1 Einleitung1

Mein Beitrag bezieht sich auf Ergebnisse eines vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Projekts, das sich u. a. mit der Erneuerungsfähigkeit der außeruniversitären Forschungslandschaft in Deutschland und den Vereinigten Staaten beschäftigte.2 Empirische Grundlage dieses Projekts war die Analyse der Transformation zweier Großforschungszentren, die ihre ursprünglich für die experimentelle Hochenergiephysik gebauten Teilchenbeschleuniger entweder stillgelegt oder aber für neue Forschungsgebiete umgerüstet, teilweise neugebaut und vielfach erheblich erweitert haben. Zum einen das 1959 gegründete „Deutsche Elektronensynchrotron“ in Hamburg (DESY) und zum anderen das 1962 gegründete „Stanford Linear Accelerator Center“, das heute „SLAC National Accelerator Laboratory“ (SLAC) heißt. Beide Zentren betreiben heute keine Hochenergiephysik-Infrastrukturen mehr, jedoch mehrere Großgeräte für das Forschungsfeld der Photonenforschung (Photon Science), das auch im Beitrag von Katharina Cramer zur European Synchrotron Radiation Facility (ESRF) eine zentrale Rolle spielt.

Das vorliegende Kapitel dient der Ergebnisverdichtung und Zuspitzung der empirischen Befunde, die im Einzelnen nicht in voller Länge wiedergegeben werden sollen, da sie an anderer Stelle bereits publiziert worden sind (Hallonsten & Heinze, 2015, 2016; Heinze & Hallonsten, 2017; Heinze et al., 2015a, 2015b, 2017). Zur Ergebnisverdichtung ziehe ich eine von Hollingsworth (2004, 2006) sowie Hollingsworth und Hollingsworth (2011) eingeführte theoretische Rahmung heran, in der das eine Forschungsorganisation prägende institutionelle Umfeld danach klassifiziert wird, ob es ein für wissenschaftliche Neuerungen günstiges Setting bereitstellt oder nicht. Bislang liegen für diese Gegenüberstellung vor allem Befunde auf der Makroebene nationaler Wissenschaftssysteme vor. Daher setzt sich die Analyse hier das Ziel, die Argumentation von Hollingsworth auf der Mesoebene der Forschungsorganisation und des institutionellen Umfeldes näher zu charakterisieren. Detailinformationen zu den beiden Fallgeschichten und zum Fallvergleich sind in den weiter oben genannten Quellen hinterlegt und werden hier selektiv herangezogen.

2 Hochenergiephysik und Photonenforschung

Zum Einstieg ist es hilfreich, sich den Unterschied zwischen Hochenergiephysik und Photonenforschung klar zu machen. Die experimentelle Hochenergiephysik beruht darauf, Elementarteilchen mit hohen Energien aufzuladen, was durch ihre Beschleunigung bis an die Lichtgeschwindigkeit erreicht wird. Sie werden anschließend mit einem Festkörper oder mit einem anderen Elementarteilchenstrahl kollidiert, um auf diese Weise Aufschluss über noch kleinere Bestandteile der Materie zu erhalten. Die Beschleunigung kann entweder mit einem Linearbeschleuniger erreicht werden, in dem der Teilchenstrahl höhere Energie und Geschwindigkeit beim Durchlaufen von Klystronen erreicht (wie im Fall des Linac beim SLAC), oder aber durch die kontinuierliche Beschleunigung eines Teilchenstrahls durch einen ringförmigen Beschleuniger, in dem der Teilchenstrahl höhere Energie und Geschwindigkeit beim Durchlaufen jeder zusätzlichen Runde erhält (wie im Fall des ursprünglichen Synchrotrons beim DESY).

Der Vorteil der Ringbeschleuniger ist in der kontinuierlichen Aufladung bis zum gewünschten Energieniveau zu sehen, ihr Nachteil besteht darin, dass die Teilchen in den Biegungen des Rings Energie in Form intensiver elektromagnetischer Strahlung (Infrarot-, Ultraviolett- und Röntgenstrahlung) emittieren. Zwar wird der Teilchenstrahl durch Magnete auf der Bahn gehalten, dennoch entsteht mit der elektromagnetischen Strahlung ein für die Hochenergiephysik-Forschung unerwünschtes Nebenprodukt, das aber zugleich eine wertvolle experimentelle Ressource für die Photonenforschung darstellt, da es sich für alle möglichen Arten spektroskopischer und kristallographischer Analyse- und Bildgebungsverfahren auf der molekularen und atomaren Skala eignet.

Der Bedarf für immer größere und damit energieintensivere Großgeräte hat für die experimentelle Hochenergiephysik zu einer Konzentration auf wenige Beschleunigerzentren geführt, von denen heute das „European Center for Nuclear Research“ (CERN) mit dem „Large Hadron Collider“ (LHC) in Genf weltweit das größte ist. Zugleich wurden seit Mitte der 1970er Jahre die ersten dedizierten Speicherringe zur wissenschaftlichen Ausbeutung der Synchrotronstrahlung gebaut. Seitdem ist die Entstehung eines globalen Organisationsfeldes von Photonenforschungslaboren zu beobachten, durch das der Zustand der ausschließlich parasitären Benutzung von Teilchenbeschleunigern beendet wurde. Diese Photonenforschungslaboratorien (eines davon ist die im Beitrag von Katharina Cramer untersuchte ESRF), beherbergen jedes Jahr viele tausende Forscher, die dort ihre Experimente durchführen (Hallonsten & Heinze, 2015).

