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1 Übersetzung und Enzyklopädismus – grundlegende Problemstellungen

Das Problemfeld der Beziehungen von Enzyklopädien und Übersetzungen lässt sich grundlegend in zwei Analyseperspektiven untersuchen. Die erste Analyseperspektive betrifft die Übersetzung enzyklopädischer Werke in andere Sprachen oder aus anderen Sprachen, die in der französischen Buch- und Übersetzungsforschung mit den Begriffen „Extraduction“ und „Intraduction“ unterschieden werden.Footnote 1 Der Übersetzung enzyklopädischer Werke, die im Rahmen eines Projekts im SPP „Übersetzungskulturen in der Frühen Neuzeit“ systematisch erfasst und analysiert wird,Footnote 2 kam im Laufe des 18. Jahrhundert eine zunehmende Bedeutung im transkulturellen Wissenstransfer zu. Die dominierenden Sprachen (und Kulturräume), aus denen heraus im Aufklärungszeitalter enzyklopädische Werke in andere Sprachen hinein übersetzt wurden, waren das Französische, das Englische und – mit einigem Abstand – das Deutsche. Andere Sprachen, wie das Holländische, Italienische und Spanische, traten erst Ende des 18. Jahrhunderts als Ausgangssprachen für die Übersetzung enzyklopädischer Werke in Erscheinung – ein deutlicher Beleg für die grundlegenden Asymmetrien in der Wissensproduktion und im Wissenstransfer des Aufklärungszeitalters im europäischen und atlantischen Raum. Häufig gingen Übersetzungen auch im Bereich enzyklopädischer Werke einher mit Formen der Adaptation, die sich in mehr oder minder umfangreichen Ergänzungen, u. a. in Form von kritischen Kommentaren, aber auch in der Korrektur oder der Streichung von Passagen aus dem übersetzten Originalwerk äußerten, die als nicht mehr aktuell oder als irrelevant für die Leserschaft der Übersetzung erachtet wurden. Adaptierte Übersetzungen wurden im Allgemeinen gekennzeichnet durch Titeländerungen oder Titelzusätze wie „révisée“, „enlarged“ oder „complétée“, wie dies etwa in der englischen Übersetzung von Pierre Bayles Dictionnaire Historique et Critique (1694–97) erfolgte, die den geradezu programmatischen Titel trägt: A General Dictionary Historical and Critical: in Which A New and Accurate Translation of the Celebrated Mr. Bayle, with the Corrections and Observations printed in the late Edition at Paris, is included; and interspersed with several thousand LIVES never before published (Bayle 1734–41).

Wie erste exemplarische Untersuchungen gezeigt haben, legen Übersetzungen im Bereich des Enzyklopädismus vielfältige und komplexe Formen des Wissenstransfers, aber zugleich auch der interkulturellen Aneignung und Transformation von Wissensbeständen aus anderen Kulturräumen offen. Diese lassen sich als Prozesse der Autonomisierung von Wissenskulturen und mit Begriffen wie ‚produktive Rezeption‘, ‚kritische Rezeption‘ und ‚Nationalisierung‘ beschreiben Paratextuelle Elemente wie Vorworte, Nachworte und Fußnoten spielen in diesem Zusammenhang eine herausragende Rolle. Sie stehen hinsichtlich ihrer Struktur und Funktion kritischen Kommentarformen, wie der Rezension, nahe.Footnote 3

So erfolgte beispielsweise in den deutschen Rezensionen zu den von Claude-Henri Watelet und Pierre-Charles Levesque verfassten Bänden der Encyclopédie Méthodique zu den Schönen Künsten („Beaux-Arts“) eine äußerst kritische Auseinandersetzung mit dem besprochenen Werk. Bei ihr spielten aus der Sicht des deutschen Rezensenten sprachliche Missverständnisse und Ungenauigkeiten der Übersetzung und der hiermit verbundenen französischen Rezeption vor allem des deutschen Kunsthistorikers und -theoretikers Johann Jakob Winckelmann ebenso eine Rolle wie die Übersetzung von Zitaten und Textpassagen aus dem Französischen in den deutschen Rezensionsorganen wie der Jenaer Allgemeinen Literatur-Zeitung:

Es fehlte Watelet an Kopf und Geschmack, um den Geist des großen deutschen Lehrers der Kunst, Winckelmanns, zu fassen; denn sonst würde er sich in diesem Artikel nicht gedrungen gefühlt haben, die Künstler vor dessen Begriffe von Schönheit, die ihm zu abstract und dunkel scheinen, zu warnen.Footnote 4

Auch die Gründe für die weitgehende Nicht-Übersetzung der Encyclopédie Méthodique im deutschen Sprachraum, die lediglich in äußerst fragmentarischer Form in einzelnen Auszügen für deutsche Zeitschriften übersetzt wurde, werden in den kritischen Rezensionen, die in Deutschland zum Originalwerk publiziert wurden, deutlich.Footnote 5 Sie lagen außer in der Konkurrenz durch große deutschsprachige Enzyklopädieausgaben in der Epoche um 1800, wie Brockhaus‘ Conversationslexicon, in der aus deutscher Sicht zu prononcierten Nationalzentriertheit der Encyclopédie Methodique. So schrieb hierzu der deutsche Rezensent der von Gabriel-Henri Gaillard herausgegebenen Bände zur ,Geschichte‘ („Histoire“) im März 1789 in der Allgemeinen Literaturzeitung:

