nach einer ersten Erfahrung mit einem Leistungskurs im Zentralabitur umgestellt hat und sich fragt: „wie viel Freiraum habe ich eigentlich noch als Lehrer, wie starr ist dieses System“ (19.XXXII, 19.27, 80). Ein weiteres Beispiel ist der Geographielehrer im Interview 10, der das Oszillieren zwischen seiner Rolle als Pädagoge und als Beamter beschreibt (10.XIX, 10.40, 215–216). Mit der Charakterisierung dieser Spezifika der pädagogischen Kommunikation müssten auch die oben skizzierten komplexitätsreduzierenden Unterrichte mit eingeschlossen werden.

  1. (2)

    Das zweite Argument ist, dass unterrichtliche Kommunikation dem Erziehungssystem nur dann zuzurechnen ist, wenn sie eindeutig einer Seite eines Präferenzcodes zugeordnet werden kann (s. Abschnitt 2.1.2). Geht es nicht auch im komplexitätsreduzierten Unterricht um Vermittlung und Aneignung und damit um den Code vermittelbar/nicht vermittelbar beziehungsweise beim komplexitätsreduzierten unterrichtlichen Prüfen um Selektion und damit um den Code besser/schlechter? Als Beispiel kann hier ein Auszug aus Interview 18 herangezogen werden, indem zwei Geographielehrer begründen, warum es nicht schädlich wäre, wenn Schüler_innen die als unterrichtliche Klausuren eingesetzten Zentralabiturklausuren der Vorjahre kennen sollten:

    „B6: Nein, nein. Mit dem STARK-Verlag da nicht.

    B1: Kann man frei einsehen.

    B2: Und die sind ja gut.

    B1: Mit Lösungen und wie auch immer. Und der Schüler, der was sich vorbereiten wollen würde, könnte.

    B2: Könnte, aber.

    B1: In diesen Büchern einfach die Klausuren sich anschauen.

    B2: Aber wenn er das macht, dann bereitet er sich ja vor. Außer er nimmt jetzt das Heft mit in die Klausur, aber das würde er nicht machen. Das heißt, er muss es ja auch lernen dann. Das heißt, das ist in jedem Fall, selbst für den Fall, dass er quasi pfuscht, ja, ist es ein positiver Effekt für das Abitur.

    B1: Ja. Er hat in jedem Fall gelernt.

    B2: Ja. Nicht? Also sage ich mir dann, falls das vorkommt.“ (18.VI, 18.24, 429–437)

Wenn man diese Frage bejaht, kann man annehmen, dass das Erziehungssystem durch den oben beschriebenen Unterricht in besonderem Maße ausgebildet wird. Allerdings sprechen drei Argumente gegen diese Annahme.

  1. (1)

    Erstens ist ungewiss, ob die Vermittlung im Unterricht wirklich zu einer Aneignung führt („auf dem Weg zum Abi verliert man ja immer Schüler“ 1.XVIII, 1.1, 7). Beim stark lehrer_inzentrierten Unterricht ist diese Ungewissheit gegenüber schüler_innenzentriertem Unterricht erhöht. Es kann nämlich nicht in dem Maße, wie es bei schüler_innenzentriertem Unterricht der Fall ist, zutage treten, ob die Schüler_innen etwas gelernt haben.

    „Du kannst mal die Schüler beobachten. Wenn man nur Unterrichtsgespräche führt, man ist ja mit sich selbst auch mehr beschäftigt. Wie stelle ich meine nächste Frage? Wie mache ich das jetzt spannend? Und wenn die alleine arbeiten, da kann man mal gucken, wie niedlich die Fünftklässler alle sind. Der eine bobelt da gerade und der andere macht da irgendeinen Quatsch und schneidet sich die Fingernägel. Und die machen so komische Sachen und das merkt man ja alles sonst nicht.“ (11.VIII, 11.19, 92)

    „Auch in der zwölf, elf, da steht eigentlich drin, dass man, dass Schülerreferate gehalten werden sollen. Kann ich nicht, ich habe das einmal gesehen bei jemanden, bei meinem Kollegen. Die Schüler stellen sich dahin, wochenlang, halten Referate. Die sind von der Qualität her mittelmäßig bis schlecht, der Lehrer müsste eigentlich alles nochmal aufbereiten, kann das aber nicht. Das heißt, das, was die Leute schriftlich machen, bleibt stehen, dass ein Quatsch da gesagt wurde. Und dann im Abitur schreiben sie dann diesen Quatsch hin. Und, nee. Also wir haben einfach die Zeit nicht.“ (9.IX, 9.43, 125)

Es ist beim lehrer_inzentrierten Unterricht somit kaum möglich zu entscheiden, welcher Seite eines Codes die Kommunikation zugeordnet werden kann.

  1. (2)

    Zweitens geht es beim Teaching-to-the-Test auch nicht um die Codes vermittelbar/nicht vermittelbar oder besser/schlechter, sondern um die Entscheidung: „zukünftig (im Zentralabitur) besser“ oder „zukünftig (im Zentralabitur) schlechter“:

    „B1: […] Und es [Anm.: unterrichtliche Klausur] dient natürlich neben dem Kompetenzerwerb während der Laufzeit bis zum Abitur hin dann ganz klar auch letztlich schon als Motivation auch auf dieses /

    B2: Extrinsische Motivation.

    B1: Genau. Als Motivation. Genau. In Bezug, wie gut trainiert bin ich denn für das Abitur auch? Also sprich, das wäre im Prinzip ein Punkt schon zu sagen: Okay, wie sehen die Prüfungen aus? Möglichst nahe an dem, was sie später erwartet.

    I: Damit sie das schon einmal kennenlernen.

    B1: Genau, damit man das schon einmal kennenlernt. Genau. Und das ist eine ganz starke Steuerungsfunktion. Es gibt ja so das offene Geheimnis, dass die Abituraufgaben der letzten Jahre der heimliche Bildungsplan sind.“ (8.XVII, 8.19, 156–160)

  2. (3)

    Drittens kann ein solcher Unterricht nicht als erfolgreich angesehen werden. Luhmann bezeichnet Unterricht nämlich nicht als erfolgreich, wenn überhaupt und irgendwie kommuniziert wird. Der Output des Erziehungssystems sei nicht die Interaktion oder die Gruppe der Schüler_innen, sondern wenn sich die Schüler_innen durch Kommunikation entwickeln und sie damit auf ihr späteres Leben vorbereitet würden (Luhmann, 2002, S. 46–47). Ein Beispiel für einen Unterricht, bei dem die Schüler_innen eine eigene Verantwortung für das Gelingen der Kommunikation und damit des Unterrichts übernehmen, beschreibt eine der beiden Geographielehrerinnen im Interview 16:

    „Mit den Zwölf, Dreizehn ist ein Traum. Das ist wirklich, jetzt auch kurz vor dem Abitur, ich sage denen auch: Leute, wir müssen jetzt eben nicht einen Einzelaspekt nur angucken, verknüpft das. Das läuft, die machen das fast eigenständig, und das ist eigentlich das. Weil ich brauche auch nicht mehr drannehmen. Klappt nicht jede Stunde, aber meistens funktioniert es.“ (16.XII, 16.11, 45)

Teaching-to-the-Test zielt aber nicht auf das Leben nach der Schule, sondern auf das Ziel Zentralabitur ab. Auch in dem Zentralabitur vorgelagerten Unterricht und den unterrichtlichen Klausuren werden Leistungen erbracht, die für das Abitur zählen: „in der Oberstufe sind sie ja integraler Bestandteil der Abiturprüfung letztlich, also sprich, die Schülerinnen und Schüler bauen ihre Notenleistungen quasi mit ein“ (8.VII, 8.17, 156). Es wäre aber zu kurz gegriffen, zu meinen, dass es allein um den Erwerb des Abschlusses Abitur gehe und damit der Lebenslauforientierung genüge getan sei.

„B: […] Natürlich muss ich mich messen lassen, ob meine Schüler das können, oder nicht können. Das ist die eine Seite, ganz klar, ja. Aber wenn man so stark unter Druck ist, dass wir wirklich nur noch für die Zehntel im Abitur lernen, dann haben wir als Schule was missverstanden, und zwar ganz fürchterlich missverstanden, also wir haben einen ganz umfassenden Erziehungs- und Bildungsauftrag. Wir haben keinen Abitur-Produzentenauftrag, ja. Das ist was ganz anderes, ob ich eine Maschine habe, aus der später Abiturienten raus laufen, oder aus der Schule Persönlichkeiten rauslaufen, das sind zwei Paar Stiefel. Das sollen Persönlichkeiten sein, die aber auch eben noch ein Abiturzeugnis in der Hand haben, und da gehört viel, viel, viel mehr dazu, letztendlich könnte ich alles einstampfen, da brauche ich keinen Chor machen, da brauche ich kein Weihnachtskonzert mehr, warum eigentlich.

I: Ja.