Die Entstehung des globalen Organisationsfeldes der Photonenforschung hat dazu geführt, dass seit den 1980er Jahren für Wissenschaftler vor allem aus der Chemie, der Biologie, der Medizin und der Materialforschung die Möglichkeiten der Photonenforschung erheblich verbessert wurden. In diesem Zusammenhang sind zahlreiche herausragende Forschungsarbeiten entstanden, die bereits mit Nobelpreisen (bisher ausschließlich im Fach Chemie) ausgezeichnet wurden: Paul D. Boyer und John E. Walker (1997) für die Aufklärung der enzymatischen Mechanismen bei der Synthese von Adenosintriphosphat; Roderick MacKinnon (2003) für die Erforschung von Strukturen und Mechanismen von Ionenkanälen; Roger D. Kornberg (2006) für die Erforschung der molekularen Grundlagen eukariotischer Transkription; Venkatraman Ramakrishnan, Thomas A. Steitz und Ada E. Yonath (2009) für ihre Studien zur Funktion des Ribosoms; Robert J. Lefkowitz und Brian K. Kobilka (2012) für ihre Studien zu G-Protein verbundenen Rezeptoren sowie Frances H. Arnold für ihre Arbeiten zur gerichteten Evolution von Enzymen (2018).

3 Fallauswahl und Datenbasis

Für die Auswahl der beiden Großforschungszentren DESY und SLAC und ihr jeweiliges institutionelles Umfeld, insbesondere hier die Universität Hamburg im Fall von DESY und die Stanford University im Fall von SLAC, sprechen mindestens drei Gründe.

Erstens wurden beide Großforschungszentren fast zeitgleich gegründet (DESY: 1959, SLAC: 1962). Sie gehören somit zu jenen Großforschungszentren, die in der Hochphase der Expansion der Hochenergiephysik und in Zeiten hoher Erwartungen in die staatliche Großforschung insgesamt errichtet wurden (Carson, 2002; Greenberg, 1991; Hoddeson et al., 2008; Holl, 1997; Ritter, 1992; Stevens, 2003; Szöllösi-Janze & Trischler, 1990; Westfall, 2008; Westwick, 2003).

Zweitens haben beide Großforschungszentren ihren Schwerpunkt der experimentellen Hochenergiephysik sukzessive auf Photonenforschung verlagert, und zwar von der ursprünglich rein parasitären Benutzung über den Umbau freigestellter Hochenergiephysik-Großgeräte bis hin zum Bau eigens für die Photonenforschung gebauter Großgeräte. Die nachgelagerte Nutzung vorhandener Hochenergiephysik-Großgeräte durch Umbau war möglich, weil die Suche nach immer kleineren Elementarteilchen den Bau immer größerer und damit energieintensiverer Hochenergiephysik-Großgeräte erforderte. Dadurch wurden die weniger energieintensiven Teilchenbeschleuniger für die Hochenergiephysik obsolet und konnten dann für die Bedürfnisse der Photonenforschung umgebaut werden.

Drittens ist das Ergebnis der Schwerpunktverlagerung in beiden Großforschungszentren sehr ähnlich. In beiden Großforschungszentren wurden eigens für die Photonenforschung Großgeräte gebaut, während zugleich ihr jeweils letztes Hochenergiephysik-Großgerät stillgelegt wurde. Ebenso überstieg das Budget der Photonenforschung das der Hochenergiephysik in der Endphase der Transformation bei weitem. DESY und SLAC sind die einzigen Großforschungszentren in Europa und Nordamerika, die die Transformation von der Hochenergiephysik zur Photonenforschung vollständig durchlaufen haben.

Die beiden Fallstudien und der Fallvergleich basieren auf umfangreichem Archivmaterial, Interviews mit Zeitzeugen und statistischen Zeitreihen zu Personal und Finanzen. Hierzu zählt vor allem eine detaillierte historische Rekonstruktion des organisationalen Wandels von DESY und SLAC. Diese Rekontruktion umfasst eine detalliert recherchierte Geschichte der beteiligten Personen, der technologischen Artefakte und der maßgeblichen Ereignisse beider Großforschungszentren (Hallonsten, 2015; Hallonsten & Heinze, 2015, 2016; Heinze, 2016; Heinze & Hallonsten, 2017; Heinze et al., 2015a, b, 2017).

4 Theorie: Historischer Institutionalismus

Das erwähnte BMBF-Projekt stellte Wandlungsprozesse und die ihnen zugrunde liegenden sozialen Mechanismen in den Mittelpunkt. Hierfür wurde eine Variante des Historischen Institutionalismus herangezogen, die von Kathleen Thelen, James Mahoney und Wolfgang Streeck begründet wurde. In dieser Variante ist die Vorstellung zentral, dass der Wandel institutioneller Strukturen (hier: der Forschung) in aller Regel schrittweise und graduell abläuft, dass die kumulierten Resultate dieses Wandels jedoch die bestehenden Strukturen grundlegend verändern können. Zu den von den Autoren identifizierten Wandlungsprozessen gehören Aufschichtung/Überlagerung (Layering), Umwandlung (Conversion) und Verdrängung (Displacement), zu den sozialen Mechanismen gehören differenzielles Wachstum (bei Layering), Neuverwendung (bei Conversion) und Abwanderung (bei Displacement) (Mahoney & Thelen, 2010; Streeck und Thelen, 2005; Thelen, 1999, 2003).

