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1 Rolle des Vertrauens in der Pandemie

Im Rahmen der Pandemie wurde ausgiebig über Vertrauen oder den Mangel an Vertrauen geredet und welche Rolle Vertrauen für unterschiedliche Formen der Entscheidung gespielt hat. Ein Team der Universität Erfurt erhob im Rahmen der COSMO-Studie beispielsweise Daten dazu, wie hoch das Vertrauen der Bevölkerung in verschiedene Akteure war, etwa in Ärztinnen und Ärzte, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die Gesundheitsämter und die Bundesregierung im Laufe der Pandemie war [1]. Auch in den Medien wurde die Rolle von Vertrauen in der Pandemie thematisiert. So wurde beispielsweise mit Blick auf Dänemark argumentiert, dass die Impfbereitschaft dort so hoch sei, weil die Dänen ein großes Vertrauen in das politische System hätten.

2 Vertrauen in der Philosophie

Was aber ist Vertrauen? Einer der wichtigsten Analysen zum Thema Vertrauen in der Philosophie ist der Artikel „Trust and Antitrust“ von Annette Baier aus dem Jahre 1986 [2]. Sie zitiert zu Beginn dieses Artikels Sissela Bok (1978), die schreibt: „Whatever matters to human beings, trust is the atmosphere in which it thrives“ [3]. (Was auch immer dem Menschen wichtig ist, Vertrauen ist die Atmosphäre, in der es gedeiht.) Das klingt zunächst so, als wäre Vertrauen immer positiv zu bewerten. Annette Baier revidiert diese Position aber unmittelbar, indem sie schreibt, dass nicht nur Gerechtigkeit und Freundschaft, sondern auch Ausbeutung und Verschwörungen, sich besser in einer Atmosphäre des Vertrauens entwickeln. („Exploitation and conspiracy, as much as justice and fellowship, thrive better in an atmosphere of trust‟).

Vertrauen ist also deutlich ambivalenter und dies wird auch deutlich in Baiers Definition von Vertrauen: „Trust then… is accepted vulnerability to another`s possible but not expected ill will (or lack for good will) toward one.“ (Vertrauen ist dann… die akzeptierte Anfälligkeit für den möglichen, aber noch nicht erwarteten bösen Willen – oder den Mangel an gutem Willen – des anderen.) Das heißt, wenn man vertraut, macht man sich verletzlich, etwa dafür, dass der andere einen im Stich lässt. Am Ende ihres Artikels schreibt Baier: „Trust is a fragile plant, which may not endure inspection of its roots, even when they were, before the inspection, quite healthy.” (Vertrauen ist eine zerbrechliche Pflanze, die eine Inspektion ihrer Wurzeln möglicherweise nicht übersteht, selbst wenn sie vor der Inspektion völlig gesund waren.) Das bedeutet: Vertrauen wird oft dann thematisiert, wenn es brüchig wird, wenn es nicht mehr als gegebener Hintergrund wahrgenommen wird, sondern wenn es in Frage gestellt wird.

Wenn wir die Einsichten von Baier ernst nehmen, so kann man Vertrauen verstehen als akzeptierte Verletzlichkeit (Vulnerabilität). Vertrauen spielt dort eine Rolle, wo man keine Sicherheit hat, keine Gewissheit hat. Vertrauen ist zudem immer auch ein relationales Konzept: A vertraut B in Bezug auf X. Was heißt das? Man wird sehr wenigen Menschen in Bezug auf alles vertrauen, sondern man vertraut Personen in Bezug auf etwas Bestimmtes. Zum Beispiel vertraut man seinen Ärzten in Gesundheitsfragen, aber nicht, wenn es um die Reparatur des Autos geht.

Wir verwenden den Begriff Vertrauen zur Beschreibung sehr verschiedener Relationen. Da wäre zunächst das Vertrauen in andere Personen. Dabei muss man unterscheiden beispielsweise zwischen Vertrauensbeziehung zwischen Partnern, zwischen Eltern und Kindern, zwischen Fremden oder zwischen professionellen Rollen. Für alle diese Relationen verwenden wir den Begriff des Vertrauens, meinen aber oft etwas sehr Unterschiedliches. Wir verwenden den Begriff des Vertrauens aber auch, um unsere Relationen zu Institutionen zu beschreiben, etwa zur Bundesregierung, zur Ständigen Impfkommission (STIKO) oder zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Wir sprechen weiterhin von dem Vertrauen in abstrakte Entitäten, beispielsweise von Vertrauen in die Wissenschaft, die Politik und die Medien, obwohl wir wissen, dass diese Entitäten jeweils ganz unterschiedliche Akteure umfassen. Vertrauen wird häufig erst dann zum Thema, wenn es in Frage gestellt wird und ist schwer wieder herzustellen, wenn es verloren ist.

