FormalPara Koordinierende_r Leitautor_in

Johanna Hofbauer

FormalPara Leitautor_innen

Stefanie Gerold, Dominik Klaus und Florian Wukovitsch.

FormalPara Beitragende_r Autor_in

Michaela Neumann

FormalPara Revieweditorin

Ines Weller

FormalPara Zitierhinweis

Hofbauer, J., S. Gerold, D. Klaus und F. Wukovitsch (2023): Erwerbsarbeit. In: APCC Special Report: Strukturen für ein klimafreundliches Leben (APCC SR Klimafreundliches Leben) [Görg, C., V. Madner, A. Muhar, A. Novy, A. Posch, K. W. Steininger und E. Aigner (Hrsg.)]. Springer Spektrum: Berlin/Heidelberg.

FormalPara Kernaussagen des Kapitels

Status quo

  • Weite Bereiche der Erwerbsarbeit erfüllen gegenwärtig nicht die Voraussetzungen für ein klimafreundliches Leben. Daher sind grundlegende Veränderungen der Strukturbedingungen von Erwerbsarbeit erforderlich (hohe Übereinstimmung, starke Literaturbasis).

Notwendige Veränderungen

  • Um die Klimaziele zu erreichen, ist eine weitgehende Dekarbonisierung erforderlich. Dazu tragen in vielen Wirtschaftsbereichen die Umstellung auf erneuerbare Energien und andere (technologische) Innovationen bei. Andere Bereiche erfordern Stilllegungen oder die Konversion zu klimafreundlicheren Produkten und Dienstleistungen (z. B. Ausstieg aus dem Verbrennungsmotor) (hohe Übereinstimmung, starke Literaturbasis).

  • In der Transformationsphase wird aufgrund des notwendigen Umbaus der Infrastruktur das Arbeitsvolumen voraussichtlich zumindest konstant bleiben (mittlere Übereinstimmung, mittlere Beweislage). Längerfristig könnte eine Reduktion des Arbeitsvolumens erforderlich sein, um die ökologischen Grenzen nicht zu überschreiten (mittlere Übereinstimmung, schwache Literaturbasis).

  • Damit der notwendige Strukturwandel überhaupt gelingen kann, ist in liberalen Demokratien die Einbindung aller wesentlichen gesellschaftlichen Kräfte und die Berücksichtigung unterschiedlicher Interessen erforderlich. Grundlegend sind die Gewährleistung materieller Absicherung sowie die gerechte Verteilung von Transformationskosten (hohe Übereinstimmung, schwache Literaturbasis).

Strukturen, Kräfte, Akteur_innen und Barrieren des Wandels

  • Erwerbsarbeit spielt eine zentrale Rolle in der Kontroverse über die Vereinbarkeit von Wirtschaftswachstum und Klimaschutz. Die Koppelung von Einkommen, sozialer Sicherung, Anerkennung und gesellschaftlicher Teilhabe an Erwerbsarbeit schränkt klimapolitische Gestaltungsspielräume ein (hohe Übereinstimmung, mittlere Literaturbasis).

  • Unternehmen und ihre Interessenvertretungen sowie Gewerkschaften können sowohl hemmende als auch treibende Kräfte des Strukturwandels sein (hohe Übereinstimmung, mittlere Literaturbasis).

  • Technologische Entwicklungen wie die Digitalisierung sind ambivalent und können die sozialökologische Transformation entweder unterstützen oder behindern. Damit Digitalisierung für eine klimafreundlichere und gute Erwerbsarbeit nutzbar gemacht werden kann, bedarf es politischer Gestaltung (mittlere Übereinstimmung, schwache Literaturbasis).

  • Der Wertewandel hin zu einer ausgewogenen Work-Life-Balance und neue Sinnansprüche an Arbeit können die Gestaltung klimafreundlicher Strukturbedingungen von Erwerbsarbeit erleichtern (mittlere Übereinstimmung, schwache Literaturbasis).

Gestaltungsoptionen

  • Arbeitszeitverkürzung ist eine geeignete Maßnahme, um (1) ein klimafreundliches Leben außerhalb der Erwerbsarbeit zu erleichtern (mittlere Übereinstimmung, schwache Beweislage) und um (2) ein möglicherweise längerfristig sinkendes Erwerbsarbeitsvolumen gleichmäßiger zu verteilen (hohe Übereinstimmung, mittlere Literaturbasis).

  • Betriebliche Mitbestimmung und Partizipation sind eine Voraussetzung, um gemeinsam mit den Beschäftigten notwendige Veränderungen umsetzen zu können. Mehr Partizipation führt nicht automatisch zu klimafreundlicherem Verhalten, sondern erfordert entsprechende Begleitmaßnahmen in Betrieben sowie seitens der Politik (hohe Übereinstimmung, mittlere Literaturbasis).

  • Investitionen in umweltfreundliche und kreislaufwirtschaftliche Produktionsverfahren sind notwendig, um klimafreundliche Beschäftigungsmöglichkeiten zu schaffen (hohe Übereinstimmung, hohe Literaturbasis).

