1 Einführung

Die Prognose des Maschinenverhaltens unter Berücksichtigung des Zerspanungsprozesses mithilfe der Simulation ist seit Jahrzehnten ein wichtiges Forschungsfeld innerhalb der Produktionstechnik. Insbesondere die Prozesssimulation stellt hohe Ansprüche an die verwendeten Simulationswerkzeuge.

Die Vorhersage der dynamischen Stabilität von Zerspanungsprozessen wird seit den 1950er-Jahren beispielsweise von Tlusty [1], Tobias [2] und Merrit [3] untersucht. Analytische Ansätze wurden in zahlreichen Publikationen von Altintas [4, 5] veröffentlicht. Henninger [6] und Chanda [7] wenden numerische Methoden auf diese Problemstellung an.

Die Verwendung von Simulationsmodellen in Verbindung mit realen CNC-Steuerungssystemen hat in den letzten zwei Jahrzehnten eine große Verbreitung in vielen Bereichen der Forschung und Entwicklung erfahren. Angefangen bei der Hardware-in-the-Loop Simulation (HiLS) für die Virtuelle Inbetriebnahme von CNC-Steuerungssystemen [8] bis hin zu simulationsbasierten Methoden für die Zustandsüberwachung oder der modellprädiktiven Bahnplanung [9].

Abb. 5.1
figure 1

Virtuelle Inbetriebnahme realer CNC-Steuerungssysteme mithilfe der Hardware-in-the-Loop Simulation unter Berücksichtigung der Prozessstabilität (bspw. Fräsprozess)

Aufgrund der üblicherweise sehr kleinen CNC-Steuerungstakte von ca. \(1\,ms\) ist eine hocheffiziente Simulation des Maschinenverhaltens erforderlich. Die Wechselwirkungen zwischen Zerspanungsprozess und Werkzeugmaschine haben dabei einen maßgeblichen Einfluss auf das Fertigungsergebnis und können in einer Simulation zur prozessorientierten Inbetriebnahme nicht vernachlässigt werden. Die tatsächlich auftretenden Prozesskräfte hängen von den Bewegungs- und Geschwindigkeitsprofilen der CNC ab und variieren stark in Abhängigkeit des CNC-Programms, aufgrund der eingestellten Steuerungsparametern sowie der implementierten CNC-Algorithmik für Bahnplanung, Bahninterpolation und Look-Ahead. Dies führt zu unterschiedlichen mechanischen Anregungen der Werkzeugmaschine und damit auch zu unterschiedlichen Bearbeitungsergebnissen, welche ausschließlich mithilfe einer steuerungsgekoppelten Echtzeitsimulation prognostiziert werden können. Abb. 5.1 zeigt das Strukturbild eines simulationsbasierten Inbetriebnahmeprozesses realer CNC-Steuerungssysteme mithilfe der HiLS (Virtuelle Inbetriebnahme).

In diesem Beitrag wird ein Ansatz zur Modellierung und Echtzeitsimulation von Zerspanungsprozessen vorgestellt, um Prozesskräfte und Prozessinstabilitäten in einer HiLS für die Virtuelle Inbetriebnahme von Steuerungssystemen berücksichtigen zu können. Dieser Beitrag stellt eine gekürzte Fassung des in [10] veröffentlichten Ansatzes dar.

2 Dexelbasiertes Zerspanungsmodell zur Berechnung der Spandicke

Die Geometrie des Werkstücks wird durch eine definierte Anordnung sogenannter Dexel approximiert. Ein einzelnes Dexel stellt einen (begrenzten) geometrischen Strahl dar, welcher das Werkstück durchdringt und durch das Geradensegment.

$${\overset{\rightharpoonup}{r}}_{i}={\overset{\rightharpoonup}{r}}_{b,i}+\lambda \left({\overset{\rightharpoonup}{r}}_{e,i}-{\overset{\rightharpoonup}{r}}_{b,i}\right)$$
(5.1)

mit dem Anfangspunkt \({\overset{\rightharpoonup}{r}}_{b,i}\) sowie dem Endpunkt \({\overset{\rightharpoonup}{r}}_{e,i}\) mathematisch beschrieben wird. Abhängig von der Platzierung und Länge der einzelnen Dexel können Werkstücke unterschiedlicher Form abgebildet werden.

Spandickenberechnung

Abb. 5.2 zeigt das Prinzip der Spandickenberechnung auf Basis eines ebenen Dexelmodells.