Im vorliegenden Beitrag möchte ich einen anderen Zweig innerhalb des Historischen Institutionalismus in den Mittelpunkt stellen, mit dem sich die Ergebnisse des Fallvergleichs anschaulich zuspitzen lassen. Diesem Zweig des Historischen Institutionalismus liegt die Vorstellung zugrunde, dass organisationale und institutionelle Strukturen in hochentwickelten Gesellschaften vielfältig miteinander verflochten sind und dass stabile institutionelle Konfigurationen beobachtbar sind, die mit bestimmten organisationalen Problemlösungsfähigkeiten einhergehen. Zwei solche stabilen Konfigurationen haben beispielsweise in der Gegenüberstellung von „liberalen“ und „koordinierten“ Volkswirtschaften ihren Ausdruck gefunden (Hall & Soskice, 2001), wobei die liberalen Volkswirtschaften institutionelle Kontexte aufweisen, um neue und wissensintensive Technologiefelder zügig zu erschließen, etwa die Biotechnologie. Die koordinierten Volkswirtschaften haben demgegenüber Stärken beim Ausbau und der Vertiefung etablierter Technologiefelder, etwa im Maschinenbau oder der chemischen Industrie.

Die Gegenüberstellung zweier institutioneller Konfigurationen findet sich auch bei den beiden historisch orientierten Soziologen Ben-David (1971) sowie Hollingsworth (2004, 2006) wieder. Beide haben sich mit der Verschiebung des globalen Zentrums der Wissenschaft aus dem deutschsprachigen Raum in die Vereinigten Staaten Anfang des 20. Jahrhunderts beschäftigt. Sowohl Ben-David als auch Hollingsworth argumentieren, dass sich empirisch belegbare Leistungsunterschiede zwischen Forschungseinrichtungen und nationalen Wissenschaftssystemen mit dem Einfluss des institutionellen Umfelds auf Forschungseinrichtungen erklären lassen. Besonderen Fokus möchte ich auf die Argumentation von Hollingsworth legen. Er behauptet, dass das institutionelle Umfeld mehr oder weniger stark Entscheidungen von Forschungseinrichtungen beeinflussen kann, hinsichtlich:

  • des Zugangs zu wissenschaftlichen Unternehmern – „scientific entrepreneurs“ (d. h. Personen, die wissenschaftliche Pionier-Projekte in die Tat umsetzen),3

  • des Aufbaus bestimmter Forschungsfelder (z. B. ob eine Universität eine Medizinfakultät aufweist),

  • des Umfangs und der Art der Forschungsfinanzierung (z. B. wieviel Grundfinanzierung die Medizinfakultät bekommt),

  • der Rekrutierung (und Besoldung) wissenschaftlichen Personals (d. h. wie frei eine Einrichtung ist, neues Personal zu rekrutieren und vorhandenes Personal zu entlassen).

Diese vier Entscheidungsbereiche sind nach Hollingsworth aufeinander bezogen und wechselseitig austariert. Immer dann, wenn das institutionelle Umfeld wenige Vorgaben macht, sind Handlungsfreiraum und Entscheidungsmöglichkeiten der in dieses Umfeld eingebetteten Forschungseinrichtung hoch ausgeprägt. Es herrscht dezentraler Wettbewerb und es bilden sich in der Folge viele organisationale Formen heraus, die in unterschiedlicher Weise versuchen, wissenschaftlich erfolgreich zu sein. Jedoch immer dann, wenn das institutionelle Umfeld viele Vorgaben hinsichtlich der vier genannten Variablen macht, sind Handlungsfreiraum und Entscheidungsmöglichkeiten der in dieses Umfeld eingebetteten Forschungseinrichtungen gering. Es herrscht wenig Wettbewerb und ein hohes Maß an struktureller Ähnlichkeit (Isomorphie) zwischen den Organisationen. Demzufolge gibt es auch nur wenig organisationale Diversität und ein hohes Maß an Homogenität.

Auf den Ländervergleich bezogen argumentiert Hollingsworth, dass die eben beschriebenen Konfigurationen dominant und dauerhaft sind. Entweder gibt es ein restringierendes oder ein ermöglichendes Umfeld. Seine Zuspitzung liegt darin, dass in nationalen Forschungssystemen mit ermöglichendem Umfeld wissenschaftliche Spitzenleistungen häufiger auftreten als in Systemen mit restringierendem Umfeld. Seine Argumentation hat dabei zwei Teilargumente, die über das Konzept der Isomorphie (d. h. strukturelle Gleichförmigkeit, das Gegenteil von organisationaler Diversität) verknüpft sind.

Argument 1: Je restringierender das institutionelle Umfeld, umso geringer ist die organisationale Diversität der dort angesiedelten Forschungseinrichtungen (d. h. Isomorphie). Und umgekehrt: je weniger restringierend, also schwächer das institutionelle Umfeld, umso höher ist die organisationale Formenvielfalt.