Die geringe Bekanntschaft der Franzosen mit der Civil-, noch mehr aber mit der Literargeschichte andrer Nationen, und die Vorliebe für ihre Landesgeschichte leuchtet auch in diesem Werke ziemlich stark hervor. Französische Geschichte prädominirt überall. Dieser Ursachen wegen können Nichtfranzosen das kostbare Werk füglich entbehren. Sie werden hundertmal in Sachen ihrer Nationalgeschichten nachschlagen, ehe sie einmal Befriedigung daraus schöpfen können. […]. Dagegen findet man desto mehr Leute, die außer Frankreich niemand zu kennen verlangt. Wie viel deutsche und andre, gut und übel berüchtigte Fürsten und Staatsmänner sind mit Stillschweigen übergangen! […].Footnote 6

Die Rezension schließt mit einer geradezu vernichtenden Kritik des „Nationalhochmuths“ der Franzosen, die die Bände zum Wissensbereich ‚Geschichte‘ („Histoire“) der Encyclopédie Méthodique für nicht-deutsche Leser – ob im französischen Original oder in einer werkgetreuen Übersetzung – von begrenztem Interesse erscheinen lassen:

Der Nationalhochmuth der Franzosen blickt auch aus diesem Werk auf mehr als auf eine Art hervor. Unter anderem heißt es immer: die Geschichte der Nation, statt die Geschichte der französischen Nation. Ja, wenn in dieser sogenannten methodischen Encyclopädie nicht auch von andern Nationen die Rede wäre!Footnote 7

Die zweite grundlegende Analyseperspektive im Konnex von Enzyklopädismus und Übersetzungen bilden Übersetzungen in enzyklopädischen Werken sowie Reflexionen über das Phänomen der Übersetzungen, die auch die Ausführung und Qualität einzelner übersetzter Werke betreffen können. Übersetzungen in enzyklopädischen Werken umfassen ihrerseits zum einen zitierte vorliegende Übersetzungen, die textanalytisch dem Netz intertextueller Bezüge zuzuordnen sind; und zum anderen Übersetzungsvorgänge in Enzyklopädieartikeln selbst, die im Zusammenhang mit ihrer Abfassung erfolgt sind. Es geht bei dieser Untersuchungsperspektive darum, erstens aufzuzeigen, inwiefern Praktiken des Übersetzens enzyklopädischen Werken per se inhärent sind und im Kontext der Entwicklung und Ausprägung des enzyklopädischen Genres im Aufklärungszeitalter einen wichtigen Bestandteil des Umgangs mit Quellen, Dokumenten und intertextuellen Bezügen darstellten; zweitens zu untersuchen, welche transkulturellen Prozesse und Konsequenzen mit ihnen verbunden waren; und drittens zu analysieren, welche Verbindungen zwischen den diskursiven Prozessen des Übersetzens, des kritischen Kommentierens und der Entwicklung eines theoretischen Diskurses über das Übersetzen bestehen.

Der reflexiv-theoretische Diskurs über das Übersetzen entwickelte sich in enzyzklopädischen Werken in herausragender Weise in den einschlägigen Artikeln „Traduction“, „Traducteur“ und „Version“ in der Encyclopédie von Diderot und D’Alembert, die nachfolgend näher beleuchtet werden; aber auch in thematisch völlig anders gelagerten Artikeln, in denen Übersetzungsprobleme und -mängel zur Sprache gebracht wurden. Der Artikel „Inversion“ (Inversion, Umstellung) von Beauzée in den Bänden zur Grammatik und Literatur der Encyclopédie Méthodique beispielsweise enthält Überlegungen zu den grundlegenden Herausforderungen, die der unterschiedliche Satzbau im Lateinischen und Französischen – der im Mittelpunkt des Artikels steht – an den Übersetzer stellt.Footnote 8 Der Philosoph und Enzyklopädist Jacques-André Naigeon setzte sich in den von ihm verfassten Bänden zur modernen Philosophie der Encyclopédie Méthodique seinerseits in völlig anderen, von einem Vergleich der Übersetzung und des Originals ausgehenden Überlegungen äußerst kritisch mit der Übertragung ins Französische des Werkes Dei delitti e delle pene (1764) des italienischen Rechtsphilosophen und Rechtsreformers Cesare Beccaria durch den französischen Enzyklopädisten André Morellet auseinander. Er warf Morellet vor, durch seine Übersetzung das Originalwerk „getötet“ zu haben („que M. Morellet a bien tué dans sa traduction“Footnote 9) und den ebenso „enthusiastischen“ wie „farbigen“ Stil BeccariasFootnote 10 durch einen allzu flachen und ruhigen stilistischen Duktus ersetzt zu haben. Der Übersetzung fehle völlig jene „Poesie“ und jene „Verve“, die Beccarias Stil und zugleich sein soziales Engagement auszeichneten.Footnote 11 Die Polemik um die Übersetzung Beccarias durch Morellet, die zahlreiche Auflagen erlebte,Footnote 12 breit rezipiert wurde und nach Aussage des Übersetzers die Zustimmung Beccarias gefunden hatte,Footnote 13 lag zweifellos auch in unterschiedlichen ideologischen Positionen begründet, vor allem in unterschiedlichen Einstellungen zu Kirche und Laizität, die insbesondere seit dem Beginn der Französischen Revolution zwischen den Kontrahenten offen zutage traten, zumal Naigeon die Bände zur Philosophie moderne der Encyclopédie Méthodique in den Revolutionsjahren 1791–1794 veröffentlichte. Sie erklärt sich jedoch auch durch unterschiedliche Einstellungen der beiden Autoren zum Übersetzen selbst. Diese waren bei Naigeon durch das Konzept der Werktreue und das Bestreben nach einer möglichst textnahen Übertragung auch rhetorisch-stilistischer Register des Originals gekennzeichnet.

