Einen Lebenslauf verfasst man heutzutage vorzugsweise tabellarisch (vgl. Engst 2007, 113). In Bewerbungsratgebern wird wahlweise eine »chronologische« oder »thematische« Gliederung der einzelnen Lebensstationen empfohlen, wobei die »Stationen im Leben« auf den beruflichen Werdegang zuzuschneiden sind (ebd., 111). Die ›Stationen‹ setzen sich aus Schulbildung, Pflicht- oder Freiwilligendienst, Berufsausbildung oder Studium, Praktika und Berufstätigkeit zusammen. Fortbildungen, Zusatzqualifikationen und Hobbies können den chronologischen Werdegang thematisch ergänzen. Wie in jedem guten Ratgeber gibt es außerdem Vorlagen, die die konkrete tabellarische Umsetzung verdeutlichen.Footnote 1 Nutzer:innenFootnote 2 können die Beispiellebensläufe adaptieren und die jeweiligen Sektionen (persönliche Daten, Werdegang, Zusatzqualifikationen etc.) einfach auf sich selbst maßschneidern. Sieht man vom graphischen Dekorum ab, so eint all diese Vorlagen ihre Formularartigkeit. Leicht erfasst man hier die von Peter Becker präzise dargelegte »interne und externe Dimension« (Becker 2009, 283) des Formulars. So stellen die Vorlagen einerseits einen »Vordruck« mit »Feldbezeichnungen« (Qualifikation, Erfahrung, Ausbildung) zur Verfügung, der den Interpretationsspielraum der einzutragenden Daten vorstrukturiert (vgl. Becker 2009., 281 f.). Andererseits sind die Vorlagen dezidiert nach außen, nämlich an Bewerber:innen gerichtet und dienen ihnen als Medium für ein »formalisiertes Interview« (Becker 2009., 283), das dann von bestimmten Bearbeiter:innen (seien es menschliche oder nicht-menschliche) ausgewertet wird.

So selbstverständlich uns das Formular ›Lebenslauf‹ heute erscheint und so allumfassend es Eingang in moderne Selbstschreibepraktiken gefunden hat, so wenig war es noch im ausgehenden 18. Jahrhundert absehbar, dass ein Lebenslauf die Form eines tabellarischen Formulars annehmen könnte. Was ich im Folgenden beispielhaft vorstellen möchte, ist der prototypische Versuch einer Verwaltung, in diesem Fall der preußischen, sich dem Leben des Personals mit eben diesem Ziel anzunähern. Keine narratio der Lebensgeschichte, sondern ein distinktes Set tabellarisch arrangierbarer Basisinformationen – mithin die Eintragung des Beamtenlebens in ein Formular.

Was die tabellarische Kompilation lesbar machte, war die Dienstbarkeit der Offizianten. Ihr Leben als Personal wurde in einzelne Stationen zerteilt, die es den Administratoren erlaubten, auf einen Blick zu überschauen, wer für den Dienst in der Verwaltung geeignet war und wer möglicherweise zu Unrecht auf einen Posten gekommen war. Während Wirtschaftshistoriker die Einführung von karrieresteuernden Personaltabellen (staff ledgers) auf die Privatwirtschaft des späten 19. Jahrhundert datiert haben (vgl. McKinlay und Wilson 2006, 668), zeigt der preußische Fall, dass man hier bereits 100 Jahre früher an einer tabellarischen Sichtbarmachung von Karrieren interessiert war.

Dienstgeschichten aufschreiben

Personen, die sich um 1800 um einen Posten in der preußischen Verwaltung bewarben, griffen meist auf das Kommunikationsmedium der Supplik zurück. Die Mitte des 18. Jahrhunderts einsetzende Professionalisierung des Verwaltungsdiensts hatte zur Folge, dass sich die Rhetorik der Suppliken änderte.Footnote 3 Bewerber legten nicht mehr demütig ihre Treue zum Fürsten dar,Footnote 4 sondern machten Ansprüche auf Anstellung und Beförderung geltend, die sich auf die eigene Verdienstlichkeit gründeten.Footnote 5 Diese Entwicklung spiegelt sich in der Transformation des Fürsten- zum Staatsdienst wider. Die Beamtenschaft war nicht mehr auf den jeweiligen Souverän, sondern das Abstraktum des Staats verpflichtet (vgl. Jeserich 1983, 304 f.). Das Allgemeine Landrecht von 1794 sah vor, dass niemandem »ein Amt aufgetragen« werden dürfe, der »nicht hinlänglich qualificirt [ist], und Proben seiner Geschicklichkeit abgelegt hat« (Hattenhauer 1970, § 70). Damit mussten angehende Beamte ihre Dienstbarkeit nun anhand vollbrachter Leistungen und erworbener Qualifikationen aufzeigen.

