1 Einleitung

Das International Institute for Applied Systems Analysis (IIASA) ist wohl eine der bemerkenswertesten Forschungseinrichtungen, die der Kalte Krieg hervorgebracht hat. 1972 gegründet und an einem einzigen Standort in Laxenburg bei Wien beheimatet, handelt es sich dabei um eine de facto-internationale Organisation (wenn auch nicht de iure!), an der im ersten Jahrzehnt ihres Bestehens zeitgleich rund 150 Wissenschaftler aus anfänglich zwölf, bald siebzehn MitgliedsstaatenFootnote 1 beiderseits des sogenannten „Eisernen Vorhangs“ in Grundlagen- und Anwendungsforschung zu den drängendsten Problemen des Planeten zusammenarbeiteten. Die Gründung des IIASA stellt einen Höhepunkt der blockübergreifenden Wissenschaftsdiplomatie des Kalten Kriegs dar, die sich bis dahin hauptsächlich auf den Austausch von einzelnen Wissenschafter:innen, die Abhaltung gemeinsamer Konferenzen oder die Durchführung gemeinsamer Forschungsprojekte beschränkt hatte. Den Proponent:innen des IIASA gelang es, eine dauerhafte Forschungsstätte zu etablieren, an der Wissenschaftler:innen der beiden Blöcke über Jahre hinweg in interdisziplinären Teams zusammenarbeiteten und dadurch – zumindest in manchen Fällen – die vormals stark an Konkurrenz orientierten Beziehungen zugunsten wissenschaftlicher Kooperation überwanden.

Der vorliegende Beitrag setzt sich mit den historischen Hintergründen der Institutsgründung auseinander und erläutert, wie sich diese in den Organisationsaufbau, die Zusammensetzung des wissenschaftlichen Personals, die Forschungsthemen usw. übersetzte. Dabei wird eine Besonderheit herausgestrichen, nämlich der Umstand, dass im Fall des IIASA eine politische und nicht, wie sonst oft, eine wissenschaftliche Idee die treibende Kraft hinter der Organisationsgründung war. Am Beginn des IIASA steht die politische Absicht, eine Annäherung der beiden Blöcke durch Kooperation auf dem Feld der Wissenschaften zu erreichen. Dieser Umstand macht das IIASA zu einem anschaulichen Fall, der hilft nachzuvollziehen, wie sich historische (nichtwissenschaftliche) Umstände in eine Organisationsstruktur übersetzen. In einem zweiten Schritt zeigen wir exemplarisch, wie diese Organisationsstruktur die am IIASA durchgeführten Forschungen theoretisch und methodologisch definierte und prägte.

Unser Fokus auf nichtwissenschaftliche Umstände soll nicht implizieren, dass in der Ausgestaltung der Organisation nicht auch wissenschaftliche Argumente eine Rolle spielten. Unseres Erachtens aber waren sie sekundär – und aus heutiger Perspektive ist eine andere Entwicklung interessanter, nämlich dass am IIASA, ohne dass das so geplant oder vorhergesehen worden war, eine bestimmte wissenschaftstheoretische Position sich herauskristallisierte, die die am IIASA vorherrschenden Themen Umwelt, existentielle Risiken, Lösungsorientierung und Interdisziplinarität zu einem neuen Verständnis von Wissenschaft verknüpfte. Wie wir argumentieren, erforderte und förderte das IIASA aufgrund seiner spezifischen Ausrichtung und Organisationsform dieses neue Wissenschaftsverständnis und ermöglichte so einen innovativen Zugang zu jenen epistemologischen, methodologischen und wissenspolitischen Problemen, mit denen sich eine global ausgerichtete Erforschung des Planeten und seiner Bewohner:innen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts konfrontiert sah.

2 Wissenschaftsdiplomatie im Kalten Krieg

Die wissenschaftliche Vormachtstellung der USA erreichte in der Zeit des Kalten Kriegs ihren Höhepunkt, und so war es diese zugleich militärisch wie ideologisch geführte Auseinandersetzung, die auch die wissenschaftliche und kulturelle Expansion der USA entscheidend prägte (Krige, 2006; Solovey & Cravens, 2012; Solovey & Dayé, 2021). Gefördert wurde, was den Kriegsanstrengungen dienlich war. Im Bereich der Sozial- und Geisteswissenschaften war zum Beispiel der massive Ausbau interdisziplinärer Regionalstudien (area studies) an das politische Bedürfnis geknüpft, das kulturelle und sprachliche Verständnis der amerikanischen Eliten über entfernte Erdteile zu verbessern und so dem globalen Führungsanspruch der USA gerecht zu werden (Duller, 2015). Im Bereich der Technologieentwicklung setzte der wohlbekannte Wettlauf um Waffen, Industrie und Prestige (Weltraum) ein, eingebettet in die große Erzählung der Sorge um die nationale Sicherheit. Und schließlich avancierte jene Form der militärnahen Forschung, die an Think Tanks und Federal Contract Research Centers (FCRCs) wie der RAND Corporation oder dem SORO (Special Operations Research Office) betrieben wurde, als Modell jener „behavioral sciences“ (Hauptmann, 2012; Gunnell, 2013; Boncourt, 2015; Pooley, 2016), die den großen staatlichen und nicht-staatlichen (philanthropischen) Einrichtungen als besonders förderungswürdig erschienen. So prägten diese Formen der Wissenschaft die gesamte intellektuelle Entwicklung der Nachkriegszeit, und zwar nicht nur in den USA.

