1 Einleitung

Was haben die Organisation der Forschung und der institutionelle Kontext von Forschungseinrichtungen damit zu tun, wonach und wie geforscht wird, und welche Ergebnisse bei dieser Forschung herauskommen? Wie hängen die institutionelle Verfasstheit von inter- und übernationalen sowie nationalen und regionalen Forschungssystemen mit dem zusammen, was konkrete Forschungseinrichtungen inhaltlich oder thematisch untersuchen (können) und welche Methoden sie hierfür verwenden?

Fragen dieser allgemeinen Art erhalten sowohl in der Wissenschaftsgeschichte als auch der Wissenschaftssoziologie unseres Erachtens zu wenig Aufmerksamkeit. Das Erkenntnisinteresse der Wissenschaftsgeschichte liegt weniger in raum-zeitlich verallgemeinerbaren Aussagen, sondern darin, anhand historischer Fallgeschichten konkrete und raum-zeitlich begrenzte Beschreibungen darüber zu erstellen, wie neues Wissen und neue Technologien verfertigt worden sind. Dazu gehört auch die Frage, wie sich in konkreten Fällen Disziplinen, Forschungsfelder oder Forschungseinrichtungen gewandelt haben. Aber erst eine Gesamtschau solcher Fallgeschichten würde eine verallgemeinerungsfähige Betrachtung möglich machen (Malich, 2018).

Die Wissenschaftssoziologie, die bis zur konstruktivistisch-mikrosoziologischen Wende in den 1970er Jahren auf der Basis historischer Evidenz regelmäßig Verallgemeinerungen zum Thema anfertigte (z. B. Ben-David, 1971; Merton & Barber, 2004; Parsons & Platt, 1974; Whitley, 1984),Footnote 1 hat seit dem Aufkommen der Science and Technology Studies (STS) ihr Interesse an institutionellen und organisatorischen Fragestellungen zwar nicht verloren, aber den Fokus auf (trans-)disziplinäre und lokale Kulturen und Praxisformen der Forschung verlegt (z. B. Felt et al., 2016; Hamann, 2019; Knorr-Cetina, 1999). Institutionelle Fragen erhalten jedoch zunehmend wieder an Aufmerksamkeit in der soziologischen Fachöffentlichkeit (z. B. Dayé, 2020; Fleck et al., 2019; Heinze & Münch, 2016; Münch, 2007, 2014) und auch in der interdisziplinären Hochschulforschung (z. B. Hüther & Krücken, 2016, 2018; Lepori et al., 2023; Musselin, 2007; Seeber et al., 2014).

Gleichzeitig bestehen historisch, aber auch national und regional ausdifferenzierte Formen, Forschung zu organisieren. Die Gründe, warum für Forschungseinrichtungen bestimmte Organisationsformen gewählt werden, sind offensichtlich ganz unterschiedlich: Sie können pragmatisch sein und sich nach den verfügbaren finanziellen und organisatorischen Opportunitäten der beteiligten Akteure richten; sie können bestimmte Erwartungen von Geldgebern und Förderungseinrichtungen an Forschungsergebnisse (z. B. deren Anwendbarkeit) ausdrücken; sie können eine Reaktion auf bestimmte wissenschaftliche, z. B. methodische, Anforderungen darstellen. Dabei folgen organisatorische Ausprägungen auch Pfadabhängigkeiten in nationalen Forschungssystemen. Die verschiedenen Organisationsformen entwickeln Anreizstrukturen, von denen man annehmen kann, dass sie – beabsichtigt oder unbeabsichtigt – wissenschaftliche Herangehensweisen und Erkenntnisprozesse beeinflussen. Zugleich sind diese Organisationsformen in ein institutionelles Umfeld eingebettet, das mehr oder weniger stark die Handlungsspielräume dieser Organisationsformen beeinflusst.

Die Bedeutung organisatorischer Faktoren für die Herstellung neuen Wissens und ihre institutionelle Einbettung ist in jüngerer Zeit in allgemeiner Form thematisiert worden (Dusdal, 2018; Heinze & Münch, 2012; Hollingsworth, 2006). Zudem kreist ein erheblicher Teil der aktuellen Literatur um das Thema Forschungsfinanzierung: etwa hinsichtlich wissenschaftlicher Karrieren (Laudel, 2023; Melkers et al., 2023) oder leistungsbezogener Mittelverteilung und disziplinärer Prestigehierarchien auf die (zumeist an Universitäten durchgeführte) Forschung (z. B. Jappe & Heinze, 2023; Sivertsen, 2023). Die neuere policy-orientierte Literatur ist dabei „historisch“ orientiert in dem Sinne, dass sie die Entwicklungen der letzten Jahrzehnte einzufangen sucht. Sie enthält aber wenige Rückbezüge zu originär wissenschafts- und technikhistorischen Arbeiten (Gläser, 2019; Gläser & Laudel, 2016).

Um die am Anfang aufgeworfenen Fragen allgemein zu adressieren, liegt es nahe, zunächst ein solides wissenschaftshistorisches Wissensfundament zu schaffen: Prozesse des Strukturwandels wie auch wissenschaftliche Erkenntnisprozesse erstrecken sich häufig über einen längeren Zeitraum. Die historische Perspektive bietet somit gute Voraussetzungen, relevante Faktoren zu identifizieren und beobachtete Effekte zuzurechnen. Zu den für unsere Fragestellung relevanten Arbeiten zählen etwa die zur Geschichte der US-amerikanischen National Laboratories (z. B. Crow & Bozeman, 1998; Hoddeson et al., 2008; Westfall, 2008; Westwick, 2003), Studien zu Forschungseinrichtungen der Kernforschung (Fengler, 2014; Forstner, 2019), zu gewerblich-industriellen Forschungsvereinigungen (Pichler & Hofer, 2014) und weiteren in diesem Band besprochenen Forschungseinrichtungen in Österreich sowie zur Österreichischen Akademie der Wissenschaften (Feichtinger & Mazohl, 2022), weiterhin Arbeiten zur Struktur und Transformation der deutschen Großforschungszentren (z. B. Heinze et al., 2015a, 2015b; Heinze et al., 2017; Szöllösi-Janze & Trischler, 1990) sowie zur Geschichte der Fraunhofer-Gesellschaft (z. B. Hohn, 1989; Trischler & Bruch, 1999) und der Max-Planck-Gesellschaft (z. B. Ash, 2020; Balcar, 2019; Balcar, 2020; Osganian & Trischler, 2022). Interessant ist zudem die Wissenschaftsorganisation in Osteuropa in Form von Akademien, da hier die Möglichkeit besteht, die Effekte unterschiedlicher Organisationsformen auf den wissenschaftlichen Ertrag im Ost-West-Vergleich zu untersuchen (Heinecke, 2016; Mayntz, 2018).