  • Investitionen in öffentliche Infrastrukturen und Dienstleistungen (Daseinsvorsorge) sind notwendig, um drei zentrale Ziele zu erreichen: (1) klimafreundliche Beschäftigung zu stärken, (2) gesellschaftliche Bedürfnisse zu befriedigen und (3) eine sozialverträgliche Transformation zu gewährleisten (mittlere Übereinstimmung, mittlere Literaturbasis).

  • Um den Strukturwandel zu bewältigen und damit Arbeitnehmer_innen in klimafreundlicher Erwerbsarbeit tätig sein können, müssen sie Zugang zu den erforderlichen Qualifikationen erhalten (hohe Übereinstimmung, mittlere Literaturbasis).

7.1 Einleitung

In den Industrienationen des globalen Nordens hat Erwerbsarbeit eine zentrale Bedeutung erlangt. Sie ist Quelle individueller Daseinsvorsorge und materieller Existenzsicherung. Durch Erwerbsarbeit erhalten Menschen Zugang zu Sozialkontakten, Anerkennung und anderen immateriellen Ressourcen, die für ihre Identitätsentwicklung und soziale Einbindung wesentlich sind (Gini, 1998; Holtgrewe et al, 2000; Voswinkel, 2013, 2016). Erwerbsarbeit strukturiert den Alltag und setzt den zeitlichen Rahmen für unbezahlte Arbeit und Aktivitäten in anderen Lebensbereichen [Kap. 89]. Darüber hinaus ist Erwerbsarbeit in vielen Wohlfahrtsstaaten, so auch in Österreich, eine wichtige Finanzierungsquelle und Voraussetzung für den Anspruch auf Sozialversicherungsleistungen [Kap. 18].

Erwerbsarbeit hat zugleich eine enorme klimapolitische Bedeutung. Als Produktionsfaktor in einem kapitalistischen Wirtschaftssystem beinhaltet Erwerbsarbeit unzählige Tätigkeiten und Abläufe, die mit Energie- und Ressourcenverbrauch verbunden sind. Produktivitätssteigerungen beruhten über Jahrzehnte auf einem steigenden Ressourcenverbrauch und dem Einsatz von immer neuen Technologien, die fossile Energie verwenden (Ayres & Warr, 2009). Erwerbsarbeit ist daher zwangsläufig an der Produktion klimaschädlicher Emissionen beteiligt (Fischer-Kowalski & Haas, 2016; Fischer-Kowalski & Schaffartzik, 2008), wenn auch variierend nach Branche bzw. Wirtschaftsbereich [Kap. 14].

Zudem ist Erwerbsarbeit ein wichtiger Treiber von Wirtschaftswachstum: Bei steigender Arbeitsproduktivität ist Wirtschaftswachstum notwendig, um Beschäftigungsverluste zu vermeiden. Gleichzeitig geht Wirtschaftswachstum mit steigender Umweltbelastung einher. Daher besteht ein Zielkonflikt zwischen Umwelt-, Beschäftigungs- und Wirtschaftspolitik (Antal, 2014; Seidl & Zahrnt, 2019).

In der Literatur herrscht breiter Konsens darüber, dass Erwerbsarbeit ein bedeutendes Element des klimapolitischen Umbaus von Wirtschaft und Gesellschaft ist (Bohnenberger, 2022; Seidl & Zahrnt, 2019). Die Auffassungen über die erforderliche Reichweite und Form dieses Umbaus gehen jedoch auseinander.

Auf der einen Seite des Ideenspektrums [Kap. 2] sind Ansätze zu verorten, die eine (1) „Marktperspektive“ einnehmen. Konzepte der Green Economy etwa setzen auf technische Innovationen und korrekte Preissignale (unter anderem durch die Bepreisung von Emissionen). Sie schlagen einen modernisierungspolitischen Pfad ein, im Vertrauen auf die ordnenden Kräfte des Marktes, rationale Entscheidungen der Marktteilnehmer_innen und die individuelle Verantwortung der Bürger_innen (Loiseau et al, 2016; OECD, 2020; UN, 2015; UNEP, 2008, 2019).

Aus einer (2) „Innovationsperspektive“ steht die Frage der Ermöglichung von Veränderungsprozessen im Vordergrund. Die Forschung widmet sich nicht nur der Beschäftigungsentwicklung im Umwelt- und Umwelttechniksektor (unter anderem BMK, 2022; IRENA & ILO, 2021). Sie legt auch einen starken Fokus auf Möglichkeiten der Digitalisierung für die Entwicklung neuer Formen der Arbeitsorganisation, für ortsunabhängiges Arbeiten oder die Entwicklung neuer Berufe in Wirtschaftszweigen, die weniger klimaschädlich produzieren (unter anderem OECD, 2019, S. 67 ff.; Schörpf et al., 2020; Steininger et al., 2021).