Die umrissene, bisher in der Forschung kaum verfolgte Analyseperspektive soll im Folgenden an zwei herausragenden Fallbeispielen beleuchtet werden: zum einen anhand der Artikel „Traduction“, „Traducteur“ und „Version“ in dem zweifellos wichtigsten enzyklopädischen Werk des Aufklärungszeitalters, der Encyclopédie von Diderot und D’Alembert, die 1751 bis 1772 publiziert wurde und zu der 1777–78 Supplementbände veröffentlicht wurden; und zum anderen auf der Grundlage einzelner Bände der Encyclopédie méthodique, einer erheblich erweiterten und thematisch neu geordneten Bearbeitung der Encyclopédie Diderots und D’Alemberts, bestehend aus 40 alphabetischen Wörterbüchern und insgesamt 212 Quartbänden. Mit 125.350 Textseiten stellte es das mit Abstand umfangreichste enzyklopädische Werk der Epoche dar, das zwischen 1782 und 1832 veröffentlicht wurde und den Umfang von Zedlers Universallexikon um das Zweifache und den der Encyclopédie von Diderot und D’Alembert um das Fünffache übertraf. Teile der Encyclopédie méthodique wurden in den beiden letzten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts ins Spanische und Italienische übersetzt;Footnote 14 für andere Kulturräume wie den deutschen und englischen Kulturraum liegen keine Teil-Übersetzungen in Buchform vor, sondern lediglich partielle Übersetzungen von Auszügen aus Teilbänden der Encyclopédie méthodique, die in zeitgenössischen Periodika in Form von Artikeln erschienen sind.Footnote 15 Hinzu kommen auszugsweise Übersetzungen von Passagen aus einzelnen Bänden der Encyclopédie méthodique vor allem in deutschen Rezensionsorganen, sodass hier von verschiedenen Formen fragmentarischer oder partieller Übersetzung gesprochen werden kann, die mit Prozessen der kritischen Rezeption eng verknüpft waren.

2 Übersetzungsreflexion und Übersetzungstheorie im enzyklopädischen Diskurs – die Artikel „Traduction“ und „Version“ in der Encyclopédie von Diderot und D’Alembert

Die Reflexion über das Übersetzen fand ihren Niederschlag auch in den einschlägigen Lexikonartikeln sowohl der sprachlich als auch der enzyklopädisch ausgerichteten Wörterbücher des Aufklärungszeitalters. In Bezug auf Frankreich lässt sich bereits relativ früh ein differenziertes und relativ komplexes semantisches Feld ausmachen, in dem Formen der Übersetzungsreflexion und hiermit verbundene theoretische Ansätze verankert waren. In den Wörterbüchern des ausgehenden 17. Jahrhunderts bestimmten drei Begriffe das Wortfeld der ‚Übersetzung‘: die Begriffe „Explication“ (Erläuterung, Erklärung), „Commentaire“ (Kommentar) und der Begriff „Traduction“ (Übersetzung), der an die Stelle des noch bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts gebräuchlichen, aber zugleich mehrdeutigen Begriffs „Translation“ (Übertragung) getreten war, mit dem tendenziell eher die wörtliche Übersetzung gemeint war.Footnote 16 Die gleichfalls seit Ende des 17. Jahrhunderts zum semantischen Feld der Übersetzung gehörigen Begriffe „Imitation“, „Paraphrase“ und „Belle Infidèle“ (Schöne Untreue) bezeichnen ihrerseits Phänomene, die sich von einem engen, dem Originaltext sehr nahen Verständnis von Übersetzung mehr oder minder deutlich entfernt haben und bereits seit Ende des 16. Jahrhunderts im Französischen als „traduction libre“ (freie Übersetzung) bezeichnet wurden. Der in der Folge auch im enzyklopädischen Diskurs häufig zu findende, metaphorische Begriff der ‚Belle Infidèle‘ wurde erstmals 1693 von dem französischen Literaten Gilles Ménage verwendet, um zwei sprachlich durchaus gelungene, aber zugleich ungenaue Übersetzungen von Werken des Tacitus (1643) und Lukians (1654) durch den Schriftsteller und Sprachtheoretiker Perrot d’Ablancourt zu charakterisieren.Footnote 17