Darüber hinaus ist auch die Geschichte von Einrichtungen zur Förderung von Forschung als Kontext für die Entwicklung von Forschungseinrichtungen bedeutend. Solche Einrichtungen, wie etwa die Deutsche Forschungsgemeinschaft oder der Wissenschaftsfonds in Österreich (Pichler et al., 2007; Stampfer et al., 2010; Wagner, 2021), stellen intermediäre Strukturen dar, mit der die – oftmals öffentlichen – Geldgeber die Tätigkeit auch von Forschungseinrichtungen mittelbar beeinflussen. Im internationalen Vergleich zeigt sich, dass manchmal erst eine Ausdifferenzierung von Forschungsfunktion und Forschungsförderungsfunktion einer Einrichtung im Zeitverlauf stattfand oder beide Funktionen unter dem Dach einer Organisation bestehen. Das französische Centre National de la Recherche Scientifique (CNRS) beispielsweise entwickelte sich aus den Förderungswurzeln seiner Vorgängereinrichtungen zu einer reinen Forschungsorganisation. Einige der britischen Research Councils dagegen unterhalten neben ihrer hauptsächlichen Förderungsfunktion bis heute sehr enge Beziehungen zu bestimmten Instituten, die sie finanzieren. Förderungseinrichtungen spielten somit bei der Emanzipation und Ausgestaltung der außeruniversitären Forschung eine Rolle und waren folglich Interessenkonflikten zwischen universitärer und außeruniversitärer Forschung ausgesetzt. Beispielsweise war bei den ersten, späten Versuchen zur Etablierung einer öffentlichen Forschungsförderungseinrichtung in Österreich nach 1945 eine der am heftigsten umstrittenen Fragen, ob eine solche Einrichtung auch selbst Institute betreiben oder erhalten solle (Pichler & Stampfer, 2017).

Wir konzentrieren unsere Analyse auf außeruniversitäre Forschungseinrichtungen. Damit lässt sich einerseits pragmatisch eine Fokussierung der Fragestellung erreichen, andererseits spüren wir der These nach, dass außeruniversitäre Forschung als beabsichtigte Differenzierung von universitärer Forschung entsteht, um andere Forschungsbedingungen zu etablieren oder andere Forschungsergebnisse zu erzielen als an Universitäten. Zugleich sind außeruniversitäre Forschungseinrichtungen typischerweise „vollständige“ Organisationen, während europäische Universitäten (gerade im Vergleich zu den US-amerikanischen Universitäten) als weniger formalisiert und managerialisiert gelten dürfen (Brunsson & Sahlin-Andersson, 2000; Clark, 1995; Cole, 2009; Seeber et al., 2014).

Im Anschluss an Heinze und Münch (2012) stellen wir die Frage, ob der institutionelle Wandel in der Forschung in einem Zusammenhang mit der (im weitesten Sinn) intellektuellen bzw. fachlichen Entwicklung in der Wissenschaft steht. Dabei wäre die Annahme sicher unzutreffend, dass es allein wissenschaftsinhärente Faktoren sind, die zu einem institutionellen Wandel führen: „Mindestens ebenso wichtig ist die Frage, wie institutionelle Arrangements beschaffen sein müssen, damit soziale und technische Neuerungen überhaupt auf Resonanz stoßen können.“ Daraus folgt, „dass die Vorstellung, institutionelle Erneuerung der Forschung sei einzig und allein ein Prozess segmentärer Differenzierung und disziplinärer Spezialisierung, nicht ausreicht, um das ganze Spektrum an institutioneller Erneuerung adäquat zu erfassen“ (Heinze & Münch, 2012, S. 15, 35).

Der vorliegende Band umfasst fünfzehn wissenschaftshistorische Beiträge, die sich im Wesentlichen mit außeruniversitären Forschungseinrichtungen des 20. Jahrhunderts vorrangig im deutschsprachigen Raum beschäftigen, worunter sich aber auch Beiträge zu Einrichtungen in Frankreich (Pfeil, Cramer) und Tschechien (Franc) sowie Beiträge mit Rückbezügen und Vergleichen zu Einrichtungen in den Vereinigten Staaten (Fleck, Heinze) befinden. Die Geschichte der untersuchten Forschungseinrichtungen bezieht sich schwerpunktmäßig auf ihre Entstehung und die Jahre unmittelbar nach ihrer Gründung (Defrance, Duller/Dayé, Fleck, Link, Pfeil, Pichler/Hofer, Reiter, Remmert), teilweise aber auch auf ihre (mehrere Jahrzehnte umfassende) Entwicklung, einschließlich mehr oder weniger umfassender Transformationen (Achermann, Cramer, Franc, Heinze, Huber/König, Kleinberger/Polt, Wirth).

2 Fallanalyse entlang eines Fragerasters

Alle Autor:innen der fünfzehn Beiträge wurden gebeten, vier Fragestellungen bei der Abfassung zu berücksichtigen, um ein Mindestmaß an Vergleichbarkeit zwischen verschiedenen Einrichtungen, den von ihnen geförderten Forschungsfeldern und Disziplinen sowie den abgedeckten Zeiträumen zu erreichen (vgl. Tab. 1). Weiterhin wurden alle Autorinnen und Autoren des Bandes gebeten, die auf die Gründungsphase und die unmittelbar daran anschließende Zeit bezogenen Einzelfragen möglichst umfassend bei der Abfassung zu beantworten (vgl. Tab. 2). Für den Fall, dass die Analyse auch die weitere Entwicklung und ggf. eine Transformation der Einrichtung zum Gegenstand hatte, haben wir die Autorinnen und Autoren gebeten, weitere Fragen möglichst umfassend zu beantworten (vgl. Tab. 3). Das Frageraster A ist als Minimalset, die beiden (weitgehend identischen) Frageraster B und C sind als Maximalsets möglicher Fragen zu verstehen, entlang derer man die Gründung konkreter außeruniversitärer Forschungseinrichtungen und ihren Wandel erfassen kann. Die Frageraster B und C sind weitgehend deckungsgleich, ihr Unterschied liegt in der Akzentuierung der Gründung (B) und der Entwicklung (C).

Tab. 1 Frageraster A
Tab. 2 Frageraster B
Tab. 3 Frageraster C

Wie die vorgelegten fünfzehn Beiträge zeigen, lässt sich nicht für jeden Fall jede einzelne Frage beantworten. Dies ist zum einen der Fall, weil dafür kein oder unzureichendes historisches Quellenmaterial zur Verfügung steht. Zum anderen deckt der Fokus der jeweiligen Analyse bestimmte Fragestellungen stärker ab als andere. Der hier vorgelegte Versuch einer entlang bestimmter Fragen strukturierten Abfassung konkreter Organisationsgeschichten ist daher kein starres Schema, in das alle individuellen Fallgeschichten hineingezwungen werden, sondern dient der Überprüfung (im Sinne einer Checkliste), ob wesentliche Punkte bei der Ausarbeitung der Fallgeschichte übersehen oder möglicherweise nicht genau genug behandelt wurden. Es bleibt den Leserinnen und Lesern überlassen, zu beurteilen, ob diese Vorstrukturierung einen vorzeigbaren Ertrag hat.

Die fünfzehn vorgelegten Fälle folgen keiner strengen methodischen Auswahl. Weder handelt es sich um eine Stichprobe, von der aus man statistisch verallgemeinerbare Schlüsse ziehen könnte, noch war es möglich, im Sinne der configurational comparative method (Rihoux & Ragin, 2008; Thiem, 2014) eine nach Kriterien strukturierte Vorauswahl von im engeren Sinne vergleichbaren Fällen vorzunehmen. Dies hätte bedeutet, dass wir entweder nur natur- oder geistes- bzw. sozialwissenschaftliche Institute hätten berücksichtigen können, oder wir hätten nur einen Teil des 20. Jahrhunderts, beispielsweise die erste oder die zweite Hälfte, näher in den Blick nehmen können. Anhand der wenigen verfügbaren wissenschaftshistorischen Analysen haben wir den raum-zeitlichen Bogen möglichst weit gespannt. Eine gewisse Strenge der Fallauswahl hat sich ohne unser Zutun im Rahmen der Tagungsorganisation ergeben: Wir legen sechs Beiträge zu Instituten in Österreich (Wien und Graz) und fünf Beiträge zu Forschungseinrichtungen in Deutschland vor, damit sind die in diesen beiden Ländern untersuchten Einheiten überzählig gegenüber denen aus Frankreich, Tschechien und den Vereinigten Staaten (insgesamt fünf, mit zwei Doppelzählungen: Fleck, Heinze). Bei der nun folgenden, vorsichtigen Verallgemeinerung von Befunden ist dieser Fokus auf deutschsprachige Einrichtungen zu berücksichtigen.

