1 Die Besonderheit der Herausbildung einer außeruniversitären Forschungseinrichtung auf regionaler Ebene

Eine Besonderheit der JOANNEUM RESEARCH Forschungsgesellschaft mbH ist, dass sie die größte außeruniversitäre wirtschaftsnahe Forschungseinrichtung auf regionaler Ebene in Österreich bildet. Seit ihren Anfängen steht sie im Mehrheitseigentum eines österreichischen Bundeslandes, der Steiermark. Strategische Standorterweiterungen wurden im Laufe der letzten Dekade auch die Bundesländer Kärnten und Burgenland mit ihren jeweiligen Beteiligungsgesellschaften als Minderheitseigentümer vorgenommen. Damit stellt sie ein Spezifikum in der österreichischen Wissenschaftslandschaft dar. Mit der Forschungsgesellschaft wurde ausgehend von der Steiermark eine außergewöhnliche und in dieser Form österreichweit auch einzigartige Standortressource aufgebaut, die nicht nur über Jahrzehnte Forschungskompetenzen aufbauen konnte, sondern auch eine große Arbeitgeberin ist. Wie zahlreiche andere außeruniversitäre Forschungseinrichtungen in Europa musste aber auch sie sich von ihren Anfängen bis heute in einem sich stetig ändernden Umfeld behaupten bzw. neuorientieren (Vgl. Land Steiermark, 2008, S. 1 f.).Footnote 1 Vergleichbar mit Einrichtungen, wie z. B. dem Austrian Institute of Technology (AIT) in Österreich, der baskischen TECNALIA oder der Fraunhofer-Gesellschaft in Deutschland, betreibt sie hauptsächlich angewandte Forschung für oder in Kooperation mit Unternehmen sowie öffentlichen Auftraggebern. Dabei soll laut Zieldefinition der Wirtschafts- und Wissenschaftsstandort Steiermark (bzw. heute bundesländerübergreifend auch Kärnten und Burgenland) gestärkt und weiterentwickelt werden. Mit einer äußerst dynamischen Entwicklung in den letzten Jahren bzw. Jahrzehnten gingen tiefgreifende organisatorische Entwicklungsprozesse und eine sich in der Zeit wandelnde Positionierung zu den anderen Akteuren im regionalen und nationalen Innovationssystem einher. Einen orientierenden Rahmen geben hierbei zum einen gesetzlich festgelegte Aufgaben der außeruniversitären Forschung und zum anderen spezifische Anforderungen auf Bundesländerebene. Damit spiegeln sich in der Entwicklung der JOANNEUM RESEARCH die Veränderungen in den politischen Umfeldbedingungen und Schwerpunktsetzungen bzw. die Entwicklungsphasen des österreichischen Innovationssystems.

Die historische Betrachtung zeigt, dass die hintergründigen Zusammenhänge und Einschränkungen im Spannungsfeld zwischen Wissenschaft, Politik, Wirtschaft und Gesellschaft sich im Zeitverlauf verändern und alle diese Aspekte nur mit einem gesamtheitlichen Blick einerseits auf den schnellen technologischen Wandel und andererseits auf die äußeren Einflussnahmen zu sehen sind, um Motiven zu Veränderungen der spezifischen Unternehmensstruktur sowie einer übergeordneten Bestimmung des Standortes und Darstellung der Rolle der außeruniversitären Forschung nachzugehen. Fragen nach den Gründungsmotiven für die Vorläufer-Institutionen der heutigen Forschungsgesellschaft in den 1950er- und 1960er-Jahren und dem Bedarf, der damals im Vordergrund stand oder die Analyse der Veränderung der Aufgaben von der Gründung bis zur Gegenwart bilden dabei zentrale Bausteine, um ein detailliertes Gesamtbild über die Institution, ihre Besonderheiten und die äußeren Einflüsse im Zeitverlauf zu rekonstruieren. Letztlich ist es das interaktive Kräftedreieck Politik, Wissenschaft und Wirtschaft, in dem sich dieser Beitrag bewegt und worauf die situativen Einflussfaktoren verweisen (Vgl. BMWF, 1978, S. 7).Footnote 2 Die JOANNEUM RESEARCH nimmt in dieser sogenannten „Triple-Helix“ eine besondere Zwischenstellung ein – zwischen den verschiedenen Formen akademischer, industrieller und öffentlicher Forschung bzw. im Spannungsfeld zwischen staatlichen bzw. regionalpolitischen, wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Akteuren.Footnote 3

2 Die hohe regionale Bedeutsamkeit von Wissenschaft und Forschung in der Steiermark als institutionelle Basis

Die Bedeutung von Wissenschaft und Forschung für die regionale Identität und Entwicklung wurde in der Vergangenheit – als dies primär als Bundesaufgabe gesehen wurde – in Österreich lange Zeit unterschätzt. Die Steiermark bildet hier immer schon eine wichtige Ausnahme, historisch etwa durch die Innovationsbemühungen Erzherzog JohannsFootnote 4, der ein großer Förderer von Wissenschaft und Forschung war und visionäres Denken forcierte. Während auf Bundesebene Koordination und strategische Entwicklung von Forschung, Technologie und Innovation lange Zeit versäumt wurde, wurde in der Steiermark bereits früh auf eine systematische Rückkopplung der Wissenschaftsentwicklung mit den Bedürfnissen der Wirtschaft innerhalb der Region gebaut.Footnote 5 Zur Integration im regionalen Umfeld war vor allem die Abstimmung mit den anderen Forschungs- und Ausbildungsstätten der Region von zentraler Bedeutung (Vgl. Pelzl & Rauch, 2001, S. 171–173).

Erwartungen hinsichtlich regionalwirtschaftlicher Wirkungen spielten zwar in den Anfangsjahren der Vorläuferorganisationen der JOANNEUM RESEARCH noch keine wesentliche Rolle. Durch die zahlreichen Querverbindungen der steirischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an den verschiedenen universitären und außeruniversitären ForschungsinstitutionenFootnote 6 und ihre Beteiligung am öffentlichen und politischen Leben entwickelte sich aber ein innovationsförderndes Klima in der Region. Beispielsweise stiegen die Studierendenzahlen an der Universität Graz rasant an – zwischen 1955/56 und 1988/89 etwa um das Zwölffache, was entsprechende Engpässe in der Lehre und Ausstattung mit sich brachte. Die schwerfälligen internen Strukturen der Universitäten und knappen Bundesmittel riefen das Land Steiermark und das dynamischere Vehikel der außeruniversitären Institutionen auf den Plan (Vgl. Karner, 2005, S. 487 f.). Die Stärkung der regionalen und in weiterer Folge auch stärker wirtschaftsorientierten Komponente ergab sich auch daraus, dass immer mehr forschungs- und innovationspolitische Maßnahmen zwar auf nationaler Ebene entworfen bzw. finanziert wurden, jedoch auf einer regionalen Ebene ihre Umsetzung fanden – etwa in der Förderung der Kooperation zwischen den einzelnen Akteuren des Innovationssystems, wie in Form von Cluster-, Netzwerk-, oder Kompetenzzentrenprogrammen (Vgl. Rammer & Polt 2004, S. 48–50). Mit dieser Betonung der räumlichen Dimension in der Innovationspolitik erfolgte auch eine Neuausrichtung in der Regionalpolitik, mit einer Betonung von technologie- und innovationsbezogener Regionalförderung. Parallel zur Förderung der endogenen Potenziale bedeutete dies für bislang eher periphere Regionen die Stärkung der Verbindung zu den Zentralräumen und zentraler Forschungsinfrastruktur (Vgl. ÖIR, 1999, S. 23 f.).

3 Die Vorläufervereine und ihre Gründungsgeschichte

Wie in praktisch allen fortgeschrittenen Industrieländern kam es auch in Österreich seit den 1950er und 1960er Jahren aufgrund der wachsenden Investitionsbedarfe aber auch der Notwendigkeit zur Neuorganisation angewandter Forschung vermehrt zur Einrichtung von Forschungsorganisationen außerhalb der Universitäten bzw. Hochschulen. Im Zuge dieser Entwicklungen wurden in Graz vier Forschungsvereine als erste Vorläuferorganisationen der heutigen Forschungsgesellschaft gegründet: dies waren der Verein zur Förderung der Elektronenmikroskopie und Feinstrukturforschung, der Verein zur Förderung der elektronischen Informationsverarbeitung, der Verein zur Förderung der Anwendung der Kernenergie und der Verein zur Förderung der Tieftemperaturforschung. Diese Vereine können als historische Vorläuferorganisationen der heutigen JOANNEUM RESEARCH angesehen werden.

