FormalPara Koordinierende_r Leitautor_in

Harald Frey

FormalPara Leitautor_innen

Tadej Brezina und Günter Emberger

FormalPara Revieweditor

Roger Keil

FormalPara Zitierhinweis

Frey, H., T. Brezina und G. Emberger (2023): Mobilität. In: APCC Special Report: Strukturen für ein klimafreundliches Leben (APCC SR Klimafreundliches Leben) [Görg, C., V. Madner, A. Muhar, A. Novy, A. Posch, K. W. Steininger und E. Aigner (Hrsg.)]. Springer Spektrum: Berlin/Heidelberg.

FormalPara Kernaussagen des Kapitels
  • Die Pkw-Nutzung, gemessen in durchschnittlicher zurückgelegter Tagesentfernungen, sowie der Motorisierungsgrad (Pkw/1000 Einwohner_innen) nehmen in ruralen und suburbanen Regionen weiter zu. Trendverlangsamungen bzw. Trendumkehren sind nur in einigen Landeshauptstädten feststellbar. (hohe Übereinstimmung, starke Literaturbasis)

  • Der Verkehrssektor verursacht als einziger Sektor noch immer steigende Treibhausgasemissionen. (hohe Übereinstimmung, starke Literaturbasis)

  • Technische, die Effizienz erhöhende Maßnahmen, wie zum Beispiel der Umstieg auf E-Mobilität oder alternative Treibstoffe, reichen nicht aus, um die Klimaziele im Verkehrssektor zu erreichen. (hohe Übereinstimmung, starke Literaturbasis)

  • Das Verhalten der Verkehrsteilnehmer_innen wird maßgeblich von den bereitgestellten Strukturen (Infrastrukturen, ordnungspolitischen und monetären Strukturen) beeinflusst. (hohe Übereinstimmung, starke Literaturbasis)

  • Das Verkehrsverhalten beeinflussende Maßnahmen, wie die Einführung von Kostenwahrheit für alle Verkehrsträger, Infrastrukturumgestaltung für den Umweltverbund zulasten des Autoverkehrs, Tempolimits, flächendeckende Parkraumbewirtschaftung etc., sind für eine flächendeckende Trendumkehr bezüglich Treibhausgasemissionen notwendig. (hohe Übereinstimmung, starke Literaturbasis)

  • Eine zielgerichtete Planung, Beschluss, Umsetzung und Monitoring nachweislich effizienzgeprüfter Maßnahmen auf allen Verwaltungsebene (EU, Bund, Länder und Gemeinden) ist Voraussetzung für eine Dekarbonisierung der Mobilität. (hohe Übereinstimmung, starke Literaturbasis)

6.1 Status quo, Herausforderungen und notwendige Veränderungen

Räumliche Mobilität war und ist immer mit Energieaufwand verbunden. Mit der Nutzung externer Energiequellen und neuen Antriebstechnologien erhöhten sich die Systemgeschwindigkeiten und damit die zurückgelegten Entfernungen im Verkehrssystem (Knoflacher, 1996) (hohe Übereinstimmung & starke Beweislage). Räumliche Funktionstrennung und Aspekte wie Zersiedelung waren und sind die Folge (Knoflacher, 1997) (mittlere Übereinstimmung & starke Beweislage). Maßgeblich für die Veränderung der Verkehrsmittelwahl und dem Anstieg des Verkehrsaufwandes weg vom so genannten Umweltverbund (Fuß, Rad, öffentlicher Verkehr) hin zum motorisierten Individualverkehr ist die massiv ausgebaute Infrastruktur für den Kfz-Verkehr (Knoflacher, 2007) (Goodwin & Noland, 2003) (Noland & Lem, 2002) (hohe Übereinstimmung & starke Beweislage).

Der Verkehr ist eine der größten Herausforderungen für die österreichische Klima- und Energiepolitik (EASAC, 2019; Kurzweil et al., 2019) (hohe Übereinstimmung & starke Beweislage). Die Treibhausgasemissionen aus dem Verkehrssektor machen einen signifikanten Anteil an den gesamten Treibhausgasemissionen aus (rund 30 Prozent im Jahr 2019) (Anderl et al., 2021). Seit 1990 ist in diesem Sektor eine Zunahme der Treibhausgase um rund 74,4 Prozent zu verzeichnen (Anderl et al., 2021). Im Jahr 2019 erreichten diese, im Wesentlichen verursacht durch den Anstieg der Fahrleistung im Straßenverkehr, mit 24,0 Megatonnen CO2-Äquivalent beinahe wieder den bisherigen Höchstwert aus dem Jahr 2005 (Umweltbundesamt, 2021b). Hinzu kommen rund 3,0 Megatonnen CO2 durch den internationalen Flugverkehr, welcher trotz hoher Bedeutung nicht in der österreichischen Klimabilanz aufscheint (Anderl et al., 2021).Footnote 1 Die sektorale Höchstmenge nach dem Klimaschutzgesetz für das Jahr 2019 wurde im Verkehr, so wie bereits in den Jahren zuvor, überschritten (Anderl et al., 2021). Als emissionsstärkster Sektor mit einem Anteil der Gesamtemissionen von 47,3 Prozent außerhalb des Emissionshandels (Anderl et al., 2020) stellen Maßnahmen in diesem Sektor einen wichtigen Schritt für die Erreichung der Ziele des Pariser Klimaabkommens und einer Dekarbonisierung dar (Kirchengast et al., 2019).

Abb. 6.1
figure 1

THG-Emissionen des Verkehrssektors (in 1000 Tonnen CO2-Äquivalent) (Umweltbundesamt, 2021b). Anmerkung: Nicht dem Transportsektor zugerechnet sind Emissionen aus mobilen Geräten und Maschinen (Traktoren, Baumaschinen) sowie der internationale Luftverkehr. (Quelle: Umweltbundesamt, 2021b. Einteilung entsprechend CRF-Format des Kyoto-Protokolls)

Hauptemittent ist der Straßenverkehr, der rund 99 Prozent der Treibhausgasemissionen des gesamten Verkehrssektors ausmacht. Etwa 63 Prozent der Treibhausgasemissionen des gesamten Straßenverkehrs sind dem Pkw-Verkehr zuzuordnen, wobei dessen Emissionen zwischen 1990 und 2019 um 60 Prozent angestiegen sind. Besonders die Entwicklung der Diesel-Pkw zeigt einen sehr starken Anstieg: Von 1990 bis 2019 sind die Treibhausgasemissionen um rund 578 Prozent gestiegen (Anderl et al., 2021).

Der Anteil des Personenverkehrs auf der Straße (Pkw, Busse, Mofas, Motorräder) an den gesamten nationalen Treibhausgasemissionen beträgt knapp 19 Prozent; der des Straßengüterverkehrs rund 11 Prozent. Die restlichen Treibhausgasemissionen des Verkehrssektors verteilen sich auf Emissionen von Bahn-, Schiff- und nationalem Flugverkehr sowie aus mobilen militärischen Geräten (Anderl et al., 2021).

Die Treibhausgasemissionen im Straßengüterverkehr sind zwischen 1990 und 2019 um 112 Prozent gestiegen. 37 Prozent der Emissionen entfielen auf den Güterverkehr, der schwere und leichte Nutzfahrzeuge umfasst (Anderl et al., 2021).

