1 Einleitung

„Ich werde nie den Blitzschlag und die von mir empfundene Schande vergessen, als ich einige Zeit nach dem Krieg vom Tod und von den besonders grausamen Umständen bei der Ermordung des großen Gelehrten und französischen Patrioten erfuhr, der Marc Bloch war“. Mit Bedacht hatte Paul Egon Hübinger diese Worte anlässlich der feierlichen Eröffnung der Deutschen Historischen Forschungsstelle (DHFS) in Paris am 21. November 1958 gewählt. Er wusste zum einen, dass sich die deutsche Historikerschaft nach 1945 zu viel Zeit gelassen hatte, um der Ermordung von Marc Bloch (1886–1944) durch die deutschen Besatzer angemessen zu gedenken, zum anderen konnte die Einweihungsfeier kein Moment für historische Schlussstriche sein, hatte die Forschungsstelle doch eine Vorgeschichte.

1881 öffneten die Vatikanischen Archive in Rom, was verschiedene europäische Länder bewog, historische Institute in der ewigen Stadt zu gründen, u. a. Österreich sofort 1881, Preußen 1888. Aufgabe war die Erschließung und Publikation der Papsturkunden, die auch auf Frankreich ausgedehnt werden sollte. Der Versuch zur Gründung eines Deutschen Historischen Instituts in der französischen Hauptstadt in den Jahren 1902/03 scheiterte jedoch, nicht zuletzt an der deutsch-französischen „Erbfeindschaft“. Eine neue Initiative erfolgte während des Zweiten Weltkriegs (1941–43), doch wurde diese durch die Kriegswirren abgebrochen. Viele Pariser Intellektuelle hatten jedoch noch das Deutsche Institut in Erinnerung, das, 1940 als kulturpolitisches Propagandainstrument eingerichtet, ein Ort der intellektuellen Kollaboration gewesen war (Vgl. Michels, 1993). Nicht zu vergessen ist zudem, dass unter den Anwesenden bei der Einweihungszeremonie französische Historiker waren, die die Gewalt des NS-Regimes am eigenen Leib erfahren hatten. Zu ihnen gehörte der Mediävist Robert Fawtier, der als Widerstandskämpfer mehrfach festgenommen, gefoltert und schließlich nach Mauthausen deportiert worden war, wo er dem Tod nur knapp entrinnen konnte. Zum 25-jährigen Jubiläum des DHI Paris 1983 erinnerte sich Hübinger an die spontane Reaktion von Fawtier, der nach seiner Ansprache „tief bewegt auf mich zugegangen ist und mir dankte, indem er hinzusetzte ‚Vous savez, ce qui m’est arrivé‘. Ich drückte ihm die Hand – wir verstanden uns vollkommen […]“Footnote 1.

Die Eröffnung der Forschungsstelle war der Abschluss eines mehrjährigen Prozesses, bei dem der Erfolg des Projekts regelmäßig am seidenen Faden gehangen hatte. Den Anfang machte im Sommer 1952 der Mediävist Eugen Ewig, der Bundeskanzler Konrad Adenauer mit Blick auf das geplante deutsch-französische Kulturabkommen den Vorschlag unterbreitete, in Paris eine kleine Struktur für die Ausbildung junger Historiker in einem europäischen Geist zu schaffen: „Denn die Kernfrage der europäischen Zukunft ist das deutsch-französische Verhältnis, das hier von den Grundlagen, dem politisch völlig neutralen Boden der mittelalterlichen Geschichtsforschung her, revidiert und zugleich vertieft werden könnte“Footnote 2. Ewig weihte darüber hinaus den französischen Außenminister Robert Schuman in seine Pläne ein. Beide kannten sich, hatte Ewig doch als Leiter des Staatsarchivs in Metz während des Zweiten Weltkrieges die privaten Papiere von Schuman vor der Gestapo versteckt (Vgl. Pfeil & Ewig, 2007).

