Wie in Kapitel 6 dargestellt und hergeleitet, hat die vorliegende Arbeit im empirischen Teil das wesentliche Anliegen, die Bedeutung von Vertrauen in automatisierten Journalismus für Lesende abzubilden und die Auswirkungen der Spezifikation der automatisierten Berichterstattung auf die Vertrauensbewertung herauszuarbeiten. Zur Beantwortung der forschungsleitenden Fragestellung werden leitfadengestützte Focus Groups als Instrument zur Datenerhebung ausgewählt und die Methode an einigen Stellen individuell für das Forschungsinteresse angepasst. Durchgeführt werden drei Gruppengespräche mit jeweils unterschiedlichen Zielsetzungen. Im folgenden Kapitel wird die Methodenwahl begründet und das Vorgehen dokumentiert. Weitere Dokumente zur intersubjektiven Überprüfbarkeit des Vorgehens sind im Appendix veröffentlicht; an gegebener Stelle wird darauf verwiesen.

7.1 Darstellung der Methode und Begründung der Methodenwahl

Focus Groups gehören zu den Gruppenbefragungen der qualitativen empirischen Sozialwissenschaft und sind als strukturierte, moderierte Gruppengespräche zu einem inhaltlichen Schwerpunkt konzipiert. Sie eignen sich vor allem zur Exploration von Forschungsthemen (vgl. Lüthje 2016: 158 f.) und werden häufig in Vorstudien oder in Kombination mit anderen Methoden eingesetzt, können aber auch als alleinige Methode verwendet werden (vgl. Lamnek und Krell 2016: 443 f.; Kühn und Koschel 2018: 53). Ursprünglich wurden Focus Groups in der Kommunikationswissenschaft seit den 1940er Jahren vor allem in den USA und Großbritannien eingesetzt. Häufiger als in der deutschsprachigen Kommunikationswissenschaft werden Focus Groups auch heute im angelsächsischen Raum und insbesondere in der Rezeptionsforschung verwendet, zudem findet die Methode Anwendung in der (kommerziellen) Marktforschung. Die breit gefächerte Anwendung und lange ForschungstraditionFootnote 1 hat eine Reihe begrifflicher Ungenauigkeiten und Schwierigkeiten in der einheitlichen und nachvollziehbaren Differenzierung zwischen Focus Groups, Gruppeninterviews, Gruppendiskussionen und Gruppenbefragungen zur FolgeFootnote 2. Die folgende Dokumentation der empirischen Studie dieser Arbeit orientiert sich an der Begriffsverwendung wie sie beispielsweise Corinna Lüthje (2016) vorgenommen hat und die kurz beschrieben werden soll.

Focus Groups – teilweise auch Gruppeninterviews genannt – gehören zu den Methoden der Gruppendiskussion oder Gruppenbefragung. Gruppendiskussionen und Gruppenbefragungen sind gleichbedeutend und fassen Forschungsmethoden zusammen, „bei denen mehrere Personen gleichzeitig befragt werden“ (ebd.: 157). Innerhalb der Gruppendiskussionen werden Forschungsmethoden hinsichtlich Erkenntnisinteresse, Standardisierung, Moderationsstil, Untersuchungseinheiten, Gruppenzusammensetzung und Gruppengröße sowie dem Setting unterschieden, wobei in der Praxis stets auch Mischformen mit Elementen anderer Erhebungsmethoden, beispielsweise von Experimenten, angewendet werden (vgl. ebd.: 158 f.). Die beiden häufigsten Unterformen der Gruppendiskussionen sind Focus Groups sowie offene Gruppendiskussionen in der dokumentarischen Methode. Focus Groups folgen einem standardisierten und strukturierten Vorgehen, die Moderation übernimmt einen aktiven und steuernden Part, die Gruppen sind in der Regel deutlich größer und homogener als offene Gruppendiskussionen und es gibt einen relativ engen Leitfaden, der sich stark am Erkenntnisinteresse orientiert. Offene Gruppendiskussionen sind im Gegensatz dazu wenig standardisiert und die Rolle der Moderation ist eher passiv und zurückhaltend, die Gruppe soll möglichst natürlich sprechen und sich selbst organisieren (vgl. Schäfer 2017: 353 f.). Lüthje (2016) vergleicht Focus Groups mit leitfadengestützten Interviews und offene Gruppendiskussionen mit narrativen Interviews (vgl. ebd.: 159). In der vorliegenden Arbeit werden Focus Groups verwendet.

Focus Groups haben das Individuum in der Gruppe, weniger eine Gruppendynamik oder die Ausbildung einer Gruppenhierachie im Blick. Der Schwerpunkt der Methode liegt zwar auf den Aussagen Einzelner, die Gruppensituation ist dennoch wichtig als „stimulierende[r] und integrierende[r] Rahmen zur Generierung von Informationen“ (ebd.: 160). Bei Focus Groups soll es sich eben nicht um, „lediglich [...] zeitökonomische Varianten der Einzelbefragung“ (Schäfer 2017: 347) handeln, im Gegenteil müssen bei Meinungs- und Einstellungsfragen mögliche Verzerrungen durch Gruppeneffekte berücksichtigt werden (vgl. Brosius et al. 2016: 107 f.). Focus Groups sind sinnvoll eingesetzt, wenn das Gruppensetting berücksichtigt wird und durch die soziale Interaktion in der Gruppe die Hemmungen der Teilnehmenden gelöst und „vergessene Details aktiviert“ (Lüthje 2016: 160) werden. Dann fördert das Gespräch zwischen den Teilnehmenden die „Generierung von Meinungen“ (Brosius et al. 2016: 107 f.), auch wenn diese wegen der geringen Zahl der Teilnehmenden in der Regel nicht generalisierbar sind. Aber so können, so die Autoren weiter, auch „abseitige [Meinungen], stimuliert und formuliert“ (ebd.: 107 f.) werden. Ein wesentlicher Vorteil von Focus Groups ist also die „größere Tiefenwirkung der Gruppendiskussion im Gegensatz zu anderen Verfahren“ (Lamnek und Krell 2016: 441).

