Schlüsselwörter

1 Die Situation in der Weltwirtschaft

Dieses Jahrzehnt ist geprägt von einer Reihe von Krisen – die COVID-19-Pandemie ist eine davon. Sie hinterlässt viele Herausforderungen, doch die Diskussionen darüber treten derzeit (Stand: April 2022) angesichts der neu hinzugekommenen Krise, dem Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine, in den Hintergrund (Abb. 1).

Abb. 1.
figure 1

Omikron-Variante führt zu geringeren wirtschaftlichen Auswirkungen als frühere Varianten des Coronavirus (OECD/Sachverständigenrat, 22–060-02; Weltbank/WHO/Sachverständigenrat, 22–060-03)

Der Beginn der Coronapandemie löste eine weltweite Wirtschaftskrise aus. Mittlerweile nimmt der Zusammenhang zwischen Neuinfektionen und Wirtschaftsleistung jedoch stark ab: Die Omikron-Variante, die sich zurzeit verbreitet, führt zu einem Höchststand bei Neuinfektionen, aber die Auswirkungen auf die Wirtschaft sind im Vergleich mit dem Beginn der Corona-Pandemie gering. Die Gründe dafür liegen in einer gegenüber früheren Infektionswellen geringeren Zahl von Toten, in der Anpassung der Akteure und in der geringeren gesellschaftlichen Vulnerabilität, die unter anderem eine Konsequenz der erzielten Impfraten sind [13].

Allerdings bleiben die Impfraten überall hinter den Erwartungen zurück, wobei sie in den Industriestaaten in der Regel vergleichsweise hoch sind, im globalen Süden jedoch sehr niedrig. Weltweit betrachtet war vor allem die Produktion, Beschaffung und Verteilung von Impfstoffen eine Herausforderung. Dadurch bleibt es nicht aus, dass sich neue Varianten entwickeln, die dann wiederum das Impfgeschehen beeinflussen dürften. Analysiert man das Impfgeschehen innerhalb einzelner Volkswirtschaften, sieht man eine Korrelation zwischen Einkommen und Impfrate: Gesellschaftsschichten mit niedrigem Einkommen haben deutlich geringere Impfquoten als solche mit hohem Einkommen [4, 13] (Abb. 2).

Abb. 2.
figure 2

Impffortschritt und BIP pro Kopf (Our World in Data/Weltbank/Sachverständigenrat, 22–055-02)

Die Beeinträchtigungen der Weltwirtschaft durch die COVID-19-Pandemie sind immer noch signifikant und die Erholung vollzieht sich langsamer als ursprünglich erwartet. Zu Beginn der Pandemie war vielfach ein V-förmiger Verlauf der konjunkturellen Entwicklung prognostiziert worden, also ein drastischer Wirtschaftseinbruch, dem dann eine schnelle Erholung folgen würde. In einzelnen Bereichen kam es tatsächlich zu dieser Entwicklung, aber längst nicht in überall [12, 13]. So gibt es anhaltende Probleme bei den weltweiten Lieferketten. Diese haben zu steigenden Transportkosten geführt, die bis heute nicht wieder gefallen sind. Die Lieferprobleme beeinträchtigen unter anderem die Verfügbarkeit von Rohstoffen. Diese Beeinträchtigungen der globalen Wertschöpfungsketten dürften andauern, auch weil in China nun wegen des dortigen Infektionsgeschehens erneut Häfen geschlossen werden. Das vergrößert die bestehenden Beeinträchtigungen des globalen Frachtverkehrs. Es ist zu erwarten, dass die aktuellen Entwicklungen zu Anpassungen der globalen Wertschöpfungsketten führen, da Staaten die Resilienz wichtiger Lieferketten erhöhen wollen. Die Auswirkungen der COVID-19-Pandemie sind also noch nicht vorbei und werden auch zu strukturellen Anpassungen führen (Abb. 3).