2 Forschungsstelle auf „universitärer Basis“

Als Anfang der 1950er Jahre die Idee zur Gründung eines DHFS wiederbelebt wurde, konnten sich die Initiatoren bereits auf neue institutionalisierte Strukturen in den deutsch-französischen Historikerbeziehungen stützen, die dazu beigetragen hatten, langjährige Ressentiments abzubauen. Ausdruck für den Willen zur Verständigung waren die von Raymond Schmittlein, Leiter der Direction des Affaires culturelles der französischen Militärregierung in Baden-BadenFootnote 3, initiierten Internationalen Historikertreffen in Speyer zwischen 1948Footnote 4 und 1950, die im Zeichen einer schwärmerischen Europabegeisterung nationale Antagonismen überwinden wollten und maßgeblich zur Rückkehr der (west-)deutschen Historiker in den Kreis der internationalen Historikerzunft beitrugenFootnote 5. Als die große Mehrheit der Deutschen und Franzosen noch damit beschäftigt war, sich in der Nachkriegszeit ein neues Leben aufzubauen und „alle Energien auf die Zukunft gerichtet waren“ (Assmann, 2006, S. 98), verfolgte diese „Institution von eigenartig privatem oder zumindest nur unauffällig offiziellem Charakter“ das Ziel, die nationalen Geschichtsschreibungen und Schulgeschichtsbücher einer intensiven Überprüfung zu unterziehen, um die unterschiedlichen Geschichtsbilder zu überprüfen, einander anzugleichen und über diesen Weg einen vielschichtigen Umerziehungs- und Annäherungsprozess zwischen ehemaligen Kriegsgegnern auf zivilgesellschaftlicher Ebene einzuleiten (Cornelissen, 2001, S. 240 ff.). Zusammentreffen dieser Art gelten noch heute nach neuesten Erkenntnissen der historischen Friedensforschung als Mittel der Konfliktminderung, weil „allein die offene Auseinandersetzung zwischen den Historikern, noch mehr natürlich deren Darstellung in geeigneten schulischen Materialien, bereits ein erheblicher friedenspraktischer bzw. -pädagogischer Fortschritt“ ist (Ropers, 2000, S. 231). So erwuchs aus den Gesprächen in Speyer bei deutschen und französischen Historikern und Geschichtslehrern der Wille, „den Faden des Dialogs über die Grenzen hinweg neu zu spinnen“ (Riemenschneider, 1991, S. 142).

Die deutschen Historiker wussten um die Bereitschaft der Franzosen, gemeinsame Projekte auf dem Feld der Geschichtswissenschaft zu fördern. Vor den fachlichen Gesichtspunkten standen jedoch weiterhin die „politisch-psychologischen“, wie sie Eugen Ewig in einer Notiz für Konrad Adenauer im Sommer 1952 nannte: „Von den gemeinsamen Grundlagen der Geschichte beider Völker her ist der Kontakt am leichtesten zu finden und gegebenenfalls ein gemeinsames Geschichtsbild am besten zu erarbeiten. Die nationale Empfindlichkeit kann durch eine solche Arbeit nicht erregt werden“Footnote 6. Wie prägend die Speyerer Gespräche auch bei den ersten Ansätzen zur Gründung der DHFS wirkten, unterstreichen die weiteren Ausführungen von Ewig:

„Es besteht die Möglichkeit, mit bescheidenen Mitteln in kurzer Zeit wissenschaftliche Ergebnisse vorzulegen, die die Fachwelt aufhorchen ließen, und zugleich eine Schule junger Historiker zu gründen, die schon durch ihre Ausbildung zum europäischen Denken erzogen würden. Denn die Kernfrage der europäischen Zukunft ist das deutsch-französische Verhältnis, das hier von den Grundlagen, dem politisch völlig neutralen Boden der mittelalterlichen Geschichtsforschung her, revidiert und zugleich vertieft werden könnte.“

Eugen Ewig blieb in diesen Monaten hartnäckig und verlor das Projekt nicht aus den Augen. Im Frühjahr 1953 präzisierte er erneut seine Pläne und schlug ein „zweiseitiges Projekt“ sowie „die Bildung eines Teams mittelalterlicher Historiker“ vor, um sowohl in Frankreich ein deutsches und in der Bundesrepublik ein französisches historisches Institut zu gründen. Selbst aus heutiger Sicht erscheint es visionär, dass Ewig bereits 1953 eine integrierte Form der Zusammenarbeit anstrebte:

„Die beiderseitigen Forschungsstellen würden unter der Aufsicht je eines Beirats von Ordinarien beider Länder arbeiten, die an dem Projekt persönlich oder amtlich interessiert wären […]. Die Beiräte müßten das Programm für die Forschungsstellen entwerfen und in regelmäßigen Abständen zusammentreten. Eine Fusionierung zu einem regelrechten Team wäre ins Auge zu fassen“Footnote 7.