Focus Groups haben offene, lockere und aktivierende Gesprächssituationen zum Ziel, in denen das Thema der Studie im Mittelpunkt steht. Dafür ist zum einen die Zusammensetzung der Gruppe und zum anderen die Ausgestaltung der Moderationsrolle und des Leitfadens wichtig. In der Regel kommen Kleingruppen mit zehn bis zwölf Personen pro Focus Group zusammen, wobei sich die Teilnehmenden nicht zwingend vorab kennen müssen. Ein gemeinsamer Erzählgegenstand oder eine gewisse Homogenität der Gruppe, beispielsweise hinsichtlich Alter, Herkunft oder Beruf, ist aber förderlich für ein anregendes und lockeres Gespräch (vgl. Schulz et al. 2012: 207). Die Gesprächsleitung obliegt der Moderation, diese soll aktiv und steuernd eingreifen, wenn das Gespräch zu sehr vom Erkenntnisinteresse abweicht und die Gruppe zum Thema zurückführen. Wenn Proband:innen zu passiv sind, kann der oder die Moderator:in gezielt Einzelne ansprechend. Außerdem soll die Gesprächsleitung nachfragen, wenn Unklarheiten bestehen, relevante Themen angesprochen werden, die im Leitfaden nicht bedacht wurden, oder nachhaken, wenn vertiefende Aussagen der Teilnehmenden relevant erscheinen. Der vorbereitete Leitfaden ist die Grundlage, an der sich die Moderation orientiert. Dieser wird, wie bei leitfadengestützten Interviews auch, aus den theoretischen Vorüberlegungen der Studie abgeleitet. Meist sind die Leitfäden der Focus Groups in mehrere Blöcke gegliedert. Sie starten mit einer aktivierenden allgemeinen Einstiegsfrage oder einem Stimulus, es folgt die Hinführung zum Thema und der Hauptteil mit den Leitfragen. Den Abschluss bildet die Abrundung des Gesprächs und die Verabschiedung durch die Moderation. Focus Groups werden in der Regel schriftlich protokolliert und die Dokumentation häufig durch Video- oder Tonaufzeichnungen unterstützt (vgl. z. B. Helfferich 2011: 178–189; Kühn und Koschel 2018: 125–128).

Die Grenzen von Focus Groups liegen in der Generalisierbarkeit der Ergebnisse (vgl. Brosius et al. 2016: 107). Gruppeninterviews sind weiterhin nicht geeignet, wenn die Verteilung von Einstellungen innerhalb einer Gruppe ermittelt werden sollen oder wenn Individuen in Längsschnittstudien über einen längeren Zeitraum hin befragt werden. Einzelinterviews sind außerdem vorzuziehen, wenn „biographische Auswahl- und Entscheidungsprozesse oder der Umgang mit identitätsbezogenen Ambivalenzen [rekonstruiert]“ (Kühn und Koschel 2018: 301 f.) werden sollen. Insgesamt ist noch festzuhalten, dass Focus Groups seltener Gegenstand der Methodenevaluation und Weiterentwicklung der Kommunikationswissenschaft sind. So gibt es vergleichsweise wenig Auseinandersetzung um Gütekriterien der Methode, die über die Gruppenzusammensetzung, Aufgaben der Moderation sowie eine transparente Dokumentation der Vorbereitung, Durchführung und Auswertung des Forschungsprojekts hinausgehen (vgl. z. B. Schulz et al. 2012: 19; Kühn und Koschel 2018: 18 f.). Kühn und Koschel (2018) sprechen außerdem die „verführerische Wirkung“ (ebd.: 18) von Focus Groups an, die sich aus einer „vermeintlichen Einfachheit der Methode“ (ebd.: 18) ergibt, wenn Focus Groups lediglich als zeitsparende Variante von Einzelgesprächen eingesetzt werden (vgl. auch Schäfer 2017: 347).

Methodenwahl

Für das vorliegende Forschungsinteresse werden Focus Groups zur Datenerhebung gewählt, weil es um die Exploration eines neuen Forschungsthemas geht, der bisherige Forschungsstand um eine intensivere Auseinandersetzung mit dem Vertrauen in automatisierte generierte Nachrichten ergänzt werden soll und Menschen mit sehr unterschiedlichem Vorwissen zum automatisierten Journalismus befragt werden (vgl. Kapitel 6). Aus forschungsökomischen GründenFootnote 3 werden die Focus Groups online und mit fünf bis sechs Teilnehmenden durchgeführt, wodurch eine Erleichterung der Rekrutierung der Teilnehmenden und der Aufzeichnung der Gespräche erzielt wird, wenngleich dadurch Einschränkungen in der Aktivierung der Teilnehmenden sowie in der Zugänglichkeit für nicht-technikaffine Proband:innen hingenommen und in der Auswertung berücksichtigt werden müssen. Die erhöhten Anforderungen an die Rolle der Moderation bei Focus Groups sowie durch das Online-Verfahren werden bei der Methodenwahl berücksichtigtFootnote 4.

Focus Groups sind für explorative Settings gut geeignet, wenngleich sie die bereits angesprochene Limitation der Verallgemeinerbarkeit der Ergebnisse mit sich bringen (vgl. Abschnitt 9.2). Das qualitative Verfahren verspricht eine intensive Auseinandersetzung mit der Wahrnehmung der Lesenden. Ausschlaggebend für die Methodenwahl sind weiterhin insbesondere die beschriebenen Vorteile der Focus Groups durch das Gruppensetting und die Möglichkeit, Menschen mit unterschiedlichem Vorwissen zielführend zum automatisierten Journalismus zu befragen.

Das Gespräch in der Gruppe ist geeignet, um reflektierte Meinungsbeiträge auch von Menschen zu gewinnen, die bisher wenig oder keine Kenntnis des automatisierten Journalismus haben oder Personen, die sich bisher nicht oder wenig mit automatisierter Berichterstattung auseinandergesetzt haben. Diese werden im Interview mit unterschiedlichen Perspektiven auf die Automatisierung und verschiedenen Argumenten zu deren Auswirkungen konfrontiert und finden Anregung für die individuelle Meinungsbildung. Auch wenn eine vertiefte Reflexion nicht unmittelbarer Gegenstand des Forschungsinteresses ist, sondern in Folgestudien bearbeitet werden muss (vgl. 9.2), können durch die Einbeziehung von Menschen ohne Vorkenntnisse erste Meinungsbildungsprozesse erfasst und nachvollziehbar gemacht werden. Allerdings profitieren nicht nur Teilnehmende ohne Vorkenntnisse vom Austausch in der Gruppe, auch Menschen mit schon gemachten Erfahrungen und Hintergrundwissen zu automatisierten Nachrichten zeigen in einem lebendigen, offenen und vielseitigen Gespräch in der Gruppe mehr Interaktion und damit eine intensivere individuelle Reflexion, die durch eine Überprüfung ihrer bisherigen Urteile, einen multiperspektivischen Austausch sowie ein Sich-Aufeinander-Beziehen entsteht. Insgesamt wird durch die soziale Interaktion der Teilnehmenden und durch die aktive Förderung einer anregenden und offenen Gesprächssituation eine Tiefenwirkung (vgl. Lamnek und Krell 2016: 441) in der Meinungsreflexion aller Teilnehmenden erzeugt. Dadurch können in den Gruppen auch vergessene Details aktiviert und abweichende Meinungen thematisiert werden.

