Zusammenfassung
Im europäischen 15., 16. Jahrhundert wurde »Literatur« – wesentlich ausgehend von Spanien – durch administrative Schriftsetzungen von der Zumutung der Realitätsansprüche (und deren Unannehmlichkeiten respektive Zwängen) ansatzweise entlastet und gewissermaßen zugunsten der neu systematisierten Repräsentationsordnung vom Fakt zu Fiktion verschoben. Verwaltungsschriften und Aktenbestände erschienen zunehmend als allein gültige Bestandsaufnahmen in das ihnen damit eigentümliche Recht gesetzt (ihre Verarbeitungslogik geht in die Körpergedächtnisse über und lässt sie derart adjustiert die Welt erobern). Eine neue Form organisierter Verwaltung entsteht.
»Gebt acht! Wir setzen eine Formel auf«
(Schiller, Wallenstein, Die Piccolomini, 3. Aufzug, 1. Auftritt)
Madeleine Swann: I see you left this final question blank. What is your occupation?
James Bond: Well, that’s not the sort of thing that looks good on a form.
Madeleine Swann: And why is that?
James Bond: I kill people.
(Spectre, 2015)
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Die Vorzukunft der Verwaltung und die Wahrheit
Im europäischen 15., 16. Jahrhundert wurde »Literatur« – wesentlich ausgehend von Spanien – durch administrative Schriftsetzungen von der Zumutung der Realitätsansprüche (und deren Unannehmlichkeiten respektive Zwängen) ansatzweise entlastet und gewissermaßen zugunsten der neu systematisierten Repräsentationsordnung vom Fakt zu Fiktion verschoben (vgl. Folger 2009; Ruan 2019; Schäffner 2002; Siegert 2003 u. 2006). Verwaltungsschriften und Aktenbestände erschienen zunehmend als allein gültige Bestandsaufnahmen in das ihnen damit eigentümliche Recht gesetzt (mit Theweleit 2020 lässt sich sagen: ihre Verarbeitungslogik geht in die Körpergedächtnisse über und lässt sie derart adjustiert die Welt erobern). Eine neue Form organisierter Verwaltung entsteht:
Schreiber und Sekretäre schreiben nicht nur Briefe, Abhandlungen und Bücher nach Diktat und Vorschrift; sie legen auch Listen und Tabellen an, die sie ausfüllen. Zweifellos eine der ältesten, dem literalen Schreiben sogar vorausliegende Technik bildet das administrative Schreiben in Listen und Aufstellungen aber erst in der Moderne zusammen mit dem textuellen Sekretariat einen eigenen Typus der diagrammatischen Schrift: die textuell gerahmte Tabellatur der Statistik. (Campe 2003, 79)
Das »Sekretärs- und Schreiberwesen« in Bureaus und die Literatur in ihren verschiedenen Gattungsformen bleiben aber nicht bloß ›zwischen den Zeilen‹ miteinander verzahnt, und nicht von ungefähr beobachtete man fortan, so etwa für das 19. Jahrhundert, eine literarische Bewegung signifikanter Größe zu so etwas wie Welthaltigkeit und Realitätsanreicherung (die Umsetzung der Globalisierung auf dem Papier mit Mitteln des Realismus) – teils bereits durch Themensetzung den Glauben an die ›Wirklichkeit‹ literarischer Möglichkeiten erneuernd (Neumann und Stüssel 2011). Am Ende dieses 19. Jahrhunderts mit seinen sozialen, politischen und industriellen ›Revolutionen‹ werden jedenfalls zwei neue Formen von Aufschreibe-Maschinen in Betrieb genommen worden sein (die Themen und Fertigungsprozesse der Zeiten bedingen einander), die sowohl die Verwaltung als auch die Literatur unumkehrbar verändert haben werden: die Schreibmaschine (Kittler 1986) und das – da nun vor allem durch die Bürger:innen selbst und nicht mehr von Verwaltungsbediensteten vermittelt auszufüllende: neue – Formular.
So revolutionär der alsbald stattfindende Einzug der neuen Angestellten als Type-Riders die Welt der privat-kapitalistischen wie auch öffentlich-rechtlichen Verwaltung veränderte, bedurfte es auch nie weniger werdender Verarbeitungserfordernisse als solcher: Die Daten strömten noch nicht binär codiert durch späterhin mit dem visionären Diktum – nota bene der deutschen Übersetzung – von den »Magischen Kanälen« (McLuhan 1968) belegte Leitungen in Zentrale Melderegister, sie häuften sich vielmehr als Paperwork (Gitelman 2014) in Form nicht enden wollender Zettel, Formulare und Karteikarten, ausgefüllter VordruckeFootnote 1 und Fülltextarrangements, amtlicher wie halbstaatlicher Lü_entexte … Allesamt nur mit einschlägiger Administry & Paper Knowledges rückzuübersetzende, ›richtig‹ und korrekt im Sinne der tatsächlichen Anwendbarkeit zuordenbare Angaben, Daten und Informationen. Die Mittel ihrer Erfassung, die Formulare, sind sowohl partizipative Scharniere als auch Glieder einer Operationskette. David Foster Wallace’ so präzise zeichnendes Kapitel »§ 25« seines Pale King (Wallace 2011),Footnote 2 selbst eine der diese Prozesse offenlegenden Schnittstellen vor der umfassenden Durchsetzbarkeit digitaler Verarbeitungsprozesse, wäre ohne die lange Vorgeschichte der Datenaggregationen, Schreibmaschinen und Lochkarten, Büroorganisationsmodelle abstrakten wie tatsächlich raumgreifenden Zuschnitts (zu prozessorientierten, der Rationalisierung verpflichteten Neugestaltungen von »Büros« vgl. Bernasconi und Nellen 2019, zu »Prozessarchitekturen« im Sinne einer medientechnisch überarbeiteten Betriebsorganisation vgl. Jany 2019) und somit Aufschreibe- wie Ablagesysteminnovationen nicht einmal denkbar.
Bei all diesen Vorgängen spielt das Formular insofern eine wesentliche Rolle, als es bei dieser Form – einer der vielfältigsten und symbolhaftesten SchnittstellenFootnote 3 von Verwaltenden und Verwalteten – wesentlich um die Annahme bzw. Zumutung rhetorisch diffizil sich ausnehmender Begriffe von ›Wahrheit‹ und ›Wahrhaftigkeit‹ geht; nicht nur dass die auf dem Formularblatt gemachten Daten stimmen müssen, sondern davor bereits: dass es überhaupt Daten gibt, die als Substitute der Untertanen eines Souveräns respektive Regimes tauglich und zulässig sind. Das Formular steht für einen faktenbasierten, ›bürger:innenbiografischen Pakt‹ von Amts wegen (für die Literatur vgl. Lejeune 1994, im Widerspruch zu diesem: Man 1993). Pacta sunt servanda (das Prinzip der Vertragstreue); facta ebenso. Das Formular steht, wie kaum eine andere medial zugerichtete Form, für diesen beidseitig nie unterzeichneten Pakt von Verwaltung und Person ein – der bei aller Wechselseitigkeit ein von Staats wegen oktroyierter ist –, genauer: für die Faktentreue der Daten (und ihrer Dinge). Diese Einrichtung von WeltFootnote 4 auf ein formatiertes Tableau aus Linien, Kästchen, Zeilenführungen, Schraffierungen, (auszufüllenden und freizulassenden) Schreibflächen, Steuer- und Souveränitätszeichen bedingt zudem die Annahme vorgängiger ›Fakten‹, die im Moment des Eintrags als ›Daten‹ angegeben, d. h. festgeschrieben werden sollen.Footnote 5 Gegen die Kontingenz beliebiger Angaben arbeiten die Formatierungen der Vordrucke, unterschiedlich zu gewichtenden Strafandrohungen, Kulturtechniken der Selbst- und Fremdverwaltung und damit die Annahmen, dass Daten eben ›stimmen‹ müssen. Es gäbe Fakten (so die Unterstellung) – diese sind beizubringen (so der Pakt).
