Zusammenfassung
Der vorliegende Beitrag diskutiert die Innovationsmetode „Hackathon“ im Anwendungskontext des öffentlichen Sektors. Abgeleitet aus den Konzepten Open Government und Open Innovation wird aus der Literatur ein Überblick gegeben werden, inwieweit Innovationswettbewerbe wie ein Hackathon geeignet sind, Innovationsideen aus der Gesellschaft in die Verwaltung zu bringen und die digitale Transformation des öffentlichen Sektors zu unterstützen. Anschließend werden die Ergebnisse präsentiert, welche im Nachgang zu den erstmals vom Kanton Bern initiierten Data Hackdays 2021 geführt worden waren. Der Hackathon hat insbesondere das Potenzial, dass in der Vorbereitung gewohnte Arbeitsweisen und Routinen verlassen werden und am Anlass selber eine Auseinandersetzung mit einer interessierten Community ermöglicht wird. Die Resultate zeigen auch Schwierigkeiten in der Vorbereitung auf, welche allerdings mit zunehmender Erfahrung zu bewältigen sind.
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5.1 Einleitung
Die Gesellschaft erwartet vom Staat mehr als die Bereitstellung von Behördenprozessen (Anträge, Formulare etc.) in einer digitalen Form. Die digitale Transformation im öffentlichen Sektor ruft nach einer besonderen Gestaltung, weil der Sektor nicht dem Wettbewerbsdruck von Marktkräften ausgeliefert ist und deshalb sich einfach gegenüber neuen Basistechnologien verweigern kann, ohne vom Markt sanktioniert zu werden. Meint es der Staat also ernst mit der digitalen Transformation, dann führt die Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung zu einer Verwaltungsreform (Mergel, 2019). Digitale Transformation gestalten bedeutet deshalb, Innovationen anzustoßen in einem Umfeld, das erstens auf Stabilität angelegt ist und zweites so viele Stakeholder mitberücksichtigen muss, welche sich gegenseitig neutralisieren können. Gefragt sind deshalb Innovationen und Innovationsmethoden, die das Neudenken von Bestehendem erlauben. Um die digitale Transformation der öffentlichen Verwaltung umsetzen zu können, sei ein Wandel der heutigen Verwaltungskultur nötig, hält die „E-Government Strategie 2020–2023“ (Digitale Verwaltung Schweiz, 2020) fest. Die Bedeutsamkeit von Innovationen für die Umsetzung der digitalen Transformation wird zwar regelmäßig von der Politik erkannt. Doch das wirft die Frage auf, wie diese Innovationen Eingang in die öffentliche Verwaltung finden können. Ridley (2020) diskutiert, wie diese Innovationen gefördert werden können. Preisausschreibungen werden als mögliche Lösungen genannt. Innovationen sind also im öffentlichen Sektor unausweichlich im Zuge der Digitalisierung, mögliche Innovationsmethoden können aber meist nicht unverändert von der Privatwirtschaft übernommen werden. Der „Hackathon“ als neue Art der Lösungsfindung wird seit der Covid-Krise zunehmend auch im öffentlichen Sektor ausprobiert. Dabei versuchen engagierte Teilnehmende in Teams, (digitale) Innovationen hervorzubringen, um den Siegerpreis zu gewinnen (Endrissat, 2020). Die Data Hackdays BE 2021, welche am 12. und 13. November 2021 in Bern stattfanden, stellten einen solche Hackathon dar und wurden vom Kanton Bern veranstaltet (opendata.ch, 2021).
5.1.1 Zielsetzung
Ausgehend von der oben kurz skizzierten spezifischen Problematik des öffentlichen Sektors, wird im vorliegenden Beitrag nach möglichen neuen Innovationsmethoden für Staat und Verwaltung gefragt. Konkret geht es darum, wie Innovationen Eingang in die öffentliche Verwaltung finden können. Diese umfassende Fragestellung wird empirisch am Beispiel der „Data Hackdays BE 2021“ untersucht. Die daraus gewonnenen Erkenntnisse sollen aufzeigen, wie das Potenzial von Hackathons zur Steigerung der Innovationsfähigkeit im öffentlichen Sektor genutzt werden kann. Welches sind Chancen und Risiken von Hackathons für den öffentlichen Sektor, wenn er Challenges öffentlich ausschreibt und sich gegenüber dem Wissen der Gesellschaft öffnet? Dies soll vorab in den Kontext der Innovationsforschung im öffentlichen Sektor gestellt werden. Existierende Frameworks aus dem Bereich Open Government und Open Innovation sollen aufzeigen, in welchem Rahmen ein von der Verwaltung organisierter Hackathon steht.
5.2 Theoretische Grundlagen
5.2.1 Open Government
Bei „Open Government“ (OG) geht es um die Öffnung der Regierung und des administrativen Systems (Verwaltung) gegenüber der Gesellschaft. Diese Öffnung findet insbesondere im Kontext der Verwaltungsmodernisierung statt und geschieht in Bezug zu den Anspruchsgruppen der öffentlichen Verwaltung (von Lucke & Gollasch, 2022). Hilgers (2012, S. 631) spricht dabei von einer „(…) Entgrenzung bisheriger Organisations- und Entscheidungsstrukturen“ und setzt für diese Öffnung eine Systematik voraus. Es handelt sich also um eine grundlegende Transformation des heutigen öffentlichen Sektors.
Dieser Ansatz von OG wurde inspiriert durch Open Innovation (OI), was ihrerseits ein neuer Ansatz der Innovationsfindung ist. Wie im Abschn. 5.2.2 ersichtlich wird, handelt es sich um ein Innovationssystem, bei dem Innovationen nicht nur durch Personen in der Organisation selbst angestoßen werden können, sondern es das Wissen und neue Ideen außerhalb der Organisation einbezieht. Um die Vorteile von OI auf die öffentliche Verwaltung zu übertragen, wird in der Literatur von OG angesprochen (Hilgers, 2012, S. 640).
Die Anfänge von OG reichen in die Zeit der Obama-Regierung zurück. Diese erläuterte 2009 im „Memorandum on Transparency and Open Government“ das Ziel der Offenheit und Transparenz der Regierung gegenüber der Bevölkerung und forderte die Kollaboration sowohl in der Verwaltung selbst wie auch mit dem privaten Sektor zusammen (Obama, 2009, S. 2).
Das Framework von Open Government
Das Framework von Hilgers (2012) zu OG (s. Abb. 5.1) soll aufzeigen, wie OG mit praktischen Ansätzen genutzt werden kann, um die Ziele der Transparenz, Kollaboration und Partizipation umzusetzen. Drei distinkte Ebenen werden dabei abgebildet, welche ihrerseits unterschiedliche Ansätze aufweisen, jedoch im Grundsatz zusammenhängend sind (Hilgers, 2012):
-
1.