Das durch die Spindelrotation bedingte Schneidenpfadsegment \({\overset{\rightharpoonup}{p}}_{j}\) der \(j\)-ten Schneidkante wird durch Linearinterpolation zwischen aktueller Schneidenposition \({\overset{\rightharpoonup}{e}}_{j,n}\) zum Zeitpunkt \({t}_{n}\) und vorangegangener Position \({\overset{\rightharpoonup}{e}}_{j,n-1}\) zum Zeitpunkt \({t}_{n}-\Delta t\) mit der konstanten Zeitschrittweite \(\Delta t\) approximiert. Aus dem Kreuzungspunkt \({\overset{\rightharpoonup}{c}}_{ij}\) zwischen Schnittdexel \({\overset{\rightharpoonup}{r}}_{i}\) und dem Schneidenpfadsegment \({\overset{\rightharpoonup}{p}}_{j}\) wird die partielle Spandicke \({h}_{ij}\) berechnet.

Die partielle Spandicke \({h}_{ij}\) eines jeden Dexel \({\overset{\rightharpoonup}{r}}_{i}\) ist die skalare Projektion des gekappten Dexelsegments \({\overset{\rightharpoonup}{c}}_{ij}-{\overset{\rightharpoonup}{r}}_{b,i}\) auf die Verbindungslinie \({\overset{\rightharpoonup}{c}}_{ij}-{\overset{\rightharpoonup}{r}}_{TCP}\) zwischen dem Kreuzungspunkt \({\overset{\rightharpoonup}{c}}_{ij}\) und dem Werkzeugmittelpunkt (TCP) \({\overset{\rightharpoonup}{r}}_{TCP}\). Die resultierende Spandicke \({h}_{j}\) der \(j\)-ten Schneidkante kann somit als arithmetisches Mittel aller partiellen Spandicken \({h}_{ij}\) eines Schneidenpfadsegments \({\overset{\rightharpoonup}{p}}_{j}\) mit den Indices \({i}_{b}\le i\le {i}_{e}\) bestimmt werden.

$${h}_{ij}=\left|\frac{{\left({\overset{\rightharpoonup}{c}}_{ij}-{\overset{\rightharpoonup}{r}}_{TCP}\right)}^{T}\,\cdot\,\left({\overset{\rightharpoonup}{c}}_{ij}-{\overset{\rightharpoonup}{r}}_{b,i}\right)}{\left|{\overset{\rightharpoonup}{c}}_{ij}-{\overset{\rightharpoonup}{r}}_{TCP}\right|}\right| \Rightarrow {h}_{j}=\frac{1}{{i}_{e}-{i}_{b}}\sum_{i={i}_{b}}^{{i}_{e}}{h}_{ij}$$
(5.2)
Abb. 5.2
figure 2

Berechnung der Spandicke auf Basis eines Dexelmodells

Bei kleinen Spindeldrehzahlen \(\Omega\) sowie bei kleinen Zeitschrittweiten \(\Delta t\) kann es vorkommen, dass das Schneidenpfadsegment \({\overset{\rightharpoonup}{p}}_{j}\) zwischen zwei Dexeln liegt und ein Kreuzungspunkt \({\overset{\rightharpoonup}{c}}_{ij}\) nicht direkt berechnet werden kann. In diesem Fall wird exakt an der Position \({\overset{\rightharpoonup}{e}}_{j}\) ein neues Dexel eingefügt, was zu einer problemangepassten Verteilung von Dexeln innerhalb des Werkstücks und zu einer höheren Genauigkeit bei der Spandickenberechnung führt. Abb. 5.3 zeigt die Entwicklung der Dexelanzahl, während ein Fräser in ein rechteckiges Werkstück mit anfangs \({N}_{D}=20\) Dexeln eindringt. Die Anzahl der Dexel nimmt dabei nur solange zu, bis der Fräser vollständig in das Werkstück eingedrungen ist.

Schnittkraftberechnung

Die auf jede Schneidkante wirkenden radialen und tangentialen Schnittkräfte hängen von der Spandicke \({h}_{j,n}\) zum Zeitpunkt \({t}_{n}\) ab und können durch

$$\begin{array}{l}{F}_{rj,n}={k}_{r}a{h}_{j,n}\\ {F}_{tj,n}={k}_{t}a{h}_{j,n}\end{array}$$
(5.3)

mit den radialen und tangentialen Schnittkoeffizienten \({k}_{r}\) and \({k}_{t}\) sowie der Schnitttiefe \(a\) bestimmt werden [4]. Durch Transformation der radialen und tangentialen Schnittkräfte in xy-Koordinaten mithilfe der Rotationsmatrix \(\Phi \left({\phi }_{j,n}\right)\) in Abhängigkeit des Drehwinkels \({\phi }_{j,n}=\Omega {t}_{n}+\frac{2\pi }{N}j\) der \(j\)-ten Schneidkante und Summation aller im Eingriff befindlichen Schneidkanten kann die am Fräser angreifende Gesamtkraft