3 Verallgemeinerbare Befunde aus den vorliegenden Fallanalysen

Ein erster aus den fünfzehn Fallanalysen verallgemeinerbarer Befund ist die Beobachtung, das außeruniversitäre Forschungseinrichtungen regelmäßig in mehr oder weniger direkter Abgrenzung zu den Universitäten etabliert worden sind. Die Einrichtung außeruniversitärer Forschungsinstitute geschah häufig, wenngleich nicht ausschließlich, in Reaktion auf – von den maßgeblichen Akteuren wahrgenommene – institutionelle Defizite der universitären Strukturen. Zu solchen Defiziten zählt erstens die stark disziplinäre Ausrichtung, die wenig Raum für inter- und transdisziplinäre Forschung ließ; zweitens die Trägheit (und teilweise Unfähigkeit), zügig Kapazitäten in neuen Forschungsthemen und -feldern aufzubauen; und drittens ihre Einbettung in nationale Strukturen und Kulturen, die insbesondere dann zum Problem wird, wenn Länder und gesellschaftliche Sektoren (Wirtschaft, Politik) übergreifende Kooperationen im Mittelpunkt der Forschungstätigkeit standen.

Hinsichtlich des ersten und zweiten Defizits ist anzumerken, dass durchaus nicht bei allen relevanten Akteuren (in den jeweiligen Fallanalysen) ein breiter Konsens darüber bestehen musste, dass die Universitäten strukturelle Defizite aufwiesen. Es genügte, wenn einzelne – staatliche oder private Akteure – ein diesbezügliches Defizit sahen und bereit waren, neue außeruniversitäre Strukturen zu finanzieren. Zahlreiche Beiträge des vorliegenden Bandes lassen sich auf die eine oder andere Weise auf eine solche Konstellation zurückführen, beispielhaft seien hier die Beiträge von Link (Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung, MPIfG) sowie Huber/König und Fleck (Institut für Höhere Studien, IHS) genannt, die sich mit der außeruniversitären Etablierung international anschlussfähiger Forschungsprogramme in den Sozialwissenschaften beschäftigen; und Reiter (BVA), der den Aufbau experimenteller Forschung in der Biologie an einem eigens dafür etablierten Institut untersucht. Eine spezielle Facette ist im früheren sowjetischen Einflussbereich zu erkennen. Hier wurden die Universitäten bewusst auf die Bedürfnisse der Praxis ausgerichtet, womit die Lehre und Forschung für die Industrie im Vordergrund standen. Demgegenüber wurden Akademien als zentrale, staatliche Forschungseinrichtungen positioniert (Gläser & Meske, 1996). Der Beitrag von Franc (CSAV) zeigt, wie ein Forschungsthema und die damit verbundenen Personen aus einem universitären Umfeld vor dem Zweiten Weltkrieg in die Struktur der tschechoslowakischen Akademie danach wechselten.

Eine Analyse der ersten beiden genannten Defizite universitärer Forschung ist anschlussfähig an die Arbeiten der Soziologen Joseph Ben-David (1971) und J. Rogers Hollingsworth (2006), die sich beide mit den institutionellen und organisationalen Voraussetzungen des Aufstiegs des US-amerikanischen Wissenschaftssystems und der gleichzeitig abnehmenden Hegemonie der Universitäten im deutschsprachigen Raum Anfang des 20. Jahrhunderts beschäftigen. Ben-David (1971) zufolge hatte dezentraler Wettbewerb im deutsch(sprachig)en Universitätssystem zu seinem Aufstieg im 19. Jahrhundert geführt. Gleichzeitig wirkte die interne Organisationsstruktur der Universitäten, insbesondere das Fehlen einer planbaren, akademischen Karriere und einer strukturierten und forschungsorientierten Nachwuchsausbildung sowie die ausgeprägte Hierarchie der Ordinarien und Institute als Hemmnis für den Kapazitätsaufbau in neuen Forschungsthemen und -feldern (Trägheit). Bereits Anfang des 20. Jahrhunderts geriet das Universitätssystem im deutschsprachigen Raum ins Hintertreffen. Hollingsworth (2006) schließt an diese Argumentation an und zeigt, dass eine Vielzahl staatlicher Vorgaben die Handlungsfähigkeit der deutsch(sprachig)en Universitäten nach innen und außen eingeschränkten, insbesondere was die Einrichtung und Förderung neuer Forschungsgebiete, die Qualifikationsvorschriften zur Rekrutierung wissenschaftlichen Personals und dessen Besoldung anging. Zahlreiche neuere Analysen unterstützen die Argumentation von Ben-David und Hollingsworth (Bonaccorsi et al., 2017; Heinze et al., 2020; Jappe & Heinze, 2016; King, 2004).

Das dritte Defizit universitärer Forschung bezieht sich zum einen darauf, dass immer dann, wenn längerfristige, länderübergreifende Kooperationen im Mittelpunkt der Forschungstätigkeit stehen sollen, der institutionelle Rahmen der universitären Forschung ungeeignet erscheint und den Aufbau einer geeigneten außeruniversitären Einrichtung notwendig macht. Beispielhaft lässt sich dieser Befund an mindestens zwei Beiträgen des vorliegenden Bandes plausibilisieren: Duller/Dayé (IIASA) für den Bereich der Sozialwissenschaften und Cramer (ESRF) für die multidisziplinäre Synchrotronforschung in Europa.

Zum anderen werden außeruniversitäre Forschungseinrichtungen etabliert, um Kooperationsbeziehungen zwischen dem Wissenschaftssystem und insbesondere der Wirtschaft zu ermöglichen (Heinze, 2006). Universitäten, insbesondere im deutschsprachigen Raum, erscheinen im Lichte der vorliegenden Beiträge oftmals strukturell überfordert, wenn außerhalb des Wissenschaftssystems generierte Fragestellungen an sie herangetragen wurden. Gerade Unternehmen wünschen gleichartige, vor allem organisationsförmige Kooperationspartner, um den Erfolg und das Risiko einer Geschäftsbeziehung abschätzen zu können. Die in der technischen Ausbildung wurzelnden technischen Hochschulen bzw. Universitäten konnten dieses Defizit zum Teil, aber nicht vollständig, durch spezifische institutionelle Arrangements kompensieren (z. B. Buthmann, 2022; Mikoletzky & Ebner, 2016a, 2016b; Pommerin, 2003). Bis zu den institutionellen Reformen Ende des 20. Jahrhunderts waren Universitäten in Deutschland und Österreich häufig jedoch nicht ausreichend rechtsfähig, um entsprechende vertragliche Verpflichtungen einzugehen und zu erfüllen. Die Abwicklung von Forschungsaufträgen als Privatgutachten einzelner Professor:innen, die insbesondere an Technischen Hochschulen weit verbreitet war, hat diesbezüglich die Entwicklung der Universitäten zu organisatorischen Einheiten eher verzögert.