„Citizen Ideation and Innovation“ – Die Lösung von öffentlichen und sozialen Problemen anhand von Innovationswettbewerben, an denen die Teilnehmenden ihr Expertenwissen einbringen können.
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2.
„Collaborative Administration (Citizensourcing)“ – Kollaboration zwischen der öffentlichen Verwaltung und externen Beteiligten, indem letztere in den Innovationsprozess bestehender Prozesse integriert werden.
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3.
„Collaborative Democracy“ – Kollaboration durch die Beteiligung an sowie Gestaltung von politischen Prozessen, besonders wenn dadurch die Qualität von Entscheidungen verbessert und das Vertrauen in öffentliche Einrichtungen gestärkt werden kann (dieser Punkt wird hier nicht weiter ausgeführt, weil kein Bezug zur Innovationsmethode Hackathon besteht).
5.2.2 Open Innovation (OI)
OI beschreibt einen Ansatz der Gestaltung des Innovationsprozesses. Henry Chesbrough definiert den von ihm geprägten Begriff als „(…) the use of purposive inflows and outflows of knowledge to accelerate internal innovation, and expand the markets for external use of innovation, respectively“ (Chesbrough & Vanhaverbeke, 2006). Entwickelt wurde dieses Konzept in seinem Werk zu OI (Chesbrough, 2003), in dem er den Vergleich zwischen dem geschlossenen Innovationssystem und dem neuen und offenen System anstellt. Bemerkenswert ist dabei, dass der große Vorteil des offenen Systems bei der Nutzung von Potenzialen liegt, die außerhalb des Unternehmens entstehen (Chesbrough, 2003; von Lucke & Gollasch, 2022, S. 132).
Dieser offene Ansatz der Innovation steht im Kontrast zur herkömmlichen Art, wie Innovationen entstehen. Im geschlossenen System kann nur auf die Ideen und das Wissen interner Mitarbeitender zugegriffen werden. Dies führt auch dazu, dass einige Ideen nicht weiterverwendet werden, da diese nicht den Vorstellungen der Unternehmung entsprechen (von Lucke & Gollasch, 2022). Das Einbeziehen von äußerem Wissen („externe Innovationsressourcen“) soll den internen Innovationsprozess beschleunigen (von Lucke & Gollasch, 2022). Gleichzeitig sollen interne Ideen und internes Wissen nach außen getragen werden, um dort von anderen Akteuren genutzt werden zu können, indem die Märkte erweitert werden für die externe Nutzung der Innovationen. Insgesamt liegt der Fokus auf der Wertschöpfung. Die Annahme besteht, dass die Umsetzung von Innovationen in zusätzlicher Wertschöpfung resultiert, ungeachtet dessen, wo diese Innovationen umgesetzt werden. Es handelt sich um eine Art „Collective Creativity“ (Chesbrough & Vanhaverbeke, 2006; von Lucke & Gollasch, 2022). Die prominentesten Beispiele für OI im privaten Sektor sind wohl Linux und Wikipedia (Awazu & Desouza, 2004; Mergel & Desouza, 2013).
Die Innovation im öffentlichen Sektor zielt darauf ab, Serviceleistungen zu verbessern und deren Nutzen für die Öffentlichkeit zu maximieren (Hilgers, 2012). So sollen die Tätigkeiten der öffentlichen Verwaltung auch effizienter werden und die verfügbaren Mittel besser alloziert (Wanner, 2011). Laut Wanner (2011) dient OI dazu „die bestmöglichen politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für eine prosperierende Volkswirtschaft zu schaffen“ (Wanner, 2011, S. 197).
Bisher wurde das Konzept von OI vorherrschend im privaten Sektor verwendet. Ein signifikantes Beispiel für OI in der Verwaltung sind jedoch die Bestrebungen der Obama Administration zur Förderung von Innovationen in der Verwaltung der Vereinigten Staaten wie beispielsweise die Erstellung der Plattform „challenge.gov“ (Hameduddin et al., 2020). Auf jener werden Wettbewerbe veranstaltet, um die Bürger der Vereinigten Staaten an den Lösungsprozessen für öffentliche Herausforderungen zu beteiligen. Hierbei können diese sowohl neue Lösungen einbringen, bereits bestehende Lösungen verbessern oder auch im Prozess der Implementierung assistieren (Mergel & Desouza, 2013). Es handelt sich um eine Möglichkeit für Bundesbehörden, den Innovationsprozess an Dritte auszulagern und gleichzeitig die Zusammenarbeit mit der Öffentlichkeit und deren Partizipation zu stärken (Hameduddin et al., 2020).
5.2.3 Innovation in der öffentlichen Verwaltung
De Vries et al. (2016) haben in ihrer Literatur-Review zur Innovation im öffentlichen Sektor vier verschiedene Kategorien herausgearbeitet: Erstens die Umweltebene, welche politische Aspekte beachtet wie Gesetze und Regulierung, zweite Ebene ist die Organisation, welche die Verfügbarkeit von Ressourcen, den Führungsstil und die Organisationsstrukturen beinhaltet. Drittens folgt die Innovationsebene, auf der die Charakteristiken der entsprechenden Innovation festgehalten werden, wie beispielsweise ihre Komplexität. Zuletzt existiert die Individualebene, welche die Mitarbeitenden abdeckt. Hier können diverse Faktoren mitspielen, wie beispielsweise die Mitarbeiterautonomie, Stellung in der Firma, Kompetenzen, Kreativität etc.
Auch Bloch (2011, S. 20) nennt diese Innovationstreiber, erwähnt jedoch zusätzlich Unternehmen und die Bevölkerung als externe Treiber, die beide eine Kundenrolle einnehmen, während erstere zudem Lieferanten sind. Beide haben Bedürfnisse, welche im Zusammenhang mit Dienstleistungen der öffentlichen Verwaltung stehen, was sie durch Rückmeldungen kenntlich machen (Arundel et al., 2016, S. 15). Habbel (2021, S. 122) nennt außerdem exogene Schocks als Treiber, welche die öffentliche Verwaltung in Themen wie der digitalen Transformation aus einer Notwendigkeit heraus vorantreiben.
Die Ruf nach Innovation in der öffentlichen Verwaltung ist mittlerweile ein Standardthema in sämtlichen internationalen (OCED, Europäische Union) als auch nationalen Gremien, welche sich um die Weiterentwicklung der öffentlichen Verwaltung bemühen. So unterstützt im Schweizer Kontext die neu geschaffene Digitale Verwaltung Schweiz (DVS) die Innovationsförderung und beschränkt sich nicht auf die Realisierung von E-Government-Projekten. Somit kann das Erkennen und Analysieren dieser Vorläufer ein sinnvoller Schritt sein, um Innovationsbarrieren entgegenzuwirken und Innovationstreiber zu begünstigen. Mit einem besseren Innovationsverständnis können zudem Innovationen früh genug erkannt und gefördert werden (Digitale Verwaltung Schweiz, 2020).
