1 Einleitung

Die formale Gründung des Instituts für Höhere Studien (IHS) in Wien 1963 erfolgte mit dem erklärten Ziel, Österreich im Bereich der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften an internationale Standards heranzuführen und damit einen Impuls zur Modernisierung des Landes zu setzen. Mit Unterstützung vor allem der Ford Foundation wie auch österreichischer Institutionen (Oesterreichische Nationalbank, Bundesministerium für Unterricht, Stadt Wien) konnte sich binnen weniger Jahre eine Ausbildungseinrichtung etablieren, die seitdem das größte sozialwissenschaftliche Forschungszentrum Österreichs ist. Dieses war von Beginn stark international ausgerichtet und zog Wissenschaftseliten aus aller Welt nach Wien. Die zweijährige Postgraduate-Ausbildung, die in den Jahren 1965 bis 2015 etwas mehr als insgesamt 1.000 Scholaren und Scholarinnen durchliefen, war europaweit ein Novum.

Die Geschichte des IHS ist bereits ausführlich dargestellt worden; ohne einer chronologischen Darstellung zu folgen, sind da Darstellungen der konflikthaften Gründungsjahre (Fleck, 2000; Kramer, 2002; König, 2012a); dazu kommen Analysen basierend auf einzelnen, wertvollen Archivbeständen (Raith, 2001; Fleck, 2017a). Eine Forschungstradition ist in einem langjährigen (und am IHS verankerten) Forschungsprojekt zur Situation der Sozialwissenschaften begründet (Knorr et al., 1974; Knorr et al., 1981; Müller, 1988, 2008); ein spin-off davon ist eine frühe Analyse der Organisationsstruktur des IHS (Marin, 1978). Ein eher apologetischer – wenngleich zweifelsohne mit auch kritischen Beiträgen versehener – Sammelband aus den frühen 1990ern zum 30-jährigen Jubiläum des Instituts entspricht nicht mehr unbedingt dem Forschungsstand (Felderer, 1993). Andere (spätere) Texte lösen den Anspruch eines Überblicks teilweise ein, konzentrieren sich dabei allerdings vor allem auf die im heutigen Sprachgebrauch gern so bezeichnete „Governance“ des Instituts und fokussieren dabei auf bestimmte Zeitabschnitte (Fleck, 2017b, 2018). Nur in Ausnahmefällen wird die Rolle des IHS aus einer eher epistemologisch-historischen Perspektive versucht einzuordnen (König, 2012b).Footnote 1

Allerdings liegen trotz der zahlreichen oben angeführten Behandlungen auch zwei Desiderate vor. Das erste Desiderat ist, dass bisher historisch noch keine umfassende Darstellung der Geschichte des IHS geschrieben wurde; das zweite Desiderat ist eine Analyse, was dieses Institut in den rund 60 Jahren seines Bestehens tatsächlich an Wissenstransfer und Wissensproduktion geleistet hat. Während der vorliegende Text als frühes Ergebnis eines Projekts zur Beantwortung der zweiten Frage gesehen werden kann,Footnote 2 konzentriert er sich im Wesentlichen auf das erste Desiderat, also die umfassende Darstellung der Geschichte des Instituts als Organisation – mithin liefert er eine Entwicklungs- und Wandlungsgeschichte des IHS. Es ist klar – und als Defizit des vorliegenden Textes auch festzuhalten –, dass ohne den tatsächlichen Output analysiert und mit eingerechnet zu haben, eine solche umfassende Darstellung noch nicht vollständig sein kann. Sie lässt sich allerdings kompensieren durch den Einsatz von Zeitreihen, die auf Kontinuitäten und Brüche in der Institutsgeschichte aufmerksam machen.

Warum hat ein Institut, das relativ klein und allenfalls im deutschsprachigen Raum von sich in Anspruch nehmen kann, in wissenschaftlicher Hinsicht eine gewisse überregionale Bedeutung erlangt zu haben, bisher schon so viel Aufmerksamkeit bekommen? Der Anreiz, sich mit der Geschichte des Instituts zu beschäftigen, dürfte wohl nicht nur in dessen wissenschaftlicher Reputation begründet sein kann; vielmehr ist anzunehmen, dass mit dem Institut von Anbeginn hohe Erwartungen und Ansprüche verbunden worden sind. Tatsächlich ist das ein durchgängiges Motiv, entlang dessen die Geschichte des Instituts geschrieben werden kann, wie wir zum Ende dieses Textes festhalten werden.

Der folgende Text ist aufgebaut wie folgt: Zunächst gehen wir kurz auf die für diesen Text zugrundgelegten Zeitreihen ein, die wir aus Institutsquellen erstellt haben. Die Zeitreihen gewinnen natürlich erst an Aussagekraft, wenn sie im Zusammenspiel mit einerseits der Analyse von historischen Quellen, im Fall des vorliegenden Textes sind das insbesondere die Protokolle der Kuratoriumssitzungen, und andererseits dem wissenschaftspolitischen Kontext Österreichs interpretiert werden. Bei einer solchen Interpretation erlauben sie es dann, Kontinuitäten und auch Brüche der Institutsgeschichte festzustellen und empirisch plausibel zu machen.

Brüche stellen wir in Form von abgrenzbaren Perioden der Institutsgeschichte fest, welche wir in den folgenden Abschnitten eingehender erläutern. Die Darstellung der Perioden stellt den Hauptteil des Textes dar. Im Anschluss, und als Ausblick, gehen wir auf die Kontinuitäten ein, welche sich über den Untersuchungszeitraum hinweg am IHS ausmachen lassen. Wir unterscheiden dazu zwischen Kontinuitäten in Bezug auf die Organisationsstruktur, inhaltlichen Kontinuitäten, und Kontinuitäten hinsichtlich der Stellung des IHS in der österreichischen Forschungslandschaft, und diskutieren zum Abschluss einige Erkenntnisse dazu.