Tab. 6.1 Hauptverursacher der Treibhausgasemissionen des Verkehrssektors (in 1000 Tonnen CO2-Äquivalent). (Anderl et al., 2021)

6.1.1 PKW-Wege und Motorisierungsgrad nehmen zu

Im Personenverkehr wurden im Jahr 2014 an Werktagen 58 Prozent aller Wege im Pkw zurückgelegt (Follmer et al., 2016), im Jahr 1995 rund 51 Prozent und 1983 rund 42 Prozent (Sammer, 1990) (Herry et al., 2012). Ist am Arbeitsort ein Abstellplatz vorhanden, werden 82 Prozent aller Arbeitswege mit dem Pkw zurückgelegt (Follmer et al., 2016). Die Tagesweglänge hat seit 1995 um 21 Prozent zugenommen (Follmer et al., 2016). Dies ist unter anderem auf die Entwicklung dezentraler Siedlungsstrukturen und die funktionale Entmischung von Wohnen, Einkaufen, Arbeiten, Ausbildung und Freizeit zurückzuführen (Follmer et al., 2016; Herry et al., 2012). Der Motorisierungsgrad hat seit 2000 um mehr als 10 Prozent auf 562 Pkw je 1000 Einwohner_innen zugenommen (Statistik Austria, 2019a, 2019b).

Bei der Motorisierung zeigt sich eine weitgehend proportionale Zunahme der CO2-Emissionen mit der steigenden Fahrzeugleistung. Zwar sinkt der Anteil neuer Diesel-Pkw seit dem Jahr 2017 und die Neuzulassungen reinelektrischer Pkw (BEV) steigen kontinuierlich an (Anderl et al., 2021). Mit Dezember 2021 gab es in Österreich 76.539 elektrisch betriebene Pkw bei mehr als 5,1 Millionen zugelassenen Pkw (Statistik Austria, 2022). Auch die durchschnittliche Motorleistung bei neu zugelassenen Fahrzeugen steigt seit dem Jahr 2000 an (Anderl, Gössl, et al., 2019). Gemäß CO2-Monitoring stiegen die CO2-Emissionen von in Österreich im Jahr 2019 neu zugelassenen Pkw von 123,1 Gramm/Kilometer auf 125,5 Gramm/Kilometer zum dritten Mal in Folge (Anderl et al., 2021). Über die gesamte Pkw-Flotte gerechnet lagen die realen durchschnittlichen CO2-Emissionen je Kilometer im Jahr 2019 bei 166,98 Gramm (Anderl et al., 2021).

6.1.2 Energieaufwand und Verkehrsleistung steigen

Im Jahr 2018 betrug der Energieeinsatz im Verkehr (inklusive Kraftstoffexport) 401 Petajoule (PJ) und hat sich demnach gegenüber dem Jahr 1990 beinahe verdoppelt (Statistik Austria, 2021). Mehr als 90 Prozent des Energieeinsatzes ist dabei von Erdöl abhängig (Statistik Austria, 2021).

Die gesamte Verkehrsleistung im Personenverkehr über alle Verkehrsmodi hat zwischen den Jahren 1990 bis 2019 von 76,7 auf 115,3 Milliarden Personenkilometer (plus 50 Prozent) zugenommen (Anderl et al., 2021). Sowohl 1990 als auch 2019 wurde der Großteil (rund 70 Prozent) der Personenkilometer mit dem Pkw zurückgelegt (Anderl et al., 2021). Zwischen 2000 und 2017 ist die Personenverkehrsleistung in Österreich um rund 23 Prozent und damit mehr als doppelt so schnell wie die Bevölkerung im selben Zeitraum gewachsen (Anderl et al., 2020). Zudem ist der durchschnittliche Besetzungsgrad für Pkw über alle Wege seit dem Jahr 1990 von 1,4 auf 1,14 Personen gesunken (Anderl et al., 2021). Während die Fahrleistung und somit auch der Energieeinsatz und die Treibhausgasemissionen der mit Benzin betriebenen Pkw seit 1990 zurückgegangen sind, ist die Fahrleistung der Diesel-Pkw im Vergleich zum Jahr 1990 fast siebenmal so hoch (Anderl, Geiger, et al., 2019). Dabei sind die CO2-Äquivalent-Emissionen (in Gramm/Personenkilometer) des Pkw-Verkehrs insgesamt 17-mal höher als die der Bahn (inklusive direkter und vorgelagerter Emissionen; durchschnittlicher Besetzungsgrade, österreichischer Strommix) (Umweltbundesamt, 2021a).

Die Transportleistung im Güterverkehr ist stark an die Wirtschaftsleistung gekoppelt und stieg zwischen den Jahren 1990 und 2018 um 149 Prozent auf 84,3 Milliarden Tonnenkilometer (Tkm) an (Anderl et al., 2021). 73 Prozent dieser Transportleistung wurden 2019 auf der Straße erbracht (Anderl et al., 2021). Die Lkw-Fahrleistung im Inland (leichte und schwere Nutzfahrzeuge) stieg seit 1990 um rund 91 Prozent, die Transportleistung (Tkm) um 168 Prozent (Anderl et al., 2020). Im gleichen Zeitraum hat sich der relative Anteil der Bahn am Modal Split des gesamten Gütertransportes von 34 Prozent auf 27 Prozent reduziert (Anderl et al., 2021).

6.1.3 Steigende Fahrleistung kompensiert Effizienzgewinne

Der erforderliche Energieeinsatz je Kilometer hat sich zwischen 2005 und 2017 im Segment der Pkw um 7 Prozent und bei den schweren Nutzfahrzeugen um 4 Prozent reduziert (Umweltbundesamt, 2019). Die technologische Effizienzsteigerung wird jedoch durch die steigende Fahrleistung sowie den Trend zu größeren und stärkeren Fahrzeugen teilweise kompensiert (Helmers, 2015) (hohe Übereinstimmung & starke Beweislage).

6.1.4 Kraftstoffexporte

Im Jahr 2019 wurden 24 Prozent der Treibhausgasemissionen aus dem Straßenverkehr dem Kraftstoffexport in Fahrzeugtanks zugewiesen (im Jahr 2019 waren dies 5,8 Megatonnen CO2-Äquivalent) (Anderl et al., 2021). Maßgebend für den Kraftstoffexport ist der Schwerverkehr. Im Vergleich zu 1990 sind die Treibhausgasemissionen des Kraftstoffexports aufgrund zunehmender Preisdifferenzen zum Ausland heute ca. um den Faktor 4 höher (Anderl et al., 2021).

6.1.5 Alternative Antriebe

Im Verkehrssektor ist der Technologieumstieg ein Baustein zur Erreichung der Klimaziele (hohe Übereinstimmung & starke Beweislage). Die Zahl der Neuzulassungen von alternativ angetriebenen Pkw steigt deutlich an. Im Jahr 2020 waren 6,4 Prozent aller neu zugelassenen Pkw (Fahrzeugklasse M1) batterieelektrische Fahrzeuge (BEV) und damit lokal CO2-frei (Anderl et al., 2021). Der Einsatz von alternativen Antrieben ist auch bei der Bahn Thema (Wasserstoffzug) und wird für zukünftige Entwicklungen (z. B. Entwicklung des Bahn-Zielnetzes) berücksichtigt (ÖBB, 2020).

6.1.6 Externe Kosten – keine Kostengerechtigkeit, Internalisierung

Als externe Kosten gelten die bei gesamtwirtschaftlicher Betrachtung einzubeziehenden Kosten durch Verkehr, die nicht von der Verursacherin/vom Verursacher bezahlt werden, sondern der Gesellschaft oder Dritten aufgebürdet werden. Dazu zählen die gesellschaftlich anfallenden Kosten durch Umweltschäden wie auch durch Verkehrsstau. Gegengerechnet werden nur solche Beiträge, Abgaben und zweckgebundene Steuern der Verursacher_innen, die für die Beseitigung und Vermeidung der verursachten externen Kosten verwendet werden (Sammer & Snizek, 2021). Die Folgeschäden des Verkehrs in Österreich belaufen sich auf 19,2 Milliarden Euro jährlich (Straße: 18,3 Milliarden Euro, Schiene: 0,85 Milliarden Euro, Wasser: 0,044 Milliarden Euro) (van Essen et al., 2020).