Boukamel und Emery (2019, S. 34–35) haben anhand einer Literaturrecherche kulturelle Innovationsbarrieren untersucht. Diese setzen sich aus der Risikoaversion, Pfadabhängigkeit, Konsensbildung und Diskretion zusammen. Die Risikoaversion tritt am häufigsten auf und beinhaltet die Risikobereitschaft des einzelnen Mitarbeitenden. Sie ist auch in der Schweizer Kultur auffindbar, da eine Fokussierung auf die Bestrafung von Fehlern bestehe, welche in anderen Kulturen einen tieferen Stellenwert einnähme. Dies sei auch in der öffentlichen Verwaltung beobachtbar, da Personen für misslungene Innovationen sanktioniert würden, weshalb sie Innovationen lieber vermeiden würden.
Für eine effektive und vollständige digitale Transformation der öffentlichen Verwaltung der Schweiz müsse sich auch die Kultur weiterentwickeln und anpassen (Digitale Verwaltung Schweiz, 2020). Dies sei nötig, um die Innovationsfähigkeit zu fördern, neue Prozesse zu gestalten, Fähigkeiten und Kenntnisse der Arbeitnehmenden aufzubauen und in den Arbeitsalltag einzubinden (Digitale Verwaltung Schweiz, 2020; KdK, 2018). Boukamel und Emery haben in ihren Untersuchungen zudem festgestellt, dass bei Innovationen jeweils die kulturelle Ebene einbezogen wird (2019, S. 38). Die Kultur ist demzufolge ein entscheidender Aspekt für die Innovationsfähigkeit der öffentlichen Verwaltung (Arundel et al., 2016, 2019).
Wie also könnte der öffentliche Sektor Innovationen vorantreiben? Folgt man dem etwas älteren Konzept von Open Government liegen die Hoffnungen einer Öffnung gegenüber der Gesellschaft nicht nur in der Verbreitung von Transparenz, Kollaboration und Partizipation staatlichen Handelns, sondern auch in der Steigerung der Innovationsfähigkeit des öffentlichen Sektors. Die Umsetzung von Open Innovation aus dem privaten Sektor kann beispielsweise über Wettwerbe in Form von Hackathons erfolgen. Diese stellen interessantes Neuland (Neumann & Mettler, 2021) an der Schnittstelle zwischen Verwaltungsinnovation, digitaler Transformation und Open Government dar. Im folgenden Abschnitt werden der Hackathon als Innovationsmethode und anschließend die Data Hackdays 2021 als Case Study für den öffentlichen Sektor untersucht.
5.3 Hackathon – von der Idee zur praktischen Umsetzung
5.3.1 Begriffsdefinition
Der Begriff Hackathon setzt sich aus den Wörtern Hacken und Marathon zusammen, was einerseits auf die Verwendung von Informationstechnik auf den Events und andererseits auf den kurzen Zeitrahmen von meist 24 oder 48 h hindeutet, in denen sie abgehalten werden (Endrissat, 2020). Während sie ursprünglich für die Entwicklung von Software genutzt wurden, finden sie heutzutage vielseitige Anwendung in diversen Branchen und Kontexten (Endrissat, 2020). Hackathons sind kollaborative Events, an denen Prototypen entwickelt und Lösungsvorschläge für zuvor aufgestellte Problemstellungen erarbeitet werden. Es gibt meist ein Überthema, in dem die Herausforderungen angesiedelt sind (Berg et al., 2021; Binzen & Termer, 2017). Die Teilnehmenden stammen aus verschiedenen Disziplinen, Branchen oder Bereichen und verfügen über diverse Fähigkeiten, welche sich meist aus Informationstechnik, Projektmanagement, Design und Business-Analyse zusammensetzen (Endrissat, 2020, S. 395). Dabei sind je nach Kontext sowohl Experten als auch Laien willkommen (Lodato & DiSalvo, 2016, S. 540). Am Ende des Events stellen die Gruppen ihre Prototypen und Lösungsansätze in einer Präsentation vor, was als Pitch bezeichnet wird. Hierbei gibt es typischerweise eine Jury, welche die Projekte bewertet und Siegerprojekte ernennt, was von einer Preisverleihung gekrönt wird.
5.3.2 Merkmale und Design
Das Modell in Abb. 5.2 zeigt auf, wie Hackathons mit verwandten Trends zusammenhängen. Dabei muss beachtet werden, dass dieses Modell für den privaten Sektor erstellt wurde, da Hackathons bisher primär in diesem Bereich stattfanden. Die Stichworte sind jedoch auch für den öffentlichen Sektor relevant, denn auch dieser kann bei einem Hackathon von der Kombination aus technologischen Komponenten, einem unternehmerischen Aspekt und Innovationsmanagement profitieren (Endrissat, 2020, S. 395). Dabei soll der eingeschränkte Zeitrahmen, die Diversität der Teilnehmenden und die Anwendung von Open-Source-Software die Innovationsfähigkeit steigern.
Für die Erarbeitung der Lösungsansätze werden in den Hackathons Datensätze benötigt. Diese werden den Teilnehmenden für die Erarbeitung der Herausforderungen zur Verfügung gestellt. Als „Open Data“ sind sie nun für alle Teilnehmenden verfügbar und frei verwendbar. Dies setzt jedoch voraus, dass es sich nicht um schützenswerte Daten handelt (Binzen & Termer, 2017, S. 24). Im Beispiel der öffentlichen Verwaltung sind es Daten, welche im Tagesgeschäft und Verwaltungsabläufen verwendet werden (Johnson & Robinson, 2014, S. 350).
5.3.3 Civic Hackathons
Die Bedeutung von „Civic Hackathons“ lässt sich aus den Wortbedeutungen der beider Begriffe ableiten. Daraus wird klar, dass es sich um eine Variante des Hackathons handelt, bei dem die Zivilgesellschaft partizipiert. Die Herausforderungen, welche behandelt werden, stammen aus dem gesellschaftlichen Spektrum. Ein Beispiel ist die Verschmutzung der Ozeane (Berg et al., 2021). Ein passender Begriff dazu ist „Open Social Innovation“, bei dem davon ausgegangen wird, dass in der Zivilgesellschaft die nötigen Handlungsmotive und Fähigkeiten vorhanden sind, um diese Probleme zu lösen (Mair et al., 2022; Yuan & Gasco-Hernandez, 2021). Der Innovationsprozess wird somit für die Zivilbevölkerung geöffnet. Damit wird auch die Freigabe der Daten notwendig, welche an dem Hackathon verwendet werden (Binzen & Kleemann, 2019, S. 46).