B: Auch, wenn ich ein Theaterspiel, warum denn? Das bringt doch gar nichts für das Abi. Also, nein, das ist auch dann/ fragen Sie sich, warum wird der Schulleiter? Genau aus dem Grund, es ist nämlich hochgradig nicht egal. Eine Gesellschaft braucht nicht nur funktionierende Handlanger eines irgendwie gearteten demokratischen oder wirtschaftlichen Systems, sondern wir brauchen Menschen, die auch mal querdenken, die auch mal ihre Stimme erheben, die auch Persönlichkeiten sind, ja. Was hatten wir gerade für eine Debatte? Wir haben Debatte über Sterbehilfe. Wenn Sie bloß funktionierende Abiturienten hatten, ja, dann können Sie solche Debatten nicht führen. Wir brauchen Menschen, die ein Wertekonzept haben, ja, die für sich selbst in der Lage sind, Dinge zu reflektieren, und das lernen sie nicht, indem sie sich bloß auf eine Prüfung vorbereiten. Das ist viel zu dünn. Das ist Bildung hier, Persönlichkeitsbildung, die Geographie leistet da ihren Beitrag. Die sagt, okay, unser Auftrag ist, wir gehen raus. Also wir stellen uns der Sache, wir gehen in die Betriebe rein, und bei uns ist das schon klar ausgemacht. Es kann sein, es klappt nicht immer, und natürlich ist auch nicht jeder der Lehrer immer gleich motiviert dazu.

I: Natürlich, ja, ja.

B: Aber im Wesentlichen ist es so, dass unsere Kursstufenschüler, auch die Pflichtleute, die machen ihre Exkursion, Industriebetrieb zu besichtigen, zum Beispiel. Oder gehen in den Steinbruch und schauen sich einen Nutzungskonflikt an. Bei uns soll demnächst eine Straße gebaut werden, zwischen [Ort der Schule] und der Autobahn, also dass wir von [Ort der Schule] direkt auf die Autobahn fahren können. Das geht natürlich nicht, dass Sie durch den Ort durchfahren dazwischen. Das ist ein tolles Beispiel, wollen wir die Straße, oder wollen wir sie nicht. Vor 50 Jahren hätten wir sie gebaut, kein Problem, heute sind wir weiter. Dann fahren wir dorthin mit dem Bus mit den Schülern, schauen uns das dann an, haben dann jemanden vom Straßenbauamt dabei. Und das ist das, was ich meine: reden wir. Beispiel Straße. 20 Jahre später sind wir im Bundestag und reden über die Sterbehilfe, ja. Und da ist es wurscht, welche Klausur Sie geschrieben haben.“ (5.VII, 5.39, 192–196)

Auch ob ein allein oder vornehmlich auf Inhalte ausgerichteter Unterricht reicht, kann angezweifelt werden.

„Diese Kompetenzorientierung, ja, ich glaube, da geht es auch mehr darum, dass man den Schülern beibringt, eigenverantwortlich zu lernen, so dass es nachhaltig ist, dass sie später im Leben mehr davon haben und es geht weniger, glaube ich, um das Fachwissen an sich. […]

Aber es gibt viele so von der alten Schule, die sagen, ja, sie legen da Wert drauf, mögliches Wissen zu vermitteln, auch viel Wissen zu vermitteln und auch in die Tiefe zu gehen. Aber wenn ich mich selbst erinnere, ich weiß fast nichts mehr von der Schule. Ich weiß natürlich vieles unbewusst aus der Schule, aber ich kann mich an keine einzige Stunde erinnern, oder? Und deswegen glaube ich, geht es nicht um die Inhalte, sondern um das bringt mir das was für später? Wie komme ich später damit im Leben zurecht? Und dann denke ich an die Geographie. Wenn sie wissen, sie haben einen Atlas und bevor sie in Urlaub fahren, gucken sie mal nach, was es da für eine Vegetation, wer der Kolonialherr war, oder was auch immer, habe ich mein Ziel erreicht. Und das ist für mich so Kompetenzorientierung.“ (11.XXI, 11.57, 92)

Unterricht kann dabei nicht davon ausgehen, dass er in der Wissensvermittlung erfolgreich ist. Im Interview 12 wird erklärt, dass das Vergessen an der Waldorfschule mit eingeplant werde (12.XV, 12.19, 72–76). Schule erziehe „trotz bester Intentionen […], aber nicht so wie gedacht“, formulieren es Schorr und Luhmann (1981, S. 53). Darauf weist auch das Angebot-Nutzungs-Modell von Helmke (2017, S. 71) hin.

„B: Die [Anm.: unterrichtlichen Klausuren] dienen dazu, dass sie eine schriftliche Leistung abliefern und ich somit überprüfen kann, ob von dem etwas hängen geblieben ist, von dem ich von dem Stoff, den ich vorher vermittelt habe. Ja. Auch offen und ehrlich: Das, was die Schüler für eine Klassenarbeit lernen, ist reines Kurzzeitgedächtnis. Wenn ich die gleiche Klassenarbeit, ohne dass sie darauf lernen, drei Wochen später noch mal schreiben würde, wäre nicht mehr viel da.“ (4.VII, 4.24, 59–60)

Nur dann kann WissenFootnote 1 auch die Form sein, die den Lebenslauf konkretisiert und damit Möglichkeiten eröffnet (vgl. Abschnitt 2.1.1).

5.4 Einflüsse von außen

Der Unterricht als Interaktionssystem ist autopoietisch. Er kann sich folglich – dies wurde oben gezeigt – auch selbst beschränken. Neben diesen Selbstbeschränkungen ist der Unterricht von Beschränkungen von außen betroffen. Der organisatorische Rahmen wird vom Organisationssystem Schulorganisation installiert (s. Abschnitt 2.1.3). Dies beginnt auf der organisatorischen Ebene der Einzelschule und reicht über die Schulaufsicht bis zum Schulministerium. Dies geschieht über Programme, zu denen Lehrpläne und Zentralabiturrichtlinien gehören. Auch wenn über Programme der konkrete, einzelne Unterricht nicht bis ins Detail diktiert werden kann, haben sie eine Steuerungswirkung, die in den Abschnitte 4.2.1.1, 4.2.1.2 und 4.2.1.3 für das Fach Geographie anhand der Interviewstudie beschrieben wurde.

Da Organisationssysteme als Multireferenten im Austausch mit vielen anderen Systemen stehen, werden über die Schulorganisation Fremderwartungen an den Unterricht herangetragen. Neben der Politik werden auch die Wirtschaft sowie das Recht als Akteure, die von außen in den Unterricht eingreifen, benannt (s. Abschnitt 4.2.1.4).

Von den multiplen Möglichkeiten der durch die Umwelt ausgelösten Veränderungen ist die Reprogrammierung für diese Arbeit besonders relevant, da alle Systemtypen einbezogen und betroffen sind (s. Abschnitt 2.1.4). Die Schulorganisation erlässt und verändert die Programme, die dann den organisatorischen Rahmen des Unterrichts bilden. Das Erziehungssystem als Gesellschaftssystem ist betroffen, da die Programme die Zuschreibung der Kommunikation zu einer Seite eines Steuerungscodes bestimmen. In der Interviewstudie wurden Änderungen der Programme thematisiert: insbesondere die Einführung des Zentralabiturs, seine funktionale Umdeutung und die Neuausrichtung der Lehrpläne. Es werden Wechselsituationen beschrieben (s. v. a. Phänomen in Phänomenanalyse 15) und Vergleiche früher – heute angestellt (s. v. a. Kontext in Phänomenanalyse 14 und 15), Hoffnungen für zukünftige Wechsel formuliert (z. B. Wunsch nach weniger Inhalten im Lehrplan s. Konsequenzen in Phänomenanalyse 18).

In Abschnitt 2.2.2.1 wurden drei Perspektiven auf und Verortung von Autonomie im Schulkontext nach Berka (2003) und Tenorth (2003) vorgestellt.

  1. (1)

    Als Eigenschaft des Unterrichtens und als personale Autonomie der Lehrenden wurde sie in der Interviewstudie vor allem dann thematisiert, wenn diese als durch den organisatorischen Rahmen beschränkt empfunden wurde. Eine Ausnahme bilden hier die dem Gestaltungstypus 4 („Das Gestalten gestalten“) zugeordneten Fälle, die von Handlungsfreiheiten berichten. Auch wenn in den Interviews vielmehr die Instrumente der Schulorganisation wie Klausurenterminplan, Lehrplan, Prüfungsrichtlinien, Zentralabitur thematisiert werden, die „von oben“ kommen (15.XXXVII, 15.42, 248) werden auch die in Abschnitt 2.2.2.1 dargestellte Struktur der organisatorischen Rahmung mit den einzelnen Ebenen der Schulaufsicht thematisiert. Das Bildungsministerium etwa wird als Akteur wahrgenommen, der die eigene Autonomie beschränkt:

    „I: […] Ja, wie würdest du denn die Lage insgesamt für dich einschätzen? Also Unterricht, Prüfen, Zentralabitur, wie siehst du deine Situation?