Die spezifischen externen Kosten der Verkehrsmittel für den Personenverkehr in Österreich (Bezugsjahr 2016) zeigen, dass der Pkw dreimal so hohe Kosten wie der Bus und viermal so hohe Kosten wie die elektrisch betriebene Bahn aufweist (Sammer & Snizek, 2021). Die Klimakosten machen beim Pkw etwa 15 Prozent der externen Kosten aus. Dies gilt für die EU28, länderweise liegen keine Ergebnisse vor. Die elektrisch betriebene Bahn weist keine Klimakosten auf. Die Fahrzeugherstellung ist nicht beinhaltet (Sammer & Snizek, 2021).

Tab. 6.2 Vergleich spezifischer Kosten der Verkehrsmittel für den Personenverkehr in Euro-Cent (€-ct) je Personenkilometer (Pkm) nach Klimakosten und gesamten externen Kosten in Österreich. (Sammer & Snizek, 2021)

Im Güterverkehr schneidet die Schifffahrt mit niedrigen Kosten je Tonnenkilometer am besten ab, der Lkw-Verkehr weist die höchsten spezifischen externen Kosten auf. Der Klimaanteil an den gesamten externen Kosten liegt beim Lkw-Verkehr ebenfalls bei etwa 15 Prozent (Sammer & Snizek, 2021).

Tab. 6.3 Vergleich spezifischer Kosten der Verkehrsmittel für den Güterverkehr in Euro-Cent (€-ct) je Tonnenkilometer (Tkm) nach Klimakosten und gesamten externen Kosten in Österreich. (Sammer & Snizek, 2021)

Eine verursachergerechte Zuordnung der tatsächlich anfallenden Kosten für alle Verkehrsträger ist dringend notwendig, damit der Verkehr mit dem jeweils kostengünstigsten und ressourcenschonendsten Verkehrsmittel stattfindet (FSV, 2021) (hohe Übereinstimmung & starke Beweislage).

6.1.7 Flugverkehr

Derzeit werden nur inländische Flüge mit Start und Landung in Österreich den gesamten nationalen Treibhausgasemissionen zugerechnet. Deshalb betragen die nationalen Flugbewegungen nur einen Bruchteil an den gesamten Treibhausgasemissionen Österreichs (rund 0,1 Prozent bzw. 0,05 Megatonnen CO2-Äquivalent im Jahr 2019) (Anderl et al., 2021). Die Emissionen der innereuropäischen Flüge sind seit 2012 über den Europäischen Emissionshandel (ETS) geregelt (Deutsche Emissionshandelsstelle (DEHSt), 2022). In der ersten Phase wurden 85 Prozent der Zertifikate gratis ausgegeben („Grandfathering“). Die Treibhausgasemissionen grenzüberschreitender Flüge mit Start oder Landung in Österreich sind seit 1990 von 0,9 Millionen Tonnen auf rund 3,0 Millionen Tonnen gestiegen und damit am stärksten von allen Verkehrsträgern (Anderl et al., 2021). Darüber hinaus ist die Klimawirkung aller Emissionen aus dem Flugverkehr rund dreimal so hoch wie jene des CO2 (ERF effective radiative forcing) (Lee et al., 2021) (hohe Übereinstimmung & starke Beweislage).

Rund 40 Prozent aller Flüge vom Flughafen Wien-Schwechat waren im Jahr 2016 kürzer als 800 Kilometer (VCÖ, 2020). Im Flugverkehr besteht keine Mineralölsteuer für Kerosin und auch keine Energieabgabe (Kirchengast et al., 2019). Seit dem Jahr 2011 gibt es in Österreich eine Flugabgabe. Seit 2020 beträgt diese im Regelfall 12 Euro je Passagier (Flugabgabegesetz, 2022).

6.1.8 Ziele

Die schrittweise Dekarbonisierung des Verkehrs bis zum Jahr 2050 folgt dem Pariser Klimaziel und soll mit der Erreichung der UN Sustainable Development Goals (SDG) bis 2030 vorbereitet werden (United Nations General Assembly, 2015). Besonders sichtbar ist das Verbesserungspotenzial des Verkehrs beim SDG 11 „Nachhaltige Städte und Gemeinden“, in dem Verkehrssicherheit, Luftqualität, integrierte Siedlungsplanung und der Zugang zu leistbaren, öffentlich zugänglichen Verkehrsangeboten thematisiert werden (BKA, 2020). Diese Zielsetzungen erfordern eine tiefgreifende Mobilitätswende sowohl im Personen- als auch im Güterverkehr (Kurzweil et al., 2019). Um die EU-Green-New-Deal-Ziele zu erreichen, ist eine Reduktion der verkehrsbedingten Treibhausgasemissionen um 90 Prozent bis zum Jahr 2050 notwendig (Europäische Kommission, 2020). Demnach muss Österreich gemäß Lastenteilungsverordnung seine (verkehrsbedingten) CO2-Emissionen bis 2030 um 48 Prozent und bis 2040 auf nahezu null Tonnen CO2-Äquivalent reduzieren (BMK, 2021). Der Mobilitätsmasterplan 2030 für Österreich benennt dazu die verkehrsrelevanten Reduktions- und Verlagerungspotenziale und mögliche Reduktionspfade (BMK, 2021).

6.2 Barrieren und Herausforderungen

Die Barrieren und Herausforderungen für den Sektor Mobilität werden anhand von sechs Dimensionen exemplarisch beschrieben: Politik, Planung und Zeit, Ökonomie, Recht, Fahrzeugantrieb sowie das Verhalten.

6.2.1 Dimension Politik

In Österreich sind Maßnahmen zur Verringerung der klimaschädlichen Wirkungen des Verkehrs schon seit Jahren Inhalt von nationalen wie von lokalen Konzeptpapieren (z. B.: BMU, 1995; Koch, 2006; Koller et al., 1987; Land Salzburg, 2006; Strele, 2010; Telepak et al., 2015; Winkler & Oblak, 2003). Die nationalen Verkehrsmasterpläne der vergangenen Jahrzehnte sind dabei vom klassischen Dreischritt „Vermeiden, Verlagern und Verbessern“ dominiert (BMVIT, 2012; BMWV, 1991; Einem, 1998), der auch international für verkehrspolitische Argumentationen herangezogen werden (EASAC, 2019). Wie das vorangegangene Unterkapitel gezeigt hat, konnte sich keiner der drei Policy-Begriffe in den verkehrsbezogenen Parameter-Zeitreihen trendwirksam niederschlagen. Weder wurden motorisierte Wege vermieden, noch konnten sie in großem Maßstab auf umweltfreundlichere und emissionsärmere Modi verlagert werden. Und auch die Verbesserung, z. B. in Form des Austausches der fossilen Antriebsaggregate von Fahrzeugen durch hybride, batterieelektrische oder wasserstoffgetriebene Modelle hinkt den ambitionierten Planfassungen hinterher. Zu beobachten ist eine zyklische Wiederkehr von Konzepten mit bestenfalls geringer Umsetzungsrate der darin ausformulierten Grundsätze und Vorhaben. Die Konzepte werden auch zyklisch evaluiert (Niedertscheider et al., 2018; Thaler et al., 2011) und ajouriert, können aber in Sachen Umsetzungsfortschritt oft nicht an den eigenen Vorgaben gemessen werden. Dafür ist über Jahrzehnte in verkehrspolitischen Veröffentlichungen ein mantraartiges Wiederholen von Schlagwörtern wie der „Verlagerung von der Straße auf die Schiene“ zu beobachten. Der jüngst erschienene Mobilitätsmasterplan 2030 (BMK, 2021) weicht von bisheriger Praxis ab und verwendet den Ansatz eines Backcastings vom gewünschten Zustand im Zieljahr 2040 – Klimaneutralität des Verkehrssektors – in die Gegenwart. Der oben benannte Dreischritt „Vermeiden, Verlagern und Verbessern“ wird in zwei Dimensionen adaptiert: Erstens werden die Begriffe pyramidal aufeinander aufbauend verstanden – Vermeidung ist bedeutender als Verlagerung ist bedeutender als Verbesserung. Zweitens verbleibt der bisherige Dreischritt, wird jedoch mit sprachlichen Beifügungen ergänzt: „Vermeiden ohne Verzicht!“, „Verlagern dort, wo’s geht!“ und „Verbessern und effizient gestalten“. Zudem werden (1) für die Entkopplung von BIP-Wachstum und Güterverkehrsleistung, (2) für die Verlagerung auf den Umweltverbund und (3) in Sachen Elektroantriebe konkrete Zielwerte benannt (BMK, 2021). Der Mobilitätsmasterplan 2030 lässt jedoch offen, mit welchen Maßnahmen und Kontrollmechanismen der vorgegebene Zielpfad erreicht werden soll und ob die sprachlichen Ergänzungen des Dreischrittes damit konsistent sind (hohe Übereinstimmung & starke Beweislage).