Bereits 2011 wurde OI als ein Trend erkannt, der von der öffentlichen Verwaltung ernstgenommen werden sollte. Der Vorschlag von Herbert Wanner (2011) war damals, ein nationales Innovationsförderprogramm mit der Anwendung von OI zu lancieren. Dies ist zwar noch heute nicht umgesetzt, jedoch wurde die Notwendigkeit der Innovationsförderung mittlerweile in der OECD und auch in der Schweiz erkannt (Digitale Verwaltung Schweiz, 2020; OECD, 2019). Mit den Hackdays in der COVID-19-Pandemie wurde dies im Kanton Bern erstmals auch umgesetzt.
Nachfolgend werden einige Beispiele aus der Praxis für Civic Hackathons behandelt:
5.3.3.1 Data Hackdays BE 2021
Die Data Hackdays Bern fanden am 12. und 13. November 2021 im Berner Rathaus statt und wurden vom Amt für Informatik und Organisation des Kantons Bern (KAIO), den Parlamentsdiensten des Berner Grossen Rates und dem Gastgeber Opendata.ch organisiert. Das Ziel war, die digitale Transformation im Kanton zu fördern. Das Event diente gewissermaßen als Experiment, um zu testen, ob ein einfacherer Zugang zu Daten zu einer Einsparung von Ressourcen, einer Steigerung der Beteiligung des Volkes und mehr Nachhaltigkeit führen kann. Challenge-OwnerFootnote 1 waren Angestellte des Kantons Bern aus mehreren Direktionen. Sie definierten die Problemstellungen für die 24 Challenges und stellten die Daten für die Bearbeitung bereit. Eine dieser Challenges war das Analysieren der Impfwilligkeit der Bevölkerung gegen das Coronavirus. Eine weitere Herausforderung beinhaltete die Analyse von Fahrplandaten der SBB, bei der die Visualisierung des Angebotes des öffentlichen Verkehrs das Ziel war. Insgesamt wurden 11 Lösungsvorschläge erarbeitet und präsentiert, welche sich in unterschiedlichen Stufen der Entwicklung befanden. Zu den bearbeiteten Themengebieten gehörten u. a. die COVID-19-Pandemie (opendata.ch, 2021).
5.3.3.2 #WirVsVirus und Update Deutschland
„#WirVsVirus“ war ein Online Hackathon und wurde vom 20. bis 22. März 2020 mit der Unterstützung der Deutschen Bundesregierung abgehalten. Das Ziel des Hackathons war die Erarbeitung von Lösungen für die Herausforderungen der COVID-19-Pandemie. Die 28.361 Teilnehmenden erarbeiteten in Teams 1500 Lösungen, von welchen ein Großteil nach dem Hackathon weiterverfolgt wurde (#WirVsVirus, 2020e). Für die Förderung der Teams wurde der Hackathon in vier Programme aufgeteilt. Das „Solution Enabler“-Programm förderte 130 ausgewählte Lösungen, um sie möglichst schnell umzusetzen (#WirVsVirus, 2020d). Das „Solution Builder“-Programm war das intensive Förderprogramm, bei dem zehn Lösungen innerhalb von acht Wochen direkt umgesetzt wurden. Ihnen wurden Personal und Mittel geboten, ein Projektleiter zugewiesen und Zugang zu Netzwerken gewährt, bestehend aus möglichen Geldgebern oder Versteigerungspartnern. Ein Beispiel dieses Programms ist „UDO“, ein Projekt, welches den Antragsprozess von Kurzarbeitergeld digitalisiert (#WirVsVirus, 2020c). Neben diesen beiden Umsetzungsprogrammen gab es auch ein „Community Management“, das die aus dem Event entstandene Community betreuen und vernetzen sollte. Auch während des Events wurde es für die Moderation und Unterstützung der Teilnehmenden genutzt (#WirVsVirus, 2020a). Der „Matching Fonds“ ermöglichte das Crowdfunding der Projekte durch die Bevölkerung und leistete einen Zuschuss von 25 % zu den gesammelten Geldern (bis zu 10.000 €) (#WirVsVirus, 2020b). Das Nachfolge-Event „Update Deutschland“ fand ein Jahr später statt und knüpfte an den Erfolg von #WirVsVirus an. 330 Teams nahmen über vier Monate hinweg am Hackathon teil und bearbeiteten zusammen mit Personen aus den deutschen föderalen Ebenen, der Wirtschaft und der Wissenschaft Herausforderungen im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie (Update Deutschland, 2022). Die Lehren aus dem vorherigen Hackathon wurden in einem Report festgehalten. Der Hackathon wurde von Forschenden begleitet, welche am Ende einen Learning Report verfassten, der die Lehren und Erkenntnisse aus diesem Hackathon zusammenfasst (Mair et al., 2022; Update Deutschland, 2022).
5.3.3.3 Versus Virus
Der Schweizer Online-Hackathon gegen das Coronavirus „Versus Virus“ wurde mithilfe des Departementes des Innern und des Departements Wirtschaft, Bildung und Forschung WBF organisiert. Es fanden insgesamt zwei Hackathons im April und Mai 2020 statt, an denen sich 263 Teams aus der Schweiz mit 4000 Teilnehmenden (#WirVsVirus, 2020c; Oldschool, 2020) beteiligten. Für die Siegerprojekte gab es das „Versus Virus Incubation Program“. Dies war ein Förderprogramm, welches 41 Teams über maximal 25 Wochen hinweg dabei unterstützte, deren Projekte voranzutreiben. Dies wurde durch online Coachings, Finanzierung, Trainings und weitere Mittel erreicht (#WirVsVirus, 2020a). Das Siegerprojekt des Mai Hackathons war „OldSchool“, ein Fernunterrichtsprogramm für Personen über 65 Jahre, welches von der Senioren-Universität Zürich (UZH3) gefördert wurde und den Kreativitätswettbewerb „Solve for Tomorrow Initiative“ von Samsung gewann (#WirVsVirus, 2020b).
5.3.4 Nutzen
„We believe this can be a blueprint for how governments could address pressing challenges bottom up and collaboratively with civil society“. (Google Docs, 2020, S. 11)
Dieses Zitat aus dem #WirVsVirus Handbook beschreibt die Vorteile von Hackathons und zeigt auf, wie diese die Innovationsbarrieren der öffentlichen Verwaltung lösen oder umgehen können. Anders als in der öffentlichen Verwaltung besteht während Hackathons eine offene Fehlerkultur (Endrissat, 2020). Dies liegt unter anderem daran, dass das Experimentieren gefördert wird und die Konsequenzen der Fehler in diesem Umfeld weniger gravierend sind, da ein Hackathon grundsätzlich wenige Kosten verursacht. So können auch Ideen umgesetzt werden, welche sonst nicht profitabel wären (Binzen & Kleemann, 2019). Dies basiert auf dem Sachverhalt, dass die Teilnehmenden eines Hackathons grundsätzlich keine Vergütung erhalten und auch sonst wenige Ressourcen aufgewendet werden. Die verwendeten Programme sind open source und damit kostenlos und die Computer werden von den Teilnehmenden mitgebracht (Endrissat, 2020). Im Fall eines virtuellen Hackathons sind auch keine Eventräumlichkeiten notwendig (Mair et al., 2022). Einzig Daten, welche für das Erarbeiten der Prototypen und Lösungsvorschläge benötigt werden, müssen bereitgestellt werden. Da es sich aber grundsätzlich um offene Daten handelt, geht dabei kein Profit verloren, der mit den Daten hätte erwirtschaftet werden können (Binzen & Kleemann, 2019).