Argument 2: Je geringer die organisationale Diversität, umso seltener sind innovative/bahnbrechende wissenschaftliche Entdeckungen. Und umgekehrt: je höher die Diversität, umso häufiger sind wissenschaftliche Entdeckungen.

Hollingsworths greift zur Illustration auf Forschungsdurchbrüche in der Biomedizin zurück. Deutschland ist ihm zufolge ein Land, bei dem das institutionelle Umfeld – historisch gewachsen und institutionell verfestigt – zahlreiche Restriktionen hinsichtlich der vier genannten Bereiche (wissenschaftliche Unternehmer, Forschungsgebiete, Finanzierung, Personalrekrutierung) aufstellt. Das Umfeld beschränkt in erheblichem Umfang den Handlungs- und Entscheidungsspielraum von Forschungseinrichtungen. Es herrscht ein hoher Grad von Isomorphie und es gibt wenige wissenschaftliche Spitzenleistungen in der Biomedizin. Demgegenüber sind die Vereinigten Staaten Hollingsworth zufolge ein Land, bei dem das institutionelle Umfeld wenige Restriktionen hinsichtlich der vier genannten Bereiche (wissenschaftliche Unternehmer, Forschungsgebiete, Finanzierung, Personalrekrutierung) aufstellt. Das heißt, der Handlungs- und Entscheidungsspielraum für Forschungseinrichtungen ist recht groß. Es gibt wenig Isomorphie und folglich auch mehr wissenschaftliche Spitzenleistungen.

5 Vergleich Deutschland und Vereinigte Staaten

Hollingsworth hat für seine Argumentation keine quantitativen Belege vorgelegt. Daher habe ich für einen Datensatz aller Nobelpreisträger von 1901–2020 geprüft, ob die Unterschiede zwischen Deutschland und den Vereinigten Staaten bei wissenschaftlichen Spitzenleistungen wirklich so groß sind wie von ihm behauptet. Auf der Basis dieser Daten kann man sagen, dass sich seine Argumentation bestätigt.

Abb. 1 zeigt einen mit dem Prokopfeinkommen gewichteten Summenindex (pro Jahrzehnt), der drei Karrierestufen von Nobelpreisträgern beinhaltet: Ort und Zeit der wissenschaftlichen Ausbildung (HD), der ausgezeichneten Forschungsarbeit (PWR) und der Preisverleihung (NP). Der Summenindex misst somit, in welchen Ländern zukünftige Nobelpreisträger ihre wissenschaftliche Ausbildung (Doktorgrad) erhalten (HD), ihre bahnbrechenden Arbeiten durchgeführt (PWR) und schließlich den Preis erhalten haben (NP). Eine solche drei Karrierestufen umfassende Betrachtung ist vollständiger und methodisch zuverlässiger als die Fokussierung darauf, in welchen Ländern die Nobelpreisträger arbeiteten als sie den Preis erhielten. In Abb. 1 ist der erhebliche Unterschied zwischen Deutschland und den Vereinigten Staaten seit den 1930er und 1940er Jahren erkennbar, als letztere die globale Führungsrolle in der Forschung übernahmen und diese seither auch nicht wieder abgegeben haben (vgl. auch Heinze et al., 2020, 2019).

Abb. 1
figure 1

HD = highest degree, PWR = price winning research, NP = award. Die Zahl dieser drei Karrierestationen ist mit dem inflationsbereinigten Prokopfeinkommen (GDPpc) jahrzehnteweise normiert. Die Kurven wurden zur besseren Lesbarkeit geglättet. Die drei Karrierestufen sind einzeln nicht sichtbar, da sie aufsummiert sind.

Anzahl von Nobelpreisträgern entlang dreier Karrierestufen.

Die Verschiebung des globalen Zentrums der Wissenschaft aus dem deutschsprachigen Raum in die Vereinigten Staaten hat viele Gründe, darunter sicherlich den Nationalsozialismus. Der Einfluss des institutionellen Umfelds ist nur ein möglicher Erklärungsfaktor.

6 Organisation und institutionelles Umfeld: DESY und SLAC

Unter der Annahme, dass Hollingsworths Argumentation stimmt, dürften sich nicht nur deutliche Unterschiede beim Vergleich nationaler Wissenschaftsysteme finden, wie am Beispiel der Nobelpreise dargestellt wurde. Unterschiede sollten sich auch hinsichtlich der vier weiter oben eingeführten Variablen finden lassen, die das Verhältnis von Forschungsorganisation und ihres institutionellen Umfeldes konkret erfassen. Insoweit komme ich an dieser Stelle auf DESY und SLAC sowie ihr jeweiliges institutionelles Umfeld zurück. Ich habe die vier genannten Variablen als Fragen formuliert. Wie sehr ermöglicht (oder restringiert) das institutionelle Umfeld einer Forschungseinrichtung:

  • den Zugang zu wissenschaftlichen Unternehmern (entrepreneurs)?

  • den Aufbau neuer Wissenschaftsgebiete?

  • den Zugang zu Ressourcen für den Aufbau neuer Gebiete?

  • wissenschaftliches Personal für neue Gebiete zu rekrutieren?