Der Artikel „Traduction, Version“ der Encyclopédie von Diderot und D’Alembert, der aus der Feder des französischen Sprachphilosophen Nicolas Beauzée stammt, fasst die verschiedenen Ansätze der Übersetzungsreflexion des Aufklärungszeitalters erstmals in einem systematischen enzyklopädischen Wörterbuchartikel zusammen.Footnote 18 Er wurde von den Herausgebern der Encyclopédie, Denis Diderot und Jean Le Rond D’Alembert, dem Themenbereich (Domaine) der Synonymes zugeordnet.Footnote 19 Diese Zuordnung lag darin begründet, dass der Beitrag zunächst und in erster Linie auf grundlegende Begriffsbestimmungen und -abgrenzungen bedeutungsähnlicher oder bedeutungsgleicher Termini abzielte, in diesem Fall zwischen „Traduction“ und „Version“. Beauzée geht in der Tat von der Unterscheidung von „Traduction“ und „Version“ aus, die sich mit der bis dahin gängigen Unterscheidung von wörtlicher und nicht-wörtlicher Übersetzung weitgehend deckt. Während Beauzée unter einer wörtlichen Übersetzung („version“) eine durchgehend lineare, möglichst nahe an der Syntax des übersetzten Textes orientierte Übertragung versteht, sieht er in der „traduction“ selbst einen grundlegend kreativen Vorgang, der den ‚Genius‘ der Ursprungssprache zu erfassen sucht.Footnote 20 Die Herausforderung an den Übersetzer bestehe, so Beauzée, darin, den Gedankengang des Originals („l’ordre des idées de l’original“), die Genauigkeit seines Satzbaus („la précision de sa phrase“) und die Eigentümlichkeit seiner Begrifflichkeit („la propriété de ses termes“) zu erhalten.Footnote 21 Im Anschluss an den Dichtungstheoretiker Charles Batteux, dessen Cours de belles-lettres (1751) er ausführlich zitiert,Footnote 22 vergleicht Beauzée die Rolle des Übersetzers mit der des Dichters; sie erfordere ebenso viel „Genie“ („génie“) wie Geschmack („goût“) und aus diesem Grunde seien exzellente Übersetzungen äußerst rar. Obwohl der Enzyklopädieartikel Mitte des 18. Jahrhunderts verfasst wurde, bewegt er sich in Teilen noch in den Argumentationslinien der „Querelle des Anciens et des Modernes“, des Streits zwischen Altertumsfreunden und Verfechtern der Moderne, die Frankreichs – und ansatzweise auch Europas – intellektuelle Szene um 1700 bewegte und polarisierte. Beauzée, ein später Verfechter der Positionen der ‚Anciens‘, verteidigte in seinem Artikel zur „traduction“ die unerreichte Qualität antiker Dichtung und Philosophie, die auch in exzellenten Übersetzungen nicht erreicht werden könne. Eine Übersetzung dürfe keinen Kommentar zum Originaltext und auch keine kreative Neudichtung darstellen, sondern müsse den Gedankengang („ordre des idées“), die syntaktische Abfolge („la précision de la phrase“) und die Eigentümlichkeit seiner Begrifflichkeit („la propriété de ses termes“) möglichst genau widergeben. Beauzée, der sich hier als ein entschiedener Gegner der ‚freien Übersetzung‘ und damit des Konzepts der ‚Belles Infidèles‘ erweist, entwickelt in seinem Enzyklopädieartikel ein – im Vergleich zu früheren Wörterbucheinträgen zum Thema „Traduction“ – neues Verweissystem, in dem er die Thematik der Übersetzung verortet: neben dem Begriff und der hiermit verbundenen Praxis des Kommentars („Commentaire“), die er vom eigentlichen Übersetzungsvorgang dezidiert unterscheidet,Footnote 23 finden sich in seinem Artikel explizite Bezugnahmen auf die Begriffe „Version“ (hier als ‚wörtliche Übersetzung‘ verstanden), „Méthode“, „Inversion“, „Supplément“ und „Synecdoque“. Diese beziehen sich einerseits auf Spezifika des Übersetzungsvorgangs, der häufig sowohl Ellipsen als auch die Korrektur von Redundanzen einschließe und andererseits auf mit dem Übersetzen verbundene spezifische Herausforderungen, die in der Schwierigkeit der Wiedergabe metaphorischer Sprache (Art. „Synecdoque“) liegen.

Ergänzt wird der Artikel „Traduction“ in der Encyclopédie zum einen durch einen sehr kurzen Artikel zum ‚Übersetzer‘ („Traducteur“), der aus der Feder des Chevalier de Jaucourt stammt. Er verweist auf den unmittelbar danach abgedruckten Artikel „Traduction“ und betont den Unterschied zwischen Übersetzungen im wissenschaftlichen und religiös-dogmatischen Bereich auf der einen Seite, die eine große Präzision hinsichtlich der übertragenen Begrifflichkeit („précision des termes“) erfordere, und Übersetzungen auf dem Gebiet der Dichtung („poésie“). Letztere beschreibt er als eine Gratwanderung zwischen dem Rekurs auf Periphrasen, die die Übertragung der Gedanken des Autors schwächen würden („affoiblissent les idées“), und einem ‚sklavischen Festhalten‘ („attachement servile“) an der Struktur des Ausgangswerks, das jegliches Gefühl auslösche („éteint le sentiment“).Footnote 24