3.1 Wirtschaftliche Gründungsmotive treffen auf wissenschaftliches Interesse und landespolitisches Engagement

Eine wesentliche Auflage bei der Gründung dieser kooperativen Forschungsvereine war, die vom Land Steiermark finanzierten Einrichtungen über einen eigenen, mit den Universitäten kooperierenden, privatwirtschaftlichen Rechtsträger zu organisieren. Diese sollten nicht nur der universitären Forschung, praxisnahe bzw. anwendungsorientierte Leistungen bieten, sondern auch der regionalen Wirtschaft und Verwaltung gegen Entgelt zur Verfügung stehen.Footnote 7 Gefördert wurden diese Initiativen und Anliegen insbesondere vom damaligen Landeshauptmann Josef Krainer sen., der auch Präsident der jeweiligen Vereine wurde. Ein besonderes Interesse des Landes Steiermark war es zudem, über diesen Weg den an den Universitäten bereits profilierten Forscherpersönlichkeiten die Möglichkeit zu geben, „über ihren begrenzten universitären Rahmen hinaus in zukunftsweisenden und für die steirische Wirtschaft und Verwaltung wichtigen Gebieten anwendungsorientierte Forschungstätigkeit auszuüben.“Footnote 8 Damit war die Strategie geboren, ausgehend von der Universitätswissenschaft mithilfe außeruniversitärer Forschungseinrichtungen als „ergänzendes Zwischenglied“ (Wolfbauer), einen Wissenstransfer in Richtung Wirtschaft und Verwaltung mit Hoffnungen auf eine intensivere Umsetzung neuer Technologien und entsprechende Innovationen zu erzielen.

Dieses Ziel- und Denkmodell der späten 1950er Jahre trug insbesondere der Tatsache Rechnung, dass die in der Steiermark hauptsächlich angesiedelten Klein- und Mittelbetriebe selbst gar keine bzw. kaum eigene Forschungs- und Entwicklungsabteilungen aufwiesen, aber auch sonst wenig nennenswerte Forschungsdienstleistungen oder Großforschungseinrichtungen vor Ort zu Verfügung standen. Aufgrund der andersartigen Schwerpunkte an den Universitäten sollten diese neuen außeruniversitären Einrichtungen diese Lücke als kooperativer Forschungspartner füllen. Im Zentrum standen die Initiierung und Verbesserung des Wissenstransfers in der Steiermark sowie eine intendierte „katalytische Verstärkung“ und Unterstützung des gesamten Forschungssektors, ohne Einzelkontakte zwischen Universität und Industrie einzuengen oder zu behindern.Footnote 9 Die Nähe zu den Hochschulen war von Anfang an gegeben, da einige Hochschulprofessoren zugleich auch Leiter der kooperativen Forschungsanstalten waren (Vgl. Hohenberg, 1971, S. 771).Footnote 10 Als weitere zentrale Aufgabe wurden das frühzeitige Erkennen von Bedarfslagen und Entwicklungen in der Gesellschaft und das Aufgreifen dieser Problemstellungen in einer „anwendungsnahen Eigen- und Vorhalteforschung“ festgehalten. Diese Arbeiten ergaben wiederum oft Anstöße für den Grundlagenbereich in der Universitätsforschung, was in manchen Fällen auch zu einer arbeitsteiligen Ergänzung mit dem jeweiligen Universitätsbereich führte.

3.2 Der Verein zur Förderung der Elektronenmikroskopie und Feinstrukturforschung

Erste Anfänge dieser institutionellen Innovationen sind Anfang der 1950er Jahre zu finden, als eine erste Forschungsstelle für Elektronenmikroskopie an der damaligen Technischen Hochschule in Graz eingerichtet wurde. Zur Koordinierung ihrer vielfältigen Aufgaben wurde diese – als eine von den Fakultäten unabhängige Institution – einem Kuratorium aus Professoren der Grazer Hochschulen unterstellt.Footnote 11 Die offizielle Eröffnung der Forschungsstelle erfolgte im Jahr 1951 mit Inbetriebnahme eines Siemens-Elektronenmikroskops (Vgl. Technische Universität Graz, 1982, S. 124 f.). Als nach wenigen Jahren daraus das „Zentrum für Elektronenmikroskopie“ entstand, wurde 1959 mit dem „Verein zur Förderung der Elektronenmikroskopie“ der erste der oben genannten Vorläufervereine als Trägerorganisation gegründet. Dieser Schritt wurde gesetzt, um die Bemühungen der verschiedenen fördernden Stellen auf eine gemeinsame Basis zu bringen und für die Sicherung des Bedarfs sowohl an Geräten und Ausstattung als auch an Personal zu sorgen. Damit wurde versucht, einerseits der außerordentlich raschen Entwicklung auf diesem Gebiet Rechnung zu tragen und andererseits in verstärktem Maß für Wissenschaft und Wirtschaft auf kooperativer Basis tätig zu sein. Das internationale Schritthalten und erfolgreiche eigene Entwicklungen brachten das Zentrum rasch auf einen international anerkannten Standard.Footnote 12

Die zur Erfüllung seiner Aufgaben notwendigen Mittel schöpfte der Verein aus öffentlichen Zuwendungen, Mitgliedsbeiträgen und Spenden. In § 9 der Satzungen hieß es, der „Präsident soll eine verdiente Persönlichkeit des öffentlichen oder wirtschaftlichen Lebens sein.“ In der Praxis bedeutete das, dass der Landeshauptmann (als Vertreter des Hauptfinanciers) zum Präsidenten des Vereins gewählt wurde. Ihm oblag die Vertretung des Vereins nach außen, de facto wurde diese Aufgabe hauptsächlich durch den geschäftsführenden Vorsitzenden des Vorstandes wahrgenommen, dem für Wissenschaft und Hochschulen zuständige Abteilungsvorstand des Amtes der Steiermärkischen Landesregierung und späteren Landesamtsvizepräsidenten Werner Blanc.Footnote 13 Der Forschungsverein bzw. das Zentrum für Elektronenmikroskopie konnten sich mit ihrer Anwendungsnähe sowie dem steten Aufbau und der laufenden Modernisierung der Infrastruktur rasch ein internationales Renommee erarbeiten. Nach dem Tod des Gründungspräsidenten und großen Unterstützers Landeshauptmann Josef Krainer sen. wurde in der Hauptversammlung am 16. Juni 1972 Landeshauptmann Friedrich Niederl zum Präsidenten gewählt.

Zur weiteren bundesländerübergreifenden Vernetzung mit anderen außeruniversitären Einrichtungen wurde das Zentrum für Elektronenmikroskopie Mitglied der Vereinigung der kooperativen Forschungsinstitute der österreichischen Wirtschaft (der heutigen Austrian Cooperative Research ACR). Bis 1967 wurde ein Personalstand von zehn wissenschaftlichen Mitarbeitern, zehn Technikern und sechs Hilfskräften aufgebaut.Footnote 14 Bis Ende der 1960er Jahre fanden sich die Forschungsergebnisse nicht nur in den zahlreichen Publikationen wieder, sondern vor allem auch in rund 120 in- und ausländischen Patenten. Zudem ermöglichten die im Zentrum für Elektronenmikroskopie entwickelten Methoden und Apparate heimischen, insbesondere Grazer Unternehmen Exportlieferungen im Wert von ca. 20 Mio. Schilling. Dies führte in den Folgejahren zu weiteren Investitionen, insbesondere der Anschaffung neuer Elektronenmikroskope.Footnote 15

Innerhalb weniger Jahre entwickelte sich im Zentrum für Elektronenmikroskopie der Bereich der Röntgenkleinwinkelforschung als eigenständiges Spezialisierungsfeld, woraus 1967Footnote 16 und vorerst noch unter dem Dach des „Vereins zur Förderung der Elektronenmikroskopie und Feinstrukturforschung“, wie er inzwischen hieß, eine neue kooperative Forschungsanstalt für Röntgenkleinwinkeluntersuchungen gegründet wurde. Hier nahm die Anwendungsorientierung und der Apparatebau, etwa in Verbindung mit der Grazer Firma Anton Paar, nochmals deutlich zu.Footnote 17 So wurde die von Professor Kratky erfundene Röntgenkleinwinkelkamera ab ca. 1959 von der Grazer Firma Anton Paar serienmäßig gefertigt und (überwiegend) exportiert (Vgl. Kratky, 1985, S. 696).Footnote 18 Als 1971 der Verein Forschungszentrum Graz als neue Dachorganisation für die bis dahin bestehenden kooperativen Forschungsvereine eingerichtet wurde, kam es zur Ausgliederung des Instituts von Professor Kratky aus dem Verein zur Förderung der Elektronenmikroskopie und Feinstrukturforschung und es wurde direkt unter die Trägerschaft des Forschungszentrums Graz gestellt. Dort wurde es als Institut für Feinstrukturforschung mit einer Abteilung für Grundlagenforschung und einer Abteilung für Entwicklung weiter ausgebaut. Am 3. Dezember 1973 schlossen das Forschungszentrum Graz und die Österreichische Akademie der Wissenschaften ein Vertrag über die gemeinsame Führung eines Instituts für Röntgenfeinstrukturforschung ab, das schließlich am 1. Jänner 1974 seinen Betrieb aufnahm und von den bisherigen Strukturen in die neuen übergeführt wurde.Footnote 19