Neben diesen ideen- und institutionengeschichtlich wegweisenden Prozessen war die Wissenschaft im Kalten Krieg selbstverständlich auch Mittel der Diplomatie. Diplomatische Beziehungen der beiden Großmächte auch über wissenschaftliche Kontakte zu führen, erwies sich früh als eine Methode, die Annäherung ermöglichte, ohne den Kontrahenten allzu große öffentliche Gesten wechselseitiger Ehrerbietung abzuverlangen (David-Fox, 2011; Greiner et al., 2011; Luke & Kersel, 2012; Wolfe, 2018; Turchetti, 2020; Kunkel, 2021; Turchetti, 2021). Nachdem sich der Wettkampf der Systeme in der ihm eigentümlichen, symbolischen Aufgeladenheit auf die Produktion wissenschaftlichen und technologischen Fortschritts erstreckte, bestand auf beiden Seiten Interesse, die Leistungen des Kontrahenten zu kennen und die eigenen als möglichst fortgeschritten darzustellen. Sich dem wissenschaftlichen Austausch zu verweigern, hätte in diesem Zusammenhang bedeutet, sich vor dem Vergleich zu scheuen und somit die eigene Unterlegenheit einzugestehen. Wer sich für das bessere System hält, braucht sich vor den Blicken der Kontrahent:innen nicht zu fürchten.

In Verbindung mit der vorgeblichen politischen Neutralität der Wissenschaften, schuf dieses doppelte Interesse aus Feindbeobachtung und Propaganda einen Raum, in dem beide Seiten den Dialog suchten, während es ihnen gleichzeitig fast unmöglich war, auf Dialogangebote nicht zu reagieren. Aus diesem Grund erlangte der wissenschaftliche Austausch bereits bald nach Stalins Tod 1953 eine besondere Stellung, deren diplomatische Bedeutung weit über den Austausch wissenschaftlicher Ideen und Forscher:innen hinausging. Freilich traute, keine Seite dem freien Austausch der Ideen uneingeschränkt, und man nutzte die Bühne der Wissenschaften immer wieder für manchmal offene, meist versteckte Botschaften, um einander im symbolischen Kampf Wunden zuzufügen.Footnote 2 Henry L. Roberts, Historiker am Russian Research Center der Harvard University, fasste anlässlich der Unterzeichnung eines Übereinkommens über ein Austauschprogramm zwischen den USA und der Sowjetunion in einer Rede im Jänner 1958 vor Kollegen und Gästen an seinem Institut die erhofften Effekte verstärkter wissenschaftlicher Beziehungen zusammen.Footnote 3 Erstens, so Roberts, würde dadurch amerikanischen Forscher:innen, die sich für die Sowjetunion interessierten, eine Möglichkeit geboten, Land und Leute besser kennenzulernen. Dies bezieht sich also auf die Logik des Kenne-deinen-Feind, die, wie David Engerman (2009) gezeigt hat, das Leitmotiv der Etablierung der Area Studies in den USA nach Ende des Zweiten Weltkriegs war. Der Austausch im engeren Sinn, in diesem Fall also der Besuch sowjetischer Forscher:innen in den USA, wäre lediglich ein notwendiges Übel bzw. der Preis, der, wenn man so möchte, für die Eintrittskarte in den dark continent Sowjetunion zu bezahlen wäre.

Zweitens, fuhr Roberts fort, würden wissenschaftliche Beziehungen als ein Vehikel für die Normalisierung der US-amerikanisch-sowjetischen Beziehungen dienen können. Hierzu würden vor allem Konferenzen und wissenschaftliche Delegationsbesuche nützlich sein, um Kontakte und Vertrauen auf persönlicher Ebene herzustellen. Neue wissenschaftliche Einsichten, die sich aus diesen Kontakten ergeben, seien zwar ein möglicher und erwünschter Effekt, aber nur insofern von Belang, als diese im Dienst des primären Ziels stehen, nämlich die politische Annäherung zu fördern.

Schließlich wurde ein dritter Effekt des Austauschs von Wissenschafter:innen auf einer Ebene ausgemacht, die Roberts als „in-fighting“ bezeichnet, also die Austragung eines ideologischen Kampfs über Wissenschaftler:innen in einer Situation, in der eine militärische Auseinandersetzung nicht möglich ist. Roberts lässt in seinen Ausführungen keinen Zweifel, dass er es als die Aufgabe der Wissenschaftler:innen betrachtet, als „intellektuelle Waffe“ die „Kruste der Ignoranz und Propaganda“ der sowjetischen Wissenschaftlerkolleg:innen zu durchbrechen und auf diese Weise zur Erosion der kommunistischen Macht beizutragen. Die am Austausch Teilnehmenden sind laut Roberts nicht bloß als Forscher:innen und Studierende zu betrachten, sondern als „elements in the cold war.“Footnote 4