Bereits davor wurde die klimatische Wirksamkeit von Verkehrsmaßnahmen abgeschätzt. Kammerlander et al. (2018) schätzen Maßnahmen in unterschiedlichen Sektoren nach deren klimatischer Wirksamkeit, der monetären Effektivität, der gleichmäßigen sozialen Belastung bei Einführung, der Machbarkeit und der Flexibilität ein. Die Machbarkeit leitet sich dabei aus der Abwägung von Zustimmung und Ablehnung ab. Die Flexibilität bezieht sich auf die Möglichkeit, unter sich ändernden Rahmenbedingungen die Maßnahme selbst zu ändern. Ein gutes Drittel der evaluierten Maßnahmen hat dabei einen verkehrlichen Hintergrund. Verpflichtende Mobilitätspläne und ein Mobilitätsmanagement ab einer Unternehmensgröße von 50 Arbeitnehmer_innen wird als sehr wirksam und moderat kosteneffektiv eingeschätzt, bei gleichzeitig neutraler Umsetzbarkeit (Koppelung an eine umsetzungsbegleitende Subvention) und moderater Flexibilität (Kammerlander et al., 2018, S. 32–33). Investitionen in Park-&-Ride-Infrastrukturen werden als moderat machbar eingeschätzt, was in Verbindung mit der hohen politischen Popularität von Infrastrukturbauten (z. B. Eröffnungen, Artefakte des politischen Wirkens) zu sehen ist. Begleitende Maßnahmen wie die Preisreduktion von ÖV-Tickets oder Congestion-Charges sollen die Machbarkeit verbessern. Die Flexibilität (neu) gebauter Infrastrukturen wird gering eingeschätzt (Kammerlander et al., 2018, S. 36–37). Die Zertifizierung von Online-Einkaufsmöglichkeiten mit klimafreundlichen Lieferoptionen wird als neutral wirksam und kosteneffektiv eingeschätzt, was im Gegensatz zu besonders leichter Machbarkeit und großer Flexibilität steht (Kammerlander et al., 2018, S. 39–40). Schlussendlich wird die Machbarkeit von verstärkter finanzieller Stützung von Ankauf und Nutzung von Lastenrädern entlang von Lieferketten als neutral eingeschätzt, während die Flexibilität als moderat gegeben angesehen wird. Neutrale Machbarkeit versteht sich als das Zusammenspiel von leicht umsetzbarer Fortführung bzw. Ausweitung einer bestehenden Förderung in Zusammenhang mit noch nicht vorhandener, aber notwendiger Förderung von Infrastrukturen. Die Maßnahme selbst wird als moderat wirksam und neutral kosteneffektiv betrachtet (Kammerlander et al., 2018, S. 40–41).

Scheiber (2020) untersucht die Auswirkungen des politischen Vorhabens „Ausruf des Klimanotstandes“ in sieben österreichischen Gebietskörperschaften und dessen Auswirkung auf Maßnahmen und Verbindlichkeiten im Bereich des Verkehrs und der Infrastruktur. Der Klimanotstand wurde nur in zwei von sieben Gebietskörperschaften aus der Überzeugung ausgerufen, dass mehr Klimaschutzmaßnahmen notwendig sind. Die Befragten dieser Gebietskörperschaften meinten, dass große Unterschiede zu Gebietskörperschaften ohne Klimanotstand bestünden und dass klimarelevante Maßnahmen gesetzt werden müssen. Bei der Mehrheit der Befragten dominiert jedoch die Ansicht, dass der Klimanotstand hauptsächlich der Sensibilisierung der Bevölkerung dient. Wir folgern daraus, dass das Ausrufen des Klimanotstandes weder an Maßnahmenumsetzungen noch an eine merkliche Veränderung der Alltagspolitik gebunden ist (mittlere Übereinstimmung & starke Beweislage).

Im Effekt scheint die Sensibilisierung bislang wenig Niederschlag zu finden, weder in der Bevölkerung noch bei politischen Entscheidungsträger_innen. Im Flugverkehr z. B. führt dies bislang zu politischen (und auch juristischen) Entscheidungen für wiederholte Fluglinien-Bailouts, zu zusätzlichen Flughafenkapazitäten oder zur Aufrechterhaltung von Kurzstreckenflügen, obwohl auf einem Gutteil der Destinationen (häufige und schnelle) Bahnverbindungen nachgewiesen werden können (Macoun & Leth, 2017). Eine soziale Entwicklung der jüngsten Vergangenheit ist die „Flugscham“, ein Begriff, der von der jugendlichen Klimaaktivist_innenbewegung rund um Greta Thunberg geprägt wurde. Aber obwohl nordische Fluglinien einen Rückgang von Passagierzahlen verzeichneten, hat in einer Untersuchung die Mehrzahl der Befragten angegeben, den Begriff „Flugscham“ nicht zu kennen (Popa, 2020) beziehungsweise zeigten sich Befragte in einer anderen Untersuchung weiterhin hochgradig bereit, die eigenen Flugreisen zu rechtfertigen (Korkea-Aho, 2019) (hohe Übereinstimmung & mittlere Beweislage).

Im [Kap. 12] wird im Detail auf die Landschaft österreichischer Beharrungskräfte der letzten Jahrzehnte eingegangen.

6.2.2 Dimension Planung und Zeit

Generell werden Infrastrukturmaßnahmen von Kammerlander et al. (2018) als wirkmächtig, aber unflexibel eingestuft. Zu diesem Mangel an Flexibilität tragen großteils die langen Zeitvorläufe für Planung und Bau bei. Einmal getätigte Investition und Baumaßnahmen bleiben allein aufgrund von Opportunitätsüberlegungen viele Jahre erhalten bzw. in Betrieb. Sie tragen damit, zumindest lokal und sektoral begrenzt, zu einem technologischen Lock-in bei (Müller et al., 2012). Als Lock-in wird die zunehmende Abhängigkeit eines Regelhandelns unter falschen Zielprämissen verstanden (Haselsteiner et al., 2020).

Neben dem technologischen Lock-in ist aber auch ein planerischer Lock-in feststellbar. Selbst bei der Infrastruktur für schnelle, mechanische Verkehrsmittel, die aus Warte der CO2-Emissionen und dieses Berichts eher in die Domäne der Probleme denn der Lösungen einzuordnen ist, konstatiert der Rechnungshof einen planerischen Lock-in in Form von nicht vorhandener, die Verkehrsträger übergreifender Planung und Koordination (Haselsteiner et al., 2020; Rechnungshof, 2018) (hohe Übereinstimmung & starke Beweislage).