Zugleich wandte sich Ewig im Mai 1953 brieflich an den französischen Außenminister Robert Schuman, „um ihn über das Projekt zu orientieren“. Von bundesdeutscher Seite war für den Moment jedoch wenig politische Unterstützung zu erwarten, standen am 6. September 1953 doch Bundestagswahlen anFootnote 8.

Ewig wusste jedoch, dass die Gründung von Kultur- und Wissenschaftsinstituten ein Thema bei den laufenden Verhandlungen über ein deutsch-französisches Kulturabkommen war, sodass es ihm darum gehen musste, eine historische Forschungsstelle im Vertragstext zu fixierenFootnote 9. Wie Rudolf Salat, Leiter der Kulturabteilung im Auswärtigen Amt, Ewig jedoch mitteilte, war an eine solche Regelung nicht zu denken:

„Für heute möchte ich Ihnen aber schon mitteilen, daß in dem beinahe fertiggestellten Entwurf des deutsch-französischen Kulturabkommens die wissenschaftliche Zusammenarbeit beider Länder ausdrücklich vorgesehen ist. Ganz konkrete Projekte können aber in das Kulturabkommen nicht aufgenommen werden, da sich dieses auf eine Reihe allgemeiner Grundsätze beschränken muß“Footnote 10.

Darüber hinaus geriet Eugen Ewigs Projekt in die Mühlen der Ministerialbürokratie und drohte schon im Anfangsstadium zu scheitern. Erst als Adenauer im November 1954 Mittel für wissenschaftliche Forschung aus seinem eigenen Haus in Aussicht stellte, kam Bewegung in die Sache. Als im Kanzleramt die eingegangenen Projektanträge im Dezember 1954 zwischen Ministerialbeamten und Historikern diskutiert wurdenFootnote 11, herrschte Einigkeit unter den Teilnehmern, die vom Bundeskanzler in Aussicht gestellten Mittel nicht für die eingereichten Projekte zu verwenden, sondern eher einen „lang gehegten Wunsch der deutschen Historiker“Footnote 12 zu erfüllen: eine Deutsche Historische Forschungsstation in ParisFootnote 13.

Der Mediävist Paul Egon Hübinger, Ministerialdirektor für kulturelle Angelegenheiten im Bundesministerium des Innern, wurde nun zur Schlüsselfigur: Er spann die Fäden und spielte seinem Bonner Studienkollegen und Freund Ewig die Bälle zu. Dieser brach im Februar 1956 nach Paris aufFootnote 14 und reiste ab Metz gemeinsam mit Robert Schuman, dem er das Projekt während der Zugreise ausführlich präsentierte. In der französischen Hauptstadt traf er mit 30 führenden Persönlichkeiten des kulturellen Lebens aus den verschiedenen Universitäten und Grandes écoles zusammentraf, unter ihnen auch der ehemalige französische Hochkommissar in Deutschland, André François-Poncet. „Kein Gesprächspartner hat irgendeinen Einwand gegen die Errichtung einer deutschen Forschungsstelle erhoben“, so Ewigs erste Schlussfolgerung, doch formulierten die französischen Historiker vor dem Hintergrund der Erfahrungen mit dem „Deutschen Institut“ während der „Occupation“ (Michels, 1993; Hausmann, 2001) eine Grundbedingung: sie sollte „sur base universitaire“ eingerichtet werdenFootnote 15, um eine politische Zweckbestimmung zu vermeiden.

Nach ihrer Gründung kamen die benötigten Mittel zwar aus dem Bonner Bundesinnenministerium, offizieller Träger war jedoch die am 2. April 1957 in Mainz gegründete „Wissenschaftliche Kommission zur Erforschung der Geschichte der deutsch-französischen Beziehungen“, eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts, die nach der Eröffnung die Funktion eines wissenschaftlichen Beirats übernahm und in den folgenden Jahren bei der Besetzung der Direktoren und der Mitarbeiter die entscheidende Instanz war. Von französischer Seite wurde „das Centre Allemand de Recherches Historiques“ als „Association étrangère“ anerkanntFootnote 16.