Unter »Dienst« verstanden die Zeitgenossen am Ende des 18. Jahrhunderts im allgemeinsten Sinn »[e]inzelne Handlungen, vermittelst welcher man dienet.« (Krünitz 1775, 253) Das Dienen selbst versammelte Tätigkeiten einer enormen Bandbreite, die über »Handlungen, womit man seine Abhängigkeit von jemanden beweiset« über »niedrige körperliche Handlungen« (die sogenannten Fron- und Spanndienste) bis hin zu den Diensten im »edleren Verstande«, nämlich »einzelne[n] Handlungen, wodurch man eines anderen Geschäfte ausrichtet, oder dessen Nuzzen und Vergnügen befördert« reichten (ebd.). In diese letzte, ›edlere‹ Kategorie war der Dienst der Beamtenschaft einzuordnen. Wer sich als Staatsdiener beweisen wollte, musste daher auch Zeugnis über jene ›einzelnen Handlungen‹ ablegen, mit denen man einer öffentlichen Autorität in der Vergangenheit gedient hatte. Für die Beamtenschaft sollte der Lebenslauf ein wichtiges Werkzeug zur Dokumentation der Dienstgeschichte werden.

Die Erzählung der eigenen Dienstgeschichte nahm im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts oft die Form eines kurzen Lebenslaufs an. Während die meisten Lebensläufe dieses Jahrhunderts in die Supplik eingebettet waren, finden sich auch einige Fälle, in der Bewerber explizit ein eigens als »curriculum vitae« betiteltes Dokument anhefteten. Gemeinsam war allen diesen Lebensdarstellungen die narrative Verfasstheit. Das Leben wurde als durchgehende Geschichte einer professionellen Selbstwerdung erzählt, die letztlich auf die infrage kommende Stelle zusteuerte (Abb. 1).

Abb. 1
figure 1

(Quelle: LAV NRW R BR 0002 Nr. 1521, fol. 104v. Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Landesarchivs Nordrhein-Westfalen)

Curriculum Vitae eines Bewerbers für den subalternen Staatsdienst in der Provinz Jülich-Kleve-Berg, 27. Juni 1818.

Die Akten schweigen sich über die Gründe dieser Veränderung aus. Nirgends findet sich ein präskriptiver Text, der die Verwendung von lebenslaufartigen Passagen in Suppliken vorschreibt. Auch in zeitgenössischen Kanzleihandbüchern und Briefstellern findet man keine Angaben über Lebensläufe. Man kann aber davon ausgehen, dass die Veränderung des Dienstideals durch die Professionalisierung untrennbar mit dem Auftauchen des neuen Formats verknüpft war. Administratoren mussten zum Ende des Jahrhunderts jedenfalls langsam an Lebensläufe gewöhnt gewesen sein. Es kann daher als Präzedenzfall gewertet werden, wenn in den 1780er Jahren das preußische Generaldirektorium erstmals eine prototypische Version eines tabellarischen Lebenslaufs nutzte, um die provinzielle Baubeamtenschaft zu übersehen und gemäß der neuen Dienstnormen umzustrukturieren.

Tabellarisch-werden

Tabellarische Darstellungen von Verwaltungsprozessen waren am Ende des 18. Jahrhunderts gang und gäbe. Seit den 1770er Jahren wurde das Tabellenwesen in Preußen immer weiter ausgebaut und verfeinert, die eingetragenen Daten in zunehmendem Maße standardisiert (vgl. Twellmann 2015, 144). Nach der Reform der preußischen Bauverwaltung im Jahr 1770 begannen Berliner Zentralbeamte turnusmäßig tabellarische Darstellungen des Provinzpersonals zu verlangen. Wurden in diese Tabellen anfangs meist nur die aktuellen Positionsdaten (Name, Alter, Stellung, Wohn- und Dienstort, Gehalt) geschrieben, begann man ab den 1780er Jahren damit, auch die Dienstgeschichte der Beamten in die Personaltabellen einzutragen.