Zum anderen findet sich in der Encyclopédie zur Übersetzungsthematik ein sich ausschließlich auf die Übersetzung der Bibel beziehender Artikel „Version“, in dem der Chevalier de Jaucourt eine kritische Geschichte der Bibelübersetzungen seit der Antike umreißt. Sie erweist sich – wie sich in der Terminologie des Artikels zeigt – in der Argumentation De Jaucourts als eine Geschichte weniger der textnahen und wörtlichen Übersetzungen („Versions“), sondern bei genauerem Hinsehen der interpretierenden und kommentierenden Übersetzungen („Traductions“), die ihrerseits Möglichkeiten vielfältiger Neuauslegung und Sinngebung eröffnen.Footnote 25 Während der übergreifende Artikel „Version“ dem systematischen Themenbereich („Domaine“) „Grammaire“ zugeordnet wird, beziehen sich alle untergeordneten Themenbereiche, in die der Artikel untergliedert ist,Footnote 26 auf die unterschiedlichen Übersetzungen der heiligen Schrift von der Antike bis zur Neuzeit. In diesem Zusammenhang finden die deutschen Bibelübersetzungen von Luther und Gaspard Ulenberg, aber auch englische, französische, dänische, spanische und italienische Übersetzungen Erwähnung und werden zum Teil auch etwas ausführlicher behandelt. Neben eher summarischen Abhandlungen, die die meisten erwähnten Bibelübersetzungen betreffen, entwickelt De Jaucourt bei einzelnen ausgewählten übersetzten Werken eine detaillierte Übersetzungskritik, so etwa bei der von Abraham Usque vorgenommenen und 1553 erstmals in Ferrara erschienenen Übersetzung des Alten Testaments vom Hebräischen ins Spanische. Er wirft Usque nicht nur fehlende Genauigkeit und den Rekurs auf wenig präzise Paraphrasen vor, sondern auch die Auslassung von Passagen, durch die der Sinn der betreffenden Abschnitte völlig verändert worden sei.Footnote 27 Ausführlich widmet sich De Jaucourt den Grundsätzen einer genauen und zugleich kritischen Bibelübersetzung, die der britische Theologe und Schriftsteller Thomas Fuller Mitte des 17. Jahrhunderts auf Empfehlung König Jakob I. von England ausgearbeitet hatte. Zu den insgesamt 14 Regeln für eine korrekte Bibelübersetzung, die De Jaucourt auf der Grundlage von Fullers Ausführungen u. a. in seiner Church-History of Britain (1655) beschreibt, zählen die strikte Übernahme der Textstruktur und der im Original vorgegebenen Rubriken und Abschnitte in die übersetzte Fassung; die vergleichende Aufarbeitung vorheriger Bibelübersetzungen in verschiedenen Sprachen mit der Empfehlung, bei mehrdeutigen, polysemischen Wörtern und Textpassagen den am häufigsten verwendeten Sinn zu übernehmen; die Notwendigkeit, die Übersetzung mit Anmerkungen zu anderen relevanten Textpassagen der Bibel zu versehen; sowie die Auflage einer kritischen Prüfung der Übersetzung durch mehrere ausgewiesene „Examinateurs“ (‚Prüfer‘) (Jaucourt 1765), S. 167.

Der 1777 in den Supplementbänden der Encyclopédie erschienene Artikel „Traduction“ des Schriftstellers und Lexikographen Jean-François Marmontel erweitert die Perspektive der drei Artikel zum Themenbereich Übersetzung in der Encyclopédie um einige wichtige Aspekte.Footnote 28 Sein Enzyklopädieartikel „Traduction“ ist – im Gegensatz zu Nicolas Beauzées knapp 20 Jahre zuvor erschienenem Artikel zum selben Thema – vornehmlich den Übersetzungen im Bereich der „Belles Lettres“ (‚Schöne Literatur‘) gewidmet. In ihnen sieht er eine besondere Herausforderung der Übersetzungskunst, während er Übersetzungen im Bereich der Philosophie, der Rhetorik und der Naturwissenschaften für weitgehend unproblematisch hält und nicht weiter auf sie eingeht. Marmontel definiert eingangs in seinem Artikel grundlegende Prinzipien belletristischer Übersetzung, die an den Maßstäben der Klarheit („clarté“), Angemessenheit („justesse“) und der Genauigkeit („précision“) gemessen werden sollten. Hinzu kommen die Prinzipien des Anstands („décence“) und der Verbesserung („Correction“), mit denen Formen des normativ-korrigierenden Eingriffs des Übersetzers gemeint sind. In der Folge geht er zunächst von grundlegenden Beobachtungen zu lexikalischen und semantischen Asymmetrien zwischen den verschiedenen Sprachen aus die je nach Themen und Wirklichkeitsbereichen einen sehr unterschiedlichen ‚Reichtum‘ („richesse“) und ‚Überfluss‘ („abondance“) an Ausdrucksmöglichkeiten aufzuweisen hätten. So verfügte nach Marmontel das Französische über ein differenziertes Vokabular etwa zur Beschreibung von Gefühlen und Leidenschaften, aber – vor allem in der gehobenen Sprache („langage annobli“) – in Bereichen wie der Natur oder dem Handwerk eher über einen begrenzten und sogar ‚ärmlichen‘ („pauvre) Wortschatz.Footnote 29 Dies veranlasse den Übersetzer dazu, statt auf unmittelbare lexikalische Äquivalente behelfsmäßig auf Metaphern zurückzugreifen – ein ‚dorniger‘ („ronces“) und ermüdender („fatigue“) Weg, der ‚tausend Umwege‘ („mille détours“) beinhalte.Footnote 30

