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Die Fachübersetzung als institutionalisiertes Textgenre und die von ihr begründete Übersetzungskultur ist ein Produkt der zweiten Hälfte des 17. und frühen 18. Jahrhunderts. Sie verdankt sich wesentlich jenem Aufschwung der New Sciences, die mit ihrer zunehmenden institutionellen Verankerung zur Entstehung einer neuen Form von wissenschaftlicher Öffentlichkeit führen. Mit der Durchsetzung der Volkssprachen als Wissenschaftssprachen und der gleichzeitigen Ausbildung einer wissenschaftlichen Fachpresse definiert sich das gesamte Feld wissenschaftlicher Forschung neu. Auch aufgrund einer neuartigen staatlichen Mediatisierung der Forschung, etwa durch die Schaffung wissenschaftlicher Akademien (Royal Society 1660, Académie des sciences, 1666), bilden sich dabei spezifische nationale Wissenschaftskulturen aus.

Freilich erschließt der Siegeszug der Volkssprachen als Sprachen der wissenschaftlichen Kommunikation nicht nur ein breites neues Publikum, sondern droht gleichzeitig auch wichtige Teile der bisherigen, auf Latein publizierenden res publica literaria von innovativen Forschungstrends in anderen Teilen Europas abzukoppeln. Ein Prozess der Einschließung bedingt also umgekehrt einen Prozess der Ausschließung. Als paradigmatisch für diese gegenläufige Tendenz kann die Entscheidung der großen Wissenschaftsakademien, der Royal Society in London und der Académie des Sciences in Paris, gelten, ihre Ergebnisse nur noch in den jeweiligen Volkssprachen zu publizieren.

Vor dem Hintergrund der zunehmenden sprachlichen und kulturellen Hegemonie des Französischen in Europa seit der Mitte des 17. Jahrhunderts wird Französisch in der Folge zur führenden Wissenschaftssprache in Europa. Bekanntlich publizieren im 18. und 19. Jahrhundert auch eine Reihe von anderen europäischen Wissenschaftsakademien wie die preußische Akademie der Wissenschaften und die Kaiserliche Akademie von St. Petersburg ihre Ergebnisse auf Französisch. Da die französische Sprache in großen Teilen Europas so etwas wie eine Lingua franca bildet, zeitigt die Übersetzung wissenschaftlicher Texte ins Französische im Untersuchungszeitraum einen ausgesprochenen Boom: Keine andere Sprache garantiert eine vergleichbare Verbreitung in der scientific community.Footnote 1 Vor allem für tonangebende Forschende aus anderen wichtigen Wissenschaftsnationen wie Deutschland und Italien entsteht damit ein nicht zu unterschätzender Anreiz und in manchen Fällen auch ein gewisser Druck, ihre Publikationen auch in französischer Sprache verfügbar zu machen. Die Übersetzung ins Französische garantiert maximale Sichtbarkeit in Europa. Der so induzierte Übersetzungsboom läutet das moderne Zeitalter der Fachübersetzung mit ihren Idealen der précision und der sobriété und ihrer entschiedenen Privilegierung des Inhalts vor der Form ein. Er generiert damit eine Übersetzungskultur, die in entschiedenem Gegensatz zu jener literarischen Übersetzungspraxis der belles infidèles steht, die infolge einer gewissen retrospektiven Verzerrung das 17. und frühe 18. Jahrhundert in Frankreich insgesamt zu dominieren scheint. Gerade weil das Ideal sprachlicher Eleganz in Frankreich im fraglichen Zeitraum vor allem aus sozialen Gründen eigentlich einen sehr hohen Stellenwert hat, kommt den Übersetzungen bei der Ausbildung der modernen Wissenschaftssprache eine besondere Bedeutung zu.

Dabei profitiert das Französische als Wissenschafts- und Übersetzungssprache in hohem Maße vom dominierenden Paradigma des Repräsentationsmodells, das wesentlich ausgehend vom Cartesianismus und von Port-Royal die Sprachtheorie des späten 17. und 18. Jahrhunderts prägt. Tatsächlich hatten Antoine Arnaud, Claude Lancelot und Pierre Nicole in ihrer Grammatik und Logik ein Sprachmodell popularisiert, das Sprache essentiell als ein Instrument der Repräsentation von Gedanken begreift und das im Einklang mit der vorausgesetzten Universalität der Ideen einen fundamentalen Übersetzungsoptimismus begründet. Wenn Sprache nur Repräsentation von Ideen ist und diese weitgehend sprachunabhängig und universal sind, dann erscheint der Transfer von einer Sprache in die andere grundsätzlich wie ein einfacher Prozess der Umkodierung. Diese Konzeption nun verbindet sich mit der Vorstellung von einem allem sprachlichen Ausdruck zugrundeliegenden „ordre naturel“, einer syntaktisch-chronologischen Reihenfolge von Subjekt – Prädikat – Objekt, die ihrerseits als Repräsentation einer fundamentalen logischen Ordnung begriffen wird. Insofern das Französische mit seiner rigiden Syntax dieser natürlichen Ordnung in besonderem Maße zu entsprechen schien, avanciert es nicht nur faktisch durch seine hegemoniale Position auf dem Kontinent, sondern auch in sprachtheoretischer Hinsicht zur Wissenschaftssprache par excellence.Footnote 2

Einige Konsequenzen dieser epistemologischen Rahmenbedingungen sollen im Folgenden anhand eines besonders markanten und prominenten Beispiels vorgestellt werden. Es handelt sich um die Übersetzungen des bedeutenden italienischen Universalwissenschaftlers Lazzaro Spallanzani (1729–1799). Dieses Beispiel ist aus translationshistorischer Perspektive auch deshalb einzigartig, als es sich anhand der Korrespondenz bis in manches Detail hinein dokumentieren lässt. Wir werden diesen besonderen Fall in einem ersten Schritt anhand des reichen Materials in seinen verschiedenen Ebenen entfalten und dann versuchen, in einem zweiten Schritt mit seiner Hilfe einige der ideologischen Implikate von Wissenschaftsübersetzungen und einige ihrer funktionalen Besonderheiten herauszupräparieren.

1 Der Fall Lazzaro Spallanzani: ein übersetzter und übersetzender Wissenschaftler

Lazzaro Spallanzani spielt in der Geschichte der frühen Naturwissenschaften aufgrund seiner zahlreichen Experimente und Beobachtungen über verschiedene biologische, physiologische und geologische Phänomene eine wesentliche Rolle. Vor allem mit seinen Forschungen über Vulkanologie, über die Verdauung, die Fortpflanzung sowie die künstliche BesamungFootnote 3 hat Spallanzani den wissenschaftlichen Diskurs seiner Zeit mitgeprägt. Seinen bleibenden Platz in der Wissenschaftsgeschichte verdankt Spallanzani nicht zuletzt jenem Teil seiner Arbeiten, die heute als definitive Widerlegung der seit der Antike existierenden Theorie der Spontanzeugung gelten.