1980 wurde gemäß § 93 Universitätsorganisationsgesetz das direkt an die Technische Universität angekoppelte Forschungsinstitut für Elektronenmikroskopie und Feinstrukturforschung als außerhalb des Verbandes der Fakultäten stehende ‚besondere Universitätseinrichtung‘ geschaffen, das seitdem in einer kooperativen Beziehung (u. a. Personalunion der Leitung) mit dem Zentrum für Elektronenmikroskopie steht. Damit wurde der „Hochschulteil“ der Institution neu konstituiert. Gemeinsames Ziel war es, die finanziellen Möglichkeiten sowie technischen und personellen Ressourcen im besten Wege auszunützen, um die österreichweite Vorreiterrolle und die hohe Reputation innerhalb der „scientific community“ zu festigen und weiter auszubauen.Footnote 20 Der Forschungsverein stellte dem TU-Forschungsinstitut sowohl die Räumlichkeiten als auch seine Geräte zur Verfügung. Ungefähr die Hälfte der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wurden aus den Einnahmen des kooperierenden Vereines finanziert.Footnote 21

Unabhängig von vielen anderen Entwicklungen waren der Verein zur Förderung der Elektronenmikroskopie und Feinstrukturforschung und das Zentrum für Elektronenmikroskopie stets relativ autonome Einheiten innerhalb des außeruniversitären Forschungsverbundes in der Steiermark. Das Forschungszentrum Graz und in weiterer Folge die Forschungsgesellschaft Joanneum waren zwar Dachorganisationen, es gab mit ihnen aber keine sehr engen strukturellen Verflechtungen. Diese waren eher auf Ebene der Forschungsförderung zu finden. Mit den Umstrukturierungen innerhalb des gesamten Forschungsverbundes wurde entschieden, das Zentrum für Elektronenmikroskopie und seinen Trägerverein komplett von den bisherigen Strukturen abzukoppeln und als eigenständige Organisationseinheit in die Zukunft zu führen. Verbunden war damit auch eine vollständige Abkoppelung von organisatorischen bzw. personellen Verflechtungen mit dem Land Steiermark, dafür entstand eine (noch) stärkere Verbindung mit der Technischen Universität Graz. Dies wird insbesondere durch den Weiterbestand der Personalunion in der Leitung des Zentrums für Elektronenmikroskopie (des Vereins) mit der Leitung des Instituts für Elektronenmikroskopie und Feinstrukturforschung (der TU) deutlich.Footnote 22

3.3 Der Verein zur Förderung der Anwendung der Kernenergie

Einem anderen, international aufstrebenden Forschungsbereich des 20. Jahrhunderts – der Kernphysik – widmeten sich vermehrt auch österreichische Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Neben schwerpunktmäßigen Entwicklungen in Wien wurde der Drang nach Forschungen in diesem Bereich auch in Graz immer lauter. Als zumindest am Papier sichtbares Zeichen wurde Mitte der 1950er Jahre eine „Steirische Studiengesellschaft zur Förderung der Anwendung der Kernphysik“ gegründet. Als 1961 daraus der „Verein zur Förderung der Anwendung der Kernenergie“ wurde, war ein zweiter aktiver Forschungsverein aus der Taufe gehoben.Footnote 23

Dieser Verein setzte sich zur Deckung des regionalen Forschungsbedarfs für die Anschaffung und den Betrieb eines eigenen subkritischen Forschungsreaktors in Graz ein, nachdem der Bund bereits einen Forschungsreaktor in Wien und einen im Forschungszentrum Seibersdorf förderte.Footnote 24 Bereits in der Vorbereitungsphase lagen neben der Finanzierungszusage des Landes Steiermark auch Unterstützungserklärungen anderer Körperschaften und auch der Industrie vor. Dabei wurde betont, dass es sich damit um ein Projekt nicht nur für die Hochschulen, sondern infolge der engen Kopplung zwischen diesen und der Industrie um ein Gesamtanliegen des Landes Steiermark handelt.Footnote 25 Bei der Gestaltung der Strukturen des Vereins wurde auf die Erfahrungen bei der Gründung des Vereins zur Förderung der Elektronenmikroskopie zurückgegriffen. Parallelen sind auch bei der Besetzung der Organe zu finden. Landeshauptmann Krainer wurde Präsident, Werner Blanc – als zuständiger Landesbeamte – wurde zum geschäftsführenden Vorsitzenden des Vorstandes gewählt. Professor Ernst Ledinegg war Leiter des Reaktorinstituts – er übte diese Funktion dann über die Dauer von mehr als zwei Jahrzehnten aus.Footnote 26 Vom Institut für Theoretische Physik und Reaktorphysik der Technischen Hochschule personell betreut, nahm das Reaktorinstitut mit dem neu errichteten Forschungsreaktor in der Grazer Steyrergasse 17 im Mai 1965 seine Arbeit auf. Der Verein zur Förderung der Anwendung der Kernenergie war das notwendige Vehikel, um einerseits die hohen Errichtungskosten zu organisieren, aber auch um den laufenden Aufwand zur Betreibung des Forschungsreaktors und zur Beschaffung wie auch Entsorgung des Kernmaterials finanziell zu regeln. Da das Eigenkapital des Vereins für die dazu notwendigen Garantien zu gering war und dieser zweifellos im Interesse des Landes tätig war, übernahm das Land Steiermark die Haftung als Bürge und Zahler für die dem Forschungsverein erwachsenen finanziellen Verpflichtungen.Footnote 27

Der Aufbau des Forschungsreaktors erhielt in einem gewissen Ausmaß auch die Funktion eines Experimentierfeldes. Ein Vergleich mit dem – wenn auch um viele Dimensionen größeren – Kernforschungszentrum Karlsruhe zeigt hier ähnliche Tendenzen (Vgl. Oetzel, 1996, S. 180). Zur Kernforschungsanlage Jülich zeigten sich wiederum Anlehnungen was die strukturelle Ausrichtung betrifft. Diese war von Anfang an genauso eine Gründung, die vonseiten des Landes Nordrhein-Westfalen ausging und als Forschungsstätte für die Hochschulen eingerichtet wurde und Forschung für die Industrie ermöglichen sollte (Vgl. Radkau, 1983, S. 226–229). Für die weitere Entwicklung des Grazer Reaktorinstituts erlangten die strahlenmesstechnischen Aktivitäten sowohl für die Industrie als auch für die Krankenanstalten zunehmende Bedeutung. So waren genaue Dosierungsmessungen, Beratung über Abschirmungen und Fragen des Strahlenschutzes gerade für medizinische Geräte bedeutend.Footnote 28 Ab 1973 wurde zudem die Zusammenarbeit mit dem Landesarbeitsamt und anderen interessierten Stellen in Form von Strahlenschutzkursen bedeutend intensiviert. 1974 wurde das Aufgabengebiet des Reaktorinstituts erweitert, indem diesem eine staatlich autorisierte Versuchsanstalt für Strahlenschutz und Strahlenmesstechnik angeschlossen wurde.Footnote 29

Die Volksabstimmung über das Atomkraftwerk Zwentendorf und letztlich die Katastrophe von Tschernobyl am 26. April 1986 führten zu einem tiefgreifenden Wandel des Technikbewusstseins und zu einer sinkenden öffentlichen Akzeptanz der Atomenergie (Vgl. Weingand, 1995, S. 192–197). Bereits Ende der 1970er Jahre und Anfang der 1980er Jahre nahmen das Interesse und auch die Förderung der für das Reaktorinstitut relevanten Forschungsbereiche stetig ab. Eine „Explosion“ der Erlöse gab es noch einmal aufgrund der Zunahme der Untersuchungstätigkeit nach der Reaktorkatastrophe in Tschernobyl.Footnote 30 Gleichzeitig kam es zu hohen Steuernachzahlungen, da dem Verein aufgrund von Satzungsmängeln im Rahmen einer Betriebsprüfung die Gemeinnützigkeit aberkannt wurde.Footnote 31 Das Reaktorinstitut wurde im Zeitverlauf, ähnlich wie das Zentrum für Elektronenmikroskopie, formal in den steirischen Forschungsverbund eingegliedert – zuerst unter dem Dach des Forschungszentrums Graz, dann unter dem Dach der Forschungsgesellschaft Joanneum. Der Verein zur Förderung der Anwendung der Kernenergie blieb als zentraler Träger jedoch immer bestehen. Als klar war, dass die Vereinsaktivitäten nicht mehr mit den Schwerpunkten der Forschungsgesellschaft übereinstimmten, wurde der Weg in die Eigenständigkeit eingeschlagen. Im Sinne einer besseren Hervorhebung der Gemeinnützigkeit des Vereins wurden 1988 die Statuten angepasst und gleichzeitig der Namen auf „Verein zur Förderung der Strahlenforschung“ geändert. Damit wurde auch dieser Verein endgültig von der Forschungsgesellschaft Joanneum abgekoppelt und er besteht seitdem eigenständig und mittlerweile von anderen Schwerpunkten geprägt weiter. Der Verein wurde als Rechtsträger der vom Verein betriebenen „Staatlich Autorisierten Versuchsanstalt für Strahlenmesstechnik und Strahlenschutz“ festgelegt. Ähnlich dem Verein zur Förderung der Elektronenmikroskopie und Feinstrukturforschung gab es gleichzeitig eine Entkopplung von Einflüssen des Landes, was sich u. a. an der Bestellung der Vereinsfunktionäre zeigte.Footnote 32 2005 wurde der Forschungsreaktor in Graz abgebaut. Der gemeinnützige Verein zur Förderung der Strahlenforschung und die Versuchsanstalt für Strahlenmesstechnik und Strahlenschutz an der Technischen Universität Graz bestehen bis heute weiter.Footnote 33