Die vorgestellten Hackathons aus der COVID-19-Pandemie wurden teilweise aus einer Notwendigkeit heraus, teilweise jedoch auch als Experiment organisiert (Berg et al., 2021, S. 637). Viele Hackathons werden jedoch für das Anstoßen und Umsetzen von Innovationen veranstaltet. Primäres Ziel ist es, Probleme durch externe Fachkräfte, Spezialisten und die Zivilbevölkerung zu lösen. Dieser Austausch zwischen den Teilnehmenden und der Organisation führt nicht nur zu einem Wissensaustausch, sondern kann zur Bildung einer Community führen, welche aus den Teilnehmenden des Hackathons besteht (Binzen & Termer, 2017, S. 44).
Der Nutzen eines Hackathons resultiert nicht nur aus den konkreten Ergebnissen. Die Teilnahme an einem solchen Event fördert auch das Training, eröffnet neue Netzwerke und kann zu einer Zusammenarbeit mit anderen Verwaltungsabteilungen führen (Endrissat, 2020; Mair et al., 2022; Stoltzfus et al., 2017, S. 8–10; Yuan & Gasco-Hernandez, 2021). Die Teilnahme der Verwaltungsmitarbeitenden kann Schwachstellen in Strukturen und Prozessen aufzeigen. Laut Mair et al. kommen deshalb zu folgendem Fazit: „(…) Open Social Innovation birgt Transformationspotential.“ (2022, S. 50). Dieser Einbezug der Zivilbevölkerung bringt für sie auch die Möglichkeit, deren digitale Fähigkeiten aufzubauen und weiterzuentwickeln (Binzen & Kleemann, 2019; Endrissat, 2020).
5.3.5 Verbesserungen
Welche Personen auf einen Hackathon aufmerksam werden und anschließend teilnehmen, ist abhängig davon, wie und wo er beworben wird. Mair et al. berichten über Update Deutschland, wo beispielsweise darauf geachtet wurde, dass die Medien verschiedene Interessengruppen ansprechen und die verwendete Sprache allgemein gehalten sei. Dies vor dem Hintergrund, die Diversität des Hackathons zu fördern (2022, S. 40–41). Medina Angarita und Nolte (2020) haben festgestellt, dass Teilnehmende teilweise Fragestellungen zur Bearbeitung auswählen, obwohl sie nicht über die nötigen Fachkompetenzen verfügen. Um trotzdem eine erfolgreiche Bearbeitung zu ermöglichen, sollte darauf geachtet werden, den Teilnehmenden die nötige Unterstützung zu bieten. Trainer et al. (2016, S. 1128) stellten bei den Teilnehmenden der untersuchten Hackathons eine Zurückhaltung fest, da sie ungern Fragen stellten oder um Hilfe baten. Dies sei auf mangelndes Vertrauen zurückzuführen. Ihr Lösungsvorschlag ist, vor dem Hackathon eine Vorstellungsrunde durchzuführen, um gegenseitig ihre Interessen und Ziele kennenzulernen. Zudem stellten sie fest, dass die an den Hackathons verwendeten Tools nicht immer von allen Teilnehmenden verwendet wurden. Dies läge an den fehlenden Anreizen dafür, sich mit diesen auseinanderzusetzen. Es sollte deshalb darauf geachtet werden, möglichst allgemein anwendbare Tools zu verwenden. Berg et al. (2021, S. 639) empfehlen Anpassungen bei der Wahl der Siegerprojekte. Besonders im Rahmen von Civic Hackathons sei die Wahl per Jury wenig passend. Als Alternative wird die Wahl von einem Bürgerrat empfohlen, welche die Diversität eines Hackathons besser widerspiegle. Sie plädieren zudem dafür, Hackathons weniger als wirtschaftliches Instrument zu sehen und mehr als Gelegenheit, die Bevölkerung am Innovationsprozess zu beteiligen. Auch Yuan und Gasco-Hernandez (2021, S. 539) erwähnen die Teilnahme der Bevölkerung und das Formen von Communities als wichtige Ergebnisse eines Hackathons.
5.3.6 Ergebnisse weiterführen
Ungeachtet dessen, welche Art von Ergebnissen aus den Hackathons entstehen, können Maßnahmen getroffen werden, um davon langfristig zu profitieren. Trainer et al. schlagen vor (2016, S. 1127) eine E-Mail-Liste für die Teilnehmenden zu erstellen, deren Daten ausgewertet werden können, um Netzwerke zu bilden, welche die Sozialstruktur des Hackathons abbilden. Damit der Kontakt mit und unter den Teilnehmenden gewahrt werden kann, können beispielsweise diverse Technologien verwendet werden, um Inhalte und Bilder zu teilen, welche in Verbindung zu dem Event stehen. Um nach dem Hackathon weiter an den Projekten arbeiten zu können, empfehlen sie weiter die Nutzung von Online-Tools.
Chandrasekaran et al. (2018, S. 97) berichten über Hackathons, deren Ergebnisse durch die Teilnehmenden an Konferenzen präsentiert wurden, um Aufmerksamkeit auf die Problemstellungen des Hackathons zu richten. Olson et al. (2016, S. 43) haben hingegen den Vorteil von Bootcamps für unternehmerisch tätige Personen festgestellt, welche nach dem Hackathon durch die Teilnehmenden besucht wurden. Dies könnte beispielsweise bei einer Vorgehensweise wie in #WirVsVirus Sinn ergeben, da nach dem Hackathon ein Umsetzungsprogramm über mehrere Monate stattfand, in dem Firmen gegründet wurden (#WirVsVirus, 2020b).
Medina Angarita und Nolte (2020) haben in ihrer Studie entdeckt, dass die verschiedenen Fähigkeiten der Teilnehmenden bei der Einteilung der Teams berücksichtigt werden sollten, um das langfristige Weiterarbeiten der Teams an den Challenges zu begünstigen. Welche Maßnahmen schlussendlich am effektivsten sind, um die Ergebnisse eines Hackathons weiterzuführen, sei noch unklar und bedürfe weiterer Forschung (Medina Angarita & Nolte, 2020, S. 59).