Die folgenden Abschnitte von Marmontels Enzyklopädieartikel zur „Traduction“ widmen sich ausführlich spezifischen Herausforderungen der literarischen und dichterischen Übersetzung. Phänomene wie der Reichtum der metaphorischen Sprache, die ‚Färbung des Ausdrucks‘ („coloris de l’expression“) sowie Harmonie, Metrik und Rhythmus poetischer Verse stellten den Übersetzer vor zum Teil unüberwindliche Schwierigkeiten. Der Vergleich von Original und Übersetzung belege, so die Feststellung Marmontels, zum einen die Überlegenheit antiker Dichtkunst im Vergleich zur Poesie der ‚Modernen‘ – eine Feststellung, die über 70 Jahre nach dem Ende der Querelle des Anciens et des Modernes zu überraschen vermag; und zum anderen die Mittelmäßigkeit der allermeisten Übersetzer – die auch den französischen Torquato Tasso-Übersetzer Mirabeau kennzeichne –, von der sich nur wenige herausragende ‚Genies‘ („génies“) abzuheben vermögen. Die Herausforderungen an den Übersetzer, dessen Tätigkeit Marmontel abschließend mit der eines Teppichknüpfers vergleicht, lägen nicht in der ‚Nachahmung‘ („copie“) des Musters, sondern in der Suche nach Zwischentönen und analogen ‚Farbmischungen‘ („mélange de ses couleurs“). Wie ein begabter ‚Teppichkopist‘ („copiste“ de „tapisseries“) benötige ein Übersetzer nicht nur ein Material gleicher Qualität – Marmontel vergleicht gefärbte Fäden mit ästhetisch geformter Sprache –, sondern auch dasselbe Talent wie sein Vorbild. Erst hierdurch könne der Übersetzer vom mittelmäßigen ‚Kopisten‘ („copiste“) zum kreativen, nuancenreichen und ‚originellen Künstler‘ („artiste original“) werden.Footnote 31

Marmontels Enzyklopädieartikel zum Stichwort Übersetzung („Traduction“) für die Supplementbände der Encyclopédie wurde 1786 fast unverändert in dem gleichnamigen Artikel für die Bände Grammaire et Littérature der Encyclopédie Méthodique übernommen. Marmontel setzte hier lediglich am Ende zwei Sätze hinzu, die nochmals eindringlich die spezifische Qualität poetischer Sprache hervorheben und diese von der Sprache eines ,Redners‘ („Orateur“), ‚Philosophen‘ („philosophe“) oder ‚Historikers‘ („historien“), die ungleich leichter zu übersetzen sei, deutlich abhebt. Die Palette des Dichters verfüge, so Marmontel, potentiell über eine unendlich reiche und originelle Varietät von Farbnuancen, während Historiker und Philosophen kaum mehr als auf eine Auswahl von Einheitsfarben, die sich überall finden („qui se trouvent partout“), zurückzugreifen vermögen.Footnote 32 Jene Nuancen, mit denen der Dichter ‚komponiere‘ bzw., wie Marmontel vorsichtig hinzufügt, ,denke‘Footnote 33, seien jeder Sprache eigentümlich und somit im Grunde nahezu unübersetzbar.

3 Übersetzung und Intertextualität in der Encyclopédie Méthodique – das Beispiel der Bände zur Philosophie ancienne et moderne (1791–94) von Jacques-André Naigeon

Von den 173 Artikeln der drei Bände zur alten und modernen Philosophie der Encyclopédie méthodique, die von Jacques-André Naigeon (1738–1810), einem engen Mitarbeiter und zugleich Schüler Diderots, herausgegeben und zum Teil auch verfasst wurden, stammen 73 aus der Feder des Herausgebers; die übrigen 100 stellen kommentierte, mit Fußnoten und Anmerkungen versehene Übernahmen aus der 1751–65 erschienenen Encyclopédie von Diderot und D’Alembert dar. Die diskursive Struktur dieser Artikel weist eine enge Verschränkung von zusammenfassendem Kommentar, Paraphrase, zugrunde gelegter Texte und zahlreichen expliziten intertextuellen Bezügen auf. Letztere umfassen: 1. Nennungen von Autorennamen und ihren Werken; 2. Zitate erwähnter Autoren in französischer oder lateinischer Sprache; 3. Zitate von Übersetzungen nicht-französischsprachiger Autoren, die aus veröffentlichten Übersetzungen stammen; 4. Übersetzungen zitierter nicht-französischsprachiger Autoren, von denen keine publizierten Übersetzungen vorlagen und die von Naigeon oder einem seiner Mitarbeiter übersetzt wurden; 5. implizite intertextuelle Bezüge zu übersetzten oder nicht übersetzten Texten.

Der Artikel zur Philosophie des schottischen Aufklärungsphilosophen David Hume („Hume, Philosophie de“) im zweiten Band der Teilbände zur „Philosophie ancienne et moderne“ der Encyclopédie méthodique, der 1792 erschien, mag als Illustration für diese komplexe Diskursstruktur dienen, in der Übersetzungsformen in verschiedener Weise in die Gesamtheit der intertextuellen Bezüge eingefügt sind. Der 40 Quartseiten lange, von Naigeon selbst verfasste Artikel zu Leben und Werk des schottischen Aufklärungsphilosophen Hume enthält 25 explizite intertextuelle Bezugnahmen, die teilweise mit längeren Zitaten verknüpft sind.

