1 Die Gründungsgeschichte vor der Eröffnung: Akteure und Motive

Das IEG ist in seiner Entstehungsgeschichte eine deutsch-französische Koproduktion der Besatzungszeit – ein eigenartiges Wechselspiel zwischen Herrschaft (Besatzungsmacht) und Zusammenarbeit – genau wie die Johannes-Gutenberg-Universität, die im Mai 1946 in Mainz eröffnet worden war (Defrance, 2021).

1.1 Die Hauptakteure

Auf deutscher Seite stand der Bonner Mediävist Fritz Kern (Schillings, 2001; Defrance und Pfeil, 2020). Während und nach dem ersten Weltkrieg war er ein engagierter Nationalist, der aber in der zweiten Hälfte der 1920er Jahre und in den 1930er Jahren immer mehr für die Völkerverständigung und insbesondere für die deutsch-französische Annäherung plädierte. Anfang der 1930er Jahre hatte er selber die Idee eines deutsch-französischen Geschichtsbuches lanciert. Er hatte sich gegen den Nationalsozialismus positioniert, ist in die innere Emigration gegangen und musste auch im April 1945 dringend mit seiner Familie in die Schweiz fliehen. 1948 durfte er zum ersten Mal zurück nach Deutschland kommen, als ihn die französische Besatzungsmacht zu den ersten internationalen Historikertreffen in der Nachkriegszeit nach Speyer einlud. Er wurde sogar der Leiter der deutschen Delegation.

Diese Historikertreffen wurden von Raymond Schmittlein konzipiert, der das erste Treffen auch selbst organisierte. Er war Leiter der Kulturabteilung der französischen Militärregierung in Deutschland (Direction de l’Éducation Publique, DEP zuerst in Baden-Baden, ab 1949 in Mainz) und von Beruf Germanist (Defrance, 2005). Ziel dieser Treffen war es, den seit dem Krieg unterbrochenen Dialog zwischen westlichen Historikern wiederzubeleben. Beim zweiten Treffen 1949 besprach Kern sein Projekt, ein »internationales Geschichtsinstitut« zu gründen, mit Raymond Schmittlein (Schulze, 1989, S. 274; Defrance, 2008). Dieser verstand das vorgelegte Projekt für die französische Kulturpolitik im besetzten Deutschland und die bilaterale Annäherung zu nutzen (Defrance, 1994; Zauner, 1994) und die beiden Männer waren sich über die Ziele einig.

1.2 Die Ziele des Projekts

Das Projekt eines Instituts für Europäische Geschichte (IEG) zu gründen, zielte ursprünglich darauf ab, erstens zur „Umerziehung des deutschen Volkes“ (Entnazifizierung und Demokratisierung), zweitens zur Rückkehr der Deutschen in die internationale Wissenschaftsgemeinschaft, drittens zur Völkerannäherung – insbesondere zum deutsch-französischen „Verständnis“, sogar zur bilateralen „Aussöhnung“ und zur Europäischen Integration beizutragen (Schulze & Defrance, 1992). Schmittlein schrieb seinem Kollegen Claude Hettier de Boislambert, Gouverneur von Rheinland-Pfalz: »Ich messe [diesem Institutsprojekt] umso mehr Bedeutung bei, als ich davon überzeugt bin, dass der deutsche Nationalismus nur durch die Erneuerung der Geschichtswissenschaft überwunden werden kann«Footnote 1.

Schmittlein sah die Gründung des neuen Instituts aber auch als Chance, in die Wissenschaftspolitik der jungen Bundesrepublik einzugreifen und den Einfluss des Verbands der Historiker Deutschlands (VHD), den der Leiter der Kulturabteilung als eine protestantisch-konservative und national bzw. nationalistische Institution kritisierte, zu bekämpfen. Der 1949 neugegründete VHD wurde von Gerhard Ritter, dem konservativen Neuzeithistoriker aus Freiburg im Breisgau und Preußen-Spezialist geleitet, der in der Perspektive von Schmittlein das „verhasste“ Deutschland verkörperte. Da er ein Gegner des Nationalsozialismus war, war die französische Militärregierung jedoch machtlos gegen ihn (Cornelißen, 2001, S. 394). Mit der Gründung des Instituts für Europäische Geschichte konnte Schmittlein Gerhard Ritters Gegner unter den deutschen Historikern in Mainz wissenschaftlich und institutionell stärken. Kern teilte diese Perspektive völlig.