Ewig wusste, dass es bei seiner Parisreise nicht alleine um die Eröffnung einer wissenschaftlichen Einrichtung ging, sondern genauso um die deutsch-französische Verständigung: „Sie [die Aussagen der französischen Historiker] zeigen aber auch, dass die Forschungsstelle eine Brücke zu den französischen Kreisen werden kann, die Deutschland bis heute noch reserviert gegenüberstehen“. Da nun auch die Bonner Diplomaten keine Einwände mehr hatten, war der Durchbruch geschafft.

3 Ein Ort wissenschaftlicher Forschung

3.1 Projekte

Gemäß ihrem eigenen Selbstverständnis lag die wissenschaftliche Priorität der Deutschen Historischen Forschungsstelle auf der Erforschung der deutsch-französischen Beziehungen im Gesamtbereich der mittelalterlichen und neueren Geschichte in politischer, wirtschaftlicher, sozialer, kultureller und geistiger Hinsicht. Diese Aufgabe hatte nicht allein wissenschaftliche Zwecke, sondern sollte auch der Verständigung und Annäherung zwischen Deutschen und Franzosen dienen, „weil so ein vertieftes Verständnis der Voraussetzungen deutsch-französischer Beziehungen erreicht und die Überwindung alter Vorurteile gefördert werden kann“ (Paravicini, 1994, S. 72). Es war jedoch in dieser formativen Phase schwierig, sich ein eigenes Forschungsprofil zu verschaffen. Beide von der Kommission eingestellten „Assistenten“ (Hermann Weber und Rolf Sprandel) arbeiteten im Rahmen ihrer jeweiligen Habilitationsprojekte zu Themen, die sie bereits vor ihrem Eintritt in die Forschungsstelle begonnen hatten. Problematisch war in den folgenden Jahren zudem, dass die Mitarbeiter nach Ablauf ihrer Zeitverträge – bisweilen auch schon vorher, wenn sie attraktivere Stellen bekamen – das DHI verließen und damit Projekte unvollendet blieben, in die bisweilen beachtliche Ressourcen investiert worden waren.

3.2 Zeitschrift

Im Jahre 1961 wurden die zunächst vom Anton Hiersemann-Verlag herausgegebenen „Pariser Historischen Studien“ (PHS) als hauseigene Buchreihe begründet:

„Finanziell würde diese erste Veröffentlichung keine Belastung darstellen, da sie als Habilitationsschrift von der Deutschen Forschungsgemeinschaft finanziert wird. Diese Reihe könnte so gedacht sein, daß sie in erster Linie natürlich Arbeiten aufnimmt, die im Institut entstanden sind, dann aber auch solche, die thematisch im Zusammenhang stehen mit der Zielsetzung des Instituts“Footnote 17.

Über den Titel dieser neuen Reihe gab es anfänglich Diskussionen zwischen den Kommissionsmitgliedern; schließlich traf aber die folgende Einschätzung von Herbert Grundmann die Mehrheitsmeinung: „Den heute bei mir eingetroffenen Vorschlag der Mitarbeiter an der Pariser Forschungsstelle für den Titel ihrer SchriftenreiheFootnote 18 finde ich gut: Pariser Historische Studien ist knapp, klar und deutlich, leicht zu zitieren und auch für Franzosen aussprechbar“Footnote 19. Über die Annahme der Manuskripte entschied die „Kommission“, doch war auch dem Verlag die Möglichkeit eingeräumt, seine Meinung zu äußernFootnote 20. Von Beginn an wollten sich die PHS nicht auf die deutsch-französischen Beziehungen beschränken, sondern immer auch den Blick auf die Geschichte Europas lenken. „Verflochtenheit“ war dabei das Stichwort, das Eugen Ewig in den Mittelpunkt seines Vorwortes für den ersten Band der Reihe stellte. Es war zudem kein Zufall, daß sich Eugen Ewig auf seine beiden Bonner Lehrer Wilhelm Levison und Ernst Robert Curtius berief, die für ihn „das Streben nach Wahrheit und geistiger Universalität“ repräsentierten.

Neue Buchreihen haben es am Anfang schwer sich zu etablieren, wie auch die PHS erleben mussten. Nachdem die beiden ersten Bände noch einen zufriedenstellenden Absatz gefunden hatten, war dies in der Folge nicht mehr der Fall, so daß Anton Hiersemann in einem Gespräch mit Hübinger Veränderungen in der inneren Struktur der Reihe einforderte. Es kam zu Zerwürfnissen über die jeweiligen Kompetenzen, sodass sich die beiden Partner trennten und die Pariser Historischen Studien ab 1969 mit Band 8 beim Röhrscheid-Verlag in Bonn erschienen.