Die Gruppensituation kann aber auch eine Schwäche der Erhebungsmethode verstärken: Menschen mit niedrigerem Wissensstand oder wenig Erfahrungen sowie generell sehr zurückhaltende Menschen können leicht zu stillen Teilnehmenden werden, beispielsweise aus Einschüchterung durch dominante Viel-Wissende und Meinungsführer oder durch das Gefühl ‚selbst nichts beitragen zu können‘Footnote 5. Um diesen Effekt möglichst gering zu halten, wird in der Durchführung der Focus Groups Wert auf eine aktive Moderation gelegt (vgl. Abschnitt 7.4) und bereits bei der Zusammenstellung der Gruppen auf eine gezielte Auswahl der Teilnehmenden geachtet (vgl. Abschnitt 7.3).

Die Überlegenheit des Gruppensettings für das Forschungsinteresse im Vergleich zu – beispielsweise in der Kommunikationswissenschaft häufig eingesetzten EinzelgesprächenFootnote 6 – zeigt sich bereits im Pretest des Leitfadens (vgl. Abschnitt 7.2). In einem ersten Test wird der Leitfaden in Einzelinterviews getestet. Bei Menschen ohne Kenntnisse zum automatisierten Journalismus zeigt sich deutlich, dass sich die Fragen des Leitfadens schnell erschöpfen, weil keine weitere Reflexion oder Gesprächsanregung stattfindet. Dies ist weder im zweiten Pretest in einem Gruppensetting, noch bei der Durchführung der Interviews aufgetreten: Im Austausch in der Gruppe konnten alle Fragen besprochen werden und auch Menschen ohne Vorkenntnisse haben umfassend ihre Wahrnehmung des automatisierten Journalismus mitgeteilt. Im Gruppensetting steht das Individuum und seine Wahrnehmung des automatisierten Journalismus im Mittelpunkt, weniger ein Gruppenprozess oder eine Gruppendynamik; deshalb sind Focus Groups den offenen Gruppendiskussionen vorzuziehen. Um die angesprochenen Grenzen und Nachteile der Methode zu berücksichtigen und deren Effekte möglichst gering zu halten, wird Wert auf die Vorbereitung der Datenerhebung, die Ausarbeitung des Leitfadens und insbesondere die Schulung der Moderatorin gelegt.

7.2 Vorbereitung mit Entwicklung des Leitfadens und Moderationsschulung

Ziel der Focus Groups sind offene, aber gleichzeitig strukturierte ‘Gruppengespräche mit Fokus auf das Erkenntnisinteresse. Diesen Prinzipien folgt auch die Erstellung des Leitfadens, der im Folgenden dokumentiert ist. Dieser soll offen und flexibel in der Handhabung sein, damit möglichst natürliche Gesprächssituationen zwischen den Teilnehmenden entstehen können, aber gleichzeitig eine klare Struktur und einen inhaltlichen Fokus haben, damit die Moderatorin den Redefluss der Gruppe unterstützen und bei Abweichung vom Thema die Gruppe auf das Erkenntnisinteresse zurückführen kann, möglichst ohne das Gespräch zu unterbrechen. Hier wird die Notwendigkeit der Kompetenz der Moderation deutlich, die Relevanz einer guten Vorbereitung durch den Leitfaden ist aber ebenso eminent.

Zur Entwicklung des Leitfadens wird insbesondere mit dem SPSS-Prinzip von Cornelia Helfferich (vgl. Helfferich 2011: 182–185) und den Praxisanregungen von Kühn und Koschel (2018: 91–133) gearbeitet. Anschließend wird der Leitfaden einem Pretest unterzogen und das FeedbackFootnote 7 eingearbeitet. Die Interviews des Pretests dienen gleichzeitig als Moderations- und Interviewschulung, so kann die Moderatorin auch den Umgang mit Pausen, offene Fragen und schwierige Gesprächssituationen üben. Gegliedert ist der Leitfaden in einen Einstiegs-, Haupt- und Schlussteil. Gestaltet ist das Dokument in Tabellenform mit inhaltlicher Zuordnung der jeweiligen Interviewfrage oder Erzählaufforderung zur jeweiligen Forschungsfrage. Außerdem sind, in Anlehnung an Helfferich (2011: 185 f.), Aufrechterhaltungsfragen formuliert. Der Leitfaden ist ausführlich im Anhang dokumentiert.

Für die Anwendung des Leitfadens soll an dieser Stelle wiederholt auf das Prinzip der Offenheit hingewiesen werden. Der entwickelte Fragebogen soll zur Vorbereitung der Moderation und der Struktur des Gesprächs dienen, sich aber die Flexibilität in der Anwendung bewahren. Das heißt, dass die Fragen zwar vorformuliert sind, es im Wesentlichen aber auf die Stichworte ankommt und die Frageformulierung der Interviewsituation angepasst werden soll (vgl. ebd.: 181). Die Struktur der Fragen im Leitfaden orientiert sich an den Forschungsfragen (vgl. Kapitel 6) und ist nach dem Prinzip ‚Vom Allgemeinen zum Speziellen‘ angeordnet, dennoch ist weder die Reihenfolge noch jede einzelne Frage unabdingbar. Auch hier ist Flexibilität der Moderation nötig, sodass Fragen, die bereits beantwortet wurden, nicht noch einmal gestellt werden oder geeignete Fragen vorgezogen werden sollen, wenn dadurch der Gesprächsfluss in Gang bleibt. Demografische Angaben sowie Informationen zu Vorwissen, der Informationsnutzung und der Technikaffinität der Teilnehmenden werden vorab mittels Fragebogen erhoben (vgl. Abschnitt 7.3 und 9.3).