Mit vielen Wissenschaftler*innen aus ganz Europa war Spallanzani in Kontakt: Seine monumentale KorrespondenzFootnote 4 spiegelt sein imponierendes Netzwerk im Kontext der europäischen Naturwissenschaft des 18. Jahrhunderts. Als Leiter des von Maria Theresia 1771 gegründeten Museo di Storia Naturale der Universität Pavia (an der er seit 1769 als Professor für Naturgeschichte lehrte) war er stets auf der Suche nach neuen Sammlungsobjekten und musste schon allein deshalb mit zahlreichen europäischen Forscher*innen in Kontakt bleiben. Darüber hinaus benutzte Spallanzani sein europäisches Netzwerk auch im Rahmen seiner wissenschaftlichen Auseinandersetzungen sowie als Medium der Eigenwerbung als einflussreicher Vertreter der europäischen Naturforschung. Als einer der bedeutendsten Naturwissenschaftler des 18. Jahrhunderts war er nicht nur ein der reinen Wissenschaft verpflichteter Forscher, sondern auch ein engagierter Wissenschaftspropagandist. Tatsächlich verfügte Spallanzani über ein ausgesprägten Gespür dafür, dass die Durchsetzung der modernen Naturforschung neben der experimentellen Arbeit im Labor auch nach intensiver Kommunikation mit der Scientific Community und dem breiteren Publikum verlangt. Wobei die offensive Verbreitung und Verteidigung ihrer Ergebnisse nicht zuletzt auch Prestige und europäische Resonanz garantierten.Footnote 5

In Spallanzanis Wirken spielte die Übersetzung eine bemerkenswerte Rolle und zwar sowohl die Übersetzung seiner eigenen Werke als auch diejenige von anderen Wissenschaftlern. Daraus ergibt sich eine doppelte Perspektive: Spallanzani als übersetzender Naturwissenschaftler und Spallanzani als übersetzter Naturwissenschaftler. Beide Ebenen sind natürlich miteinander verknüpft. In beiden Fällen hat die Übersetzung eine nicht nur rein wissenschaftliche, sondern auch politische und kulturelle Funktion.

2 Spallanzanis Übersetzung von Bonnets Contemplation de la nature: ein kämpferisch-wissenschaftliches Programm

Die italienische Übersetzung der Contemplation de la Nature von Charles Bonnet (1720–1793), eines der populärsten wissenschaftlichen Werke des späten 18. Jahrhunderts, wurde 1769–1770 in Modena (bei Montanari) veröffentlicht.Footnote 6 In einem Brief an den Autor äußert sich Spallanzani zu deren Gründen und Zwecken wie folgt:

Je vous ai dit autres fois que vôtre Contemplation est suffisament rependue dans l’Italie. Neaumoins je me suis aperçu plus d’une fois, que faute d’une perfait intelligence du françois, elle n’est pas goutée, comme elle meriteroit de l’être. J’ai vû qu’il n’y a qu’un moyen pour en rependre universellement le gout; c’est à dire, comme vous voyez, une traduction italienne […]. Je vois bien qu’il m’est impossible je ne dirai pas d’attraper, mais de m’aprocher des beautés de l’original. Je l’ai toujours regardé comme un ouvrage divin. Non obstant je m’efforcerai qu’il perde de prix le moins qu’il me sera possible. Au moins j’y donnerai toute mon attention […]. Outre la traduction, je compte, si le tems me le permettra, d’y ajouter quelques notes.Footnote 7

Ich habe Ihnen früher schon einmal gesagt, dass Ihre Contemplation zur Genüge in Italien verbreitet ist. Allerdings habe ich mehr als einmal bemerkt, dass sie in Ermangelung perfekter Französischkenntnisse nicht so geschätzt wird, wie sie es verdiente. Mir ist klar geworden, dass es nur ein Mittel gibt, ihr zu allgemeiner Wertschätzung zu verhelfen, nämlich eine italienische Übersetzung. […] Mir ist bewusst, dass es mir unmöglich sein wird, mich den Schönheiten des Originals anzunähern, geschweige denn sie zu erreichen. Ich habe es immer als ein unsterblichesWerk erachtet. Dessen ungeachtet werde ich mich nach Kräften bemühen, den Verlust so gering wie möglich zu halten. Zumindest werde ich ihm meine ganze Sorgfalt widmen […]. Über die Übersetzung hinaus möchte ich das Werk, wenn es die Zeit erlaubt, mit einigen Anmerkungen versehen.Footnote 8

Wie Cipriani (2015) gezeigt hat, war diese Übersetzung eine bedeutende kulturelle Operation im Rahmen der italienischen Aufklärung. Ziel dieser Operation war es, zur Verbreitung des „gusto della naturale Sapienza“ auch in Italien beizutragen.

Un’altro motivo diretto egli pure a giovare altrui mi ha servito di fortissimo stimolo a volgarizzare la Contemplazione; e questo si è il desiderio d’istillare col mezzo di Lei, e di spargere il gusto della naturale Sapienza sì dormiglioso oggigiorno e languente, non so per qual destino, in Italia […]. E nel vero non posso a meno di non esser compreso nell’animo mio da altissima maraviglia, quantunque volte meco stesso io considero, come questa graziosamente sia accolta, e largamente fiorisca presso le straniere Nazioni, veggendo noi tuttodì i rapidi suoi incrementi nella Francia, nell’Inghilterra, nella Germania, e per fin sotto il più gelato Settentrione; e all’opposito come universalmente negletta sia nell’Italia, a riserva di alcuni valorosi e fedeli seguaci di lei, i quali per l’estrema loro scarsezza mostrano più che altro la miseria della Nazione.Footnote 9

Noch ein weiteres auf allgemeine Nützlichkeit zielendes Motiv war mir ein starker Antrieb bei der Übertragung der Contemplation ins Italienische; und das ist der Wunsch, mit Ihrer Hilfe in Italien jene Liebe zur Naturforschung zu entfachen und zu verbreiten, die heutzutage aus welchen Gründen auch immer eingeschlafen scheint und darniederliegt […]. Und tatsächlich erfasst mich jedes Mal unweigerlich eine große Verwunderung, wenn ich bedenke, wie herzlich diese von anderen Nationen aufgenommen wird und überall blüht, und wenn man sieht, welche Fortschritte sie in Frankreich, England, in Deutschland und sogar im kältesten Norden macht, während sie umgekehrt in Italien allgemein vernachlässigt wird, abgesehen von einigen wenigen treuen und tüchtigen Anhängern, die allein durch ihre kleine Zahl vor allem das Elend ihrer Nation bezeugen.