3.3 Ein Ort der transnationalen wissenschaftlichen Begegnung in Paris

Mit der Gründung der Deutschen Historischen Forschungsstelle in Paris war ein weiterer Baustein in der bundesdeutschen Forschungslandschaft hinzugekommen, die durch die verschiedenen Neugründungen bis Ende der 1950er Jahre einen „qualitativen und quantitativen Sprung in der Entwicklung historischer Forschung“ (Schulze, 2000, S. 386) vollzogen hatte. Auch wenn die internationale Öffnung der westdeutschen Geschichtswissenschaft in den 1950er Jahren nicht zu ihren ersten Qualitäten zu rechnen ist, standen mit den Deutschen Historischen Instituten in Rom und Paris nun doch Orte der transnationalen wissenschaftlichen Begegnung zur Verfügung, die der Internationalisierung dienlich sein konnten.

Im Anschluss an ihre feierliche Einweihung begannen Ewig und seine Mitarbeiter umgehend, dieser „voll aus Bundesmitteln finanzierten“Footnote 21 Einrichtung „ein eigenes Gesicht zu geben“Footnote 22 und ihre Existenz dauerhaft zu sichern. Mittelfristiges Ziel war die Umwandlung der Forschungsstelle in eine Bundesanstalt. Dabei wusste auch Eugen Ewig, dass andere deutsche Forschungsinstitute im Ausland nur in beschränktem Maß als Vorbild dienen konnten, „da die Forschungsstelle sich in Anpassung an die besonderen Verhältnisse der Pariser Umwelt entfalten muß“. Unterstützung fanden die Historiker beim BMI, das der „Kommission“ einen Weg wies, um die DHFS als permanente Institution in Paris auch finanziell abzusichern:

„Unabhängig hiervon würde ich aber meinen, daß zunächst versucht werden sollte, die Forschungsstelle im bisherigen personellen und räumlichen Umfang im Bundeshaushalt in einer festeren Form zu etatisieren. Bei einem solchen Vorgehen würde eine Grundlage geschaffen, auf der sich später Erweiterungen personeller und räumlicher Art und auch Verbesserungen der sonstigen Ausstattung der Forschungsstelle voraussichtlich leichter erreichen lassen werden“Footnote 23.

Es galt nunmehr Schritt für Schritt vollendete Tatsachen zu schaffen. Zu ihnen gehörte die Ausweitung der Räumlichkeiten, die sich angesichts der sich ausdehnenden Bibliothek schnell als zu klein erwiesen. Nachdem sich das Ministerium anfangs dagegen gewehrt hatte, ein weiteres Stockwerk in der 5, rue du Havre zu erwerben, konnte es schließlich von der Notwendigkeit eines solchen Schritts überzeugt werden. Die Verhandlungen mit den Besitzern führten schnell zu einem glücklichen Ende, sodass am 28. Dezember 1960 die weitere Etage gekauft wurde. Mit dem kurz darauf erfolgten Einzug in die neuen Räume konnte nun auch an die Einstellung neuer Mitarbeiter gedacht werden. Trotz der Erweiterung blieben die Verhältnisse jedoch beengt. Das änderte sich auch nicht, als Hermann Weber mit seiner Familie Anfang 1965 seine sich in der 4. Etage befindliche Dienstwohnung verließ, um die Räume dem Institut zu überlassen. Platznot blieb ein Charakteristikum der ersten Jahre.

Charakteristisch für den Prozess der Verstetigung des Instituts blieb ein permanentes hin und her zwischen der DHFS, der Politik und der Diplomatie. So sah sich Eugen Ewig im April 1964 nochmals veranlasst, in Form einer Denkschrift die besondere Bedeutung der Forschungsstelle für die deutsch-französischen Beziehungen zu unterstreichen:

„Wenn die Forschungsstelle fortbestehen soll, die sich nicht nur wissenschaftlich entfaltet, sondern durch Schaffung eines engen Kontakts unter den Historikern beider Nationen indirekt auch eine politische Bedeutung gewonnen hat, ist die Umwandlung in ein Bundesinstitut unumgänglich. Die Kommission hat daher einen entsprechenden Antrag beim Bundesinnenministerium im vergangenen Jahr gestellt. Der Untergang oder die Stagnation der Forschungsstelle würde nicht nur der historischen Forschung zum Nachteil gereichen, sondern auch in der Fachwelt französischer Sprache äußerst befremdlich wirken“Footnote 24.