Das bereits in der Überschrift strapazierte WortspielFootnote 6 Facta sunt servanda gewinnt seine Bedeutung für die intrikaten Zumutungen der Formulare weniger durch eine vermeintliche Originalität, sondern durch die stete Bezugnahme auf seinen Ausgangspunkt: Es sind immer (auch: Gesellschafts-) ›Verträge‹ mit im Spiel, aufgrund deren Begründung Fakten zu liefern sind; Identitätsfeststellungen, Finanzen, Tathergänge, kriegsdiensttaugliche Körperlichkeit, Auskunftsbegehren etc.Footnote 7 In diesem Vorgang steckt das Futur II der Administration: Es werden Daten einzutragen gewesen sein. Als zusätzliche Verdichtung dieser Dispositive der Zumutung, bei denen – als solche ungenannte – Verträge eine Rolle spielen, liegt stets ein serialisiertes Ensemble vor, das herkommend von der Möglichkeit des Drucks mit beweglichen Lettern zur (gemäß Vorgaben) uniformen (gemäß Daten) Individualisierung anhalten soll. Fakt ist, was gewesen sein wird und im Jetzt der Einträge gegenüber dem Formular-Tableau, in der Schnittstelle dieser Vordrucke, korrekt anzugeben und gleichzeitig zu beglaubigen ist.
Eine inquisitorische Formalität
Worum geht es, wenn nach etwas gefragt wird und nur ein bestimmtes Segment aus der Menge grundsätzlich möglicher Antworten als zulässig betrachtet wird? Um »›eine verwaltungstechnische Formalität …‹ – ›Eine Formalität verwaltungstechnischer Art‹«, um noch genauer zu sein und dabei einer Zuspitzung im Comicfilm Asterix erobert Rom (1976) zu folgen, dessen Story von René Goscinny entlang des Dodekathlons des Herakles entwickelt wurde. Im Original heißt der von Albert Uderzo gezeichnete Streifen Les Douze Travaux d’Astérix – und auf die achte dieser zwölf Arbeiten, einer in der antiken Vorlage durchaus mörderischenFootnote 8 und bei Goscinny sehr verwaltungstechnischen, sei verwiesen: Die Aufgabe (wie auch die elf anderen gestellt von Julius Caesar, der die angeblich göttlichen Fähigkeiten der Gallier prüfen möchte) lautet, den so bezeichneten »Passierschein A38« aus dem »Haus, das Verrückte macht«, zu holen. Bei diesem Bau handelt es sich um ein römisches Verwaltungsgebäude, ein Amt – und nach etwa 10 Filmminuten werden die beiden Gallier mit einer so trickreichen wie paradoxen Intervention »verwaltungstechnischer Art« tatsächlich ihr Formular ausgehändigt bekommen (und als verwaltungstechnischen Kollateralschaden die eingangs souverän gelangweilten Vertragsbediensteten des Amtsgebäudes im Zustand umfassender Nervenzerrüttung, ver-rückt, wieder sich selbst überlassen). Die bei Erklärung der achten Arbeitsaufgabe angesprochene Formalität betrifft lediglich die Einholung des richtigen Formulars mit den Mitteln des Erfragens, nicht aber das Ausfüllen bzw. Ausstellenlassen desselben; die listige Intervention besteht nun darin, dass die Rolle der Fragenden umgekehrt wirdFootnote 9 und nicht mehr die beiden Helden die – an sich vergebliche – Frage nach dem Formular stellen, sondern sie den Apparat dazu bringen, seinerseits Fragen zu stellen und sich selbst in der (eigenen, sozusagen amtlichen) Schleife widersprüchlicher Beauskunftung zu verfangen.
Die Technik der im Sinne des Kalküls richtigen Befragung und ihrer dazu passenden medialen Erscheinungsform wird natürlich umso ausgefeilter sein müssen, je mehr Auskünfte von noch mehr Personen zu jedoch nur wenigen Themensegmenten eingeholt und verarbeitet werden müssen. Noch zu Zeiten des Asterix werden dafür zweibeinige Rechner, Passierscheine, Listenführungen und grob gezeichnete Tabellen ausgereicht haben, doch seit ein paar hundert Jahren, seit die Inquisition massenhaft auf Basis einer Vergleichbarkeit Rechtssicherheit im Angesicht des Scheiterhaufens vorschützen soll und zunehmend stratifiziert organisierte (zunächst noch Proto-) Staatswesen systematisiert zu betreuende Interessen an finanztechnischen und militärischen Basisdaten entwickeln (vgl. für diese Entwicklung Gardey 2019), muss dem ärarischen Herakles nebst den Prinzipien der Formulargestaltung immer öfter ein Colossus an die Hand gegeben werden. Immer mehr Personen werden zu juristischen Personen; immer mehr RechtssubjektenFootnote 10 müssen im Zuge kalkulierter Routinen immer mehr Fragen gestellt werden; immer mehr Daten müssen zueinander in Beziehung gesetzt verarbeitet werden.
Die Kunst der ergebnisorientierten und letztlich -produzierenden Befragung, die Inquisition an sich, war (und ist) eine Kulturtechnik der Verwaltung, deren rhetorische Figur das Hysteron Proteron darstellt:Footnote 11 Vor der Schrift kommt das Kalkül, vor dem Formular die Erwartung, was in ein solches eingetragen worden sein wird, vor der korrekten Datenbefüllung die Festlegung dessen, was als korrekt erachtet werden kann.Footnote 12 Der Fragebogen war im Zusammenspiel mit den Mitteln des Buchdrucks die ideale Medienform, um Massenverhöre durchzuführen. Es wird »die Praxis des gedruckten Fragebogens unmittelbar aus der Praxis der Inquisition übernommen« (Siegert 2003, 101). Dies als gegeben angenommen, leitet sich das Formular – ein durch seine Leerstellen und Steuerzeichen verketteter Lückentext in einem schlussendlich für Einträge und Auswertungen passend gesetzten Tableau – mehrfach aus einer exekutiven Sprache her: einerseits aus den Formeln, Schematismen und Imitationen legitimierter Rede und andererseits aus den Verfahren der Inquisition, um so gezielt wie massenhaft vergleichbare Informationen sicherzustellen. Der Umstand, dass ein Formular zu erstellen stets ein Kalkül vorab bedingt, mithin eine Vorwegnahme bzw. ein Apriori dessen, was überhaupt gesagt werden kann, nährt die Rede vom Futur II der Verwaltung wie von deren Sprachfigur des Hysteron Proteron. D. h. nicht weniger, als dass mit zu beachten ist, dass stets Fakten zu liefern sind, taugliche Daten ins Formularfeld eingespeist werden sollen – und dass über die Richtigkeit der Einträge bereits vorab und andernorts entschieden wurde.Footnote 13
Formel–Formular; historische Annotationen
Bevor es um Antworten, »eine Formalität verwaltungstechnischer Art«, geht, wäre auch zu klären, was es mit dem für die Etymologie eines »Formulars« wesentlichen Begriff der »Formel« auf sich hat. 1862 wird im Deutschen Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm für das »Formular« darauf verwiesen, dass es sich begrifflich vom mittellateinischen formulare herleiten lasse und (was lediglich mit zwei Zitaten und dem Gestus der Ironie belegt wird) ein Mittel des Klitterns und Zurechtflickens sei. Demgegenüber sind die Auskünfte für die verschiedenen Ausprägungen von »Formel« (von »Förmelchen« bis »Formelwesen«) präziser und so stamme diese von forma und loquendi formula ab. Gewarnt wird noch: »die formel wird oft zum todten buchstab«Footnote 14 und verwiesen auf die Komposita »beichtformel, fluchformel, gebetformel, glaubensformel, lehrformel, schluszformel, schwurformel, zauberformel«. Institutionen und Autoritäten spielen bei der formelgläubigen Klitterung, einem gesetzten Souveränitätsanspruch, eine wesentliche Rolle (Grimm und Grimm 1999, Sp. 1903 u. 1900).