3.4 Der Verein zur Förderung der elektronischen Informationsverarbeitung

1962 wurde eine weitere Trägerorganisation gegründet mit dem Ziel, eine moderne Großrechenanlage für Aufgaben der Wissenschaft, Wirtschaft und Verwaltung bereitzustellen. Unter Direktor Herbert Raimann sowie der wissenschaftlichen Leitung von zuerst Professor Karl Rinner und dann Professor Helmut Florian wurde mit dem Rechenzentrum Graz (RZG) ein kooperatives Forschungsinstitut auf- und ausgebaut, das sowohl die erforderlichen Dienstleistungen für die Hochschulen zur Verfügung stellte als auch immer komplexer werdende Verwaltungsaufgaben des Landes übernahm bzw. zur Automatisierung von Verwaltungsarbeiten im Landeskrankenhaus Graz beitrug. Mit dem „UNIVAC 490“-Zentralrechner der amerikanischen Firma Remington Rand wurde Ende 1964 einer der damals ersten Real-Time-Computer Österreichs in Betrieb genommen. Der „Verein zur Förderung des Rechenzentrums Graz“, der wenig später in „Verein zur Förderung der elektronischen Informationsverarbeitung“ umbenannt wurde, trug aufgrund der stetig steigenden Kapazitätsnachfrage auch dazu bei, dass das Rechenzentrum rasch ausgebaut und mit zusätzlichen Anlagen ergänzt wurde. Die Satzungen wurden nach dem von den anderen Forschungsvereinen bekannten Schema erstellt, ebendiesem folgte die Besetzung der Organe. Präsident wurde Landeshauptmann Josef Krainer sen., Präsident-Stellvertreter wurde der Erste Landeshauptmann-Stellvertreter Fritz Matzner und Vorsitzender des Vereinsvorstandes wurde auch hier der Landesbeamte Werner Blanc. Nach dem Tod Krainers folgten ab 1972 Landeshauptmann Friedrich Niederl im Amt des Präsidenten und Erster Landeshauptmann-Stellvertreter Adalbert Sebastian als Präsident-Stellvertreter nach.Footnote 34

Die Gründung des Forschungsvereins bzw. die Einrichtung des Rechenzentrums förderte in Folge die Herausbildung verschiedenster Initiativen im EDV-Bereich an den Hochschulen. Neue Studienzweige wurden eingeführt und neue Institute gegründet. Die Tätigkeiten des Forschungsvereins weiteten sich mit der technologischen Entwicklung im EDV-Bereich und der Erweiterung des fachlich-inhaltlichen Spektrums mehr und mehr aus. Im Rahmen des Vereins wurden EDV-Kurse abgehalten, um auch außeruniversitären Interessenten eine günstige Weiterbildungsmöglichkeit auf dem damals noch jungen Gebiet zu ermöglichen. Damit und mit der Kooperation zwischen Hochschule und dem Forschungsverein bzw. der gemeinsamen Benutzung des Rechenzentrums wurde der Grundstein für die weitere Entwicklung eines eigenständigen Forschungsbereichs der Informationsverarbeitung in Graz gelegt (Vgl. Haring & Posch, 1978, S. 18 f.). Die Kooperation der steirischen Hochschulen mit dem Rechenzentrum Graz war ein in Österreich einzigartiges Modell der Zusammenarbeit mit einem externen Rechenzentrum. Durch die Ressourcenbündelung war es den Angehörigen v. a. der Technischen Hochschule und der Universität Graz bereits ab Mitte der 1960er Jahre möglich, ein modernes Computersystem für die Forschungs- und Lehrtätigkeit zu nutzen. Bereits 1968 wurde das Rechenzentrum vergrößert und in den Folgejahren weitere bzw. weiterentwickelte UNIVAC-Großanlagen eingerichtet.Footnote 35 Das Rechenzentrum Graz betrieb im hochschulischen bzw. wissenschaftlichen Bereich bis in die 1970er Jahre hinein die einzige Anlage, die Datenfernverarbeitung durchführen konnte. Diese kam darüber hinaus auch für Aufträge der Industrie und im Bereich der Verwaltung vor allem für die laufende Umstellung im Krankenhauswesen zum Einsatz. Die wachsende Anzahl der Beschäftigten (1971 waren es bereits mehr als 65 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter) und die Ausweitung der Computeranlagen – u. a. durch die Errichtung eines elektronischen Entwicklungslabors – erforderten zusätzlichen Raum, der durch die im Jahre 1971 begonnene Aufstockung des Gebäudes in der Steyrergasse zugleich auch für die anderen Institute geschaffen wurde.Footnote 36Rasch entwickelte das Rechenzentrum einen großen Dienstleistungsumfang. Damit war es, v. a. ab dem Jahr 1971 unter dem neuen Dach des Forschungszentrums Graz, auch ein Finanzierungsmotor – sowohl für die eigenen Forschungsaktivitäten als auch für die anderen kooperativen „Schwesterninstitute“.Footnote 37

Aufgrund dieser Entwicklungen konnte sich der in Graz herausgebildete EDV-Bereich im Österreich-Vergleich stark positionieren. Neben den offiziellen Kooperationsverträgen und geregelten Projektarbeiten war es in den Anfängen die informelle Zusammenarbeit zwischen Hochschulforschern bzw. Forschergruppen und dem Forschungszentrum Graz die ihr Nötigstes dazu beitrug. 1972 wurde das Rechenzentrum bzw. sein Großcomputer-Verbundsystem bereits von rund 50 Hochschulinstituten in Anspruch genommen, 1979 waren es 100. Neben den Ministerien, dem Land Steiermark und dem Magistrat Graz wurden auch vermehrt Aufträge aus der Wirtschaft, insbesondere zur Lösung von Optimierungsproblemen, durchgeführt. Unter den zahlreichen für die Steiermärkische Landesregierung durchgeführten Arbeiten sind insbesondere die EDV-Projekte mit der Landesbuchhaltung und der Landesbaudirektion sowie die Automatisierung von Verwaltungsarbeiten im Landeskrankenhaus Graz hervorzuheben. Die Ausweitung der elektronischen Datenverarbeitung brachte auch eine Erweiterung der Kompetenzbereiche im Rechenzentrum Graz mit sich. Dies führte zur Bildung von drei spezialisierten Bereichen bzw. Abteilungen: Das Institut für Maschinelle Dokumentation, das Laboratorium für elektronische Entwicklungen und die Abteilung für Systemprogrammierung. In den 1980er Jahren entwickelte sich die EDV weg von den großen Zentralrechnern hin in Richtung kleinere Systeme. Einen neuen Technologieschub brachte die Anschaffung der VAX-Computersysteme der Firma Digital Equipment Corporation. Diese Entwicklung zeigte aber gleichzeitig, dass die Finanzierung und die Hauptstrukturerhaltung über diese Dienstleistungen längerfristig nicht aufrecht zu erhalten waren. Auf Seiten der Hauptgeschäftspartner – der Landesverwaltung und der Universitäten mit ihren sich herausbildenden eigenen EDV-Zentren – entstanden zunehmend Eigeninteressen und die kleineren Anlagen wurden für diese selbst immer leistbarer. So wurde versucht, den rein gewinnorientierten Dienstleistungsbereich auszulagern und innerhalb einer eigenen Forschungsanwendungsgesellschaft mit dem Mikrozentrum auf eine noch größere Breite zu stellen.Footnote 38

Ende 1983 wurde die freiwillige Auflösung des Vereins zur Förderung der elektronischen Informationsverarbeitung beschlossen und das bestehende Vereinsvermögen an die Forschungsgesellschaft Joanneum übertragen. Im Zuge eines Betriebsprüfungsverfahrens der Forschungsvereine wurden letztlich auch beim Rechenzentrum die Gemeinnützigkeit infrage gestellt und Steuernachforderungen gestellt.Insgesamt wurden 71 Mitarbeiter inklusive ihrer Abfertigungsansprüche von der Forschungsgesellschaft Joanneum bzw. der Forschungsanwendungsgesellschaft mbH übernommen.Footnote 39

3.5 Der Verein zur Förderung der Tieftemperaturforschung

Der ebenfalls 1962, wieder unter wesentlicher finanzieller Förderung durch das Land entstandene „Verein zur Förderung der Tieftemperaturforschung“ ermöglichte die Arbeit auf einem weiteren kostenintensiven Forschungsgebiet. Auf Initiative von Professor Klaudy, der auch Vorstand des Instituts für Grundlagen der Elektrotechnik und Theoretische Elektrotechnik an der Technischen Hochschule Graz war, wurde damit die Gründung der u. a. mit einer großen Helium- und Stickstoffverflüssigungsanlage ausgestatteten Anstalt für Tieftemperaturforschung ermöglicht. In der Mitgliederversammlung wurden äquivalent zu den anderen Forschungsvereinen die Organe besetzt. 1968 erfolgte, wie bei den anderen drei kooperativen Forschungsvereinen, eine Satzungsänderung zum Zwecke der Vereinheitlichung der Vereinsstrukturen.Footnote 40