Die weitere Geschichte der Ost-West-Beziehungen auf dem Feld wissenschaftlicher Kontakte bezeugt, dass diese drei Effekte immer gleichzeitig zugegen waren, wenn auch in unterschiedlicher Intensität in unterschiedlichen Phasen und Projekten. Gerade die Entstehungsgeschichte der wissenschaftlichen Ost-West-Programme stand ganz eindeutig im Zeichen der ideologischen Kriegsführung (Duller, 2020; Düppe, 2021). Erst allmählich und in speziellen Konstellationen rückte das politische in-fighting zugunsten eines wirklich an den intellektuellen Inhalten interessierten Ideenaustausches in den Hintergrund. Das dafür nötige gegenseitige Vertrauen und der gegenseitige Respekt erreichte in der zweiten Hälfte der 1960er Jahre einen Höhepunkt. In genau diese Phase fällt die Initiative, die zur Gründung des IIASA führte. Wie keine andere Ost-West-Initiative nahm sie den Ideenaustausch ernst und verstand sich als „Fortsetzung der internationalen ‚Entspannungspolitik mit anderen Mitteln‘“ (Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung, IIASA, 1976, S. 16, zit. nach Feichtinger et al., 2022, S. 349) – wiewohl der ideologische Kampf als Motivation nie ganz wegfiel. Interessanterweise macht es den Anschein, dass der sowjetische Einmarsch in der Tschechoslowakei 1968 dieser Annäherung nur einen vorübergehenden Dämpfer zufügte und sich die Wissenschaftsbeziehungen während der 1970er Jahre kontinuierlich entfalteten und normalisierten. Da das auch bedeutete, dass der staatliche Einfluss auf diese Kontakte sukzessive geringer wurde, hielten die Wissenschaftsbeziehungen auch im deutlich feindseligeren Klima der konservativen Revolution unter Reagan und Thatcher stand. IIASA selbst steht für diese Einschätzung Pate. Die Stabilität der über die Wissenschaft etablierten Beziehungen ermöglichte es dem Institut, in den frühen 1980er Jahren zwei schwere Disruptionen zu überstehen. Ronald Reagan kündigte Ende 1981 trotz zahlreicher Proteste – darunter auch seitens des damaligen österreichischen Bundeskanzlers Bruno Kreisky (1911–1990) – die öffentliche Finanzierung durch die US-Regierung auf. In den USA übernahm fortan die American Academy of Arts and Sciences (AAAS) die zuvor von der National Academy of Sciences (NAS) gehaltene Mitgliedschaft und erwarb die dafür notwendigen Mittel aus privaten Quellen (Riska-Campbell, 2011, S. 522). Bald danach legte auch das Vereinigte Königreich seine Mitgliedschaft im IIASA zurück (Riska-Campbell, 2011, S. 521 f.), ein Schritt, der bis heute nicht revidiert wurde. Diplomatisch zeigte nicht zuletzt die Sowjetunion einiges an Flexibilität, indem sie an ihrer Zustimmung zum IIASA trotz des Wegfalls zweier so wichtiger Partner auch dann noch festhielt, als diese in den öffentlichen Legitimierungsversuchen ihrer Entscheidungen das Institut im Allgemeinen sowie einige sowjetische Akteure mit heftigen Vorwürfen attackierten.Footnote 5

3 Institutionen des Austausches

Das Netz an Institutionen, die am IIASA direkt oder indirekt beteiligt waren, ist groß und beinhaltet neben koordinierend und überwachend auftretenden staatlichen Einrichtungen eine Vielzahl an Universitäten und Forschungseinrichtungen sowie eigens eingerichteten Organisationen zur Administration der Austauschprogramme. Eine Besonderheit in diesem Zusammenhang ist auf amerikanischer Seite die herausragende Rolle, die private Stiftungen spielten. Allen voran die Ford Foundation – ab Ende der 1940er Jahre die mit Abstand reichste private Organisation der Welt – sowie einige Schwesterstiftungen wie Rockefeller oder Carnegie, fungierten hierbei als eine Art quasi-staatliche Akteure, die in den kulturellen Beziehungen mit dem kommunistischen Osteuropa Aufgaben übernahmen, die andernorts dem Staat vorbehalten waren (Gemelli, 2001a; Parmar, 2002; Guilhot, 2011; Solovey, 2013; Parmar, 2015; Jong, 2020).

Die Ford Foundation war nicht nur der mit Abstand größte nichtstaatliche Geldgeber für die Institutionalisierung der Area Studies und finanzierte etliche akademische Austauschprogramme, wie etwa das Inter-University Committee on Travel Grants (IUCTG), eines der wichtigsten Programme für den amerikanisch-sowjetischen Wissenschaftleraustausch; es betrieb auch sein eigenes, sehr einflussreiches Austauschprogramm mit verschiedenen kommunistischen geführten Ländern in Ostmittel- und Südosteuropa (Duller, 2020). Ganz allgemein tat sich die Ford Foundation als eine finanziell und politisch enorm tatkräftige Institution zur Förderung und Verbreitung moderner empirischer Sozialwissenschaften hervor.