Eine Möglichkeit, die beschriebenen Defizite in der Interaktion mit Universitäten zu vermeiden, bestand für Unternehmen darin, entsprechende Forschungseinheiten selbst aufzubauen. Diese Option stand und steht in der Regel aber nur großen Industrieunternehmen zur Verfügung (Hounshell & Smith, 1988; Pithan, 2021). Demgegenüber bieten Forschungseinrichtungen für Auftraggeber den Vorteil der Risikoteilung, aus der für die Einrichtungen selbst ein Geschäftsmodell entstehen kann. Letzteres entstand bereits gegen Ende des 19. Jahrhunderts in den USA, noch bevor sich die managerial geprägten US-amerikanischen Universitäten hier ebenfalls positionieren konnten (Rourke & Brooks, 1966), etwa bei der Unternehmensberatung Arthur D. Little und dem Mellon Institute (Lieske, 2000). Solch gewinnorientierte Vertragsforschungseinrichtungen kommen in Europa dagegen eher selten vor. Häufiger anzutreffen sind dagegen gemeinsam öffentlich-privat getragene und finanzierte Strukturen. Dies war etwa bei den Instituten der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft und ist bei denen der Fraunhofer-Gesellschaft der Fall, die sich auch durch private Forschungsaufträge finanzieren (Hohn & Schimank, 1990; Trischler & Bruch, 1999). Neben solchen Forschungsaufträgen kann auch eine Kostenteilung in Form von Kooperationsvereinbarungen oder Beteiligungen an einer Einrichtung, z. B. durch die Mitgliedschaft in einem Trägerverein, erfolgen, wie bei gewerblich-industriellen Forschungsvereinigungen (Pichler & Hofer, 2014).

Beispielhaft lässt sich die Etablierung außeruniversitärer Forschungseinrichtungen bezüglich außerwissenschaftlicher Kooperationen an mehreren Beiträgen des vorliegenden Bandes plausibilisieren: Pichler/Hofer (BVFA), Kleinberger/Polt (JR), Wirth (Vienna BioCenter) und Achermann (IPA). Pichler und Hofer zeigen, wie eine staatliche Initiative zur Etablierung einer Forschungseinrichtung als Kooperationsplattform führte. In dem von Kleinberger und Polt dargestellten Fall waren Forschungsvereine ein Vehikel dafür, dass rund um die Universitäten zusätzliche Infrastrukturen und Kooperationsmöglichkeiten geschaffen werden konnten, die die Keimzellen für ein Forschungsunternehmen wurden. In dem von Wirth untersuchten Vienna BioCenter war die Firma Böhringer Ingelheim mit der Gründung des Instituts für Molekulare Pathologie (IMP) maßgeblich an der Etablierung eines Wissenschaftscampus beteiligt, während das von Achermann untersuchte Institut für Physik der Atmosphäre (IPA) seine institutionelle Anbindung in der Helmholtz-Gemeinschaft fand, einem Verbund deutscher Großforschungzentren. Diese Zentren waren und sind sowohl Disziplinen als auch Sektor übergreifend (und teilweise kooperativ) mit der Industrie tätig.

Ein zweiter aus den fünfzehn Fallanalysen verallgemeinerbarer Befund ist darin zu sehen, dass es für die Entstehung außeruniversitärer Forschungseinrichtungen entscheidend gewesen ist, ob und unter welchen Bedingungen Ressourcen verfügbar waren. Die Bereitstellung von Finanzierung, Personal und/oder Infrastrukturen ist eine Voraussetzung dafür, dass eine neue Forschungseinrichtung überhaupt zustande kommt. Wie sich die jeweilige Forschungseinrichtung dann weiterentwickelt, hängt vor allem von den Bedingungen ab, unter denen diese – vor allem finanziellen – Ressourcen bereitgestellt werden. Das bedeutet, dass es in erster Linie die finanziellen Arrangements sind, die die Organisationsform einer Forschungseinrichtung prägen und nicht umgekehrt. Es wird im jeweils spezifischen institutionellen Kontext somit jene Organisationsform gewählt, die eine Umsetzung der jeweiligen Forschungsziele aus Sicht der beteiligten Akteure am ehesten ermöglicht. Wir gehen somit davon aus, dass die Rechtsform für sich genommen die Tätigkeit und Inhalte einer Forschungseinrichtung nicht überwiegend bestimmt. Diese Aussage bedeutet wiederum nicht, dass die spezifischen Regeln unterschiedlicher Organisationsformen nicht auch auf die Tätigkeit einer Forschungseinrichtung zurückwirken können. So wird sich die Governance etwa einer als Verein organisierten Einrichtung von jener einer öffentlich-rechtlichen Einrichtung oder einer gemeinnützigen Gesellschaft mit beschränkter Haftung unterscheiden. Die Bandbreite der rechtlichen Möglichkeiten, die konkrete Organisationsform einer Forschungseinrichtung auszugestalten, ist jedenfalls groß und vom spezifischen Kontext unterschiedlicher institutioneller Traditionen geprägt.

Forschungseinrichtungen können rechtlich im Allgemeinen als öffentlich-rechtliche Körperschaft (hier ist die Bandbreite der dafür in unterschiedlichen Rechtssystem zur Verfügung stehenden Rechtsinstitute besonders groß); als privatrechtliche Körperschaft (Kapitalgesellschaften, Stiftungen, Vereine); aber auch als Organisationseinheit ohne eigene Rechtsperson als Teil eines größeren öffentlich-rechtlichen (z. B. Ressortforschung) oder privatrechtlichen Verbundes (z. B. Max-Planck-Gesellschaft, Fraunhofer-Gesellschaft) organisiert sein. Über die Finanzierung und allenfalls Eigentum sagt eine bestimmte Organisationsform jedoch nicht zwingend etwas aus. Privatrechtlich organisierte Forschungseinrichtungen können in substanziellem Umfang öffentliche Finanzierungen sowie Beteiligungen aufweisen und von staatlichen Organen initiiert oder gegründet werden. Umgekehrt schließt eine öffentlich-rechtliche Organisationsform auch private Zuwendungen und Aufträge nicht aus (Bozeman, 1987; Braun, 1997; Crow & Bozeman, 1998). Die in diesem Band versammelten Beispiele spiegeln praktisch alle Varianten wider und bestätigen, was für die außeruniversitäre Forschung in Deutschland festgestellt wurde: „Auch wenn die Einrichtungen in unterschiedlichem Umfang von der institutionellen Förderung aus staatlichen Mitteln abhängig sind, ist in allen Fällen die Finanzierung der wohl wichtigste Steuerungsfaktor für die Forschungstätigkeit“ (Groß & Arnold, 2007, S. 151).