7.3 Auswahl der Teilnehmenden und Überblick über die Focus Groups

Das Forschungsinteresse der vorliegenden Arbeit gilt zum einen der Exploration und zum anderen der Vertiefung beziehungsweise der Erweiterung der bisherigen Erkenntnisse zum Vertrauen der Lesenden in automatisierten Journalismus. Um die Methode der Focus Groups für beide Ziele möglichst gewinnbringend einsetzen und insbesondere Teilnehmenden mit sehr unterschiedlichen technologischen und medienbezogenen Hintergründen einbinden zu können, werden drei Focus Groups mit unterschiedlichen Schwerpunkten konzipiert: Für die Exploration sind klassisch heterogene Focus Groups ideal, für eine intensiven Gesprächsaustausch auf einem hohen fachlichen Niveau werden zusätzlich zwei Focus Groups mit einem inhaltlichen Schwerpunkt, einmal hohe Technikaffinität und einmal hohe Medienkompetenz, konzipiert. Insgesamt erfolgt die Auswahl aller Teilnehmenden zusätzlich zur Zuteilung zu einer Focus Group, durch die bewusste Kontrolle bestimmter Merkmale mittels festgelegtem Quotenplan und definierten Mindestangaben, um insgesamt eine möglichst breite Varianz an Teilnehmenden zu erzielen (vgl. Lamnek und Krell 2016: 409). Berücksichtigt werden hier demografische Merkmale wie Alter, Geschlecht, formaler Bildungsstand und beruflicher Hintergrund sowie das Leseverhalten beziehungsweise die Informationsnutzung, die Technologieaufgeschlossenheit sowie das Vorwissen zum automatisierten JournalismusFootnote 8. Kontrolliert werden im Sampling zusätzlich der kulturelle Hintergrund, das allgemeine Journalismusvertrauen und ein vorhandener journalistischer Hintergrund. Die Kriterien werden im Vorfeld der Rekrutierung festgelegt und im weiteren Sampling nicht verändert.

Begründung der Kriterienauswahl

Die Auswahl der Kriterien und die Zusammensetzung der Focus Groups fußt insbesondere auf der Ausarbeitung des Forschungsstands bisheriger Rezeptionsstudien zu computergenerierten Nachrichtentexten (vgl. Kapitel 5) und den dort dargestellten möglichen Einflussfaktoren auf die Wahrnehmung der computergenerierten Nachrichtentexte. Insbesondere die Informationsnutzung, die Technikbereitschaft und das Vorwissen zum automatisierten Journalismus sind Merkmale, die in den quantitativen Studien als Einflussfaktoren berücksichtigt werden, unterschiedliche Ergebnisse zeigen und einer Überprüfung oder intensiveren Auseinandersetzung bedürfen. Die intersubjektive Überprüfbarkeit und Nachvollziehbarkeit der Rekrutierung erfordert zunächst eine Erläuterung der Kriterienauswahl sowie der Darstellung der verwendeten Fragekonstrukte zur Erhebung der genannten Kriterien. Umgesetzt wird die Abfrage der Kriterien über einen Screening-Fragebogen, den die Teilnehmenden bei der Rekrutierung ausfüllen (vgl. Folgeabschnitt sowie Appendix Screening-Fragebogen).

Grundsätzlich dienen die demografischen Merkmale zur Kontrolle und Einordnung der Studienergebnisse und weniger als Grundlage für die Zusammensetzung der Focus Groups. Allerdings werden nur Personen berücksichtigt, die Deutsch auf Muttersprachniveau sprechen und in der Bundesrepublik leben. Diese Einschränkung der Studienergebnisse muss bei der Dateninterpretation berücksichtigt und in Folgestudien thematisiert werden, trägt aber der Kritik der bisherigen Rezeptionsstudien von beispielsweise Liu und Wei (2019) und Waddell (2019) Rechnung. In den Arbeiten wird ein möglicher Einfluss der Muttersprache auf die Wahrnehmung computergenerierter Nachrichten thematisiert (vgl. ausführlich in Abschnitt 5). Auch wenn in der vorliegenden Arbeit nicht die konkreten Textstimuli im Mittelpunkt stehen, soll mit Beschränkung auf Wohnort und Muttersprache neben dem Sprachverständnis auch eine Sozialisation im deutschen Mediensystem und ein routinierter Umgang mit deutschen Nachrichten kontrolliert werden. Da es um die Wahrnehmung des automatisierten Journalismus durch Rezipierende geht, werden weiterhin Personen ausgeschlossen, die als Journalist oder Journalistin tätig sind.

Die allgemeine Vertrauensfrage in Journalismus wird in den quantitativen Befragungen (vgl. Kapitel 5) zwar nicht als möglicher Einflussfaktor berücksichtigt, ihr Einfluss wird aber in der Vertrauensforschung hervorgehoben und deshalb in den Screeningfragebogen aufgenommen. Operationalisiert wird die allgemeine Vertrauensabfrage als Globalabfrage, vergleichbar mit der Frage im jährlich erscheinenden Digital News Report (vgl. Hölig et al. 2021: 24). Berücksichtigt werden nur Personen, die über ein mittleres Vertrauensniveau in Journalismus als System berichten. Hier geht es insbesondere um den Ausschluss von Extremmeinungen, die in Folgestudien angesprochen werden müssen. Valide erscheint das Vorgehen insbesondere nach Auswertung der Vertrauensniveaus gegenüber Journalismus in der deutschen Bevölkerung; hier zeigen die Daten, dass die Mehrheit der Bevölkerung Journalismus überwiegend vertraut (vgl. Abschnitt 4.5.1). Die Informationsnutzung wird sowohl bei den quantitativen Befragungen als auch in der Vertrauensforschung (vgl. Obermaier 2020; Prochazka 2020) abgefragt. Zu dem Aspekt wird in dieser Arbeit auf die Frageformulierung von Hasebrink et al. (2021) zurückgegriffen, allerdings wird nur nach dem Lesen informativer Beiträge gefragt (vgl. ebd.: 81). Die Medienkompetenz der Teilnehmenden wird im Screeningfragebogen nicht gesondert erhoben, die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Focus Group mit Schwerpunkt der hoch Medienkompetenten werden aber nur aus Personen rekrutiert, die das Masterstudium der Kommunikationswissenschaft an der Universität Bamberg erfolgreich abgeschlossen haben.