Eines der frühesten Beispiele einer auf die Dienstgeschichte konzentrierten Personaltabelle stammt aus dem Jahr 1782 und findet sich in den Akten der magdeburgischen Provinzialverwaltung. Das Generaldirektorium hatte im Dezember 1782 die Einreichung eines umfassenden Beamtenverzeichnisses angeordnet, das neun Punkte umfassen sollte.Footnote 6 Um überhaupt zu einer tabellarischen Diagrammatik zu gelangen, war die magdeburgische Kriegs- und Domänenkammer auf zwei Formulare angewiesen. In einem ersten Schritt zirkulierte die Kammer unter ihren Baubedienten einen Fragekatalog, der insgesamt neun Punkte zur Dienstgeschichte der Beamten umfasste. Im zweiten Schritt sollte daraus ein tabellarisches Beamtenverzeichnis kompiliert werden.

Ziel war ein Verzeichnis von Baubeamten, worin folgendes enthalten sein sollte:

  1. 1.

    Deren Vor- und Zunahmen,

  2. 2.

    Deren eigentlicher Character,

  3. 3.

    Deren Vaterland,

  4. 4.

    Deren Alter,

  5. 5.

    Deren Dienstzeit,

  6. 6.

    Ob und wo sie gehörig examiniret, und darüber, auch unter welchem Dato ein Attest erhalten,

  7. 7.

    Eines jeden eigentliche Verrichtung in welchem District, und bei welcher Commission er in Arbeit stehet.

  8. 8.

    Wann, und von wem, auch woselbst er vereidet.

  9. 9.

    Eines jeden Gehalt, und sonstige Emolumente.Footnote 7

Waren die einzelnen Einträge im Reskript des Generaldirektoriums an die magdeburgische Kammer noch als Liste formatiert, integrierte die Kammer sie in ihrem Zirkularreskript an die Baubeamten in den Fließtext. Aus den für sich stehenden Listeneinträgen wurden nun dezidiert Fragen, deren »Beantwortung«Footnote 8 befohlen wurde. Jeder einzelne Beamte wurde aufgefordert, die Antworten »sofort in Ansehung seiner nach Pflicht und mit Zuverlässigkeit anzufertigen, alles gehörig auseinander zu setzen, und solches mit umgehender Post anhero einzusenden.«Footnote 9 Während die Liste als selbstevidente Sammlung lediglich eine »bestimmten Kategorie von Objekten« (Becker 2009, 284) aufzählte (hier: bestimmte Personalmerkmale), machte die Frageform deutlich, dass hier ein Formular zu bearbeiten war. Die an Einzelbeamte adressierten Fragen stellten formale Leerstellen zu Verfügung, die mit jeweils unterschiedlich kodierten Inhalten befüllt werden mussten.

Aus der Art der Fragen wird klar, dass durch die Erhebung eine bestimmte distinkte Entität der Person konstruiert werden sollte, die sich aus zwei Komponenten zusammensetzte. Die ersten fünf Fragen etablierten den Befragten als eindeutig identifizierbares Individuum, das raum-zeitlich verortbar wurde. Als essenzielle Attribute der Person stachen die politische Verortung im Territorium (›Vaterland‹), sowie die hierarchische und zeitliche Verortung im Dienst (›Character‹ und ›Dienstzeit‹) hervor. Was gezählt und verzeichnet wurde, war somit ein politisch zuortbarer Eigenname mit einem bestimmten Stellen- und Dienstzeitattribut. Die letzten vier Fragen hingegen eröffneten einen näheren Blick auf die qualitative Komponente des Diensts. Fragen der Qualifikation (Examination und Attest), aber auch der Konkretisierung der Tätigkeit und deren monetäre Vergütung standen im Vordergrund. Insgesamt ermöglichten die letzten vier Fragen die Konstruktion einer prototypischen Laufbahn, die allerdings erst mit der finalen Überführung in die Personaltabelle in Gänze ersichtlich wurde.

Ein Teil der Befragten beantwortete die Fragen wie in einem fiktiven Interview. Der Kammer-Kondukteur Hirte beispielsweise rekapitulierte die Fragen zunächst in der ersten Person, bevor er sie im nächsten Absatz seiner Rückschrift Punkt für Punkt mit vollständigem Prädikat beantwortete.

  1. 1.