2 Zeitreihen der Institutsgeschichte

Die bisherigen Darstellungen zur Geschichte des IHS haben sich entweder auf die Auswertung von Quellen (insbesondere Protokolle des Kuratoriums, die Rezeption des IHS in Medien, Politik der Direktoren …) konzentriert oder auf den wissenschaftlichen Output, der am Institut erreicht wurde. Diese sind fraglos sehr wichtige Archiv- und Datenbestände, die auch generell in der Organisationsgeschichtsschreibung herangezogen werden. Über die Beständigkeit bzw. Dynamik der Einrichtung selbst und den zugrunde liegenden Tätigkeitsmustern bzw. Veränderungen über den Verlauf eines längeren Zeitraums sind sie allerdings nicht unbedingt aussagekräftig. Die vorliegende Darstellung basiert demgegenüber auf Zeitreihen, das heißt historische Daten, die für den Zeitraum von der Institutsgründung 1963 bis zur Gegenwart (weitestgehend) vollständig aufliegen.

Vier Dimensionen sind dabei von Interesse und als Archivbestände weitgehend vollständig auch verfügbar: das Budget des Instituts (entnommen den jährlichen Rechnungsabschlüssen), Personalstand sowie Gastprofessoren und Gastprofessorinnen (entnommen den jährlichen Rechenschaftsberichten), Kuratorium und Institutsleitung. Der vorliegende Text bietet keine tiefergehende Analyse und Reflexion dieser Zeitreihen.Footnote 3 Gemäß Vorgabe konzentriert er sich auf eine narrative Darstellung der Entwicklungs- und Wandlungsgeschichte des Instituts. Dennoch ist eingangs kurz auf jede der vier Zeitreihen einzugehen, um die wesentlichen Erkenntnisse aus ihrer Entwicklung festzuhalten.

Bezüglich Finanzierung ist ersichtlich, dass das IHS in den sechs Jahrzehnten über eine recht stabile Finanzierungsgrundlage verfügte. Die Grundsubvention macht dabei die längste Zeit (mit Ausnahme der kurzen Phase von 1970 bis 1973) den größten Anteil aus, und wird auch schon sehr früh aus dem österreichischen Bundeshaushalt bestritten, der zudem in den frühen 1970er-Jahren auf rund das Doppelte angehoben wird – um danach bis zum Ende des Untersuchungszeitraums auf weitgehend gleichem Niveau zu bleiben. Dies ist auch dem Umstand zuzuschreiben, dass neben Wissenschaftsministerium und Nationalbank als Hauptsubventionsgeber andere (öffentliche) Geldgeber sukzessive wieder wegfallen; nur der Eintritt des Finanzministeriums als Geldgeber ist eine Entwicklung in die andere Richtung. Allerdings kompensiert diese neue Quelle nur, was in jener Zeit vonseiten des Wissenschaftsministeriums reduziert wird (bis dann 2011 endgültig das Finanzministerium die Rolle des Hauptfinanziers übernimmt). Dass ab den frühen 1990er-Jahren insgesamt die Jahresbudgets wieder ansteigen, ist fast ausschließlich durch den Zufluss an Drittmitteln in Form von Projekten zu erklären, der diesmal beständig ist und mit knapp 45 % einen sehr hohen Anteil erreicht.

Bezüglich des Personals kann sowohl die absolute Zahl der wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und ihre Verteilung auf verschiedene Statusgruppen (Abteilungsleiter:innen, Assistent:innen, Scholar:innen) beachtet werden als auch ihre Verteilung auf die drei bis maximal fünf am Institut angesiedelten Fachbereiche („Abteilungen“). In Bezug auf ersteres ist festzustellen, dass sich die längste Zeit weitgehend dieselbe Zahl an Mitarbeiter:innen am Institut befanden, abgesehen von einem Personalschnitt bald nach Institutsgründung, der aber rasch kompensiert worden war. Fluktuationen ergeben sich ausschließlich in der Kategorie der Scholar:innen. Ab den 1990er-Jahren steigt dann die Zahl der Mitarbeiter:innen stark an. In Bezug auf die fachliche Zuordnung gemäß Abteilungen ist ersichtlich, dass die drei Kernabteilungen – Soziologie, Politikwissenschaft und Ökonomie – die längste Zeit weitgehend gleich groß sind. Erst ab dem Wachstum in den 1990er-Jahren kommt es zu einer fachlichen Dominanz der Ökonomie, welche in Personalzahlen stark wächst. Ebenfalls wachsen kann die Soziologie; dagegen bleibt die Politikwissenschaft zurück.