In Sachen konsistenter Planung und konsequenter Umsetzung von Verbesserungen für klimafreundliche Verkehrsarten ist eine Diskrepanz zu den gefassten Plänen auszumachen. Obwohl in Gesamtkonzepten hehre Ziele gefasst und Maßnahmen bereitgestellt werden, werden z. B. Anlagen des Radverkehrs weder in ausreichender Menge und Güte geplant noch umgesetzt (Brezina et al., 2020). Während Vertreter_innen der Verwaltung mehrheitlich der Meinung waren, dass durch ihre Aktivitäten Umsetzungsbarrieren bewusst überwunden werden konnten, stellten Planer_innen und zivilgesellschaftliche Vertreter_innen fest, dass es einen zunehmenden sozialen Druck von außen gebraucht hat, um Bewegung in die wesensgerechte Umsetzung von Radverkehrsinfrastruktur zu bringen (Brezina et al., 2020, S. 86). 35 Prozent der befragten Vertreter_innen von Gebietskörperschaften gaben an, bereits jetzt dem Radverkehr die höchst mögliche Priorität zu geben; 23 Prozent gaben an, dass es fehlende strategische Entscheidungen wären, die sie an einem beherzteren Vorgehen hindern würden (Brezina et al., 2020, S. 84) (mittlere Übereinstimmung & mittlere Beweislage).

Haselsteiner et al. (2020, S. 10) stellen fest, dass innovative Ansätze für eine Mobilitätswende von lokalen und regionalen Akteur_innen zwar vorangetrieben werden, diese aber im selbstverstärkenden, etablierten Regime meistens als Nischenlösungen ohne entsprechende Breitenwirksamkeit verbleiben. Die Nischenlösungen werden nicht institutionalisiert und nicht kodifiziert – in rechtliche und finanzielle Strukturen übernommen – und verbleiben so abseits der soziotechnischen Verbreitungspfade. Weiterhin kodifiziert ist die traditionelle Vorgehensweise in Form von Gesetzen (z. B. StVO) und Richtlinien (z. B. RVS), quasi den „Genen“ bzw. den Bauanleitungen des nichtnachhaltigen Bestandssystems (Haselsteiner et al., 2020, S. 10).

Kurzfristige ökonomische Interessen in Kombination mit veralteten Zielparametern wie der Geschwindigkeit oder Reaktionsautomatismen wie Straßenkapazitätserweiterungen stehen Transformationsprozessen hin zu ökologischer Nachhaltigkeit und Ressourcenschonung im Weg (Haselsteiner et al., 2020, S. 11). In der Kurzfristigkeit der Interessenlagen – von den ökonomischen zu den politischen Zeithorizonten – und in Kombination mit den langen Zeitverzögerungen zwischen gesetzter Maßnahme und messbarer Wirkung ist wohl auch ein Grund für die Unterschätzung der Intensität der notwendigen Maßnahmen zu suchen. Planungspolitisch dominiert der sachlich ungenügende Zugang der kleinen Trippelschritte (Haselsteiner et al., 2020, S. 12), umrahmt von einem vielfältigen Mix des Leugnens, Bagatellisierens und Uminterpretierens (Seebauer, 2011) (mittlere Übereinstimmung & starke Beweislage).

Im [Kap. 12] wird auf den Faktor Zeit und die durch Arbeits- und Wirtschaftsbedenken verursachten Verzögerungen in der Klimaschutzpolitik eingegangen.

6.2.3 Dimension Ökonomie

Bestärkt wird dieses stark vom individuellen motorisierten Transport auf der Straße geprägte System durch infrastrukturelle (z. B. Ausbau der Straßeninfrastruktur) und fiskalische Rahmenbedingungen, die unter anderem ein Ungleichgewicht in den Mobilitätskosten zur Folge haben und die Attraktivität des straßengebundenen Personen- und Güterverkehrs weiter steigern. Die ökonomische Dimension ist geprägt durch kontraproduktive Fördersysteme für eine CO2-intensive Form der Mobilität. Dazu zählen im Verkehrsbereich vor allem:

  1. (1)

    die Pendler_innenförderung, die Zersiedelung stark vorantreibt (Su & DeSalvo, 2008) und in einem überproportionalen Ausmaß den Bezieher_innen hoher Einkommen zugutekommt (Kletzan-Slamanig et al., 2016) (hohe Übereinstimmung & starke Beweislage),

  2. (2)

    die derzeitigen Rahmenbedingungen von Firmenautos (z. B. pauschale Besteuerung, Abschreibung), die motorisierten Individualverkehr attraktiver machen, die öfter genutzt werden und größer und CO2-intensiver als private Pkw sind (Kletzan-Slamanig et al., 2016; van Ommeren & Gutiérrez-i-Puigarnau, 2011) (hohe Übereinstimmung & mittlere Beweislage),

  3. (3)

    die relativ günstige Mineralölsteuer (gegenüber Nachbarstaaten) und die Mineralölsteuerbegünstigung für Diesel sowie die Mineralölsteuerbefreiung für Kerosin und Binnenschifffahrt (Kettner-Marx & Kletzan-Slamanig, 2018) (mittlere Übereinstimmung & starke Beweislage).

Kammerlander et al. (2018, S. 34–35) bewerteten die Wirksamkeit und Effektivität von höheren Steuern auf emissionsintensive Fahrzeuge als hoch, deren Flexibilität als moderat und die Machbarkeit als unmöglich. Die Nichtmachbarkeit wurde mit einer langjährigen ablehnenden Haltung der Gesellschaft gegen alle finanziellen Belastungen von Fahrzeugen argumentiert. Im Gegensatz dazu zeichnet die Analyse von Klenert et al. (2018) ein mit der Bevölkerung verträglicheres Bild, wenn die Besteuerung von fossilen Treibstoffen in Form von „Revenue Recycling“ zu einer Kompensation der Belastungen und zu einem Transfer zu ärmeren Bevölkerungsschichten beiträgt. Da die Normverbrauchsabgabe tatsächlich im Juli 2021 erhöht wurde und ab 1. Juli 2022 die CO2-Bepreisung von Treibstoffen geplant ist, erscheinen steuerliche Belastungen von fossilen Antrieben nun leichter umsetzbar, als noch vor wenigen Jahren bewertet wurde. Die geplante Höhe der CO2-Bepreisung (Herndler, 2022) in Form einer Steigerung von 30 Euro/Tonne (2022) auf 55 Euro/Tonne (2025) wird jedoch als am unteren Ende einer wirksamen Höhe angesehen (Kaufman et al., 2020) (hohe Übereinstimmung & starke Beweislage).

Eine sozial verträgliche Ausgestaltung der Besteuerung schlagen Sammer & Snizek (2021) vor, indem sie eine Zweckwidmung der Mehreinnahmen aus den nach Fahrzeugbesitz und Fahrzeugbetrieb unterschiedenen Steuern und Abgaben unterbreiten: Erstens für Investitionen in ein klimaneutrales Verkehrssystem und dessen Betrieb und zweitens als Stimulierung für diejenigen, die es benutzen.

Auf Verkehrsmaßnahmen, die Ungleichheit verringern sollen, geht das [Kap. 17] näher ein.

6.2.4 Dimension Recht

Die starke Fragmentierung der rechtlichen Zuständigkeiten zwischen Bund und Ländern sowie die oftmals zuwiderlaufenden Interessenlagen werden als Grund für die geringe Konsistenz in der Umsetzung von Klimaschutzmaßnahmen genannt (Niedertscheider et al., 2018). Die enge Verwobenheit und starke Wirkmächtigkeit der Normierungsmaterien Bauen und Raumplanung, die ursächlich für den Bedarf an Raumveränderung verantwortlich sind, wird von Niedertscheider et al. (2018) explizit hervorgehoben. Das Resultat dieser beiden Materien ist gebaute Umwelt, die Anordnung von Gebäuden und Nutzungen, letztendlich die gesamte Infrastruktur.