Der Durchbruch war schließlich geschafft, sodass Eugen Ewig am 8. Juni 1964 Hermann Weber mitteilen konnte, dass die „Umwandlung der Forschungsstelle in ein Institut“ genehmigt seiFootnote 25. Dieser Beschluss wurde durch den Organisationserlass des Bundesforschungsministeriums vom 20. Juni 1964 zur Umwandlung der Forschungsstelle in eine unselbständige Bundesanstalt im Geschäftsbereich des Bundesministers für wissenschaftliche Forschung (Kapitel 3112) vom 1. Juli an rechtskräftigFootnote 26, sodass das DHIP nun seinem „großen Vorbild“ (Werner, 1973, S. 17), dem Schwesterinstitut in Rom, gleichgestellt war. Die französische Regierung wurde umgehend von diesen Veränderungen unterrichtetFootnote 27: „Hierdurch soll die kontinuierliche Weiterführung der Arbeiten und die Übernahme neuer Aufgaben im Sinne des deutsch-französischen Vertrages vom 22. Januar 1963 sichergestellt werden“Footnote 28.

Auch jetzt sollte der bisherige Weg nicht verlassen werden, sodass die von französischer Seite angemahnte „base universitaire“ weiterhin Leitbild für das Institut blieb.

4 Eine Mittlerinstitution im Dienste transnationaler Wissenschaftsbeziehungen

4.1 Vorträge

Nachdem die französischen Kollegen bereits vor der offiziellen Einweihung in die Gründungsvorbereitungen einbezogen worden waren, bemühte sich die Forschungsstelle auch nach ihrer Eröffnung darum, „die Kontakte mit den französischen Kollegen sehr in den Vordergrund zu stellen“Footnote 29. Durch Vortragsveranstaltungen, Diskussionsrunden, kleinere Empfänge und Kolloquien versuchte die „Kommission“ gemeinsam interessierende Forschungsthemen zu diskutieren und „in Paris in Erscheinung“Footnote 30 zu treten. Ein erster Schritt war dabei die Einrichtung eines „Vortragszyklus“Footnote 31, für dessen Eröffnung Ewig seinen langjährigen Weggefährten Theodor Schieffer gewinnen konnte. Dieser sprach am 26. Oktober 1959 „vor den Kollegen der Pariser Hochschulen und den Direktoren der großen Archive und Bibliotheken“Footnote 32 über „Cluny und der Investiturstreit“. Dieser erste „repräsentative“ Vortrag an der DHFS fand auch das Interesse der französischen Seite („Die mittelalterlichen Historiker, die wir eingeladen hatten, waren nahezu vollständig erschienen“Footnote 33), wie Ewig an Tellenbach schrieb: „Herr [Édouard] Perroy erbat ihn für die Revue historique. Der an der Faculté de droit et des sciences économiques de Paris lehrende Jean-François Lemarigny teilte die in dieser Geste zum Ausdruck kommende Wertschätzung: „J’ai beaucoup apprécié, en octobre dernier, la belle conférence de M. Th. Schieffer. Elle était de tout premier ordre“Footnote 34. Am 28. März 1960 sprach dann Ludwig Buisson über „Exemplum et Histoire au Moyen Âge“. Beide Vorträge waren gut besucht. Dabei suchte die Forschungsstelle nicht das,grand public‘, sondern beabsichtigte auch in Zukunft, diesen Veranstaltungen „einen spezifisch wissenschaftlichen“ und keinen „allgemein bildenden Charakter“ zu verleihenFootnote 35. Die Vorträge sollten Anlaß zur Diskussion mit den französischen Kollegen geben, die nicht selten im Anschluß in ihrer Sprache einen kurzen Kommentar folgen ließen.

Die positive Reaktion durch die französischen Kollegen bewog Ewig dazu, den Jahresvortrag und ein kleineres deutsch-französisches Kolloquium zu institutionalisieren, was auch bei den französischen Kollegen auf freundliche Aufnahme“Footnote 36 stieß. Um den Zyklus der „repräsentativen Vorträge“ einzuleiten, wandte sich Ewig für 1960 an das Kommissionsmitglied Stephan Skalweit, der im Oktober in der Forschungsstelle über ein neuzeitliches Thema „Le Roi très chrétien et les protestants allemands“ sprachFootnote 37 und damit die Tradition der bis heute im Oktober abgehaltenen Jahresvorträge begründete.

