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1 Partnerschaft statt Konkurrenz

Vermutlich kann sich jede und jeder erinnern, wie sie oder er die erste Zeit der Pandemie erlebt hat. Das Leben sah vom einen auf den anderen Tag anders aus, die Prioritäten hatten sich verschoben. Die Devise lautete: Wir sind als gesamte Industriebranche gefordert, denn wenn wir nichts gegen die Pandemie liefern können, dann gibt es für kein Unternehmen wieder die Chance, geschäftlich erfolgreich zu sein. Es folgte ein magischer Moment: 26 Unternehmen schlossen sich zusammen und entschlossen sich, Informationen zu teilen und gemeinsam sogenanntes intellectual property (IP, geistiges Eigentum) aufzubauen. Bis dahin hatte der Wettbewerb der Unternehmen den Markt bestimmt. Es fand also ein Paradigmenwechsel statt, wie es ihn bis dato nur ganz selten, möglicherweise noch nie gegeben hatte.

2 Globale Situation

Bei diesem Symposium haben wir sehr viel über wissenschaftliche Ansätze zur medikamentösen Pandemiebekämpfung gehört. Doch viele davon werden scheitern, wie ein Blick auf die globale Situation jenseits der COVID-19-Pandemie zeigt: Über 3.300 Krankheiten sind aktuell unheilbar, das bedeutet 60% der weltweiten Krankheitsbelastung ist nicht effektiv behandelbar [1]. Etwa 57% der klinischen Studien scheitern an mangelnder Wirksamkeit, das heißt die meisten neuen wissenschaftlichen Ansätze kommen gar nicht erst auf den Markt [2]. Gleichzeitig waren 32 Prozent der neuartigen Therapeutika, die die amerikanische Arzneimittelbehörde FDA zwischen 2000 und 2010 zugelassen hat, nach dem Inverkehrbringen von einem Sicherheitsereignis betroffen [3]. Zudem betragen die Entwicklungskosten für ein Medikament mit einem neuen Wirkstoff mittlerweile mehr als 2,5 Mrd. US-Dollar [4]. Den hohen Ausfallraten und enormen Kosten stehen bei Medikamenten gegen Infektionskrankheiten in aller Regel unsichere Erträge gegenüber. Viele Infektionskrankheiten verlaufen ausbruchsartig – das erschwert nicht nur den klinischen Wirksamkeitsnachweis außerhalb eines Ausbruchs, sondern macht auch die Rendite für die Investition in eine Therapie gegen eine noch nicht vorhandene virale Erkrankung „mit Pandemiepotenzial“ für Unternehmen kaum absehbar. Diese Kombination aus hohen Kosten und unsicheren Erträgen hat in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten zu einem regelrechten Exodus der Industrie aus Infektionskrankheiten geführt, sodass auch Grundlagentechnologien in diesem Bereich nicht forciert wurden. Dass diese Strategie kurzsichtig sein kann, haben wir jetzt erlebt.

Bei der Impfstoffentwicklung gegen COVID-19 gab es enorme Erfolge, auch aus wirtschaftlicher Perspektive. Allerdings sollte man sich davon nicht täuschen lassen: Es gab auch viele wirtschaftliche Misserfolge und es werden noch mehr werden.

Noch desillusionierender ist der Blick auf Therapeutika. Die Suche nach Antikörpern ist bisher hauptsächlich daran gescheitert, dass ihr Produktprofil sehr schlecht ist. Ein Therapeutikum, das eine tagelange, intravenöse Behandlung mit sehr hohen Dosierungen fordert, lässt sich nicht im globalen Maßstab einsetzen. Aber es wird weitergesucht. Und das heißt, es wird auch künftig mehr Nachrichten über gescheiterte Entwicklungen geben als Erfolgsgeschichten.

3 Was hat die Industrie aus der Pandemie gelernt?

Für eine effektive Pandemiebekämpfung werden vier Werkzeuge gebraucht:

  • Effiziente Diagnostika

  • Neue Verwendung bekannter Wirkstoffe

  • Impfstoffe

  • Therapeutika

Ein einzelnes Werkzeug reicht nicht aus, es müssen alle vier vorhanden sein. Impfstoffe sind wichtig, aber um den Virus zu besiegen, braucht es einen ganzen Werkzeugkasten.