    Wie ich mit Vor und Zunahmen heiße.

  2. 2.

    Wie eigentlich mein Caracter und

  3. 3.

    welches mein Vaterland sey.

[…]

  1. 1.

    Mein Vor und Zunahme ist: Ludewig Hirte.

  2. 2.

    Mein eigentlicher Caracter ist: Cammer Conducteur, und

  3. 3.

    Groß-Pohlen ist mein VaterlandFootnote 10

Aneinandergereiht nahmen die Antworten Hirtes die Form eines in Prosa verfassten Lebenslaufs an. Während der Befragte so zwar die grundlegende Natur des formalisierten Interviews erkannte und seine Antworten nur diejenigen Komponenten enthielten, die in der Frage angelegt waren, war seine Antwort im eigentlichen Sinne nicht formularisiert und widersetzte sich durch die dialogische Verbalform vielmehr der tabellarischen Anordnung. Als nur rudimentäre formularische Vorstrukturierung erlaubten die Fragen dem Gefragten also einen hermeneutischen Überschuss an Interpretation. In einem Fall wie Hirtes bedurften die Angaben des Respondenten einer weiteren internen, behördlichen Intervention.

Der Kondukteur und Feldmesser Cuhrts antwortete auf die Aufforderung der Kammer bereits auf etwas ›diagrammatischere‹ Weise. Er teilte sein Rückschreiben in zwei Spalten, von denen die linke die Fragen und die rechte die Antworten enthielt. Doch auch Cuhrts Bearbeitung des Zirkularreskripts verblieb in einer dialogischen Ordnung. Seine Antworten waren nicht nur zu Sätzen ausformuliert, sondern auch recht ausführlich. Für Frage 7 etwa (›eines jeden eigentliche Verrichtung‹) benötigte Cuhrt fast eine ganze Seite:

Meine mehresten Geschäfte sind bey Gemeinheitstheilungen und Aufhebung der Gemeinheiten die Vermeßung derer Feld-Marken, und bey nachheriger Zusammentauschung derer Pertinentzien die Auseinandertheilung derselben bisher noch immer gewesen. Bey der letzten Aufnahme aller König[lichen] Provintzien aber bin ich auf Ordre Eines Hohen General Directorii 3 Jahr bey Aufnahme der Altmark mit beschäfftiget gewesen, und anjetzo stehe ich bey der Gemeinheitstheilungs Comission des Justitz Amtmann Ronnick und Oeconomie Amtmann Reiche bey Aufhebung der Coppelhaltungen zwischen dem König[lichen] Amte Ampfurth und der Stadt Seehausen in Arbeit auch bin ich HoffRath Laue als Gemeinheitstheilungs Commissarius derer zusammengetauschten Oerter zu Osterweeddigge, welche zwar erst im Herbst vermeßen und getheilet werden sollen.Footnote 11

Dass eine solch weitschweifige und detaillierte Antwort nicht im Interesse der Administration lag, lässt sich anhand der Personaltabelle ersehen, die die magdeburgische Kammer anlegte. Cuhrts Angaben wurden hier einer tabellarischen Transformation unterworfen. Die Tätigkeiten eines Ich-Erzählers wurden in der Tabelle in den Nominalstil transponiert und ihrer Narrativität entkleidet. Die Spalte über die ›eigentliche Verrichtung‹ lautete nun:

Bey Gemeinheitstheilungen u[nd] Aufhebung der Gemeinheiten, und Feldvermeßungen. Anjetzo bey der Gemeinheitstheilungs Commission des Justitz Amtmann Rönnicke u[nd] Oeconomie Amtmann Reiche, bey Aufhebung der Coppelhaltung, zwischen dem Amt Ampfurth u[nd] der Stadt Seehausen.Footnote 12

An der deutlichen Komprimierung der Behörde lässt sich erkennen, dass der weitere Kontext, in dem die Tätigkeiten stattfanden, für die Organisatoren belanglos war. Während Cuhrts in seiner Antwort für jede Verrichtung einen temporalen – und damit gleichzeitig erzählerischen – Index lieferte (›bey der letzten Aufnahme aller Provintzien‹; ›3 Jahre bey Aufnahme der Altmark‹, ›zwar erst im Herbst‹), schmolz die magdeburgische Kammer Cuhrts Dienstgeschichte auf eine Serie geo-administrativer Operationen zusammen. Wenn die Personaltabelle nur noch von ›Gemeinheitstheilungen‹, ›Feldvermessungen‹ oder der ›Aufhebung der Coppelhaltung‹ sprach, dann zeigte sich hier jener Punkt, an dem der Dienst von Beamten nicht mehr erzählt, sondern nur noch gelistet wurde (vgl. Vogl 2002, 195).