Die Technologieaufgeschlossenheit wird im Forschungsstand nicht direkt erhoben, sondern über die Zugehörigkeit zu einer Nation oder einer Kultur, zum Beispiel Singapur im Vergleich zu Europa oder China im Vergleich zu den USA, thematisiert (vgl. Kapitel 5). In der vorliegenden Arbeit wird zur Erfassung der Technologieaufgeschlossenheit die validierte Kurzskala zur Technikbereitschaft (vgl. Neyer et al. 2016) verwendet. Das Konstrukt „soll den erfolgreichen Umgang mit neuen Technologien insbesondere im höheren Lebensalter vorhersagen“ (ebd.: 1) und besteht aus den Dimensionen Technikakzeptanz, Technikkompetenz- und Technikkontrollüberzeugungen. Die Validitätsprüfung zeigt für alle Altersgruppen stabile Ergebnisse; die Dimensionen können zwar auch einzeln verwendet werden, werden im Screeningfragebogen aber als Gesamtkonstrukt erhoben. Neben der Technologieaufgeschlossenheit wird im Forschungsstand auch das Vorwissen zu automatisierten Nachrichten oder eine bewusste Nutzung computergenerierter Berichterstattung als möglicher Einflussfaktor aufgelistet beziehungsweise im Forschungsausblick thematisiert (vgl. 5.2.3). Die Abfrage des Vorwissens erfolgt mittels einfacher Abfrage und vier möglichen AntwortenFootnote 9.

Quotenplan

Wie bereits beschrieben, werden nur Personen berücksichtigt, die Deutsch auf Muttersprachniveau sprechen, und in der Bundesrepublik leben, mittleres Vertrauen in Journalismus angeben und keinen journalistischen Hintergrund haben. Weiterhin soll eine heterogene Focus Group sowie zwei Focus Groups mit inhaltlichem Schwerpunkt, hohe Technikreflexion und hohe Medienkompetenz, stattfinden.

Zusätzlich zu den genannten Schwerpunkten der Focus Groups wird ein Quotenplan mit folgenden Kriterien für alle Teilnehmenden festlegt: Grundsätzlich werden mindestens fünfzehn Teilnehmende angestrebt, mit jeweils fünf Teilnehmenden je Focus Group. In der Regel können Forschungsziele mit zwei bis fünf Focus Groups erreicht werden (vgl. Lamnek und Krell 2016: 411), deshalb wird in der Planung angenommen, dass das Forschungsziel mit drei Focus Groups erreicht werden kann.

  1. 1.

    Alter: Drei Teilnehmende zwischen 18 und 30, drei zwischen 31 und 45 Jahren, drei über 45 Jahre.

  2. 2.

    Geschlecht: Eine annähernde Gleichverteilung der Geschlechter soll insgesamt und auch innerhalb der Focus Groups erzielt werden.

  3. 3.

    Formale Bildung: Insgesamt mindestens drei Teilnehmende ohne Abitur.

  4. 4.

    Beschäftigung: Möglichst unterschiedliche Hintergründe vor allem in Focus Group I (Durchschnitt).

  5. 5.

    Informationsnutzung: Je Focus Group unterschiedliche Niveaus, dazu jeweils mindestens eine Person mit wenig Nachrichtenkonsum (‚selten‘ bis ‚mehrfach pro Woche‘) und eine Person mit hohem Nachrichtenkonsum (‚mehrfach täglich‘ oder ‚täglich‘).

  6. 6.

    Technologieaufgeschlossenheit: In Focus Group II (Technologie) ist eine hohe Technologieaufgeschlossenheit Voraussetzung für die Teilnahme. In Focus Group I (Durchschnitt) und III (Medien) sind unterschiedliche Niveaus erwünscht: jeweils mindestens eine Person mit hoher Technologieaufgeschlossenheit und eine Person mit geringer Technologieaufgeschlossenheit.

  7. 7.

    Vorwissen automatisierter Journalismus: Je Focus Group sind unterschiedliche Niveaus erwünscht; jeweils mindestens eine Person mit Vorkenntnissen (‚genutzt‘ oder ‚viel gehört‘) und eine Person ohne Vorkenntnisse (‚wenig gehört‘ oder ‚noch nie gehört‘).

Schwierigkeiten können in Focus Groups durch stille Teilnehmende (vgl. Abschnitt 7.1) auftreten und durch das Online-Setting und Menschen mit unterschiedlichem Vorwissen noch verstärkt werden. Neben der bewussten Wahrnehmung dieser Problematik durch die Moderatorin werden vergleichsweise kleine Gruppen gewählt und bei Focus Group I (Durchschnitt) und II (Technologie) auf eine homogene Zusammensetzung der Gruppe geachtet. Durchgeführt werden die Focus Groups mit fünf bis sechs Teilnehmenden pro Gruppe. Diese Gruppengröße erscheint bereits im Pretest sinnvoll und hat zudem forschungspraktische Gründe in der Anwendung des Videokonferenzsystems Zoom, da bei sechs bis sieben Konferenzteilnehmenden inklusive der Moderatorin noch ein guter Überblick möglich ist. Zudem ist die Aktivierung einzelner Teilnehmender insbesondere im Online-Setting eine Herausforderung, damit sind sechs Teilnehmende das Maximum für einen lebendigen Austausch.

Lamnek und Krell (ebd.) diskutieren ausführlich die Zusammenstellung homogener und heterogener Focus Groups sowie Real- und Ad-Hoc-Gruppen mit Blick auf die Datensammlung und das Forschungsziel (vgl. ebd.: 407 f., 410 f.). Dabei sind für unterschiedliche Forschungszwecke unterschiedliche Zusammensetzungen geeignet. Wichtig ist die ausführliche Dokumentation der Rekrutierung für die intersubjektive Überprüfbarkeit. Homogene Gruppen und „persönliche Bekanntschaft verhindert manchmal die notwendige Offenheit, weil Konflikte über die Gruppendiskussionsdauer hinaus befürchtet werden. Profilierungssucht mag zu Denunziationen oder zu Dominanzen führen, die das Gruppengefüge belasten“ (ebd.: 407). Natürlich zusammengestellte Gruppen haben aber den Vorteil eines gemeinsamen Gesprächgegenstands und Bezugsystems und kommen meist schneller in eine Diskussion (vgl. ebd.: 411). Eine breite Themenvielfalt und der Austausch vielfältiger Argumente kann auch in einer homogenen Gruppe stattfinden, weil jede Focus Group eine Eigendynamik entwickelt und „[m]enschliches Handeln [...] derart komplex und an vielfältige Einflussfaktoren gebunden [ist], dass es nie durch die Wahl eines Gruppenzugehörigkeitsmerkmals als vorbestimmt gelten darf“ (Kühn und Koschel 2018: 68). Für die vorliegende Arbeit bedeutet dies, dass im Sampling mögliche negative Konsequenzen der homogenen Zusammenstellung der Focus Groups II (Technologie) und III (Medien) bedacht werden müssen und – insbesondere in der Moderation – darauf geachtet wird, dass eine hohe soziale Erwünschtheit, festgefahrene Rollenfunktionen oder ein nicht-angesprochener Common Sense berücksichtigt werden (vgl. Kühn und Koschel 2018: 69 f.; Brosius et al. 2016: 92 f.). Für das beschriebene Forschungsziel werden eine heterogen und künstlich zusammengestellte Gruppe und zwei vergleichsweise homogene, natürlich zusammengestellte Gruppen mit gemeinsamem Hintergrund des politischen Engagements oder des gemeinsamen Studiums rekrutiert. Dies erscheint aus einer Abwägung der unterschiedlichen Vor- und Nachteile der Zusammenstellung von Focus Groups geeignet, um das Forschungsziel der Exploration und der Vertiefung bisheriger Erkenntnisse zum Vertrauen der Lesenden in automatisierten Journalismus zu verbinden.