Schon bald nach ihrer Gründung wurde die Anstalt für Tieftemperaturforschung weiter ausgebaut. Verfolgt wurden dabei nahezu ausschließlich technische Zielsetzungen, betreffend elektrotechnische Anwendungsmöglichkeiten bei tiefsten Temperaturen. Dieses Spezialgebiet entstand als Nebenergebnis der Weltraumforschung und ihrer Fortschritte in der Kühlmaschinen- und Kälteisoliertechnik. Ins Zentrum des Interesses rückte auch die Untersuchung der mechanischen Eigenschaften von Baustoffen bei tiefen Temperaturen. So wurden 1972 im Auftrag der Firmen VÖEST und Schoeller-Bleckmann Forschungsarbeiten über die Biegefestigkeit von Stählen bei tiefen Temperaturen durchgeführt. Der Schwerpunkt der Arbeiten in der Anstalt für Tieftemperaturforschung lag in der Entwicklung tiefstgekühlter supraleitender Energieübertragungskabel, die als Weltneuheit erstmals von Peter Klaudy im Jahr 1965 vorgestellt wurden.Footnote 41 Zu einem Schwerpunkt der Forschungsaktivitäten entwickelte sich die Durchführung von Untersuchungen für andere Wissenschaftseinrichtungen und die Wirtschaft, vielfach auch indem eine beratende Funktion übernommen wurde. Ein für die Anstalt maßgeblicher Vertragspartner aus der Wirtschaft war die ELIN-UNION AG. Im Rahmen einer staatlich autorisierten Versuchsanstalt wurden darüber hinaus Tieftemperatursysteme und -komponenten begutachtet und geprüft.Footnote 42

Trotz international beachteter Forschungserfolge blieb die Sicherung der staatlichen Finanzierung eine der Hauptschwierigkeiten. Um international konkurrenzfähig zu sein und dem heimischen Nachwuchs in diesem Forschungsbereich Möglichkeiten zu bieten, erschien es für das Land Steiermark aber sinnvoll, weiter in die Errichtung und Erhaltung der Anstalt für Tieftemperaturforschung zu investieren.Footnote 43 Formale Veränderungen kamen zeitgleich mit jenen des Vereins zur Förderung der elektronischen Informationsverarbeitung (und dem Verein Forschungszentrum Graz). Ende 1983 wurde die freiwillige Auflösung des Vereins zur Förderung der Tieftemperaturforschung beschlossen und die im Verhältnis relativ kleine Anstalt für Tieftemperaturforschung wurde vollständig in die Forschungsgesellschaft Joanneum aufgenommen und blieb im Anschluss noch für rund zehn Jahre bestehen.Footnote 44

4 Die Entwicklung der Dachorganisationen im steirischen Forschungsverbund

Bald nach der örtlichen Konzentration bzw. Verlagerung der bestehenden Institute und Zentren an die zentrale Adresse in der Steyrergasse 17 in Graz, wo bis vor wenigen Jahren noch die Unternehmenszentrale der heutigen JOANNEUM RESEARCH angesiedelt war, wurden erste Tendenzen einer organisatorischen Zusammenführung und Vereinfachung der Strukturen der einzelnen Trägervereine verfolgt. Am 21. November 1966 wurde die offizielle Eröffnung der kooperativen Forschungsanstalten im Neubau in der Steyrergasse gefeiert. 1968 folgte eine Neufassung und organisatorische Angleichung der Satzungen für die vier bereits bestehenden kooperativen Forschungsvereine in Graz. Sitzungen wurden fortan zeitgleich abgehalten. Dies führte im Jahr 1971 in einem nächsten Schritt schließlich zur Gründung eines neuen, gemeinsamen Dachvereins, dem Forschungszentrum Graz. 1978 wurde mit der Forschungsgesellschaft Joanneum ein weiterer Verein gegründet. Dieser war vorerst nur zum Zwecke der Forschungsförderung für die bestehenden außeruniversitären Forschungseinheiten vorgesehen, wurde aber wenig später zur Dachgesellschaft, die die bestehenden Organisationen in einem Forschungsverbund zusammenfasste. In den 1980er Jahren wurde darüber hinaus zur kommerziellen Verwertung von Leistungen bzw. Anwendungen die Forschungsanwendungsgesellschaft eingerichtet.Footnote 45

4.1 Der Dachverein „Forschungszentrum Graz“

Noch unter der Ägide von Landeshauptmann Josef Krainer sen. als Präsident aller Vereine initiiert, wurde die weitere Entwicklung der außeruniversitären Forschungsinstitutionen auch von seinem Nachfolger Friedrich Niederl in dieser Position unterstützt. Im Forschungszentrum Graz wurden die ersten vier Einheiten der Gründungsjahre zusammengefasst und unter eine gemeinsame Leitung gestellt. Damit wurde sichergestellt, die Tätigkeit der vier bestehenden Vereine und ihre Leistungen auf privatwirtschaftlicher Basis besser zu koordinieren. Eine Aufstockung des Gebäudes in der Steyrergasse brachte ab 1972 zudem auch eine Erweiterung der verfügbaren Räumlichkeiten. Gleichzeitig wurde die Möglichkeit geschaffen, auf einfachem Wege neue außeruniversitäre Forschungseinrichtungen errichten zu können. Das gemeinsame Dach zeigte sich auch in einer gemeinsamen Geschäftsordnung der einzelnen Forschungsvereine, d. h. des Forschungszentrums Graz und der Institute der anderen vier Trägervereine.Footnote 46 Diese fußte auf den Satzungen der Forschungsvereine und „regelt die Gliederung, den Geschäftsgang und den inneren Betrieb der Forschungseinrichtungen und ihrer Verwaltungsstellen.“Footnote 47 Die Bezeichnung Forschungszentrum Graz wurde im weiteren Sinne nicht nur als Bezeichnung für den Dachverein, sondern auch als örtlicher Begriff verwendet.

In den Jahren bis 1977 wurde eine Vielzahl neuer Forschungsbereiche bzw. die dazugehörigen Institute, Zentren bzw. Laboratorien als anwendungsorientierte Ergänzung zu den Universitäten aufgebaut. Zu dieser Zeit zählten die verschiedenen Einheiten des Forschungszentrums insgesamt bereits über 150 Beschäftigte. Neben dem Rechenzentrum Graz, dem Zentrum für Elektronenmikroskopie, der Anstalt für Tieftemperaturforschung, dem Reaktorinstitut und dem Institut für Röntgenfeinstrukturforschung bildeten sich folgende weitere Teilorganisationen unter dem Dach des Forschungszentrums Graz: Institut für Umweltforschung, Institut für Bauphysik und Fenstertechnik, Arbeitsgemeinschaft für Weltraumforschung, Arbeitsgemeinschaft für geothermale Energie, Mathematisch-Statistische Sektion, Vereinigung für hydrogeologische Forschung, Laboratorium für Kolloidforschung, Laboratorium für Sensorik sowie die Studiengruppe für internationale Analysen in Laxenburg.Footnote 48 Die einzelnen Institute selbst hatten dabei keine eigene Rechtspersönlichkeit.

Die organisatorische Heterogenität, die sich mit zunehmender Spezialisierung und Einrichtung neuer Forschungsbereiche auftat, war zu dieser Zeit kein steirisches Spezifikum. Die internationale Entwicklung der Forschungsfelder brachte auch andere vergleichbare Institutionen in ähnliche Situationen.Footnote 49 Die zunehmende Heterogenität umfasste einerseits die verschiedenen Institute sowohl im Rahmen der außeruniversitären Forschung als auch an den Hochschulen oder anderen öffentlichen Einrichtungen und andererseits durch sich dadurch ergebenen Personal- und Infrastrukturverschmelzungen. Dadurch ergaben sich beispielsweise auch immer wieder Problematiken im Zusammenwirken der Technischen Universität mit außeruniversitären Organisationen wie dem Forschungszentrum Graz. Viele fachliche wie organisatorische Überschneidungen brachten es mit sich, dass formale Grenzen manchmal verschwammen.Footnote 50 In der Folge wurden immer mehr die Forderungen nach mehr Transparenz und einer gesteigerten Kostensensibilität laut.