Dagegen betonen Ansätze aus einer (3) „Bereitstellungsperspektive“ zum einen die Verfügbarkeit von klimafreundlichen Arbeitsplätzen für jene, die zur Existenzsicherung auf Lohnarbeit angewiesen sind (unter anderem AK/ÖGB, 2017; Eder, 2021; Wukovitsch, 2021). Zum anderen geht es um die Frage, in welchen Wirtschaftsbereichen Erwerbsarbeit einen Beitrag zur (klimafreundlichen) Bedürfnisbefriedigung leistet (Krisch et al., 2020) und inwiefern Erwerbsarbeit auch in Zukunft die zentrale Quelle der Daseinsvorsorge sein soll.

Ein wesentlicher Bestandteil des Ideenspektrums ist schließlich einer (4) „Gesellschaft-Natur-Perspektive“ zuzuordnen. Ausgehend von der Diagnose, dass die Klimaziele weder unter Beibehaltung von Wirtschaftswachstum noch durch inkrementelle Veränderungen erreicht werden können (unter anderem Antal, 2014; Haberl et al., 2020), wird nach Wegen für tiefgreifende Veränderungen der Strukturbedingungen von Wirtschaft und Gesellschaft gesucht. Dabei erörtert man Themen wie Arbeitszeitverkürzung oder die Neubewertung und Umverteilung gesellschaftlich notwendiger Arbeit (Littig & Spitzer, 2011; Seidl & Zahrnt, 2019).

Das Kapitel geht folgenden Fragen nach:

  1. 1.

    Wie muss Erwerbsarbeit gestaltet werden, damit sich Menschen im Rahmen ihrer Berufstätigkeit klimafreundlich verhalten können? Die Frage bezieht sich zum einen auf die Klimafreundlichkeit der Herstellungsprozesse von Produkten und Dienstleistungen. Zum anderen geht es um die Frage, ob die im Rahmen von Erwerbsarbeit hergestellten Produkte und Dienstleistungen anderen Menschen (Konsument_innen) ein klimafreundliches Leben ermöglichen. Damit ist auch die Frage verbunden, welche Entscheidungs- und Partizipationsmöglichkeiten Beschäftigte haben, um im Rahmen von Erwerbsarbeit im Einklang mit klimapolitischen Anforderungen handeln zu können.

  2. 2.

    Wie muss Erwerbsarbeit gestaltet sein, damit Menschen außerhalb ihrer Erwerbsarbeit ein klimafreundliches Leben führen können? Arbeitsumfang, Belastungen, aber auch Erfahrungen von Sinn und sozialer Anerkennung im Rahmen der Erwerbsarbeit haben Auswirkungen auf das Handeln von Erwerbstätigen in der erwerbsfreien Zeit. Die Frage nach Strukturbedingungen für ein klimafreundliches Leben schließt daher die Frage ein, welche Spielräume die Erwerbsarbeit für ein klimafreundliches Handeln im Alltag schafft. Damit ist auch das Verhältnis von bezahlter und unbezahlter Arbeit angesprochen [Kap. 8].

Das Kapitel beginnt mit einer Darstellung des Status quo für klimafreundliches Leben innerhalb und außerhalb der Erwerbsarbeit und stellt verschiedene Konzepte erwerbsarbeitsbezogener Klimapolitik vor. Anschließend geht das Kapitel auf Barrieren und treibende Kräfte eines Strukturwandels ein. Der dritte Abschnitt stellt Gestaltungsoptionen dar und fragt, wie Bedingungen für ein klimafreundliches Leben innerhalb wie auch außerhalb der Erwerbsarbeit geschaffen werden können.

7.2 Status quo

7.2.1 Bedingungen für klimafreundliches Handeln innerhalb der Erwerbsarbeit

Das Potenzial, innerhalb der Erwerbstätigkeit klimafreundlich zu handeln, ist von den Bedingungen abhängig, die der Arbeitsplatz bzw. -ort bietet. Allgemein ist festzuhalten, dass weite Bereiche der Erwerbsarbeit gegenwärtig nicht die Voraussetzungen für ein klimafreundliches Leben erfüllen (Hoffmann & Spash, 2021). Der Produktionssektor verursacht zwar gemeinhin mehr CO2-Emissionen als der Dienstleistungssektor, unternehmensbezogene Dienstleistungen wie Werbung sind aber über die Wertschöpfungskette vielfach eng mit emissionsintensiven Produktionsprozessen oder klimaschädlichem Konsum verbunden. Und auch innerhalb des produzierenden Bereichs bestehen erhebliche Unterschiede. Besonders emissionsintensiv ist die Beschäftigung in den Bereichen Kokerei und Mineralölverarbeitung, Metallerzeugung und -bearbeitung sowie Energieversorgung. Bei einer Betrachtung der Sektoren mit den höchsten CO2-Emissionen – über alle Tätigkeitsbereiche hinweg – fällt auf, dass deren Gewicht auf dem Arbeitsmarkt sehr unterschiedlich ist [Tab. 7.1; siehe auch Kap. 14].