Die Rekrutierung erfolgt zunächst über die direkte Ansprache potentieller Teilnehmerinnen und Teilnehmer in den persönlichen Netzwerken der Autorin. Weiterhin werden die angesprochenen Personen gebeten, die Forschungsanfrage in ihren Netzwerken zu empfehlen und weiter zu verbreiten. Sobald mögliche Teilnehmende Interesse zeigen, wird der personalisierte Online-Screeningfragebogen (vgl. Appendix Screeningfragebogen) versandt und wenn die oben genannten Kriterien erfüllt sind, erfolgt eine Zuordnung zur jeweiligen Focus Group und die TerminauswahlFootnote 10. Insgesamt hatte die Autorin in der Rekrutierung direkten und indirekten Kontakt mit mindestens 100 potentiellen Teilnehmenden.

Die Rekrutierung der Teilnehmenden für die Focus Groups mit Themenschwerpunkten erfolgt dabei zielgerichtet (vgl. Tabelle 7.1). In Focus Group II (Technologie) werden Personen interviewt, die in besonderem Maße technologieaffin beziehungsweise technologiereflektiert agieren. Dazu werden gezielt Menschen angesprochen, die mit der Autorin vor über zehn Jahren in der Piratenpartei Deutschland auf Kommunal-, Bezirk-, Landes- und Bundesebene politisch aktiv waren und sich intensiv mit Digital- und Netzpolitik beschäftigten. Heute sind weder die Autorin noch die angesprochenen Teilnehmerinnen und Teilnehmer noch in der Partei aktiv, wenngleich sich viele in HackerSpaces, digitalpolitischen Netzwerken oder Gremien zur Entwicklung Künstlicher Intelligenzen engagieren und mehrheitlich im IT-Sektor oder der IT-Sicherheit arbeiten. Die Teilnehmenden der Focus Group III (Medien) zeichnen sich durch hohe Medienkompetenz aus und werden aus den Absolvent:innen des Masterstudiengangs Kommunikationswissenschaft der Universität Bamberg rekrutiert, die aber nicht im Journalismus arbeiten. Diese Proband:innen haben sich im Zuge ihres Studiums intensiv mit Journalismus als System, dem Berufsbild und Wandlungs- und Transformationsprozessen beschäftigt. Sie arbeiten aktuell in der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit von Unternehmen oder Behörden oder als freie Marketing- und Kommunikationsberater:innen. Wichtig bei der Auswahl der Proband:innen in Focus Group III ist eine hohe Medienkompetenz, aber explizit kein journalistischer Hintergrund. Die vorliegende Arbeit untersucht die Wahrnehmung von Rezipient:innen und nicht die von Journalist:innen. Zur Rekrutierung muss an dieser Stelle dokumentiert werden, dass insbesondere bei den Focus Groups mit Themenschwerpunkt nicht der „Königsweg in das Feld“ (Meyen et al. 2011: 75) über Dritte realisiert werden konnte, sondern persönlicher Kontakt zur Autorin bestand. Allerdings ist der Kontakt sehr lose und die Teilnehmenden hatten zuletzt vor mindestens drei, im Durchschnitt fünf Jahren Kontakt zur Autorin und zählen nicht zum engeren Freundes- und Bekanntenkreis. Vorteil dieser zielgerichteten Rekrutierung ist der gemeinsame Erzählgegenstand der Teilnehmenden (‚das politische Engagement‘ und ‚das Studium‘), dass sich alle lose kennen, seit Längerem in der Gruppenkonstellation nicht gesehen haben und im besten Fall Freude am Wiedersehen entwickeln und sich ein lockeres Gespräch ergibt.

7.4 Durchführung und inhaltliche Zielsetzung der Focus Groups

Die Datenerhebung findet im Juni und Juli 2022 statt. Durchgeführt werden drei Online-Focus Groups mit Hilfe des Videokonferenzsystems Zoom. In zwei Gruppen nehmen fünf Teilnehmerinnen und Teilnehmer teil und in einer Gruppe sechs Proband:innen. Jedes Gespräch dauert etwa 80 Minuten, kein Teilnehmer hat das Gespräch früher abgebrochen. Zur Auswertung werden jeweils sowohl eine Ton- als auch eine Videoaufzeichnung erstellt, wobei die Videoaufzeichnung nicht gesondert ausgewertet wirdFootnote 11. Die Aufnahme startet nach einer kurzen Einführung durch die Moderation und endet mit Abschluss des Leitfadens. Nach dem Aufnahmestopp wird das Thema abgebunden und weitere Fragen der Teilnehmenden, zum Beispiel zum Forschungsstand, kurz beantwortet. Nach Abschluss der Gespräche wird jeweils ein Postskriptum erstellt (vgl. Abschnitt 7.6).

Im Mittelpunkt der Focus Groups steht der entwickelte Leitfaden (vgl. Abschnitt 7.2) und dem Ziel, den inhaltlichen Fokus der Gespräche mit einer offenen, aktivierenden und lockeren Gesprächsatmosphäre zu verbinden. Der Leitfaden dient als Orientierung und soll das Gespräch strukturieren. In den Gesprächen werden jeweils alle Fragen des Leitfadens thematisiert und angesprochen, wobei weder die exakte Reihenfolge noch die genaue Frageformulierung notwendigerweise einzuhalten ist. Abhängig von den Äußerungen der Teilnehmenden werden im Gespräch zudem gezielte Nachfragen oder ergänzende Fragen eingeführt, um weitere Einschätzungen oder detailliertere Beschreibungen und Reflexionen der Teilnehmenden zu generieren. Der Struktur der Forschungsfragen und des Leitfadens folgend, sind die Gespräche in drei thematische Hauptblöcke gegliedert:

  1. 1.