Die Übersetzung hatte also eine Art ‚nationale‘ Funktion: Bonnet war ein Verbündeter in Spallanzanis Engagement für die Verbreitung der Naturwissenschaften in Italien. Es galt, die Italiener wachzurütteln und ihre naturwissenschaftliche Neugier anzuregen. Ihrerseits sollten die Autoritäten auch in Italien die Naturwissenschaft fördern und naturwissenschaftliche Institutionen finanzieren. Insofern ist es kein Zufall, dass Spallanzani just im Erscheinungsjahr der Übersetzung der Contemplation auf den Lehrstuhl für „Storia naturale“ an der von Maria Theresia geförderten Universität Pavia berufen wurde.Footnote 10

Darüber hinaus hatte die Übersetzung von Bonnets Contemplation auch eine didaktische Funktion. Spallanzani benutzte sie gleichsam als ‚Handbuch‘ in seinen Vorlesungen. „C’est ainsi qu’il se dévoua d’abord au noble emploi d’instituteur de ses compatriotes“, schrieb Jean Senebier (1742–1809), seinerseits langjähriger Übersetzer von Spallanzanis Werken ins Französische, viele Jahre später, „et qu’il est devenu le modèle de ceux qui veulent enseigner utilement“.Footnote 11 Trotzdem war die Entscheidung für die Übersetzung Bonnets nicht selbstverständlich. Tatsächlich hätten die österreichischen Behörden gegenüber der Contemplation ein anderes Buch vorgezogen: die Anfangsgründe der Naturgeschichte (1779) von Nathanael Gottfried Leske (1751–1786), der als Professor für Naturgeschichte an der Universität Leipzig tätig war.Footnote 12 Wie Mazzarello (2004, S. 118–119) gezeigt hat, beurteilte Spallanzani das Buch jedoch äußerst negativ. Das hat damit zu tun, dass Spallanzani wie Bonnet ein leidenschaftlicher Verfechter der im 18. Jahrhundert immer noch sehr populären Lehre von der scala naturae, der ‚Großen Kette der Wesen‘ war: eine bei Bonnet christlich geprägte Vorstellung natürlicher Ordnung, die gegen Ende des Jahrhunderts zunehmend vom spezifischen Nominalismus des Linnéschen Systems verdrängt wurde.Footnote 13 Genau diesem Linnéschen Systems war Leskes Buch aber wesentlich verpflichtet. In einem Brief an Luigi Lambertenghi von Ende 1781 findet sich entsprechend ein ausgesprochener Verriss. Spallanzani wirft Leske dort vor, die Beziehungen, welche die Hervorbringungen der drei Reiche (mineralisch, vegetabilisch, animalisch) miteinander verbinden, d. h. die „interminabile catena, che lega con ordine maraviglioso le diverse parti del globo“ ganz vernachlässigt zu haben.Footnote 14 Spallanzanis Anspruch, das Denkvermögen des Publikums anzuregen, wäre mit Leskes Buch seiner Überzeugung nach nicht zu erreichen gewesen.

Im Unterschied zu Bonnets Contemplation, wo die Frage nach den Beziehungen zwischen den verschiedenen Reichen und vor allem die Frage nach dem systematischen Ort der organisierten Körper eine wesentliche Rolle spielt,Footnote 15 schienen Leskes Anfangsgründe in Spallanzanis Augen nicht mehr als ein mittelmäßiges Wörterbuch der Naturgeschichte. Freilich stand er in dieser Beurteilung zunehmend allein. So kam es, dass der Barnabit Ermenegildo Pini (1739–1825) im Jahre 1785 Leskes Buch doch noch ins Italienische übersetzte.Footnote 16 Im Proemio lobt Pini Spallanzanis Bonnet-Übersetzung, reduziert ihren Wert aber auf den Kontext der italienischen Naturwissenschaft der 1760er Jahre. Damals sei Bonnets Contemplation nützlich gewesen, weil die Systematik Linnés zu dieser Zeit noch nicht die spätere Perfektion erreicht habe. In den 1780er Jahren habe sich die Situation nun aber gewandelt: „al presente però l’aspetto della Storia Naturale è del tutto mutato […]. La necessità di un sistema, e la superiorità del Linneano è ora riconosciuta anche dai più celebri Osservatori“.Footnote 17 Pinis Übersetzung trat insofern mit dem Anspruch auf, Bonnets Contemplazione zu ersetzen:

Ora non avendo l’Italia in sua lingua un libro elementare di Storia naturale, nè essendo ora riducibile a tale uso l’italiana traduzione della Contemplazione della natura, e per altra parte volendo io per la richiesta da molti fattane apprestare agli Italiani una Istituzione di questa scienza […] ho stimato di supplirvi col tradurre dall’Idioma tedesco il miglior libro elementare, che a giudizio anche d’intelligenti persone finora siasi pubblicato.Footnote 18

Da Italien nun einmal kein grundlegendes Handbuch der Naturgeschichte besitzt und diese Funktion auch nicht von der italienischen Übersetzung der Contemplation de la nature übernommen werden kann, und ich auf der anderen Seite auf vielfachen Wunsch hin den Italienern eine solche Grundlegung dieser Wissenschaft zur Verfügung stellen wollte […], so hoffte ich diese Lücke zu füllen, indem ich das nach Meinung intelligenter Personen beste bislang existierende Handbuch aus dem Deutschen übersetzte.

Als Pinis Übersetzung erschien, weilte Spallanzani fern der Lombardei in Konstantinopel, wohin er dem neuen Gesandten der Republik Venedig in der osmanischen Hauptstadt, Girolamo Zulian, gefolgt war.Footnote 19 Als Carlo Barletti ihn über Pinis Übersetzung informierte, antwortete Spallanzani mit einem Schreiben, in dem er nicht nur Leskes Werk, sondern auch dessen Übersetzer harsch kritisierte:

A me par difficile, che un originale cattivo possa diventar buono, coll’esser tradotto: e le annotazioni apposte al testo […] e diciamo anche il nome stesso del traduttore, più conosciuto per compilatore, che per vero naturalista, non danno grandi speranze ai lettori.Footnote 20

Es scheint mir schwer vorstellbar, dass ein schlechtes Original durch seine Übersetzung gut wird: Und die dem Text beigefügten Anmerkungen […] sowie im Grunde schon der Name des Übersetzers, der mehr als Kompilator denn als Naturforscher bekannt ist, machen dem Leser keine großen Hoffnungen.

Es zeigt sich also, dass die Bedeutung von Spallanzanis Übersetzung über das primäre Ziel der Verbreitung naturwissenschaftlicher Erkenntnisse in der Vernakularsprache hinausreicht. In ihr spiegeln sich auch die komplexen Debatten über das System Linnés, sowie deren akademische und wissenschaftspolitische Hintergründe.