Eng verknüpft mit dem ersten (Defizite universitärer Strukturen) und zweiten (Finanzierung) verallgemeinerbaren Befund ist drittens die Tatsache, dass außeruniversitäre Forschungseinrichtungen nicht allein durch staatliche Akteure, sondern gerade auch durch private Mäzene, Stiftungen und Unternehmen etabliert wurden (Kocka & Stock, 2011), wenn Universitäten kapazitär nur unzureichend in der Lage waren, aufkommende oder nachgefragte neue Forschungsinteressen zu bedienen. Dies gilt beispielsweise für die Biologische Versuchsanstalt und das Radiuminstitut, bei welchen private Mäzene die Initiative zur Etablierung ergriffen (Reiter), für das Mathematische Forschungsinstitut Oberwolfach, das erst durch Mittel von Thyssen und VW dauerhaft etabliert werden konnte, für das Institut für Höhere Studien, bei dem die Ford Foundation in den Anfangsjahren der Finanzierung bereitstellte (Fleck sowie Huber/König), sowie für das Vienna BioCenter, das maßgeblich von der Firma Boehringer Ingelheim finanziert wurde (Wirth). Diese Fälle sind als weitere Belege für die in einschlägigen wissenschaftshistorischen und -soziologischen Arbeiten gemachte Beobachtung zum Einfluss privater Finanzierung auf die Herausbildung neuer und innovativer Forschungsgebiete zu sehen, beispielsweise zum Einfluss der Rockefeller Foundation (Fleck, 2007; Kohler, 1979, 1991) auf die Entwicklung der modernen Molekularbiologie, etwa hinsichtlich der Finanzierung des Institut Pasteur (Hage & Mote, 2008) und des Rockefeller Institute (Hollingsworth, 2004), oder die Entwicklung der Chemie im Kontext der Entstehung des modernen Industrielabors (Hounshell & Smith, 1988; Pithan, 2021).

4 Entwicklung eines konzeptuellen Schemas

Neben den im vorherigen Teilkapitel dargelegten Möglichkeiten einer Verallgemeinerung der fünfzehn Fallgeschichten entlang einer Fragebatterie soll die in diesem Band diskutierte Fragestellung des Zusammenhangs zwischen Forschungstätigkeit, Organisationsstruktur und institutionellem Kontext auf der einen Seite und Inhalten sowie Methoden konkreter Forschungseinrichtungen auf der anderen Seite auch in Form eines konzeptuellen Schemas beantwortet werden. Wir formulieren zu diesem Zweck zwei Fragen entlang einer organisationalen und einer fachlich-inhaltlichen Dimension und beantworten sie jeweils in dichotomer Weise. Auf diese Weise entsteht eine Vierfeldertafel (Abb. 1).

Abb. 1
figure 1

(Eigene Darstellung)

Konzeptuelles Schema zur Einordnung historischer Fallbeispiele.

Die Ausprägung der Fragen ist dabei auf die Veränderung der beiden Dimensionen gerichtet, weil Veränderungen (im Sinn von Neueinführung oder Umgestaltung) die dahinterliegenden Intentionen relevanter Akteure (z. B. Differenzierung gegenüber anderen Einrichtungen) sichtbar machen, was die Beantwortung der Frage nach dem Zusammenhang zwischen Organisationsstruktur und institutionellem Kontext auf der einen Seite und Inhalten sowie Methoden konkreter Forschungseinrichtungen auf der anderen Seite erleichtert.

Die Frage zur organisationalen Dimension (Horizontale) erfasst, ob im jeweiligen historischen Fall eine neue Forschungseinrichtung geschaffen worden ist. Diese Frage deckt auch den Fall ab, dass eine gänzlich neuartige Organisationsform eingeführt wurde. Das hinter dieser Frage stehende Erkenntnisinteresse lautet, ob ein Ausbau organisationaler Forschungskapazitäten stattgefunden hat oder nicht. Die Frage zur inhaltlichen Dimension (Vertikale) drückt dagegen aus, ob im jeweiligen historischen Fall neue Forschungsthemen und/oder -gebiete erschlossen und dafür neue oder besondere Methoden und Fähigkeiten eingesetzt worden sind. Hinter dieser Frage steht unser Erkenntnisinteresse bezüglich einer kognitiven bzw. fachlichen Erweiterung der Forschung. Da beide Fragen in ihren Ausprägungen sowohl Neueinführung als auch Umgestaltung erfassen können, ist es möglich, damit auch zeitliche Entwicklungen abzubilden. Unter dem Gesichtspunkt ihrer Kreuzung kommt ein für den organisationalen Wandel der Forschung wichtiges Momentum zum Ausdruck, nämlich dass es Entscheidungen bezüglich der beiden Dimensionen gegeben hat und damit auch Intentionen konkreter Akteure abgebildet werden können.

Das linke obere Feld, in der ein neues Forschungsthema oder -gebiet in Form einer neu eingerichteten oder umorganisierten Forschungseinrichtung realisiert wird, kann als doppelte Expansion bezeichnet werden, also einerseits eine organisationale Expansion in Form zusätzlicher Forschungskapazitäten (u. a. neues Personal, neue Instrumente) und andererseits eine fachliche Expansion in Form neuer Themen und Forschungsgebiete. Wir gehen davon aus, dass die doppelte Expansion relativ häufig der Fall ist. Die Gründung oder Neuorganisation von Forschungseinrichtungen, weil neue Erkenntnisinteressen und -methoden dies erfordern, erscheint uns im Lichte der herkömmlichen soziologischen Forschungsliteratur als Normalmodus wissenschaftlicher Expansion (Heinze & Münch, 2012, S. 20–22). Einschränkend möchten wir jedoch darauf hinweisen, dass unsere Fallauswahl von einer gewissen Verzerrung geprägt ist. Die im Folgenden diskutierten Fallstuden sind selbst nicht repräsentativ für die Verteilung auf die vier Quadranten (Abb. 1).

Das rechte obere Feld beinhaltet die Bearbeitung neuer Forschungsthemen und Methoden in vorhandenen Forschungseinrichtungen. Folglich haben wir es mit einer einfachen Expansion zu tun. Das wird vor allem dann der Fall sein, wenn neue Themen fachlich verwandt sind oder neue methodische Möglichkeiten zu neuen Forschungsansätzen führen. Es kommt, mit anderen Worten, zu einer inhaltlichen Erweiterung, ggf. zu einer Erneuerung vorhandener Kapazitäten. In den Kategorien des Historischen Institutionalismus (Mahoney & Thelen, 2010; Streeck & Thelen, 2005; Thelen, 2003) ist das rechte obere Feld gleichbedeutend mit „layering“, sofern eine thematische und/oder methodische Erweiterung bereits vorhandener Forschungsorganisationen gemeint ist, die mittel- und langfristig auch in ein „displacement“ münden kann, und zwar dann, wenn ein vorhandenes Forschungsgebiet durch ein neu eingeführtes verdrängt wird; es könnte auch eine „conversion“ darstellen, insofern vorhandene Forschungskapazitäten ohne substanzielle Investitionen in neues Personal oder Forschungsgeräte neu ausgerichtet werden und somit einer thematischen und/oder methodischen Erneuerung unterzogen werden (Hallonsten & Heinze, 2015, 2016).

Das linke untere Feld beinhaltet hingegen einen organisationalen Kapazitätsausbau für bestehende Forschungsthemen und Methoden, und zwar ohne dass damit ein thematischer oder fachlicher Ausbau oder eine entsprechende Neuausrichtung intendiert ist. Daher liegt hier ebenfalls eine einfache Expansion vor. Mit dieser Kategorie ist dann zu rechnen, wenn ein bereits etabliertes Thema oder Gebiet wissenschaftlich erfolgreich ist. Dies wird beispielsweise angezeigt durch Forschungsdurchbrüche, so dass die vorhandenen Kapazitäten in den dafür etablierten Forschungseinrichtungen (einschließlich Personal, Sachmittel) nicht mehr ausreichen, um die wissenschaftlichen Möglichkeiten auszuschöpfen. In diesem Fall werden weitere Forschungseinrichtungen (z. B. mit neuem Personal und ggf. neuen Forschungsinstrumenten) in einem inhaltlich expandierenden Thema oder Gebiet etabliert oder bestehende Forschungseinrichtungen erweitert. Es kann jedoch auch politische oder wirtschaftliche (und somit wissenschaftsexterne) Gründe geben, warum eine Ausweitung der Forschungskapazitäten stattfindet, beispielsweise im Rahmen einer Neuausrichtung der staatlichen Forschungs- und Innovationspolitik (Cassells et al., 2011; Levine et al., 2013).