    Einleitung und Hinführung zum Thema: Im Rahmen der Einführung werden die Teilnehmenden zu ersten Erfahrungen mit automatisierter Kommunikation befragt, das Forschungsthema kurz vorgestellt, und es erfolgt die Hinführung zum Vertrauensbegriff. Ziel des Einführungsblocks ist außerdem die Herstellung einer angenehmen Gesprächssituation, das Einüben und Sich-Vertraut-Machen mit der Videokonferenzsituation, die Aktivierung aller Teilnehmenden sowie ein leichter Einstieg in das Thema.

  2. 2.

    Die Wahrnehmung des automatisierten Journalismus und seiner Spezifika: Der Hauptteil der Focus Groups thematisiert die entwickelten Forschungs- und Detailfragen (vgl. Abschnitt 6.3) und ist der Struktur folgend in zwei Unterblöcke geteilt. Zunächst bezieht sich das Gespräch auf die Wahrnehmung der automatisiert generierten Nachrichten durch die Lesenden und ihr Vertrauen in automatisierten Journalismus. Überdies wird die Bedeutung der Automatisierung für das Vertrauen in Journalismus im Allgemeinen thematisiert und die Erwartungen an vertrauensbildende Maßnahmen im automatisierten Journalismus werden angesprochen. Im zweiten Block werden spezifische Eigenschaften der automatisierten Berichterstattung und ihr Einfluss auf die Vertrauensbewertung thematisiert. Den Forschungsfragen folgend wird beispielsweise diskutiert, welchen Einfluss eine Kennzeichnung der Texte, das Thema, die Darstellungsform oder die Medienrezeption einer Roboterdarstellung auf eine Vertrauensbewertung haben. Am Ende des Hauptteils wird nach weiteren Einflussfaktoren auf die Vertrauensbewertung und offen gebliebenen Themen gefragt.

    Im Hauptteil kommen als Stimuli für das Gespräch die Darstellung dreier Praxisbeispiele und die mündliche Vorstellung möglicher Zukunftsszenarien der automatisierten Berichterstattung zum Einsatz. Der Stimulus wird im folgenden Abschnitt beschrieben. Außerdem werden im Hauptteil Aktivierungen eingesetzt, die für eine Ausgewogenheit der Redebeiträge in der Gruppe sorgen und es werden Aufrecht-Erhaltungsfragen verwendet, um den Redefluss anzuregen und stille Teilnehmende einzubinden. Weiterhin werden Projektionsfragen verwendet, um den Effekt der sozialen Erwünschtheit zu minimieren (vgl. Brosius et al. 2016: 92 f.).

  3. 3.

    Schlussteil mit Reflexion und Abbinden des Themas: Die Focus Groups enden, sobald alle Punkte, Gedanken, Reflexionen und Anmerkungen der Teilnehmenden besprochen und abgefragt sind. Danach werden die Gespräche beendet, die Aufnahme gestoppt und die Teilnehmenden erneut beziehungsweise vertieft über das Forschungsprojekt aufgeklärt.

Um die Teilnehmenden zu aktivieren und eine weitere Reflexion anzustoßen wird mit Praxisbeispielen, einem aktuellen Anwendungsfall sowie mit einem möglichen Zukunftsszenario gearbeitet. Für die Darstellung der Praxisbeispiele werden Screenshots von aktuellen Online-Berichten in Form einer PowerPoint-Präsentation vorbereitet, die den Teilnehmenden im Gespräch mittels eines geteilten Bildschirms der Moderatorin zur Verfügung stehen. Verwendet werden Darstellungen der automatisierten Coronaberichterstattung der Rheinischen Post, des Feinstaubmonitors der Stuttgarter Zeitung sowie der kommunalen Wahlberichterstattung der Berner Zeitung (vgl. dazu auch Abschnitt 3.3.3. Für die Teilnehmenden ist jeweils der Anfang eines Artikels sowie der Transparenzhinweis sichtbar.

Mündlich besprochen wird ein aktueller Anwendungsfall der Limitationen der computergenerierten Berichterstattung (vgl. Abschnitt 3.4.1): In einem rein automatisiert erzeugten Bericht können Nebenereignisse nicht abgedeckt werden. Dieser Anwendungsfall wird am Beispiel eines Fußballberichts thematisiert, bei dem ein Flitzer als wichtiges Nebenereignis auftrat, in der Berichterstattung aber nicht vorkommtFootnote 12. Als Zukunftsszenario und mögliche Auswirkung der automatisierten Berichterstattung wird eine deutlich erhöhte Personalisierung von Nachrichtenartikeln besprochen. Thematisiert wird die Möglichkeit, Nachrichten deutlich komplexer auf den jeweiligen Leser oder die Leserin anzupassen. Angesprochen wird die ökonomische Möglichkeit, durch die Algorithmisierung eine höhere Themenvielfalt anzubieten, die individuell angepasst werden kann. Zudem wird auch eine mögliche Personalisierung der Nachrichteninhalte vorgestellt, indem auch die dargestellten Informationen, die Wortwahl, die Syntax, das Sprachniveau individuell angepasst werden können.

7.5 Beschreibung der Stichprobe und Zusammensetzung der Focus Groups

Die Focus Groups setzen sich wie in Tabelle 7.1 erfasst zusammen. Die Namen sind pseudonyomisiert.

Tabelle 7.1 Beschreibung der Stichprobe und Zusammensetzung der Focus Groups

Insgesamt nahmen sieben Männer und neun Frauen im Alter zwischen 29 und 72 Jahren an der Studie teil, das Medianalter aller Teilnehmenden liegt bei 33 Jahren. Der Quotenplan kann hinsichtlich des Alters, der Geschlechterverteilung, der formalen BildungsabschlüsseFootnote 13, der Informationsnutzung sowie des Vorwissens zu automatisierten Journalismus der Teilnehmenden erfüllt werden. Nicht erfüllt werden heterogene Beschäftigungshintergründe unter allen Teilnehmenden und das Kriterium der unterschiedlichen Technologieaufgeschlossenheit in Focus Group III (Medien): Hier geben die Teilnehmenden alle eine eher höhere Technikaffinität an. Dies ist eine im Feld vermutlich nicht aufzulösende Schwierigkeit, da Absolvent:innen eines Masterstudiums, dessen Studieninhalt auch die Nutzung digitaler Technologien umfasst, eine höhere Technikaffinität aufweisen werden als beispielsweise der Durchschnitt der Bevölkerung. Für den vorliegenden Forschungszweck ist das Vorgehen dennoch valide, da die angegebene Technikbereitschaft der Focus Group III (Medien) deutlich unter der Technikbereitschaft der Focus Group II (Technologie) liegt und damit ein wesentliches Distinktionsmerkmal beider Gruppen existiert.