$$\left(\begin{array}{c}{F}_{x,n}\\ {F}_{y,n}\end{array}\right)=\sum_{j=0}^{N-1}\left[\Phi \left(\Omega {t}_{n}+\frac{2\pi }{N}j\right)\right]\left(\begin{array}{c}{F}_{rj,n}\\ {F}_{tj,n}\end{array}\right)$$
(5.4)

sowie das resultierende Axialmoment

$${T}_{n}={r}_{T}\sum_{j=0}^{N-1}{F}_{tj,n}$$
(5.5)

mit dem Fräserradius \({r}_{T}\) berechnet werden.

Abb. 5.3
figure 3

Entwicklung der Dexelanzahl (dunkle Bereiche stellen eine hohe Dexeldichte dar)

3 Simulationsergebnisse und Validierung

Zur Validierung der Prognosefähigkeit des Ansatzes für dynamische Kräfte und Prozessstabilität (Rattern), wurde ein schwingfähiges Modell mit einem Freiheitsgrad in Vorschubrichtung mit dem Schnittkraftmodell gekoppelt. Mit diesem einfachen Schwingungsmodell können analytische Ergebnisse zur Validierung herangezogen werden.

Schwingungsmodell mit einem Freiheitsgrad

Das Schwingungsmodell kann als ein durch die Schnittkräfte angeregter Einmassenschwinger mit einem Feder-Dämpfer-Element zwischen Werkzeugmittelpunkt und Werkzeugaufnahme aufgefasst werden (Abb. 5.4), dessen Bewegungsgleichung durch

$$\ddot{x}+2D{\omega }_{0}\dot{x}+{\omega }_{0}^{2}x={\omega }_{0}^{2}u+\frac{{\omega }_{0}^{2}}{{k}_{0}}{F}_{x}\left(\Omega ,a\right)$$
(5.6)
Abb. 5.4
figure 4

Schwingungsmodell mit einem Freiheitsgrad

gegeben ist, wobei \(x\) die Werkzeug-Istposition und \({F}_{x}\) die durch das Dexelmodell berechnete Schnittkraft in Vorschubrichtung in Abhängigkeit der Spindeldrehzahl \(\Omega\) und der Schnitttiefe \(a\) darstellen. Des Weiteren ist \(u\) die Werkzeug-Sollposition, \({\omega }_{0}\) eine natürliche Eigenfrequenz der Spindel, \(D\) der Dämpfungsgrad und \({k}_{0}\) die Gesamtsteifigkeit von Spindel und Werkzeug.

Aufgrund der harten Echtzeitbedingungen einer CNC-gekoppelten HiLS wird zur Lösung von Gl. (5.6) eine äußerst recheneffiziente Methode für die numerische Zeitintegration, das sogenannte symplektische Eulerverfahren (Semi-implizites Eulerverfahren), herangezogen. Dabei werden für jeden Zeitschritt \({t}_{n+1}={t}_{n}+\Delta t\) die nachfolgend aufgeführten Integrationsschritte mit den Anfangsbedingungen \({x}_{n}={x}_{0}\) und \({v}_{n}={\dot{x}}_{0}\) ausgeführt:

$$\begin{aligned}&{\alpha}_{n}=-2D{\omega }_{0}{v}_{n}-{\omega }_{0}^{2}{x}_{n}+{\omega }_{0}^{2}{u}_{n}+\frac{{\omega }_{0}^{2}}{{k}_{0}}{F}_{x,n}\\&{v}_{n+\frac{1}{2}}={v}_{n}+\frac{\Delta t}{2}{\alpha}_{n} \\& {x}_{n+\frac{1}{2}}={x}_{n}+\frac{\Delta t}{2}{v}_{n+\frac{1}{2}} \\& {\alpha}_{n+\frac{1}{2}}=-2D{\omega }_{0}{v}_{n+\frac{1}{2}}-{\omega }_{0}^{2}{x}_{n+\frac{1}{2}}+{\omega }_{0}^{2}{u}_{n}+\frac{{\omega }_{0}^{2}}{{k}_{0}}{F}_{x,n} \\& {v}_{n+1}={v}_{n+\frac{1}{2}}+\frac{\Delta t}{2}{\alpha}_{n+\frac{1}{2}} \\& {x}_{n+1}={x}_{n+\frac{1}{2}}+\frac{\Delta t}{2}{v}_{n+1}\end{aligned}$$
(5.7)

Die explizite Berechnungsabfolge in Gl. (5.7) erfordert dabei lediglich eine einmalige Berechnung der Schnittkraft \({F}_{x}\) anhand des Dexelmodells pro Zeitschritt, was den rechenintensivsten Teil der Berechnung darstellt.