Die Bauordnungen haben ein wesentliches verkehrswirksames Element: das Regulativ zur Abstellung von Fahrzeugen. Die Wissenschaft zeigt große Übereinstimmung, dass Art und Ausmaß des Pkw-Stellplatz-Angebots starken Einfluss auf die Verkehrsmittelwahl haben (Blees et al., 2019; Knoflacher, 2006; Notz, 2018; Sammer et al., 2005). Es liegt in der Natur der Sache, der Zuständigkeit der einzelnen Bundesländer – und oft genannter, regionaler Vorlieben und Traditionen –, dass diese Stellplatzregulative weder gleiche Regelungen noch ähnlich Regulierungstiefen vorweisen. In unterschiedlichen Bundesländern sind unterschiedliche Vorschreibungen bei gleichen Bauvorhaben und Rahmenbedingungen die Regel und nicht die Ausnahme. In manchen Bundesländern werden große Teile der Vorschreibung an die Gemeinden als Baubehörden delegiert. Dieses heterogene Bild wird durch den Umstand vervollständigt, dass Regelungen für Mobilitätsalternativen zu Pkw (öffentlichen Verkehr oder Radfahren) entweder gar nicht geregelt sind, Empfehlungscharakter haben oder deutlich weniger detailliert ausfallen als für Pkw. Beispielsweise ist eine minimale Versorgungsdichte mit Haltestellen des öffentlichen Verkehrs im Raumordnungs- und Baurecht nicht vorgesehen (Brezina et al., 2015; Brezina & Schopf, 2012). Zudem sind die Regulative für das Widmen und Bauen von Stellplätzen auf eine Bewältigung des Ist-Bedarfs und eines vermeintlichen, zukünftigen Bedarfs ausgelegt. Eine Nutzung der Stellplatzregulative als steuerndes Element für die Erreichung von extern gefassten Zielen beim Mobilitätsverhalten ist nicht vorgesehen (Brezina & Schopf, 2017), obwohl autofreie Haushalte in Österreich um die Hälfte geringere CO2-Emissionen haben (Ornetzeder et al., 2008) (hohe Übereinstimmung & starke Beweislage).

Auf das Raumordnungsrecht und die Notwendigkeit einer neuen Governancekultur in räumlichen Planungsprozessen geht [Kap. 19] näher ein.

In die Clean Vehicles Directive (CVD) und die nationale Umsetzung als Straßenfahrzeug-Beschaffungsgesetz (SFBG) werden große Erwartungen gesetzt – Evidenz zur Wirkung ist wegen ihrer Neuheiten (seit August 2021 in Kraft) jedoch noch nicht gegeben (Fruhmann & Ziniel, 2021). Die hohen Erwartungen resultieren aus der Rolle der öffentlichen Hand als Vorbild und als Nachfragestimulation für saubere Fahrzeuge durch die öffentliche Hand. Wann ein Fahrzeug als sauber gewertet wird, regelt das SFBG anhand von EU-Verordnungen mit Emissionen geringer als 1 gCO2/km oder 1 gCO2/kWh. Zudem verpflichtet das SFBG Gebietskörperschaften und deren Aufgabenträger unter festgelegten Bedingungen beim Ankauf von Fahrzeugen und der Ausschreibung von Dienstleistungsaufträgen in fünfjährigen Bezugsräumen einen Mindestflottenanteil an sauberen Fahrzeugen zu erfüllen. Im öffentlichen Verkehr zum Beispiel sind Lose von mindestens einer Million Euro oder 300.000 Fahrzeugkilometer Jahresvolumen davon betroffen. Dort muss der Mindestanteil an sauberen Bussen im Bezugszeitraum bis Ende 2025 45 Prozent und in den folgenden Bezugszeiträumen 65 Prozent betragen – von diesen 65 Prozent müssen die Hälfte tatsächliche Nullemissionsfahrzeuge sein (Fruhmann & Ziniel, 2021). Der öffentlichen Verkehr macht 6,7 Prozent der Personenverkehrskilometer in Österreich aus (Anderl et al., 2021) und ca. 1,9 Prozent der Straßenverkehrsemissionen stammen von Bussen (Anderl, Geiger, et al., 2019). Für die Umstellung des öffentlichen Busverkehrs auf ein emissionsfreies Angebot werden in den Förderprogrammen zur Flottenumrüstung EBIN und ENIN die Anschaffung emissionsfreier Busse bzw. Nutzfahrzeuge inklusive deren Infrastruktur gefördert. Diese Maßnahmen werden aus Mitteln des Recovery und Resilience Fonds unterstützt und sind Teil des Österreichischen Aufbau- und Resilienzplans 2020–2026 (BMF, 2021).

6.2.5 Dimension Kraftfahrzeuge

Als weitere Herausforderung für Emissionsreduktionen im Verkehr wird der Unterschied zwischen den nach normierten Tests ermittelten Herstellerangaben und den Emissionen im Realbetrieb gesehen (Lichtblau & Schodl, 2015).

Die angestiegenen Emissionskennwerte der neuen Fahrzeuge der letzten zwei Jahrzehnte in Europa sind großteils der rasanten Zunahme der Pkw-Größen und -Massen zuzuschreiben. Im Schnitt sind die Neuwagen zwischen 2000 und 2016 um 124 Kilogramm schwerer geworden und haben damit die durchschnittlichen Emissionen um 10 Gramm/Kilometer ansteigen lassen – im Schnitt auf 132 Gramm/Kilometer bei SUVs (Todts, 2018, S. 2).

Bei den Einzelfahrzeugemissionen wurde in den letzten 20 Jahren laufend eine große Diskrepanz zwischen der Typprüfung und dem Realbetrieb festgestellt, die zum Teil beachtliche Größenordnungen von 20 bis zu 50 Prozent Überschreitung erreicht hat, abhängig von der vergleichenden Institution bzw. vom Datensatz (Heinfellner et al., 2015). Bei Pkw wurden 31 Prozent Abweichung ermittelt, bei Firmenwagen konnten bis zu 45 Prozent höhere Emissionen festgestellt werden (Heinfellner et al., 2015). Die Hersteller erreichen bei der Emissionsprüfung mit ihren Fahrzeugen zwar großteils die verbindlichen Vorgaben der EU-Kommission, aber diese Emissionsprüfung (neuer europäischer Fahrzyklus, NEFZ) bildete die realen Fahrbedingungen nicht ausreichend ab (Fontaras et al., 2017; Heinfellner et al., 2015). Und obwohl der seit 2018 geltende Testzyklus – Worldwide Harmonized Light Vehicle Test Cycle – eine Annäherung an das Realverhalten gebracht hat, wird festgehalten, dass damit in Europa die Lücke zu den realen CO2-Emissionen zwar geringer wurde (von 40 Prozent auf 14 Prozent), aber noch nicht geschlossen werden konnte (Dornoff et al., 2020) (hohe Übereinstimmung & starke Beweislage).

6.2.6 Dimension Verhalten

Trotz emissionsfördernder Siedlungs- und Infrastrukturen ist ein merkbarer Anteil der Menschen bemüht, klimafreundliches Mobilitätsverhalten an den Tag zu legen. In Summe 31 Prozent verzichten oft oder immer bewusst auf die Nutzung eines eigenen Pkw, um den eigenen ökologischen Fußabdruck zu verringern. Bei der Urlaubsmobilität sind dies 36 Prozent: Sie vermeiden bewusst die Anreise mit dem Flugzeug und wählen ihre Destinationen entsprechend, um Treibhausgasemissionen zu reduzieren. In beiden Fällen hat es im Vergleich vom Jahr 2019 zum Jahr 2020 einen leichten Anstieg gegeben, von 28 Prozent bei der Pkw-Nutzung und von 33 Prozent bei der Flugzeugnutzung – eine Auswirkung der Einflüsse durch die COVID-19-Pandemie auf die Verkehrsmittelwahl wird jedoch nicht abgeschätzt (Hampl et al., 2021) (mittlere Übereinstimmung & mittlere Beweislage).