Im Ergebnis zeigen sich markante Unterschiede im Fallvergleich. Hinsichtlich des Zugangs zu wissenschaftlichen Unternehmern verfügt das SLAC über einen klaren Vorteil gegenüber dem DESY. SLAC ist auf dem Campus der Stanford University angesiedelt und Teil der universitären Formalstruktur. Stanford betreibt SLAC im Auftrag des amerikanischen Department of Energy, und es gibt eine eingeübte Kooperation zwischen den Stanford-Professoren und dem Großforschungszentrum. Diese Kooperation ist zunächst nur für die Teilchenphysik relevant, ab Anfang der 1970er Jahre wird sie aber auf Photonenforschung ausgeweitet, als absehbar ist, dass der Linearbeschleuniger durch eine Ringanlage ergänzt werden wird. Einer der wissenschaftlichen Unternehmer ist Roger Kornberg, der 2006 den Nobelpreis in Chemie für Arbeiten am SSRL erhält, ein anderer Brian Kobilka (Nobelpreis 2012), beide sind Professoren der Stanford University.

Ganz anders verhält es sich in Hamburg. DESY ist räumlich weit vom Universitätscampus entfernt und die vorhandene Schnittstelle zwischen dem II. Institut für Experimentalphysik und dem DESY im Bereich der Teilchenphysik wird nicht auf den Bereich der Synchrotronstrahlung ausgeweitet. Es fehlt somit ein funktionierendes Scharnier für multidisziplinäre Kooperationen zwischen Hamburger Professoren und Wissenschaftlern der Synchtronstrahlungsforschung am DESY. Erschwerend kommt hinzu, dass die Fraunhofer-Gesellschaft (FhG), die Max-Planck-Gesellschaft (MPG) und das Europäische Molekularbiologie-Labor (EMBL) eigene Forschungsstationen auf dem DESY-Campus betreiben, diese aber organisational nicht mit dem DESY verzahnt sind. Eine wissenschaftliche Unternehmerin ist Ada Yonath, die 2009 den Nobelpreis für Chemie erhält. Allerdings basiert ihr Preis auf Arbeiten sowohl an der MPG-Forschungsstation am DESY als auch am Synchrotronstrahlungslabor (SSRL) an der Stanford University (und ab 1982 am SLAC).

Die fehlende räumliche und vor allem organisationale Verzahnung zwischen der Universität Hamburg und dem DESY verhindert, dass die Synchrotronforschung von der wachsenden Zahl von Professoren in der Biologie, der Chemie und der Physik profitieren kann. Obwohl sich ihre Zahl in den 1970er und 1980er Jahren und damit in jener Zeit, in der die Photonenforschung international einen starken Aufschwung erlebt, stark erhöht (Abb. 2), generiert das keine wissenschaftlichen Unternehmer aus der Universität Hamburg für das neue Wissenschaftsfeld. Nach der deutschen Wiedervereinigung wurde die Universität Hamburg auf einen Schrumpfungskurs gesetzt, der bis Ende der 2000er Jahre dauerte. Erst ab den 2010er Jahren stieg die Zahl der Professoren in den drei Disziplinen: Biologie, Chemie und Physik wieder.

Abb. 2
figure 2

(Quelle: Eigene Erstellung mithilfe von Archivdaten der Universität Hamburg und des Statistischen Bundesamtes (StBA, 1992))

Anzahl von Professorinnen und Professoren an der Universität Hamburg.

Eng verknüpft mit dem Zugang zu wissenschaftlichen Unternehmern ist zweitens die organisationale Verankerung des neuen Feldes Photonenforschung. Während das neue Feld in Stanford zehn Jahre (1972–1982) in einem Universitätsinstitut untergebracht ist, dem vom SLAC unabhängigen SSRL (bis 1977 in Projektform), befinden sich die Hamburger Photonenforscher in direkter Abhängigkeit zur ausschließlich mit Teilchenphysikern besetzten DESY-Leitung. Das Hamburger Synchrotronlabor (HASYLAB) wird mehr als zehn Jahre nach den ersten Forschungsaktivitäten in der Synchrotronforschung gegründet. Zudem gibt es, wie erwähnt, drei externe Labore, die nicht mit dem HASYLAB verzahnt sind. SSRL wird nach der Fusion mit dem SLAC 1982 eine eigene Abteilung innerhalb des SLAC, dessen Leiter zugleich Mitglied des SLAC-Präsidiums ist. Am DESY erfolgt eine solche Aufwertung erst im Jahr 2003 und damit deutlich später. Die Entwicklungsbedingungen sind daher in Stanford deutlich besser als in Hamburg.

Gleiches lässt sich drittens auch für die Ressourcen sagen. Während die amerikanischen Photonenforscher bereits nach wenigen Jahren eine Grundfinanzierung erhielten (erst durch die National Science Foundation im Rahmen eines mehrjährigen Grants von 1977 bis 1982, der die vorherige Projektfinanzierung zwischen 1973 und 1977 ablöste, seit 1982 durch das Department of Energy im Rahmen der Fusion des SSRL mit dem SLAC), zwingt das deutsche Bundesforschungsministerium die Teilchenphysiker am DESY, das neue Forschungsfeld der Synchrotronforschung aus ihren eigenen Mitteln querzufinanzieren, was extrem unpopulär ist und dazu führt, dass die Hamburger Photonenforscher einen schweren Stand am DESY haben. Das BMBF stellte zwar Projektgelder für interessierte externe Universitätsgruppen, die am HASYLAB ihre Experimente durchführen wollten, zur Verfügung. Aber erst zehn Jahre nach der Gründung des HASYLAB, also Ende der 1980er Jahre, stellt das BMBF eine stabile Grundfinanzierung für das HASYLAB bereit (Heinze et al., 2015a, 2017).