Das rechte untere Feld enthält den Fall, dass weder eine kapazitäre noch eine fachliche-thematische Expansion bzw. Erneuerung vorliegt. Es handelt sich hier um eine Residualkategorie, die zwei Unterkategorien enthält. Zum einen wird abgebildet, dass es überhaupt keine Veränderung gibt und der status quo fortgeschrieben wird. Zum anderen ist es möglich, dass Forschungskapazitäten zurückgefahren werden, beispielsweise weil ihre Themen oder Methoden nicht mehr relevant sind oder weil die Finanzierung nicht mehr gegeben ist. Nach Heinze und Münch (2012) ist dies als dismantling (Auflösung) zu bezeichnen.

5 Die historischen Fallstudien im Lichte des konzeptuellen Schemas

Die hier angebotene Heuristik zielt darauf, Prozesse des Aufbaus von Forschungskapazitäten und der inhaltlich-fachlichen Erneuerung zu kombinieren und damit in einen systematischen Zusammenhang zu bringen. Die Tragfähigkeit des konzeptuellen Schemas kann für den hier vorliegenden Band mithilfe der fünfzehn Beiträge überprüft werden. Allerdings ist klar, dass es insgesamt einer viel breiteren fallgeschichtlichen Basis bedarf, um die faktische Auftretenshäufigkeit der vier logisch möglichen Kombinationen zu prüfen. Der vorliegende Band ist daher ein erster Schritt, dem hoffentlich weitere Schritte folgen werden.

Mit „Tragfähigkeit“ meinen wir vor allem, dass sich Rückschlüsse aus der Häufung der vier kombinatorischen Möglichkeiten der Abb. 1 ziehen lassen. Weiter oben hatten wir diesbezüglich die Erwartung geäußert, dass Fälle der doppelten Expansion als Normalfall der Erneuerung der Forschung gesehen werden können: für neue Forschungsthemen und -gebiete werden neue Forschungseinrichtungen sowie ggf. Organisationsformen etabliert. Wenngleich die in diesem Band versammelten Beiträge nahelegen, dass diese Erwartung anhand der fünfzehn Beiträge auch erfüllt wird, da sich etwa die Hälfte aller untersuchten Fälle dieser Kategorie zurechnen lässt: ganz sicher können wir nicht sein, dass mit unserer Fallauswahl eine unverzerrrte Repräsentation der empirischen Wirklichkeit erreicht wird. Daher sprechen wir es offen an: Zukünftige Forschung mag unsere Schlussfolgerungen auf der Basis einer besseren Auswahl modifizieren. Mit den uns zur Verfügung stehenden Fälllen jedenfalls können wir Folgendes festhalten:

  • Die Gründung der Biologischen Versuchsanstalt in Wien (BVA) im Jahr 1902 wurde Wolfgang Reiter zufolge vor allem mit privaten Mitteln etabliert (Kapazitätsaufbau), um innovativen Fragestellungen der Biologie nachgehen zu können, genauer: weg von den bisherigen vergleichend-deskriptiven hin zu experimentell-kausalen Analysen an lebenden Tieren. Diese methodisch innovative und vor allem interdisziplinär ausgerichtete Forschung konnte nicht innerhalb der etablierten disziplinären Fakultätsstrukturen der Universität Wien, sondern nur in einer eigens dafür eingerichteten, privaten außeruniversitären Versuchsanstalt realisiert werden. Ähnliches gilt für das Radiuminstitut, das sich dem damals jungen Gebiet der Radioaktivitätsforschung widmete, allerdings als Institut der Akademie der Wissenschaften errichtet wurde, die sich bereits seit 1901 mit Radioaktivität beschäftigte. Das wurde durch einen von der Wissenschaft völlig unabhängigen Faktor begünstigt, nämlich durch den Uranerzbergbau in St. Joachimsthal (Jáchymov) und die damit verbundene industrielle Expertise. In der Erwartung einer zukünftig hohen wirtschaftlichen Bedeutung des neuen Forschungsgebiets leistete der Industrielle Karl Kupelwieser die entscheidende Anschubfinanzierung für die Gründung des Instituts 1910.

  • Die Gründung des Internationalen Instituts für Angewandte Systemanalyse in Laxenburg bei Wien (IIASA) im Jahr 1972 erfolgte aus einer politischen Zielsetzung, nämlich der Förderung kooperativer Forschung zwischen den verfeindeten Machtblöcken im Kalten Krieg (Kapazitätsaufbau). Sie ermöglichte Matthias Duller und Christian Dayé zufolge jedoch vor allem „einen innovativen Zugang zu jenen epistemologischen, methodologischen und wissenspolitischen Problemen, mit denen sich eine global ausgerichtete Erforschung des Planeten und seiner Bewohner:innen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts konfrontiert sah.“

  • Zu der vergleichend angelegten Geschichte der organisationalen Erneuerung des Stanford Linear Accelerator Center (SLAC) auf dem Campus der Stanford University, die Thomas Heinze untersucht, gehört auch das 1977 etablierte Stanford Synchrotron Radiation Laboratory (SSRL). An seiner Entwicklung zeigt sich (insbesondere im Vergleich zu seinem „Zwillingslabor“, dem Hamburger Synchrotronstrahlungslabor HASYLAB), wie es einer wachsenden multidisziplinären Fachgemeinschaft mithilfe anfangs nur „parasitär“ mitgenutzter und später eigens für sie selbst gebauten Strahlungsquellen (Kapazitätsaufbau) gelang, eine Vielzahl innovativer Fragestellungen zu bearbeiten und schließlich zum dominanten Forschungsprogramm des ursprünglich für die Teilchenphysik etablierten SLAC zu werden.

  • Die Gründung (1985) und Eröffnung (1988) des von der Firma Boehringer-Ingelheim privat finanzierten Instituts für Molekulare Pathologie (IMP) in Wien legte Maria Wirth zufolge den Grundstein für eine langjährige Kooperation zwischen dem IMP und der Universität Wien. Aus dieser ging Ende der 1980er Jahre das „Wiener Biozentrum“ (heute: Vienna BioCenter) hervor (Kapazitätsaufbau), an dem gegenwärtig mehr als 50 Forschungseinrichtungen und Firmen biotechnologische Forschung und Entwicklung durchführen. Das Vienna BioCenter ist – wie andere Technologiecluster in Europa und Nordamerika auch – eine Brutstätte für wissenschaftlich-technische Neuerungen, was sich an einer Vielzahl von Forschungspreisen, hochrangigen Drittmitteleinwerbungen und Patentanmeldungen ablesen lässt.