Darüber hinaus zählt Spallanzani in seiner Prefazione eine lange Liste von aktuellen Forschungsdesiderata auf, die darauf abzielt, neue wissenschaftliche Forschungsprojekte zu initiieren (diese betreffen z. B. Fragen zum Metabolismus der Pflanzen, Fragen zum Blutkreislauf bei Kalt- und Wechselblütlern, Fragen zur Physiologie der Knochenbildung etc.). In ihrer Gesamtheit können die zahlreichen, von Spallanzani vorgeschlagenen Forschungsthemen als eine Art Zusammenfassung der bedeutsamsten Probleme der europäischen Naturgeschichte des 18. Jahrhunderts gelten. In unserem Zusammenhang ist es besonders bemerkenswert, dass Spallanzani das Vorwort seiner Übersetzung auch dazu nutzt, um weitere Projekte und seine Gedanken zum Stand der italienischen Naturwissenschaft zu artikulieren.

Wie wir noch sehen werden, hatte die Redaktion der Druckfassung der Spallanzanischen Übersetzung eine Vorgeschichte, die es ihm erlaubte, diese ausgesprochen schnell fertig zu stellen. Als Spallanzani Bonnet schrieb, dass er für seine Übersetzung der Contemplation nur einen Monat gebraucht habe („Il me souvient d’avoir depensé moins d’un mois pour la traduction entière de la Contemplation“),Footnote 21 antwortete Bonnet ihm ziemlich schockiert:

Je vous l’avouë; il m’est impossible de concevoir comment une pareille précipitation peut se concilier avec la bonne façon de l’ouvrage. Il y tant d’expressions qui demandent à être pesées; il y a tant de tours de phrase qui ne trouvent pas d’abord leurs analogues, etc. que je ne puis imaginer qu’il soit possible qu’une traduction faite en si peu de temps imite parfaitement l’original.Footnote 22

Ich gestehe Ihnen, dass es mir vollkommen unbegreiflich ist, wie eine derartige Eile mit einer sorgfältigen Arbeitsweise vereinbar sein soll. Es gibt so viele Ausdrücke, die abgewogen werden wollen, so viele sprachliche Wendungen, die nicht gleich ihre Entsprechung finden etc., dass ich mir nicht vorstellen kann, wie eine in so kurzer Zeit angefertigte Übersetzung eine vollkommene Wiedergabe des Originals sein kann.

In seiner Antwort beruhigte Spallanzani Bonnet in Bezug auf die Qualität seiner Übersetzung, die das italienische Publikum treu und elegant gefunden habe. Tatsächlich sei es so, dass er bereits im Kontext seiner Vorlesungen am Collegio di Modena eine erste Übersetzung der Contemplation angefertigt und daher für die Vorbereitung der Publikation so wenig Zeit benötigt habe:

Vôtre étonnement sur le peu de temps que j’ai employé à traduire la Contemplation se reduira peut être à zero, quand vous serez au jour de l’affaire. Avant cette impression il y avoit quelques années que dans le College de Modene j’expliquois publiquement ce livre aux pensionnaires: et comme quelque un n’entendoit pas trop bien le françois, avant que de l’expliquer je le traduisois en italien. Ayant affaire avec des chevaliers, qui goutoient bien nôtre langue, je ne faisois pas la traduction sur le champ, mais elle étoit mûrement prémeditée, de maniere que je me piquois de joindre l’elegance, et la force de nôtre belle langue à la fidelité, et à la beauté d l’original. Cet exercice public je l’ai fait pendant quelques années suivies. De cette façon vous voyez que j’ai eu tout le temps de peser les expressions, de trouver les tours de phrase analogues etc. etc. Me determinant donc après à l’impression italienne, la chose ne pouvoit être plus facile pour moi [...].Footnote 23

Ihre Verwunderung darüber, wie wenig Zeit ich für die Übersetzung der Contemplation benötigt habe, wird sich möglicherweise in Luft auflösen, wenn Sie erfahren, wie sich dies zugetragen hat. Bereits einige Jahre vor der Veröffentlichung dieser Ausgabe habe ich Ihr Buch am Collegio di Modena [Universität Modena] den Studenten in öffentlicher Vorlesung erläutert, und da der ein oder andere nicht genug Französisch verstand, habe ich die fraglichen Passagen vor meiner Erläuterung ins Italienische übersetzt. Da es sich um ein adeliges Publikum handelte, das auf gutes Italienisch Wert legte, habe ich nicht aus dem Stegreif übersetzt, sondern mit einiger Sorgfalt und mit dem Ehrgeiz, die Eleganz und die Kraft unserer Sprache mit der nötigen Treue und der Schönheit des Originals zu verbinden. Diese öffentliche Praxis habe ich mehrere Jahre hintereinander ausgeübt. Sie sehen, dass ich auf diese Weise durchaus die Zeit hatte, die Formulierungen abzuwägen und die entsprechenden Wendungen zu finden etc. etc. Als ich mich später zu einer italienischen Ausgabe entschieden habe, war die Sache leicht für mich.

Trotz der praktischen Funktionalität seiner Übersetzung beansprucht Spallanzani, der über ein ausgeprägtes stilistisches und linguistisches Bewusstsein verfügte,Footnote 24 also an dieser Stelle neben der notwendigen Treue seines Werkes auch deren literarische Eleganz.

Bemerkenswert erscheint die Koexistenz zweier verschiedener Modelle naturwissenschaftlicher Translation: einerseits eine vertiefte, gewissenhafte Übersetzung, die viel Engagement und zeitlichen Aufwand erfordert; andererseits eine praktische, schnelle Übersetzung, die der wissenschaftlichen Diskussion (und auch dem immer wichtigeren Unterricht der Naturwissenschaft) dient. Dies ist nur ein Beispiel dafür, dass das komplexe und hier nur angedeutete Problem der Qualität naturwissenschaftlicher Übersetzungen im 18. Jahrhundert von verschiedenen Faktoren (wie z. B. der Funktion der Übersetzung und deren Leserschaft sowie den praktischen Interessen der Übersetzer*innen) abhing.

3 Übersetzung als wissenschaftliche Tätigkeit: Senebier als Übersetzer von Spallanzani

Eine besondere Rolle in Spallanzanis bildungspolitischer und wissenschaftlicher Agenda spielte die Übersetzung ins Französische, die für ihn eine fundamentale Möglichkeit war, um eine größere Leserschaft und vor allem mehr internationales Prestige zu erlangen.Footnote 25 Die Rezeption seiner Werke außerhalb Italiens war für Spallanzani so wichtig, dass er auch über die Möglichkeit nachdachte, seine Werke selbst auf Französisch zu verfassen. So schreibt er an Bonnet: „Je vous assure que pour un italien, parlant d’un livre de philosophie, c’est un veritable embarras. La langue universellement entendue c’est la françoise“.Footnote 26 Dennoch hat Spallanzani diesen Gedanken am Ende verworfen. Das lag zum einen an den zu erwartenden negativen Reaktionen seiner Landsleute, hatte aber zum anderen auch mit Zweifeln an seiner eigenen sprachlichen Kompetenz zu tun: „[…] je ne me sent pas assez fort pour ecrire dans cette langue“, schrieb er im selben Brief, „et vous même en conviendrez“.Footnote 27 Es blieb also nur die Wahl zwischen dem Lateinischen und dem Italienischen als Publikationssprache. Im Einklang mit dem allgemeinen Trend zur Vernakularsprache entschied sich Spallanzani für das Italienische, auch wenn dieses weniger ‚universell‘ als das Französische war und folglich eine deutlich eingeschränkte Leserschaft bedeutete. Da Spallanzani aber nach maximaler Verbreitung strebte, konnte die Lösung letztlich nur darin bestehen, einen guten Übersetzer ins Französische zu finden: „L’unique ressource de ce desordre litteraire pourroit être un traducteur françois. J’entendrai donc avec un pareil empressement vôtre sentiment sur ce dernier point et vôtre me servira de regle“.Footnote 28