Um zu erkennen, auf welche Antwortform die Fragen idealiter abzielten, kann man auch einen Blick auf das andere Extrem der Nutzung werfen. Hier fanden sich mitunter Beamte, die einer Selbstformularisierung eifrig Vorschub leisteten. Johann Gottfried Butze beispielsweise rekapitulierte in seiner Antwort zunächst die königliche Order, indem er explizit darauf verwies, dass die Regierung beauftragt sei, »eine vollständige Tabelle von allen im Herzogthum Magdeburg angestellten Baubedienten«Footnote 13 zu erstellen. In Antizipation eben jener Tabelle (zu deren Gestaltung er gar nicht aufgefordert war), überreichte Butze die Antworten als vervollständigtes Formular, »so gut ich solche [die Tabelle; Anm.] anfertigen und ausfüllen konnte«. Butze transformierte dabei die Liste von Fragen in eine zweidimensionale Matrix, in der die Fragen nun horizontal als Tabellenkategorien angeordnet und die Antworten jeweils vertikal unter die einzelnen Fragen platziert wurden (Abb. 2). Das führte gegenüber der dialogischen Methode Hirtes zu zwei maßgeblichen epistemologischen Verschiebungen.

Abb. 2
figure 2

(Quelle: LASA, A8, Nr. 105, Bd. 8, fol. 4r, 5v)

Selbstständig verfasste Personaltabelle des Deichinspektors Butze.

Erstens brach Butze das Frage-Antwort-Verhältnis auf, indem er sowohl das Prädikat der Frage als auch der Antwort eliminierte. Das dialogische Prinzip, das noch beim Kammerkondukteur Hirte vorherrschte, wurde aufgebrochen. Nun standen Fragen und Antworten in einem logischen Verhältnis zueinander: Die oberste Zeile konstituierte den Bereich des kategorialen Allgemeinen, während die Eintragung in die Spalten dessen je partikulare Aktualisierung bezeichnete. Diese Aktualisierungen nahmen die Form von „Daten“ an: Es waren Nominalphrasen, die »in einen konstruktiven Darstellungsrahmen eingetragen und in ihm gegebenenfalls weiterverarbeitet werden [konnten], ohne diesen Rahmen zu verändern« (Campe 2002, 276). Dabei hatte die erste Spalte (der Eigenname) eine Indexfunktion für die jeweilige Zeile; ihr Wert musste, anders als die übrigen Felder, eindeutig und singulär sein. Nur durch den Namen wurde die Konsistenz der Zeile zusammengehalten. Die Struktur der Tabelle legte also abstrahierte Personen- und Diensteigenschaften über eine potenziell unendliche Anzahl empirischer Subjekte. Die Zeile ›Johann Gottfried Butze‹ war in diesem Sinn nur ein Eintrag, der theoretisch um beliebig viele weitere Zeilen vertikal erweitert werden konnte. In der letztlichen Kompilation aller Antworten in einer gemeinsamen Personaltabelle durch die Kammer wurde genau dies umgesetzt.

Noch wichtiger ist aber ein zweiter Aspekt. Durch die Verteilung der einzelnen Antworten in die Tabelle wurde die kontinuierliche Einheit der Antworten selbst aufgebrochen. Die Felder waren nun nicht mehr notwendig auf eine narrative Kontinuität angewiesen. Das heißt in letzter Konsequenz: Die Kontinuität des Subjekts selbst wurde durch die »graphische Rasterform und die ›notwendige‹ begriffliche Determinierung der Tabellenfelder« (Brendecke 2003, 39) zerteilt. Der Administrator musste nun nicht mehr immer neu durch das gesamte Arsenal von Fragen und Antworten eines Individuums blättern, sondern konnte, ausgehend von einem Index-Eigennamen und einer allgemeinen Spaltenkategorie, eine Vielzahl von partikularen Daten auf einen Blick übersehen. Was die tabellarische Eintragung des Subjekts in das Formular leistete, war damit eine Analytik des Lebens als Dienst.