5.3.7 Kritik und Herausforderungen
Nicht alle Ergebnisse aus Hackathons führen zu konkreten Lösungen, welche in der Praxis implementiert werden können. Die meisten Lösungen befinden sich zudem noch in der Anfangsphase und sind somit unvollständig (Endrissat, 2020; Yuan & Gasco-Hernandez, 2021, S. 536). Außerdem können an Hackathons meist nicht alle Herausforderungen gelöst oder überhaupt behandelt werden. Dies liegt unter anderem an dem limitierten Zeitrahmen, in welchem diese Events stattfinden (Mair et al., 2022). Ein weiterer Punkt ist, dass die Teilnehmenden nur selten nach den Hackathons an ihren Projekten weiterarbeiten oder sie vervollständigen (Endrissat, 2020). Demnach können nicht alle Herausforderungen einer Gesellschaft mit solchen OI-Ansätzen gelöst werden. Im Kontext von Open Social Innovation wie Update Deutschland sind personelle Ressourcen der öffentlichen Verwaltung für die Bearbeitung der Herausforderungen notwendig. Mair und Kollegen (2022, S. 38) stellten dabei fest, dass diese Ressourcen oftmals nicht bereitgestellt werden konnten, da die Budgetierung dies nicht zuließ. Zudem müssen die Daten für den Hackathon in eine strukturierte Form gebracht und anschließend bereitgestellt werden (Endrissat, 2020).
An Hackathons werden zwangsläufig diverse digitale Tools verwendet. Im Hackathon Update Deutschland war der Datenschutz ein Problem, da Verwaltungsmitarbeitende einige Tools nicht verwenden konnten (Mair et al., 2022). Hackathons sprechen außerdem lediglich eine beschränkte Anzahl Personen in der Gesellschaft an, da die Verwendung von Online-Tools und eine gewisse Technikaffinität vorausgesetzt werden (Mair et al., 2022). Dies ist besonders in Verbindung mit Hackathons der Fall, welche von der öffentlichen Verwaltung zur Öffnung und Bearbeitung von Daten organisiert werden. Zudem werden die Teilnehmenden von Hackathons für ihre Arbeit grundsätzlich nicht entlöhnt, es sei denn, sie gewinnen mit ihrem Projekt einen Preis (Endrissat, 2020). Yuan und Gasco-Hernandez (2021, S. 639) beanstanden dabei diese fehlende Inklusion, welche den politischen Mehrwert von Civic Hackathons beeinträchtige.
5.4 Ergebnisse
5.4.1 Forschungsfrage
Die öffentliche Verwaltung öffnet sich mit einem Hackathon gegenüber dem Wissen, den Fähigkeiten und den Interessen aus der Gesellschaft. Indem die Behörden Challenges ausschreibt, gibt sie auch Einblick in ihre Tätigkeiten. Die empirischen Befunde aus den Interviews im Anschluss an die Data Hackdays BE 2021 geben Hinweise auf das Innovationspotenzial von Hackathons zur Steigerung der Innovationsfähigkeit im öffentlichen Sektor generell. Doch welche Chancen und Risiken bieten sich dadurch? Um die Ausgangsfrage, wie Innovationen Eingang in die öffentliche Verwaltung finden können, zu beantworten, soll nachfolgend mit den Ergebnissen der Untersuchungen genauer aufgezeigt werden, wo das Innovationspotenzial bei den Hackdays besteht, welche Chancen und Risiken auftauchten und wo in Zukunft Verbesserungspotenzial besteht.
5.4.2 Innovationsfähigkeit
Alle Befragten erwähnten die positiven Effekte von Hackathons auf die Innovationsfähigkeit der öffentlichen Verwaltung und dabei vorwiegend wegen der Arbeitsweise und der Zusammenarbeit mit externen Akteuren. Erstere wurde zwar als ungewohnt wahrgenommen, jedoch als durchaus förderlich.
„Da sehe ich durchaus auch einen Nutzen, weil man einfach neue Lösungsmöglichkeiten sieht, wo auch unkonventionelle Ansätze dazukommen. Das regt intern auch an, wie man etwas anders angehen könnte. (…) Die Art wie man arbeitet (…), das löst Innovation aus.“ (Interview 4)
„Deshalb finde ich solche offenen Formate sehr wichtig, um diesen Austausch zu fördern und interdisziplinär zu arbeiten und (…) ein gesamtheitlicheres Bild der Herausforderung zu sehen“ (Interview 3)
Diese Zusammenarbeit zwischen Personen mit unterschiedlichen Fähigkeiten, Erfahrungen und Ansichten aus der öffentlichen Verwaltung, der Privatwirtschaft und der Bevölkerung, wurde von allen Befragten als konstruktiv angesehen. Dies fördere die Vernetzung zwischen diesen Gruppen, was eine künftige Zusammenarbeit ermöglichen und begünstigen könnte.
Hackathons können die Innovationsfähigkeit erhöhen, da neue Ansätze und Arbeitsweisen verwendet werden. Die offene Kultur und die Inklusion eines Hackathons sind dabei weitere Faktoren, welche vermehrt angemerkt wurden. Diese fördern auch das Experimentieren, da Fehler nicht gravierend seien und eine offenen Fehlerkultur bestehe. Ein Hackathon bietet einen Freiraum für Innovationen, welcher nicht an die kulturellen Barrieren der Verwaltung gebunden ist (Boukamel & Emery, 2019).
Die Innovationen in Form von Prototypen und Lösungsansätzen können die digitale Transformation vorantreiben, indem wie im Beispiel des #WirVsVirus-Hackathons ein Verwaltungsprozess digitalisiert werden kann (#WirVsVirus, 2020c). Auch kann das Bewusstsein bei den Teilnehmenden geschaffen werden, dass Innovationsbarrieren bestehen und eine Veränderung notwendig ist. Außerdem wird durch den Einbezug der Zivilbevölkerung die Partizipation gefördert, was ein Handlungsfeld der E-Government-Strategie abdeckt (Digitale Verwaltung Schweiz, 2020).
5.4.3 Vorbereitung und Unterstützung
Die Unterstützung der Teilnehmenden eines Hackathons ist entscheidend für die Bearbeitung der Herausforderungen (Medina Angarita & Nolte, 2020). In den Ergebnissen wurde dazu beobachtet, dass dies auch auf die Vorbereitung zutrifft. Denn bei der Vorbereitung der Hackdays sahen sich alle Befragten mit diversen Herausforderungen konfrontiert:
„Der interne Informationsfluss war aber nicht sehr ideal und ich habe auch nicht gewusst, was ich liefern muss (…).“. „(…) ich denke man hätte in der Vorbereitung eine bessere Betreuung gebraucht“ (Interview 2)
Diese Probleme tauchten auch bei der Aufbereitung der Datensätze auf. Teilweise konnte vor Ort Unterstützung von Expert*innen angefordert werden, beispielsweise bei Experten der Bundesverwaltung oder bei Coaches, die zuständig für die Organisation der Hackdays waren.
