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1 Was haben wir aus der SARS-CoV-2-Pandemie gelernt?

Die SARS-CoV-2-Pandemie ging mit einem enorm großen Erkenntnisgewinn einher. So wurden innerhalb der zwei Jahre der Pandemie mehr als doppelt so viele wissenschaftliche Artikel in PubMed publiziert (Stand April 2022) wie über das Human Immunodeficiency Virus (HIV), das 1983 entdeckt wurde [1]. Ob Quantität der Qualität gleichzusetzen ist, sei dahingestellt. Es lässt sich jedenfalls sagen, dass es eine goldene Zeit für die Impfstoffentwicklung und für sogenannte Notfallimpfstoffe war. Es gab die schnellste Impfstoffentwicklung überhaupt, welche sicher einen Meilenstein für kommende Impfstoffentwicklungen darstellt [2]. Aktuell gibt es weltweit zwölf Impfstoffe, davon sind fünf in der EU zugelassen (Comirnaty, Nuvaxovid, Spikevax, Vaxzevria, COVID-19 Vaccine Janssen), für einen wurde der Zulassungsantrag eingereicht (Vidprevtyn) und vier weitere (Sputnik V, COVID-19 Vaccine HIPRA, COVID-19 Vaccine (Vero Cell) Inactivated, VLA2001) sind bei der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) im sogenannten „rolling review“, einem beschleunigten Zulassungsverfahren, bei dem Daten analysiert werden, sobald sie verfügbar sind. Immer noch werden laut New York Times Vaccine Tracker 119 verschiedene Impfstoffe in klinischen Studien untersucht und knapp 200 sind derzeit noch in der präklinischen Pipeline (Stand 24.März 2022) [3].

Es gibt viele verschiedene Gründe, warum die Entwicklung so schnell möglich war. Zum einen existierten bereits Daten aus jahrelanger, auch öffentlich geförderter Grundlagenforschung zu neuen Technologien. Darüber hinaus handelte es sich um eine bekannte Virenfamilie und es konnte auf wissenschaftlichen Erkenntnissen aus Impfstoffentwicklungen gegen SARS und MERS aufgebaut werden. Außerdem ermöglichte ein erheblicher technologischen Fortschritt es, innerhalb von vier Tagen von der Sequenzierung in die Good-Manufacturing-Praxis (GMP)-Produktion zu gehen. Existierende Impfstoffplattformen, die im Kontext von anderen Epidemien, beispielsweise Ebola-Epidemien, weiterentwickelt wurden, vereinfachten die Impfstoffentwicklung. Durch beschleunigte Zulassungsverfahren und neue adaptive Designs von klinischen Studien, bei denen sich Entwicklungsphasen überlappten, ohne dadurch die Patientensicherheit zu gefährden, konnte zusätzlich Zeit eingespart werden. Schließlich kam es zu weltweiten Kooperationen, um gemeinsam gegen das Virus vorzugehen [4].

Für künftige Notfallimpfstoffe gibt es durch die Erfahrungen bei der SARS-CoV-2-Pandemie eine neue Basis.

2 „Morgen und übermorgen“- Wo geht die Reise hin?

Bei Impfungen ist es eines der Ziele, Universalimpfstoffe zu entwickeln, also Impfungen, die ein breites Spektrum an Viren abdecken. Bezüglich der SARS-CoV-2-Pandemie bedeutet dies, dass ein Pan-Sarbecovirus-Impfstoff gesucht wird. Sarbecovirus ist eine Untergattung in der Familie der Coronaviridae und steht für SARS-related/ SARS-like betacoronavirus. Ein Grund für die Suche nach einem Pan-Impfstoff: Zwischen 2013 und 2020 wurden allein in Asien 14 Viren nachgewiesen, die genetisch sehr eng mit SARS-CoV-2 verwandt sind [5]. Außerdem ist das Reservoir in Fledermäusen weiterhin sehr groß, sodass die Wahrscheinlichkeit eines zukünftigen erneuten Crossovers zu den Menschen hoch bleibt. Es war bereits die dritte Epidemie beziehungsweise Pandemie mit Betacoronaviren in den letzten 20 Jahren (SARS, MERS, COVID-19). Stanley Plotkin von der University of Pennsylvania, ein Großmeister der Impfstoffforschung, weist darauf hin, dass es Varianten gibt oder das weitere Varianten entstehen könnten, die den neutralisierenden Antikörpern entkommen. Trifft man die Vorbereitungen rechtzeitig, wird die Zeit, die gebraucht wird, um geeignete Impfstoffe in großen Mengen zu produzieren, gekürzt und Leben könnten damit gerettet werden. Es gibt bereits vielversprechende Ansätze für einen Pan-Sarbecovirus Impfstoff:

  • Zusätzliche Antigene neben dem Spike-Protein.

  • Auf Nanopartikeln basierende Impfstoffe, die mit verschiedenen Spike-Proteinen bestückt sind.

  • Serielle Immunisierungen mit unterschiedlichen Spike-Proteinen.

  • Strategien, um eine Immunantwort zu erweitern, sodass nicht nur Antikörper produziert werden, sondern auch andere Zellen des Immunsystems wie zum Beispiel T-Zellen involviert werden.

  • Ein gegen Mutationen resistenter Pan-Sarbecovirus T-Zell-Impfstoff.

  • Design eines dendritische Zellen-basierten Pan-Sarbecovirus-Impfstoffs.

3 Gleichberechtigter Zugang zu Impfstoffen

Wir können neue, effektivere Impfstoffe entwickeln, aber die größte Innovation bleibt unter ihrem Potential, wenn sie nicht da ankommt, wo sie gebraucht wird. Die Verteilung der COVID-19-Impfstoffe erfolgte global sehr ungleich. Die Ressourcen-ärmeren Länder haben beispielsweise 8 Prozent der Impfstoffe erhalten, obwohl sie etwa 20,6 Prozent der Weltbevölkerung ausmachen [6]. Länder und Regionen mit höherem Einkommen bekamen die Impfstoffdosen zehnmal schneller als Länder mit niedrigem Einkommen. Daran muss gearbeitet werden und das ist der Auftrag unter anderem von COVAX [7], einer Initiative der Impfstoffpartnerschaft CEPI, der Impfallianz Gavi, dem Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen Unicef und der Weltgesundheitsorganisation WHO. COVAX (COVID-19 Vaccines Global Access) soll dafür sorgen, dass es weltweit einen gerechten, gleichberechtigten Zugang zu Impfstoffen gibt. Die Welt ist so vernetzt – das hat man auch bei der SARS-CoV-2-Pandemie gesehen –, dass wir international denken müssen, denn „No one is safe until everyone is safe!“ [8].

4 Wie sieht die Zukunft jenseits von COVID-19 aus?

Nach der Pandemie ist Vor der Pandemie. Man kann nicht vorhersehen, welcher Erreger die nächste Pandemie auslösen wird, aber die Vorbereitung auf eine nächste Pandemie ist unerlässlich. Für neue Impfstoffe bleiben alte Fragen, auch wenn sehr viele Erkenntnisse aus der COVID-19 Pandemie gewonnen werden konnten:

  • Was sind die genauen „correlates of protection“, also welche biologischen Parameter geben Auskunft über den später erreichbaren Impfschutz ?

  • Welche Immunantworten benötigen wir und wo?

  • Wie induzieren wir diese Immunantworten am effizientesten?

  • Wie können wir mukosale Immunität, also Immunität auf Schleimhäuten, durch Impfstoffe verbessern?

  • Welche Applikationsroute eignet sich am besten für welche Erkrankung? Hier gibt es viele interessante Ansätze für neue Werkzeuge, zum Beispiel ein 3D-gedruckter Patch mit vielen Mikronadeln für eine transdermale Applikation der Impfung [9].

  • Wie entwickeln wir Impfstoffe noch schneller und vor allem präventiv? Hier ist vor allem CEPI aktiv, die die Kampagne ausgerufen haben, in 100 Tagen neue Impfstoffe zu entwickeln. Viele der aktuellen Coronaimpfstoffe erhielten eine Finanzierung der CEPI.