Das IHS war von Beginn stark international ausgerichtet und zog Wissenschaftseliten aus aller Welt nach Wien. Bereits in der Gründungsphase konnte die Institutsleitung namhafte Wissenschaftler wie den Politologen Jean Blondel, den Politikwissenschaftler und späteren US-Außenminister Henry Kissinger, den Soziologen Talcott Parsons oder den Ökonomen Martin Shubik für einen ein- oder mehrmonatigen Aufenthalt in Wien gewinnen. Wie viel Prominenz sich unter den Gastprofessoren befand, ist auch an der Zahl der (späteren) Nobelpreisträger abzulesen. Von den 92 Ökonomen und Ökonominnen, die seit der Einführung 1969 den Alfred -Nobel-Gedächtnispreis für Wirtschaftswissenschaften erhielten, hatten 15 am IHS unterrichtet.Footnote 4 Die höchste Dichte an späteren Nobelpreisträgern war in der Gründungsphase zu verzeichnen. In den 1960er-Jahren (1963/64 bis 1969/70) konnte das IHS sechs spätere Nobelpreisträger engagieren, in den 1970er-Jahren ebenso viele, darunter mit Kenneth J. Arrow und John R. Hicks beide Preisträger des Jahres 1972. In den 1980er-Jahren ging die Zahl dann auf Null zurück. In den 1990er-Jahren waren es dann erneut sechs Besuche späterer Nobelpreisträger, darunter auch Ben Bernanke im Juni 1995, der den Preis 2022 (gemeinsam mit zwei anderen Ökonomen) erhielt.Footnote 5 Nach der Jahrtausendwende erfolgte ein neuerlicher Einbruch. Wer den Preis bereits erhalten hatte, kam im Übrigen nicht mehr an das Institut. Arrow etwa, der an der Harvard University unterrichtete, war aber nur ein Jahr vor Erhalt des Preises am IHS gewesen, das sich seine Gastprofessur rund 50.000 Schilling kosten ließ.Footnote 6

An der Spitze des 1963 gegründeten Vereins IHS stand von Beginn an ein Kuratorium, das sich aus durchschnittlich etwa 15 Personen aus Politik, Wissenschaft, Unternehmen und dem Bankenwesen zusammensetzte. Von Interesse ist hier einerseits der Status der Kuratoriumsmitglieder in ihren Institutionen (in der Politik etwa: Bundeskanzler, Nationalratsabgeordnete:r, …), andererseits die Stärke, mit der die genannten Bereiche im obersten Gremium vertreten waren. Interessant, wenngleich wenig überraschend, gibt es eine generelle Tendenz, nämlich dass die Mitglieder im Kuratorium zunehmend weniger politische Entscheidungsträger:innen waren.

Das IHS-Kuratorium, von Beginn an und für lange Zeit das wichtigste Entscheidungsgremium (Kompetenzen in punkto Anstellungen inklusive) des Instituts, tagte zum ersten Mal am 31. Januar 1963. Dieser Tag gilt auch als offizielles Gründungsdatum des IHS. Sieben Männer gehörten dem Gremium an: ÖNB-Präsident Reinhard Kamitz, der Bundesminister für Auswärtige Angelegenheiten Bruno Kreisky, Unterrichtsminister Heinrich Drimmel, der Wiener Bürgermeister Franz Jonas, der vormalige Präsident des Bennington College in Vermont Frederick Burkhardt, der Präsident der Vereinigung Österreichischer Industrieller Franz Josef Mayer-Gunthof und der Rechtsanwalt und Verfassungsrichter Wilhelm Rosenzweig. In den Studienjahren 1968/69 und 1969/70 verdoppelte sich die Zahl der Mitglieder, vor allem aufgrund von Neuaufnahmen von Generaldirektoren aus dem Bankensektor und Universitätsprofessoren. Das IHS sollte damit an Schlagkraft gewinnen, die finanzielle Basis abgesichert werden. Die Zahl der Kuratoriumsmitglieder blieb in den folgenden Jahrzehnten aber relativ stabil und ging erst im Jahr 2016 auf weniger als zehn zurück.

1979/80 war insofern eine Zäsur, als nur noch ein Angehöriger der ÖNB im Kuratorium vertreten war, davor waren es drei gewesen (dies änderte sich erst unter Direktor Felderer wieder). Politik, Wirtschaft und Banken blieben aber weiterhin mit ihren höchstrangigen Repräsentanten im Kuratorium vertreten: darunter in den 1970ern etwa der Bundeskanzler und die Wissenschaftsministerin. Ab dem Studienjahr 1994/95 waren dort weder der Unterrichts- noch der Wissenschaftsminister zugegen. Zehn Jahre später waren auch aktive Bundespolitiker:innen verschwunden.

In den sechs Jahrzehnten Institutsgeschichte wurden insgesamt 78 Männer und Frauen in das Kuratorium gewählt. 32 von ihnen, also über 40 %, waren vor oder während ihrer Tätigkeit am IHS hauptberuflich in der Politik tätig. Der Anteil der Ex-Politiker:innen lag in keinem Jahr unter einem Drittel, in den Studienjahren 1979/80 bis 1993/94 waren es sogar immer mindestens 60 %. Jeweils knapp die Hälfte der 32 Politikerinnen oder Politiker waren den beiden (einstigen) Großparteien ÖVP und SPÖ zuzuordnen – die Besetzungen erfolgten demnach über viele Jahre im Sinne des Proporzsystems.

3 Periodisierung der Institutsgeschichte

Legen wir nun die Zeitreihen aus über 50 Jahren Institutsgeschichte übereinander, zeigt sich, dass auffällige Veränderungen und Brüche zu nahe beieinander liegenden bzw. gar überlappenden Zeitpunkten erfolgt sind (siehe Abb. 1). Daraus ist der Schluss möglich, dass diese Zeitpunkte gewissermaßen Übergänge in der Institutsgeschichte darstellten und die Phasen dazwischen sich als relativ stabile Perioden bezeichnen lassen. Solcherart können wir folgende Perioden der Institutsgeschichte ausmachen: eine Periode der Institutsgründung und des Aufbaus (von 1958 bis 1970), eine Periode des Aufschwungs (von 1970 bis 1979), gefolgt von einer Periode der Stagnation (1980 bis 1991), danach ein neuerlicher Aufbruch (1991 bis 2000) und eine Blütezeit (2000 bis 2011). An diese schließt sich (relativ abrupt) eine Phase der Orientierungslosigkeit, welche 2015 zumindest formal durch eine grundlegende Organisations- und Statutenreform endet (zugleich endet auch die Darstellungsperiode).