Eine weitere Pointe des oben zitierten Asterix-Films für den Komplex Formular und Bürokratie mag deshalb darin zu ersehen sein, dass gerade die persiflierte römische Verwaltung und Rechtsprechung am Anfang des Weges steht, den Cornelia Vismann in ihrer Monographie »Akten« (Vismann 2000) für das Formular zeichnet. Jedoch umreißt nicht die Frage, seit wann es diese Medienform gibt, ihr vorrangiges Erkenntnisinteresse; Vismann setzt nicht ausschließlich schrift- und diagrammbasiert bei vorgeschriebenen Formularbüchern und späterhin Vordrucken an.Footnote 15 Sie ist weniger an der Nutzung der Schwarzen Kunst interessiert, wofür sich ab der Einführung des Buchdrucks eine Rückbeziehung auf die Verwaltung und an der Geschichte von deren Fährnissen entlang der Entwicklung der Papier- und also Drucksorten eine immer stärkere Formalisierung, d. h. Ausformung von Ordnung, Organisation und Struktur, ein mithin systemischer Charakter feststellen ließe.Footnote 16 In Vismanns Akten-Buch geht es vorrangig um die ursprüngliche Bedeutung von Formeln und den daran gekoppelten Verfahren:
Die neue Technik der Vervielfältigung steigert die alte Kanzleieinheit de verbo ad verbum zur vollkommenen Identität von vor- und abgeschriebenen Worten. Kurz: Der Buchdruck hat »das Phänomen der Wortwörtlichkeit mit sich gebracht«. [Berns 1993, 69 f.; Anm.] Wenn der Einsatz von Formularen und Kanzleiverordnungen die Verwaltungsarbeit formalisiert, dann formiert sie damit auch insgesamt die Einrichtung der Kanzlei. Diese wird durch ihre Verpflichtung auf eine verbindliche Ordnung allmählich zu einem festen Gebilde, einem collegium formatum. Die Kanzleiverrichtungen verstetigen sich. (Vismann 2000, 163)
Vismann setzt nun gegenüber einer Formular-Geschichte der vor-gedruckten Wortwörtlichkeit noch vor den diesbezüglichen ›Text‹-Zeugnissen an und nimmt den etymologischen Weg vom römischen Recht her, wenn die formulae für ein Verwaltungshandeln, einen rechtsverbindlichen Akt stehen: Sprache/Diktat und Schrift sowie deren genauer Vortrag bedingen sich gegenseitig, und ein offizielles Schreiben mit seinen diktierten Anweisungen und Mitteilungen erlangt dadurch Rechtsgültigkeit, dass es in richtiger (imitierender) Weise verlesen werden kann. Hieraus leiten sich frühe Formen der Formalisierung ab, die späterhin mit einer Arbeitstechnik der Standardisierung und Serialität gekoppelt werden. »Das Formular, das in der Verwaltung des Imperium Romanum aus arbeitsökonomischen Gründen Einsatz gefunden hatte, wird zum Formerfordernis.« (Vismann 2000, 129) Es geht mithin nicht nur um die Durchsetzung regelkonformer Anwendungen; vielmehr noch wird das Formular – und das betrifft s/eine mediale Eigendynamik – die Ordnung des ›Bureaus‹ respektive der Kanzlei bedingen: »Im Mittelpunkt der Kanzleiordnung steht die amtliche Vervielfältigungsarbeit. Ihrer Funktion nach ist die Ordnung ein Formular: Sie steuert Arbeitsabläufe, genauer: sie programmiert die einzelnen Arbeitsschritte der Produktion und Reproduktion eines Schriftstücks in der Kanzlei.« (Vismann 2000, 161).Footnote 17
Formalia, Formfestlegungen, normierte Formate und bestimmte Formeln von der Anrede bis zum abschließenden Gruß sollten bei trefflicher Anwendung natürlich auch der Fälschungssicherheit dienen. Sie präzise zu beherrschen und mündlich wie schriftlich vorzutragen war wesentliches Arkanwissen von Kanzleien.Footnote 18 Das ging durchaus so weit, dass den Schriftstücken zwecks Gesetzeskraft mittels Vortrags präzise Lesehilfen (Pausen, wie Leerzeichen oder Punkte; Sprechdynamiken) eingefügt wurden, deren Anwendung als authentisch-rhetorisches Simulacrum Wiedererkennbarkeit und damit Autorität garantieren sollten. (Vismann 2000, 151) Die ars notarii und die ars dictandi bedingen einander in der Herstellung von Rechtsgewissheit, es geht um Speichern und Abrufbarkeit, sozusagen rechtsgültiges Recording einer Herrscher-Rhetorik – eine frühe techné (d. h. Kulturtechnik) der Verwaltung. Erst Jahrhunderte später wird mit den Mitteln des Buchdrucks statt der Einzel- eine Massenadressierung erfolgen können, die neue Regeln mit sich bringt.
Kanzleitechnisch gesehen beschert die Möglichkeit des Drucks eine schreibökonomische Neuerung von großer Reichweite: Formulare. Sie sind nicht nur das Format eines virtuellen, sondern auch eines realisierten Schemas, eines Lückentexts, auf dem allein »die wiederkehrenden Teile schriftlicher Mitteilungen […] festgelegt« [Fotheringham 1980,Footnote 19 25; Anm.] sind. [E]rst als sie gedruckt vorliegen, machen diese Formulare Kanzleivorgänge in großem Umfang formalisierbar; sie »erzwingen ein uniformes Problemlösungsverhalten und uniforme Darstellungsweisen« [Weingarten 1994, 160; Anm.], bis hin zu annähernd einheitlichen Papierformaten, deren Anfänge in die Zeit des Buchdrucks fallen. Formulare steuern Formalisierungsprozesse. Sie funktionieren wie Formelbücher [Stolleis 1992, 354 f.; Anm.], in denen Musterschreiben zusammengestellt sind, und die dadurch einen »allgemeinen europäischen Stil zum Abfassen von Akten« prägten [Fichtenau 1957, 19; Anm.]. Doch stärker noch als diese Formelsammlungen formatieren, prozessieren und uniformieren die gedruckten Formulare die Schreibarbeit der Kanzlei. […] Aus Vorschriften werden Vordrucke. […] Das gedruckte Formular verhält sich dabei zur handschriftlichen Eintragung wie das abstrakte Gesetz zum konkreten Fall. Es präfiguriert das subsumtive Verfahren zur Anwendung von abstrakt gefassten Gesetzen. Die Lücke auf den Formularen markiert »nach dem Muster slot and filler« [Weingarten 1994, 160; Helbig 1980, 50 f.; Anm.] den Platz des Konkreten. Sie ist die Hohlform dafür. Allgemeiner ausgedrückt: »Erst im Medium möglicher Markierung sind Markierungen möglich.« [Luhmann 1993, 246; Anm.] (Vismann 2000, 160 f.)