Abb. 3.
figure 3

Globale Lieferketten weiterhin unter Druck, in der Industrie fehlen Materialien und Arbeitskräfte (Benigno et al. (2022)/Harper Petersen & Co./IfW Kiel/Sachverständigenrat, 22–063-03; Europäische Kommission/Sachverständigenrat, 22–040-01)

2 Die Situation in der deutschen Wirtschaft

In der deutschen Industrie ist die Wirtschaftsleistung immer noch (Stand: April 2022) gedämpft, vor allem aufgrund von Materialengpässen. Im Dienstleistungsbereich beeinträchtig dagegen der Arbeitskraftmangel die wirtschaftliche Erholung. Die Pandemie verhinderte Zuwanderung, sodass die Auswirkungen der demographischen Entwicklung in Deutschland nicht wie in den Vorjahren kompensiert werden konnten. Zusätzlich orientierten sich Mitarbeitende derjenigen Bereiche um, die während des Lockdowns geschlossen worden waren – zum Beispiel die Gastronomie. Die Entwicklungen verdeutlichen, dass Maßnahmen gegen den Fachkräftemangel auf allen Qualifikationsstufen ergriffen werden müssen. Die Alterung der Gesellschaft wird den Fachkräftemangel in den kommenden Jahren noch verstärken, so dass nicht zu erwarten ist, dass sich die Engpässe mit Abklingen der Pandemie auflösen [11] (Abb. 4).

Abb. 4.
figure 4

Im Dienstleistungsbereich dominieren Arbeitskräfteengpässe und mangelnde Nachfrage (Europäische Kommission/Sachverständigenrat, 22–040-01; Europäische Kommission/GfK/Statistisches Bundesamt/Sachverständigenrat, 22–025-02)

Das eingeschränkte Angebot bei gleichzeitig wieder dynamischer Nachfrage hat in vielen Volkswirtschaften weltweit zu steigenden Inflationsraten geführt. In Europa kam es zunächst zu steigenden Energiepreisen, die sich im Zusammenhang mit dem Krieg weiter erhöht haben. Zuletzt sind auch die Kerninflationsrate und der Nahrungsmittelpreise gestiegen [13].

Vor dem Krieg war man davon ausgegangen, dass sich die Nachfrage der Verbraucher in diesem Sommer wieder dynamisch entwickelt. Nicht zuletzt wegen des Angriffskrieges Russlands gegen die Ukraine ist die Konsumstimmung der Verbraucher jedoch weiterhin beeinträchtigt. Diese neue Krise überlagert sich mit den Auswirkungen COVID-19-Krise.

2.1 Hilfsmaßnahmen des Bundes und seine Auswirkungen

Der Staat hat sehr umfangreich auf die ökonomischen Auswirkungen der COVID-19-Pandemie reagiert. Die Hilfsmaßnahmen des Bundes, die laufend angepasst wurden und immer noch (Stand: April 2022) ausgezahlt werden, verhinderten einen noch stärkeren und länger anhaltenden Einbruch. Die Maßnahmen zielten darauf ab, Wirtschaftsstrukturen zu erhalten, die aufgrund der Pandemie vorübergehend in ihrer Tätigkeit eingeschränkt waren. Arbeitnehmer wurden durch das Kurzarbeitsgeld weiterhin an die Betriebe gebunden, Hilfszahlungen verhinderten die Insolvenz von Unternehmen [12] (Abb. 5).

Abb. 5.
figure 5

Die Corona-Zuschüsse im Überblick (BKWi/Sachverständigenrat, 21–363)

Die Hilfsmaßnahmen haben insgesamt verhindert, dass im Grunde gesunde Unternehmen durch die Corona-bedingten Einschränkungen zum Marktaustritt gezwungen wurden. So konnte trotz der Einschränkungen der Kapitalstock weitgehend erhalten bleiben. Normalerweise gibt es in Rezessionen mehr Insolvenzen als in konjunkturellen Hochphasen. In der Pandemie drehte sich dieses Phänomen durch die Unterstützung des Staates um. Das Gründungsverhalten im Laufe der Pandemie war sehr heterogen. Im Bereich des Einzelhandels gab es – etwa durch die Umstellung auf digitale Geschäftsmodelle – mehr Gründungen, während im Bereich des produzierenden Gewerbes weniger Gründungen beobachtet wurden.

In Deutschland wurden die Hilfsmaßnahmen anders umgesetzt als in anderen Ländern. In den USA etwa wurde die Arbeitslosigkeit in Kauf genommen und die Arbeitslosen unterstützt [12]. Durch kam es entsprechend mit dem Ende der Einschränkungen in größerem Umfang zu einer Reallokation von Arbeitskräften in zukunftsträchtige Branchen. Das deutsche Vorgehen ist volkswirtschaftlich vorteilhaft, wenn das jeweilige Unternehmen tatsächlich nur vorübergehend durch die Pandemie beeinträchtigt ist und es nach der Beendigung der Krise die Arbeit wieder vollumfänglich fortsetzen kann. Das Vorgehen ist jedoch dort problematisch, wo die Pandemie einen Strukturwandel auslöst, sodass bisherige Geschäftsmodelle unrentabel werden und aufgegeben oder substanziell umorganisiert werden müssten.