    B: Ja. Ja, man kann sich natürlich jetzt ein bisschen kritisch die Frage stellen, wie viel Macht, oder wie viel Einflussnahme habe ich überhaupt noch als Lehrer oder führe ich strikt aus, was mir vorgegeben wird. Was ich vorhin schon mal meinte mit den mündlichen Prüfungen, da habe ich natürlich viel mehr Freiheit, dann mache ich das auch lieber, weil zum einen der Kontakt zu den Schülern viel intensiver und persönlicher dadurch ist und weil ich, natürlich sind die Aufgabenformate, die ich in der mündlichen Prüfung stelle, angelehnt an die Klausuren. Da gibt es ja auch, habe ich auch dementsprechende Vorgaben. Aber das ist eigentlich so ein Punkt, wo ich dann ein bisschen mehr Freiheit verspüre, aber trotzdem noch eigentlich strikt geographisch arbeite. Ich könnte jetzt natürlich eine Klausur nach meinen Vorstellungen designen, aber rein rechtlich hätte ich da natürlich ein Problem, weil es anfechtbar ist, sobald irgendwelche Eltern oder auch Pädagogen, Lehrer, das ganze rechtlich anfechten. Und da bin ich natürlich schon in einem ganz klaren Korsett. Was wiederum nicht schlecht ist. Das meinte ich ja vorhin. Also ich finde, ich korrigiere gerne Klausuren, und ich stelle gerne Klausuren, weil ich die geographische Arbeitsweise prinzipiell gutheiße. Ja. Also von daher ist man eigentlich mehr ein, ja, mir fällt gerade kein schönes Wort ein, ein Akteur, aktiv bin ich eigentlich schon noch, ein, ja, ein Ausführer sozusagen. Aber so ist ja auch das Prinzip Schule gedacht. Kultusministerium gibt vor, Lehrer führt aus. Also es ist ja nicht so, dass ich das Rad neu erfinden soll. Also, ja (lacht), klingt jetzt blöd, aber ja.“ (19.XXXII, 19.41, 150–151)

Hier und an anderen Stellen (vgl. Abschnitt 4.2.1.4) kann auch die von Fend (2008, S. 102) festgestellte „hochgradige Verrechtlichung“ im Erziehungssystem festgestellt werden. Darüber hinaus werden die Kultusministerkonferenz (5.III, 5.19, 94–98), der „Gesetzgeber“ (10.V, 10.35, 191), die „Lehrplanmacher[n]“ (5.IV, 5.14, 88) sowie die Aufgabenkommissionen, die die Abituraufgaben erstellen, als steuernde Akteure genannt (vgl. Abschnitt 4.2.1.4). Die eigene Zugehörigkeit zur Schulorganisation ist den interviewten Lehrer_innen nicht nur dann bewusst, wenn sie in besondere Aktivitäten ergreifen (zum Beispiel Testen der kommenden Zentralabiturprüfungsaufgaben in einem „Praxischeck vom Land“ 19.XXVII, 19.19, 62). Vielmehr wird auch der von Weniger (1952b, S. 521) zu bedenken gegebene „Widerspruch zwischen […] Pflichten als ‚Staatsdiener‘ und […] Verantwortung als Erzieher“ diskutiert:

„Wie sage ich einem Schüler, er kann sich verbessern, ohne dass ich ihn damit völlig demotiviere, und wie komme ich meinem Auftrag als Beamter nach, der sagt, ich muss ja irgendwie eine Selektion trotz alledem treffen – auch wenn das Wort negativ vorbelastet ist – ist es ja letzten Endes nicht anders für jemanden, der jetzt für die Oberstufe geeignet ist oder nicht geeignet ist.“ (10.XIX, 10.40, 215)

Als personale Autonomie der Schüler_innen wurde sie im Zusammenhang mit der Tatsache, dass man Schüler_innen nicht zum Lernen zwingen kann (s. Abschnitt zur Komplexität von Unterricht oben), angesprochen.

  1. (2)

    Als Instrument der Schulentwicklung beziehungsweise als institutionelle Autonomie wurde sie kaum angesprochen, lediglich im Zusammenhang mit der Erstellung eines schulinternen Lehrplans („Wir haben jetzt ewig an einem schulinternen Lehrplan gestrickt, aber Q1, Q2 wird ja jetzt erst noch gemacht.“ 16.IX, 16.48, 16; außerdem: 16.XXI, 16.54. 38) sowie der Festlegung der Stundentafel („Und fünf [Anm.: von 22 Stunden] davon sind sozusagen Geographie. Aber wie die Schule die Prioritäten setzt, kann die sozusagen selbst entscheiden. Die könnten auch sagen: ‚Sieben Geographie und dann ein bisschen weniger Geschichte.‘“ 14.III, 14.8, 42).

  2. (3)

    Hinsichtlich der Autonomie als Verschieben von Verantwortung (Dekonzentration) konnten im Rahmen der Interviewstudie Konkurrenz-Phänomene festgestellt werden. So wurden Konkurrenzsituationen auf internationaler (PISA 4.XIX, 4.20, 41; 5.III, 5.24, 122), nationaler (s. vor allem Phänomenanalyse 14 „Anpassung und Resignation“), der Ebene des Bundeslandes, auf Schul- und Kursebene sowie auf der Ebene der einzelnen Schüler_innen im Zeitverlauf (s. vor allem Abschnitt 4.2.1.3 und 4.2.1.4 zur Diskussion des Vergleichs von Durchschnittsnoten) geschildert.

So führt nicht nur die Tatsache, dass das Zentralabitur von außen kommt, zu Druck (s. Abschnitt 4.2.1.1), sondern auch, dass es als „Mechanismus der Quantifizierung“ (Peetz, 2014, S. 161) (s. Abschnitt 2.2.2.1) zu Vergleichen herangezogen wird. Die Kennzahl, die hier im Sinne des New Public Managements (Münch, 2009, S. 74, 2018, S. 16) herangezogen wird, ist die Note. Dies ist aufgrund der Tatsache, dass es bis dato keine wissenschaftlichen Konstruktionsmethoden gibt, sondern erfahrungsbasiert vorgegangen wird und deshalb wissenschaftliche Gütekriterien der Leistungsmessung nicht eingehalten werden (Ingenkamp & Lissmann, 2008, S. 142), bedenklich. Es wird auch die Vergleichbarkeit angezweifelt beziehungsweise werden die Vergleichsverfahren kritisiert, so beispielsweise beim mündlichen und schriftlichen Abitur auf Schulebene:

„[…] selbst bei uns an der Schule, ist von den Anforderungsniveaus ein großer Unterschied von Kollege zu Kollege schon alleine drinnen. Und auch beim Zentralabitur ist es ja in der Korrektur ja schon so, dass da große Unterschiede rauskommen, trotz Erstkorrektor und Zweitkorrektor.

Die sind ja an einer Schule, und man spricht sich ja trotzdem irgendwie ab, was man jetzt für einen Erwartungshorizont hat. Das variiert dann von Schule zu Schule ganz extrem. Und da wird es halt noch kritischer, diese Schnitte jetzt irgendwie zu vergleichen.

Ist klar, wenn ich jetzt einen Chef habe, der mir Druck macht, und sagt, die Schnitte müssen besser werden, korrigieren wir halt das nächste Mal das Abitur so, dass wir halt gnädiger sind einfach irgendwo, wenn wir sagen, ja, wir wollen das ja irgendwie da hinkriegen. Und dann führt das Zentralabitur dazu, dass es überhaupt keinen Sinn macht, Zentralabitur zu machen, wenn eh jeder so korrigiert, dass der Schnitt hinkommt.“ (10.XVIII, 10.32, 173–176)

oder beim schriftlichen Abitur auf Kursebene: „Das hat keine Aussagekraft. Hat Null Aussagekraft. […] Aber sonst bei vier Leuten einen Schnitt daraus zu machen, völliger Käse“ (10.XVIII, 10.13, 48).

5.5 Äußere Einflüsse als Fremdbeschränkung des Unterrichts

In diesem Abschnitt soll die These diskutiert werden, dass durch die Einflüsse von außen der Unterricht beschränkt wird.

Diese soll zunächst anhand der in Abschnitt 2.1.3 vorgestellten Differenzierung von Beschränkungen von Unterricht durch die Organisation nach Kuper (2004, S. 135), die Konzentration (1) und die Regierung (2), begründet werden.

  1. (1)

    Während ein Ergebnis der Analyse der Zentralabiturklausuraufgaben ist, dass die Steuerungswirkung der durch die Kultusministerkonferenz verabschiedeten, bundesländerübergreifend verbindlichen Einheitlichen Prüfungsanforderungen gering ist, konnte in der quantitativen Studie aber die Standardisierung der Zentralabiturprüfungsaufgaben auf der Ebene der Bundesländer als Prozess der Konzentration nachgewiesen werden. Diese Unterschiede zwischen den Bundesländern werden auch in den Interviews thematisiert (z. B. „Und das ist auch nicht, ich glaube, es ist nicht wirklich für die Schüler fairer geworden, denn die Unterschiede zwischen den Bundesländern sind ja immer noch da. Die sind ja ziemlich groß. Wir müssen nur einmal über den Rand gucken nach NRW“ 15.XXI, 15.44, 252). Hinzu kommen in der qualitativen Studie aufgedeckte Vereinheitlichungstendenzen im Unterricht durch die Taktung von Lehrplaninhalten im Schuljahresverlauf (1.I, 1.12, 38–44).

  2. (2)

    Die bei der Analyse der Interviews festgestellten Teaching-to-the-Test-Strategien zeugen davon, dass das Zentralabitur als Maßnahme der Regierung wirkt. Besonders anschaulich wird dies, wenn dies der Fall ist, obwohl keine Relevanz gegeben ist, da das Zentralabitur für den Kurs keine Rolle spielt:

    „I: Würden Sie sagen, wenn ich jetzt gar keinen mehr hätte in dem Kurs, der das [Anm.: Abitur] schriftlich macht, würden Sie dann vielleicht anders prüfen?

    B: Ich hatte letztes Jahr die Situation, dass ich keinen hatte, schriftlich. Was meinen Sie mit anders prüfen?