Bei der Diskussion von Dekarbonisierungspfaden im Verkehr ist festzustellen, dass sich die Debatten mehrheitlich um die Beharrungskräfte existenter Mobilitätsmuster (Verkehrsmittel, Wegeweiten etc.) und einer gleichzeitigen Dekarbonisierung der Fahrzeugemissionen drehen, der Mobilitätsmasterplan weist dem geänderten Mobilitätsverhalten einen Reduktionsbeitrag von 3 Megatonnen CO2-Äquivalent zu, während geänderte Fahrzeugtechnik 9 MtCO2eq (PKW) und 5 Megatonnen CO2-Äquivalent beitragen sollen (BMK, 2021). Eine (drastische) Veränderung der emissionsrelevanten Mobilitätsmuster der Automobilabhängigkeit („car dependance“) und der sie evozierenden Siedlungsstrukturen findet sehr verhalten statt (Mattioli et al., 2020) (niedrige Übereinstimmung & starke Beweislage).

Im [Kap. 20] wird die Beobachtung gemacht, dass „keine Grundsatzkritik klimaschädlicher Strukturen“ stattfindet und dass die „Klimaunverträglichkeit westlicher Lebensweise“ nicht breit diskutiert wird. Daran schließt sich das [Kap. 13] mit der Einschätzung an, dass soziotechnische Innovation „zu schmal verstanden“ wird.

6.3 Handlungs- bzw. Gestaltungsoptionen

Im Jahr 2018 wurde in der österreichischen Klima- und Energiestrategie „#mission2030 – Die österreichische Klima- und Energiestrategie“ (BMNT & BMVIT, 2018) darauf hingewiesen, dass es gilt, Verkehr „zu vermeiden, zu verlagern und zu verbessern“. Dies soll durch eine Anpassung der Infrastruktur und durch die Einführung innovativer Verkehrstechnologien, wie z. B. die Bereitstellung kundenorientierter sauberer Mobilitätsangebote, die Begleitung der Österreicher_innen hin zu einem umweltverträglichen Mobilitätsverhalten und eine ökologische Steuerreform erreicht werden.

Im „Sachstandsbericht Mobilität“ (Heinfellner et al., 2018, S. 2) werden eine Reihe von Handlungsempfehlungen zur Erreichung der Klimaziele vorgestellt. Als wichtigstes Instrument wird die Erstellung eines „Gesamtmobilitätskonzeptes“ genannt, welches neben einer Vision vor allem konkrete Maßnahmen und Zuständigkeiten definieren soll.

Im Sommer 2021 wurde der „Mobilitätsmasterplan 2030 für Österreich“ (BMK, 2021) vom BMK veröffentlicht. Im Masterplan wird das Ziel der Klimaneutralität im Verkehrsbereich um zehn Jahre in das Jahr 2040 vorverlegt. Die im Masterplan enthaltenen Zielsetzungen und Maßnahmen sollen eine Systemumstellung mit möglichst geringen sozialen und wirtschaftlichen Konsequenzen ermöglichen und werden die Lebensbereiche eines jeden/jeder Einzelnen betreffen (hohe Übereinstimmung & starke Beweislage). Weiters wird festgehalten, dass die Gebietskörperschaften – Bund, Land, Gemeinde – sowie unterschiedliche Wirtschaftssektoren und die Zivilgesellschaft für eine erfolgreiche Umsetzung gemeinsam Lösungen entwickeln und umsetzen müssen (hohe Übereinstimmung & starke Beweislage). Eine der Maßnahmen ist eine zielorientierte Neuevaluierung der in Planung befindlichen Bundesstraßenprojekte (Banko, Gebhard et al., 2021). Die im November 2021 vorgestellten Ergebnisse der Neuevaluierung führten zur Einstellung einiger Straßenneubauprojekte. Obwohl die Einstellungen juristisch noch nicht endgültig ausjudiziert sind, ist ein Umdenken der Verkehrspolitik hin zu mehr Klimaschutz feststellbar.

Im „Sachstandsbericht Mobilität“ wird festgehalten, dass eine klimaneutrale Mobilität adäquate Infrastrukturen braucht, welche auch entsprechende Investitionen benötigen. Als wichtig wird im „Sachstandsbericht Mobilität“ (Heinfellner et al., 2018, S. 2) hervorgehoben, dass es gilt, positive Wirtschaftseffekte der Mobilitätswende zu maximieren und kontraproduktive Fehlinvestitionen zu vermeiden, und dass die Digitalisierung und Ökologisierung des Verkehrssystems Chancen für den Wirtschaftsstandort Österreich bieten.

Im „Sachstandesbericht Mobilität“ wurden 50 Maßnahmen genauer analysiert (Heinfellner et al., 2018). Die Einsparungen der simulierten Maßnahmen wurden in der Studie mit folgenden Werten beziffert:

  • 0,25 bis 0,36 Megatonnen CO2-Äquivalent durch die Ausweitung des Fußgeher_innen- und Radverkehrs,

  • 0,17 Megatonnen CO2-Äquivalent durch die Stärkung und den Ausbau des öffentlichen Verkehrs,

  • 0,24 bis 0,37 Megatonnen CO2-Äquivalent durch die Verlagerung des Güterverkehrs auf die Schiene und

  • die Erhöhung des Anteils von erneuerbarer Energie im Verkehr auf mindestens 14 Prozent bis ins Jahr 2030 durch den Einsatz von Agrartreibstoffen und der Steigerung des E-Mobilitätsanteils.

Konkret sind eine Anpassung (= Erhöhung) der mineralöl- und motorbezogenen Versicherungssteuer, die Reduktion der generellen Höchstgeschwindigkeiten auf Autobahnen und im Freiland auf 100 bzw. 80 km/h, die Einführung von Citymauten, eine Qualitätsoffensive für das Zu-Fuß-Gehen, Radfahren und für den öffentlichen Verkehr sowie eine Einbeziehung der Umwelt- und Klimapolitik in die Raumplanung im Bereich Personenverkehr am effektivsten (hohe Übereinstimmung & starke Beweislage). Im Güterverkehr werden Maßnahmen im Bereich Elektrifizierung, die Einhebung einer flächendeckenden Maut, weitere Maßnahmen zur Einführung von Kostenwahrheit und Digitalisierungsinitiativen als erfolgversprechend ausgewiesen (Heinfellner et al., 2018) (hohe Übereinstimmung & mittlere Beweislage).

Die wissenschaftliche Evidenz in der internationalen Literatur (siehe z. B. EASAC (2019)), aber auch der Sachstandsbericht Mobilität des Umweltbundesamtes (Heinfellner et al., 2018) und der Mobilitätsmasterplan (BMK, 2021) zeigen auf, dass die Zielerreichung der „Null-Treibhausgas-Emission“ des motorisierten Verkehrs bis 2050 (Sachstandsbericht Mobilität (Heinfellner et al., 2018)) bzw. 2040 (Mobilitätsmasterplan 2030 (BMK, 2021)) und auch das für Österreich definierte Zwischenziel für 2030 mit den oben genannten Maßnahmen nicht erreichbar ist und es weitere, das Verkehrsverhalten beeinflussende Maßnahmen benötigt (hohe Übereinstimmung & starke Beweislage). Hierzu werden unter anderem Maßnahmen und Konzepte, wie „die Stadt der kurzen Wege“, die Neuverteilung und Attraktivierung des öffentlichen Raums sowie neue Formen der Verkehrsberuhigung (z. B. Superblocks) angeführt.

Um die notwendige Forschung und Wissensgenerierung für eine klimaschonende Mobilitätswende weiterhin zu unterstützen, hat das BMK im Herbst 2020 seine „FTI-Strategie Mobilität“ vorgestellt (BMK, 2020). Mit dieser Strategie wird das erfolgreiche, aber auslaufende FTI-Programm „Mobilität der Zukunft“ (2012–2020) ersetzt und Forschungsaktivitäten im Bereich klimaschonende Mobilität werden organisatorisch und finanziell unterstützt.