Für Kern, zu jener Zeit ein Vorreiter der Globalgeschichte (Schulze, 2008; Hallmann, 1968), gab es noch ein zusätzliches Argument: das geplante Institut sollte eine Art Redaktionsstube für sein großes persönliches Projekt « Historia Mundi » und das Studium der Universalgeschichte der Menschheit sein. 1949 unterstützte der Münchener Historiker Franz Schnabel ihn mit einem lebhaften Plädoyer für eine Universalgeschichte, die für ihn das beste Bollwerk gegen eine nationale Geschichte war und Zwietracht zwischen den Völkern abbaute (Defrance, 2008, S. 224 f.).

2 Standort und Strukturen des Instituts: Konflikte und internationale Anerkennung

2.1 Mainz als Schwerpunkt der französischen Hochschul- und Wissenschaftspolitik in der französischen Besatzungszone

Bereits am 24. Mai 1949 schrieb Fritz Kern an seinen Kollegen Wilhelm Wühr, Professor für Mittlere Geschichte an der PH Freising und Leiter eines Arbeitskreises christlicher Historiker, dass seit zwei Monaten Beratungen darüber begonnen hätten, »wo in Deutschland man den Fußpunkt, das Büro oder Institut dafür schaffen könne« (zitiert nach Schulze, 1989, S. 274). Es war früh klar, dass das Institut in Mainz – der offiziellen, aber noch nicht effektiven Landeshauptstadt von Rheinland-Pfalz – angesiedelt werden sollte, deren kulturellen und intellektuellen Einfluss Schmittlein stärken wollte: 1946 wurde schon eine neue Universität in Mainz von den Franzosen eröffnet; 1950 das IEG sowie die Mainzer Akademie der Wissenschaften und der Literatur (Kißener, 2006; Defrance, 2003).

2.2 Die Struktur des IEG

In administrativer Hinsicht gab es zwei mögliche Lösungen: entweder das Institut der jungen Johannes Gutenberg-Universität (JGU) anzugliedern oder es zu einem autonomen Institut zu machen. Schmittlein entschied sich mit Zustimmung der rheinland-pfälzischen Behörden für eine LandeseinrichtungFootnote 2. Die Leitung des Instituts musste nun in Abstimmung mit dem Kultusministerium und der französischen Kulturabteilung die neue Satzung des Instituts ausarbeiten. Es war ein langschwieriger ProzessFootnote 3. Das Institut war eine gemeinnützige Stiftung bürgerlichen RechtsFootnote 4 und die Landesregierung Rheinland-Pfalz genehmigte die Stiftungsurkunde des Instituts vom 19. April 1951. Die Satzung trat erst zwei Jahre später in Kraft (Scharf, 1988, S. 73).Footnote 5

Die Stiftung konnte sich auf einen Vorstand (Vertreter des Landes; die beiden Direktoren, der Kanzler der JGU) und einen Verwaltungsrat (Kultusminister von Rheinland-Pfalz, Vertreter des Landtags, Rektor der JGU, Vorsitzender der Gesellschaft zur Förderung des IEG) stützen. Die Direktoren der beiden Sektionen (siehe unten) lösten sich alljährlich als Geschäftsführer ab. Später hatte jede Abteilung einen wissenschaftlichen Beirat an seiner Seite (Scharf, 1988, S. 73).

Das Spezifikum des Instituts war (und ist) seine doppelte Struktur: eine Abteilung für Universalgeschichte und eine Abteilung für abendländische Religionsgeschichte, die gleichzeitig die politischen wie die wissenschaftlichen Herausforderungen der damaligen Zeit widerspiegelnFootnote 6. Es ist erstaunlich, dass die Neugründung »Institut für Europäische Geschichte« genannt wurde, wenn eine seiner Abteilungen den Titel »Abteilung für Universalgeschichte« trägt. Als ob der Teil umfassender wäre als das Ganze! Warum also dieser Name? Die Gründe dafür sind politischer Natur. Es war an der Zeit, den Kontinent wiederaufzubauen. Deutschland müsse nach der »völkischen Barbarei« an Europa und den Westen angebunden werden, so Kern (Hallmann, 1968, S. 367).Footnote 7 Die erste Abteilung zielte darauf ab, den Sinn der westlichen Einheit im Christentum wiederzuentdecken und in einem ökumenischen Geist zu arbeiten, die zweite darauf, die Geschichte der europäischen Völker und ihrer Beziehungen zu vertiefen (Vgl. Schulin, 2002).