Transiente Analyse – Eindringen des Werkzeugs

Aus der transienten Simulation gehen die dynamischen Prozesskräfte hervor, welche beim Eindringen in das Werkstück entstehen. Es wird dabei die in Tab. 5.1 aufgeführte Parametrierung verwendet.

Tab. 5.1 Parametrierung des Modells

Die Ergebnisse der Simulation sind für die Schnitttiefe \({{a}}=0.01\,\boldsymbol{ }[{m}]\) (Prozess stabil) in Abb. 5.5 und für \({{a}}=0.03\,\boldsymbol{ }[{m}]\) (Prozess instabil) in Abb. 5.6 dargestellt. Im stabilen Fall stellt sich eine stationäre Kraft \({{F}}_{{x}}\) ein, sobald das Werkzeug vollständig in das Werkstück eingedrungen ist, da sich im Idealfall immer die gleiche Anzahl an Schneiden im Eingriff befinden und sich somit ein symmetrisches Kräftegleichgewicht einstellt (Abb. 5.5).

Abb. 5.5
figure 5

Transiente Simulation mit Schnitttiefe \({a}=0.01\,\boldsymbol{ }[{m}]\). Der Prozess ist stabil

Im Falle einer Prozessinstabilität beginnt die Kraft \({{F}}_{{x}}\), und damit auch die Werkzeugposition \({{x}}\), mit der Ratterfrequenz \({{\omega}}_{{c}}\approx 530\,\boldsymbol{ }\left[rad/s\right]\), welche nahe der natürlichen Eigenfrequenz \({{\omega}}_{0}=500\,\boldsymbol{ }\left[rad/s\right]\) der Spindel liegt, zu oszillieren. Das Werkzeug kann dabei den Kontakt zum Werkstück verlieren („zero cut“). Bei bestimmten Schnitttiefe-Spindeldrehzahl-Kombinationen verursacht die angeregte Eigenschwingung des Systems einen periodischen Spandickenverlauf und somit eine Welligkeit auf der Oberfläche des Werkstücks. Beim erneuten Eingriff des Werkzeugs führt die Welligkeit zur Selbstanregung des Systems, welche ein Aufschaukeln und damit eine Prozessinstabilität hervorrufen kann (Abb. 5.6).

Abb. 5.6
figure 6

Transiente Simulation mit Schnitttiefe \({a}=0.03\,\boldsymbol{ }[{m}]\). Der Prozess ist instabil

Dieser Regenerativeffekt wird auch als regeneratives Rattern bezeichnet. Die transiente Analyse zeigt, dass dieser Effekt durch das Modell gut abgebildet wird.

Validierung anhand von analytischen Stabilitätsdiagrammen

Eine verlässliche Prognose von Ratterschwingungen ist essenziell für die Virtuelle Inbetriebnahme von Fräsprozessen. Zur Validierung der Prognosefähigkeit wurden mehrere Simulationsläufe nach Abb. 5.5, 5.6 und Tab. 5.1 mit unterschiedlichen Spindeldrehzahlen durchgeführt und solange die Schnitttiefe variiert, bis die Prozesskraft Instabilität anzeigt. Die Ergebnisse wurden anschließend mit den nach Altintas und Budak in [4] analytisch ermittelten Stabilitätsdiagrammen (Stability Lobes) verglichen. Im Diagramm in Abb. 5.7 ist die Schnitttiefe \(a\) über der Spindeldrehzahl \(\Omega\) dargestellt, wobei die analytisch berechnete kritische Schnitttiefe \({a}_{\text{lim}}\) den auf Basis des Dexelmodells ermittelten stabilen und instabilen Simulationsergebnissen gegenübergestellt wird. Aus Abb. 5.7 wird eine sehr gute Übereinstimmung des dexelbasierten Ansatzes mit der analytischen Lösung für Spindeldrehzahlen zwischen \(\Omega =200\, \left[1/min\right]\) und \(\Omega =600\,\left[1/min\right]\) deutlich. Die Prozesskraftverläufe \({{F}}_{{x}}\) bei einer Spindeldrehzahl \(\Omega =600\,\left[1/min\right]\) für Schnitttiefen an der Stabilitätsgrenze (\(a=\text{16,17,18}\,mm\)) sind beispielhaft in Abb. 5.8 dargestellt.