Tab. 7.1 Sektoren mit den höchsten CO2-Emissionen in Österreich (absolut, 2016). CO2-Emissionen, Beschäftigte und Bruttowertschöpfung nach Sektoren (2016). (Quelle: Statistik Austria, WIFO-Berechnungen, zit. nach Meinhart et al. (2022, Anhang), eigene Darstellung)

Im Jahr 2019 hatten die Bereiche Energie und Industrie einen Anteil von knapp 44 Prozent an den nationalen Treibhausgasemissionen, der größte Teil davon (85 Prozent) ist vom EU-Emissionshandelssystem (EU-ETS) erfasst (Meinhart et al., 2022). Das ermöglicht eine räumliche Zuordnung der Anlagen mit besonders hoher Emissionsintensität der Beschäftigung (Streicher et al, 2020; Abb. 7.1). Auch hier ist zwar zu beachten, dass diese Daten keine direkten Rückschlüsse auf die quantitative Bedeutung des jeweiligen Tätigkeitsbereichs für den regionalen oder gesamtösterreichischen Arbeitsmarkt zulassen. Dennoch geben derartige Auswertungen Hinweise auf Regionen, die im Zuge der Dekarbonisierung mit besonderen Herausforderungen konfrontiert sind.

Abb. 7.1
figure 1

Aktive EU-ETS-Anlagen in Österreich, Emissionsintensität der Beschäftigung. Direkte Emissionsintensität der Beschäftigung (t Co2e/Beschäftigung), räumliche Verteilung in Österreich. (Quelle: EUTL und Amadeus-Datenbank; WIFO-Berechnungen (zit. nach Streicher et al., 2020, S. 12))

Angesichts ambitionierter Dekarbonisierungspläne auf europäischer und nationaler Ebene erhalten die Herausforderungen, denen die Erwerbsarbeit im Produktionssektor (und darüber hinaus) gegenübersteht, zunehmend Aufmerksamkeit (beispielsweise Streicher et al, 2020; Steininger et al, 2021; Meinhart et al, 2022). Zur Diskussion steht ein breites Spektrum an möglichen Entwicklungen, das von der Stilllegung ganzer Produktionszweige („phasing out“) über die (grundlegende) Umstellung bzw. technologische Erneuerung von Produktionsprozessen (UNDP, 2015) bis zur Verlagerung von Produktion in Drittstatten („Carbon Leakage“) reicht [Kap. 1415]. Auch Beschäftigte in Branchen, die aufgrund sonstiger klimapolitischer Vorgaben umgestaltet werden müssen (z. B. Ausstieg aus dem Verbrennungsmotor) sowie jene, die in verbundenen Wertschöpfungsketten tätig sind, werden von den Maßnahmen zur Dekarbonisierung betroffen sein. Gleichzeitig sind neue Beschäftigungsmöglichkeiten in Bereichen zu erwarten, die weniger Emissionen verursachen bzw. eine klimafreundlichere Wirtschaft unterstützen (z. B. Ausbau erneuerbarer Energieträger, E-Mobilität, Kreislaufwirtschaft; Sala et al., 2020; Großmann et al., 2020).

Dieser ökologische Umbau der Wirtschaft erzeugt einen erheblichen Qualifizierungs- und Umschulungsbedarf, etwa im Bereich der Ausbildung für neue IT-Systemtechniken, Beratungs- und Sanierungsleistungen für Energieeffizienz oder Berufe in der Kreislaufwirtschaft. Um den notwendigen Bedarf an Fachkräften zu decken, ist eine langfristige und weitreichende Qualifizierungsstrategie notwendig, die die Zeitdauer von Aus- und Weiterbildungen und bereits existierende Kompetenzen berücksichtigt (Steininger et al., 2021). Für Deutschland liegen Policy Papers und Studien vor, die den sozial-ökologischen Umbau der Industrie, Arbeitsmarktchancen der erneuerbaren Energien und Aus- und Weiterbildungen für grüne Kompetenzen analysieren (unter anderem Blöcker, 2014; IRENA & ILO, 2021; Mertineit, 2013). Die britische Campaign Against Climate Change Trade Union Group bemüht sich in ihrem Policy Paper um die Auflösung des „Job-Environment-Dilemma“ und entwickelt Strategien, um Arbeitsplätze, die Treibhausgasemissionen senken, in der Energiewirtschaft, im Bausektor, im Verkehr und in der Landwirtschaft voranzutreiben (Campaign Against Climate Change, 2021). Für Österreich wird außerdem aktuell ein Aktionsplan für zentrale Bereiche der Energiewende entwickelt (BMK, 2022). Eine weitere Herausforderung besteht in regionalpolitischer Hinsicht, zumal neue bzw. weniger klimaschädliche Jobs nicht unbedingt dort entstehen, wo Arbeitskräfte entlassen werden (zur räumlichen Dimension siehe Abb. 7.1).