Abb. 1
figure 1

Anmerkung: Die Tätigkeitsbeichte erschienen bis 2013/14 nach Studienjahren (Oktober bis September), ab 2015 nach Kalenderjahren. Die Rechnungsabschlüsse einschließlich 1984 erfolgten gleichfalls nach Studienjahr.

Brüche in der Geschichte des IHS nach Zeitreihen (Jährliche Tätigkeits- bzw. Jahresberichte sowie Rechnungsabschlüsse des IHS, 1963–2020, sowie eigene zusätzliche Erhebungen).

3.1 Krisenhafte Gründungsjahre und verzögerter Aufbau (1958 bis 1970)

Die ersten Jahre des Aufbaus, der Konstituierung des Instituts – einschließlich der offiziellen Gründung mit 31. Jänner 1963 – können als Krisenjahre bezeichnet werden. Der erste Direktor Slawtscho Sagoroff musste das IHS infolge von internen Streitigkeiten mit dem Kuratorium schon 1965 vorzeitig verlassen, woraufhin der Ökonom Oskar Morgenstern die Leitung übernahm. Parallel dazu verzeichnete das IHS einen starken Personalrückgang – was allerdings auch eine Folge der durchaus chaotischen Personalrekrutierung infolge der Gründung gewesen war. Assistenten, die neben ihrer Tätigkeit am IHS auch Vollzeit an der Universität Wien beschäftigt waren und hier ein zweites Gehalt einstreiften, ohne tatsächlich anwesend zu sein, waren nur eine von mehreren bedenklichen Erscheinungen. Krisenhaft entwickelten sich schließlich auch die Einnahmen, die 1965/66 stark zurückgingen. 1967/68 reduzierte die Ford Foundation die Subventionen für das IHS drastisch, woraufhin die Republik Österreich in Form des Unterrichtsministeriums als Finanzier einsprang.

Ende der 1960er -Jahre begann sich die Situation am IHS aber allmählich zu beruhigen. Der Personalstand erholte sich ab 1967/68 zusehends und erreichte im Herbst 1969 wieder den Stand aus Mitte der 1960er-Jahre. Das Kuratorium des Instituts schaffte es zeitgleich, auch die Einnahmensituation zu verbessern, doch war das Budget in den Jahren 1967/68 bis 1970/71 noch starken Schwankungen unterworfen. Infolgedessen war das Ende der 1960er-Jahre (1967/68 bis 1969/70) auch so etwas wie eine zweite Gründungsphase, an deren Ende nicht wie 1965 eine Direktorenabsetzung stand, sondern die Ingredienzien für eine – von außen betrachtet – erfolgreiche Weiterentwicklung bereitstanden.

3.2 Aufschwung (1971 bis 1979)

Bis 1970/71 hatte sich das Kuratorium vergrößert und war von sieben auf zehn Mitglieder angewachsen. Mit Hertha Firnberg zählte es nicht nur die erste Wissenschaftsministerin Österreichs (das Ministerium war 1970 ins Leben gerufen worden) zu seinen Mitgliedern, sondern auch den vormaligen Außenminister und nunmehrigen Bundeskanzler Bruno Kreisky. Neu war auch, dass zwei Generaldirektoren österreichischer Banken die Entwicklung des Instituts mitsteuerten: Franz Ockermüller von der Österreichischen Länderbank und Josef Taus von der Girozentrale und Bank der österreichischen Sparkassen. Ab dem Studienjahr 1971/72 stabilisierte sich zudem die Einnahmensituation und die Subventionen blieben inflationsbereinigt in den darauffolgenden zwei Jahrzehnten konstant.

Die 1970er-Jahre brachten dem IHS auch einige mediale Aufmerksamkeit ein: Mithilfe einer IBM-Rechenanlage legte das IHS nicht nur die Basis für umfassende empirisch-sozialwissenschaftliche Forschungen in Österreich, es ermöglichte auch Wahlhochrechnungen, die Direktor Gerhart Bruckmann ab den Nationalratswahlen 1970 einem Millionenpublikum im Österreichischen Rundfunk (ORF) präsentierte. Infolge der Bruckmann-Ära (1968–1973) entstanden am Institut zwei weitere Abteilungen: Betriebswirtschaft/Operations Research sowie Mathematische Methoden und Computerverfahren (MMC). Bei letzterer handelte es sich allerdings um eine Art Zusammenlegung des Rechenzentrums mit der Abteilung für Formalwissenschaften. Wirklich neu war lediglich das Label. Studierende, die eine Postgraduate-Ausbildung am IHS anstrebten, konnten bei ihrer Bewerbung nun aus fünf Abteilungen wählen, an der jeweils Abteilungsleiter:innen, Assistenten und Assistentinnen sowie Gastprofessoren und -professorinnen für die Ausbildung zuständig waren. Nach Bruckmann leitete der ehemalige IHS-Scholar Gerhard Schwödiauer das Institut sechs Jahre lang. Auf Ebene des Direktoriums – in den ersten fünf Jahren nach der offiziellen Gründung waren noch vier Direktoren im Amt gewesen – war ein Maß an Stabilität eingekehrt.