    I: Ja, wenn Sie jetzt sagen, an bestimmte Dinge sollten sie sich schon mal gewöhnen. Oder, dass die geübt sind in einer Weise.

    B: Nee, würde ich nicht, würde ich nicht. Weil einfach die in anderen Fächern ja dann auch prüfen, Abitur schreiben müssen und da ist es ja ähnlich. […] Nö, ich habe das ganz normal gemacht.“ (9.XIII, 9.28, 118–121)

Nur in Ausnahmefällen, die auf spezielle Bedingungen zurückzuführen sind, entfaltet das Zentralabitur eine geringe Regierungswirkung: einmal hat ein Geographielehrer nur selten Abiturient_innen im Fach Geographie und dann nur im Grundkurs (Interview 14), einmal berücksichtigt ein Lehrer das Zentralabitur erst spät: im 13. Schuljahr, nachdem die Schüler_innen den Waldorfabschluss erworben haben (Interview 12).

Obwohl also beide von Kuper (2004, S. 135) benannten Ausprägungen der Beschränkungen von Unterricht nachgewiesen werden können, kann der These der Beschränkung von Unterricht von außen widersprochen werden, da der organisatorische Rahmen von Unterricht Handlungsfreiheiten bietet (1) und innovierend wirkt (2).

  1. (1)

    Erstens kann man ausgehend von den Ergebnissen der Interviewstudie die Freiheiten, die der organisatorische Rahmen lässt, als ausreichend ansehen. So spricht beispielsweise ein Interviewter im Interview 8 angesichts der Möglichkeit, Seminarkurse zu gestalten und am Geo-Portal mitzuarbeiten, von „Freiheit“, die man bekomme und nutze (8.XX, 8.41, 407). Selbst bei der Korrektur der Zentralabiturklausuren werden Handlungsspielräume gesehen.

  2. (2)

    In Abschnitt 2.2.3.1 wurde als Ergebnis einer Studie von Wiechmann (2003) vorgestellt, dass ein äußerer Handlungsdruck dazu führen kann, behördliche Informationen zu nutzen und staatliche Fortbildungen zu besuchen. Auch in der Interviewstudie gibt es Hinweise auf diese Wirkung. Im folgenden Beispiel setzt sich ein Geographielehrer wegen seiner neuen Rolle als Fachvorsitzender intensiver mit dem Lehrplan auseinander:

    „Ja, also die Frage ist, Kompetenzen tun sich, glaube ich, immer noch viele mit schwer, weil was sind eigentlich Kompetenzen. Also viele ältere Kollegen machen ihren Unterricht weiter und sehen das, was sie vorher vermittelt haben, können ja auch streng genommen Kompetenzen der Kartenanalyse gewesen sein, nur dieses berühmte, das Kind heißt jetzt anders. Also wenn ich strikt nach Lehrplänen gehe, was ich schon, wenn ich jetzt einen neuen Leistungskurs habe, schon mache, also ich bin bei uns eben, ich bin auch Fachvorsitzender, und muss jetzt die ganzen Lehrpläne umsetzen, dann muss ich mich natürlich auch intensiver irgendwie damit auseinandersetzen.“ (19.XXVI, 19.7, 28)

Im Rahmen der Interviewstudie konnte für das Gestalten von eigenem Unterricht und von Fortbildungen ein ähnliches Phänomen nachgewiesen werden. Bei dem in der Typologie als „Das Gestalten gestalten“ charakterisierten vierten Typus fungieren organisatorische Vorgaben als Anregung. Im Interview 2 etwa werden verschiedene „Aktionstage“ zu Themen des Abiturthemenkanons (Karst, Boden, Schichtstufen, Verwitterung, Fließgewässer, Wettergeschehen in Mitteleuropa 2.VI, 2.3, 8–21), die als Fortbildungen für Lehrer_innen oder für Kurse anderer Schulen angeboten werden, erwähnt. Diese gehen über herkömmlichen Geographieunterricht hinaus, als Beispiel sei hier der Aktionstag zum Thema Boden angeführt:

„Jetzt haben wir auch gerade Boden und da gibt es bei uns auch dann einen Aktionstag, den wir entwickelt haben, wo wir auch mehrere Fortbildungen dazu gemacht haben und da geht man dann natürlich auch raus und sticht einmal einen Boden aus oder mehrere und geht dann auch ins Labor. Lauter Dinge, die normalerweise nicht so ad hoc in einer Schule erledigt werden können.“ (2.VI, 2.3, 12)

Es kann sogar sein, dass eine Vorgabe Wirkung entfaltet, obwohl sie in einer spezifischen Situation nicht gilt. Hier kann das weiter oben zitierte Beispiel aus dem Interview 16 herangezogen werden, bei dem in einem Grundkurs der Syndromansatz behandelt wird, obwohl er vom Lehrplan nur für den Leistungskurs gefordert wird (16.X, 16.43, 179).

Dass die Einführung beziehungsweise funktionelle Umdeutung des Zentralabiturs (als Reprogrammierung) tatsächlich Änderungen bewirkt, haben die in den Abschnitte 4.2.1.2 und 4.2.1.3 beschriebenen Teaching-to-the-Test-Strategien gezeigt. Als ein Beispiel können hier nochmals alternative Antwortformate herangezogen werden, die im Zentralabitur drankommen können und deshalb von den Lehrer_innen in ihren Unterricht beziehungsweise die unterrichtlichen Klausuren eingebunden werden:

„Es gibt noch ein paar andere, die muss ich abarbeiten, die muss ich zum Beispiel einmal, ein Wirkungsgefüge oder so muss ich können, also müssen die das auch bei mir machen, also es ist ja ein Antwortformat. Das sind vier, fünf, sechs Dinge, mit denen muss man rechnen […].“ (2.XVII, 2.36, 138)

Diesen beiden Argumenten kann man wiederum mit neun Gegenargumenten, die die Ausgangsthese stützen, widersprechen.

  1. (1)

    Selbstredend ist man im Handeln freier, wenn man gar keine Vorgaben hat. Dies zeigt der Fall des Geographielehrers an der Waldorfschule, der seinen Unterricht völlig frei gestaltet (12.XIV, 12.47 bis 12.55) und erst, nachdem die Schüler_innen den Waldorfabschluss erlangt haben, in einem Vorbereitungsjahr die Schüler_innen auf das Abitur vorbereitet.

  2. (2)

    Abschnitt 2.2.2.2 und 2.2.2.3 haben bereits gezeigt, wie das Prüfungswesen in der Oberstufe und das Zentralabitur im Fach Geographie durch Verwaltungsvorschriften und Erlasse dezidiert geregelt ist. Dies hat eine standardisierende Wirkung, die in den Kontingenzanalysen und der Clusteranalyse der Aufgabenkultur im Geographie-Zentralabitur nachgewiesen werden konnten. Auch in der Interviewstudie wird sowohl thematisiert, dass die pädagogischen Programme standardisiert seien, als auch dass sie standardisierend wirkten (s. Abschnitt 4.2.1.1 bis 4.2.1.3 zu Zentralabitur, Unterricht und unterrichtlichen Klausuren).

    In Interviews wird außerdem an vielen Stellen von Beschränkungen der Freiheit gesprochen. Dabei beziehen sich die Interviewten nicht nur auf die organisatorische Rahmung, sondern auch auf weitere äußere Einflüsse durch andere Akteure (s. Abschnitt 4.2.1.4).

  3. (3)

    Es ist an dieser Stelle nicht möglich, zu entscheiden, ob das Ausmaß der Freiheit in Unterricht und unterrichtlichen Klausuren ausreicht, da es unterschiedlich wahrgenommen wird (s. Abschnitt 4.2.1.2 und 4.2.1.3). Dies zeigt sich auch daran, dass nicht jedes der fünf Bundesländer mit seinem eigenen organisatorischen Rahmen in der Typologie einen eigenen Gestaltungstypus ausbildet. Es ist im Gegenteil sogar so, dass die Interviews aus dem Sample, die mit Kolleg_innen in Bayern durchgeführt worden sind, um die Spannbreite an Handlungsmöglichkeiten innerhalb eines organisatorischen Rahmens aufzudecken, vier von fünf identifizierten Gestaltungstypen zugeordnet werden konnten (s. Abschnitt 4.2.2.3). Es ist davon auszugehen, dass auch für den verbliebenen ersten Typus ein Beispiel aus Bayern hätte gefunden werden können.

  4. (4)

    Die Top-down-Implementation von Lehrplänen als Instrumente zur Steuerung über Orientierungsgrößen und dem Zentralabitur als Instrument der Steuerung über Analyse und Feedback (Dedering, 2012, S. 65–108) führt zu den in Abschnitt 4.2.1.4 vorgestellten Abgrenzungstendenzen der Lehrenden von der Schulorganisation, wenn diese an ihr nicht beteiligt sind. Diese Tendenzen können gestaltungshemmend wirken. Ein Beispiel: Ein Geographielehrer fühlt sich als „ein Ausführer sozusagen. Aber so ist ja auch das Prinzip Schule gedacht. Kultusministerium gibt vor, Lehrer führt aus. Also es ist ja nicht so, dass ich das Rad neu erfinden soll“ (19.XXXII, 19.41, 152).