Für die Hilfszahlungen gab es in Deutschland genügend fiskalischen Spielraum, da aufgrund einer soliden Haushaltspolitik in den Jahren zuvor der deutsche Staatsschuldenstand am Anfang der COVID-19-Pandemie niedrig war. Durch die Hilfszahlungen stieg der Schuldenstand in Deutschland von rund 60% des Bruttoinlandsprodukts auf rund 70%, was verglichen mit dem Schuldenstand in anderen Staaten der Europäischen Union ein niedriger Wert ist. Italien beispielsweise hatte im Jahr 2021 einen Schuldenstand von etwa 150% des Bruttoinlandsprodukts.

Die anhaltende Inflation in Europa erfordert eine Straffung der Geldpolitik, die an den Finanzmärkten in Form von steigenden Zinsen bereits antizipiert wird. Die Herausforderung besteht nun darin, die Schuldentragfähigkeit der EU-Staaten auch bei höheren Zinsniveaus langfristig zu sichern. Hinsichtlich der kurzfristigen Tragfähigkeit der Staatsfinanzen steht Deutschland im Vergleich mit anderen EU-Staaten gut da [2, 6]. Die langfristige Perspektive ist dagegen vor allem deshalb eingetrübt, weil in Deutschland der staatliche Zuschuss zur gesetzlichen Rentenversicherung stark ansteigen wird [11] (Abb. 6).

Abb. 6.
figure 6

Teilweise hohe Staatsschuldenstände der EU-Mitgliedsstaaten (Europäische Kommission/Stabilitätsberichte der Mitgliedstaaten der EU/Sachverständigenrat, 21–432; Eurostat/EZB/Sachverständigenrat, 21–557)

2.2 Digitalisierung

Durch die Pandemie kam es zu einer erheblichen Beschleunigung des Strukturwandels im Bereich der Digitalisierung. Es wurden Fortschritte erreicht, die sonst erst innerhalb von etwa fünf Jahren zu erwarten gewesen wären. Deutschland startete dabei aus einer relativ schlechten Ausgangslage, beispielsweise wurde bei der Infektionskettenverfolgung mit Fax-Geräten gearbeitet. Im öffentlichen Dienst gibt es seit Jahren einen signifikanten Handlungsbedarf, denn die Digitalisierung konnte nicht so umfangreich vorangetrieben werden, wie es notwendig wäre. Während der Pandemie haben digitale Lösungen es Menschen und Unternehmen möglich gemacht, den neuen Herausforderungen besser zu begegnen. Eine wichtige Erkenntnis – insbesondere mit Blick auf die Digitalisierung von Prozessen – ist, dass die Wirtschaft schneller und flexibler reagierte als die öffentliche Verwaltung und öffentliche Einrichtungen [11, 12].

2.3 Bildung

Im internationalen Vergleich hat es in Deutschland sehr umfangreiche Schulschließungen gegeben. Je nach Bundesland dauerten die Phasen mit Distanzunterricht 31 bis 39 Wochen. Zu Beginn der Pandemie traf dies auf eine allenfalls moderate Digitalisierung in den Schulen. Lehrkräfte mussten mangels schulischer Ausstattung auf private digitale Endgeräte zurückgreifen und die Ausstattung der Schüler erschwerte den Zugang zum Distanzunterricht (Abb. 7).

Abb. 7.
figure 7

Digitalisierung an Schulen in Deutschland und Europa (Drossel et. Al 2019, Eickelmann et al. 2014, 2019; Murmann und Hartwig 2021/Sachverständigenrat, 21–504; Drossel et. al 2019, Eickelmann et al. 2014, 2019; Murmann und Hartwig 2021/Sachverständigenrat, 21–504)

Im Laufe der Pandemie waren Verbesserungen zu beobachten, die Digitalisierung der Schulen ist jedoch immer noch unzureichend und muss dringend verbessert werden (Abb. 8).