Zehn Jahre nach Vereinsgründung des Forschungszentrums Graz wurden die Satzungen im Jahr 1981 adaptiert. Grund dafür war eine angestrebte Entkoppelung der Führungspositionen im Verein und jener im operativen Bereich des Forschungszentrums. Der Vereinsvorstand wurde in seiner bisherigen Form aufgelöst. Der bisherige Vorsitzende des Vorstands übernahm die Funktion des geschäftsführenden Präsidenten und Vorsitzenden des Kuratoriums. Mit der Geschäftsführung des Forschungszentrums wurde ein Direktorium mit der operativen Leitung des Forschungszentrums betraut. Die Leitung der drei Direktionsbereiche, die sich jeweils aus einer Gruppe von fachverwandten Instituten bzw. Institutsleitern zusammensetzte teilten sich Herbert Raimann, Willibald Simma und Jürgen Wolfbauer. Nur zwei Jahre später wurde der Verein Forschungszentrum Graz zum 31. Dezember 1983 aufgelöst, ebenso wie der Verein zur Förderung der elektronischen Informationsverarbeitung und der Verein zur Förderung der Tieftemperaturforschung. Es galt das bestehende Vereinsvermögen an die Forschungsgesellschaft Joanneum schenkungsweise zu übertragen und die bislang im Forschungszentrum Graz geführten Institute in die Strukturen der neuen Forschungsgesellschaft Joanneum zu integrieren.Footnote 51

4.2 Der Dachverein „Forschungsgesellschaft Joanneum“

Bedingt durch die rasante Ausweitung sowohl der Arbeitsgebiete als auch des geografischen Wirkungsraums der außeruniversitären Forschungseinrichtungen in der Steiermark wurde, von Landesseite angeregt, im Jahr 1978 mit der Forschungsgesellschaft Joanneum (FGJ) ein weiterer Verein gegründet. Im Zuge der Gründungsversammlung wurde Landeshauptmann Friedrich Niederl zum Präsidenten der Forschungsgesellschaft gewählt. Nach den Landtagswahlen im Jahr 1981 wurden diese Funktionen von Landeshauptmann Josef Krainer jun. übernommen. Ihnen oblagen die ideelle und richtungsgebende Leitung und die Vertretung des Vereins nach außen. Vorsitzender des Vereinsvorstandes wurde Landesamtsvizeprädident Hofrat Werner Blanc. Dieser neue Verein war vorerst nur zum Zwecke der Forschungsförderung vorgesehen. Die primäre Idee hinter der Gründung der Forschungsgesellschaft Joanneum war es, diese in Richtung eines Finanzierungsinstruments zu entwickeln bzw. über diesen Bereich bestimmte Fördermodelle aufzubauen. Die operativen Tätigkeiten sollten weiterhin im Forschungszentrum Graz angesiedelt bleiben. Bald entstanden aber auch innerhalb der Forschungsgesellschaft Joanneum eigene Forschungskapazitäten (und entsprechende Institute), insbesondere in den Bereichen Geowissenschaften, Umweltforschung, Weltraumtechnik, Sensorik und Software Engineering, Energieforschung und Rohstoffforschung. Einen besonderen Schwerpunkt dieser Dach- und Finanzierungsgesellschaft stellte die notwendige Verbesserung der Forschungsinfrastruktur, die Sicherstellung der Basisfinanzierung sowie das Pflegen internationaler Netzwerke dar. Ein wesentlicher Aspekt war die eindeutige Verankerung der Gemeinnützigkeit in den Statuten der Forschungsgesellschaft. Mit ihr wurde Erzherzog Johann ein weiteres Mal Namensgeber einer steirischen Institution.Footnote 52

Ein spezielles Merkmal der inneren Organisation war der zu dieser Zeit häufig vorkommende Einsatz von Universitätsangehörigen als leitendes Forschungspersonal in der Forschungsgesellschaft. Neben Aufträgen aus öffentlicher Hand wurden mit steigender Tendenz auch Aufträge aus dem Ausland lukriert und in einem beträchtlichen Ausmaß Forschungsleistungen für die Wirtschaft erbracht. Ende des Jahres 1983, als bereits Landeshauptmann Josef Krainer jun. als Präsident die Belange der Forschungsgesellschaft vertrat, wurden erste Anläufe zu einer Vereinfachung der Strukturen und Optimierung der Organisation und Verwaltung unternommen. Mit Auflösung des Forschungszentrums Graz wurde sie schließlich zu einer ganzheitlichen, d. h. auch organisatorischen, Dachgesellschaft innerhalb des Forschungsverbunds umstrukturiert. Gleichzeitig wurde beschlossen, auch die Trägervereine des Rechenzentrums und der Anstalt für Tieftemperaturforschung aufzulösen. Alle verbleibenden Institute wurden innerhalb der Forschungsgesellschaft Joanneum neu geordnet und in sechs Arbeits- bzw. Fachbereiche eingeteilt. Dem Zentrum für Elektronenmikroskopie und dem Reaktorinstitut blieben ihre eigenständigen Trägervereine erhalten, diese waren aber eng mit der Forschungsgesellschaft Joanneum assoziiert. Die Bestellung der Vereinsorgane erfolgte in gleicher Weise wie bei den bestehenden Vereinen. Die Geschäftsführungsagenden wurden unter der Leitung von Herbert Raimann, Jürgen Wolfbauer, Willibald Simma und Dr.-Ing. König in vier Verantwortungsbereiche aufgeteilt. Dies war ein ähnlicher Schritt der organisatorischen Abgrenzung, wie er zuvor bereits beim Forschungszentrum Graz getan wurde, um die Strukturen zu vereinfachen und die Verwaltung zu optimieren.Footnote 53

Mit den von ihr betreuten Forschungseinrichtungen – das waren Anfang der 1980er Jahre mit den Instituten des Forschungszentrums Graz und jenen der anderen kooperativen Forschungsvereine insgesamt 26 Organisationseinheiten – wuchs sie mit über 330 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zur zweitgrößten gemeinnützigen Forschungsorganisation in Österreich heran.Footnote 54 In Summe fanden sich Forschungs- und Organisationseinheiten innerhalb des steirischen Forschungsverbunds wieder, die eine große Spannweite von Forschugnsbereichen abdeckten: von der Bauphysik über die Biotechnologie und Biochemie, die Digitale Bildverarbeitung, die Geophysik und -thermie, Hydrogeologie bis hin zur Umweltforschung. Als Ersatz der aufgelösten Vereine bzw. der integrierten Institute wurde die Forschungsgesellschaft Joanneum 1984 in die Vereinigung der kooperativen Forschungsinstitute der österreichischen Wirtschaft (heute ACR) aufgenommen.Footnote 55

Die einzelnen Institute und Organisationseinheiten agierten wie selbstständige strategische Geschäftseinheiten auf der Basis einer Gesamtrahmenplanung. Neben Aufträgen aus öffentlicher Hand wurden mit steigender Tendenz auch Aufträge aus dem Ausland gewonnen sowie Forschungsleistungen für die Wirtschaft erbracht. Auf dem Sektor der angewandten technologieorientierten Forschung wuchs die Forschungsgesellschaft nicht nur in ihrer Größe, sondern stellte vor allem als stark diversifizierter Forschungskomplex das Forschungsmanagement vor große Herausforderungen (Vgl. Wolfbauer, 1983, S. 259). Die Institute standen zum Teil aber nicht nur für sich alleine, in speziellen Forschungsprojekten wurde auch institutsübergreifend zusammengearbeitet. So wurde Mitte der 1980er Jahre beispielsweise durch die zusammenwirkende Initiative mehrerer Leobener Institute der Forschungsgesellschaft in zielgleiche Vorhaben im Bereich der (EDV-gestützten) Umweltgeologie zu einem Forschungsbereich interdisziplinär zusammengefügt. Die Schwerpunkte in der Forschung wurden auch an den entsprechenden Prirotäten in der Finanzierung geleitet. – so etwa auf die Forschungen am Institut für Röntgenfeinstrukturforschung, im Rohstoffbereich (in Leoben) sowie am Institut für Umweltforschung.Footnote 56

Die durch das rasante Wachstum unübersichtlich gewordene Konstruktion sollte schließlich durch einen grundlegenden Reorganisationsprozess auf eine rechtlich neu geordnete Basis gestellt werden – auch weil von öffentlichen Stellen und durch medialen Druck die Forderung immer stärker wurde, die Abläufe innerhalb des Forschungsverbunds transparenter zu machen. Im Dezember 1986 wurde aus diesem Grund die Forschungsgesellschaft Joanneum GmbH errichtet, die seither als Rechtsträger für die außeruniversitäre Forschung dient. Im Laufe des Jahres 1987 wechselten demnach die Forschungsinstitute und -laboratorien in diesen neuen Rechts- und Finanzierungsrahmen über. Nur ein Teil bestand aber tatsächlich in gleicher bzw. ähnlicher Form weiter. Der Verein „Forschungsgesellschaft Joanneum“ wurde Ende 1987 aufgelöst, sein Vermögen und Personal gingen auf die neue GmbH über.Footnote 57

4.3 Die Forschungsanwendungsgesellschaft

Während die Institute innerhalb der Forschungsgesellschaft Joanneum neu geordnet wurden, wurde zur kommerziellen Verwertung von Entwicklungen und Leistungen 1981 die „Forschungsanwendungsgesellschaft“ (FAG) gegründet. Durch die immer stärkere dienstleistungsbezogene Kooperation mit der Wirtschaft und die Notwendigkeit entsprechende Erlöse zu erzielen wurden die Teile der kommerziellen Verwertung aus dem gemeinnützigen Forschungsbereich herausgenommen und in die eigene Gesellschaft ausgelagert. Dazu ergab sich anfangs die – wie auch bisher zentrale – Vereinsform, die schließlich durch die Rechtsform einer GmbH ergänzt bzw. abgelöst wurde. Diese wurde u. a. Eigentümerin des Mikrozentrums, jener PC-Handels- und IT-Service-Organisation die hinter dem Rechenzentrum Graz stand.Footnote 58