7.6 Nachbereitung der Datenerhebung, Transkription und Auswertungsstrategie

Im direkten Anschluss an jede Focus Group wird ein Postskriptum angefertigt, welches Angaben zur Selbstwahrnehmung der Interviewerin, zu situativen Aspekten des Interviews, zu den Gesprächsinhalten vor und nach der Tonbandaufzeichnung, zur Wahrnehmung nonverbaler Aspekte, spontane Gedanken zur Schwerpunktsetzung der Gruppe, thematische Auffälligkeiten und erste Interpretationsideen enthält.

Nach der Datenerhebung werden die Focus Groups im Juli und August 2022 verschriftlicht und jeweils ein vollständiges Transkript erstellt. Zur Verschriftlichung von Tonaufzeichnungen gibt es in den Sozialwissenschaften unterschiedliche Transkriptionssysteme, die sich hinsichtlich ihrer Komplexität unterscheiden und festlegen, wie und in welcher Detailreiche verbale und nicht-verbale Äußerungen in die Verschriftlichung aufgenommen werden. Entscheidend für die Auswahl der jeweiligen Transkriptionsregeln sind – neben den Kosten der Transkription – der Forschungszweck und das Ziel der Datenerhebung. Diese bestimmen, wie genau und wie verständlich Aussagen transkribiert werden. In der Kommunikationswissenschaft wird in der Regel Wert auf den Sinn der Aussagen und eine leicht verständliche Verschriftlichung gelegt, hier sind einfache Transkriptionssysteme ausreichendFootnote 14 (vgl. Meyen et al. 2011: 115 f.; Kuckartz 2018: 166 f.). Neben der Verschriftlichung der Aussagen werden die Daten der Teilnehmenden zusätzlich anonymisiert beziehungsweise pseudonymisiert.

Auf Basis des einfachen Transkriptionsystems von Dresing und Pehl (2018: 21 f.), den Hinweisen zur computergestützten Auswertung von Kuckartz (2018: 167), den Empfehlungen von Meyen et al. (2011: 115 f.) und den praktischen Erfahrungen von Kümpel (2019) und Prochazka (2020) werden folgende Transkriptionsregeln definiert und umgesetzt:

  • Es wird wörtlich transkribiert. Dialekte werden nicht transkribiert, sondern möglichst wortgenau ins Hochdeutsche übersetzt.

  • Sprache und Interpunktion werden leicht geglättet, das heißt an das Schriftdeutsch angenähert. Wortverschleifungen werden an das Schriftdeutsch angepasst.

  • Füllwörter (wie ‚halt‘, ‚eben‘, ‚irgendwo‘, ‚irgendwie‘), umgangssprachliche Partikel (wie ‚gelle‘, ‚ne‘, ‚ja ne‘), Rezeptionssignale (wie ‚hm‘, ‚ja‘, ‚genau‘, ‚also naja‘) werden nicht transkribiert, sofern sie die Aussage nicht unterstützen oder verdeutlichen. Wenn Rezeptionssignale die Aussage unterstützen und demzufolge transkribiert werden, wird in Klammern notiert, ob die Äußerung als zustimmend oder ablehnend wahrgenommen wird.

  • Stottern wird geglättet. Abgebrochene Wörter und abgebrochene Sätze werden ignoriert, sofern sie die Aussagen nicht unterstützen oder verdeutlichen. Abgebrochene Sätze, die für das Forschungsziel wichtig erscheinen und deshalb transkribiert werden, werden mit (–) gekennzeichnet.

  • Wortdoppelungen und Wiederholungen werden nur transkribiert, sofern sie die Aussage unterstützen oder verdeutlichen.

  • Die Interpunktion wird zugunsten der Lesbarkeit geglättet, das heißt, bei kurzem Senken der Stimme oder nicht eindeutiger Betonung wird eher ein Punkt als ein Komma gesetzt. Sinneinheiten sollten beibehalten werden.

  • Besonders betonte Wörter werden in Großschrift kenntlich gemacht.

  • Deutliche, längere Pausen (ab circa drei Sekunden) werden durch Klammern (Pause) oder (...) markiert. Eine weitere Unterscheidung der Pausenlänge findet nicht statt.

  • Emotionale nonverbale Äußerungen, die die Aussagen unterstützen oder verdeutlichen oder der besseren Interpretation dienen, werden beim Einsatz in eckigen Klammern notiert [lachen].

  • Die Beiträge der Interviewerin werden mit I: gekennzeichnet; die Aussagen der Teilnehmenden jeweils mit einem Namenskürzel.

  • Die Focus Groups werden durchnummeriert. Innerhalb einer Focus Group erhält jeder Beitrag einen eigenen Absatz. Auch kurze, inhaltlich relevante Einwürfe werden in einem separaten Absatz transkribiert. Mindestens am Ende eines Absatzes werden Zeitmarken eingefügt.

  • Nebengeräusche, die wichtig für die Auswertung oder Interpretation sind, werden in eckigen Klammern notiert und mit einer Zeitmarke versehen.

  • Beziehen sich die Äußerungen der Teilnehmenden auf ein spezifisches Beispiel, so wird dies durch eckige Klammern [Rheinische Post] gekennzeichnet.

  • Alle Angaben, die einen Rückschluss auf einen Teilnehmenden erlauben, werden anonymisiert beziehungsweise pseudonymisiert.

Dresing und Pehl (2018) merken an, dass bei der Erstellung eines Transkripts durch eine Person im Durchschnitt 37 Prozent Fehler im ersten Transkriptionsdurchlauf auftreten können. Sie empfehlen daher, eine zweite Person mit der Überprüfung des Transkripts zu beauftragen und wenn dies nicht möglich ist, zumindest mit zeitlichem Abstand die Verschriftlichung der Tonaufnahme zu überprüfen (vgl. ebd.: 30). Aus forschungsökomischen Gründen kann das Transkript nicht durch eine zweite Person überprüft werden, aber der Empfehlung folgend, werden die Transkripte im Abstand von drei beziehungsweise vier Wochen überprüft und aufgetretene Fehler verbessert.

Zur Auswertung der Interviews werden die Transkripte in MAXQDA importiert und mit Hilfe von Codes und Zusammenfassungen für die Auswertung zugänglich gemacht. Als Auswertungsstrategie wird im Schwerpunkt auf die zusammenfassende Inhaltsanalyse von Mayring (2022) zurückgegriffen und die Hinweise zur computergestützten Auswertung von Kuckartz (2018) berücksichtigt. Das Kategoriensystem ist im Anhang veröffentlicht.