  • Das Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung in Köln (MPIfG) wird im Jahr 1984 neu gegründet (Kapazitätsaufbau), um ein von der Soziologin Renate Mayntz relativ eng umrissenes und innovatives sozialwissenschaftliches Forschungsprogramm umzusetzen, dessen Kern in einer wertneutralen, empirisch-analytischen Institutionenanalyse bestand und das sich in dieser Form nicht an deutschen Universitäten umsetzen ließ. Wie Fabian Link zeigen kann, verband die Leitung der Max-Planck-Gesellschaft nach den Erfahrungen mit dem politisierten MPI zur Erforschung der Lebensbedingungen der wissenschaftlich-technischen Welt in Starnberg die Erwartung, dass am MPIfG „empirisch abgesichertes und analytisch durchdrungenes sozialwissenschaftliches Wissen als Reflexion zeitgenössischer gesellschaftlicher Entwicklungen“ erarbeitet würde.

  • Die Gründung (1988) und Inbetriebnahme (1994) der europäischen Synchrotronstrahlungsquelle in Grenoble (ESRF), deren Geschichte von Katharina Cramer näher untersucht wird, zeigt wie für eine wachsende multidisziplinäre Fachgemeinschaft insbesondere in Europa (Kapazitätsaufbau) ein Servicezentrum aufgebaut wird. Mit dessen Hilfe kann elektromagnetische Strahlung im „harten“ Röntgenspektrum zur Aufklärung von Strukturen der Materie genutzt werden, die von einer Vielzahl innovativer Anwendungsbereiche gekennzeichnet ist. Die ESRF hat sich intern fortwährend weiterentwickelt und durch diese organisationale Erneuerung das Fundament für zahlreiche innovative Forschungsthemen und -gebiete, insbesondere im Bereich der Strukturbiologie geschaffen.

Weiterhin können unter den von uns vorgelegten Fallgeschichten ebenso viele jener Kombination zugerechnet werden, bei der neue Forschungseinrichtungen oder Organisationsformen etabliert wurden, ohne dass damit die Bearbeitung neuer Forschungsthemen und Methoden intendiert wurde oder daraus resultierte (Abb. 1, links unten); folglich haben wir es mit einer organisationalen Expansion (Kapazitätsausbau) in bestehenden Forschungsthemen und -gebieten zu tun.

  • Exemplarisch kann hier die Etablierung der Bundesversuchs- und Forschungsanstalt Arsenal (BVFA) genannt werden. In ihrer Analyse können Rupert Pichler und Reinhold Hofer zeigen, dass die Etablierung der BVFA von der österreichischen Bundesregierung (durch das Handelsministerium) ab dem Jahr 1947 mit dem Ziel vorangetrieben wurde, bestimmte Forschungs- und Versuchsanlagen außerhalb der Hochschulen zu etablieren, um sie enger an den Bedarfen von Industrie, Gewerbe, aber auch staatlichen Akteuren hinsichtlich Messen, Testen, Prüfen und Standardisierung auszurichten als das an den disziplinär ausgerichteten Hochschulinstituten möglich war. Mithilfe der BVFA wurden keine originär neuen Forschungsthemen oder -gebiete etabliert, insoweit handelt es sich um einen Kapazitätsaufbau staatlicher Infrastruktur in bereits vorhandenen technischen Gebieten von Forschung und Entwicklung.

  • Die Entwicklung der heutigen Joanneum Research Forschungsgesellschaft ist ebenfalls im Kontext des Bedarfes der Nachkriegszeit zu sehen. Klaus Kleinberger und Wolfgang Polt zeigen die Ursprünge der Forschungsgesellschaft in vier Vorläufervereinen, die Ende der 1950er und Anfang der 1960er Jahre gegründet worden waren. Deren Hauptaufgabe war der Betrieb von Großgeräten, die Durchführung angewandter Forschung sowie der Wissenstransfer von den Universitäten in die Wirtschaft und die Verwaltung. Diese Vereine nutzte die steiermärkische Landesregierung, um zusätzliche Ressourcen für die Universitäten (die in Österreich Bundesangelegenheit sind) aufzubauen und gleichzeitig den regionalen Forschungs- und Wirtschaftsstandort zu stärken. Die ursprünglich damit verbundenen Forschungsfelder waren aber wissenschaftlich bereits etabliert. Deren interdisziplinäre Weiterentwicklung zusammen mit organisatorischen Veränderungen führte zur heute bestehenden Forschungseinrichtung.

  • Auch die Gründung des Mathematischen Forschungsinstituts Oberwolfach (MFO) ist der einfachen organisationalen Expansion zuzurechnen. Ursprünglich als Reichsinstitut für Mathematik 1944 eingerichtet, wurde es nach 1945 als Tagungszentrum ohne eigenen Forschungsstab neu etabliert. Das MFO lässt sich als Prototyp einer auf wissenschaftlichen Austausch und Kommunikation ausgerichteten Forschungsinfrastruktur verstehen, die im Wesentlichen aus einer Bibliothek, einem Vortrags- und Seminargebäude, einem Gästehaus und einem eigenen Publikationsprogramm (auf der Basis von Tagungen) besteht. Dem MFO kam weniger die Funktion zu, spezifische neue Forschungsfelder in der Mathematik zu erschließen, sondern vielmehr als soziale Infrastruktur die expandierende mathematische Forschung nach 1945 und die effektive Kommunikation innerhalb der Fachgemeinschaft der Mathematikerinnen und Mathematiker zu unterstützen.

  • Weiterhin sind das 1950 gegründet Institut für europäische Geschichte in Mainz (IEG) und das 1958 gegründete Deutsche Historische Institut in Paris (DHI) Beispiele für den einfachen organisationalen Kapazitätsausbau, hier in der Geschichtswissenschaft. Wie Corine Defrance und Ulrich Pfeil zeigen, wurden beide Institute, das IEG in der französischen Besatzungszone, das DHI in der französischen Hauptstadt, mit dem Ziel etabliert, durch eine gemeinsame, wissenschaftlich fundierte Geschichtsschreibung zur Aussöhnung zwischen den ehemals verfeindeten Nationen Frankreichs und Deutschlands beizutragen. Zu dieser Aussöhnung gehörte insbesondere beim IEG auch die Überwindung der konfessionellen Spaltung zwischen dem katholischen Frankreich und dem (mehrheitlich) protestantisch geprägten Deutschland. Keines der beiden Institute wurde jedoch mit dem Ziel gegründet, neue Forschungsgebiete innerhalb der Geschichtswissenschaft zu etablieren.

  • Auch die Gründung des Instituts für Organische Chemie und Biochemie der tschechoslowakischen Akademie der Wissenschaften (CSAV) im Jahr 1953 ist zur Kategorie des organisationalen Kapazitätsausbaus ohne explizite Ausrichtung zum Aufbau neuer Forschungsthemen oder -gebiete zu rechnen. Wie Martin Franc zeigen kann, führte die Schließung der tschechoslowakischen Universitäten während der nationalsozialistischen Besatzung zu einer Abwanderung zahlreicher Wissenschaftler in Labore und Forschungsstätten der (heimischen) Industrie, in denen sie (und insbesondere der spätere Direktor des CSAV) interdisziplinäre Teamarbeit erlernten und mit dieser Fähigkeit ausgestattet in der Nachkriegszeit den Charakter der am CSAV durchgeführten Forschung prägten, während an den Universitäten die stärker disziplinär ausgerichtete Forschung fortgesetzt wurde.