3.3 Stagnation und Orientierungslosigkeit (1980 bis 1991)

Die 1980er-Jahre wirken anhand der Einträge in Abb. 1 wie eine geradezu ruhige Phase. Weder waren in punkto Einnahmen und Mitarbeiter:innen große Veränderungen auszumachen, noch änderte sich etwas an der internen Struktur des IHS mit seinen fünf Abteilungen. Lediglich ein kurzzeitiger Rückgang bei den Scholarinnen und Scholaren wäre als Auffälligkeit festzuhalten, doch waren Schwankungen im Bereich der Auszubildenden, die allesamt eine Aufnahmeprüfung zu absolvieren hatten, in der Institutsgeschichte nicht außergewöhnlich. Veränderungen waren allerdings in den führenden Gremien und bei den Gastprofessoren und -professorinnen auszumachen: Mit Ende der 1970er-Jahre (1979/80) zogen sich Angehörige der Oesterreichischen Nationalbank weitgehend aus dem Kuratorium zurück. Es verblieb OeNB-Präsident Stephan Koren, der auch dem IHS-Kuratorium als Präsident vorstand. Als dieser im Jänner 1988 im Amt verstarb, übernahm 25 Jahre nach der Institutsgründung erstmals jemand außerhalb der Nationalbank das Präsidentenamt: der Bundesminister für Föderalismus und Verwaltungsreform im Bundeskanzleramt Heinrich Neisser von der ÖVP.

Als Zeichen eines allmählichen Bedeutungsverlustes – oder zumindest einer Stagnation – kann der Rückgang von Gastprofessuren aus den USA und Kanada interpretiert werden. In den 1960ern eine Art Alleinstellungsmerkmal des IHS (mit teilweise 50 % Gastprofessoren aus Übersee), kamen in den 1980ern oftmals nur ein Fünftel oder weniger Wissenschaftler:innen von Universitäten und anderen Institutionen aus Nordamerika. In der Öffentlichkeit war dies aber wohl kein Thema, schon eher der vorzeitige Abritt des Systemwissenschaftlers Anatol Rapoport. Das Kuratorium berief ihn gegen seinen Willen per 31. Dezember 1983 als Direktor ab und setzte den vormaligen Staatssekretär im Finanzministerium Hans Seidel als seinen Nachfolger ein.Footnote 7 Dass viele ein abgekartetes Spiel dahinter vermuteten, war wohl nicht unbegründet (Fleck, 2018, S. 1004–5). Seidel konzentrierte sich in den folgenden Jahren – etwas verkürzt gesprochen – auf das Verwalten des Status Quo.

3.4 Konsolidierung (1992 bis 2000)

Nach rund einem Jahrzehnt der Stagnation und der Orientierungslosigkeit setzten Anfang der 1990er-Jahre die bislang massivsten Umbrüche in der Institutsgeschichte ein. Eng verbunden waren diese mit dem neuen Direktor: dem Universitätsprofessor für Volkswirtschaftslehre Bernhard Felderer, der im Übrigen im Jahr seiner Ernennung von der Universität zu Köln an die Ruhr-Universität Bochum ging. Mit Felderer setzten Veränderungen in sämtlichen hier thematisierten Dimensionen ein. Die Subventionen, insbesondere die Projektmittel stiegen bereits im zweiten Jahr seines Direktorats deutlich an, und dies insbesondere aufgrund der vermehrten Einwerbung von Dritt- bzw. Projektmitteln. Das Studienjahr 1992/93 markierte aber auch das Ende der Abteilung Betriebswirtschaft/Operations Research (mit Ende 1997/98 folgte MMC) und die Einführung des Programms Applied Economics. Studierende dieses Programms gesellten sich als zweite Gruppe von Auszubildenden zu den Scholaren und Scholarinnen. Obwohl das AE-Programm nur von kurzer Dauer war (bis 1996/97), so gab dessen Einführung klar die Richtung für die nächsten Jahre vor: eine verstärkte Hinwendung des IHS zur Ökonomie.

In der Gruppe des wissenschaftlichen Personals (Abteilungsleiter:innen und wissenschaftliche Mitarbeiter:innen) setzte dieser Zuwachs im Studienjahr 1992/93 ein, mit zwei Jahren Verspätung auch bei den – im Vergleich zu den ersten Institutsjahren weitaus weniger gut entlohnten – Scholarinnen und Scholaren. Ab 1998/99 war die Ökonomie/Volkswirtschaftslehre zudem mit einer zweiten Abteilung ausgestattet. Waren die „traditionellen“ Abteilungen Ökonomie, Politikwissenschaft und Soziologie über Jahrzehnte hinweg in etwa gleich stark am IHS vertreten gewesen, so schlug das Pendel ab den 1990er-Jahren zunehmend in Richtung der Ökonomie aus. Vermutlich kein Zufall war auch, dass sich die Nationalbank ab 1994/95 wieder mit drei Vertretern im Kuratorium engagierte, wohingegen erstmals in der Institutsgeschichte kein Regierungsmitglied mehr dem Kuratorium angehörte.

Der stetig wachsende Anteil der Drittmittel an den Subventionen – von 1996/97 bis 1998/99 stieg deren Anteil von einem Drittel auf 40 % – kam nicht nur der Ökonomie zugute. Mit etwas Verspätung, nämlich in der zweiten Hälfte der 1990er-Jahre, fand sich auch die Soziologie zunehmend in diesem neuen Forschungsumfeld zurecht und konnte beim Personal kräftig zulegen. Die Politikwissenschaft stagnierte hingegen, das heißt, die Zahl der Mitarbeitenden blieb konstant, doch verlor sie im Kontext der angewachsenen Ökonomie- und Soziologie-Departments klar an Bedeutung. Dass sie heute ein Nischendasein am IHS führt, mag möglicherweise mit damals veränderten Schwerpunktsetzungen in den Entscheidungsgremien zu tun haben, mit dazu beigetragen haben aber wohl auch die Personalabgänge in den Studienjahren 2002/03 sowie 2007/08.