2.3 Die ersten Direktoren und die Spannungen am IEG

Die Abteilungen waren von Anfang an für bestimmte Direktoren geplant. Die Abteilung für Universalgeschichte war von Fritz Kern (1884–1950) ganz auf ihn selbst zugeschnitten. Der Mediävist hatte bereits in Bonn in den 1920er Jahren ein »Institut für Universalgeschichte« der Menschheit geleitet (Vgl. Schulze, 1992, S. 24 f.). Er konnte mit der vollen Unterstützung von Raymond Schmittlein rechnen: »Fritz Kern, derzeit emeritierter Professor in Bonn, der immer ein Befürworter der französisch-deutschen Annäherung gewesen war und der emigrieren musste, um sich nicht der Disziplin der Nazis beugen zu müssen, ist eine Persönlichkeit, deren wissenschaftlicher und moralischer Rang selbst seinen Gegnern Respekt verlangt. Das große Sammelwerk Historia Mundi, dessen Edition er heute vorbereitet, wird ihn zu einer der wichtigen Persönlichkeiten in der internationalen Geschichtswissenschaft machen«Footnote 8.

Die zweite Abteilung hatte die Funktion, die Gruppe der Speyerer Historiker und die katholisch-föderalistische Komponente zu stärken. Wahrscheinlich sah Schmittlein auch dabei eine Gelegenheit, eine Berufung durchzusetzen, die ihm sehr am Herzen lag. Trotz seiner EmpfehlungenFootnote 9 war im Jahre 1946 der Münsteraner Theologe Joseph Lortz nicht von der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Mainz berufen worden – wohl wegen seines nationalsozialistischen Werdegangs zu Beginn des »Dritten Reichs«Footnote 10. Schmittlein, der im neuen Institut während der Gründungsphase freie Hand hatte, konnte nun seinen Kandidaten fördern. Darüber hinaus hatte Kern, der selbst breit zu religiösen Fragen und zur Geschichte der Frömmigkeit publiziert hatte, auch in diesem Sinne argumentiertFootnote 11. Aus wissenschaftlicher Sicht war Lortz wahrscheinlich der richtige Mann: Als Autor von Die Reformation in Deutschland hatte er zur Überwindung des traditionell negativen katholischen Lutherbildes beigetragen und den Weg für den ökumenischen Dialog geebnet.

Die beiden Direktoren wurden im April 1950 ernannt. Kern, der bereits schwer krank war, machte sich auf die Suche nach einem Mitarbeiter und rekrutierte Fritz Valjavec, ein Spezialist für südosteuropäische Geschichte, ohne sich um seinen politischen Hintergrund zu kümmern. Valjavec war ehemaliger politischer Berater der SS für südosteuropäische Fragen gewesen (Pech, 2017a, b). Im Mai 1950 teilte Kern Lortz mit, dass er Valjavec zum stellvertretenden Direktor seiner Sektion berufen habe und dass er sein Nachfolger werden solleFootnote 12. Mit Unterstützung des Kultusministeriums in Koblenz und der französischen Behörden lehnte Lortz das Verfahren kategorisch ab. Am 21. Mai – genau am Todestag von Kern – erwiderte Lortz: »Dass vollends jemand seinen eigenen Nachfolger ernenne, das gibt es nirgends in der weiten Welt. Und aus gutem Grund«Footnote 13. Kurz nach Kerns Ableben verließ Fritz Valjavec Mainz und ging mit der Editionsarbeit der Historia Mundi ans Münchener Institut für KulturforschungFootnote 14.