Abb. 8.
figure 8

Voraussetzungen für häusliches Lernen nach Einkommen und Bildung der Eltern (Nationales Bildungspanel (NEPS) Startkohorte 2, Welle 9 und Corona Sondererhebung Frühjahr 2020 (Blossfeld et al. 2011)/Sachverständigenrat, 21–244)

In der Omikron-Welle gab es keine weitgehenden Schulschließungen mehr. Doch es akkumulierten sich – von der Öffentlichkeit recht wenig beachtet – Lernrückstände. Immer wieder fielen Lehrerinnen und Lehrer aufgrund von COVID-19-Infektionen aus, auch viele Schülerinnen und Schüler mussten sich in Quarantäne begeben und konnten so dem Unterricht nicht vollumfänglich folgen [9]. In Phasen, in denen auch Kontaktpersonen in Quarantäne mussten, kam es häufig zu wochenlangen Ausfällen. Betroffen waren vor allem die niedrigen Einkommensschichten: Engere Wohnverhältnisse und die typischerweise damit einhergehenden häufigeren Kontakte führen zu mehr Infektionen; die Lernbedingungen von Schülerinnen und Schülern aus Haushalten mit niedrigem Einkommen sind zudem durch die geringere Verfügbarkeit digitaler Endgeräte und geeigneter Lernumgebungen schlechter als in denen mit höherem Einkommen.

3 Herausforderungen

Es existiert eine Vielzahl von Herausforderungen, die unmittelbar in den Blick genommen werden müssen:

  • Fiskal- und Geldpolitik müssen trotz der immer noch gedämpften Wirtschaftsentwicklung normalisiert werden. Es ist insbesondere wichtig, den Ausstieg aus solchen Maßnahmen einzuleiten, die den Strukturwandel bremsen, der sich durch die Pandemie, aber auch durch das Ziel der Transformation zur Klimaneutralität beschleunigen muss [1, 5]. Dies ist besonders herausfordernd in einem wirtschaftlichen Umfeld mit niedrigem Wachstum und hoher Inflation. Hier wird es darauf ankommen, zielgerichtet Härten für untere Einkommensgruppen abzufedern.

  • Aus dem Ukrainekrieg ergeben sich zusätzliche Herausforderungen: Deutschland muss Energiesicherheit und Verteidigungsfähigkeit herstellen sowie seine Handelsbeziehungen hinterfragen, die insbesondere auf Abhängigkeiten überprüft und entsprechend angepasst werden müssen [10, 13]. Die aus der Pandemie resultierende Erwartungshaltung der Bevölkerung, dass es bei zukünftigen Belastungen stets eine weitgehende Unterstützung und Schutz durch den Staat gibt, sollte kommunikativ relativiert werden. Die neuen Rahmenbedingungen implizieren, dass wir relativ zu den Erwartungen, die vor dem Krieg bestanden, einen Wohlstandsverlust hinnehmen müssen.

  • Die notwendige Straffung der Geldpolitik könnte hoch verschuldete Staaten in Bedrängnis bringen. Die Bekämpfung der Inflation muss dennoch oberste Priorität haben, denn der mittelfristige Schaden dürfte höher sein, wenn die EU die Inflation nicht in den Griff bekommt [6].

  • Die Reaktionsfähigkeit in Krisenzeiten muss verbessert werden. Erreicht werden kann das vor allem durch eine bessere Koordination in der EU, mehr Digitalisierung und resilientere Lieferketten [3, 13].

  • Lern- und Bildungsrückstände aus der Pandemie müssen aufgeholt werden. Denn die akkumulierten Lernrückstände sind nicht nur für die betroffenen Individuen, sondern auch volkswirtschaftlich hochproblematisch. Nicht zuletzt aufgrund des zunehmenden Fachkräftemangels gilt es, das gesamte Potential an hochqualifizierten Arbeitskräften zu mobilisieren. Zum einen ist es wichtig, das Bildungssystem zu digitalisieren. Zum anderen muss dringend die Bildungsgerechtigkeit erhöht werden [7]. Jede Schülerin und jeder Schüler muss Unterstützung dabei erhalten, seine Lernrückstände aufzuholen. Das ist auch deshalb eine besondere Herausforderung, weil es gilt, die Scham von Schülerinnen und Schüler zu überwinden, sich als von der Pandemie beeinträchtigt zu offenbaren.

  • Bei der Diskussion um die Impfpflicht sollte berücksichtigt werden, dass bei niedrigen Impfraten in künftigen COVID-19-Wellen erneut die Berufsausübung eingeschränkt sein könnte oder Jugendliche bei Beeinträchtigung des Bildungssystems weitere Lernrückstände akkumulieren könnten [8]. Dies gilt es vorausschauend in die Überlegungen einzubeziehen.