In der Vorbereitung eines Hackathons sollten den Challenge-Ownern deshalb möglichst alle nötigen Informationen zugestellt werden, damit sie ihre Herausforderungen gestalten können. Besonders die zu verwendenden Daten sollten möglichst durch Fachkräfte gut vorbereitet werden um sicherzustellen, dass passende Dateiformate gewählt werden und die Daten strukturiert sind (Trainer et al., 2016).
An den Hackdays selbst wurde die technische Unterstützung vom Gastgeber Opendata angeboten, welche als sehr professionell und hilfreich bewertet worden war.
5.4.4 Daten und Tools
Für die Challenges mussten Datensätze bereitgestellt werden, damit diese an den Hackdays bearbeitet werden konnten. Dies stellte sich für eine Mehrheit der Beteiligten als eine neue und unbekannte Herangehensweise dar. Das technische Know-how wurde in den Interviews am häufigsten genannt. Dabei fehlte es in der Vorbereitung an Standards zur Datenbereitstellung. Aufgrund der diversen Herausforderungen, welche sich den Personen boten, bewerteten sie ihren Aufwand sehr unterschiedlich:
„(…) die kartographischen Daten zu erstellen, war sehr aufwändig.“ (Interview 5)
„Mein persönlicher Zeitaufwand war in der Vorbereitung sicher eine Woche Arbeit gewesen, wahrscheinlich mehr.“ (Interview 2)
„Nein nicht wirklich. Ich habe vielleicht einen halben Tag dafür gehabt insgesamt.“ (Interview 3)
Die Form, in der die Daten geliefert wurden, konnte selbst gewählt werden, weshalb die Personen jeweils die Dateiformate wählten, welche für sie üblich waren. Dies zeigte sich anschließend in Äußerungen von den teilnehmenden Hackern zu den bereit gestellten Daten einiger Challenges:
„(…) da musste die verfügbare Zeit am Hackathon dann dafür genutzt werden, diese Daten in eine brauchbare Form zu bringen. Für die Auswertung blieb dann keine Zeit mehr.“ (Interview 2)
Die Schwierigkeit der Datenbereitstellung ist ein bekanntes Phänomen, was auch von Mair et al. erwähnt wird (2022). Diese Daten müssen strukturiert und maschinenlesbar bereitgestellt werden (Endrissat, 2020). Dies ist eine Herausforderung für die öffentliche Verwaltung, da unterschiedliche Tools in der Hacker-Community verwendet werden. Aber auch für Personen, welche normalerweise nicht mit solchen Daten und Tools arbeiten, stellt diese Datenbreitstellung eine Herausforderung dar. Die Daten sollten daher möglichst unter Berücksichtigung der maschinenlesbaren Bearbeitung durch die Teilnehmenden vorbereitet werden. (Trainer et al., 2016). Dies wäre auch ein Beitrag zum Gebot von Open Government Data (OGD) schlechthin.
Der Datenschutz wurde häufig erwähnt und stellte für eine Mehrheit der Challenge-Owner vor und auch während den Hackdays eine Herausforderung dar. Dies biete laut einigen Befragten außerdem ein gewisses Risikopotenzial:
„Wenn man externe Personen dabei hat, weiss man nicht, was diese Personen mit den Daten machen könnten. Zudem heißt das Event Hackathon und die Personen Hacker. Diese Personen sind einem teilweise auch technisch durchaus überlegen.“ (Interview 4)
Dabei wurde der Unterschied zwischen technischen Daten und Personendaten erwähnt, welcher entscheidend sei. Bei Letzteren gab es bedeutend mehr Schwierigkeiten in der Datenbereitstellung. Diese zu lösen war die Aufgabe der Challenge-Owner. An den Hackdays entstanden Datenschutzprobleme, wie bei Update Deutschland bei der Datenbereitstellung und bei der Verwendung von Tools (Mair et al., 2022; Update Deutschland, 2022). Auch diese Probleme hätten bereits in der Vorbereitung angegangen werden können. Beim Datenschutz für die Datenbereitstellung könnte hingegen die Politik den Rahmen setzen, wobei die künftige digitale Strategie des Kantons eine Möglichkeit bietet, dies festzulegen. Hierbei würde zum Beispiel ein erleichtertes Verfahren bei der juristischen Abklärung für solche Daten helfen.
5.4.5 Hackathon Design
Ein Aspekt des Designs ist die Diversität der Teilnehmenden, welche bei der Bewerbung des Events gefördert werden kann. Dabei sollte auf die Ansprache verschiedener Interessengruppen geachtet werden (Mair et al., 2022). Ein weiterer Designaspekt ist die Wahl des Formats. Die Online-Hackathons der COVID-19-Pandemie wiesen zahlreiche Teilnehmende auf, unter anderem, weil die Partizipation sehr einfach war (#WirVsVirus, 2020e; Oldschool, 2020; Update Deutschland, 2022). Im Gegensatz dazu stehen die Hackdays, bei denen ein Großteil der Challenges nicht bearbeitet wurde, da nicht genügend Teilnehmende anwesend waren. Woran genau dies lag, kann nicht eindeutig gesagt werden. Das Problem sei jedoch bei den Organisatoren bekannt.
„Vielleicht war einfach der Zeitpunkt ungünstig oder die Werbung am falschen Ort.“ (Interview 5)
5.4.6 Umsetzung der Ergebnisse
Mit der Umsetzung ist auch die Implementierung der an den Hackdays erarbeiteten Lösungen und gewonnenen Ergebnissen gemeint.
Ein Großteil der Befragten wies darauf hin, dass die Projekte an den Hackdays nicht fertiggestellt wurden. Nur eines der vier erwähnten Projekte führte am Ende zu einem greifbaren Endprodukt. Andere Projekte lieferten zwar ein Ergebnis, dieses war jedoch noch in einem zu frühen Stadium der Entwicklung, um tatsächlich umgesetzt zu werden. Für die Implementierung dieser Ergebnisse erwähnten die interviewten Personen diverse Möglichkeiten. Dabei standen die finanziellen und personellen Mittel im Zentrum.
„Es wäre schon auch sinnvoll, wenn man es wie in einen mehrstufigen Prozess machen würde (…) die erfolgversprechendsten Ideen herausfiltert und denen Mittel zur Verfügung stellt, um sie weiterzuentwickeln und zu fördern. So könnte so ein Programm noch viel mehr Wirkung entfalten“ (Interview 3)
Bisher wurden die Projekte nicht weitergeführt, was unter anderem daran lag, dass keine Ressourcen dafür zur Verfügung gestellt wurden. Die Literatur erwähnt verschiedene Umsetzungsprogramme, welche nach Hackathons zur Implementierung von Lösungen verwendet wurden. Von diesen Hackathons sind viele der Projekte auch nach dem Event weiterverfolgt worden (#WirVsVirus, 2020e; Endrissat, 2020; Versus Virus, 2020).