Besonders deutlich unterscheiden sich beide Fälle viertens hinsichtlich der Rekrutierung neuen wissenschaftlichen Personals. Stanford kann sich als Arbeitgeber relativ schnell von nicht-professoralem wissenschaftlichen Personal trennen, typischerweise innerhalb von 90 Tagen und mit einer entsprechenden Abfindung. Von dieser Möglichkeit macht die Universitätsleitung in Stanford auch Gebrauch. Sie entlässt in den 2000er Jahren im großen Stil Beschäftigte der Teilchenphysik und stellt neues Personal im Bereich Photonenforschung ein. Diese Möglichkeit bestand am DESY nicht. Hier waren Mitarbeiter:innen, die nach dem Bundesangestelltentarifvertrag (BAT) beschäftigt waren, nach zehn Jahren praktisch unkündbar. Neues Personal konnte also nur eingestellt werden, wenn zugleich vorhandenes Personal kündigte oder in den Ruhestand trat.

Auch wenn es vielleicht etwas holzschnittartig erscheinen mag, so sind die vier von Hollingsworth vorgeschlagen Variablen in beiden Fallstudien nahezu umgekehrt ausgeprägt. Ich habe sie hier nochmal überblickshaft zusammengetragen. Der entscheidende Punkt ist, dass die vier Faktoren allesamt in jeweils eine Richtung weisen. Es sind jeweils organisationale Faktoren und institutionelle Umfeldbedingungen, die das Wachstum des neuen Feldes Photonenforschung entweder ermöglichen oder sein Wachstum restringieren.

Ermöglichendes Umfeld: Stanford University/SLAC

  • Zugang zu wissenschaftlichen Unternehmern (Professoren).

  • Organisationale Kooperation zwischen Stanford und SLAC wird auf das neue Feld Photonenforschung übertragen.

  • Frühzeitige Grundfinanzierung für Photonenforschung durch NSF/DoE.

  • Zügige Auswechslung des wissenschaftlichen Personals möglich.

Restringierendes Umfeld: Universität Hamburg/DESY

  • Kein Zugang zu wissenschaftlichen Unternehmern (Professoren).

  • Organisationale Barrieren behindern die Entwicklung der Photonenforschung.

  • Langezeit keine stabile Grundfinanzierung für Photonenforschung, Querfinanzierung aus dem Haushalt der Teilchenphysik.

  • Auswechslung des wissenschaftlichen Personals praktisch unmöglich.

Was sind nun die Konsequenzen dieser ermöglichenden bzw. restringierenden Umfeldbedingungen für das neue Wissenschaftsfeld Photonenforschung? Die durch den Fallvergleich untermauerte Konsequenz war eine deutliche Verzögerung der Etablierung der Photonenforschung am DESY. Und das, obwohl das deutsche Großforschungszentrum sogar einen zeitlichen Vorsprung gegenüber dem amerikanischen Zwillingslabor hatte, das ursprünglich ja nur einen Linearbeschleuniger hatte und damit keine Synchrotronstrahlung produzierte. Die DESY-Maschine wurde bereits 1964 parallel für sowohl Teilchenphysik als auch Synchrotronstrahlung verwendet, am SLAC wurde die erste Ringanlage (SPEAR) dagegen erst 1974 in Betrieb genommen. DESY hatte somit einen technischen Vorsprung von zehn Jahren, wobei man sich sicher darüber streiten kann, ob die DESY-Maschine mit der SPEAR-Maschine vergleichbar ist. Aber hier kommt es nicht auf technische Spitzfindigkeiten an. Die strukturelle Verankerung und Schwerpunktverlagerung weg von der Teilchenphysik und hin zur Photonenforschung erfolgte am DESY erst nachdem man am SLAC in Stanford im großen Stil in das neue Wissenschaftsfeld eingestiegen war. Das ist der entscheidende Punkt: zügige Investition in ein zukunftsträchtiges Forschungsfeld und Transformation der vorhandenen organisationalen Forschungsinfrastruktur.