Erwerbsarbeit im Dienstleistungssektor geht im Durchschnitt mit einem geringeren Ausstoß an Emissionen einher als in der Güterproduktion. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass viele dieser Tätigkeiten auf der vorgelagerten Herstellung von Gütern beruhen und dass auch emissionsintensive Dienstleistungen existieren, beispielsweise im Verkehr (Hardt et al., 2020; Streicher et al., 2020) [Kap. 59]. Erwerbsarbeitsbedingte Emissionen umfassen darüber hinaus Mobilität, die im Rahmen der Erwerbsarbeit passiert [Kap. 6]. Die Zahl der Geschäftsreisen in Österreich hat im Jahr 2019 einen Höchststand erreichtFootnote 1. Bahn- und Busreisen gewinnen zwar an Bedeutung, dennoch ist das Auto immer noch das meistgenutzte Verkehrsmittel. Im Verhältnis zu 2018 wurde ein überproportionales Wachstum der Flug-Geschäftsreisen festgestellt (Mohr, 2021).

Setzt man allerdings den Energieverbrauch ins Verhältnis zur geleisteten Arbeitszeit, zeigt sich für Deutschland, dass die Energieintensität pro Arbeitsstunde in Dienstleistungssektoren (ausgenommen Transport) deutlich geringer ist als in der Produktion. Dies gilt auch, wenn der Energieverbrauch aus vorgelagerter Produktion berücksichtigt wird (Hardt et al., 2020, 2021). Insbesondere die sektorale Verschiebung von Beschäftigung in Dienstleistungsbereiche wie Bildung, soziale Dienste und Gesundheitswesen wird als Option diskutiert, um klimafreundliche Erwerbsarbeit zu schaffen und Beschäftigungsverluste damit auszugleichen (Krisch et al., 2020; Jackson & Victor, 2011; Pirklbauer, 2020).

Neben Herausforderungen wie der Re-Qualifizierung und dem regionalen Matching von Job-Angeboten und -Nachfrage besteht im Rahmen der sektoralen Verschiebung von Beschäftigung ein weiteres Problem: In vielen Bereichen des tertiären Sektors ist Erwerbsarbeit geringer entlohnt als in den Bereichen des produzierenden Gewerbes, die besonders von der Dekarbonisierung betroffen sind. Im Dienstleistungssektor besteht auch ein hoher Anteil an atypischer Beschäftigung. Darunter sind viele Arbeitsplätze, die unsicher, nicht existenzsichernd und ohne Perspektive auf berufliche oder qualifikatorische Weiterentwicklung sind (Geisberger & Knittler, 2010; Knittler, 2018).

In diesem Zusammenhang wird deutlich, dass klimafreundliche Investitions- und Beschäftigungspolitik unterschiedliche Zielsetzungen verfolgen kann. In der Literatur zeichnen sich vier konzeptionelle Zugänge ab: Green Jobs, Just Transition, Sustainable Work und Post-Work (siehe Box).

Konzepte erwerbsarbeitsbezogener Klimapolitik

Green Jobs ist ein Konzept aus der marktorientierten Strategie des „grünen Wachstums“ (Green Growth) bzw. einer „grünen Wirtschaft“ (Green Economy). Zu ihrer Abgrenzung bestehen verschiedene Herangehensweisen (Janser, 2018). Der verbreitetste Ansatz basiert auf dem Konzept der Umweltwirtschaft, dem sogenannten „Environmental Goods and Services Sector (EGSS)“. Umfasst sind Tätigkeiten zur Messung, Vermeidung, Verringerung, Beschränkung oder Behebung von Umweltschäden sowie zum schonenden Umgang mit Ressourcen. 2019 waren in Österreich rund 183.000 Beschäftigte (in Vollzeitäquivalenten) in Green Jobs tätig. Im Vergleich: Die gesamte österreichische Tourismusindustrie beschäftigt rund 200.000 Arbeitskräfte in Vollzeitäquivalenten (Statistik Austria, 2021, 2022).

Während diese Definition von Green Jobs nur auf Beschäftigungspotenziale in „grünen“ Branchen eingeht, berücksichtigt das Konzept der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO) auch die Arbeitsbedingungen beziehungsweise Arbeitsqualität. Neben der Erstellung grüner Produkte oder Dienstleistungen bzw. der Beschäftigung in umweltfreundlichen Prozessen geht es also auch um das Ziel, gute Arbeitsplätze (Decent Work: https://ilo.org) bereitzustellen.