Frühe interdisziplinäre Kooperation verspricht Erfolg. Bei den Impfstoffen gegen SARS-CoV-2 konnte eine klare Relation zwischen akademischer Innovation, industrieller Translation und Patientenzugang beobachtet werden. Alle drei in der westlichen Welt schnell verfügbaren Impfstoffe waren entweder direkt (Vaxzevria) oder indirekt über Ausgründungen (Comirnaty, Spikevax) akademischen Ursprungs:

  • Johannes Gutenberg-Universität Mainz > Biontech und Pfizer > Comirnaty

  • University of Oxford > AstraZeneca > Vaxzevria

  • Harvard University > Moderna > Spikevax

Doch akademische Forschung allein entwickelt keine Medikamente. Sie ist zwar eine Hauptquelle erfolgreicher Medikamente – 15–20% der zugelassenen Medikamente sind akademischen Ursprungs [5] –, aber eine Zulassung und Etablierung am Markt konnte nur in der Zusammenarbeit mit der Pharmaindustrie erreicht werden (63% Erfolgsrate der gemeinsamen Phase-III-Studien versus 0% bei akademischen Alleingängen) [6].

Es hat sich weiterhin bestätigt, dass Impfstoffe allein Pandemien nicht aufhalten können, denn das weltweite Impfprogramm ist zu langsam. Nur 11,9 Prozent der Weltbevölkerung waren 18 Monate nach dem Ausbruch geimpft [7]. Es dauerte 1 bis 2 Jahre, bis Entwicklungs- und Schwellenländer Zugang zu signifikanten Impfstoffmengen hatten [8]. Zudem bilden sich neue Virusvarianten, die die Wirksamkeit der Impfungen bedrohen. Mit der Omikron-Variante B.1.1.529 konnten sich rund 50 Prozent der COVID-19-Genesenen wieder infizieren [9]. Und die Impfung mit Vaxzevria von Astra Zeneca bot bei dieser Variante keinen wirksamen Schutz mehr [10].

Wir mussten in der Industrie auch lernen, dass in der Pandemie insbesondere Fragen der Infrastruktur und Logistik wesentlich werden. Wie viele Kühlschränke zur Lagerung von Impfstoffen oder anderen Wirkstoffen stehen zur Verfügung? Welche Kühlketten existieren und wo existieren sie? Welche Produktionsstätten sind verfügbar? Man muss wissen, wie man ein fertiges Medikament dorthin bringt, wo es gebraucht wird. Es gehört zur Vorbereitung auf künftige Pandemien, zu erlernen, wie in solchen Fällen die gesamte globale industrielle Infrastruktur zusammenarbeiten kann.

4 PRROTECT

Zur Vorbereitung auf zukünftige Pandemien hat Evotec die weltweite Netzwerkinitiative PRROTECT (pandemic Preparedness and Rapid RespOnse TEChnology plaTform) initiiert. PRROTECT setzt Evotecs Plattform ein, um die existierende multimodale Pipeline gegen virale Bedrohungen weiter auszubauen. Weitere Ziele sind beschleunigte Erforschung und Entwicklung neutralisierender Antikörper zu beschleunigen und der Aufbau eines flexiblen Produktionsnetzwerkes, um im Fall einer zukünftigen Pandemie solche Therapeutika schnell liefern zu können. Mehrere Ansätze werden hierbei verfolgt, die in Tab. 1 dargestellt werden.

Tab. 1. Multimodale Vorentwicklung zur Pandemiebekämpfung

Nur wenn Vorentwicklung, Rapid Response und flexible Produktionskapazitäten zusammenspielen, kann eine schnelle Pandemiebewältigung funktionieren.

In der Vorentwicklung sollen alle Modalitäten einbezogen werden, also niedermolekulare Substanzen, neutralisierende Antikörper und neue Immunmodulatoren. Denn die Unberechenbarkeit von Virus X bedingt, dass wir heute nicht wissen, welches die beste Modalität in der Zukunft ist. Die Vorentwicklung von Therapeutika bis zur Phase IIa kann in der nächsten Pandemie bis zu 5 Jahre Entwicklungszeit sparen.

Zu den Produktionskapazitäten ein Beispiel: Wenn am Anfang einer Pandemie und einer Weltbevölkerung von rund 8 Mrd. Menschen nur Ampullen für 700 Mio. Impfdosen zur Verfügung stehen, dann entsteht ein Verteilungskampf, der eine effektive Pandemiebekämpfung hemmt. Der Aufbau von Produktionskapazitäten war in der COVID-19-Pandemie nur möglich, weil die Produktion vieler anderer Waren verringert oder eingestellt wurde. Für künftige Pandemien ist es bedeutsam, dass die Produktionskapazitäten tatsächlich flexibel vorgehalten werden.