Im Ref-NEKP Bericht (Kirchengast et al., 2019) findet sich ein umfassenderes Maßnahmenprogramm auf Bundes- und Länderebene, welches in der Lage zu sein scheint, die Klimaziele nachweislich zu erreichen (hohe Übereinstimmung & mittlere Beweislage). Die vorgeschlagenen Maßnahmen beinhalten unter anderem die Internalisierung externer Kosten z. B. im Rahmen einer ökosozialen Steuerreform (CO2-Bepreisung) oder durch eine technisch relativ einfach umsetzbare kilometerabhängige Abgabe, welche die Infrastruktur-, Unfallfolge-, Stau-, Lärm-, Feinstaub-, CO2- und weitere externe Kosten des motorisierten Güter- und Individualverkehrs adäquat bepreist. Diese flächendeckende Straßenbenutzungsgebühr könnte um tageszeit-, straßentyp- und fahrzeugtypabhängige Komponenten erweitert werden, um zielgerichtet steuernd auf die Verkehrsnachfrage einzuwirken.

Weiters wird in der Literatur (Kletzan-Slamanig et al., 2016) empfohlen, „kontraproduktive“ Subventionen im Verkehrssektor ehestmöglich abzuschaffen. Darunter fallen unter anderem die derzeitige Form der Pendlerpauschale, die derzeitigen Rahmenbedingungen für Firmenautos, die Steuerbegünstigung von Diesel, die Normverbrauchsabgabe, Kfz-Versicherungssteuergesetz, Fiskal-Lkw etc. (Kletzan-Slamanig et al., 2016) (hohe Übereinstimmung & starke Beweislage).

Um Pkw-Verkehr im Bereich Raum- und Siedlungsplanung einzusparen, wird eine Ökologisierung der Erschließungsabgabe, die Einführung einer Verkehrserregerabgabe (Schopf & Brezina, 2015, S. 42 ff.), eine Anpassung der Bauordnungen hinsichtlich der Anzahl und räumlichen Anordnungen (Stichwort Äquidistanz) von Pkw-Stellplätzen bei Arbeitsstätten und Wohnanlagen und eine Neuverteilung des Straßenraumflächen zugunsten der Zufußgehenden und Radfahrenden empfohlen (Knoflacher, 2007), für eine Förderung hin zu einer umweltverträglicheren Siedlungsentwicklung (mittlere Übereinstimmung & starke Beweislage).

Gegenwärtig wird die Automatisierung und Digitalisierung im Verkehrssektor als zukunftsträchtig angesehen. Um jedoch unerwünschte Verlagerungen hin zu motorisierten Verkehrsmitteln auf Kosten des Zu-Fuß-Gehens und des Radfahrens hintanzuhalten, sind adäquate Begleitmaßnahmen, wie zum Beispiel Fahrverbotszonen für autonome Fahrzeuge, adaptierte Parkraumbewirtschaftung, Regulatorien wie bzw. wo autonome Fahrzeuge geparkt werden dürfen, etc. zu implementieren (Emberger & Pfaffenbichler, 2020) (mittlere Übereinstimmung & mittlere Beweislage).

Generell wird in der Fachliteratur (siehe unter anderen (Brezina & Schopf, 2017; Gehl, 2010; Knoflacher, 2007, 2012)) empfohlen, Maßnahmen (legistisch, infrastrukturell, fiskal etc.), die das Zu-Fuß-Gehen, Radfahren und den öffentlichen Verkehr bevorzugen, flächendeckend einzusetzen, da sie zur Erhöhung der Klimafreundlichkeit und der Ressourcenschonung beitragen. Unter anderem werden Maßnahmen wie die Bevorzug von Fußgänger_innen und Radfahrer_innen in der StVO, die Errichtung von Fußgängerzonen und Begegnungszonen, separierte Radwege, Einrichtung von Fahrradstraßen, die Bewirtschaftung aller öffentlichen Pkw-Stellplätz und vieles anderes mehr als geeignet angesehen (hohe Übereinstimmung & starke Beweislage).

Im Personenfernverkehr wurden in der Vergangenheit Rahmenbedingungen geschaffen, die eine Kostenwahrheit verunmöglichen. Speziell im Flugverkehr existieren wettbewerbsverzerrende Privilegien. Hier wird die Abschaffung der Flugbenzinsteuerbefreiung und die MWSt-Befreiung für internationale Flüge sowie die Einführung von wirksamen Ticketabgaben empfohlen, um dämpfend auf die Flug- und generell auf die Fernverkehrsnachfrage einzuwirken (Kirchengast et al., 2019, S. 62). Eine weitere treibhausgaseinsparende Maßnahme ist das Verbot von Kurzstreckenflügen, wie es aktuell in Frankreich (im Mai 2021) gesetzlich verankert worden ist.

Das Mobilitätsverhalten kann durch eine klimagerechte Siedlungs- und Raumstruktur mittel- und langfristig nachhaltig beeinflusst werden (Stichwort „Nutzendurchmischung“). Durch die bereits oben angesprochene sukzessive Einführung von Kostenwahrheit und durch adäquate ökonomische Anreize im Verkehrssystem kann ein nachhaltiges Verkehrsverhalten aller Teilnehmer_innen (Güter- wie Personenverkehr) erreicht werden (Emberger, 1999).

Festzuhalten ist, dass auf eine soziale Ausgewogenheit bei der Implementation der oben vorgestellten verkehrspolitischen Maßnahmen zu achten ist, da ja vor allem durch monetäre Maßnahmen untere Einkommensschichten mehr belastet werden (Dugan et al., 2022) (hohe Übereinstimmung & starke Beweislage). Hierzu wird auch auf das [Kap. 17] verwiesen.

Interessant ist ein Vergleich der letzten beiden österreichischen Regierungsprogramme in Bezug auf Verkehrspolitik. Während die Regierungsvereinbarung 2017–2022 (ÖVP & FPÖ, 2017, S. 148 ff.) eher wirtschaftliche Aspekte in den Vordergrund rückte (z. B. mit der Aussage „Standort Österreich entwickeln“ oder „Seidenstraße soll nicht an Österreich vorbeilaufen“ (ÖVP & FPÖ, 2017, S. 148)), werden im Regierungsprogramm 2020–2024 Klima- und Umweltschutz (ÖVP & Grüne, 2020, S. 103 ff.), Kostenwahrheit (ÖVP & Grüne, 2020, S. 69, 77 ff.) und Digitalisierung und Innovation hin zu einer umweltfreundlichen und sozial leistbaren Mobilität als Leitprinzipien (ÖVP & Grüne, 2020, S. 120 ff.) genannt.

Durch die COVID-19-Krise 2020 wurden die Umsetzungen der angesprochenen Maßnahmen verzögert. Eine quantitativ messbare Klimawirkung z. B. des KlimaTickets Österreich (umgesetzt im November 2021) oder der ökosozialen Steuerreform (umgesetzt im Frühjahr 2022) ist daher frühestens in drei bis fünf Jahren möglich (mittlere Übereinstimmung & schwache Beweislage).

Generell ist festzuhalten, dass strukturelle Maßnahmen im Bereich Verkehr, seien es Veränderungen in den Zuständigkeiten von Gebietskörperschaften, Änderungen in den Umsetzungsprozessen von Infrastrukturvorhaben, den Bau von Infrastrukturen, die Änderungen von Oberzielen (z. B. Klimaschutz anstatt der Befriedigung der scheinbar unlimitierten Nachfrage an motorisierter individueller Mobilität), die Änderungen von Gesetzen etc. längere Zeiträume (5 bis 20, 30 Jahre) beanspruchen. Und erst wenn diese strukturellen Änderungen umgesetzt sind, sind – wiederum zeitverzögert – Verhaltensänderungen in der Gesellschaft und im dazugehörigen Wirtschaftssystem zu bemerken (Emberger, 1999, S. 89 ff.). Da sich Österreich zum 1,5-Grad-Limit verpflichtet hat, ist ein zielgerichtetes, ambitioniertes und rasches Handeln aller involvierten Akteur_innen notwendig (hohe Übereinstimmung & starke Beweislage).