Just Transition: Im Zentrum steht die Forderung, dass im ökologisch notwendigen Strukturwandel das Interesse der Arbeitnehmer_innen an Mitbestimmung, guter Beschäftigung und sozialer Absicherung umfassend berücksichtigt und gewahrt werden muss. Spätestens mit der Forderung der internationalen Gewerkschaftsbewegung nach einer Berücksichtigung von Just Transition im Rahmen der internationalen Klimaverhandlungen erlangte das Konzept global Aufmerksamkeit. Heute wird es von unterschiedlichen Akteursgruppen und mit unterschiedlichen Stoßrichtungen genutzt. Diese reichen von räumlich beschränkten Förderinstrumenten wie dem EU-Fonds für einen gerechten Übergang (Europäische Kommission, 2020a) bis zu relativ weitreichenden Positionspapieren im Umfeld der Interessenvertretungen der Arbeitnehmer_innen (ILO, 2015; Initiative Wege aus der Krise, 2019; TUDCN, 2019). Darin werden wirtschaftspolitische Maßnahmen zur Gestaltung des Strukturwandels, soziale Sicherheit, aktive Arbeitsmarktpolitik und die umfassende Beteiligung der Beschäftigten und ihrer Vertretungen gefordert. Just Transition bleibt aber umkämpft, wie man am Beispiel des Kohleausstiegs in Deutschland sieht. Die Debatte zwischen Befürworter_innen und Gegner_innen tendiert dazu, ökologische, beschäftigungspolitische und wirtschaftliche Interessen gegeneinander auszuspielen, was den Ausstieg verlangsamt (Kalt, 2021). Für Österreich entstehen analoge Herausforderungen beim Ausstieg aus der Produktion von Verbrennungsmotoren in der Automobilindustrie (Wissen et al., 2020) sowie vermutlich auch bei der Ökologisierung des Wintertourismus (Steiger et al., 2021) oder der Fleischproduktion (Barth et al., 2019). Am Beispiel des Automobil- und Energiesektors ist zu erkennen, wie ökologische Gewerkschaftspolitik auf nationaler Ebene in Konflikt mit dem Kampf um Beschäftigung auf betrieblicher Ebene geraten kann (Galgóczi, 2020).

Sustainable Work: Darunter wird Arbeit verstanden, die die menschliche Entwicklung fördert und gleichzeitig ökologische Nebenwirkungen minimiert (UNDP, 2015). Die Definition des UN-Entwicklungsprogramms umfasst auch unbezahlte Tätigkeiten wie Hausarbeit oder ehrenamtliche Tätigkeiten. Der Mehrwert des Konzepts liegt darin, dass es explizit das Problem von ökologisch nicht nachhaltiger Arbeit thematisiert. Daraus folgt, dass sich Berufsbilder verändern und manche Tätigkeiten zur Gänze verschwinden müssen, um die Klimaziele zu erreichen (UNDP, 2015). Im deutschsprachigen Raum wird „nachhaltige Arbeit“ noch breiter gefasst. Hier rückt die Arbeitsgesellschaft insgesamt ins Zentrum der Analyse von Grenzen und Möglichkeiten einer tiefgreifenden sozial-ökologischen Transformation. Ausgangspunkt der Überlegungen ist, dass gesellschaftliche Naturverhältnisse in konkreten Arbeitsprozessen geprägt werden (Barth et al., 2016; Littig et al., 2018). Nachhaltigkeit bezieht sich nicht nur auf die ökologische, sondern auch auf die soziale Dimension von Arbeit, wobei unbezahlte Haus- und Sorgearbeit einbezogen wird (Jürgens, 2008). In diesem Kontext werden oft auch erweiterte Arbeitskonzepte vorgebracht. Diese plädieren für einen Arbeitsbegriff, der neben Erwerbsarbeit Tätigkeiten wie Hausarbeit, Eigenarbeit oder zivilgesellschaftliches Engagement umfasst. In Anlehnung an die feministische Arbeitsforschung wird die mangelnde gesellschaftliche Anerkennung unbezahlter Versorgungs- und Betreuungsarbeit problematisiert. Diese gesellschaftlich notwendigen Tätigkeiten sollten umverteilt und neu bewertet werden. Die Reduktion von Erwerbsarbeit und mehr Eigenarbeit sollen einen nachhaltigen Lebensstil ermöglichen (Littig & Spitzer, 2011).

Post-Work: Debatten um eine Post-Work-Gesellschaft haben ihre Wurzeln in arbeitskritischen Strömungen marxistischer und feministischer Theorie. Sie sind relevant für jene Teile der klimapolitischen Forschung, die eine Reduktion von Erwerbsarbeit als Voraussetzung für die Erreichung der Klimaziele erachtet (Frayne, 2016; Hoffmann & Paulsen, 2020). Post-Work kritisiert die zentrale Rolle von Erwerbsarbeit in modernen Gesellschaften. Da Arbeit meist unhinterfragt als wichtigste Quelle von Einkommen, Sinnstiftung, persönlichem Erfolg und sozialer Anerkennung gilt (Frayne, 2015), sind Individuen davon abhängig, einer bezahlten Arbeit nachzugehen – auch wenn es sich dabei um prekäre, unterbezahlte oder gesundheitsbelastende Jobs handelt. Post-Work kritisiert zudem mangelnde Mitsprache- und Entscheidungsrechte von Beschäftigten in Erwerbsarbeitsverhältnissen. Dies betrifft vor allem die Frage, welche Produkte und Dienstleistungen hergestellt werden. Zudem wird in der Post-Work-Debatte die kulturelle Bedeutung von Arbeit hinterfragt. Die moderne Arbeitsethik sieht Arbeit als moralische Verpflichtung, unabhängig von der ökonomischen oder gesellschaftlichen Notwendigkeit (Weeks, 2011). Neben der kritischen Analyse handelt es sich bei Post-Work auch um ein emanzipatorisches Projekt. André Gorz (2000) forderte beispielsweise eine breite gesellschaftliche Debatte über den Zweck von Arbeit und eine Reduktion fremdbestimmter, dem Produktionsprozess unterworfener Lebens- und Arbeitszeit. Konkrete Forderungen umfassen eine radikale Arbeitszeitverkürzung und -umverteilung. Durch ein bedingungsloses Grundeinkommen oder eine öffentliche Daseinsvorsorge könnten eine Entkopplung von Erwerbsarbeit und materieller Sicherung sowie mehr Raum für selbstbestimmte Tätigkeiten erreicht werden.