Eine zweite Konsequenz ist darin zu sehen, dass bahnbrechende Forschungsleistungen häufiger in der Photonenforschung des SLAC als am DESY zu beobachten waren. Was bereits im Vergleich der beiden nationalen Wissenschaftssysteme Deutschland und der Vereinigten Staaten deutlich wurde, ist auch im direkten Organisationsvergleich erkennbar. Die US-amerikanische Einrichtung schneidet deutlich besser als die deutsche ab. Von den weiter oben genannten Chemie-Nobelpreisen sind drei allein mit Beteiligung des SSRL am SLAC entstanden (Kornberg, 2006; Kobilka, 2012; Arnold, 2018), während einer sowohl dem SSRL als auch der MPG-Forschungsstation am DESY zurechenbar ist (Yonath, 2009). Diese Situation ähnelt im übrigen auch derjenigen in der Teilchenphysik, in der Forscher des SLAC insgesamt drei Nobelpreise zu verzeichnen haben (Richter, 1974; Taylor, 1990; Perl, 1995), während Forscher am DESY bzw. der Universität Hamburg keinen Nobelpreis erhalten haben. Zugegebenermaßen ist dieser Vergleich nur sehr oberflächlich, denn die Nobelpreise sind nur die Spitze aller möglichen wissenschaftlichen Preise, die man an dieser Stelle heranziehen kann. Hollingsworth selbst arbeitete mit einer breiteren Definition von Preisen (z. B. Lasker Award, Copley Medal). Daher steht eine breiter angelegte wissenschaftshistorische Analyse hinsichtlich der Forschungsdurchbrüche an beiden Großforschungszentren noch aus. In der Tendenz ist die Befundlage aber eindeutig.

7 Diskussion

Hinsichtlich des im Einleitungskapitel diskutierten konzeptuellen Schemas (Abb. 1 im Beitrag von Pichler und Heinze) gehört der hier vorgelegte Fallvergleich am ehesten in die linke obere Kategorie der doppelten Expansion, in der ein neues Forschungsgebiet (Photon Science) in Form neu ausgerichteter Forschungseinrichtungen (SLAC, DESY) realisiert wird, also einerseits eine organisationale Expansion in Form zusätzlicher Forschungskapazitäten (u. a. neues Personal, neue Instrumente) und andererseits eine fachliche Expansion in Form neuer Forschungsgebiete. Inwiefern die Organisation der Forschung und der institutionelle Kontext von Forschungseinrichtungen damit zu tun haben, wonach und wie geforscht wird, wird in dem Fallvergleich deutlich herausgearbeitet. Die diesbezüglichen Unterschiede des Wandels der beiden Großforschungszentren, die im vorherigen Abschnitt erläutert wurden, sollen nun abschließend zur Formulierung einiger forschungspolitischer Schlussfolgerungen herangezogen werden, insbesondere bezüglich der Erneuerungsfähigkeit bestehender Forschungseinrichtungen.

In der Expansionsphase des globalen Wissenschaftssystems nach dem Zweiten Weltkrieg wurden sowohl in den Vereinigten Staaten als auch in Deutschland zahlreiche Großforschungszentren gegründet. Trotz fortlaufender Expansion des Wissenschaftssystems (Bornmann & Mutz, 2015; Zapp, 2022) erscheint eine weitere Expansionswelle der Großforschung gegenwärtig eher unwahrscheinlich. Plausibler ist vielmehr, dass die institutionelle Konsolidierung der Großforschung die Gründung neuer Zentrem zu einem eher seltenen Ereignis macht. Demgegenüber ist die institutionelle Erneuerung, in deren Zuge bestehende Zentren neue Forschungsfelder aufgreifen und ausbauen (sollten), ein für Forschungsministerien und Forschungsförderer regelmäßig relevantes Thema. Der organisationale Wandel bestehender Zentren in Zusammenarbeit mit räumlich benachbarten Universitäten ist dabei als Anwendungsfeld von Schlussfolgerungen aus dem historisch-soziologischen Vergleich von DESY und SLAC vorgezeichnet.

Ich nähere mich der Frage nach forschungspolitischen Schlussfolgerungen ganz eng entlang der vier Fragestellungen, die im Hauptteil dieses Beitrages diskutiert wurden. Aus dem Fallvergleich lässt sich allgemein fragen, wie ein wissenschaftliche Neuerungen ermöglichendes institutionelles Umfeld geschaffen werden kann. Im Sinne der ersten Variable ist als Antwort sicher naheliegend, dass Forschungseinrichtungen Zugang zu wissenschaftlichen Unternehmern (womit heute auch Frauen gemeint sind) benötigen, die bereit sind neue Ideen und Konzepte auch gegen fachinterne, organisationale und institutionelle Widerstände durchzusetzen.

Im Sinne der zweiten Variable sollten diesbezüglich Kooperationen zwischen Universitäten und außeruniversitären Forschungseinrichtungen gefördert werden, sofern sie nicht bereits vorhanden sind. Nicht jedes Großforschungszentrum wird, wie SLAC, auf dem Campus einer Universität (hier: Stanford) gegründet und ist Teil seiner formalen Organisationsstruktur. Gerade wenn eine solche räumlich-organisationale Nähe nicht existiert, ist Kooperation besonders wichtig. In Deutschland finanziert diesbezüglich das Bundesforschungsministerium seit vielen Jahren sogenannte „Verbundprojekte“, in denen Universitätsgruppen an ausgewählten Großgeräten wissenschaftliche Projekte durchführen können (Dornbusch et al., 2016).