Mit dem Gewinn der Forschungsanwendungsgesellschaft galt es, die Institute der Forschungsgesellschaft Joanneum zu sichern und zu fördern. Da immer relativ schnell auf Finanzierungsbedarfe reagiert werden musste, war es äußerst schwierig langfristige Ziele und Strategien zu definieren. Zur Erschließung zusätzlicher Einnahmequellen bemühte sich die Forschungsanwendungsgesellschaft etwa als die Entwicklung der Personal Computer absehbar war um die Vertretung der Sirius-Systeme. Diese waren in weiterer Folge die ersten PCs die – über die FAG – an der Technischen Universität installiert wurden.Footnote 59 1987 wurde die neu gegründete Forschungsgesellschaft Joanneum GmbH (JOANNEUM RESEARCH) 100 %-Eigentümerin der Forschungsanwendungsgesellschaft mbH, Ende 1988 wurden die beiden Gesellschaften miteinander verschmolzen. Zuvor konnte, nach einer entsprechenden Restrukturierungszeit, der Forschungsanwendungsgesellschaft das Mikrozentrum verkauft und als Management-Buyout auf eine neue und privatwirtschaftliche Basis gestellt werden.Footnote 60

5 Die JOANNEUM RESEARCH Forschungsgesellschaft mbH

Als Mitte der 1980er Jahre der bis dahin in Vereinsform organisierte steirische Forschungsverbund in die öffentliche Kritik kam, folgte die bis dahin wohl schwierigste Phase in der Unternehmensgeschichte. Die durch das rasante Wachstum unübersichtlich gewordene Konstruktion wurde schließlich durch einen umfassenden und tiefgreifenden Reorganisationsprozess auf eine neue Basis gestellt. Generell wurde in dieser Zeit ein tiefgreifender Wandel in den Strukturen der anwendungsorientierten Forschung in Gang gesetzt. Der immer intensivere Wettbewerb um Ressourcen und Positionierung im Innovationssystem verlangte neue Governance-Strukturen innerhalb des Forschungssystems und seiner einzelnen Organisationen. Dies betraf also nicht nur die JOANNEUM RESEARCHalleine. Es wurden Reformen in Bezug auf die öffentliche Finanzierung sowie innerhalb der Organisation(en), durchgeführt (Vgl. Ritter, 1992, S. 106 ff.; Jansen, 2010, S. 39 ff.; Hohn, 2010, S. 458 ff. und Groß & Arnold, 2007, S. 17 ff.). Am 17. Dezember 1986 wurde im Firmenbuch die „Forschungsgesellschaft Joanneum GmbH“ eingetragen, am 1. Juni 1987 nahm diese unter neuer Geschäftsführung ihre ordentliche Geschäftstätigkeit auf. 1988 wurde im Zuge einer Erneuerung des Corporate Designs für eine bessere Außenwirkung die neue Bezeichnung JOANNEUM RESEARCH eingeführt, einige Jahre später wurde auch der offizielle Firmenwortlaut in „JOANNEUM RESEARCH Forschungsgesellschaft mbH” geändert.

Die Entwicklungen in diese Richtung wurden – stärker als je zuvor – von politischen Diskussionen über behauptete Unregelmäßigkeiten begleitet, die das öffentliche Bild der Forschungsgesellschaft negativ beeinflussten. In Folge prüften sowohl der Bundesrechnungshof als auch der Landesrechnungshof.Footnote 61 Gleichzeitig wurde ein Untersuchungsausschuss im Steiermärkischen Landtag eingesetzt. Die abschließenden Berichte entkräfteten, bis auf kleinere Mängel, die Anschuldigungen über Fehlverhalten in der Organisation bzw. von verantwortlichen Funktionären. Retrospektiv gesehen war dieser Angelpunkt für den Weiterbestand der außeruniversitären Forschung in der Steiermark ein Meilenstein, um den notwendig gewordenen großen Entwicklungsschritt zu setzen. Durch die prekär gewordene Finanzierungsfrage und die erreichte Größe sowie die damit einhergehenden Probleme für die vorherrschende Organisationsstruktur wurde der Verein 1987 in eine GmbH übergeführt. Mit der Reorganisation konnte die Forschungsgesellschaft nicht nur neue Strukturen, sondern auch ein neues Image aufbauen.Footnote 62

5.1 Strukturelle Veränderung und Neuausrichtung als GmbH

Alleineigentümer der neuen GmbH wurde das Land Steiermark. Der „Proporz“ war in der Steiermark lange nicht nur ein Reglement der Regierungsbildung, sondern manifestierte sich auch in den Bestellungen der Leitungspositionen in den Landesgesellschaften.Footnote 63 Dies führte im Zuge der Restrukturierungen dazu, dass eine Parteienvereinbarung zwischen ÖVP und SPÖ geschlossen wurde, worin die organisatorischen, personellen und finanziellen Aspekte der Neustrukturierung sowie der Gesellschaftsvertrag und die Geschäftsordnung für die Geschäftsführung im gegenseitigen Einvernehmen festgehalten wurden.Footnote 64 Mit der organisatorischen kam es auch zu einer umfassenden inhaltlichen Neuordnung, als Konstante blieb die Gemeinnützigkeit.Footnote 65 Geschäftsführer der neuen Gesellschaft wurden Berghold Bayer und Rainer Uranschek, im ersten Jahr noch durch einen dritten Geschäftsführer, Prof. Maximilian Etschmaier, verstärkt. Neben dem Aufsichtsrat wurde ein Wissenschaftlicher Beirat als zusätzliches Strategieberatungsorgan eingerichtet. Die Eigentümervorgaben wurden seit der GmbH-Gründung in Form von Dreijahresplänen konzeptualisiert und laufend evaluiert, die Basisfinanzierung des Landes hat sich bis heute im Bereich zwischen 7 und 8,5 Mio. Euro eingependelt.Footnote 66

Die größten Herausforderungen für die Geschäftsführung der GmbH waren die Formalisierung der eher vagen Konstruktionen der Vereinszeit und die Überführung in die klar vorgegebene GmbH-Struktur, die Umstellung auf ein modernes Unternehmenskonzept und die Einführung zeitgemäßer Führungsmodelle sowie transparenter Reportingsysteme.Footnote 67 Die Restrukturierungsmaßnahmen und die Fokussierung auf technologiepolitisch relevante Schwerpunkte der angewandten Forschung führten zu einer drastischen Verringerung der bisherigen Institute, aber auch neue Forschungseinheiten wurden gegründet. Es wurde ein der Geschäftsführung unterstellter zentraler Verwaltungsbereich installiert und die Institute aus jeweils verwandten Forschungsgebieten in Fachbereichen zusammengefasst. Strategisch unwichtig gewordene Beteiligungen wurden abgestoßen bzw. ausgegliedert, so ging von nun an der frühere Verein zur Förderung der Anwendung der Kernenergie nun als Verein zur Förderung der Strahlenforschung ebenso rechtlich eigenständige Wege wie der Verein zur Förderung der Elektronenmikroskopie und Feinstrukturforschung.Footnote 68 Ein Investitions- und Modernisierungsprogramm wurde initiiert, gleichzeitig konnte die Auftragsforschung, trotz Straffung des Forschungsprogramms, ausgeweitet werden. Mitte 1997 wurde die Geschäftsführung der Forschungsgesellschaft durch Bernhard Pelzl und Edmund Müller übernommen. Zeitgleich wurde eine Regionalisierungsoffensive gestartet, mit Gründung mehrerer regionaler Standorte (in der Steiermark) in den Folgejahren. In den ebenfalls erstmals Ende der 1990er Jahre gestarteten nationalen Kompetenzzentrenprogrammen nahm die JOANNEUM RESEARCH als Initiatorin, Forschungspartnerin bzw. Gesellschafterin aktiv teil und beteiligte sich in der Folge an sieben Kompetenzzentren.Footnote 69

Die JOANNEUM RESEARCH Forschungsgesellschaft mbH befand sich bis 2004 im Alleineigentum des Landes Steiermark. Um die strategische Ausrichtung auf den europäischen Forschungsraum zu verstärken, wurde in diesem Jahr eine Partnerschaft mit der „Nederlandse Organisatie voor toegepast-natuurwetenschappelijk onderzoek (TNO)“ eingegangen, der größten außeruniversitären Forschungsgesellschaft der Niederlande. Im Zuge dessen beteiligte sich die TNO im Wege einer Kapitalerhöhung mit einem Minderheitsanteil von 10 % an der JOANNEUM RESEARCH. Gemeinsame strategische Ziele waren es, die F&E-Märkte in Osteuropa zu erschließen, jeweilige Projekte aneinander anzupassen, zusammen Investitionen zu tätigen sowie gemeinsam EU-Forschungsprojekte durchzuführen.Footnote 70 Nach zehn Jahren zog sich die TNO im Jahr 2014 aus ihrer Beteiligung zurück, u. a. weil sich die erhofften Synergieeffekte und gemeinsamen Marktpositionierungen nicht einstellten. In der Folge wurden aber weitere österreichische Bundesländer Gesellschafter der JOANNEUM RESERACH: zunächst konnte mit dem Land Kärnten ein neuer Minderheitseigentümer gewonnen werden, 2018 auch das Land Burgenland, womit eine „Forschungsachse Süd-Ost“ aufgebaut werden sollte. Heute hält das Land Steiermark 80,75 %, die Kärntner Betriebsansiedlungs- und Beteiligungsgesellschaft 14,25 % und die Landesholding Burgenland 5 % der Gesellschaftsanteile.Footnote 71