Explizite intertextuelle Bezüge in dem Artikel „Hume“ von J.-A. Naigeon in der Encyclopédie Méthodique (1791).

25 explizite intertextuelle Bezugnahmen

  • Autoren der Antike: Lucrez, Hesiod, Aristoteles, Plinius, Quintilian, Seneca, Cicero,Virgil, Sueton, Tacitus

  • Autoren der Moderne: Berkeley, Locke, Newton, Leibniz, Clarke, Adam Smith, Diderot, Montaigne, Rousseau, Hume

  • Übersetzte Werke von/über Hume in längeren Auszügen (nur z. T. markiert).

  • My own Life (1776; 1777 frz. Übers. von Suard) (vollständig)

  • 4 Briefe von Adam Smith, David Hume und Doctor Black über das Lebensende von Hume (Übers. von Suard, Anhang zu My own Life) (vollständig)

  • Dialogues on Natural Religion (1779; 1779 ins Frz. übersetzt) (selektive Kompilation)

  • Enquiries concerning Human Understanding and concerning the Principles of Morals (1748) (franz. Übers. 1788 in den Oeuvres de David Hume) (selektive Kompilation)

Unter ihnen ragen quantitativ Autoren der griechisch-römischen Antike heraus, denen der Seneca-Übersetzer Naigeon besondere Aufmerksamkeit widmete: Lukrez, Hesiod, Aristoteles, Plinius, Quintilian, Seneca, Cicero, Virgil, Sueton und Tacitus. Zu den erwähnten und zum Teil zitierten modernen Autoren zählen Berkeley, Locke, Newton, Leibniz, Clarke, Adam Smith (der in einer Fußnote als Wegbereiter des modernen ökonomischen Denkens gewürdigt wird), Montaigne, Rousseau, Diderot (der unter verschiedenen Gesichtspunkten mit Hume verglichen wird und hierbei durchgehend, trotz der Wertschätzung Naigeons für Hume, in einem deutlich positiveren Licht erscheintFootnote 34); und schließlich Hume selbst. Dessen Texte und Werke werden im allgemeinen kommentiert und in Teilen paraphrasiert, mit drei herausragenden Ausnahmen, in denen explizite Übersetzungsformen auftreten: Zum einen enthält der Artikel zu Hume einen nicht durch Anführungsstriche explizit als wörtliches Zitat gekennzeichneten vollständigen Abdruck der französischen Übersetzung der autobiographischen Lebensgeschichte Humes, die 1776 unter dem Titel My own Life auf Englisch erschien und 1777 von Suard, der ausdrücklich auch als Autor einiger Passagen des Artikels zu Hume in der Encyclopédie méthodique genannt wird,Footnote 35 übersetzt wurde. Ergänzt wird dieser in der Übersetzung abgedruckte autobiographische Text durch drei an Adam Smith adressierte Briefe, die Humes Lebensende betreffen und im Anhang zur Autobiographie Humes auch in der französischen Übersetzung abgedruckt sind (Hume 1779).Footnote 36 Und schließlich finden sich in dem Lexikonartikel umfangreiche explizit markierte Auszüge aus Humes 1779 erschienenen Dialogues on Natural Religion, die im selben Jahr ins Französische übersetzt wurden und nur zum geringen Teil mit Anführungsstrichen als Zitate gekennzeichnet sind. Naigeon fügt hier in geschickter Weise Argumente („Propositions“), die zum Teil auf wörtlichen Zitaten vor allem aus Humes Dialogues on Natural Religion beruhen, in seine eigene Argumentationsstruktur ein.Footnote 37 Eine Analyse einer zentralen Textstelle in Naigeons Artikel zu Hume belegt seine Strategie der selektiven Kompilation eines für Naigeon zentralen Werkes von David Hume, der Dialogues on Natural Religion (Tab. 9.1, die wörtlichen Übereinstimmungen sind fett markiert).

Tab. 9.1 Übersetzungs- und Selektionsprozesse im Artikel „Hume“ der Encyclopédie Méthodique (von J.-A. Naigeon)

Der Textauszug belegt die enge Verschränkung von philosophischem Kommentar, intertextuellen Bezügen und einem kreativen Umgang mit Textauszügen und Zitaten (hier aus Übersetzungen von Werken von David Hume). Naigeon fügt in seine Argumentation zentrale, sehr selektiv ausgewählte und häufig im Original nicht in einem unmittelbaren Zusammenhang stehende Aussagen aus Humes Text (in der französischen Übersetzung) in einen neuen Zusammenhang ein, transformiert Humes dialogische in eine nicht-dialogische Argumentationsstruktur und verwendet die subjektive „Ich“-Form („Je“), um an zentralen Stellen seines Enzyklopädieartikels seinen Positionen deutlichen Nachdruck zu verleihen.