3 Vertrauen und Wissenschaft

Um das Vertrauen in der Pandemie zu verstehen, ist das Verhältnis von Wissen und Vertrauen beziehungsweise von Wissenschaft und Vertrauen von besonderem Interesse. Es gibt einen Grund, warum in der Philosophiegeschichte Vertrauen lange sehr skeptisch betrachtet wurde: Ist Wissenschaft und Wissen nicht das Gegenteil von Vertrauen? Schließlich existiert seit der Aufklärung das Ideal eines selbstständigen Erkennenden, der eben nicht Autoritäten blind vertrauen und nicht dem Zeugnis anderer einfach folgen soll. Dieses Ideal ist einer der Gründe, warum das Konzept des Vertrauens sehr lange in der Philosophie, insbesondere in der Erkenntnistheorie und Wissenschaftstheorie, kaum beleuchtet wurde.

Einer der ersten in der Wissenschaftstheorie, der sich mit dem Thema Vertrauen beschäftigt hat, ist John Hartwig. Er zitiert zu Beginn seines Artikels „Role of Trust in Knowledge‟ [4] Arnold S. Relman: „It seems paradoxical that scientific research, in many way one of the most questioning and skeptical of human activities, should be dependent on personal trust. But the fact is that without trust the research enterprise could not function… Research is a collegial activity that requires its practitioners to trust the integrity of their colleagues.‟ (Es erscheint paradox, dass die wissenschaftliche Forschung, die in vielerlei Hinsicht eine der kritischsten und skeptischsten menschlichen Tätigkeiten ist, von persönlichem Vertrauen abhängig sein soll. Aber Tatsache ist, dass der Forschungsbetrieb ohne Vertrauen nicht funktionieren kann… Forschung ist eine kollegiale Tätigkeit, die es erfordert, dass Forscher auf die Integrität ihrer Kollegen vertrauen.) Daraus zieht Hartwig folgenden Schluss: „Modern knowers cannot be independent and self-reliant, not even in their own full of specialization. In most disciplines, those who do not trust cannot know; those who do not trust cannot have the best evidence for their believe. In an important sense, then, trust is often epistemologically even more basic than empirical data or logical arguments: the data and the arguments are available only through trust. If the metaphor of foundation is still useful, the trustworthiness of members of epistemic communities is the ultimate foundation for much of our knowledge.‟ (Moderne Wissende können nicht unabhängig und selbständig sein, nicht einmal in ihrem eigenen Fachgebiet. In den meisten Disziplinen kann derjenige, der nicht vertraut, nicht wissen; derjenige, der nicht vertraut, kann nicht die besten Beweise für seine Überzeugungen haben. In einem wichtigen Sinne ist Vertrauen also oft erkenntnistheoretisch noch grundlegender als empirische Daten oder logische Argumente: Die Daten und Argumente sind nur durch Vertrauen verfügbar. Wenn die Metapher des Fundaments noch brauchbar ist, dann ist die Vertrauenswürdigkeit der Mitglieder von epistemischen Gemeinschaften die ultimative Grundlage für einen Großteil unseres Wissens).

Zusammengefasst heißt das: Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler müssen sich gegenseitig vertrauen – einerseits bezüglich der Kompetenz und andererseits bezüglich ihrer Ehrlichkeit. Besonders wichtig ist zudem, was Hartwig als angemessene epistemische Selbsteinschätzung beschreibt: Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler müssen die Grenzen ihres Wissens kennen und diese auch klar benennen können. Vertrauen und Vertrauenswürdigkeit hat also sowohl eine Wissenskomponente als auch eine moralische Komponente.

4 Ist Vertrauen immer gut?

Auf den ersten Blick erscheint es so als wäre Vertrauen etwas, was wir uns wünschen sollten. Doch falsch gesetztes Vertrauen macht verwundbar. Wir können zwei Fehler begehen, wenn wir vertrauen: Entweder man vertraut denen, die nicht vertrauenswürdig sind. Dieser Fehler steht häufig im Fokus der Aufmerksamkeit. Oder wir vertrauen jemandem oder etwas nicht, obwohl er oder es vertrauenswürdig gewesen wäre. Beide Fehler führen zu epistemischen, moralischen und praktischen Schäden. Entweder wir erleiden Schäden durch falsches Vertrauen oder wir leiden darunter, dass wir nicht vertraut haben und dass uns dadurch Wissen oder Möglichkeit entgehen.