Die Befragten erwähnten mehrmals die Vorzüge der Zusammenarbeit mit Personen aus der Bevölkerung und der Wirtschaft. Die Relevanz der Bildung von Netzwerken wurde erwähnt, welche nach dem Hackathon gepflegt und weitergeführt werden sollten (Chandrasekaran et al., 2018). Auch solche Netzwerke können als Ergebnis eines Hackathons angesehen werden. In der Literatur werden Beispiele vorgestellt, wie diese Netzwerke nach dem Hackathon weitergeführt werden können. Welche Vorgehensweisendie besten Ergebnisse liefern, muss dabei noch weiter untersucht werden (Medina Angarita & Nolte, 2020).
5.5 Fazit und Ausblick
Die Interviews aus der Case Study „Data Hackdays BE“ weisen darauf hin, dass die Innovationsfähigkeit der öffentlichen Verwaltung generell von Open Innovation (OI) und speziell von der Durchführung eines Hackathons gefördert wird. Mit der Innovationsmethode Hackathon wird mindestens kurzfristig ein Innovationsschub ausgelöst, der wiederum die digitale Transformation vorantreibt. Damit den teilnehmenden „Hackern“ eine erfolgversprechende Challenge geboten wird, braucht es allerdings eine gründliche Vorbereitung innerhalb der Verwaltung. Angefangen von der grundsätzlichen Bereitschaft, sich der externen Expertise auszusetzen, über die Datenaufbereitung (Bereitstellung maschinenlesbarer Daten) bis zur Konfrontation und der Weiterbearbeitung der Prototypen braucht es eine Kultur der Kooperation aller Beteiligten.
Bereits mit der Vorbereitung auf einen Hackathon können Verwaltungsroutinen hinterfragt werden, was einen Kulturwandel auslösen kann. Die Führung der öffentlichen Verwaltung spielt eine besondere Rolle dabei, da die Führungspersonen eine Vorbildfunktion einnehmen und es ihre Aufgabe ist, die Mitarbeitenden von diesem Wandel zu überzeugen. Denn die Bereitschaft neue Arbeitsweisen und Tools inklusive Dateiformate zu verwenden, ist maßgebend für eine erfolgreiche digitale Transformation. Dagegen stellen sich jedoch verwaltungsinterne Innovationsbarrieren, die durch gezielte Maßnahmen zu behandeln sind. Der Hackathon als zeitlich befristetes Experiment lädt aber dazu ein, die gewohnten Arbeitsweisen zu verlassen und beispielsweise das Arbeiten in Organisationsilos zu hinterfragen. In den Interviews wurden gerade diese Möglichkeiten von allen positiv beschrieben.
Die Politik hat die grundlegenden Schritte eingeleitet, um Innovationen in der öffentlichen Verwaltung zu fördern und klare Ziele dafür gesetzt. Mit den Data Hackdays wurde für den Kanton Bern ein erster Versuch in diese Richtung durchgeführt. Es wurde zudem erkannt, wie elementar die Kollaboration mit der Privatwirtschaft und der Bevölkerung für dieses Vorhaben ist. Letztere in Innovationsprozesse einzubeziehen und somit ihre Partizipation zu gewährleisten, besonders im Zusammenhang mit gesellschaftlichen Herausforderungen wie beispielsweise der Pandemiebekämpfung, kann sehr förderlich sein. Die in den Interviews geäußerten Bedenken adressieren Probleme, welche bei einer weiteren Durchführung angegangen und gelöst werden können.
Denkbar ist darüber hinaus, solche Hackathons oder Hackdays im Sinne von OG weiterzuentwickeln und so die digitale Transformation in Form von erlebbaren Projekten voranzutreiben. Insbesondere gelangt die Verwaltung an einem solchen Event in direkten Kontakt mit den Kunden, welche sich uneigennützig für die Daten und Fragestellungen interessieren.
Langfristig sollte auch beachtet werden, die Ergebnisse eines Hackathons im Anschluss an den Event zu implementieren. Wie die Untersuchungen und die Literatur gezeigt haben, führen Hackathons ohne jegliche Maßnahmen für die Umsetzung zu wenig nachhaltigen Ergebnissen. Die normalen Tätigkeiten werden wieder aufgenommen und die Innovationen des Hackathons können der Routine des Verwaltungsalltags weichen. Ein Umsetzungsprogram, welches Mittel für die Implementierung der Lösungen im Anschluss an den Hackathon zur Verfügung stellt, könnte hierfür ein Ausweg sein. Eine weitere Möglichkeit, den Hackathon als Innovationsmethode in der öffentlichen Verwaltung weiterzuentwickeln und so die potenziellen Vorteile weiter auszuschöpfen, könnte die Öffnung der Challenge-Eingaben sein. Diese könnte umgesetzt werden, indem vor dem Hackathon Themeneingaben aus der Gesellschaft möglich sind, welche von der Verwaltung zu einer umsetzbaren Challenge mit entsprechender Datenbereitstellung vorbereitet werden. Gleichzeitig würde dies auch besser widerspiegeln, welche Herausforderungen die Gesellschaft als interessant oder dringlich erachtet. Die digitale Transformation des Staates zu gestalten, heißt die Voraussetzungen zu schaffen, dass die Daten „raus aus den Silos“ (Skinner, 2020) kommen und einen öffentlichen Wert stiften. Eine leicht umsetzbare Möglichkeit, Innovationen zu gewinnen und zu schnellen Ergebnissen zu kommen, bieten Civic Hackathons. Weitere anwendungsnahe Forschungen sollten aufzeigen, wie kurzfristig erarbeitet Lösungsansätze nachhaltig von der Verwaltung implementiert werden können.
Interviews
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Interviewpartner 1 (2022). Hackdays und Innovation. Virtual interview vom 20.04.2020.
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Interviewpartner 2 (2022). Hackdays und Innovation. Virtual interview vom 26.04.2020.
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Interviewpartnerin 3 (2022). Hackdays und Innovation. Virtual interview vom 27.04.2020.
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Interviewpartner 4 (2022). Hackdays und Innovation. Virtual interview vom 28.04.2020.
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Interviewpartner 5 (2022). Hackdays und Innovation. Virtual interview vom 28.04.2020.
Notes
- 1.
Definiert und präsentiert eine Challenge eines Hackathons (opendata.ch, 2021).
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Marquez, A.E., Gees, T. (2024). Hackathon als Open Innovation in der öffentlichen Verwaltung. In: Tokarski, K.O., Endrissat, N., Kissling-Näf, I. (eds) Transformationen gestalten. Springer Gabler, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-42775-7_5
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