Abb. 5.7
figure 7

Validierung der Prognosefähigkeit für die Prozessstabilität

Abb. 5.8
figure 8

Simulierte Prozesskraftverläufe an der Stabilitätsgrenze mit dem Dexelmodell

Echtzeitfähigkeit

Die Echtzeitfähigkeit wird mithilfe des Echtzeitfaktors (engl. „real-time factor“, \(RT\!F\))

$$RT\!F=\frac{{t}_{cpu}}{{t}_{sim}}$$
(5.8)

angegeben, wobei \({t}_{sim}\) das Simulationszeitintervall und \({t}_{cpu}\) die für die Ausführung der Simulation im Zeitintervall benötigte CPU-Zeit darstellt. Der \(RT\!F\) muss bei Echtzeitsimulationen unter 1 liegen. In Abb. 5.9 ist der Zeitverlauf des \(RT\!F\) für die Simulation des Frässzenarios aus Abb. 5.4 mit \(\Omega =2000\,[rev/min]\) und \(\Delta t=0.001\,[s]\) dargestellt. Der \(RT\!F\) verläuft dabei annähernd konstant. Lediglich zu Simulationsbeginn variiert der Rechenaufwand aufgrund der Adaption der Dexelanzahl, während das Werkzeug in das Werkstück eindringt.

Abb. 5.9
figure 9

Echtzeitfaktor (RTF) einer exemplarischen Frässimulation

Insbesondere die Parameter Spindeldrehzahl \({\Omega}\), Zeitschrittweite der Simulation \(\Delta t\) und die Anzahl der Schneiden \(N\) nehmen Einfluss auf die Rechenzeit und damit auf den RTF. Sowohl bei steigender Spindeldrehzahl als auch bei einer größeren Schneidenanzahl erhöht sich die Rechenzeit. Bei sehr kleiner Spindeldrehzahl und sehr kleiner Simulationszeitschrittweite dominiert die hohe Anzahl adaptierter Dexel den Gesamtrechenaufwand und der \(RT\!F\) steigt ebenfalls. Tab. 5.2 zeigt den \(RT\!F\) und die Dexelanzahl \({N}_{D}\) für verschiedene Parametrierungen.

Tab. 5.2 Echtzeitfaktor (\(RT\!F\)) und Dexelanzahl \({N}_{D}\) in Abhängigkeit der Spindeldrehzahl \({\Omega }\), der Zeitschrittweite der Simulation \(\Delta {t}\) und der Schneidenanzahl \(N\) (Simulationsrechner: Intel Core i7-8750 H, 2.20 GHz, 16 GB RAM, Windows 10, 64 bit)

4 Erweiterbarkeit auf komplexe Zerspanungsprozesse

Ein signifikanter Vorteil des dexelbasierten Modellansatzes ist die Erweiterbarkeit auf komplexe Anwendungen mit beliebigen Werkstückgeometrien und sich ändernden Zerpanungsbedingungen. Abb. 5.10 zeigt beispielhaft einen Unrunddrehprozess, der sich mit dem vorgestellten Ansatz für eine Echtzeitsimulation modellieren lässt. Die Dexel des Drehwerkstücks verlaufen dabei von der Drehachse zum Werkstückrand. Das Drehwerkzeug wird periodisch dem rotierenden Werkstück zugestellt, wodurch die Schneide pro Umlauf mehrfach den Eingriff verliert und unstetige Kraftverläufe die Folge sind.

Derartige Kraftverläufe lassen sich analytisch nur schwer, und in der Regel nur für idealisierte Sonderfälle berechnen, insbesondere unter Berücksichtigung der Prozessinstabilität. Der dexelbasierte Modellansatz hingegen ermöglicht einen vergleichsweisen einfachen numerischen Zugang mit zugleich hoher Recheneffizienz.

Zukünftige Forschungsarbeiten am Virtual Automation Lab der Hochschule Esslingen sollen den Modellansatz auf weitere Zerspanungsprozesse, insbesondere dreidimensionale Prozesse, erweitern. Dazu wird der Ansatz verfolgt, die dexelbasierten Werkstückmodelle in mehreren Schichten übereinander zu legen und für die Spandickenberechnung anstatt Schneidenpfadsegmente räumliche Flächensegmente heranzuziehen.

Abb. 5.10
figure 10

Simulation der Prozesskräfte beim Unrunddrehen