5 Vertrauen und Vertrauenswürdigkeit

Wann und wem sollten wir also vertrauen? Kurz gesagt: Man sollte denen und nur denen vertrauen, die vertrauenswürdig sind. Vertrauenswürdige Akteure sind kompetent, ehrlich und kennen die Grenzen ihrer Kompetenz [4]. Sie sind dem Vertrauenden gegenüber wohlwollend gesinnt [3] und berücksichtigen in ihrem Handeln dessen Wünsche und Interessen.

Doch wir sind niemals nur Vertrauende, sondern spätestens in der Rolle als Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, als Beratende, sind wir immer auch gefordert, vertrauenswürdig zu sein. Dies bedeutet einerseits, kompetent zu sein in dem, was man tut, aber auch darum, die Grenzen der eigenen Kompetenz zu erkennen und sie gegenüber dem Ratsuchenden offenzulegen. Moralisch geht es darum, dass wir gegenüber den Ratsuchenden ehrlich und wohlwollend sein müssen.

6 Fehlverhalten von Akteuren

In der Pandemie gab es Phasen mit großer epistemischer Unsicherheit: Es mangelte an Wissen und das relevante Wissen für bestimmte Fragestellungen war sehr weit verteilt. Es herrschte aber auch erhebliche moralische Unsicherheit aufgrund von Wert- und Zielkonflikten. Und es existierte eine hohe Vulnerabilität. Es bestand die Notwendigkeit unter großer Unsicherheit, mit großen Zielkonflikten und möglicherweise massiven Folgen von Fehlentscheidungen zu handeln und zu entscheiden. Daraus folgt, dass Vertrauen, Vertrauenswürdigkeit und Verantwortlichkeit im Handeln essenziell waren.

Daraus wiederum ergeben sich für epistemische und moralische Pflichten für die Akteure – für die Politik, für die Medien, die sozialen Medien, für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler und für uns alle als Bürgerinnen und Bürger. Nicht immer wurde diesen Pflichten nachgekommen. Zwei Beispiele: Donald Trump hat in einem Tweet geäußert, dass man sich zur Bekämpfung der COVID-19-Infektion Desinfektionsmittel injizieren könne [5]. Medien wie die BBC führten Faktenchecks ein, um solchen Fehlinformationen etwas entgegenzusetzen und deren gefährliche Folgen zu verhindern. Das zweite Beispiel stammt aus Österreich, wo FPÖ-Chef Herbert Kickl gegen Impfungen und für Studien mit einem Entwurmungsmittel aussprach [6]. Die Falschinformationen zu dem Entwurmungsmittel hat dann die deutsche Tagesschau richtiggestellt [7], damit keine Menschen zu Schaden kommen. In diesen beiden Beispielen sind also die Medien korrektiv dem Fehlverhalten von bestimmten politischen Akteuren entgegengetreten.

Andererseits gibt es Fälle, in denen selbst öffentlich-rechtliche Sender ihren epistemischen und moralischen Pflichten nicht ausreichend nachgekommen sind. So hat Martin Lanz in seiner Talkshow eine hochgradig irreführende Grafik mit dem Titel „Der Impfeffekt“ falsch interpretiert. Dabei folgerte er aus der Grafik, dass die Impfung bei über 60-jährigen Menschen weniger Wirkung zeige als bis dahin angenommen – eine unzutreffende Folgerung [8].

Zur Rolle der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ist zu fragen, ob es für sie eine Pflicht gibt, sich an öffentlichen Diskursen zu beteiligen, insbesondere dann, wenn die Expertise dort zu fehlen scheint. Im Falle einer Beteiligung am öffentlichen Diskurs ist es dann wiederum geboten, dass Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler offenlegen, wann sie oder er als Expertin oder Experte spricht und wann nur als informierte Bürgerin oder informierter Bürger.

Für jede Bürgerin und jeden Bürger ergeben sich ebenfalls moralische und epistemische Pflichten im Umgang mit Wissen und Wissenschaft. Niemand sollte blind vertrauen, sondern es geht immer um ein Wechselverhältnis zwischen Vertrauen und Wachsamkeit, sowohl gegenüber anderen als auch gegenüber sich selbst. Manchmal ist vielleicht der andere der besser informierte, und man muss folglich immer auch seine eigene Kompetenz infrage stellen oder deren Grenze kennen. Das heißt, man benötigt Einsicht in und die adäquate Berücksichtigung des eigenen Wissens und dessen Grenzen. Dies beinhaltet auch, Informationen zu berücksichtigen und fair zu bewerten, die dem eigenen Meinungsbild möglicherweise widersprechen. Da spielen Fragen herein wie: Wie geht man mit Medien um? Welche Statistikkenntnisse sind notwendig? Und letztlich stellt sich die Frage, ob es auch als Bürgerin oder Bürger eine Pflicht zum Widerspruch gibt, wenn andere falsche und möglicherweise schädliche Thesen öffentlich verbreiten.