Dank der Vermittlung Bonnets fand Spallanzani mit Jean Senebier in der Tat seinen perfekten Übersetzer. Die Art und Weise, in der Bonnet Senebier gegenüber Spallanzani als Übersetzer empfiehlt, kann als eine Art Porträt des idealen Translators gelten:

Enfin, mon célèbre ami, il s’est trouvé dans notre ville un traducteur tel que nous le désiderions […]. Il est connu du public par une très bonne Dissertation sur l’Art d’Observer, qui remporta en 1772 l’accessit de la Societé de Hollande […].Footnote 29 L’emploi si fréquent et si honnorable qu’il a bien voulu y faire de mes écrits, ne me laisse pas même la liberté d’en dire davantage […] l’auteur n’est point naturaliste ni observateur de profession. Mais il aime la nature et se plait à lire et à méditer ses meilleurs interprêtes […]. Il est Bibliothécaire de notre République et occupe dignement cette place. La langue italienne lui est très familière et il vous a lu avec le plus vif intéret. Vous voyez donc […] que vous pouvez compter d’être bien entendu par votre traducteur, puis qu’il ne possède pas moins la matière que la langue.Footnote 30

Mein berühmter Freund, endlich hat sich in unserer Stadt ein Übersetzer gefunden, wie wir ihn uns wünschten. […] Er ist beim Publikum durch eine sehr gute Abhandlung über Die Kunst der Beobachtung bekannt, die im Jahre 1772 eine lobende Erwähnung der holländischen Akademie erhalten hat.29 Der so häufige und so schmeichelhafte Gebrauch, den er dabei von meinen Schriften gemacht hat, erlaubt es mir nicht, mehr dazu zu sagen. […] Der Autor ist zwar kein Naturforscher und auch kein professioneller Naturbeobachter, aber er liebt die Natur ebenso wie die Lektüre ihrer besten Interpreten. […]. Er ist nämlich der Bibliothekar unserer Republik und füllt diese Stellung vorzüglich aus. Die italienische Sprache ist ihm bestens vertraut und er hat Ihre Werke mit dem lebhaftesten Interesse gelesen. Sie sehen also […] dass Sie sich darauf verlassen können, von Ihrem Übersetzer recht verstanden zu werden, denn er beherrscht den Stoff ebenso gut wie die Sprache.

Die Passage bietet eine gleichsam archetypische Beschreibung eines guten Übersetzers von naturwissenschaftlichen Texten im 18. Jahrhunderts. Zunächst weist Bonnet auf Senebiers bemerkenswerte Dissertation über den Art d’observer hin, die direkt von Bonnet beeinflusst war und für Spallanzani vermutlich bereits einen starken Qualitätsausweis bildete. Vor allem aber bemüht er sich von vornherein, mögliche Bedenken im Hinblick auf Senebiers wissenschaftliche Kompetenz zu zerstreuen, indem er darauf hinweist, dass dieser zwar kein reiner Naturwissenschaftler sei, aber über ein ausgeprägtes naturwissenschaftliches Interesse verfüge. Darüber hinaus unterstreicht Bonnet Senebiers hervorragende Kenntnisse der italienischen Sprache, die, zusammen mit seiner über die Position als Bibliothekar verbürgten bibliographischen und dokumentarischen Kompetenz, die notwendige Voraussetzung für einen versierten Übersetzer der Spallanzanischen Werke bildeten.

Vor allem nach dem Tod Bonnets (1793), aber auch schon während der 1780er Jahre, wurde Senebier zum wichtigsten Vermittler Spallanzanis gegenüber der französisch-sprachigen Wissenschaft.Footnote 31 Er übersetzte einige der bedeutendsten Publikationen Spallanzanis: 1777 die Opuscoli di fisica animale e vegetabile (Spallanzani 1777); 1783 und 1785 die zwei Bände der Dissertazioni di fisica animale e vegetabile (Spallanzani 1783, 1785)Footnote 32 sowie 1795–1797 die Viaggi alle due Sicilie e in alcune parti dell’Appennino (Spallanzani 1795–1797), eines der bedeutendsten Beispiele wissenschaftlicher Reiseliteratur des 18. Jahrhunderts. Der Briefwechsel Spallanzani-Senebier, der just mit der „question de la traduction“Footnote 33 einsetzt, zeigt nicht nur die Rolle Senebiers für Spallanzanis Selbstvermarktung als europäischer Naturwissenschaftler, sondern – in umgekehrter Weise – auch die strategische Bedeutung der Übersetzungen für den Genfer Bibliothekar. Für Spallanzani waren die Übersetzungen ins Französische ein unschätzbares Instrument, um seine Position in den maßgeblichen Debatten der europäischen Naturwissenschaft zu stärken und auf diese Weise auch seine Mitgliedschaft in den einflussreichsten Akademien Europas zu fördern. Tatsächlich waren Senebiers Übersetzungen für Spallanzani von derartiger Bedeutung, dass er sich sogar bemühte, das Buch über seine Reise nach Sizilien in einem parataktischen Stil zu schreiben, um Senebier das Geschäft der Übersetzung ins Französische zu erleichtern:

Per ciò che risguarda il modo da me tenuto nello scrivere questi miei viaggi, ho cercato di servire, quanto più ho saputo, alla chiarezza, e alla precisione, senza trascurare quella eleganza nella lingua italiana, che può combinarsi con lo scrivere didascalico. Ho anche cercato che i periodi bene spesso sieno corti, per maggiore facilità d’essere da voi tradotti.Footnote 34

Was nun den Stil angeht, den ich für die Niederschrift meiner Reisen gewählt haben, so habe ich mich nach besten Kräften um Klarheit und Präzision bemüht, ohne dabei jene Eleganz der italienischen Sprache zu vernachlässigen, die durchaus mit der didaktischen Form vereinbar ist. Ich habe mich sogar darum bemüht, die Perioden immer wieder kurz zu halten, um Ihnen so das Übersetzen zu erleichtern.