Mit der Genehmigung der rheinland-pfälzischen Staatssekretärin Mathilde Gantenberg übernahm Lortz die Geschäftsführung des gesamten InstitutsFootnote 15. Er fokussierte sich auf den Ausbau seiner eigenen Abteilung und beabsichtigte, der alleinige Direktor zu bleiben. Schmittlein lehnte dies ab, weil das Institut Gefahr gelaufen wäre, zur Brutstätte des Klerikalismus zu werden: « Ich selbst […] habe oft genug dem Gedanken nachgehangen, das Institut einem einzigen Direktor anzuvertrauen », schrieb er im Februar 1951 an Lortz: « Heute jedoch bin ich zu dem Schluss gekommen, dass eine solche Lösung nicht im Interesse des Instituts für Europäische Geschichte ist. Dieser alleinige Direktor könnten in der Tat nur Sie sein, und eben Sie können dies nicht werden. Durch Ihre kirchliche Bindung sowie durch ihre eigenen Forschungen würden Sie, gleich was Sie täten, dem Institut unweigerlich einen konfessionellen Anstrich geben, den es niemals haben darf […]. [Es] hat […] vielerorts den Eindruck hinterlassen, dass wir eigentlich eine klerikale Angelegenheit betreiben. Diese Meinung herrscht in amerikanischen Kreisen vor […]. Ich bitte Sie daher dringendst zu berücksichtigen, dass das Institut das, wofür es geschaffen wurde, auch darstellen muss, das heißt, ein Institut für europäische Geschichte und nicht etwa ein Institut für Religionsgeschichte mit dem kleinen Anhängsel der Universalgeschichte. Es ist folglich unerlässlich, dass wir zumindest im institutionellen Rahmen wieder ein ideelles Gleichgewicht herstellen »Footnote 16. Schmittlein kümmerte sich persönlich um die Suche eines Nachfolgers für Kern. Am 28. Mai 1951 übernahm Martin Göhring, Spezialist der französischen Sozial- und Revolutionsgeschichte an der Universität Tübingen, protestantischer Herkunft (der 1935 in die NSDAP eingetreten, ab 1942 auch Professor an der Reichsuniversität Straßburg war) die Abteilung für Universalgeschichte offiziellFootnote 17.

Schmittlein wollte eine enge Zusammenarbeit zwischen dem Institut für Europäische Geschichte und der JohannesGutenberg-UniversitätFootnote 18. Eine solche Verbindung blieb aber jahrzehntelang sehr locker – aber stärker für die Religionsabteilung als für die Universalgeschichte: nicht nur Lortz, der 1950 eine Professur für Religionsgeschichte an der Philosophischen Fakultät annahm, sondern auch Peter Manns, sein Schüler und späterer Nachfolger am IEG, war Honorarprofessor an der JGU. Heutzutage – und seit den 2010er Jahren – sind die beiden Direktorinnen bzw. Direktoren des IEG Professoren an der JGU, die beurlaubt sind, um die Direktion des IEG wahrzunehmen.

In den Jahren 1952/53 wurde die Gründung von zwei neuen Abteilungen bzw. Unterabteilungen mit ausländischen Kollegen als Direktoren besprochen: eine Erste für Kulturgeschichte und eine Zweite für Wirtschaftsgeschichte. Die Idee stammte von der französischen Kulturabteilung des französischen Hochkommissariats, mit der offiziellen Begründung, dass die Ausbreitung des IEG sein Prestige und seine Internationalität erhöhen würdeFootnote 19. Es gab aber auch andere Gründe: Henri Spitzmuller, der Nachfolger von Raymond Schmittlein bei der Direction générale des Affaires culturelles (DGAC) ab 1952, beabsichtigte „einen französischen Wissenschaftler im Institut zu installieren […], der französischen Geschichtswissenschaft eine privilegierte Stellung in einer von uns geschaffenen Organisation zu verschaffen, in der wir durch die Schuld der derzeitigen Leitung Gefahr laufen, jede Möglichkeit einer wirksamen Aktion zu verlieren“Footnote 20. Alles deutet darauf hin, dass es darum ging, den Einfluss der Annales-Schule um Fernand Braudel jenseits des Rheins zu sichern, während die politische Geschichte die deutsche Historiographie der 1950er Jahre dominierte (Schulze, 1992, S. 16). Dieses Vorhaben stieß auf Lortz' entschiedenen Widerstand. Schließlich argumentierte er, dass die Kulturgeschichte bereits in seiner eigenen Sektion ihren Platz habe. In Wirklichkeit wollte er weder die Macht innerhalb des Instituts teilen, noch es ausländischen Kollegen ermöglichen, am Institut Fuß zu fassen (Defrance, 1992, S. 68). Die Idee einer Wirtschaftsunterabteilung hingegen fand Göhrings Zustimmung. Das Projekt scheiterte jedoch Ende 1953 hauptsächlich aus finanziellen Gründen (Defrance, 1992, S. 68).

Die Spannungen hinterließen deutliche Spuren und die Rivalität zwischen den beiden Abteilungen dauerten mehr als 20 JahreFootnote 21. Erst der Nachfolger von Göhring, Karl Otmar von Aretin, bemühte sich nach 1968 um die »Aussöhnung beider Abteilungen«, wie er sagte (Berger, 2020, S. 14)!