Mit der markanten Formulierung aus der Systemtheorie könnte es sein Bewenden haben, und von hier aus ließen sich mit entscheidende Fragen nach sowohl den je medialen Formen der Formulare (Wort, Papier, paperwork.pdf, digital, Social Media) als auch den Bandbreiten ihrer Gestaltung (Rayan und Henze 2007, Schwesinger 2007) anschließen. Doch je mehr zu verwalten ist, je mehr Daten zu aggregieren sind, desto weniger werden Formulareinträge und der Umgang mit derartigen Formen betreut werden können. Der vormals Länder und Menschen zu umschlingen vermögende »papierweiße Arm der Verwaltung« (Musil 2016, 47) schwächelt und die Einheit aus Amt und Amtsmedien wird brüchig:
Diese Karriere des Formulars zur allgegenwärtigen Schnittstelle zwischen der Verwaltung und ihren Klienten war bedingt durch die Expansion der Verwaltungstätigkeit im Zeichen des Wohlfahrtsstaates. Dabei gewann in der zweiten Hälfte des 20. Jhs. eine neue Funktion immer mehr an Bedeutung: die Gewinnung von Daten der Antragsteller ohne die Vermittlung eines Beamten. […] Der Beamte konnte als eine kompetente Instanz die individuellen Geschichten in die Programmlogik übersetzen. Angesichts der stark wachsenden Zahl von Anträgen stand für diese Schnittstellenfunktion aber nicht mehr ausreichend Personal zur Verfügung. […] Das Formular hat die Schnittstellenfunktion der Beamten übernommen. (Becker 2009, 291 f.)
Das Formular, das ab diesem Zeitpunkt vorübergehend aus der amtlichen Hand gegeben wird, erscheint neu positioniert als Teil einer bürokratischen Datenerfassungskette, einer Administrative Data-»Assembly line«,Footnote 20 die den Bürger vor dem Amt, dem Gesetz, zusammenzusetzen verspricht und deren grundlegendes Wissen sich über die Lehren der Automatisierung auf Basis von Normierung, das Prinzip der Typisierung und damit Austauschbarkeit aller Teile bestimmt. Es werden nicht Verwaltungsakte für Bürger konstruiert, sondern Leute und ihre Daten werden als zu standardisierende Bedienungselemente mit laufenden Verwaltungssystemen verschaltet; das 21. Jahrhundert und seine von Neoliberalisierung, dem Primat Kulturindustrie und DigitalisierungFootnote 21 gekennzeichnete Verfasstheit gibt dafür bereits die perfektionierte – die tatsächliche – Probe aufs Exempel für das, was dereinst noch als Vorwurf an den Staat und seine Bürokraten formuliert wurde und bei dem nun doch alle mitmachen.Footnote 22
Fließband | Warentrenner | Computability
Die als Metonymien gedachten Metaphern von Formularen als »Fließbänder« oder »Interviews«, taugen jedoch allenfalls für ein Teilverständnis dieses Werkzeugs, wie Peter Becker 2009 zu zeigen versuchte. Es erweist sich vielmehr als Teil eines Verwaltungs-Gestells, innerhalb dessen es mit verschiedenen Textsorten (anderen kleine Formen) je strukturiert verbunden werden kann. Ein Formular, das außer Haus gegeben wird, bedarf überdies in jedem Fall, das macht Becker deutlich, einer mehr als dreimaligen ÜbersetzungsleistungFootnote 23 in einem asymmetrisch strukturierten Verhältnis von Behörde und Bürger:in. Das konnte nicht ausbleiben, nachdem im Zuge der Einrichtung von Wohlfahrtsstaaten nach 1945 und damit drastisch gestiegenen Erfordernissen im Sinne der zweckdienlichen Verteilung von Mitteln gemäß Ansprüchen (d. h. es geht um eine administrativ grundsätzlich bewältigbar bleibende Realität) bis dahin intern zirkulierende Formulare als standardisierte Vordrucke zur Verteilung gebracht werden mussten – die Kopfzahlen für amtliche Übersetzungshelfer:innen waren nicht mehr zu halten. Dadurch erlangte die ein Formular strukturell konstituierende Leerstelle – dieser »Platz des Konkreten« (Vismann 2000, 161) – besondere Bedeutung.Footnote 24 Es geht dabei nicht allein um bestmögliche Verständlichkeit der Ausfüllaufgabe durch die Zielgruppe – im Sinne einer zweckmäßigen Komplexitätsreduktion nach vorangegangener Abstraktion, das bedeutet auch: Kontingenzreduktion – und diverse ›Übersetzungsleistungen‹, es handelt sich auch nicht bloß um die Frage optimaler Gestaltung von Farben/Typografie/Formen/Symbole.Footnote 25 Formulare stellen als eine Form verwaltungstechnischer »Aufschreibesysteme«Footnote 26 per se Schreibflächen zur Verfügung und reglementieren deren Nutzung. So wie, mit dem für Medienwissenschaften fruchtbar gemachten Nietzsche-Verdikt, »unser Schreibzeug mit an unseren Gedanken [arbeitet]«, haben auch die – nota bene zu diesem Zweck normierten – Schreibflächen und ihre Beschriftungserfordernisse im Sinne angewandter kleiner Formen wesentliche Bedeutung für das, was entsteht. Daraus – angesichts der drohenden Kontingenz einer quasi administrativen Autopoiesis der Bürger:innen – leitet sich ein Bemühen der Behörden ab, mittels geeigneter Vordrucke und Anweisungen möglichst geringe Interpretationsspielräume zu lassen und dadurch tendenziell konkret zum Verwaltungsvorgang passende Daten zu erhalten. (Dass das erste und zumeist nicht aufzulösende Problem juristische Ausgangstexte darstellen, aus deren spezifischer Grammatologie heraus einer denselben nicht anverwandten Medienform wie dem Formular Schwierigkeiten erwachsen müssen, in seiner konkreten Anwendung zum Zwecke der Verwaltung, ist anzunehmen. Gerade Jurist:innen haben – zumeist – Probleme damit, zu sagen, was ein Formular ist; sie legen statt dessen fest, was es können soll.)
Angesichts des für eine unübersehbar gewordene Zahl an Personen erzwungenen Umgangs mit noch zahlreicher produzierten Formularformen überrascht es wenig, dass ein Formular – pars pro toto für den Verwaltungsapparat – Wortbilder wie jenes vom »Fließband« nahelegt (wobei ein solches der Markierungen und Warentrenner bedarf, wie das Formular selbst seiner umgrenzten Schreibflächen und Linien, um zumindest zwischen den Makroeinheiten unterscheiden zu lassen). Zugleich befördert ein Fließband aber über seine Mediengeschichte respektive funktionale Entwicklung auch seine Vorgängermedien mit sich, inkorporiert sein Zweck des Fertigungszusammenhangs – oder des Warentransports an der Supermarktkasse – die einstigen Disassembly lines der Schlachthöfe und Walfangschiffe (vgl. Plener 2020), denen Kontingenzen zwingend eignen. Folgt man medienhistorisch dem Fließband gegen dessen Laufrichtung, wird man zwar sehr eindrucksvolle Bilder für Massenproduktion und -zerteilung erhalten, jedoch kaum eine taugliche Umschreibung der Formelanwendung geben können. Für den Komplex des Instruments Formular ist der Begriff vom Fließband wohl am ehesten auf eine interne Dimension bürokratischen Handelns nach formalisierten Kriterien der Arbeitsteilung und Datenauswertung anzuwenden, um etwa ›Schnittstellen‹ zu bezeichnen.