3.5 Blütezeit (2000 bis 2011)

Ein Blick auf die einzelnen Dimensionen zeugt auch über die Jahrtausendwende hinaus von einem Wachstum, das beinahe unaufhaltsam schien. Ab Mitte der 00er-Jahre ging die Zahl der Scholarinnen und Scholaren ein letztes Mal nach oben, aber auch Praktikantinnen und Praktikanten sowie wissenschaftliche Hilfskräfte wurden am Institut – vor allem, so ist anzunehmen, im Rahmen von Projekten – zunehmend zur Unterstützung des Betriebs verwendet. Übernahm sich das IHS mit dieser kontinuierlichen Ausdehnung insbesondere im Bereich der wissenschaftlichen Mitarbeiter:innen? Im Studienjahr 2009/10 war jedenfalls der Plafond bei den Einnahmen erreicht, erste Brüche zeichneten sich bereits davor in der Lehre ab. Hatte das IHS ab in den 1990er-Jahren an die Tradition anschließen können, hochrangige Universitätsprofessoren und -professorinnen aus Nordamerika an das Institut zu holen, so änderte sich dies Anfang des 21. Jahrhunderts: Spätestens ab dem Studienjahr 2004/05 waren es zunehmend Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler österreichischer Institutionen, welche für die Ausbildung verantwortlich zeichneten.

Überdies nahmen auch Mitarbeitende des IHS hierbei eine zunehmend wichtige Rolle ein. Für das Studienjahr 2011/12 ist das Ausklingen der Ausbildungsfunktion auch aus den Grafiken klar abzulesen (es wurde formal erst 2015 eingestellt). Dieses Jahr markiert zudem den Höhepunkt der Dominanz von Ökonomen und Ökonominnen: Nicht weniger als 71 % der wissenschaftlichen Angestellten (ohne Hilfskräfte und Auszubildende) waren der Ökonomie zuzuordnen – ein Spitzenwert, der danach nicht mehr erreicht werden sollte.

3.6 Orientierungslosigkeit (2011 bis 2015)

Die bislang letzte Phase in der Geschichte des Instituts für Höhere Studien war gezeichnet von Kontroversen hinsichtlich widersprüchlicher Erwartungen ans Institut, welche insgesamt zu mehreren Jahren der Orientierungslosigkeit führten. Christian Keuschnigg, der Felderer nachgefolgt war, trat schon nach etwas mehr als zwei Jahren vorzeitig ab, nachdem er unter Spardruck eine neue Ausrichtung des Instituts vorgeschlagen hatte, die keine Akzeptanz fand. Keuschniggs Plan war es, die Abteilungen Soziologie und Politikwissenschaft abzuschaffen und das Institut als wirtschaftswissenschaftliche Einrichtung fortzuführen. Das entsprach durchaus der Entwicklung der vorigen beiden Jahrzehnte, stieß aber institutsintern auf Widerstand, und konnte auch nicht die Mehrheit der Kuratoriumsmitglieder überzeugen.

Es folgten 2015 und 2016 interimistische Direktoren (zunächst Sigurd Höllinger, danach Thomas Czypionka), und schließlich kam doch eine umfassende Neuausrichtung des Instituts zustande, allerdings anders als noch von Keuschnigg vorgeschlagen. Zunächst wurde die Scholarinnen- und Scholarenausbildung eingestellt, und die disziplinär ausgerichteten Abteilungen ersetzt durch interdisziplinäre, nach Themen orientierten Forschungsgruppen. Mitte 2016 übernahm Martin Kocher, von der Universität München kommend, das neu strukturierte Institut – und brachte mit der Verhaltensökonomie selbst ein neues Themengebiet mit. Er übernahm das Institut bereits in seinem neuen Gebäude, nachdem der alte Standort endgültig wegen Baufälligkeit aufgegeben werden musste.

Die Veränderungen waren damit noch nicht vorbei: Ein neues Vereinsstatut wurde beschlossen und das Kuratorium konstituierte sich – erstmals in der Geschichte – vollständig neu: Kein Mitglied aus dem Studienjahr 2012/13 war mit Ende 2016 noch im Amt. Heinrich Neisser trat als Präsident zurück und wurde vom ehemaligen Bundes- und Europapolitiker Franz Fischler abgelöst; Caspar Einem übernahm das Amt des Vizepräsidenten. Erstmals seit 1967/68 zählte das Kuratorium zudem weniger als zehn Mitglieder, nämlich neun. Sowohl Banker:innen als auch Universitätsprofessoren hatten deutlich an Stellenwert verloren, der Anteil an höheren Beamten (Abteilungsleiter, Sektionschef) war gestiegen. Aber auch nach fast 60 Jahren veränderte sich der Anteil der Kuratoriumsmitglieder mit Politikvergangenheit nur wenig – 2016 waren es knapp die Hälfte.

4 Kontinuitäten

Organisationen zeichnen sich dadurch aus, dass sie sich von ihrer Umwelt unterscheiden – also von anderen Organisationen, aber auch von dem Bereich, der als Nicht-Organisation bezeichnet werden kann.Footnote 8 Dabei können zwei Dimensionen unterschieden werden: eine, die sich auf Inhalte bezieht (also was am Institut in wissenschaftlicher Hinsicht gemacht wird bzw. was gemacht werden soll), und eine, die sich auf die Organisationsstruktur bezieht. Wir wollen diesen Beitrag damit beenden, dass wir die wichtigsten Kontinuitäten in Bezug auf diese beiden Dimensionen kurz festhalten und dabei Fragen aufwerfen, die noch Gegenstand weiterer, vertiefender Analyse der Institutsgeschichte bleiben müssen.