Die Ford Foundation erlangte im Zuge ihrer Tätigkeit ein starkes eigenes diplomatisches Gewicht und wurde immer wieder bei im Zusammenhang mit den kulturellen Ost-West-Beziehungen auftretenden Konflikten vermittlerisch tätig, was von ihrem hohen Ansehen auch innerhalb der kommunistischen Machtstrukturen zeugt. Daher überrascht es nicht, dass US-Präsident Lyndon B. Johnson (1908–1973) Ende 1966 den Präsidenten der Ford Foundation und vormaligen U.S. National Security Advisor, McGeorge Bundy (1919–1996), damit beauftragte, die Möglichkeit eines neuen Ost-West-Instituts zu sondieren, woraus nach Jahren langwieriger multilateraler Verhandlungen schließlich 1972 das IIASA entstand. Die Geschichte dieser Gründung ist bereits an anderen Orten ausführlich dargestellt worden (McDonald, 1998; Gemelli, 2001b; Riska-Campbell, 2011; Schrickel, 2018). Sie soll hier also nur dahingehend rekapituliert werden, insoweit sie zum Verständnis der institutionellen Eigenheiten des Instituts dienlich ist.

4 Vom Ost-West-Institut zum IIASA

Am Anfang des IIASA stand, wie den bisherigen Ausführungen zu entnehmen ist, eine politische und keine wissenschaftliche Idee. Folgerichtig wurde die Frage, welches wissenschaftliche Programm denn diese politische Funktion am ehesten erfüllen konnte, zum dominierenden Thema der der Gründung vorausgehenden Verhandlungen. Dazu gab es, wie eine Analyse zeitgenössischer Materialien zeigt, folgende Kriterien: (1) um Stabilität einer so diffizilen Einrichtung auch in erwartbaren politischen Krisen zu gewährleisten, sollte sie nicht bilateral, sondern multilateral sein, d. h. mehrere Länder auf beiden Seiten der Ost-West-Trennung miteinschließen. (2) Der Forschungsbereich musste wichtig genug sein, dass alle Seiten ein dauerhaftes Interesse daran hatten. Das bedeutete unter anderem auch, dass die Forschung in Wissensgebieten stattfinden musste, auf denen beide Seiten voneinander lernen konnten. (3) Der Forschungsbereich durfte aber keine Bereiche tangieren, die Einfluss auf das militärisch-technologische Wettrüsten haben könnten. (4) Die politische Bedeutung der Forschung musste überdies so geartet sein, dass sie nicht auf einen ideologischen Wettstreit über das bessere System hinauslief.

„Angewandte Systemanalyse“ kann als eine Art logische Ableitung aus diesen Kriterien verstanden werden – vielleicht nicht die einzig mögliche, aber immerhin eine in der historischen Rückschau beeindruckend tragfähige. Systemanalyse ist ein Begriff, der auf amerikanischer Seite verschiedene hoch-formalisierte Prozesse des Managements in komplexen Institutionen beschrieb. Innerhalb der sowjetischen Politelite war der Systemanalyse bereits seit einiger Zeit hohe Aufmerksamkeit entgegengebracht worden (Gvishiani, 1962; Bloomfield, 1986; Levien, 2000; Light, 2003). Gleichzeitig bestand in der Sowjetunion und einigen kommunistischen Bruderstaaten eine verwandte und äußerst produktive Forschungstradition unter den Namen Kybernetik oder Kontrollwissenschaften, die ihrerseits viel Interesse auf amerikanischer Seite auf sich zog (Gerovitch, 2004). Ein amerikanischer Systemanalytiker an der RAND Corporation, Roger Levien, später zweiter und einflussreicher Direktor des IIASA (1975–81), schrieb bereits 1964 gemeinsam mit seinem Kollegen M.E. Maron einen Bericht, in dem er eine genaue Beobachtung der sowjetischen Kybernetik einforderte und sich insbesondere für den ideologischen Widerspruch zwischen der universalistischen Kybernetik und der marxistischen Staatsdoktrin interessierte, von dem er annahm, dass er zur ideologischen Erosion des sowjetischen Systems beitragen könne, wenn sich die Kybernetik weiterhin im sowjetischen Staatsapparat verbreitete (Maron & Levien, 1964). Vor diesem Hintergrund ist die zur IIASA-Mythologie gehörende These, der Begriff angewandte Systemanalyse sei vor allem deswegen als Leitbegriff gewählt worden, weil niemand wusste, was er bedeutete (Levien, 2000; Hordijk, 2007; Raiffa, 2011), cum grano salis zu nehmen. Sicherlich bot der Begriff viel Flexibilität für ein erst im Entstehen begriffenes Institut. Gleichzeitig verbarg sich dahinter aber ein Forschungsgegenstand, der den oben skizzierten Gründungsanforderungen sehr gut gerecht wurde: beide Seiten nahmen ihn ernst und wichtig, beide Seiten trauten der jeweils gegenüberliegenden gerade so viel Errungenschaften zu, dass man vom Austausch zu profitieren hoffte, ohne einen Imageverlust aufgrund allfälliger Unterlegenheit zu riskieren, und es gab keine offenkundigen ideologischen Referenzen, die politische Auseinandersetzungen mit sich gebracht hätten. Hinter diesen „kooperativen“ Elementen steckte allerdings auch das nicht unbedeutende Motiv der Feindbeobachtung. Wie Gerovitch (2009) und Riska-Campbell (2011) erörtern, war man im amerikanischen Sicherheitsapparat spätestens seit den frühen 1960er Jahren alarmiert über eine möglicherweise bevorstehende „kybernetische Revolution“ in der Sowjetunion, die die lange befürchtete Überlegenheit des sowjetischen Systems über die durch demokratische Prozesse behinderte USA besiegeln würde. Präsident Kennedy ließ daher auf Drängen der CIA ein Komitee einsetzen, das die Größenordnung dieser Gefahr einschätzen sollte. Auch wenn dieses Komitee, dem u. a. zwei spätere Nobelpreisträger für Ökonomie, Kenneth Arrow (1921–2017) und der in Moskau geborene Leonid Hurwicz (1917–2008), angehörten, die Gefahr einer solchen Revolution als geringer einstuften als die CIA, bleibt das Motiv der wissenschaftlichen Feindbeobachtung deutlich erkennbar.