Wie Altieri Biagi nachgewiesen hat, wurden die Viaggi tatsächlich mit Blick auf ihre zukünftige Übersetzung ins Französische von vorneherein in einem klareren Stil geschrieben.Footnote 35

Für Senebier wiederum war die Übersetzung von Spallanzani nicht nur eine Legitimierung seiner Position als Naturwissenschaftler, sondern auch eine wissenschaftliche Tätigkeit eigener Dignität, insofern sie ihm die Möglichkeit bot, gleichsam über einen Umweg seine eigenen Ideen einem breiten Fachpublikum zu präsentieren. Bemerkenswert ist, was er Spallanzani in seinem ersten Brief schrieb:

J’ai cru etre plus utile aux sciences en mettant votre ouvrage dans une langue qui lui donnera un usage plus général, qu’en continuant de travailler aux miens; je les suspends donc pour traduire en francois ces Opuscules, si vous l’agrées.Footnote 36

Mir schien, dass ich den Wissenschaften nützlicher wäre, wenn ich Ihrem Werk zu einer größeren Verbreitung verhelfen würde, als wenn ich meine eigenen Arbeiten fortsetzte; ich unterbreche sie also, um ihre kleinen Schriften ins Französische zu übersetzen, wenn es Ihnen recht ist.

Im ganzen Briefwechsel Senebier-Spallanzani findet man derartige Bescheidenheitstopoi des Übersetzers, die an einer Stelle in eine interessante astronomische Metapher münden:

Je meriterai surement la reconnoissance du public par la traduction francoise de vos immortels ouvrages; mais c’est un avantage que je vous devrai comme les petites satellites de Jupiter partagent la lumiere reflechie de leur planete principale.Footnote 37

Gewiss möchte ich die Dankbarkeit des Publikums für die französische Übersetzung Ihrer unsterblichen Werke verdienen. Aber diese Gunst verdanke ich Ihnen in der Weise der kleinen Jupitermonde, die das Licht ihres Hauptplaneten reflektieren.

Trotzdem relativiert die Lektüre der Vorworte von Senebiers Übersetzungen das auf diese Weise evozierte Bild eines bescheidenen und sozusagen unsichtbaren Übersetzers. In der Tat ist unübersehbar, dass Senebier sehr wohl danach strebte sein Publikum nicht nur mit seinen Übersetzungen, sondern auch mit seinen eigenen naturwissenschaftlichen Ideen zu überzeugen, die er in seinen Préfaces ausführlich formulierte.

Schon die Introduction zu Spallanzanis Opuscules de physique animale et végetale stellt eine detaillierte Einführung in die Geschichte, Methoden und Wirkungen der mikroskopischen Entdeckungen dar.Footnote 38 Auf dem Titelblatt des Buches erscheint Senebiers Einführung mit dem ehrgeizigen Titel Introduction dans laquelle on fait connoître les découvertes microscopiques dans les trois Règnes de la Nature, & leur influence sur la perfection de l’Esprit humain. Tatsächlich betrifft von den 21 Punkten, in die sich der Text unterteilt,Footnote 39 nur der letzte (Avis sur cette Traduction) die Übersetzung selbst.Footnote 40 Auch in seiner 1783 veröffentlichen Übersetzung des ersten Bandes der Dissertazioni di fisica animale e vegetabile (mit dem Titel Expériences sur la digestion de l’Homme et de différentes espèces d’animaux) beschränkt sich Senebier nicht darauf, ein unsichtbarer Übersetzer zu sein. Wie schon in der Introduction der Opuscules widmet er auch in diesem Fall nur einen kleinen Teil seiner Einführung (Considérations sur la méthode suivie par Monsieur l’abbé Spallanzani dans ses expériences sur la digestion) den reinen translatorischen Informationen.Footnote 41 Nur auf den ersten vier Seiten erklärt Senebier die Gründe und Zielsetzung seiner Übersetzung, während die übrigen Seiten einen eigenen physiologischen Traktat bilden, der an die innovativen Forschungen Spallanzanis anknüpft:

[…] en rendant plus générale la lecture de ce Livre précieux, j’espère d’être utile à tous les hommes […], je fournirai à tous ceux qui veulent étudier la philosophie expérimentale, de grands moyens pour apprendre l’art sublime des expériences, la logique subtile qui doit les diriger, les ressources puissantes qu’elle leur indique, & les succès brillans qu’elle leur assure. Tels sont les motifs qui m’ont fait trouver, au milieu de mes occupations & des mes maux, le tems nécessaire pour mettre en françois les Recherches expérimentales de M. l’Abbé Spallanzani sur la digestion; le nom de cet homme célèbre est le meilleur passeport qu’on puisse avoir auprès du Public instruit.Footnote 42

[…] indem ich zur allgemeinen Verbreitung dieses kostbaren Buches beitrage, hoffe ich den Menschen insgesamt zu dienen […]. Ich werde all denjenigen, die sich der Experimentalphilosophie zuwenden wollen, ein großartiges Instrument zum Studium der hohen Experimentierkunst zur Verfügung stellen, samt der feinen Logik, der diese folgen muss, den gewaltigen Möglichkeiten, die sie eröffnet und den glänzenden Erfolgen, die sie garantiert. Dies sind die Motive, die mich inmitten von vielfältigen Beschäftigungen und Kümmernissen die nötige Zeit finden ließen, um die experimentellen Forschungen des Abbé Spallanzani über die Verdauung ins Französische zu übertragen. Der Name dieses berühmten Mannes ist die beste Empfehlung, die man gegenüber dem gebildeten Publikum vorbringen kann.

Würde der Text mit diesen Satz enden, hätten wir lediglich einen weiteren Bescheidenheitstopos Senebiers als Übersetzer vor uns. Aber der Text fährt fort und unterstreicht stattdessen Senebiers Selbstinszenierung als selbstständiger Naturwissenschaftler:

[…] j’espère que le Public […] me pardonnera si je lui fais part de quelques idées que j’ai eues en méditant les expériences renfermées dans le livre que je lui présente. Je me propose donc de faire d’abord des considérations sur la méthode ingénieuse de l’Abbé Spallanzani pour consulter la nature; elle offre l’art difficile des expériences réduit en exemple. J’en tirerai ensuite quelques conséquences pratiques, & je m’enhardirai peut-être jusqu’à proposer quelques vues théorétiques, qui semblent découler naturellement des découvertes qu’on trouve dans cet ouvrage.Footnote 43

[…] ich hoffe, dass das […] Publikum, es mir verzeiht, wenn ich ihm einige Gedanken mitteile, die ich aus dem Nachdenken über die im vorgelegten Band enthaltenen Experimente gewonnen habe. Ich möchte daher zunächst einige Betrachtungen über die ingeniöse Methode anstellen, mit der der Abbé Spallanzani sich der Natur zuwendet; sie betrifft die schwierige Kunst exemplarischer Experimente. Anschließend werde ich daraus einige praktische Konsequenzen ziehen, & ich werde vielleicht sogar so verwegen sein, einige theoretische Perspektiven zu entwickeln, die sich auf ganz natürliche Weise aus den Entdeckungen dieses Werkes ergeben.