Ein Formular steht in seiner Produktion, Beschriftung, Ausfüllung und Auswertung wohl InterviewFootnote 27 und Fragebogen, Standardisierung und Vergleichbarkeit bzw. mit Turing/Kittler »Computability« näher: »Schon bei Platon konnte das Schöne mit dem Wahren nur darum eins sein, weil Platons Akademie alle Schüler, die im Wahren nicht das geometrisch Konstruierbare erkannt hatten, von vornherein ausschloss. Schönheit heisst also, um Turings nicht sehr anderes, aber leider nie historisch gemünztes Wort zu missbrauchen, computability, Berechenbarkeit.« (Kittler 1997, 25).
Nach Shannon, Turing und der Digitalisierung haben wir es mit neuen Bedeutungen von Computability zu tun (über die von Kittler gemeinte hinaus), aber Formulare gibt es immer noch, sie changieren zwischen techné und mechané.Footnote 28 Anders gesagt stellen Formulare gestaltete und medientechnisch komplex besetzte Oberflächen mit Schnittstellen und Anschlussfähigkeiten dar. Dabei bedingen die Steuerungsprozesse unter den hinterleuchteten Schreiboberflächen des 21. Jahrhunderts,Footnote 29 die nunmehr von Algorithmen gesteuerteFootnote 30 Computability der Datenströme, natürlich andere Schnittstellen und Anschlussfähigkeiten als die analoge Verwaltung. So wie aus Einzelmedien durch Verschaltungen Medienverbünde entstanden, sind es heute statt im historischen Wortsinn manipulierbarer Registraturen zunehmend ohne weitere Eingriffe kanalisierte Datenverbundströme, die funktional diverse mit dem Formularfeld verschaltete Datenbanken bespielen. Formulare stellen Schreibflächen zur Verfügung – die Erstellung, Bemessung und Ausfüllung erfolgt entsprechend Regeln und idealerweise sind Ersteller und Ausfüller sowie Auswerter perfekt für derartige Mittel und Techniken geeignet.
Es sind normierte Dispositive, ausgelegt auf die Standardisierung einer Serienschaltung. Ein Formular kommt niemals allein.
Format/e und Schreibflächen
Das Formular kennt im Grunde zwei Arten von Schreibflächen: die seines Formats, d. h. der materiell zulässigen (Papier- oder Bildschirm-) Grundfläche – und die je zu spezifischer Beschriftung zugewiesene Schreibfläche an sich (vgl. Niehaus 2018). Erst mit digitalen Formaten wird – ganz einfach, weil es diese Fläche nicht mehr als Schreibfläche gibt – die Möglichkeit beendet, (naturgemäß unzulässig) ›über den Rand‹ zu schreiben. Insofern bedeutet noch vor allen denkbaren und historisch durchaus verfolgbaren Entwicklungsschritten einer Formulargestaltung und Selektion (z. B. Schwesinger 2007) gerade noch zumutbarer Fragekomplexe jedwede Änderung des vorgesehenen Formats eines Formularblattes an sich eine Umgestaltung, die zugleich einer Anschlussfähigkeit an vorangegangene Formen nicht entraten darf.Footnote 31
Eine noch einzurichtende Verwaltungs-Philologie müsste mit derart »Kleinen Formen« zu arbeiten lernen; ihre Herausforderung bestünde u. a. wesentlich darin, ihre Terminologien und Methoden mit den Steuerungszeichen und Reglements der amtlichen Drucksorten (Formulare, Konzeptpapiere, Protokolle, Aktenkunde) – gegenwärtig und zukünftig algorithmenbasiert – zusammenzuführen und die fortgesetzte Überprüfbarkeit sicherzustellen. Ein Gewinn dieses Ansatzes bestünde darin, dass das Augenmerk nicht allein den Schreibwerkzeugen der (amtlichen) Aufschreibesysteme gilt, sondern wesentlich auch den Schreib- und genauer: Einschreibeflächen (sowie deren Indexierung und Auswertung).Footnote 32
Stehen derartige Änderungen an (wie angedeutet ist der wesentliche Umbruch nach der Durchsetzung der DIN im Umstieg auf elektronische respektive digitale Systeme zu ersehen), werden sehr unmittelbar Arbeitsbedingungen der Bürokratie verhandelt; die Betriebsmittel ihrer Assembly lines, der Datenerfassung und -verwaltung, werden in ihren jeweiligen Anschlussfähigkeiten optimiert: »Und als die frühen DIN-Normen 4 und 5 auch noch daran gingen, die DIN-Norm selbst nach Papierformaten, Letternformen, Zeichenstiften undsoweiter zu standardisieren, war das System ebenso drucktechnisch wie autoreferenziell geschlossen.« (Kittler 1994, 115).Footnote 33
Alan Turing würde eine derartige Sichtweise unterstützt haben. Es geht bei Formaten und Handlungsanweisungen durchaus um die präzise Verbindung von Reglements und Vorgangsweisen:
Es ist möglich, den Effekt einer Rechenmaschine zu erreichen, indem man eine Liste von Handlungsanweisungen niederschreibt und einen Menschen bittet, sie auszuführen. Eine derartige Kombination eines Menschen mit geschriebenen Instruktionen wird »Papiermaschine« genannt. Ein Mensch, ausgestattet mit Papier, Bleistift und Radiergummi sowie strikter Disziplin unterworfen, ist in der Tat eine Universalmaschine. (Turing 1969, 91)
Knapp 18 Jahre zuvor wird Turing noch mit Verweis auf Samuel Butler zugespitzt formuliert haben: »Ab einem bestimmten Zeitpunkt müßten wir daher damit rechnen, daß die Maschinen die Macht übernehmen, so wie es in Samuel Butlers Erewhon beschrieben wird.« (Turing 1951, 15) Erewhon ist nicht einfach ein Anagramm von No Where, es ist zugleich Now Here: Gilles Deleuze wird 1968 im Schlusskapitel von Differenz und Wiederholung ebenfalls auf Butlers Titel Bezug nehmen (Deleuze 1992, 355), um die Begriffe brauchbarer von den Kategorien zu unterscheiden: »Das beste Wort zu ihrer Bezeichnung ist zweifellos das von Samuel Butler geprägte: Erewhon. Sie sind Erewhons.« In der Fußnote dazu bemerkt er: »Butlers Erewhon scheint uns nicht nur eine Verballhornung des no-where zu sein, sondern auch eine Verkehrung des now-here.«
Wenn Fakt ist, was gewesen sein wird und im »Hier-und-Jetzt« (Deleuze 1992, 13) der Einträge gegenüber dem Formular-Tableau, in der Schnittstelle dieser Vordrucke, korrekt anzugeben und gleichzeitig zu beglaubigen ist, sind auch Formulare Erewhons, um die sich Steuerungszeichen und später Universalmaschinen kümmern.