Das war die methodologische Seite. Um allerdings einen realen Nutzen zu erzielen, musste zudem ein Forschungsgegenstand gefunden werden, der den oben beschriebenen Anforderungen genügte und zugleich attraktiv für Forscher:innen und breit genug war, um Grundlage eines längerfristigen Programms zu sein. Auch hier verbirgt sich große diplomatische Sorgfalt hinter der Formel, IIASA sei für die Erforschung globaler und universeller Probleme zuständig, also Probleme, mit denen sich jede industrialisierte Gesellschaft konfrontiert sieht, deren Lösung jedoch nur in internationaler Zusammenarbeit erreicht werden kann. Zu diesen zählten die virulent werdenden ökologischen Probleme der 1970er Jahre ebenso die Lagerung atomarer Abfälle oder die Nutzung transnationaler Flüsse (Schrickel, 2017; Hutter, 2018). Stärker als in der ursprünglichen Systemanalyse, wie sie an der RAND Corporation entwickelt wurde (Hounshell, 2000; Jardini, 2000), legte man bei IIASA Wert auf eine Berücksichtigung systemtheoretischer Perspektiven.

IIASA war und ist formal keine internationale Organisation, sondern eine Nichtregierungsorganisation, dessen Träger:innen (oft staatliche) wissenschaftliche Vereinigungen sind und nicht die Staaten selbst. Einer der Gründe für diese Konstruktion bestand darin, dass die sowjetische Seite auf einer Aufnahme der DDR bestand, deren staatliche Anerkennung durch die westlichen Staaten allerdings während eines Großteils der IIASA-Vorverhandlungen noch nicht im Raum stand. Die Governance-Struktur des Instituts bestand einerseits aus einem Rat, als dessen Teilnehmer sogenannte Nationale Mitgliedsorganisationen (NMO) angehörten und als dessen Vorsitzender Dzhermen Gvishiani (1928–2003) fungierte – die zentrale Figur auf sowjetischer Seite, die als Experte für westliche Managementtheorien und Schwiegersohn von Premierminister Kosygin über das nötige fachliche Wissen und kulturelles Kapital verfügte. Die NMO waren wissenschaftliche Organisationen, häufig die jeweiligen nationalen Akademien der Wissenschaften, manchmal auch eigens geschaffene Einrichtungen. Die Aufgabe des Rats war es, Verbindlichkeit seitens der finanzierenden Staaten und eine adäquate Verteilung der Ressourcen auf die jeweiligen Länder auch hinsichtlich der konkreten Forschungsprojekte sicherzustellen. Demgegenüber stand der Direktor – in der Regel ein Amerikaner –, der für die Geschäftsführung zuständig war. Die Finanzierung wurde zu jeweils einem Drittel von den USA und der Sowjetunion übernommen; das dritte Drittel wurde zwischen den übrigen Mitgliedsländern aufgeteilt. Dieser Schlüssel sollte sich ungefähr personell in den Wissenschaftlern vor Ort abbilden, wenngleich sich de facto ein Überhang zugunsten westlicher Wissenschaftler:innen einstellte. So lange detaillierte Aufzeichnungen über die Zusammensetzung der Forscher:innen veröffentlicht wurden (1973–1981), lag die Zahl der Wissenschaftler:innen aus den Warschauer Pakt-Staaten bei rund 30 %, während westliche Staaten (NATO + neutrale europäische Länder) 57 % der Forscher:innen stellten; der Rest entfällt auf verschiedene Länder Asiens (v. a. Japan) und Lateinamerikas, die gelegentlich auch aus Nichtmitgliedsländern stammten.Footnote 6 Die disziplinäre Zusammensetzung der Wissenschaftler:innen zeigt eine deutliche Dominanz einer mathematisch orientierten Ökonomik in verschiedenen Spielarten, ein solides Kontingent an Naturwissenschaftler:innen und Ökolog:innen, sowie eine kleinere aber stabile Präsenz an Sozialwissenschaftler:innen, worunter vorwiegend Soziolog:innen und Sozialanthropolog:innen gezählt wurden (s. detailliert Duller, 2016, S. 182).