4.2 Kolloquien

Bereits im Jahre 1959 begannen in der DHFS die Vorbereitungen für ein erstes deutsch-französisches Kolloquium, das den Mitarbeitern und der „Kommission“ die Gelegenheit geben sollte, möglichst schnell breite Kontakte zu den französischen Historikern aufzunehmen. Die Themenstellung sollte variieren bzw. abwechselnd aus der mittelalterlichen und neueren Geschichte ausgewählt werden, um „mit der Zeit eine deutsch-französische Zusammenarbeit auf den verschiedenen Fachgebieten“Footnote 38 zu ermöglichenFootnote 39.

Unterstützung fand die Forschungsstelle mit diesen Initiativen bei der Botschaft, doch begab sie sich dabei auf eine Gratwanderung, in diesem Fall zwischen kulturpolitischen Zwecken und wissenschaftlichen Zielen, die für die Vertreter der DHFS stets im Vordergrund blieben:

„Von seiten der Teilnehmer der Deutschen Historischen Forschungsstelle wird betont, daß auch in der publizistischen Behandlung der streng wissenschaftliche Charakter des Kolloquiums nicht infrage gestellt werden darf und der Eindruck eines Politicums oder Kulturpoliticums auf jeden Fall vermieden werden müsse“Footnote 40.

Da die Forschungsstelle aber angesichts der immer noch nicht erfolgten Institutionalisierung auf die Unterstützung durch die Botschaft angewiesen war, bedurfte es eines mehrdimensionalen Handelns, um zum einen die Diplomaten nicht zu verstimmen, zum anderen aber weiterhin das Ideal von der Freiheit der Wissenschaft aufrecht zu erhalten.

Die Saarbrücker Veranstaltung von 1961 trug sicherlich dazu bei, den Gedankenaustausch zwischen westdeutschen und französischen Historikern in den folgenden Jahren unbefangener zu gestalten:

„In seinem Schlußwort betonte Prof. Braudel als Sprecher der französischen Delegation, daß die seit 1914 unterbrochenen Beziehungen zwischen der deutschen und der französischen Geschichtswissenschaft erst auf dieser Tagung wieder neu geknüpft worden seien, daß das Colloquium in jeder Hinsicht einen Neuanfang bedeute“Footnote 41.

4.3 Bibliothek

Zu den ersten Aufgaben der Forschungsstelle gehörte der Aufbau einer deutschen historischen Bibliothek als Ergänzungsbücherei zu den Pariser Bibliotheken, die nicht alleine als Arbeitsgrundlage für die eigenen Mitarbeiter konzipiert war, sondern zugleich den französischen Historikern schwer erreichbare deutsche historische Literatur zugänglich machen sollte. Schwerpunkte waren dabei nicht zuletzt auf Anregung der französischen Seite Veröffentlichungen zur deutschen Landesgeschichte und deutsche historische Zeitschriften, die für die auswärtigen Leser im Leseraum ausgelegt wurden. Auf Beschluß der „Kommission“ wurde sie als Präsenzbibliothek konzipiert, was in Sonderfällen eine kurze Ausleihe nicht ausschloßFootnote 42. Mit der Profilierung eines eigenen Forschungsprogramms im Jahre 1959 hielt es die „Kommission“ nunmehr für notwendig, auch die für die Projekte erforderlichen französischen Werke anzuschaffenFootnote 43. Schnell wurde der Bestand der Bibliothek ausgebaut: Nachdem im April 1959 erst 3.500 Bände angeschafft worden waren, stieg die Zahl bis zum Februar 1963 auf 11.000Footnote 44.