Die erheblichen Unterschiede der genannten Konzepte verweisen auf eine Grundsatzdebatte in der Literatur – gemeint ist das Spannungsverhältnis zwischen Wirtschaftswachstum, Beschäftigungssicherung und klimapolitischen Zielsetzungen. Ansätze für einen grünen Strukturwandel unter Beibehaltung des Wachstumspfads (Capasso et al., 2019) stehen Studien gegenüber, wonach Wirtschaftswachstum nicht mit ökologischen Zielen vereinbar ist (unter anderem Diab, 2020; Haberl et al., 2020; Wiedenhofer et al., 2020). Daher argumentiert ein Teil der Literatur für die Entkopplung von Beschäftigung und Wachstum, die unter anderem durch eine Arbeitszeitverkürzung erreicht werden könnte (Mayrhofer & Wiese, 2020; Seidl & Zahrnt, 2019).

Neben makroökonomischen Fragen widmet sich die Literatur den Bedingungen für klimafreundliches Handeln auf betrieblicher Ebene (von Jorck & Schrader, 2019). Forschung zu „arbeitsökologischer Innovation“ (Becke, 2019) betont die positive Rolle von umweltorientierten Arbeitnehmer_innen bei Nachhaltigkeitstransformationen von Unternehmen (Galpin & Lee Whittington, 2012; Lacy et al., 2009). Süßbauer & Schäfer (2019) unterscheiden zwischen drei Aspekten, wie Beschäftigte zu betrieblichen Nachhaltigkeitsprozessen beitragen können: (1) Verbesserung von Produkten und Dienstleistungen sowie Entwicklung von ökologischen Innovationen (Buhl et al., 2016; Ramus, 2018); (2) Optimierung von Arbeitsprozessen und -routinen im Sinne nachhaltigerer Produktionsprozesse (Wolf, 2013); sowie (3) Förderung nachhaltigen Konsumverhaltens am Arbeitsplatz, etwa bei der Nutzung von Betriebskantinen (Süßbauer & Schäfer, 2018) [Kap. 5].

Die Literatur über betriebliche Mitbestimmungs- bzw. Partizipationsbeziehungen weist hingegen auf die beschränkten Handlungsspielräume von Beschäftigten hin: Ein Befund lautet, dass Beschäftigte heute zwar stärker den Ablauf von Arbeitsprozessen gestalten können. Sie sind aber kaum je in Entscheidungen darüber eingebunden, welche Produkte und Dienstleistungen ein Unternehmen her- bzw. bereitstellt (Schmidt-Keilich et al., 2022; Höijer et al., 2020; QV Kapitel „Ernährung“; Dörre, 2002; Gorz, 2000), welchen sozialen Nutzen diese haben bzw. wie klimafreundlich sie hergestellt oder erbracht werden. Diese Entscheidungen treffen primär Eigentümer_innen bzw. das Management.

Dass nicht alle Arbeitsplätze zwangsläufig einen wertvollen Beitrag für unsere Gesellschaft leisten, zeigt das Phänomen sogenannter „Bullshit Jobs“ (Graeber, 2018). Im Gegensatz dazu stehen Tätigkeiten in Pflege, Transport oder Nahversorgung, deren Systemrelevanz im Zuge der COVID-19-Krise besonders deutlich wurde (Krisch et al., 2020; Pirklbauer, 2020).

7.2.2 Bedingungen für klimafreundliches Handeln außerhalb der Erwerbsarbeit

Strukturbedingungen der Erwerbsarbeit beeinflussen maßgeblich, inwiefern Arbeitnehmer_innen außerhalb ihrer Beschäftigung ein klimafreundliches Leben führen können. So bestimmen nicht nur Stundenlohn, sondern auch die Anzahl der gearbeiteten Stunden die Höhe des Erwerbsarbeitseinkommens. Die Einkommenshöhe ist wiederum der wichtigste Faktor, um den ökologischen Fußabdruck von Menschen vorherzusagen (Moser & Kleinhückelkotten, 2018; Theine et al., 2017) [Kap. 17].