Obwohl IIASA nicht zuletzt aufgrund der einmaligen Möglichkeit, in Zusammenarbeit mit Kolleg:innen von der anderen Seite des Eisernen Vorhangs zu treten, eine spezielle Attraktivität besaß, war man sich des Problems bewusst, dass die Qualität des Instituts vor allem von seiner Fähigkeit abhing, erstklassige Forscher:innen von den führenden Universitäten der Welt wenigstens für kürzere Zeit anzulocken, ohne deren wissenschaftliches Fortkommen zu behindern. So kam es, dass IIASA einerseits als Gasteinrichtung für Forschungsaufenthalte von einigen Monaten bis zu wenigen Jahren infrage kam, es daneben aber auch eine nicht geringe Zahl an Forscher:innen gab, die ganze Karrieren an diesem Ort verbrachten und so zu einem spezifischen Forschungsstil beitrugen, der stark von der internationalen und interdisziplinären Atmosphäre am IIASA geprägt war. Vernetzungen mit lokalen Forscher:innen und mit Einrichtungen in den verschiedenen Teilnehmerländern herzustellen, gehörte zu den expliziten Aufgaben jedes Forschungsprojekts, wodurch schnell erhebliche Netzwerkeffekte eintraten.

5 Ideengeschichte der internationalen angewandten Systemanalyse

Der Nachdruck, mit dem wissenschaftliche Forschung am IIASA nicht nur in den Dienst der diplomatischen Verständigung zwischen den zwei politischen Blöcken gestellt wurde, sondern auch direkt zur Lösung der vordringlichsten globalen Probleme der hochindustrialisierten Moderne beitragen sollte, hatte unbeabsichtigte Folgen. Er forcierte nämlich ein reflexives Nachdenken über das Wesen von Wissenschaft. Dies erfolgte über mehrere, begünstigende Mechanismen – Irritationen, wie wir argumentieren –, von denen wir im Folgenden drei näher beschreiben wollen. Zum Einen gab es die klare Regel, dass Forschungsprojekte am IIASA grundsätzlich in Teams zu bearbeiten waren, in denen Forscher:innen aus Ost und West vertreten waren. Die Arbeitssprache bei IIASA war Englisch. Gepaart mit dem Umstand, dass diese Teams in der Regel interdisziplinär besetzt waren, schuf das systematisch Situationen, wo der Erfolg des jeweiligen Projekts davon abhing, dass man ein gemeinsames Verständnis entwickelte. Wenn eine bestimmte Wissenskultur dominierte, war das potenziell riskant für das Gesamtprojekt. Das betraf sowohl disziplinäre wie auch politische Elemente der involvierten Wissenskulturen. Die politisch-motivierte Forderung nach Zusammenarbeit zwischen Ost und West und zwischen verschiedenen Disziplinen führte zur systematischen Irritation angelernter Selbstverständlichkeiten und förderte somit eine reflexive Haltung gegenüber dem eigenen wissenschaftlichen Tun.

Dies wurde verstärkt durch eine weitere, anders gelagerte Irritation, die sich aus dem Adjektiv „angewandt“ und den damit verbundenen Erwartungen ergibt. Am IIASA bedeutete angewandte Forschung in vielen Fällen Umsetzung vor Ort, und dies führte nicht selten zu Situationen, in denen local knowledge eine besondere Rolle zuzuschreiben war. Mit diesem Begriff wurde dem Umstand Rechnung getragen, dass die Menschen, die in den beforschten Regionen lebten, einen reichen Schatz an Erfahrungswissen über die beforschten (Natur-) Phänomene aufgebaut hatten. Freilich lag dieser nicht in den Standardformaten wissenschaftlicher Erkenntnis vor, sondern musste vielmehr im Zuge der Forschungen erschlossen und aufbereitet werden. Diese für den Erfolg der angewandten Projekte oft entscheidende Form von nicht-wissenschaftlichem Wissen aus Erfahrung in die gewohnten Forschungsverfahren zu integrieren – und zwar als Wissen, nicht nur als Meinungen –, stellte die IIASA-Forscher:innen oft vor konzeptuelle und methodologische Probleme, für die ihre Lehrbücher keine einfachen Lösungen bereit stellten.

Eine dritte, aus dem Organisationsziel resultierende Irritation ergibt sich aus dem Spannungsfeld, das sich zwischen den Polen Systemkomplexität und existenzieller Dringlichkeit entfaltet. Forschungsprojekte am IIASA waren angehalten, politische Lösungswege für globale Probleme in einem systemischen Ansatz zu beschreiben. Diese globalen Probleme waren oftmals von großer Dringlichkeit – man denke nur an die aktuelle Klimadebatte oder die Debatte um den Sauren Regen in den 1980er Jahren, in der das IIASA eine bedeutsame Rolle spielte (vgl. Rindzevičiūtė, 2016, Kap. 7). Nun waren aber die involvierten Systeme viel zu komplex, um rasch und vollständig beschrieben werden zu können. Die Forscher:innen befanden sich daher in einem Dilemma, das einer von uns kürzlich als „die Dialektik von Sorgfalt und Sorge“ bezeichnet hat (Dayé, 2023). Eine sorgfältige Beschreibung und Analyse des Systems erforderte Zeit – Zeit, die sich die Forscher:innen in Situationen globaler existenzieller Bedrohungen nur bedingt zugestehen konnten.