Schluss
Kein unausgefülltes Formularblatt ist ein unbeschriebenes Blatt. Schreibflächen – genauer: Einschreibeflächen – sind vorgegeben (bei analogen Papieren wird deren ›Außen‹ durch das Format als ein ›Innen‹ begrenzt, bei elektronisch-digitalen Formularen das ›Außen‹ als nicht beschreibbar ausgeschlossen), Vordrucke und Felddefinitionen sind zu lesen, während Steuerzeichen Verwendungsmöglichkeiten adressieren. Der zumeist modulare Aufbau des ›Blattes‹ verweist – gerade für ein Digitales Amt des 21. Jahrhunderts – überdies darauf, dass durch unterschiedlichste Verknüpfungsmöglichkeiten das eine Formular potenziell seinen Plural enthält: Nicht allein Wissen um die grundlegende Eigenschaft der Serialität des Formulars ist hierfür ausschlaggebend, sondern vor allem lässt sich jede Angabe beliebig oft und in beliebig gesetzten Zusammenhängen (datenschutzrechtliche Fragen einmal außen vorgelassen) bereits bestehenden Datensätzen hinzufügen und ergänzt diese. Der schematisierende bürokratische Baukasten dieses Aufschreibesystems ist derart von Beginn an auf eine Vervielfachung seiner Nutzung angelegt, um amtliches ›Wissens‹ zu mehren. Die Oberfläche ist das eine und Vielfache, der digitale Witz mit seinen Verknüpfungen und Algorithmen spielt sich darunter ab.
Die Verwaltung erscheint in so einer Vorstellung als Daten-Gargantua mit exzellentem mechané-Fuhrpark. Die – noch! – notwendigen Eingriffe mittels unterschiedlich kompetenter techné der geforderten Ausfüllenden, die in diesen Schnittstellen ihre je individuellen Ansprüche verhandeln, stören notwendigerweise den Produktionsablauf, den administrativen Rhythmus. Derart stetig wiederkehrende Problemlagen an den Schnittstellen zu eliminieren, scheint im Zuge der Anwendung von Möglichkeiten der Digitalisierung sowie Änderung einiger Rechtsvorschriften von wegen Datenschutz möglich. Dann wären wir tendenziell bei einem mehrheitlich geschlossenen System. Am Anfang stand die Liste, die Formel, am Ende steht der ubiquitäre Datensatz. Dazwischen putze man mit dem Shaker-Besen eine Gesellschaft regelkonform über den Hof. »Every force evolves a form«.Footnote 34 Das Tempus des Formulars ist die Vorzukunft, seine Tableaus sind durch die Algorithmen der Datenkontrolle und -verwertung bedingt. Das Verhältnis der Entwicklung des Formulars zu jener des Büros (vgl. Gardey 2019) bleibt zwingend ein wechselseitig bedingtes.
Notes
- 1.
Während die älteren Aktenkunden das Formular – wenn überhaupt behandelt – noch wesentlich unter dem Gesichtspunkt der Herleitung von der Formel, des Vordrucks, der Urkunde rubrizieren (vgl. bspw. Meisner 1950 und 1969), werden die Erscheinungs- und Zweckformen von Formularen in neueren Darstellungen bedeutend komplexer als Teil eines umfänglichen Erfassungssystems gesehen, zu dem neben den genannten auch Formen wie das Protokoll, Mandatschaften und »Offene Befehle« gesellt werden (vgl. bspw. Hochedlinger 2009, 30 f., 179 f., 185 ff.). Einen umfassenden Versuch, das Thema »Formular« festzumachen, lieferte Grosse und Mentrup 1980. Auf einen für den vorliegenden Ansatz entscheidenden Punkt verweist Peter Becker mit einer Arbeit über Kulturtechniken der Verwaltung (Becker 2010), wenn er von »schriftlichen Herrschaftstechniken« (28) und en passant »heutigen Formulartechnologien« (30) berichtet.
- 2.
Vgl. dazu im vorliegenden Band den Beitrag von Nicolas Pethes. Eine derart systematisierte, kontrollierte Überprüfung von Steuerauskünften durch amtliche Organe ist allein deshalb möglich, weil noch vor dem ersten Griff zum ausgefüllten Formular der Steuererklärung klar ist, was wo zu stehen hat, welche Angaben an welcher Stelle nicht stimmen können, verdächtig sind – oder wie sie als unverdächtig approbiert werden können.
- 3.
Es geht stets sehr wesentlich auch um Geschichten, Erzählungen. Jede Schnittstelle trägt solche in sich. Kenne ich diese nicht, verstehe ich nicht, ob es eine taugliche Schnittstelle ist. Fertige ich eine neue Schnittstelle an, die mehrere alte ersetzen soll, habe ich alle diese ungelösten Geschichten mit in der neuen. Die Probleme potenzieren sich, es sei denn, ich kenne und löse die Erzählungen. (Und jene, die davor schon waren.) Schnittstellen (als Kompositum bereits auf sich selbst verweisend) lassen sich im Wortsinn als solche – und damit nicht als Nahtstellen – verstehen. (In der Berichterstattung vom Fußball und anderen Mannschaftssportarten mit Bällen und ballähnlichen Spielgerätschaften wird der Begriff zumeist ohne Verständnis für die technisch-medienhistorischen Implikationen aus dem Bereich der Konsolen-Spiele abgeleitet und somit ohne weitere Reflexion in seinen Bedeutungsweisen transformiert wie potenziert.)
- 4.
Vergleichbar dazu, wie von Schematismen und Formeln her Formulare und gesetzte Tableaus sich entwickeln, als Versuche, der Komplexität Kompaktheit entgegenzusetzen, lassen sich auch die Tableaus bei Mercier und Humboldt (Graczyk 2002) lesen. Formulare sind genauso als komprimierte Ordnungsbilder wie diese (und andere) »Tableaus« zu lesen, die einerseits regulieren und schematisieren (rastern und beherrschen) helfen sollen, andererseits ein sehr vertracktes Bild hinsichtlich der Verfasstheit der setzenden Institution abgeben.
- 5.
Bernhard Siegert sieht bereits um 3000 v. Chr. durch den Gebrauch von Linien und Spalten, von Tabellen, eine Trennung von Literatur bzw. Schrift einer- und Kalkül andererseits; zwischen diesen sei der Bereich der Datenverarbeitung und ihrer Medien gefügt, kurz: der Diagramme und Formulare (Siegert 2003, 39 f.). Aus erhobenen Daten speisen sich Formulare, aus deren kontrollierter Befüllung ergeben sich neue Datensätze, aus denen sich Möglichkeiten des Clusterns und Rasterns ergeben. (Vgl. zu Suchmaschinen und Rasterfahndung u. a. Gugerli 2009.) Durchaus großzügig legt im Rahmen der Mehrfachbedeutung des englischen Begriffs »form« Caroline Levine ihre basale Definition an: »›form‹ always indicates an arrangement of elements―an ordering, patterning, or shaping. Here, then, is where my argument begins: with a definition of form that is much broader than its ordinary usage in literary studies. Form, for our purposes, will mean all shapes and configurations, all ordering principles, all patterns of repetition and difference.« (Levine 2015, 3; Hervorhebung im Original, Anm.) Form steht im Englischen somit auch für ausgerechnet jenes ›Signature Sheet‹ der Verwaltung der Neuzeit, dessen Akzeptanzproblem in einer einschlägigen Arbeit zur Gestaltung von Formularen als »unangenehm, bürokratisch, beschränkend, diskriminierend, bevormundend, unverständlich« (Schwesinger 2007, 43) umrissen wurde.
- 6.