  5. (5)

    In Abschnitt 2.2.3.1 wurde dargelegt, dass es nicht gesichert ist, dass Vorgaben, nur weil Vorgaben von oben herab kommen, eingehalten werden, „weil das jeweilige Planungsobjekt eben nicht bloß ein passiver, seine Formung durch staatliche Politik willig über sich ergehen lassender Gegenstand ist, sondern eigenwillig und eigensinnig agiert“ (Schimank, 2009, S. 233). Immer wieder wird in den Interviews thematisiert, dass man Inhalte nicht unterrichte, Referate nicht halten lasse, Exkursionen nicht durchführe oder generell Kompetenzen nicht gezielt vermittele, obwohl dies laut Lehrplan verbindlich sei. Dies kann die folgende Interviewpassage veranschaulichen:

    „B2: […] Ja sonst so Kompetenzen. Ja. Das ist, also meine Hauptorientierung ist nicht an den Kompetenzen. Sage ich jetzt einmal so. Ja.

    B3: Ja, das ist ja wie früher auch schon immer passiert ist. Es gibt einen neuen Lehrplan, aber dann ist es ja nicht so, dass wir Lehrer uns da daran halten. Ich glaube die meisten Kollegen, ich schließe mich da ein, unterrichten so wie die Bücher es vorgeben. Wenn wir neue Bücher kriegen, dann unterrichten wir nach diesen Büchern und dann macht man uns eigentlich nicht so. Bei einem jüngeren Kollegen mag es anders sein, aber dann hieß es früher. Sie mussten ja früher immer diese Themen selber vorgeben [Anm.: gemeint ist die Erstellung der Abschlussklausur im dezentralen Abitur]. Und ab und zu gab es einmal ein Kommentar, dass die dann schrieben: ‚Moment mal. Diese Thematik ist schon seit 20 Jahren aus dem Geschäft.‘ Und so etwas. Aber man macht ja das dann trotzdem noch so, weil es in den Büchern so drinnen war. Deswegen.“ (18.VI, 18.15, 161–162)

Pädagogische Programme, die in Abschnitt 2.2.3 als positiv intendierte Innovationen vorgestellt wurden, können aber nicht ihre beabsichtigte Wirkung entfalten, wenn sie nicht vollumfänglich berücksichtigt werden.

  1. (6)

    In Abschnitt 2.2.3.1 wurde mit Bezug auf Altrichter (2009, S. 247–248) ausgeführt, dass sich die Implementation von Innovationen als schwierig erweisen kann, wenn sie sich nicht in bestehende Strukturen einpassen lassen. Dies bestätigt sich in der Interviewstudie etwa bei Exkursionen, die nicht durchgeführt werden, weil es schulorganisatorisch nicht durchsetzbar sei, da sonst zu viel Unterricht ausfalle (9.XIV, 9.10, 37) oder bei der Individualisierung, die aus strukturellen Gründen nicht (9.XVI, 9.7, 31; 18.XVII, 18.12, 153 und 18.14, 153–157) oder nur eingeschränkt (3.V, 3.25, 95; 3.V, 3.19, 81–82; 3.V, 3.20, 83; 8.XXIII, 8.14, 147 und 153; 8.XXIII, 8.55, 142–143; 16.X, 16.32, 179–182) umsetzbar sei. Ein Beispiel:

    „Und ich denke da sollte man auch ehrlich sein. Individualisierung ist sicherlich ein ganz wesentlicher Aspekt. Den Schüler in seinen eigenen, wie soll ich sagen, in seinen eigenen Entfaltungsmöglichkeiten zu fordern oder nach seinen eigenen Neigungen zu fördern und ihn auch hier vielleicht so ein bisschen zu spezialisieren, das erfordert einen sehr, sehr großen Aufwand, dem Sie nicht immer gerecht werden können. Also das ist ein heeres Ziel, das auf dem Papier steht, aber ich würde sagen, aufgrund der Voraussetzungen oder den Gegebenheiten nicht kontinuierlich durchzuführen. Ja. Nicht kontinuierlich durchzuführen. Schön wär's.“ (4.XIX, 4.19, 42–43)

  2. (7)

    Der organisatorische Rahmen kann sich selbst hemmen, wenn es Unvereinbarkeiten im organisatorischen Rahmen gibt. Wenn etwa im Lehrplan eine kaum zu bewältigende Stofffülle auf zeitintensive über Inhalte hinausgehende Zielvorgaben trifft, entsteht eine Dilemmasituation, die eine Entscheidung für eine Seite verlangt (vgl. Abschnitt 2.2.4.1). Ein Ergebnis der Interviewstudie ist, dass dann zugunsten derjenigen Vorgabe entschieden wird, die hinsichtlich des Zentralabiturs als mehr erfolgsversprechend angesehen wird.

    Hier ein Beispiel, bei dem aktuelle Themen weggelassen werden, da ihre Berücksichtigung im Unterricht zwar vom Lehrplan gefordert wird, die aber aufgrund der Tatsache, dass jede Lehrkraft diese selbst auswählt, nicht im Detail zentralabiturrelevant sein können:

    „B1: Ich meine, ich war jetzt auf zwei Implementationsveranstaltungen für diese neuen Kernlehrpläne in der Q1 und Q2 in der EF und die haben ja beide, also die haben ja für den GK und für den LK die gleichen Inhalte. Also wirklich die gleichen Inhalte.

    B5: Das ist das. Das schaffe ich nicht.

    B1: Nur in drei Stunden und in fünf Stunden.

    B5: Schafft man nicht.

    B1: Also das ist.

    B5: Das ist Quatsch, so geht das nicht. Und wenn man irgendwie überhaupt einmal irgendwie anfängt, etwas tiefer zu arbeiten.

    B1: Ja.

    B5: Ist weg. Ist weg. Dann bin ich weg. Da bin ich schon hinten dran. Und das ist das große Problem.

    B1: Und vor allem ist ja noch gesagt worden, dass soll nur 70 Prozent abdecken, das Zeitkontingent, das man hat, diesen Lehrplan.

    I: Und dann hat man noch 30 Prozent für aktuelle Sachen.

    B1: Ja, nur zur Gestaltung.

    B5: Ja gut. Das ist natürlich noch sowas ganz Besonderes.

    B1: Also, haben alle, hat dort der ganze Raum gelacht, also.“ (18.I, 18.40, 488–500)

In einem zweiten Beispiel wird die Kollision von Zeitdruck aufgrund der Vorgaben im Lehrplan und einem alternativen Zentralabiturantwortformat thematisiert:

„Ich glaube das letzte Profil war in Q11 in G9 sogar in einem der letzten Jahrgänge. […] Aber wie schon gesagt, wenn ich in der Q11 jetzt wirklich ein Profil zeichnen lassen will im Unterricht, das ist, ja, man sagt, das kostet Zeit. Vielleicht wäre das mal gar nicht so schlecht. Wenn es öfter krachen würde, dann würde ich es auch machen lassen und damit arbeiten lassen.“ (1.XII, 1.17, 78)

Als besonders relevant kann im Rahmen dieser Arbeit angesehen werden, dass die in Abschnitt 2.2.3.2 als Reprogrammierung vorgestellte Ausrichtung der neueren Lehrpläne auf Kompetenzen nicht die erhoffte Wirkung entfaltet (s. Abschnitt 4.2.1.2). Da Kompetenzen nicht oder nur auszugsweise als prüfungsrelevant erachtet werden, werden diese nicht, nur auszugsweise oder nebenbei gefördert (s. Abschnitt 4.2.1.2).

  1. (8)

    Bei den Geographielehrer_innen, die dem fünften Gestaltungstypus zugeordnet werden können, zeigt sich eindrücklich, dass diese nur in der Oberstufe Hemmungen haben, so zu unterrichten, wie sie es eigentlich gerne würden und sich die Gestaltung in Unter- und Mittelstufe deutlich von der Gestaltung in der Oberstufe unterscheidet. Dies muss an der organisatorischen Rahmung liegen, da die sonstigen Bedingungen – zum Beispiel Schülerschaft, Kollegium, Schulleitung – konstant sind. Erst angesichts des Zentralabiturs wird das Handeln umgestellt. Hier seien beispielhaft noch mal die bereits zitierten Passagen aus dem Interview 10 angeführt:

    „Also ich muss zugeben, dass ich das von Jahrgangsstufe zu Jahrgangsstufe unterschiedlich angehe, was jetzt so die Sozialformen anbelangt. Ich gebe zu, dass ich in der Oberstufe sehr viel lehrerzentrierter auch unterrichte und sehr viel frontal. Zumindest bei den Sachen, wo ich sage, die sind für das Abitur wichtig und da lege ich auch Wert drauf, dass die vom Inhaltlichen her hundert Prozent stimmen müssen. Ich meine, wenn das jetzt so Themen sind, die jetzt nicht als Grundwissen definiert sind oder so Diskussionsthemen, dann schon sehr offene Arbeitsformen und Gruppenarbeitsformen.