Allmählich wurde aus diesen Irritationen innovative Reflexion, und das IIASA wurde zu einem Ort, an dem die in den 1980er Jahren immer stärker aufkommende Wissenschaftsforschung bzw. Science and Technology Studies (STS) einen fruchtbaren Boden fand. Die Abteilung, an der diese metatheoretische Diskussion vorwiegend geführt wurde, war die für Methodologie zuständige Forschungsabteilung namens Systems and Decision Science Area (SDS). Nachdem diese anfänglich von namhaften Mathematikern geführte Abteilung 1979 vom polnischen Kybernetiker Andrzej WierzbickiFootnote 7 übernommen wurde, entwickelte sich hier ein äußerst fruchtbringender Dialog zwischen mathematischen, sozialwissenschaftlichen und später auch philosophischen Sichtweisen, der spätere Debatten in der Wissenschaftsforschung bzw. der Analyse von Wissenskulturen prägen sollte. Die Bedeutung von local knowledge stand im Mittelpunkt des Schaffens des britischen Anthropologen Michael Thompson, der 1980 ans IIASA kam und sich schnell in einem intensiven und nicht friktionsfreien Austausch mit Vertretern des mathematisch orientierten Mainstreams der Systemanalyse befand. Gestützt auf die Arbeiten der Kulturanthropologin Mary Douglas und auf seine eigenen Analysen von Wissenskulturen (Thompson, 1984), synthetisierte und erweiterte Thompson diese theoretischen Ansätze zum Konzept der „plural rationalities“ (Thompson, 1991), dem es um die gedeihliche Zusammenführung unterschiedlicher Arten von Wissen und Denkansätzen geht. Besonders bemerkenswert ist, dass es in der SDS-Gruppe Anfang der 1980er Jahre tatsächlich gelang, die genuin sozialwissenschaftlichen Ideen von Personen wie Thompson in dasnaturwissenschaftlich-mathematische Denken in Modellen seitens der Systemanalytiker:innen und Kybernetiker:innen zu integrieren. Dazu bedurfte es persönlicher und intellektueller Begabungen von Wissenschaftler:innen unterschiedlicher Herkunft – neben Thompson und Wierzbicki wäre etwa noch der sowjetische Mathematiker Yuri Ermoliev zu nennen –, ebenso wie der institutionellen Umgebung, die das IIASA bot. Als einen spezifischen Anreiz zu diesen Ideen nannte Wierzbicki die Erfahrung der Zusammenarbeit mit einigen der namhaftesten Ökonom:innen der Welt und die sich bei ihm durchsetzende Einsicht, dass auch deren Denken auf Annahmen beruhte, die sie selbst keiner Prüfung unterzogen.Footnote 8 Einen Einblick in die stets fragile, aber manchmal gelingende Integration bietet das von Thompson, Wierzbicki und dem Wirtschaftsinformatiker Manfred Grauer organisierte, mehrtägige IIASA-Symposium zu „plural rationality“ dessen stark spiel- bzw. entscheidungstheoretische Vorträge in einem Proceedingsband veröffentlicht wurden (Grauer et al., 1985). Wierzbicki setzte diese Arbeit später u. a. in Japan fort, wo er zentrale philosophische Einsichten über die Grenzen der Rationalität in mathematische Modelle von Entscheidungsfindung und eine naturalistische Theorie der Intuition überführte.

Zu erwähnen ist außerdem die Arbeit des Wissenschaftssoziologen Brian Wynne, der 1983 auf Einladung von Thompson zur SDS stieß, um ein Projekt zur Risikoabschätzung bei Management von Sondermüll in verschiedenen Ländern zu leiten (Wynne, 1987). Obwohl für ein anderes Projekt eingestellt, befand sich Wynne kurz nach seinem Antritt inmitten einer zugleich wissenschaftstheoretisch wie wissenschaftspolitisch heftig geführten Debatte über die methodologische Stichhaltigkeit der einflussreichen Energiemodelle, die am IIASA unter Führung des deutschen Physikers Wolf Häfele durchgeführt wurden. Zusammen mit Thompson und dem amerikanischen Mathematiker Bill Keepin verbrachte Wynne die Nächte damit, eine wissenschaftssoziologisch informierte Kritik der IIASA-Energiestudien zu verfassen (Keepin, 1984; Keepin & Wynne, 1985; Thompson, 1984; Wynne, 1984). Diese nestbeschmutzerischen Freizeitaktivitäten kosteten den Beteiligten zwar fast den Job,Footnote 9 verschafften ihnen letztlich aber viel wissenschaftliches Ansehen innerhalb und außerhalb des IIASA. Wynne bezeichnete diese Arbeit am IIASA als für seine wissenschaftssoziologische Entwicklung entscheidenden Schritt. Wynnes späterer und deutlich bekannterer Aufsatz „May the sheep safely graze? A reflexive view of the expert lay knowledge divide“ (Wynne, 1996a; siehe auch Wynne, 1996b) baut, auch wenn er auf einer anderen Fallstudie basiert, auch auf seinen Erfahrungen am IIASA auf, wenn er die Schwierigkeiten beschreibt, die sich bei der Integration bzw. Berücksichtigung nicht-wissenschaftlichen Wissens in wissenschaftlich-rationalen Entscheidungsprozessen auftun.