  • Schließlich kann das 1963 in Wien gegründete Institut für Höhere Studien (IHS) zur Kategorie des organisationalen Kapazitätsaufbaus, hier: in der wirtschafts- und politikwissenschaftlichen Forschung (z. B. ökonometrische Modellierung und empirische Politikforschung), gezählt werden. Es wurde als Ausbildungseinrichtung für moderne Sozialwissenschaften gegründet und sollte in Österreich (und Europa) das nachholen, was seinem Gründer Paul Lazarsfeld in den Vereinigten bereits mit der Etablierung des Bureau of Applied Social Research an der Columbia University in New York (BASR) und dem Center for Advanced Study in the Behavioral Sciences auf dem Campus der Stanford University in Palo Alto (CASB) gelungen war: der Aufbau einer sozialwissenschaftlichen Forschungsinfrastruktur. An der Fallgeschichte des IHS ist interessant, dass sowohl Christian Fleck in seinem Beitrag zu BASR und CASB als auch Andreas Huber und Thomas König in ihrer Periodisierung der IHS-Geschichte die These vertreten, dass das IHS eine zur Erreichung seiner Ziele ungeeignete Organisationsstruktur besaß. Hierzu zählen vor allem die starke hierarchische Stellung des Direktors sowie die disziplinäre Abteilungsstruktur: beides Organisationsmerkmale der universitären Forschung, welche in anderen Fallgeschichten des vorliegenden Bandes gerade der Ausgangspunkt zur Etablierung außeruniversitärer Forschungsinstitute war und die stark mit der Vorläufereinrichtung des IHS, dem BASR, kontrastiert, welches in thematische Abteilungen (wie z. B. Mass Communication and Political Behavior, Urban Community, Population usw.) und gerade nicht disziplinär strukturiert war. Verschlechtert wurde die Situation am IHS weiterhin durch Korruption, Inkompetenz und politische Patronage.

Es gibt unter den von uns hier präsentierten fünfzehn Fallgeschichten schließlich auch die Kombination, bei der die Bearbeitung neuer Forschungsthemen und Methoden in einer bereits vorhandenen Forschungseinrichtung erfolgt (Abb. 1, rechts oben); folglich haben wir es mit einer einfachen inhaltlich-fachlichen Expansion zu tun.

  • Als diesbezüglich einziges Beispiel ist die von Dania Achermann analysierte Geschichte des Instituts für Physik der Atmosphäre (IPA) zu nennen, das 1924 unter dem Namen „Rhön-Rossitten-Gesellschaft“ gegründet wurde und nach mehrfachen Namensänderungen 1962 seine bis heute gültige Bezeichnung erhielt. Unter dem Dach des IPA fand seit den 1960er Jahren eine erhebliche Erneuerung des Forschungsprogramms statt, ohne dass jedoch die Organisationsstruktur grundlegend geändert wurde. War ursprünglich das Segelfliegen zentrales Thema des IPA, so kamen im Rahmen der Berufung neuer Direktoren in den 1960er Jahren die Radarmeteorologie und Hagelforschung und in den 1970er Jahren die Umweltforschung hinzu. Trotz einer Expansion des inhaltlich-fachlichen Forschungsprogramms blieb das Fliegen als Instrument und Methode erhalten und bildete den Kern der institutionellen Identität des IPA. Dass das Institut den thematisch-fachlichen Wandel bei gleichzeitiger Kontinuität seiner technischen Kernkompetenz (des Fliegens) schaffte, rechnet Dania Achermann dem hohen Maß an Flexibilität und Anpassungsfähigkeit der IPA-Leitung(en) hinsichtlich der sich laufend ändernden politischen Umwelt zu.

Keiner der von uns hier vorgelegten Fälle ist der vierten Kategorie einer Fortschreibung des status quo bzw. der Auflösung zuzuordnen. Dies mag ein Selektionseffekt bereits des Calls for Papers und des dortigen Fokus auf die Beziehung von Organisationsform und Erkenntnisinteresse sein. Warum sollte man dieser Beziehung im Zerfall nachspüren können? Institute, die über einen längeren Zeitraum einfach immer das Gleiche beforschen, ohne dass sich eine inhaltlich-fachliche Erneuerung ergibt, sind demnach entweder recht selten oder nur schwer historisch rekonstruierbar. Wie gesagt, aus fünfzehn Fällen lassen sich nicht zuverlässig Auftretenswahrscheinlichkeiten berechnen. Wir nehmen zur Kenntnis, dass solche Fälle offenbar selten sind, ohne hieraus den Schluss zu ziehen, dass es sie gar nicht gibt. Dass wir zudem keine Fälle präsentieren, die eine Abwicklung bzw. eine Auflösung einer bestehenden Einrichtung zum Thema hat, ist sicherlich dem geschuldet, was man als „success bias“ bezeichnet, dass die Akten- und Materiallage für institutionell erfolgreiche Forschungseinrichtungen besser und leichter zugänglich zu sein scheint als für die gescheiterten Innovationen (Bauer, 2004, 2006).

In der auf das konzeptionelle Schema gerichteten Gesamtschau der vorgelegten Fallgeschichten wird somit zweierlei deutlich. Erstens entfallen etwa gleich viele Fälle auf die doppelte fachlich-kapazitäre Expansion (Abb. 1, links oben) und auf den einfachen organisationalen Kapazitätsaufbau (Abb. 1, links unten). Ein Zusammenwirken zwischen organisationaler und inhaltlich-fachlicher Dimensionen kann somit bestehen, muss jedoch nicht in jedem Fall gegeben sein. Es ist daher im Einzelfall zu bestimmen, ob eine kapazitive Expansion mit einer kognitiven Expansion verknüpft ist und inwiefern die eine der anderen (oder umgekehrt) folgt. Wenn also von „Normalfall“ der wissenschaftlichen Expansion gesprochen wird, dann legt unsere Auswahl von Fallgeschichten gleichermaßen die linke obere und untere Kategorie (Abb. 1) nahe.

Zweitens erscheint der organisationale Kapazitätsaufbau ohne explizite inhaltlich-fachliche Erneuerung häufiger aufzutreten als die inhaltlich-fachliche Erneuerung ohne weiteren Kapazitätsaufbau. Das erscheint uns plausibel: Eher werden Kapazitäten ausgeweitet, wenn sich ein Forschungsthema oder -gebiet als zukunftsträchtig erweist, als bestehende Kapazitäten umzustrukturieren und neu auszurichten. Im letztgenannten Fall setzen fachliche Spezialisierung des Personals und apparative Ausstattung enge Grenzen. Methodisch-instrumentelle Kontinuitäten können bei der inhaltlich-fachlichen Erneuerung innerhalb bestehender organisationaler Kapazitäten sicherlich hilfreich sein, wie die Fallgeschichte des IPA verdeutlicht. Ihr seltenes Auftreten (jedenfalls in unserer Sammlung) deutet aber darauf hin, dass es sich hier eher um eine Residualkategorie handelt.

Das hier vorgelegte und auf unsere fünfzehn Fallgeschichten bezogene konzeptuelle Schema ist nicht das einzig mögliche. Vielmehr sind weitere Kreuztabellierungen dieser Art möglich, etwa entlang der Frage, in welchem Umfang die Forschungseinrichtungen in Kooperationen oder Konkurrenzbeziehungen eingebettet sind. Bei einer solchen Betrachtung wäre der kombinierte Fall einer kooperativ-konkurrierenden Konstellation sicherlich besonders interessant, wobei bei einer solchen Betrachtung mehrere Aggregationsebenen unterschieden werden müssten. Ebenso interessant wäre die Beantwortung der Frage, inwiefern der organisationale Kapazitätsaufbau von der Personalfluktuation abhängt und inwiefern das institutionelle Umfeld die zügige inhaltlich-fachliche Erneuerung von Forschungseinrichtungen in Form solcher Fluktuation ermöglicht oder behindert.