2.4 Einweihung und internationale Anerkennung des Instituts

Die Einweihungsfeier am 17. Januar 1953 war die große Stunde für die internationale Anerkennung des Instituts und wurde sorgfältig inszeniert. Bundespräsident Theodor Heuss nahm daran teil und verkündete damit das Interesse der jungen Bundesrepublik an der Erneuerung der Geschichtswissenschaft. Der Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz, Peter Altmeier, und mehrere ausländische Delegationen waren anwesend: die französische Wissenschaft war stark vertreten. Britische und amerikanische Mitglieder der Alliierten Kommissariate, Vertreter der Universität Wien und Leiden waren anwesend wie Delegierte aus der Universitäten Mainz und Frankfurt, aus der Rektorenkonferenz (Max Horkheimer), der Ranke-Gesellschaft Hamburg und des neuen Instituts für Zeitgeschichte in München (Helmut Krausnick)Footnote 22.

Bei dieser Gelegenheit wurde eine Gesellschaft der Freunde des Instituts für Europäische Geschichte gegründet. Ihr Ziel war die finanzielle Unterstützung des Instituts und die Verbreitung seiner Arbeiten, auch über die Fachwissenschaft hinaus. Um 1960 schlief die Gesellschaft aber wieder einFootnote 23.

3 Das Funktionieren des Instituts in den 50er Jahren

3.1 Der Haushalt des Instituts

Die Frage der Finanzierung des Instituts war das größte Problem in der Gründungsphase. Die Entscheidung für ein außeruniversitäres Institut bedeutete eine Finanzierung, die sich hauptsächlich auf ein neues Bundesland stützte, das in der unmittelbaren Nachkriegszeit mit enormen Haushaltsschwierigkeiten zu kämpfen hatte (Kißener, 2006). Den Archiven zufolge waren die rheinland-pfälzischen Behörden zunächst sehr zurückhaltendFootnote 24. Nachdem sie sich bereits 1949 verpflichtet hatten, die Kosten des Instituts während einer Übergangsphase zu tragen, und nachdem sie das Gebäude ‚Am Höfchen‘ beschlagnahmt hatten, um den Wiederaufbau des Domus universitatis abzuwartenFootnote 25, finanzierte das französische Hochkommissariat das Institut bis 1952 weiter, d. h. solange sie die Möglichkeit hatten, die Besatzungskosten für kulturelle Zwecke zu verwenden (Tab. 1).

Tab. 1 Der Haushalt des Instituts in den ersten JahrenFootnote

Diese Tabelle wurde mit unterschiedlichen Dokumenten aus den Akten MAE/La Courneuve, AC 199(1) & AC 278(1) hergestellt.

Die Amerikaner halfen erheblich bei der Einrichtung des IEG, indem sie bei der Eröffnung des Instituts am 19. April 1951 400.000 DM spendeten, die für den Wiederaufbau des Domus Universitatis bestimmt warenFootnote 27. Der US-Hochkommissar John McCloy begründete diese Schenkung auf einprägsame Weise: das Institut sei der »Entwurf eines Schuman-Planes für die Geschichtswissenschaft«Footnote 28.

Die DGAC suchte noch immer nach Möglichkeiten, das Institut weiterhin zu unterstützen. Im Sommer 1953 finanzierte sie über den Service du Livre et de la Documentation Publikationen des IEG und schenkte ihm Bücher. Vor allem aber lief die DGAC über eine Art Scheinfirma, den Verein zur Förderung des Deutsch-Französischen Kulturaustauschs. Diese Gesellschaft war von den Franzosen gegründet worden, um die Rückzahlung eines Kredits zu verbuchen, den die französischen Besatzungsbehörden dem Südwestfunk gewährt hatten. Mit der Rückzahlung finanzierte die Gesellschaft in den 1950er Jahren zahlreiche kulturelle Aktivitäten (Defrance, 1991). 1955 konnte noch das Hochkommissariat den großen Kongress „Europa Erbe und Aufgabe“ subventionieren (Gilg, 1955, S. 225–230).