5.2 Organisatorische Entwicklungsschritte und Tätigkeitsschwerpunkte der jüngeren Zeit (bis zum Strategischen Rahmenplan 2008)

Die Unternehmenspolitik führte in den ersten Jahren nach GmbH-Gründung zu einer Ausweitung der internationalen Kooperationen und einer Ausweitung der Auftragsforschung für kleine und mittlere Unternehmen. Dem gegenüber standen der Rückzug aus den Aktivitäten, die den Universitäten durch das Universitätsorganisationsgesetz 1993 zugänglich geworden waren (Teilrechtsfähigkeit) sowie die Ausgliederung selbstständig gewordener Aktivitäten.Footnote 72 Großes öffentliches Interesse wurde dem Unternehmen durch Übernahme der wissenschaftlich-technischen und organisatorischen Abwicklung des Projekts „AUSTROMIR“ zuteil, das unter der Leitung von Professor Willibald Riedler im Oktober 1991 im ersten und einzigen Raumflug eines Österreichers gipfelte. Damit wurden nicht nur die Arbeiten im Bereich der Weltraumforschung forciert, sondern auch erstmals für andere Auftraggeber umfassendes Projektmanagement betrieben.

In weiterer Folge positionierte sich die JOANNEUM RESEARCH als aktiver Organisator wissenschaftlicher Veranstaltungen in der Steiermark, der Bereich der Technologieberatung wurde ausgebaut, neue Technologiefelder erschlossen und eine Außenstelle in Wien installiert. Die Forschungsgesellschaft versuchte sich seither als aktiver Netzwerkknoten zwischen Wissenschaft, Wirtschaft und öffentlicher Hand sowie im Technologietransfer und Forschungsgeschehen in der steirischen Forschungslandschaft standortwirksam zu positionieren. Eine verstärkte internationale Positionierung passierte vor allem über die internationalen Projektbeteiligungen seit dem EU-Beitritt Österreichs im Jahr 1995 (wesentlich durch die Teilnahme an den Rahmenprogrammen für Forschung und technologische Entwicklung der Europäischen Union) wobei die JOANNEUM RESEARCH überproportionale Beteiligungserfolge und starke Positionen auch in der Koordination von Projekten erzielen konnte. Mitte der 1990er Jahre war JOANNEUM RESEARCH wesentlich am Aufbau der damals neu entstehenden Fachhochschulstudiengänge des Technikum Joanneum beteiligt; an der heutigen FH Joanneum ist das Unternehmen nach wie vor (in geringem Umfang) beteiligt.Footnote 73

Die Forschungsgesellschaft wurde in kosten- und erlösverantwortliche Forschungseinheiten gegliedert, wobei die Gemeinkosten verursachungsgerecht den jeweiligen Instituten zugerechnet wurden.Footnote 74 Bis Ende der 1990er Jahre wurden rund zwei Drittel der Institute von Universitätsprofessoren bzw. -dozenten geleitet, die in der Regel parallel dazu auch in der universitären Forschung und Lehre tätig waren. Durch solche Personalunionen wurde versucht in beidseitigem – also universitärem wie außeruniversitärem – Interesse Zugang zu anderen Forschungsbereichen der Grundlagenforschung bzw. angewandten Forschung zu erlangen sowie personalpolitische Vorteile zu nutzen, indem Absolventinnen und Absolventen direkt angesprochen werden konnten (Vgl. Bayer & Uranschek 1996, S. 170 und Pelzl, 2002, S. 203–214).

Der Strategische Rahmenplan 2008 war das Ergebnis einer umfassenden Strategiediskussion zur zukünftigen Ausrichtung der Forschungsgesellschaft und brachte eine weitere Schärfung des Aufgabenprofils sowie eine deutliche Änderung der Organisationsstrukturen mit sich.Footnote 75 Eine wesentliche Zielsetzung dieser neuen Organisationsstrukturen war es, den spezifischen Herausforderungen der angewandten Forschung, die sich zum allerüberwiegendsten Teil aus Drittmitteln (die Basisfinanzierung war über lange Zeit fast konstant geblieben) finanzieren sollten, entgegenzukommen. Dies sollte sowohl durch die Schaffung größerer organisatorischer Einheiten als auch die weitgehende Aufgabe der ‚Doppelfunktionen‘ (Institutsleiter waren bis dahin in der Regel auch Universitätsprofessoren) erreicht werden. Dadurch wurde dem Umstand Rechnung getragen, dass die Leitung nunmehr größerer Einheiten einerseits nicht mehr als ‚Nebenaufgabe‘ zu bewältigen war und andererseits auch andere Qualifikationsprofile und Kompetenzen erforderte als die von Hochschulprofessoren. Zusammenarbeit mit den Universitäten und Fachhochschulen sollte auf andere Weise als durch Personalunionen erreicht werden, etwa im Rahmen der Kompetenzzentren oder bilateralen Kooperationen. 2010 wurde mit der Umstrukturierung der bis dahin 14 einzelnen Institute in 5 größere Forschungseinheiten begonnen, die Forschungsschwerpunkte in größeren thematischen Bereichen (DIGITAL, MATERIALS, HEALTH, RESOURCES, POLICIES) zusammenfassten sowie die neue Unternehmenszentrale in der Grazer Leonhardstraße bezogen (Vgl. Pribyl, 2012, S. 168–171). Die seither erfolgten Weiterentwicklungen (Veränderungen in Zahl und Zusammensetzung der Institute, der Beteiligungen) fanden auf der Basis dieser grundlegenden Organisationsform statt.

6 Schlussbetrachtung und Zusammenfassung

Aus den Zusammenhängen und Querverbindungen der analysierten und rekonstruierten Unternehmensgeschichte der JOANNEUM RESEARCH ergibt sich ein interessantes Beispiel für den Versuch, auf regionaler Ebene die Entwicklungen von großen Trends in der Wissenschaft, ihrer Beziehung zu Wirtschaft und der Forschungs-, Technologie- und Innovationspolitik mitzugestalten bzw. darauf zu reagieren. Diese Reaktion umfasste jeweils Anpassungen in der durch das Land finanzierten bzw. betriebenen Forschung und ihrer Institutionen für die die JOANNEUM RESEARCH beispielhaft steht.

Der Wandel des Forschungs- und Innovationssystems orientierte sich national wie regional an den internationalen Trends in der wissenschaftlichen und technologischen Entwicklung. Die Rechtsform und Eigentumsverhältnisse bilden die (landes-)politischen Gestaltungsmöglichkeiten ab. Diese zeigten sich in der frühen Unternehmensgeschichte vielfach informell und über das Engagement von Einzelpersonen und wurden mit Gründung der GmbH auf eine transparente, institutionalisierte Ebene gehoben und formalisiert. Über die Dimension der Kunden- und Finanzierungsstruktur wird die wirtschaftliche Orientierung betont. Hier ist die Forschungsgesellschaft Teil des Wandels eines Bundeslandes bzw. einer Region vom traditionellen Industrie- zum modernen Forschungs- und Innovationsstandort. Dies zeigt sich am Bedarf bzw. an den Aufträgen der Industrie sowie an der inhaltlichen Orientierung der Förderungen und Schwerpunktsetzungen öffentlicher Stellen. Im Wandel ihrer Unternehmensumwelt hatte die JOANNEUM RESEARCH nicht nur die Funktion einer regionalpolitisch relevanten Technologietransferstelle, sondern wurde zunehmend als Vermittlerin, Moderatorin und Netzwerkknoten eingesetzt bzw. mit zentralen Aufgaben des Forschungsmanagements betraut. Damit wurde versucht eine funktionale Differenzierung zu anderen Forschungsorganisationen zu erreichen und die JOANNEUM RESEARCH als möglichst unverwechselbaren Akteur innerhalb des Kräftedreiecks Politik, Wissenschaft und Wirtschaft zu positionieren.

Das regionalpolitische Interesse an der Modernisierung der Wirtschaftsstrukturen durch Verbindung mit Forschung und Innovation ist mit Sicherheit kein allein in der Steiermark auftretendes. Die notwendige Vernetzung mit dem globalen (Forschungs-)Markt wurde durch den EU-Beitritt Österreichs und die EU-Erweiterungen nochmals verstärkt und brachte weiteren Anpassungsbedarf mit sich. Heute muss sich die Forschungsgesellschaft auf einem globalen Markt behaupten. Die historische Entwicklung der JOANNEUM RESEARCH und ihrer Vorgängerinstitutionen ist aber ein im österreichischen Kontext wegen seiner Größe und Nachhaltigkeit besonders interessantes Beispiel für diese Anpassungsprozesse auf regionaler Ebene.