Die Übersetzer-Vorworte von wissenschaftlichen Texten sind in dieser Zeit oft sehr viel mehr als reine Einführungen in den übersetzten Text: Spallanzanis Prefazione zur Contemplazione Bonnets verwandelt sich nach den ersten Seiten in ein umfangreiches und kämpferisches wissenschaftliches Programm und auch Senebiers Préfaces stellen ehrgeizige Traktate mit eigenem wissenschaftlichen Anspruch dar. Im flexiblen Status der analysierten Vorworte spiegelt sich die komplexe Identität ihrer Autoren. Sowohl Spallanzani als auch Senebier sind eben nicht nur Übersetzer: Der eine ist ein Naturwissenschaftler, der seine Übersetzung als Instrument für seine wissenschaftspolitische Agenda nutzen will; der andere ein Liebhaber der Naturwissenschaft, der mit seinen Spallanzani-Übersetzungen seinen eigenen Platz in der europäischen Wissenschaft zu finden hofft. Ihre Vorworte spiegeln also nicht nur die vielfältige Funktion der naturwissenschaftlichen Übersetzungen, sondern auch die Koexistenz der unterschiedlichen und doch miteinander verknüpften Identitäten ihrer Autoren.

4 Übersetzungen als genuines symbolisches Kapital im wissenschaftlichen Feld

Versuchen wir abschließend, einige der besonderen ideologischen Implikate der beschriebenen Translationsprozesse schärfer zu konturieren und sie vor allem als wichtigen Teil jener Prozesse der Generation, Attribution und Akkumulierung symbolischen Kapitals zu deuten, die das Feld der wissenschaftlichen Forschung im Prozess seiner Autonomisierung bis heute prägen.Footnote 44

Der erste Punkt betrifft die Zusammenarbeit von Übersetzer und Wissenschaftler und damit einhergehend Funktion und Rollenverständnis des Übersetzers. Obwohl sich die Wissenschaftsübersetzung im fraglichen Zeitraum mit ihrer zunehmenden Institutionalisierung auch ein Stück weit von unmittelbaren interpersonalen Kontakten ablöst, lässt sich eine Zusammenarbeit zwischen Übersetzer*in und Autor*in bei Wissenschaftsübersetzungen an zahlreichen Beispielen belegen. Dabei spielt offenbar in einer auf den ersten Blick paradoxalen Weise der Umstand eine Rolle, dass die Gewinnerwartungen bei wissenschaftlichen Übersetzungsprojekten nicht sonderlich hoch gewesen sein dürften. Zwar fehlen Forschungen, die belastbare Angaben über gezahlte Übersetzerhonorare in dieser Zeit erlauben würden, das hier vorgestellte Beispiel legt aber beredtes Zeugnis davon ab, dass ökonomische Interessen von Seiten der Übersetzer in vielen Fällen sekundär oder irrelevant gewesen sein dürften.Footnote 45 Damit kommt freilich der Frage nach den Modi der Anbahnung solcher Übersetzungen besondere Bedeutung zu. Der Fall des Übersetzers Jean Senebier ist hier aufschlussreich. Wenn wissenschaftliche Übersetzungen eine hohe spezifische Kompetenz voraussetzten, aber kaum ökonomische Vorteile versprachen, dann müssen die erzielten Gewinne vor allem symbolisches Kapital betroffen haben. Dieser Mechanismus ist bei Senebier besonders augenfällig, insofern er von Anfang an offen artikuliert, dass er vom Prestige des zu übersetzenden Wissenschafts-Stars Spallanzani zu profitieren hofft. Es ist offensichtlich, dass Senebier, der als Bibliothekar auf einem Feld tätig war, das man heute eher als ‚wissenschaftsunterstützenden Bereich‘ begreift,Footnote 46 durch seine Übersetzungen nach zweierlei strebt: erstens nach eigener wissenschaftlicher Reputation, die sich nicht zuletzt auch auf die Paratexte zu seinen Übersetzungen stützt, und zweitens nach einer Aufwertung seiner eigenen Arbeiten, wie etwa den methodologischen Traktat Essai sur l'art d'observer, der ursprünglich die Antwort auf eine Preisfrage der Akademie von Haarlem bildete. Die Übersetzung und Korrespondenz mit Spallanzani vermittelt also Prestige und Renommee. Wenn Senebier in einem Brief an Spallanzani schreibt, dass er für seine Übersetzung eigene Forschungen hintanstelle, so haben wir es auf den ersten Blick mit einer Art umwegigen Karrierestrategie zu tun. Es zeigt sich freilich, dass diese Strategie in jeder Hinsicht erfolgreich war. Nichts verdeutlicht dies besser als die Tatsache, dass sich für die europäische Fachwelt die Namen Spallanzani und Senebier zunehmend verbanden und etwa im Jahre 1786 bei Göschen eine deutsche Übersetzung der Spallanzanischen Versuche über die Erzeugung der Thiere und Pflanzen erschien,Footnote 47 die nicht nur auf der Grundlage der Senebierschen Übersetzung aus dem Französischen erfolgte, sondern die darüber hinaus neben zwei (immerhin 60 Druckseiten umfassenden) Briefen Bonnets, auch eine (ebenfalls 60 Druckseiten umfassende) Schrift Senebiers mit dem Titel Entwurf einer Geschichte der organisirten Körper vor ihrer Befruchtung umfasste.Footnote 48 Das, was in Senebiers Übersetzung eine Art erweitertes Übersetzervorwort war, erscheint in der deutschen Übersetzung von Christian Friedrich Michaelis also als eigenständige ergänzende Abhandlung.

Man sieht also auf der einen Seite, wie für Spallanzani die Übersetzung ins Französische das Ticket für eine gesamteuropäische Wahrnehmbarkeit über Frankreich hinaus war. Das gilt umso mehr, als das Deutsche seinerseits in vielen Fällen als Relaissprache für weitere Übersetzungen in ost- und nordeuropäische Kulturen fungierte. Nicht ohne Stolz stellt Senebier in einem Brief aus dem Jahre 1778 fest, dass Spallanzani aufgrund der Übersetzungen zu universeller Bekanntheit und gleichsam zum „Professor des Universums“ aufgestiegen sei:

Vos Opuscules ont fait […] grande fortune en Angleterre, en France et en Hollande, je n’ai pas vu la traduction allemande, vous n’etes plus le professeur de Pavie vous etes celui de l’Univers, il n’y a personne a qui vous n’ayes des choses infiniment curieuses a apprendre dans l’histoire naturelle et il n’y a personne qui ne se felicite de vous avoir pour maitre dans ces interessantes sciences.Footnote 49

Ihre Werke haben […] großen Erfolg in England, in Frankreich und in den Niederlanden; ich habe zwar die deutsche Übersetzung nicht gesehen, aber Sie sind nicht mehr der Professor aus Pavia, Sie sind der Professor des Universums, es gibt niemanden, dem Sie nicht unendlich wissenswerte Dinge aus dem Bereich der Naturgeschichte mitzuteilen hätten und es gibt niemanden, der nicht glücklich darüber wäre, Sie in diesen interessanten Disziplinen als Lehrmeister zu haben.