Die Konsultation dieser neuen Bibliothek war für französische Historiker in den Anfangsjahren jedoch keine Selbstverständlichkeit, was wohl nicht zuletzt auch auf die wenig zentrale geographische Lage der Forschungsstelle zurückzuführen war. Dafür verzeichnete sie im Berichtsjahr 1961 regelmäßige Besuche polnischer Wissenschaftler. Doch mehr als ein bis zwei Personen „verschiedener Nationalität“ pro Tag benutzten zu dieser Zeit die sich im Aufbau befindliche Bibliothek nicht, so daß Ida Raetz, zur damaligen Zeit Sekretärin, Bibliothekarin und ›Frau für alle Fälle‹, Ewig im Juli 1962 mitteilte: „Leider hat sich mein Wunsch, an der Herstellung von Kontakten zu französischen Besuchern mitzuhelfen, wegen der recht mäßigen Frequentierung der Bibliothek nur in geringem Maße erfüllt“Footnote 45. Trotzdem wies die Besucherstatistik für 1967 646 Namen aus, darunter 140 französische Leser. 300 Titel waren für sie per Fernleihe besorgt worden, ein Zeichen für die zunehmende Aktivität der Bibliothek und eine weitere Möglichkeit, um den französischen Historikern den Zugang zur deutschen Fachliteratur zu erleichtern. Schon Marc Bloch wußte, wie er 1927 in seinem Osloer Vortrag „Pour une historire comparée des sociétés européennes“ vor dem Internationalen Historikerkongreß bekannte, den Wert des internationalen Fernleihverkehrs zu schätzen, sei dieser doch „für die Zukunft der vergleichenden Geschichtsbetrachtung hilfreicher als viele gute Ratschläge“Footnote 46.

Ein dreimal jährlich in einer Auflage von ca. 1 000 Exemplaren erscheinendes „Bulletin bibliographique“ (erstmals im Februar 1962) sollte zudem die französischen Kollegen über die Neuerwerbungen der Forschungsstelle zur deutschen Geschichte informieren und die Aufsätze in den am Institut geführten Zeitschriften in deutscher Sprache verzeichnen. Dieses Hilfsmittel zur Erschließung der deutschen historischen Literatur umfaßte in der Regel 30–40 Seiten und wurde im Jahre 1964 an über 900 Adressen in Paris und in der französischen Provinz kostenlos verschickt (Bibliotheken, Archive, Institute, Historiker und Germanisten). Bereits 1962 war die „Kommission“ zu dem Schluß gekommen, daß das Bulletin „den bisher größten Außenerfolg darstellt“Footnote 47. Zumindest gegenüber den für die Forschungsstelle entscheidenden Stellen in Bonn diente es auch politischen Zwecken: „Der Geschäftsführer und die Mitarbeiter wurden von französischen Freunden auf die Propaganda der Ostzone im historischen Sektor hingewiesen, der wir nunmehr durch das Bulletin diskret und erfolgreich begegnen“Footnote 48. Vergessen werden sollte auch nicht, daß bei der Erstellung mit Pierre Gasnault, Conservateur au Cabinet des Manuscrits de la Bibliothèque nationale, der erste französische Mitarbeiter auf Basis eines Werkvertrages gewonnen werden konnte: „Die Heranziehung von Herrn Gasnault empfiehlt sich sowohl aus sachlichen Gründen wie auch im Hinblick auf die von der Kommission angestrebte enge deutsch-französische Zusammenarbeit“Footnote 49.

5 Die Gründung des DHI Paris: ein Spiegel der deutsch-französischen Annäherung

Vor- und Frühgeschichte des DHI Paris spiegeln in vielerlei Hinsicht die Mechanismen der deutsch-französischen Annäherung nach Krieg und deutscher Besatzung wider. Auf wissenschaftlicher und politischer Ebene wurde um Vertrauen geworben, um auf neuer Grundlage über die Verständigung zur Kooperation zu gelangen. Schritt für Schritt setzte sich die Erkenntnis durch, dass eine fruchtbare wissenschaftliche Arbeit ohne Beteiligung der Partner jenseits des Rheins nicht betrieben werden kann. Über die Vertiefung der bilateralen Beziehungen waren damit die Voraussetzungen für Wissenschaftstransfer gelegt.

Die Gründung des DHI Paris war nur möglich, weil Politik und Wissenschaft eng zusammenarbeiteten. Die Forschungsstelle war ein Schritt auf dem langen Weg zu der von de Gaulle und Adenauer immer wieder beschworenen Versöhnung. Sie war einer der Kommunikationskanäle, die nach der Zäsur des Zweiten Weltkriegs auf den verschiedensten gesellschaftlichen Ebenen zwischen Frankreich und Deutschland vertrauensbildend und verständigend wirkten.