3.2 Das Forschungspersonal am Institut: Mitarbeiter und Stipendiaten

Bei den Einweihungsfeierlichkeiten im Januar 1953 gewährte das Auswärtige Amt sechs Jahresstipendien für Forschungsaufenthalte junger ausländischer Historiker am IEG. Sechs Stipendien für Deutsche wurden auch vom Land Rheinland-Pfalz bereitgestellt und die BASF, das Chemieunternehmen aus Ludwigshafen, beschloss, einen französischen Stipendiaten finanziell zu fördern. Die niederländische Regierung bot an, einen Stipendiaten ihres Landes zu unterstützenFootnote 29. 1955 traf der französische Botschafter André François-Poncet eine ähnliche EntscheidungFootnote 30.

Zwischen 1957 und 1976 wurde das Institut von der Gemeinschaft der Länder gefördert, bevor es wieder in die alleinige Finanzierung des Landes Rheinland-Pfalz überging (Scharf, 1988, S. 74). Der Bund finanzierte weiterhin Stipendien. Erst im Jahre 2012, mit der Eingliederung in die Leibniz-Gemeinschaft, verbesserte sich die finanzielle Lage des IEG erheblich. Bis zur Schwelle des neuen Millenniums (1995 bzw. 2008) wurden die Direktoren nicht vom Etat des IEG finanziert. Sie leiteten das Institut jahrzehntelang als aktive oder bereits pensionierte Universitätsprofessoren (Berger, 2020, S. 4).

Von 1951 bis mindestens 1953 arbeitete jede Sektion mit einem Leiter, zwei Assistenten, einer Sekretärin und Stipendiaten (Ende der 1980er Jahren hatte jede Abteilung drei wissenschaftliche Mitarbeiter und einen Bibliothekar zur Verfügung) (Scharf, 1988, S. 74). Mit dem endgültigen Einzug des IEG in das Domus Universitatis stieg die Zahl der Stipendiaten anFootnote 31. Als Stipendiaten wurden nur Kandidaten mit abgeschlossener Hochschulbildung angenommen und das einjährige Stipendium konnte verlängert werden. Die Aufnahme der Stipendiaten (Doktoranden und auch Postdoktoranden) aus vielen Ländern verlieh dem Institut Internationalität. Bis 1955 kamen 14 ausländische Stipendiaten aus Amerika und Westeuropa. Im Jahre 1953 wurde zum ersten Mal eine Stipendiatin vom IEG gefördertFootnote 32.

Seit den 1960er-Jahren war das IEG für Wissenschaftler aus dem »Ostblock« ein »Fenster zum Westen« (Berger, 2020, S. 2) (erster Stipendiat aus der Tschechoslowakei im Jahre 1963 und aus Polen im Jahre 1965). 1973 initiierte der Direktor der Universalabteilung Karl Otmar Freiherr von Aretin für den Verband der Historiker Deutschlands mehrere Treffen westdeutscher und sowjetischer Historiker (bis 1981) und das Stipendienprogramm des IEG profitierte davon (Scharf, 2015, S. 102 f.). Bis 1990 waren etwa 570 jüngere Forscher in Mainz (Berger, 2020, S. 38). Im Jahre 2000 hatte das IEG über 820 Nachwuchswissenschaftler aus fast 50 Staaten gefördert (Berger, 2006).

3.3 Die Bibliothek des Instituts

Die Einrichtung der Bibliothek war eine der komplexesten Fragen der unmittelbaren Nachkriegszeit. Wieder einmal hatte jede Abteilung ihre eigene Bibliothek und in den ersten beiden Jahren investierte Lortz nur in den Ausbau „seiner“ Bibliothek. 1951 zählte die Universalabteilung mit circa 1000 Büchern fünfmal weniger Bände als die Religionsabteilung. Göhring wurde von den französischen Behörden stark unterstützt und bekam sämtliche französische Erscheinungen über moderne und Zeit-Geschichte. Beim US Department of State bat er auch 1951 um Unterstützung mit Publikationen über die US-GeschichteFootnote 33. Für Göhring war der Ausbau der Bibliothek der Universalabteilung das Hauptproblem und er gab der modernen Geschichte und der Zeitgeschichte PrioritätFootnote 34. Heutzutage umfasst die gesamte Bibliothek des Instituts ca. 90.000 gedruckte Titel und ca. 900.000 elektronische Lizenzexemplare Literatur zur Geschichte Europas seit der Mitte des 15. Jahrhunderts. Dank seiner umfassenden Bibliothek und auch seiner räumlichen Nähe zum Bundesarchiv in Koblenz wurde das IEG sehr attraktiv für Nachwuchswissenschaftler.