Die erwähnte Dialektik von Sorgfalt und Sorge schließlich wurde zum Ausgangspunkt für eine der wohl umfassendsten Versuche in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, dem Betreiben von Wissenschaft im Angesicht existenzieller Krisen ein philosophisches Fundament zu verleihen: dem Programm der Post-Normal Science, entwickelt von Silvio Funtowicz und Jerome Ravetz für Situationen „where facts are uncertain, values in dispute, stakes high and decisions urgent.“ (Funtowicz & Ravetz, 1993, S. 744). Post-normale Wissenschaft kann sich nicht mehr auf die Position einer Werturteilsfreiheit à la Max Weber zurückziehen, weil die maßgeblich von ihr mitverursachten Zivilisationsprobleme nach einer Lösung rufen. Allzu oft stünden Neutralität und Akribie einem lösungsorientierten Arbeiten entgegen; erstere sei angesichts der Mitverantwortlichkeit von Wissenschaft obsolet, wenn nicht gar verwerflich, und letztere verlange nach einer Zeitökonomie, die angesichts der Dringlichkeit der Probleme fahrlässig erscheint. Unter diesen Voraussetzungen erfordere Wissenschaft, neben dem Streben nach Objektivität und Relevanz, auch „the management of irreducible uncertainties in knowledge and ethics, and the recognition of different legitimate perspectives and ways of knowing.“ (Funtowicz & Ravetz, 1993, S. 754).

Nun muss gleich betont werden: Weder Funtowicz noch Ravetz waren formal als Mitarbeiter am IIASA. Und dennoch gab es unzählige Überschneidungspunkte. So war Jerome Ravetz Referent bei einem vom IIASA in Moskau organisierten Workshop, in dessen Rahmen internationale Experten die IIASA-Forschungen zum Sauren Regens schilderten und Lösungsansätze diskutierten (Rindzevičiūtė, 2016, S. 200). Ravetz erinnert sich an dieses und andere Treffen zu jener Zeit: „There was the customary spectrum of views, and at that time it is quite possible that the adherents to probabilistic risk analysis were radical in relation to a deterministic orthodoxy”.Footnote 10.

Ein weiteres Beispiel für die vielen Berührungspunkte sind die Häufigkeit, in denen das IIASA in den Schriften von Funtowicz und Ravetz auftaucht, und der Stellenwert, der der Organisation dabei zugemessen wird. So wird etwa an zentraler Stelle der Einleitung zu ihrem Buch Uncertainty and Quality in Science for Policy eine Episode rund um das IIASA erwähnt als sinnbildlich für die Paradoxien, mit der sich wissenschaftliche Politikberatung in Situationen der Unsicherheit konfrontiert sieht. „In such a case any definite advice is liable to go wrong: a prediction of danger will appear alarmist (as ‚Cassandra‘) if nothing happens in the short run; while a reassurance can be condemned (as ‚Pangloss‘) if it retrospectively turns out to be incorrect” (Funtowicz & Ravetz, 1990, S. 12). Die Probleme, mit denen sich Forscher:innen am IIASA konfrontiert sahen, waren den beiden bewusst, und sie nahmen sie als repräsentativ für jene Probleme, die ihre epistemologischen Überlegungen zur post-normalen Wissenschaft zu lösen versprach.

Dass ihr Programm dieses Versprechen zumindest für manche einlöste, lässt sich wiederum an der Häufigkeit ablesen, in denen Werke der beiden Autoren in Schriften von IIASA Wissenschaftler:innen zitiert werden.Footnote 11 Hier fand deren Ansicht, dass die Erforschung globaler Probleme angesichts deren Dringlichkeit entscheidungsrelevant sein müsse und dass die traditionellen Vorstellungen von Wissenschaft diesem Anspruch nicht gewachsen seien, breite Zustimmung. Das von Funtowicz und Ravetz vorgeschlagene Konzept post-normaler Wissenschaft hält hierfür einiges an innovativen Ansätzen bereit, auf die sich die IIASA Forscher:innen auch gerne beriefen.

6 Schluss

Das IIASA wurde aus dem Geiste der Kulturdiplomatie gegründet und war in den Jahren vor und nach seiner Gründung in nicht geringem Ausmaß damit beschäftigt, sich ein diesem Auftrag entsprechendes wissenschaftliches Programm zu geben. Sobald das geschafft war, traten Probleme und Irritationen zutage, die ihren Ursprung im Zusammentreffen verschiedener Wissenskulturen hatten. Da waren zunächst die Spannungen zwischen den zwei „Lagern“ sowie den verschiedenen Disziplinen (für eine informative Analyse dieser Spannungen, s. Hutter, 2018). Darüber hinaus aber traten dann bald weitere Irritationen auf, die eine grundlegendere Reflexion und Kritik hergebrachter wissenschaftstheoretischer Prinzipien inspirierten – eine Reflexion, die teils direkt am IIASA, teils aber über etwas verschlungenere Wege zu jenen konzeptuellen und programmatischen Innovationen führte, die weite Teile der wissenschaftstheoretischen Debatten des ausgehenden 20. Jahrhunderts prägten.

Klar ist: viele dieser konzeptuellen und programmatischen Ausrichtungen lagen in der Luft, und dem IIASA kommt nicht eine kausale Kraft im strengen Sinne eines sine qua non zu. Was wir aber doch zeigen, ist, dass das IIASA ein förderlicher Ort für derartige wissenschaftstheoretische bzw. -analytische Innovationen war – kein causal factor, aber, wenn man so will, ein enabling factor (Abend, 2022) für die Entwicklung einer Epistemologie, die den Irritationen von Interdisziplinarität, Internationalität und Systemkomplexität standhält.