In Bezug auf die Dimension der Inhalte sind folgende Kontinuitäten festzustellen: der durchgehende Ausbildungsfokus des Instituts, und die disziplinäre Ausrichtung der Forschungs- und Wissenschaftsaktivitäten. In Bezug auf die Ausbildung ist zu sagen, dass dies mit ziemlicher Sicherheit vor allem in den ersten drei Dekaden der Institutsgeschichte das wesentliche Definitions- und Abgrenzungsmerkmal des Instituts gegenüber dem wissenschaftlichen Umfeld (konkret: österreichische Universitäten, an denen Sozial- und Wirtschaftswissenschaften gelehrt wurde) war. Die Relevanz der Ausbildungsfunktion hat in den späteren Dekaden abgenommen, dürfte für das Institut aber seine identitätsstiftende Wirkung beibehalten haben – es ist auf jeden Fall ein kontinuierliches Element geblieben, bis es 2015 doch recht abrupt beendet wurde. Zugleich ist hier festzuhalten, dass es in den Protokollen der Institutsleitung immer wieder und schon ab den 1960er-Jahren Entwürfe zur Neuausrichtung und zur strategischen Weiterentwicklung des Instituts gegeben hat, die einer eigenen, diachronen Analyse bedürfen.

Ebenfalls eine Kontinuität stellt die disziplinäre Ausrichtung der Forschungs- und Wissenschaftsaktivitäten des Instituts dar. Wie weit dies der Ausbildungsschiene geschuldet war, kann hier nicht gesagt werden; da auch die Binnenstruktur selbst in disziplinäre Abteilungen gefasst war, liegt es nahe, dass sich Ressourcenkonflikte am Institut gerade auch in Form von epistemischen Auseinandersetzungen artikulierten, was wiederum der institutsinternen Kohäsion nicht zuträglich gewesen sein dürfte.Footnote 9 Umgekehrt ist es doch bemerkenswert, dass es im Untersuchungszeitraum offenbar nur sehr wenige Ansätze oder Versuche gab, eine gemeinsame, über die Disziplinen hinausgehende konzeptionelle oder auch theoretische Fundierung zu etablieren. Gab es solche Ansätze und Diskussionsversuche überhaupt, in welchem Rahmen, und wie wurden sie aufgegriffen?

In Hinblick auf die Organisationsstruktur des IHS lassen sich wenigstens drei Kontinuitäten hervorheben: die disziplinäre Binnenstruktur des Instituts, die Rolle des Direktors als Institutsleiter, und die wechselhafte Zusammensetzung des Kuratoriums. Tatsächlich hat das Institut seine Binnenstruktur zwar gelegentlich um Abteilungen erweitert oder auch solche wieder aufgelöst, jedoch im Laufe des Untersuchungszeitraums nie eine andere Binnenstruktur in Erwägung gezogen. Es wurde offenbar ohne weiteres vorausgesetzt, dass die disziplinär ausgerichteten Abteilungen, zusammen mit der Serviceeinrichtung Bibliothek (und später der EDV-Abteilung) die zentralen Aufgaben des IHS erfüllen würden. Zu klären ist hier, inwieweit das Eröffnen und Schließen von Abteilungen auf grundsätzlich strategischen Erwägungen basierte – und inwieweit vielleicht einfach aufgrund von Opportunitäten.

Was die Rolle des Direktors betrifft, so gab es hier zwar Modifikationen in der Arbeitsverteilung (anfänglich handelte es sich um ein Zweierteam, ab 1984 eine Einzelspitze), aber an der herausragenden organisationalen Bedeutung dieser Leitungsfunktion ist nie etwas geändert worden. Dies entspricht sicher auch generell dem organisatorischen Selbstverständnis vieler wissenschaftlichen Einrichtungen. Auffällig am IHS ist freilich, dass es immer wieder mehrjährige Phasen gegeben hat, die von der Suche nach einer geeigneten Führungspersönlichkeit geprägt waren – und zwar sowohl in den 1960er-Jahren, in den späten 1980er-Jahren, und in den Jahren 2012 bis 2016. Die Phasen einer stabilen, mehrjährigen Direktorenschaft sind nicht zufällig auch periodenprägend geworden, aber aus organisationshistorischer Perspektive bleiben vor allem auch diese Zwischenphasen erklärungsbedürftig: Warum war es so schwierig, diese Position mit einer als geeignet angesehenen Person zu besetzen?

Ein Grund könnte vielleicht darin gelegen haben, dass es viele (und vielleicht auch zu wenig präzisierte) Erwartungen an diese Leitungsposition gegeben hat. Das bringt uns zum dritten Kontinuum, dem Kuratorium, welches als Aufsichtsorgan u. a. für die Bestellung des Direktors verantwortlich zeichnete. Über den Untersuchungszeitraum können wir feststellen, dass das Kuratorium von hochrangigen Persönlichkeiten der Republik besetzt wird, wobei hier allerdings Wechsel stattfinden: Sind es zu Beginn vor allem Spitzenpolitiker, so werden später auch Banker und Industrielle hinzugezogen; in den letzten Dekaden kommen vermehrt ehemalige Politiker:innen sowie Spitzenbeamte zum Einsatz. Internationale Persönlichkeiten finden sich dagegen keine. Auffällig ist, dass sich das Kuratorium als Gruppe immer wieder auch größenmäßig verändert, und zwar ohne erkennbare strategische Überlegungen – so als wären unmittelbare (vielleicht sogar politische) Anlässe dafür ausreichend gewesen. Sollte dieser Befund durch weiteres Quellenstudium bestärkt werden, so verweist er wiederum auf eine gewisse Schwäche in der organisationalen Verfasstheit des Instituts generell.