    In der 10. Klasse, die ich jetzt auch wieder habe, ist es halt so, dass ich mir suche, was brauche ich für die Oberstufe als Grundwissen, was kommt da wieder definitiv dran für das Abitur, da muss ich zugeben, bin ich doch derjenige, der das dann gerne sehr lehrerzentriert macht.“ (10.XX, 10.42, 25–26)

    „Aber ja, ich denke, wenn ich das Abitur nicht hätte, würde ich mehr offen arbeiten, offene Arbeitsformen, ja. Weil ich mich selber nicht unter den Druck setzte, dass ich sage, mein Abiturergebnis muss stimmen […].“ (10.XVIII, 10.13, 42)

  2. (9)

    Bei der oben für das Gegenargument (2) herangezogenen Vorgehensweise des Gestaltungstypus 4 zeigt sich, dass sich die gestalterischen Aktivitäten an den Vorgaben orientieren. Dies hat allerdings pragmatische Gründe, da es selbstredend sinnvoller ist, verbindliche Inhalte besonders gestalterisch aufzuarbeiten, wenn man sich eine Resonanz von Kolleg_innen von anderen Schulen erhofft. Wenn es nun keine dezidierten Vorgaben gäbe, ist nicht davon auszugehen, dass die gestalterischen Aktivitäten eingestellt würden. Dies zeigt ganz generell erstens die geäußerte Begeisterung für das Fach Geographie und die Geographiedidaktik und zweitens außerunterrichtliche Aktivitäten wie die vorgestellte „Höhlen-AG“ oder die Teilnahme an einem EU-Austauschprojekt, die außerhalb der organisatorischen Rahmung des Pflichtunterrichts stattfinden. Ähnlich ist die Situation auch an der Schule der Interviewten im Interview 1, die dem Typus 3 „Festtage gestalten“ zugeordnet werden können: die kontinuierlich angebotene, mehrtägige Gletscherexkursion greift zwar Lehrplaninhalte auf, „ist allerdings nicht verpflichtend“ (1.V, 1.6, 18). Bei beiden Beispielen zeigen sich Parallelen zu den Ergebnissen der oben herangezogenen quantitativen Studie von Wiechmann (2003), der beobachtet hat, dass die Nutzung von Kommunikations- und Informationsforen der Lehrerschaft zu 17 % durch einen pädagogischen Gestaltungswillen und ein fachwissenschaftliches Aktualitätsstreben erklärt werden kann.

    Außerdem zeigt sich andersherum, dass eine Obligatorik nicht dazu führt, dass die ausgearbeiteten Angebote auch angenommen werden. Dies zeigt das Beispiel eines für ein Geo-Portal ausgearbeiteten Angebots:

    „B2: Und hier so eine Landschaftsanalyse auch. Weltweit kann man da Profile zeichnen, auch untermeerisch.

    I: Wahnsinn.

    B2: Mit Arbeitsblättern und Anregungen. Dann gibt es auch einen Desktop-GIS noch zum Thema Hochwassersimulation. Das hat ein Kollege gemacht für den Raum Tübingen. Das haben wir übernommen oder jetzt zum Beispiel zur Rohstofffindung, Kiesabbau. Da gibt es die Thematik auch als Desktop-GIS und es wird halt von den Kollegen nur schwer akzeptiert und weil halt /

    I: Schon allein die Nutzeroberfläche.

    B2: Ist sehr umfangreich, aber wenn ich alle drei Jahre das Ganze nur mache, dann muss ich von vorne anfangen mich einzuarbeiten und deshalb machen wir /

    B1: Die Datenpflege dazu noch. Also es überfordert die Kollegen schließlich.“ (8.V, 8.7, 44–49)

5.6 Das Verhältnis von Vermittlung/Aneignung und Selektion

Die in Abschnitt 2.1.1 aufgeworfene Frage, welcher der dominante Steuerungscode des Erziehungssystems ist, kann angesichts der spezifischen Situation des Unterrichtens in der Oberstufe angesichts des Zentralabiturs wieder aufgeworfen werden. Ist es so wie Luhmann es als Zugeständnis an die Pädagogik zuletzt eingeräumt hat, dass der selbstreferentielle Code vermittelbar/nicht vermittelbar der primäre Steuerungscode ist und es zuvorderst um Vermittlung und Aneignung geht und der fremdreferentielle Code besser/schlechter, der die Selektionsfunktion des Erziehungssystems repräsentiert, nachrangig ist? Während Teaching-to-the-Test-Strategien ein bestmögliches Abschneiden im Zentralabitur anvisieren, versucht kompetenzorientierter Unterricht über das Abitur hinaus dem Lebenslauf der Schüler_innen förderlich zu sein. Eindrücklich kann die Warnung von Kade (2004, S. 215) vor einer pädagogischen Verwechslung von Leistungsvergleich und Bildung sowie einer gesellschaftlichen Verwechslung von Bildung und Leistungsvergleich aus Abschnitt 2.1.2 in Erinnerung gerufen werden.

Aus den Ergebnissen dieser Arbeit können vier Antworten beigetragen werden.

  1. (1)

    Dominanz der Erziehung: Geographielehrer_innen im Sample äußern Kritik und Verbesserungsvorschläge hinsichtlich des Zentralabiturs im Fach Geographie nicht nur hinsichtlich der Selektionsfunktion, sondern auch aus einer pädagogischen Perspektive heraus (s. Abschnitt 4.2.1.1). Geographielehrer_innen im Sample werben bei Schüler_innen, Fachkolleg_innen und Akteuren der Schulorganisation für das Fach Geographie und versuchen dessen Rolle zu stärken. Der Gestaltungstypus 4 stellt Vermittlung und Aneignung mit einer eindeutigen längerfristigen Ausrichtung auf den Lebenslauf der Schüler_innen ins Zentrum des Bemühens.

  2. (2)

    Abhängigkeit von Erziehung und Selektion: In Interviews wird die Disziplinierungsfunktion von Leistungserfassung betont: „Faktisch gesehen ist es Disziplinierung. Weil ich Druck aufbauen kann auf Schüler, dass sie ihren Pflichten nachkommen, dass sie ihren Stoff lernen“ (10.X, 10.15, 57).

  3. (3)

    Kluft zwischen Erziehung und Selektion: Zwischen Selektion und Vermittlung/Aneignung besteht aber auch ein Spannungsverhältnis. Erstens kann Leistungsdruck das Lernen stören:

    „I: Und denken Sie, dass man sozusagen die Vielfalt der Kompetenzen, die man vorher vermittelt, auch unter bekommt?

    B: Naja, also die Materiallesekompetenz, die ist auf jeden Fall hier drin. Aber dass ich jetzt andere Kompetenzen, zum Beispiel die Orientierung im Raum, schwierig abzuprüfen. Ja, ist auch die Frage, muss ich alles immer in Tests bringen. Es gibt ja auch genug Dinge, wo die einfach, die Schüler Spaß dran haben. Ich bin auch kein Fan in Deutsch für Auswendiglernen von Barockgedichten. Weil die dann überhaupt den Spaß an jeglichem Zeug verlieren. Das, alles, was ich abprüfe, ist die, für Schüler eben eine Prüfungssituation und stresst sie. Und wenn es immer Spaß macht vorher, ja, ich könnte natürlich sagen, hier ist ein GPS-Gerät, jetzt laufen wir mal den Weg ab. Dann mache ich eine Note. Aber dann hat der keinen Spaß mehr dran. Sondern ist verkrampft.“ (9.VII, 9.23, 98–99)

    „B1: Also ich versuche, ich habe es auch in der Didaktik selber in der Schule so gelernt, dass man halt sagt, wenn ich offene Arbeitsformen mache, also das heißt Lernzirkel oder irgendwie so etwas, eine größere Gruppenpräsentation, dass man da eigentlich öfter auch auf eine schriftliche Abfrage zumindest verzichten soll, in Form von einer Stehgreifaufgabe, irgendwie sowas oder /

    I: Damit /

    B1: Ja, damit man einfach auch nicht diesen Prüfungscharakter da rein bindet, weil der auch Schüler hemmt und weil es sowieso schwierig ist, das vergleichbar zu gestalten. Ist natürlich schwierig, wenn man sagt, wenn der Leistungsdruck nicht da ist, ob dann die Ergebnisse passen. Finde ich aber, die kommen trotzdem, weil ich mittlerweile mitgekriegt habe, dass die Schüler das Präsentieren sehr gerne machen.“ (10.IX, 10.8, 30–32)

Zweitens wird bezweifelt, dass es möglich ist, das Vermittelte proportional abzubilden:

„Und ich kann natürlich nach wie vor, und das wird auch immer so sein, ganz viele wichtige Dinge in der Geographie in der Klausur eigentlich nicht prüfen. Also eine Landschaft zu lesen, was ich auf einer Exkursion mache, oder Hypothesen zu stellen und zu prüfen, oder auch die ganzen praktischen Dinge, eine Bodenprobe zu ziehen und zu analysieren, das ist in einer Klausur natürlich unglaublich schwierig.“ (3.I, 3.16, 74)

Der in Abschnitt 2.2.1.2 angeführte Forschungsstand zum Unterrichten angesichts des Zentralabiturs konnte in der Interviewstudie bestätigt werden. Ein Beispiel für die geringe Akzeptanz des Zentralabiturs aufgrund des Gefühls von Kontrollverlust, den Oerke (2012a, S. 207; Oerke, S. 122) beschreibt, ist die Phänomenanalyse 15 „Der Rhythmus der Veränderungen ist zu schnell“ als Beispiel für Typus 2 „Sich arrangieren“. Das Phänomen des Aufbrechens der „Einheit von Unterrichtenden und Prüfenden“ und das Phänomen, dass sich Lehrkräfte selbst als Geprüfte fühlen (Jäger, 2012, S. 179) konnte in Abschnitt 4.2.1.4 bestätigt werden. Dies gilt ebenso dafür, dass nicht nur die kriteriale Bezugsnorm herangezogen wird, die durch die Erwartungshorizonte durchgesetzt werden soll (Holmeier, 2012a): „Da ist das Spektrum glaube ich sehr groß von den ganzen Kollegen, wie sie dann auch eingestellt sind zu der Sache, zu den Schülern und ja“ (18.XXV, 18.19, 229).