Drittens erscheint eine frühzeitige Basisfinanzierung für neue Forschungsgebiete essenziell, um wissenschaftliche Unabhängigkeit zu fördern und kräftezehrende Konkurrenzkämpfe mit etablierten Feldern zu vermeiden. Eine gewiss zum Scheitern verurteilte Strategie ist es, Forschungseinrichtungen zu zwingen, neue Forschungsgebiete aus der bisherigen Basisfinanzierung für bestehende Felder und Gebiete querzufinanzieren, vor allem im Kontext einer Ressourcenstagnation. Schrumpfung des Alten und Aufbau des Neuen müssen entkoppelt werden, um unproduktive Reibungsverluste zu minimieren oder bestenfalls ganz zu vermeiden. Sicherlich ist es seitens der Forschungsförderer immer eine risikobehaftete Entscheidung, in welches Feld man investieren sollte und in welches nicht. Entscheidend ist, dass man den wissenschaftlichen Unternehmer:innen Freiraum zur Entfaltung lässt und sie im Rahmen verbindlicher Rechenschaftspflichten das machen lässt, wofür sie ausgebildet wurden: selbst forschen und Forschungsvorhaben durchführen (und nicht bloß administrieren). Eine Basisfinanzierung sollte dabei in einer geeigneten Organisationsform bereitgestellt werden, in der das neue Feld sich unabhängig von bisherigen Disziplinen und Forschungsgebieten entfalten kann.

Schließlich sollten an den außeruniversitären Forschungseinrichtungen die arbeitsrechtlichen Voraussetzungen geschaffen werden, damit wissenschaftliche Dynamik und attraktive langfristige Karrierepfade keine Gegensätze sind, etwa mithilfe von Abfindungsregelungen für unbefristet Beschäftigte zur Abwicklung wenig zukunftsträchtiger Gebiete. Da gerade an den außeruniversitären Forschungseinrichtungen (insb. Fraunhofer-Gesellschaft, Leibniz-Gemeinschaft, Helmholtz-Gemeinschaft) wissenschaftliche Angestellte zu einem erheblichen Anteil unbefristet beschäftigt sind, sind Abfindungsregelungen besonders hier für die Erneuerungsfähigkeit dieser Einrichtungen von großer Bedeutung.

Zugleich benötigen Universitäten als potenzielle Kooperationspartner für die außeruniversitäre Forschung eine geeignete Personalstruktur. Deutsche Universitäten sind bekannt dafür, dass Professoren die kleinste, aber zugleich für die Erneuerung entscheidendste Personalkategorie ist. Ein an anderer Stelle durchgeführter Vergleich der Reaktionsfähigkeit auf Forschungsdurchbrüche hat gezeigt, dass staatliche Universitäten in Deutschland im Vergleich zu staatlichen Universitäten in den Vereinigten Staaten deutlich langsamer auf neue wissenschaftliche Entwicklungen reagieren, weil sie viel zu wenige Professorinnen haben, die zügig auf neue Entwicklungen reagieren können (Jappe & Heinze, 2016). Die Universität Hamburg erscheint daher zum Zeitpunkt der Entstehung der Photonenforschung als Beispiel für ein allgemeineres, strukturelles Problem, das die Stanford Universität nicht hatte (Abb. 3). Universitäten benötigen in ihrer Personalstruktur viele Professor:innen und nicht bloß abhängig beschäftigtes und weisungsgebundenes wissenschaftliches Personal, damit sie auf neue Entwicklungen zügig reagieren können. Mit einer solchen Personalstruktur sind sie attraktive Partner für die Entwicklung neuer Forschungsgebiete.

Abb. 3
figure 3

(Quelle: Eigene Erstellung mithilfe von Archivdaten der Universität Hamburg und der Stanford University sowie des Statistischen Bundesamtes (StBA, 1992))

Anzahl von Professoren: Hamburg und Stanford im Vergleich.

Notes

  1. 1.

    Ergebnisse dieses Kapitels wurden teilweise bereits publiziert. Einige Textstellen wurden wörtlich oder annähernd wörtlich übernommen aus Heinze, Thomas. 2016. Außeruniversitäre Forschung. Eine historisch-soziologische Analyse der Erneuerung zweier staatlicher Großforschungszentren. In Wissen – Organisation – Forschungspraxis: Der Makro-Meso-Mikro Link in der Wissenschaft. Hrsg. Nina Baur, M. Norkus und G. Petschik, 228–276. Weinheim, Basel: Beltz.

  2. 2.

    Das Forschungsprojekt „Mechanismen der Erneuerungsfähigkeit der universitären und außeruniversitären Forschung: Deutschland und die Vereinigten Staaten im Vergleich“ wurde vom BMBF finanziell unterstützt (Förderkennzeichen: 01UZ1001).

  3. 3.

    „Institutional entrepreneur“ ist ein in der Organisations- und Managementforschung eingeführter Begriff, der Akteure meint, die institutionelle Strukturen verändern. Er ist als Komplementärbegriff zu „institutional structure“ zu verstehen und weist auf „agency“ als transformative Kraft hin (vgl. Battilana et al. 2009. How Actors Change Institutions: Towards a Theory of Institutional Entrepreneurship. The Academy of Management Annals, 3:65–107, Garud et al. 2007. Institutional Entrepreneurship as Embedded Agency: An Introduction to the Special Issue. Organization Studies 28(7):957–969, Maguire et al. 2004. Institutional entrepreneurship in emerging fields: HIV/AIDS treatment advocacy in Canada. Academy of Management Journal 47(5):657–679.). „Institutionell“ kann somit, je nach gesellschaftlichem Funktionssystem, verschiedene Akteure meinen, im Wissenschaftssystem sind „wissenschaftliche Unternehmer:innen“ gemeint.