Analytik des Dienstes

Der Begriff der Analytik oder Analyse verweist zunächst auf eine zeitgenössische epistemologische Operation, die in der französischen Aufklärung das empirisch Gegebene durch »decomposition systematique sous la forme d’un tableau« (Brian 1988, 51) überführte. Das prägnanteste Beispiel dafür dürfte d’Alamberts universales Tableau des Wissens in der Encyclopédie sein (Brian 1988, 51). Aus wissensgeschichtlicher Perspektive galt im 18. Jahrhundert das Bauwesen als Paradeplatz der Analyse (vgl. Picon 1992, 169). Baubeamte waren in der ›systematischen Dekomposition‹ sehr routiniert, da sie im Medium des Bauanschlags komplexe Bauwerke tabellarisch in ihre ökonomischen Elemente (etwa Material-, Werkzeug-, Arbeits-, und Transportkosten) zerlegen mussten. Wenn es um die Planung einzelner Bausequenzen ging, mussten die Beamten das imaginäre Bauwerk in seine ökonomischen Grundeinheiten übersetzen, bevor es auf der Baustelle zusammengesetzt werden konnte (vgl. Picon 1992. 169). In Preußen wurden Baubeamte seit den 1770er Jahren in der korrekten Gestaltung von Bauanschlägen geschult; Friedrich Holsche, Mitglied der höchsten preußischen Baubehörde, hatte ein Handbuch zu deren Erstellung verfasst (vgl. Holsche 1777). Es ist daher wenig verwunderlich, dass Baubeamte wie der Deichinspektor Butze ein diagrammatisches Verfahren, das sie in der täglichen Praxis nutzten, auch auf die eigene Dienstgeschichte übertragen konnten. Wenn Butze nicht in ganzen Sätzen, sondern mit tabellarischen Feldbegriffen antwortete, so kristallisierten sich hier die kleinsten analytischen Komponenten der eigenen Dienstgeschichte heraus. Bei Butze waren dies spezifische Tätigkeiten (etwa im Deich- und Buhnenbau) und Statuspassagen (Examen beim Oberbaudepartement und Festanstellung bei der magdeburgischen Kammer).Footnote 14

Um genauer nachzuvollziehen, was die Operation der Analyse in Bezug auf Dienstgeschichten ermöglichte, lohnt sich ein Blick auf Michail Bachtins Biographietheorie. Bachtin unterschied in seiner Studie zum Chronotopos (2014) den Typus der energetischen Biographie, die sich linear und kontinuierlich in der Zeit ausbreitet und den Charakter des Individuums über kontinuierliche Handlungen und Taten in der Zeit ergründet, von der der analytischen Biographie. Der analytischen Biographie »liegt ein Schema mit bestimmten Rubriken zugrunde, auf die sich das gesamte biographische Material verteilt: gesellschaftliches Leben, Familienleben, Verhalten im Kriege, Beziehungen zu Freunden, denkwürdige Aussprüche, Tugenden, Laster, äußere Erscheinung, Habitus u. dgl. mehr.« (Bachtin 2014, 69) Die analytische Biographie wird nicht mehr als lineare Abfolge bestimmter charakterbildender Taten erzählt, sondern unterscheidet einzelne Themen. Es handelt sich um eine Analyse bestimmter Teilkomponenten (wie etwa Beziehungen, Eigenschaften, Taten), die Elemente aus unterschiedlichen Ereignisreihen zusammenführt. Die Subsumtion erlaubt somit die Zusammenziehung diskontinuierlicher Zeiten unter ein bestimmtes kategoriales Thema: »Unter ein und derselben Rubrik werden Momente, die verschiedenen Lebensabschnitten entstammen, versammelt.« (Bachtin 1982, 142)