3.4 Die wissenschaftliche Produktion des IEG

Wie der Historiker Joachim Berger unterstreicht, „hat sich mit Kerns Tod das universale Programm des IEG erledigt, ‚Menschheitsgeschichte‘ mit ‚ökumenischen Forschungen‘ zu verbinden“ (Berger, 2006). Die beiden Abteilungen konzentrierten sich fortan auf die politische Geschichte Europas für die Eine und auf die Reformationsgeschichte für die Andere.

Die Produktion des Instituts bestand aus den Forschungen und Publikationen seiner wenigen Mitarbeiter und seiner Stipendiaten. Beide hatten die Möglichkeit, ihre individuellen Arbeiten in der 1952 gegründeten Reihe des Instituts (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte, zuerst Philipp von Zabern, dann Steiner Verlag) zu veröffentlichen. Im Jahre 1987 gab es 130 Monographien und Sammelbände in der Reihe (77 in der Abteilung für Religionsgeschichte; 53 in der Abteilung für Universalgeschichte). Im Jahre 2000 waren es 225 (Scharf, 1988; Berger, 2006, S. 203).

Das Institut hat sein wissenschaftliches Profil vor allem durch die regelmäßige Organisation von Veranstaltungen geschärft, die jeweils von einer Sektion betreut wurden (Institut für Europäische Geschichte Mainz 1950–2000, 2000; Schnettger, 2003). In den 1950er Jahren haben die Kongresse die wissenschaftliche Legitimität des Instituts konsolidiert. Im November 1953 fand die internationale Tagung zu Bernhard von Clairvaux statt, den Lortz als einen « großen Europäer, der das Abendland aufgebaut habe » darstellte (Defrance, 1992, S. 71). Noch im Jahre 1951 organisierte Göhring zwei deutsch-französische Konferenzen über die Erneuerung des Geschichtsunterrichts. Sie führten zur Veröffentlichung von Empfehlungen für den Geschichtsunterricht (Bruley, 1953). Es handelte sich um eine Fortsetzung der Speyerer Historikertreffen der vorangegangenen Jahre. Dennoch überließ die Abteilung für Universalgeschichte nach 1951 die Frage der Lehrbücher dem darauf spezialisierten Braunschweiger Schulbuchinstitut von Georg Eckert (Defrance & Pfeil, 2017; Vgl. Faure, 2015; Vgl. Riemenschneider, 1998; Bauvois-Cauchepin, 2002) und widmete sich intensiver der Forschungsförderung.

Die Abteilung für Universalgeschichte fokussierte sich zuerst auf die politische Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts. 1955 fand der Kongress „Europa – Erbe und Aufgabe“ in Mainz mit über 300 Teilnehmern aus ganz Europa und den Vereinigten Staaten am Kurfürstlichen Schloss statt. Die Historiker versuchten, das „Wesen Europas“ zu definieren (Christentum, Humanismus, Aufklärung…) mit dem Ziel, den Nationalismus zu überwinden. Das Thema Europa spiegelte die Gegensätze innerhalb des Instituts wider. Göhring plädierte für die « Freiheit » und den Anschluss der Bundesrepublik an die westliche Welt mit den USA. Lortz reagierte mit der Vortragsreihe »Europa und das Christentum« – weil er den Individualismus und die Freiheitsgedanken im Westen sowie den Kommunismus im Osten anprangerte (Berger, 2020).

Wenn die Abteilung für Universalgeschichte sich in den 1950er Jahren auf die Geschichte des Nationalsozialismus und des Zweiten Weltkrieges konzentrierte, wurden die Forschungen in den 1960er Jahren über die Zwischenkriegszeit und den Ersten Weltkrieg ausgedehnt. In den 1970er und 1980er Jahren beschäftigte man sich auch erstmalig mit der Nachkriegszeit, eine Orientierung, die nach 1989/90 und durch den Zugriff auf die Archive der DDR und UdSSR verstärkt und zeitlich fortgesetzt wurde (Berger, 2020).