In Abschnitt 2.1.5 wurde das Paradoxon festgestellt, dass einerseits alle Schüler_innen trotz unterschiedlicher Lernvoraussetzungen gleichermaßen gefördert werden sollen, andererseits aber die Selektion, die die Gesellschaft von ihm erwartet, Ungleichheiten feststellen muss.

Ein Geographielehrer versucht erst gar nicht, beides zu vereinbaren:

„Nee, wirklich Individualisieren mache ich sicherlich auch nicht. Nee, weil ich auch davon ausgehe, dass es schon so einen gemeinsamen Nenner geben muss. Den müssen alle erreichen. Einige gehen weiter raus, gehen auch freiwillig drüber hinaus bestimmt. Andere erreichen das nicht, den gemeinsamen Nenner. Dann wird es dünn. Das zeigt sich dann eben zum Beispiel in Klassenarbeiten oder wenn man aufbaut ein Jahr später, im nächsten Jahrgang […].“ (15.XXIX, 15.17, 131)

Als ein Ausweg wurde in Abschnitt 2.1.5 die Trennung von Vermittlung/Aneignung und Selektion vorgestellt. Eine Geographielehrerin versucht gleichermaßen leistungsstärkere und leistungsschwächere Schüler_innen zu fördern:

„Und in der Sahelzone habe ich jetzt aktuell das Beispiel, dieser Syndromansatz / Syndromansatz ist ja eigentlich nur für den Leistungskurs, wir haben das aber schon mal gemacht, weil wir einfach finden, dass diese Vernetzung dadurch auch wieder sehr deutlich wird. Und dann habe ich einen Schüler, der auch teilweise wirklich unterfordert ist, habe ich gefragt, ob er sich damit auseinandersetzen will. Dann sollte er sich selbst zwei Schüler raussuchen, hat er sich einen leistungsstarken und einen schwachen rausgesucht. Und dann sitzen die beiden leistungsstarken da und bringen ihrem schwächeren Mitglied dann wirklich nochmal bei, ja, das Material brauchst du, das musst du angucken.“ (16.X, 16.43, 179)

Gleichzeitig müssen sich alle gleichermaßen der Leistungserfassung stellen:

„Die Klausuren [Anm.: individualisieren]? Finde ich schwierig, weil wir ja Ende eigentlich auch die Leute messen müssen, wir müssen die beurteilen. Und ich finde dann schon, derjenige, oder diejenige, der gelernt hat, natürlich auch mehr Intelligenz mitbringt, sage ich mal, der soll dann auch seine Lorbeeren kriegen.“ (16.X, 16.34, 186)

  1. (4)

    Dominanz der Selektion: In allen Interviews wird von Teaching-to-the-Test-Strategien berichtet. Sollten diese den Unterricht dominieren, wird die Lebenslauforientierung des Erziehungssystems verkürzt auf das Erlangen des Zertifikats Abitur und liegt der Fokus auf der Selektionsfunktion des Erziehungssystems. Es besteht die Tendenz, wo es möglich ist (in Kursen auf grundlegendem Anforderungsniveau (Grundkursen)), dazu, von Geographie als schriftlichem Prüfungsfach abzuraten, da Zweifel bestehen, dass die Selektionsfunktion angemessen erfüllt wird (s. Abschnitt 4.2.1.1).

    „B: Ja, und dann ist Erdkunde ein schwer kalkulierbares Fach. Da kann ich nur sagen: Sieh zu, dass du Fremdsprache machst. Da ist eine Topleistung eine Topleistung. Da wird auch nicht viel rumdiskutiert. Wenn die fehlerfrei und elegant ist, dann hast du deine 15 Punkte. Oder nimm Mathe oder nimm Bio, dann nimm bitte nicht Erdkunde, das ist ein größeres Risiko. […] wenn du für Medizin auf einen bestimmten Schnitt aus bist, dann mach die Sicherheitsvariante und die geht anders, die geht ohne Erdkunde.“ (15.XXXIV, 15.47, 256–258)

Wissen und Kompetenzen als Formen, die den Lebenslauf konkretisieren, indem sie den Schüler_innen auch nach dem Ende der Schulzeit Möglichkeiten offenbaren – und damit auch die Erziehungsfunktion des Erziehungssystems – wären damit nachrangig. Ein Interviewter diskutiert dies wie folgt:

„Ja, also ich bin auch, also ich meine, durch das Abi, ich glaube, also wenn man Abitur macht, was hat denn das, was ist das denn für eine Aussage? Man beweist, dass man zwei Jahre lang in der Lage war, einen bestimmten Stoff intellektuell zu verarbeiten und den dann in einer bestimmten Zeitspanne unter Druck wiederzugeben. Das ist sozusagen, dann hat man noch einen bestimmten Wissenshintergrund mitgenommen und mehr eigentlich nicht. Also sozusagen empathische Fähigkeiten, um später auf Patienten einzugehen, habe ich da null geübt, sondern ich habe mich da eigentlich eher in dieser, was weiß ich, so durchgesetzt in der Klasse, dass ich oben zu dem bestimmten Spektrum der guten Noten gehöre, ja, dass man mich bei der Notenverteilung besser auf der einen Hälfte findet als auf der anderen, ja, und so weiter, und so weiter, ja. So etwas perfides, was uns Menschen ausmacht, arbeitet das Abitur null aus. Und dann habe ich, also ich persönlich Fächer studiert, die keinen NC haben, ich habe mein Abiturzeugnis vorgezeigt, die Note hat keinen interessiert.“ (12.XXII, 12.36, 230)

Alle Gestaltungstypen außer Typ vier sind verstärkt auf die Selektion ausgerichtet. Als ein Beispiel für die Dominanz der Selektion über Vermittlung und Aneignung kann folgende Interviewpassage aus Interview 15 (Typus 2) herangezogen werden:

„Ich gucke mir oft auch an, welches Thema aus dem ganzen Bereich eignet sich wahrscheinlich überhaupt nicht für Klausuren. Da wird das dann eindeutig danach gemacht. Also es wird dann in den Januar oder Juni geschoben. Das ist zwar ein schönes Thema, aber es ist nicht fassbar für eine Klausur – dann fliegt das erst mal raus bei mir.“ (15.XXIV, 15.59, 176)

Der wechselnde bzw. gewechselte Typ fünf zeigt eindrücklich, dass diese Ausrichtung auf die Selektion von den Lehrer_innen mitunter nicht grundsätzlich, sondern nur in der Oberstufe wegen des Zentralabiturs erfolgt.

5.7 Konsequenzen der Selbst- und Fremdbeschränkung von Unterricht und der Konkurrenz der beiden Steuerungscodes

Über die Frage, welcher der Steuerungscode erster Ordnung ist, ob es der aus pädagogischer und fachdidaktischer Sicht einzig relevante Code der Vermittlung und Aneignung ist, oder der aus soziologischer Sicht relevante Code der Selektion, muss angesichts der Reprogrammierung des Abiturs hin zum Zentralabitur beziehungsweise zu dessen funktionaler Umdeutung die Frage gestellt werden, ob sich der Code der Selektion nicht auch verändert hat. Ging es vormals um die Hierarchisierung von Leistungen vor allem im Dienste des Wirtschaftssystems, dient das Zentralabitur nun als Steuerungsinstrument der Schulentwicklung und als Leistungsvergleich im Rahmen der nationalen Konkurrenz der Bundesländer. Damit wird der Code besser/schlechter politisch aufgeladen.

Die aus der Innensicht und der pädagogischen beziehungsweise fachdidaktischen Perspektive im o.g. Punkt (4) festgellte Dominanz der Selektion ist aus bildungspolitischer Sicht vordergründig eine Dominanz der Evaluation, die allerdings aufgrund der Mängel der Leistungsfähigkeit (s. Abschnitt 2.2.3.1) sowie des im Falle des Fachs Geographie aufgrund des in Abschnitt 2.2.3.3 vorgestellten verkürzten Wirkungsmodells nicht adäquat erfüllt werden kann. Letztendlich erfüllt die Selektion mittels des Zentralabiturs und des darauf vorbereitenden Unterrichts aus bildungspolitischer Perspektive eine Rechtfertigungsfunktion aufgrund der nationalen Konkurrenz der Bundesländer (s. Abschnitt 2.2.2.1 und 2.2.3.2). Die Zuordnung zu einer Seite des Codes besser/schlechter dient nur auf der Ebene des einzelnen unterrichtlichen Interaktionssystems der Selektion, die Summe aller einzelnen Zuordnungen dient insgesamt der Zuordnung der Leistungen des Erziehungssystems eines Bundeslandes zu einer Seite des Codes besser/schlechter und damit der Konkurrenz und der Rechtfertigung bildungspolitischen Handelns.

Den Geographielehrer_innen im Sample, die in Bayern unterrichten, ist diese Sicht geläufig, da sie durch das Instrument der Steuerung über den Vergleich von Durchschnittsnoten aktiv in diese Systematik einbezogen werden.