Genau diese »Subsumtionsfunktion« (Brinckmann et al. 1986, 191) leisteten auch die Spaltenüberschriften in der finalen Personaltabelle der Behörde (Abb. 3), die als operative Rubriken fungierten. Die Rubrik »Eines jeden eigentliche Verrichtung«Footnote 15 führte als Formularbefehl etwa dazu, die in Satzform verfassten Antworten der Beamten nach spezifischen nominalen Tätigkeitswörtern abzusuchen, diese raum-zeitlich zu indizieren und diskret in eine Spalte einzutragen. In die diagrammatische Einheit eines Feldes konnten nun etwa zeitlich und räumlich diskontinuierliche Tätigkeiten wie »besonders Teich- und Buhnenbau, überhaupt Wasserbau an denen Ströhmen im Herzogthum Magdeburg, auch Feldmessungen«Footnote 16 zusammengefasst werden. Die erzählte Dienstgeschichte kam hier narrativ zum Erliegen, wurde stattdessen auf bestimmte Kerntätigkeiten hin zerlegt und im Formular neu zusammengesetzt. Während Beamte wie Hirte und Cuhrts in ihren dialogisch erzählten Antworten einen relativ weitschweifigen »raum-zeitliche[n] Realitätsausschnitt« lieferten, musste die magdeburgische Kammer aus diesen Aussagen diejenigen »Sachverhaltselemente« destillieren, die für die administrativen Kalküle von Belang waren (Brinckmann et al. 1986, 196–198).

Abb. 3
figure 3

(Quelle: LASA, A8, Nr. 105, Bd. 8, fol. 27r, 28v)

Personaltabelle der Baubeamten der magdeburgischen Kriegs- und Domänenkammer.

Diese Kalküle zeigen insbesondere dann ihre Wirksamkeit, wenn mehrere Beamte subsumiert wurden. Wurden – wie in der Personaltabelle – für jede Spalte mehrere Einträge vorgenommen, ließen sich für jede Kategorie diskrete Berechnungen anstellen: Länge der Dienstzeit, Höhe des Dienstalters, Anzahl der Tätigkeiten, Datum der Prüfung. Im Umkehrschluss konnten nun auf einen Blick auch Leerstellen oder Anomalien in den Rubriken identifiziert werden. In der konkreten Praxis ließ sich damit durch Formularisierung ein maßgebliches Element der Professionalisierungsreform kontrollieren, nämlich die Einhaltung obligatorisch gewordener Statuspassagen wie etwa die Feldmesser- und Baumeisterprüfung beim Berliner Oberbaudepartement (vgl. Strecke 2000, 28). Seit den 1770er Jahren galt das Bestehen einer Prüfung bei der Zentralbehörde als Voraussetzung für den Baudienst in den Provinzen (vgl. Hagen 1936, 289 f.). Stellte sich in der Subsumtion der Beamtenantworten unter die Spaltenüberschriften etwa heraus, dass die prüfende Instanz nicht das Oberbaudepartement, sondern lediglich ein Provinzbeamter gewesen war, wurde demjenigen Baubeamten eine Frist zur Nachholung dieser Prüfung gesetzt. Damit erlaubte es die Personaltabelle letzten Endes, die Laufbahn ihrer Beamten zu standardisieren, da ›Ausreißer‹ einfacher identifiziert und sanktioniert werden konnten.

Schluss

Das proto-formularische Projekt eines durch Fragebögen erstellten Personalverzeichnisses zeigt, dass die reformierte preußische Verwaltung bereits im Ausgang des 18. Jahrhunderts damit begann, das Leben ihrer Beamten nach diskreten Kategorien zu analysieren. Diese Analyse entsprechend einzelner Dienstkomponenten und deren Übertragung in ein Dienstformular wurden zunächst primär in internen Verarbeitungsschritten durch vorgesetzte Beamte vorgenommen. Allein das Stichwort der ›Tabelle‹ scheint bei einigen Beamten aber genügt zu haben, um den Anstoß zur Selbstformularisierung zu geben. Sie übertrugen das Schema der listenförmigen Fragen eigenständig in ein tabellarisches Formular und füllten dieses mit Nominalphrasen aus. Mit dem durch das Formular erzwungenen analytischen Schema wurde der Dienst der Beamten neu perspektiviert. Die kontinuierliche Geschichte einer bestimmten Gewordenheit machte einem ent-narrativierten Darstellungsverfahren Platz, das die Kohärenz der Lebenszeit auseinanderdividierte und in ein Bündel diskreter Fähigkeiten, Erfahrungen, Prüfungen und Einnahmen zerteilte. Ein solches Schema war in letzter Konsequenz auf die administrative Bearbeitbarkeit von Personal ausgerichtet. Wenn Bewerber:innen auch heute noch ihren Lebenslauf kategorisch in Ausbildung, Praktika, Prüfungen oder Berufserfahrung zerlegen, dann zeigt sich hieran vielleicht eine genealogische Verästelung dieser analytischen Praxis.