Es geht dabei nicht um ein eindimensional-naives Bekenntnis des Journalismus zur Faktentreue (ebenso wenig um die nicht minder unreflektierte Wahrheitsforderung an ihn), der auf einem Geschäftsmodell des 19. Jahrhunderts beruht (redaktionelle Geschichtenrahmung im monetären Abtausch für externe Seitenflächenbesetzung, sprich Inseratenschaltung) und durch Paywalls nebst Datensammlung und -verwertung auf den Plattformen lediglich eine weitere Finanzierungssäule sich erschloss. Dabei handelt es sich nicht um Fakten, sondern um Informationsselektion. (Eine finanziell einträgliche Form der Komplexitätsreduktion.)
- 7.
Ein Formular ist unabhängig von seiner jeweiligen medialen Erscheinungsweise und seinem Verarbeitungszusammenhang jedenfalls immer auch als Werkzeug einer Kulturtechnik des Rechts, des »Scheidens« (Steinhauer 2015), einzustufen.
- 8.
Diese als achte überlieferte mythologische Prüfung Herakles’ handelt von der Zähmung der menschenfressenden Rosse des Diomedes (Herkules wirft ihnen diesen zum Fraß vor, kann sie danach, gesättigt, problemfrei ans Meer führen und zur nächsten Arbeit im Dodekathlon übergehen).
- 9.
Geplant und umgesetzt wird, den Apparat »mit seinen eigenen Waffen zu schlagen«, indem nun nach dem »Passierschein A39«, entsprechend dem »neuen Rundschreiben B65«, gefragt wird. Danach geht alles sehr schnell.
- 10.
Wie im Aufschreibesystem 1800 »im Zuge der Reformation des preußischen Schulwesens Subjekte erfunden werden«, zeigt beispielhaft Gaderer 2015.
- 11.
Zu weiteren, notwendigerweise anzuführenden Aspekten der Inquisition als summarischem Begriff für ein System religiöser Behörden im Zeichen der Folter und des Massenmords vgl. beispielhaft Lea 1985.
- 12.
Es ist durchaus einsichtig, »daß eine staatliche Behörde im Privatmann solange nichts andres sehen darf als einen noch nicht erwischten Verbrecher, bis er erwischt ist.« (Musil 2020, 325) Kafka hatte im Roman Das Schloss noch den Vorsteher darlegen lassen, dass alle Behörden zugleich Kontrollbehörden seien. Denn »[e]s ist ein Arbeitsgrundsatz der Behörde, dass mit Fehlermöglichkeiten überhaupt nicht gerechnet wird. Dieser Grundsatz ist berechtigt durch die vorzügliche Organisation des Ganzen und er ist notwendig, wenn äusserste Schnelligkeit der Erledigung erreicht werden soll.« (Kafka 2018, 149) Auch die Fliege in Terry Gilliams Film Brazil (1975) bedeutete keine Störung; aus dem Namenseintrag für die Person »Tuttle« wird durch das in die Maschine gequetschte Insekt eben einmalig ein steckbrieflicher »Buttle«. Behördlicherseits ist eine derartige Kontingenz beim Eintrag in ein Formularfeld natürlich ausgeschlossen, einfach weil es einen Process (und sei es jener des nunmehrigen Handlungsfortgangs) gibt, der in jedem Fall an- und für sich geordnet abläuft.
- 13.
Diese Sicht auf Grundbedingungen des Formulars ist zu differenzieren von den Komplexitäten in sog. Social Media: dort sind Formulare (etwa: zur Anmeldung, aber auch mit jedem Tracking nach erfolgtem Login – die sich selbst ergänzenden Formular- und Datenbestände des Digitalen Zeitalters sind gerade für Social Media konstitutiv –, von welchem Endgerät und Standort auch immer her) durchaus präsent, aber die augenscheinliche Verschleifung von Bildern und Schreibflächen lässt die zur Prüfung (mit Schnellurteil) und Verarbeitung notwendigen Regularien spurlos im hellen Bildschirmhintergrund verschwinden. Vgl. dazu im vorliegenden Band den Beitrag von Heinz Drügh.
- 14.
Schiller wird im sechsten seiner Briefe Über die ästhetische Erziehung des Menschen diese Attribuierung vorwegnehmen: »Aber selbst der karge fragmentarische Anteil, der die einzelnen Glieder noch an das Ganze knüpft, […] wird ihnen mit skrupulöser Strenge durch ein Formular vorgeschrieben, in welchem man ihre freie Einsicht gebunden hält. Der tote Buchstabe vertritt den lebendigen Verstand[.]« (Schiller 1989, 21) Zu Schillers »Formular«-Gebrauch vgl. im vorliegenden Band den Beitrag von Niels Werber.
- 15.
So halten es dagegen die Verfasser:innen des einschlägigen Lemmas in der Wikipedia mit dem Formelbuch des Markalf aus dem späten 7. Jahrhundert; vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Formular [Stand 2.5.2021].
- 16.
Ohnehin stellt sich eine sehr wesentliche Frage: Ob und wie notwendig es ist, eine Unterscheidung von analogen Formularen, deren elektronischen online- und .pdf-Versionen sowie den tatsächlich ausschließlich digital aufgesetzten und ausgelesenen Formularen (inkl. Möglichkeiten algorithmischer Erstellung) zu markieren.
- 17.
Es wird fortlaufend zu überprüfen bleiben und sei an dieser Stelle vorerst als These registriert, dass die medientechnischen Formerfordernisse und Verarbeitungsstandards einer Verwaltung ständig sich in einem wechselseitigen Abhängigkeitsverhältnis zu den kulturtechnischen Abläufen und Prozessorganisationen befinden. Diese Annahme betrifft sämtliche Veränderungen.
- 18.
Da die korrekten Formeln wie etwa richtige Grußworte (routinierte Respektsbezeugungen, die mit Hilfe von Formelbüchern einstudiert werden konnten und können) aus dem Arkanwissen der Kanzleien entnommen zum – da gedruckt zumindest potenziellen – Allgemeinwissen werden, können sie auch als Standard eingefordert werden. Gleichzeitig entsichern sie eine spezifische Wirklogik, wie Erich von Kielmansegg, einer der wesentlichen Verwaltungsreformer, 1906 eingangs seines Buches über die Kanzleireform zu Formel-Simile feststellt: »Existiert dieser so oft zitierte Amtsschimmel in Wirklichkeit? Ich sage ja, er wird trotz alles Gespöttes fleißiger geritten denn je. Das Simile, der ›Schimmel‹, wird fort und fort abgeschrieben, unbekümmert um die Änderung der Zeiten; es wird geschrieben und ›manipuliert‹ wie ehedem, ohne auch nur darüber nachzudenken, ob und wie eine Vereinfachung des administrativen Verfahrens möglich sei.« (Kielmansegg 1906, 3).
- 19.
»So enthielten die Formelsammlungen seit dem 11. Jahrhundert nicht nur Muster, sondern immer häufiger ausführliche theoretische Darstellungen der bei der Abfassung von Urkunden und Briefen zu beachtenden Regeln. Es entstand als selbständige Wissenschaft die ars dictandi, die in der ars notariae ihre juristische Ausprägung erhielt.« (Fotheringham 1980, 26 f.)
- 20.