Angesichts der Erkenntnisse dieser Arbeit stellt sich so die Frage nach dem Verhältnis von Erziehungssystem, Schulorganisation und dem Interaktionssystem Unterricht erneut. In Abschnitt 2.1.2 wurde die Zugehörigkeit zum Erziehungssystem kommunikationstheoretisch gefasst. Kurz gesagt: es gehört nur die Kommunikation zum Erziehungssystem, die sich dessen Sprache bedient. Da die pädagogische Autonomie durch zahlreiche und detaillierte Verfahrensvorschriften sowie eine diese zunehmend dominierende Steuerung über Vergleichsindikatoren eingeschränkt wird und sich zahlreiche Sinnbezüge des Erziehungssystems zu anderen Funktionssystemen ergeben, die das staatliche Handeln beeinflussen, muss die Frage, die in Abschnitt 2.1.2 zunächst nur theoretisch beantwortet wurde: „Gehört dies alles was sich im Kontext von Schule und Unterricht ereignet zum Erziehungssystem?“ erneut gestellt werden.Footnote 2

Schmidt (2005, S. 411) fordert, man dürfe sich nicht mit „impressionistische[r] Evidenz“ oder „logischer Plausibilität“ begnügen und davon ausgehen, dass „in Wirtschaftsunternehmen […] ‚letztlich‘ stets die ökonomische, in Einrichtungen des Gesundheitswesens die medizinische, in Forschungsinstituten die wissenschaftliche, in Bildungsorganisationen die pädagogische Rationalität“ dominiere, auch wenn der Soziologie der Umgang damit schwerfalle. Dies gilt sicherlich nicht nur für die Soziologie, sondern auch für die auf die einzelnen Funktionssysteme bezogenen Wissenschaften. Wenn die auf das Erziehungssystem bezogenen Wissenschaften – etwa die Erziehungswissenschaft, die Bildungsforschung und die Fachdidaktik – einem idealisierten Bild von Unterricht anhängen, erliegen sie genau diesem Irrtum. Im Unterricht kann es auch um etwas anderes als Erziehung gehen. Dies gilt umso mehr für Organisationen wie zuvorderst von Schulen aber auch von Schulaufsichtsbehörden und Kultusministerien, die als Multireferenten enge Beziehungen zur Politik aufweisen. Luhmann selbst (1996a, S. 28–33, 2002, S. 130) spricht, wenn er das Verhältnis von Erziehungssystem und Politik (s. Abschnitt 2.1.4) beschreibt, de facto über Schulorganisation. So ordnet er diese indirekt statt dem Erziehungssystem dem politischen System zu. Darüber hinaus bestehen vielfältige Beziehungen zu anderen Gesellschaftssystemen (und ihnen „assoziierten“ Organisationen und Interaktionen). Nun könnte man einwenden, dass es doch offensichtlich sei, dass es im Unterricht allein oder hauptsächlich um Vermittlung und Aneignung gehe oder dass die Schulorganisation gar nicht Gegenstand der jeweiligen Forschung sei. Unterricht ohne Schule und Schulverwaltung zu denken, verschließt aber die Augen vor der Komplexität der Lage. So muss sich auch die Geographiedidaktik damit auseinandersetzen, dass es problematisch ist, allen Überlegungen einen idealtypischen Unterricht ohne spezifischen Kontext zugrunde zu legen.

Entweder ist es ratsam, von einer Mehrsystemzugehörigkeit von sowohl der Schulorganisation (bzw. ihren Teilsystemen Kultusministerium, Schulaufsicht und Schule) und Unterricht auszugehen. Oder – wenn man dies ablehnt und beim strengen kommunikationstheoretischen Ansatz bleiben will – man zieht folgende Konsequenz: wenn Interaktion nur dann dem Erziehungssystem zuzurechnen ist, wenn es um Vermittlung und Aneignung (pädagogische beziehungsweise fachdidaktische Sicht) oder Selektion im engeren Sinne (soziologische Sicht) zur Förderung des Lebenslaufs der Lernenden durch Wissen und Kompetenzen geht, muss man anerkennen, dass sich das Erziehungssystem durch die in dieser Arbeit geschilderten Tendenzen vor allem der Politisierung, aber auch der Ökonomisierung, Verwissenschaftlichung und Verrechtlichung, entleert und durch die Expansion der anderen Funktionssysteme zunehmend zusammenschrumpft. Zurück bleibt ein kleiner „wahrer“ Kern aus Interaktionen, der dann „das“ Erziehungssystem darstellt. Alles andere (auch die Schulorganisation) ist Teil seiner unübersichtlichen Umwelt.Footnote 3

Auch wenn man anerkennt, dass „das Subjekt immer […] in existierende Verhältnisse eingebunden ist“ und „eine vollständige Distanzierung“ (Gryl & Naumann, 2016, S. 24) weder zulässig noch realistisch ist, kann man den Gedanken der grundsätzlichen Autonomie von Interaktion aufgreifen, um das Ziel einer emanzipatorischen Bildung (Gryl & Naumann, 2016, S. 28) zu verfolgen. „Es bleibt der Kommunikation überlassen […] zu entscheiden, wohin sie sich bewegt.“ (Luhmann, 1997, S. 775) oder übertragen: Es bleibt dem Unterricht überlassen, wohin er sich bewegt:

„B: Wichtig ist, dass es im Bildungsraum Freiräume gibt, ein bisschen Freiräume gibt, ja, dass ich wirklich nicht jetzt nur auf das Zentralabitur hin lernen muss. Bei uns hat man also in Baden-Württemberg Schwerpunktthemen. Also, ich muss jetzt nicht den ganzen Plan, der abgedeckt ist inhaltlich, muss ich jetzt parat haben. Sondern wir fokussieren uns ein bisschen. Und dann muss man sich halt als Geograph auch ein bisschen an die eigene Nase fassen, was vertrete ich denn für ein Fach, ja? Natürlich muss ich mich messen lassen, ob meine Schüler das können, oder nicht können. Das ist die eine Seite, ganz klar, ja. Aber wenn man so stark unter Druck ist, dass wir wirklich nur noch für die Zehntel im Abitur lernen, dann haben wir als Schule was missverstanden, und zwar ganz fürchterlich missverstanden, also wir haben einen ganz umfassenden Erziehungs- und Bildungsauftrag. Wir haben keinen Abitur-Produzentenauftrag, ja. Das ist was ganz anderes, ob ich eine Maschine habe, aus der später Abiturienten raus laufen, oder aus der Schule Persönlichkeiten rauslaufen, das sind zwei paar Stiefel. Das sollen Persönlichkeiten sein, die aber auch eben noch ein Abiturzeugnis in der Hand haben, und da gehört viel, viel, viel mehr dazu, letztendlich könnte ich alles einstampfen, da brauche ich keinen Chor machen, da brauche ich kein Weihnachtskonzert mehr, warum eigentlich.

I: Ja.

B: Auch, wenn ich ein Theaterspiel, warum denn? Das bringt doch gar nichts für das Abi. Also, nein, das ist auch dann/ fragen Sie sich, warum wird der Schulleiter? Genau aus dem Grund, es ist nämlich hochgradig nicht egal. Eine Gesellschaft braucht nicht nur funktionierende Handlanger eines irgendwie gearteten demokratischen oder wirtschaftlichen Systems, sondern wir brauchen Menschen, die auch mal querdenken, die auch mal ihre Stimme erheben, die auch Persönlichkeiten sind, ja. Was hatten wir gerade für eine Debatte? Wir haben Debatte über Sterbehilfe. Wenn Sie bloß funktionierende Abiturienten hatten, ja, dann können Sie solche Debatten nicht führen. Wir brauchen Menschen, die ein Wertekonzept haben, ja, die für sich selbst in der Lage sind, Dinge zu reflektieren, und das lernen sie nicht, indem sie sich bloß auf eine Prüfung vorbereiten. Das ist viel zu dünn. Das ist Bildung hier, Persönlichkeitsbildung, die Geographie leistet da ihren Beitrag. Die sagt, okay, unser Auftrag ist, wir gehen raus. Also wir stellen uns der Sache, wir gehen in die Betriebe rein, und bei uns ist das schon klar ausgemacht. Es kann sein, es klappt nicht immer, und natürlich ist auch nicht jeder der Lehrer immer gleich motiviert dazu.

I: Natürlich, ja, ja.

B: Aber im Wesentlichen ist es so, dass unsere Kursstufenschüler, auch die Pflichtleute, die machen ihre Exkursion, Industriebetrieb zu besichtigen, zum Beispiel. Oder gehen in den Steinbruch und schauen sich einen Nutzungskonflikt an. Bei uns soll demnächst eine Straße gebaut werden, zwischen [Ort der Schule] und der Autobahn, also dass wir von [Ort der Schule] direkt auf die Autobahn fahren können. Das geht natürlich nicht, dass Sie durch den Ort durchfahren dazwischen. Das ist ein tolles Beispiel, wollen wir die Straße, oder wollen wir sie nicht. Vor 50 Jahren hätten wir sie gebaut, kein Problem, heute sind wir weiter. Dann fahren wir dorthin mit dem Bus mit den Schülern, schauen uns das dann an, haben dann jemanden vom Straßenbauamt dabei. Und das ist das, was ich meine: reden wir. Beispiel Straße, 20 Jahre später sind wir im Bundestag und reden über die Sterbehilfe, ja. Und das ist es wurscht, welche Klausur Sie geschrieben haben.“ (5.VII, 5.40, 192–196)