5 Zusammenfassung und Ausblick

Wenn wir die Rolle des Instituts im zeithistorischen Kontext Österreichs reflektieren, so wird deutlich, dass es über die geschilderten Perioden hinweg eine herausragende Position in wissenschaftlichen, politischen und medialen Kontexten einnahm – und zwar relativ unabhängig davon, wie wissenschaftlich produktiv die am Institut geleistete Forschung tatsächlich war. Wie lässt sich das erklären? Die im vorigen Abschnitt formulierten Desiderate haben nicht nur die Funktion, die weitere historische Analyse des IHS anzuleiten; ihre Beantwortung wird auch einige Aufschlüsse über die Rolle des Instituts im wissenschaftspolitischen Kontext der Zweiten Republik ab den 1960er-Jahren liefern. Nicht von ungefähr ist in dieser Zeitphase in Österreich (und im internationalen Vergleich verspätet) die Wissenschaftspolitik als eigenständiges Politikfeld entstanden (König, 2010, 2021).

Das IHS war in Österreich nach 1945 ein für die Zweite Republik früher Versuch einer außeruniversitären Institutsgründung.Footnote 10 Es kann diesbezüglich auch als früher (und durchaus mit Fehlern behafteter) Versuch einer organisatorischen Neugründung im Feld der damals noch sehr überschaubaren Wissenschaftseinrichtungen bezeichnet werden. Das erklärt die zu Beginn überaus prominente Besetzung des Kuratoriums ebenso wie die handwerklichen Fehler beim Organisationsaufbau: ein politisiertes Aufsichtsgremium, das (vielleicht deshalb) nicht in der Lage war, dem Institut eine realistisch umzusetzende Mission zu geben; daraus resultierend eine unklare Zielsetzung; eine scheinbar zufällig zustande gekommene (zumindest aus den Quellen nicht nachvollziehbare) Binnenstruktur. Aber es erklärt nur teilweise, warum das Institut diese Fehler dann fortschrieb und sich so weiterentwickelte, wie wir es oben skizziert haben. Dazu wird es vielmehr nötig sein, sich die Dynamiken im Detail anzusehen, die der Organisationsaufbau mit sich brachte, und wie sich der wandelnde wissenschaftspolitische Diskurs aufs Institut niederschlug.

Als Resultat der vorliegenden Darstellung tritt für eine (nicht an Apologetik interessierte) Geschichtsschreibung des IHS ein grundlegendes Motiv auf. Das Institut war (und blieb) in gleichem Maße eine Projektionsfläche hoher (wenngleich oft diffuser) Erwartungen und eine Organisation, die mit den ihr zugeteilten Aufgaben überfordert war. Ersteres meint, dass das Institut immer wieder Objekt unterschiedlicher (und konträrer) wissenschaftlicher und wissenschaftspolitischer Erwartungshaltungen war – und vor allem auch geblieben ist. Dies betraf Mitglieder des Kuratoriums, einflussreiche Persönlichkeiten aus dem akademischen und aus dem politischen Betrieb, aber auch Mitarbeiter:innen. Welche wissenschaftlichen Ziele das Institut verfolgte, wurde selten explizit formuliert und war noch seltener Gegenstand einer strategischen Planung und Umsetzung. Ein Resultat davon war eine Unklarheit, welche „Mission“ (um es in der Semantik heutiger Organisationsentwicklung zu formulieren) das Institut eigentlich hatte. Zugleich bot diese Ambiguität selbst wieder Anlass für weitere Projektionen.

Weiterhin hatte die reale Organisation IHS in vielen Phasen ihres Bestehens damit zu kämpfen, dass es die von unterschiedlichen Akteuren verfolgten, oft aber eben auch nur impliziten Ziele und Aufgaben nach eigenem Ermessen nicht mit den zur Verfügung stehenden Mitteln erfüllen konnte. Dieses organisatorische Überforderung ist auch objektiv nachvollziehbar. Um nur die drei offensichtlichsten Pole zu benennen, die institutsintern immer wieder präsent waren. Sollte das Institut lehren oder forschen? Sollte es angewandte Forschung oder Grundlagenforschung betreiben? Sollte es sich auf Disziplinen konzentrieren oder interdisziplinär agieren? Jeder dieser Pole bot Anknüpfungspunkte für das Aufspannen jeweils neuer Projektionsflächen, und (bis 2015) wurde keine klare Entscheidung getroffen, wo hier Prioritäten zu setzen wären. Dies ist zu konstatieren, ohne die tatsächlichen Forschungsleistungen, die währenddessen am Institut erbracht wurden, zu schmälern.

Ein Grund für die Ambivalenz und Uneindeutigkeit dessen, was vom Institut zu leisten wäre, steckt bereits in seinem Namen: Die Bezeichnung Institut für Höhere Studien und wissenschaftliche Forschung lädt geradezu dazu ein, unterschiedlichste Erwartungen zu wecken. Vertraute des angloamerikanischen Systems werden schon in den 1960er -Jahren an Princeton und das dortige „Institute for Advanced Studies“ gedacht haben. Andere haben den Namen vielleicht wörtlich genommen: Sollen hier höhere Studien getrieben, oder vielleicht auch höherwertige Studien verfasst werden? Und auch der Zusatz „wissenschaftliche Forschung“ lässt Interpretationsspielraum; welche Forschungsrichtungen sind hier gemeint? Dass es darauf keine konsistente Antwort zu geben vermochte, ist bis 2015 konstitutives Element der Geschichte des IHS gewesen.