Auf der anderen Seite bildet für den Übersetzer selbst die Übersetzungstätigkeit nicht die Arbeit eines ‚unsichtbaren‘ Dienstleisters, sondern im Gegenteil das Eintrittstor in die europäische Wissenschaftscommunity. Das vor allem im Anschluss an Laurence Venuti gleichnamiges Buch vieldiskutierte Problem der Unsichtbarkeit des Übersetzers erscheint insofern in Bezug auf das Feld der Wissenschaftsübersetzungen in einem ganz eigenen Licht.Footnote 50 Auf der einen Seite treten die Übersetzer aufgrund des Ideals der sobriété, das bei Fachübersetzungen vorherrscht und das die Affichierung besonderer stilistischer Brillanz als unangemessen erscheinen lässt, in besonderer Weise hinter dem Text zurück. Auf der anderen Seite freilich sind die Übersetzer über Kommentare, ergänzende Fußnoten, redaktionelle Eingriffe und Vorworte oftmals ausgesprochen im Text präsent; mehr noch, die Übersetzung erscheint im vorliegenden Fall geradezu als Instrument, um ihrem Autor zu internationaler Sichtbarkeit zu verhelfen.

Freilich sind die Übersetzungen Spallanzanis auch noch in einer anderen Hinsicht interessant. In dem Maße wie sie sowohl für den Übersetzer wie für den übersetzten Autor nicht zuletzt eine Frage des Prestiges und des symbolischen Kapitals waren, erlauben sie es auch ihre kommunikative Funktion zu hinterfragen. Das gilt in mehrerlei Hinsicht. Auf der einen Seite zeigt die intensive und stets auf Französisch geführte Korrespondenz Spallanzanis, dass dieser gemessen an heutigen Standards einer auf Englisch publizierenden scientific community, aber auch gemessen an den Standards der klassischen, auf Latein kommunizierenden res publica literaria vermutlich absolut in der Lage gewesen wäre, seine Texte direkt auf Französisch zu verfassen. Dass Bonnet Spallanzani dennoch davon abrät, wirft ein bezeichnendes Licht auf die sich neu herausbildenden Konventionen nationaler Wissenschaftssysteme. Tatsächlich wird man in Spallanzani einen Autor sehen dürfen, der mit einem Bein noch in der Tradition der res publica literaria steht und dessen natürlicher Reflex es eigentlich gewesen wäre, in lateinischer Sprache zu publizieren und so die Wissenschaftsgemeinschaft direkt zu erreichen. Der Trend zur Vernakularisierung und die Notwendigkeit auf Italienisch zu publizieren, um sich dann übersetzen zu lassen, erscheinen für ihn insofern als ein „desordre litteraire“Footnote 51. Auch den Umstand, dass eine Publikation auf Französisch von der gerade in sprachlich-literarischen Dingen einigermaßen protonationalistisch geprägten Stimmung in Italien abgelehnt worden wäre und ihrem Autor beim Publikum geschadet hätte,Footnote 52 erlebt der von einer universalen Wissenschaft durchdrungene Spallanzani als eine Form nationaler Begrenztheit. Aus der Perspektive der bourdieuschen Feldtheorie erweist er sich in dieser Hinsicht als vollkommener Vertreter der inhärenten universalistischen Normen des sich autonomisierenden Wissenschaftsfeldes. Andererseits zeigt sich aber, dass auch Spallanzani vom prärisorgimentalen Geist des nationalen Erwachens in Italien und vom Bewusstsein einer gewissen Konkurrenz der Wissenschaftssysteme und Wissenschaftssprache nicht unberührt geblieben ist. Das zeigt sich unter anderem und trotz der immer wieder affichierten Ideale von précision und sobriété auch an den fortbestehenden Ansprüchen an sprachliche Eleganz, die nicht zuletzt dem Streben nach einer Stärkung der Wissenschaftssprache Italienisch geschuldet sind.

Dass Spallanzani darauf verzichtet, seine Texte gleich auf Französisch zu schreiben, zeugt aber vermutlich auch davon, dass das Übersetzt-Werden ein höheres symbolisches Kapital verspricht, als das eigene Publizieren in der Fremdsprache. Erscheint dieses tendenziell als implizites Zeugnis für die Dominanz der französischen Wissenschaftssprache und so indirekt auch als eine Art Reverenz an die Überlegenheit des französischen Wissenschaftssystems, so präsentiert sich das Übersetzt-Werden umgekehrt als Beweis der eigenen überlegenen Exzellenz, gegenüber der die französische Übersetzung eine wissenschaftliche Verbeugung bildet. Dieses Beispiel zeigt recht anschaulich, dass die kommunikativen Funktionen von Ausgangstexten und Zieltexten signifikant voneinander abweichen können.

Das bestätigt der Blick auf Spallanzanis eigene Bonnet-Übersetzungen. Diese belegen in noch deutlicherer Weise, dass Übersetzungen häufig nicht in ihrer ursprünglichen kommunikativen Funktion aufgehen. Vielmehr drängt sich der Eindruck auf, dass Letztere im vorliegenden Fall eher eine sekundäre Rolle spielt. Es zeigt sich nämlich, dass seine eigenen Übersetzungen für Spallanzani erklärtermaßen vor allem ein Instrument italienischer Wissenschaftspolitik sind. Das gilt gleichermaßen in wissenschaftsstrategischer wie in sprachlicher Hinsicht. Während die Bonnet-Übersetzung inhaltlich ein Mosaikstein in Spallanzanis Kampf gegen den Linnéismus war, stellt sie sprachlich ein Instrument zur Stabilisierung des nationalen Wissenschaftssystems dar. Tatsächlich betont Spallanzani verschiedentlich, dass das Französische in der scientific community universell verbreitet sei. Man wird insofern davon ausgehen dürfen, dass das Publikum der Spallanzanischen Bonnet-Vorlesungen in Pavia der Übersetzung streng genommen kaum bedurft hätte. Dennoch verlangt der Anspruch des italienischen Wissenschaftssystems auf Autonomie offenbar von seinen Akteuren, dass die wissenschaftliche Kommunikation auf Italienisch geführt wird. Die Übersetzung ins Italienische ist in dieser Perspektive weniger ein kommunikativer Akt als vielmehr Teil einer Strategie zur Stabilisierung einer spezifisch italienischen Wissenschaftskultur. Und gerade im Falle Italiens wird man in diesem Anspruch sicher auch eine Art Abgrenzungsbewegung gegen die Hegemonie des Französischen sehen dürfen, das nicht nur in der Wissenschaft übermächtig zu werden droht.