Naigeons gezielte Verwendung intertextueller Bezüge, zu denen somit auch verschiedene Formen von Übersetzungen zählen, verweist auf eine spezifische Logik der Interpretation Humes. Dieser erscheint in seinem Artikel in der Encyclopédie Méthodique zum einen schwerpunktmäßig als ein moralphilosophischer und religionskritischer Autor, dessen Positionen denen Naigeons in vieler Hinsicht nahestanden, aber von ihm deutlich zugespitzt wurden; zum anderen setzt Naigeon Hume durch intertextuelle Bezüge und interpretierende Argumentationslinien insbesondere mit Autoren der Antike sowie mit einem engen Kanon von zeitgenössischen Autoren in Verbindung, vor allem mit Denis Diderot, dessen bedeutende Rolle in der Literatur und Philosophie des 18. Jahrhunderts Naigeon nicht nur seinem eigenen, sehr umfangreichen Enzyklopädieartikel zu Diderot (Naigeon 1791a), sondern auch in zahlreichen anderen Artikeln der Philosophiebände der Encyclopédie Méthodique aufzuzeigen sucht. Rousseau hingegen widmet Naigeon nicht nur keinen eigenen Artikel – im Gegensatz etwa zu Diderot, Montaigne und Montesquieu –, sondern er nutzt jede Gelegenheit, auch in seinem Beitrag zu Hume, zu vernichtenden kritischen Bemerkungen zu Rousseaus Person und seinem Werk.Footnote 38 Naigeon, der selbst des Englischen nur unvollkommen mächtig war, arbeitete bei der Abfassung seines Artikels zu Hume mit Suard, dem französischen Übersetzer der Werke des schottischen Philosophen, eng zusammen und verlieh ihm den Status eines Ko-Autors. Und schließlich konstruierte Naigeon durch den zentralen Stellenwert, den er der von Suard übersetzten und in Naigeons Enzyklopädieartikel ohne Kürzungen (aber mit leichten Modifikationen) abgedruckten autobiographischen Lebensgeschichte Humes beimaß, einen engen und zeittypischen Konnex zwischen Leben und Werk, zwischen Philosophie und politischem Engagement sowie implizit zwischen Aufklärungsphilosophie und Französischer Revolution.

4 Schlussfolgerungen

Enzyklopädien als „Vorrathshäuser des menschlichen Wissens“, die, so die Jenaer Allgemeine Literaturzeitung (2.2.1788, Sp. 306), sich spätestens seit der Publikation der Encyclopédie Diderot und D’Alemberts durchgesetzt hatten, bildeten im Aufklärungszeitalter ein zentrales Medium der Wissensvermittlung, aber auch der kritischen Überprüfung und Weiterentwicklung von Wissen in allen Bereichen. Übersetzungen enzyklopädischer Werke stellten ein entscheidendes Ferment in der Dynamik des transnationalen und transkulturellen Wissenstransfers der Frühen Neuzeit und vor allem des Aufklärungszeitalters dar, in dem enzyklopädische Werke auch zu herausragenden Medien der intellektuellen und wissenschaftlichen Diskussion wurden. Übersetzungen aus und in moderne Sprachen nahmen im 18. Jahrhundert erstmals einen absolut herausragenden Stellenwert ein; das Deutsche und das Englische avancierten, auch im Bereich enzyklopädischer Werke, zu europaweit zunehmend wichtiger werdenden Herkunfts- und Zielsprachen von Übersetzungen.Footnote 39 Welche Rolle Übersetzungen, Übersetzungstheorie und Übersetzungskritik in den enzyklopädischen Werken selbst spielten, versuchte der vorliegende Beitrag zu umreißen. Der Artikel „Übersetzungskunst“ in der 1824 erschienenen sechsten Auflage des Brockhaus-Konversationslexikon, der die zentralen Elemente u. a. der Überlegungen Beauzées, De Jaucourts und Marmontels aufgreift, verweist auf die wichtige Rolle, die die Übersetzungsreflexion in der Encyclopédie und ihren Nachfolgewerken im Kontext des aufklärerischen Diskurses über das Phänomen der Übersetzung einnimmt. Er belegt jedoch ebenso einen Prozess der nationalen Vereinnahmung, der – vor allem im Gegensatz zur Encyclopédie – nunmehr den Diskurs zunehmend zu beherrschen begann. Ähnlich wie Marmontel und Beauzée betonen die Autoren des Brockhaus-Lexikons, eine „gute Übersetzung“ erfordere vor allem die „Übereinstimmung der Gedanken der Urschrift und der Übersetzung im Ganzen und Einzelnen“, sodann „vollkommene Sprach- und Sachkenntnis“ und schließlich die Trennung von „Übersetzung“ und „Erklärung“ (Kommentar). Sie unterstreichen in ähnlicher Weise wie ihre französischen Vorgänger, die Übersetzung dürfe die „wörtliche Treue“, die „Deutlichkeit des Gedankens nicht aufheben.“Footnote 40 Auch sie erkennen die Unübertroffenheit antiker Dichtkunst an, unterstreichen jedoch – im Gegensatz zu den französischen Enzyklopädisten – mit patriotischen Gestus die ganz besondere Eignung einer Sprache, des Deutschen, als Zielsprache für die Übersetzung antiker Werke. So heißt es am Ende des Brockhaus-Artikels zur „Übersetzungskunst“:

Das Bestreben, nebst dem Wortverstande auch das eigenthümliche Colorit eines Schriftstellers auszudrücken, hat der Reichthum und die Bildsamkeit der deutschen Sprache erleichtert. Keine der neueren Sprachen kommt den alten, der griechischen und römischen, im Charakter so nahe, als die deutsche, keine ist wie sie im Stande, die Sylbenmaße der Alten sich anzueignen: daher auch keine besseren Übersetzungen der alten Dichter aufweisen kann.Footnote 41