4 Zusammenfassung

« Die Gründung des IEG kann als Reaktion auf die „deutsche Katastrophe“ verstanden werden », wie der französische Historiker Fabien Théofilakis schrieb (Théofilakis, 2023, S. 326–327). Seine Gründung – eine Koproduktion zwischen deutschen Historikern und der französischen Besatzungsmacht – mit der Unterstützung des amerikanischen Hochkommissariats lässt sich nur aus der Situation Westdeutschlands in der unmittelbaren Nachkriegszeit erklären. Das Institut konnte sich aber rasch dank der finanziellen Unterstützung vom Land aus der Bevormundung der Franzosen emanzipieren – insbesondere nach der Rückkehr von Schmittlein nach Frankreich im Jahre 1951 (er wurde als gaullistischer Abgeordnete des Territoire de Belfort gewählt)Footnote 35. Es war sogar eine strategische Notwendigkeit in den 1950er Jahren, diese politische Autonomie durchzusetzen, um eine stärkere wissenschaftliche Legitimität zu erwerben. Das Institut konnte sich nun schnell dank seiner Veranstaltungen und Produktionen einen guten wissenschaftlichen Ruf sichern, aber die in den Jahren 1949/50 von Kern angestrebte innere Einheit des Instituts – Universalität und Christentum in Europa – wurde verpasst: Bis zur Eingliederung in die Leibniz-Gemeinschaft war das Institut ein Nebeneinander von zwei Abteilungen, die jede ihre eigene Wissenschaftspolitik führten. Ab den 1970er Jahren handelte es sich um eine entspanntere Koexistenz mit einigen gemeinsamen Veranstaltungen (die Jubiläen des IEG z. B.), aber in den 20 ersten Lebensjahren des Instituts gab es eine frontale Konkurrenz (für Kredite, Ausstattung, Prestige…) und eine Ablehnung der Kooperation im wissenschaftlichen Bereich. Die Stipendiaten, die oft miteinander im Wohnheim des IEG gelebt hatten, waren die einzige Brücke zu den verfeindeten Direktoren Josef Lortz und Martin Göhring, und so war es kein Zufall, dass sich die Lage erheblich verbesserte, als zwei ehemalige Stipendiaten – Karl Otmar Freiherr von Aretin und Peter Manns – wissenschaftliche Mitarbeiter bzw. Direktoren der beiden Abteilungen wurdenFootnote 36. Die Mischung aus deutschen und ausländischen Stipendiaten hat eine große Rolle gespielt, nicht nur um die Internationalität des Instituts zu fördern, sondern auch um die ursprünglichen Konflikte zu überwinden und den wissenschaftlichen Austausch zu bereichern.

Der Kalte Krieg beschleunigte nicht nur die Westintegration der Bundesrepublik, sondern auch die der bundesdeutschen Geschichtswissenschaft in die „Ökumene der Historiker“. Das Institut hat zudem versucht, in diesem Kontext eine Rolle als Brücke zwischen den Blöcken zu spielen und hat auf der wissenschaftlichen Ebene seine „Ostpolitik“ betrieben. Nach 1990/1992 hatte erneut das Institut eine wichtige Aufgabe: Europa neu zu denken.

Von Anfang an bot die europäische Geschichte die Chance, den traditionellen Rahmen der nationalen Geschichte zu durchbrechen. Sie rechtfertigte die Struktur des Instituts mit seinen beiden Abteilungen, die heutzutage noch existieren (seit 2019 erweitert um einen Bereich für Digitale historische Forschung). Europa – Europa transnational – Europa in der Globalgeschichte ist nun das Forschungsobjekt des Instituts.

Die Integration in die Leibniz-Gemeinschaft hat den inneren Integrationsprozess des Instituts gefördert, durch verstärkte administrative und wissenschaftliche Zusammenarbeit zwischen den beiden Abteilungen sowie die Auswahl der Stipendiaten oder die Durchführung des Forschungskolloquien. Das Institut hat mit bestimmten Großprojekten sein Profil geschärft: es handelt sich z. B. um das Projekt « Geschichte online », eine Enzyklopädie transkultureller Geschichte Europas von 1450 bis 1950 oder um den Digitalen Atlas zur Geschichte Europas seit 1500. Die Kooperation mit der JGU wurde auch vertieft. Mit Konferenzen, Veröffentlichungen (immer mehr im Open Access) und Ausstellungen (wie die online Ausstellung über seine eigene Geschichte) versucht auch das IEG sich an ein breiteres Publikum zu wenden. Die Aufnahme in die Leibniz-Gemeinschaft im Jahre 2012 hat dem Institut eine noch größere wissenschaftliche Anerkennung gegeben und auch einen neuen Elan: Nun profitiert es von einer gut dotierten Finanzierung von Bund und Ländern, verfügt über ein breiteres und internationaleres Mitarbeiterteam, ist in vielen europäischen und internationalen Projekten involviert und empfängt weiter Doktoranden und Postdoktoranden aus der ganzen Welt.