Vgl. für den (medienhistorisch wie rhetorisch) bewusst zu machenden Zusammenhang von Schnittstelle und Fließband etwa McLuhan 1962, 124: »The invention of typography confirmed and extended the new visual stress of applied knowledge, providing the first uniformly repeatable commodity, the first assembly-line, and the first mass-production.« Oder: »The interface of the Renaissance was the meeting of medieval pluralism and modern homogeneity and mechanism – a formula for blitz and metamorphosis.« (McLuhan 1962, 141) »Two cultures or technologies can, like astronomical galaxies, pass through one another without collision; but not without change of configuration. In modern physics there is, similarly, the concept of ›interface‹ or the meeting and metamorphosis of two structures. Such ›interfaciality‹ is the very key to the Renaissance as to our twentieth century.« (McLuhan 1962, 149) – und vgl.: »Our book technology has Gutenberg at one end and the Ford assembly lines at the other. Both are obsolete.« (McLuhan 1970, 99).
- 21.
»Der Standard von heute […] heisst aber Digitalisierung. Zum wahrhaft erstenmal gibt es einen Code, der zwischen Zahlen und Buchstaben, Zahlen und Klängen, Zahlen und Bildern keinen Unterschied mehr macht. […] Es lässt sich zwar vermuten, dass die rechteckigen Fenster, wie sie heute auf Computerbildschirmen vorherrschen, den Angriff Mandelbrots auf Euklid nicht mehr lange überleben werden. Aber welche Komplexität, welcher Kompromiss zwischen Ordnung und Rauschen dem heiklen Verkehr zwischen Menschen und Maschinen angemessen ist, steht dahin.« (Kittler 1997, 32 f.)
- 22.
Daher rührt auch notwendigerweise der neoliberale Ruf nach mehr privat und weniger Staat: Der Dieb schreit ›Haltet den Dieb!‹, zeigt auf den Bestohlenen und geht in aller Ruhe seine soeben erweiterte Barschaft zählen.
- 23.
Es sind 1. Fachbegriffe und Datenerfordernisse zu übertragen, es bedarf 2. einer Übersetzung des Formular-Anliegens durch die ausfüllende Person bei gleichzeitig passgenauer Transformierung der eigenen Verhältnisse, es sind 3. die getätigten und an den Apparat zurückgespielten Angaben in den Schreibfeldern zu verstehen und für die Routinen des Verwaltungshandelns zuzurichten.
- 24.
Vgl. dazu auch Vismann 2000 betr. formulae als Verwaltungshandeln (127) und betr. Erhebungen und Auflistungen sowie Bertillons Innovationen (212).
- 25.
Das medientheoretische Potenzial von – gleichwohl normierten, reglementierten – Schreibflächen wäre wie das aller anderen zum Einsatz gelangenden Mittel auszuloten. Fragen der Gestaltung von »marked« und »unmarked spaces« sind zu beantworten. Unterschiedliche Sprachsysteme müssen ebenso unweigerlich aufeinandertreffen, wie die organisierten Abläufe des Amtes mit konkreten Umständen auf Seiten der Bürger:innen. Schließlich spielen zwingend die technischen Umgebungen der Formularfelder (und die ebenso bedingten Möglichkeiten ihrer Auswertung) eine entscheidende Rolle. Und zu beachten bleibt eine grundsätzliche Warnung, allein die Oberflächengestaltung im Blick zu haben: »Diese Selbstbeschränkung auf linguistische und technische Fragen von Design, Semantik und Syntax geht von der Vorstellung des Bürgers als einem kompetenten Nutzer dieser Technologie aus. Ihm wird unterstellt, input in die Verwaltungsprogramme leisten zu können, wenn er erfolgreich zu einem programmkonformen Verhalten angeleitet wird. […] Formulare konzipieren ihre Klientel als kompetente Teilnehmer an einem verständigungsorientierten Diskurs, in dem die Deutungs- und Entscheidungsmacht der Behörde nicht grundsätzlich in Frage gestellt wird. […] Die Partnerschaft zwischen Beamten und Bürgern ist jedoch strukturell asymmetrisch und durch Mißtrauen der Verwaltung gegenüber den Feststellungen der Verwalteten bestimmt.« (Becker 2009, 294).
- 26.
Kittler 2003 rückt für das 19. Jahrhundert immer wieder die Schriften und das Schreiben von Staatsbediensteten, Bürokraten in den Mittelpunkt; sein Interesse gilt jedoch weniger den Verwaltungssystemen an sich, sondern in erster Linie deren Werkzeugen und materiellen Bedingungen eines Angestellten-Schreibens, das gleichsam als Carbon Copy auf die literarischen Erzeugnisse durchschlägt.
- 27.
Vgl. dazu im vorliegenden Band den Beitrag von Ursula Geitner.
- 28.
Für Kittler 1997 spielt hier die Bestimmung mittels des Altgriechischen techné die zentrale Rolle, wohingegen für die gegenstandsbezogene Differenzierung an dieser Stelle eine Unterscheidung zweckmäßig sein könnte, bei der die Formulare der alten, zweibeinigen Computability den Charakter von Werkzeugen, Gestellen und Maschinen haben (mechané), während die neuen digitalen Schreibflächen mit ihren gänzlich anders gebauten Zentralregistern, Verschaltungs- und Trackingmethoden als neue Computability, Elektro-Ge-stelle und digitale Kulturtechniken im Sinne einer techné sich darstellen lassen.
- 29.
»Die Oberfläche ist jetzt der Bildschirm mit extrem beschränkter Inanspruchnahme menschlicher Sinne, die Tiefe dagegen die unsichtbare Maschine, die heute in der Lage ist, sich selbst von Moment zu Moment umzukonstruieren, zum Beispiel in Reaktion auf Benutzung. Die Verbindung von Oberfläche und Tiefe kann über Befehle hergestellt werden, die die Maschine anweisen, etwas auf dem Bildschirm oder durch Ausdruck sichtbar zu machen. Sie selbst bleibt unsichtbar.« (Luhmann 1997, 304; vgl. Baecker 2001, 599).
- 30.
»Algorithmen aber, zumindest nach ihrer modernen Definition, haben mit dem Rückkopplungskreis der Sinne nicht notwendig zu schaffen. Algorithmen sind Kombinationen aus Handlungsvorschriften und Kontrollvorschriften, die in jeder geeigneten Materialität vollzogen werden können, im Kopf, auf Papier oder neuerdings in Siliziumchips.« (Kittler 1997, 10 f.)
- 31.
Von daher sind Wechsel wie 1923 jener der österreichischen Zentralstellenverwaltung von den Kanzleibögen im Goldenen Schnitt auf die DIN A4 etc. – »Nach Aufbrauch der Vorräte an Papier der derzeit üblichen Größe (210 X 340 mm) ist zur Papiergröße 210 X 297 mm überzugehen.« – solche, die an grundlegende Paradigmen rühren; ändern sich die Formate, ändern sich die Drucksorten, ändern sich die Schreibflächen und die Formen ihrer Vervielfältigung, Auswertung und Ablage. (Das die besagte Verordnung begleitende 290. Ministerrats-Protokoll v. 18.07.1923 findet sich im Österreichischen Staatsarchiv [Archiv der Republik] mit der Signatur AT-OeStA/AdR MRang MR 1. Rep. MRP, 290.)
- 32.
- 33.
»Selbstreferenz ist ein Prinzip der Erhaltung, nicht ein Prinzip der Rationalität« (Luhmann 2020, 365).
- 34.
Vgl. auf der Suche nach der verlorenen Form: Kemp 2019.
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Plener, P. (2021). Facta sunt servanda. Zu Form/Formel/Format/Formular an Schnittstellen der Kontingenz. In: Plener, P., Werber, N., Wolf, B. (eds) Das Formular. AdminiStudies. Formen und Medien der Verwaltung, vol 1. J.B. Metzler, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-662-64084-5_4
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