Die Länge der Arbeitszeiten definiert auch das Ausmaß an verfügbarer Zeit außerhalb von Erwerbsarbeit. Es besteht die Annahme, dass kürzere Arbeitszeiten zu einem nachhaltigeren Lebensstil führen können, da umweltschonende Aktivitäten oft relativ zeitintensiv sind (Knight et al., 2013). Dies lässt sich exemplarisch am Bereich Mobilität zeigen. Fliegen kann im Vergleich zu einer Zugfahrt eine Zeitersparnis bringen, verursacht aber auch eine deutlich höhere Umweltbelastung. Ähnlich greifen viele Pendler_innen nicht nur aus Gewohnheit zum privaten Pkw, sondern weil der klimaschonendere öffentliche Personenverkehr zeitaufwendiger ist. Die durch Arbeitszeitverkürzung frei gewordene Zeit kann allerdings auch für ressourcenintensive Tätigkeiten verwendet werden, was sogenannte Zeit-Rebound-Effekte zur Folge hat (Buhl & Acosta, 2016).

Neben der rein zeitlichen Beanspruchung durch Erwerbsarbeit ist die mentale und körperliche Belastung zu berücksichtigen. Arbeitsstress und Leistungsdruck, mangelndes Sinnerleben oder Entfremdungserfahrungen können dazu beitragen, dass Beschäftige versuchen, über Konsum einen Ausgleich zu erreichen (Agger, 1979; Schor, 1992). In diesem Zusammenhang ist auch das Phänomen „work-and-spend-cycle“ in wohlhabenden Ländern zu nennen, welches beschreibt, dass Menschen in einer Spirale langer Arbeitszeiten und daraus folgender hoher Einkommen gefangen sind, die wiederum ein steigendes Konsumniveau begünstigen (Schor, 1999). Zudem erfordert Erwerbstätigkeit bestimmte Formen von Konsum. Neben Berufskleidung oder Essen „to go“ ist hier vor allem Mobilität in Form von Pendelverkehr zu nennen [Kap. 6].

Zudem können kürzere Arbeitszeiten auch mehr Wohlbefinden schaffen, zu geschlechtergerechter Aufteilung der Sorgearbeit und zu besserer Gesundheit beitragen (Pullinger, 2014; Sirianni & Negrey, 2000; Winker, 2015; Wirtz et al., 2009). Laut EU-Arbeitskräfteerhebung 2019 wünschen sich 23 Prozent der Vollzeitbeschäftigten in Österreich explizit kürzere Arbeitszeiten (FORBA & AK, 2021). Expert_innen erklären den europaweit vergleichsweisen hohen Prozentsatz mit dem relativ hohen Anteil an überlangen Arbeitszeiten (siehe Abb. 7.2). Vollzeitbeschäftigte nennen 2019 eine Wunscharbeitszeit von 34 Stunden (FORBA & AK, 2021). Die Europäische Erhebung zur Lebensqualität 2016 gibt für Österreich eine noch geringere Wunscharbeitszeit von 31 Wochenstunden an (Csoka, 2018).

Abb. 7.2
figure 2

Durchschnittliche, normalerweise gearbeitete Wochenstunden von Vollzeitbeschäftigten im Hauptjob, 2019. (Quelle: Eurostat, EU-Arbeitskräfteerhebung 2019 (zit. nach FORBA & AK Wien, 2021, S. 5))

Allerdings können Verkürzungen von Erwerbsarbeitszeit auch auf Widerstände stoßen, vor allem, wenn diese mit Einkommenseinbußen und damit auch mit Einschnitten bei sozialen Sicherungsleistungen einhergehen. Weiters ist zu bedenken, dass ein Teil der erwerbsfähigen Bevölkerung strukturell unterbeschäftigt ist, das heißt gerne mehr Stunden arbeiten würde. Dieses Problem betrifft vor allem Teilzeitbeschäftigte (FORBA & AK, 2021), aber auch Arbeitssuchende und „Entmutigte“, also Menschen, die erwerbstätig sein wollen, aber die Jobsuche aufgegeben haben (Bell & Blanchflower, 2018: 29). Im Jahr 2020 lag die Unterbeschäftigungsquote in Österreich bei 15,5 Prozent (in Prozent der Erwerbspersonen) (Schultheiß et al., 2021, S. 34).

7.3 Treibende Kräfte und Barrieren des Strukturwandels

Strukturelle Rahmenbedingungen des Wirtschaftssystems

Erwerbsarbeit spielt eine zentrale Rolle in der Kontroverse über die Vereinbarkeit von Wirtschaftswachstum und ökologischer Nachhaltigkeit (unter anderem Daly, 1996; Jackson, 2009; Meadows et al., 1972). Seidl und Zahrnt (2019, S. 9) beschreiben das gegenwärtige Wirtschaftssystem als paradox: Während Produktivitätsfortschritte prinzipiell eine Reduktion des Arbeitsvolumens ermöglichen, ermöglicht Wirtschaftswachstum, dass es zu keinem Abbau der Beschäftigung kommt. Gemeinsam mit Produktivitätsfortschritten trägt Wirtschaftswachstum dazu bei, dass die Einkommen von Jahr zu Jahr steigen und Beschäftigungsziele der Wirtschaftspolitik weitgehend erreicht werden. Da auch die Finanzierung der europäischen Sozial- und Abgabensysteme größtenteils an Erwerbseinkommen hängt, ist ein Ausstieg aus der Wachstumslogik weiterhin schwer vorstellbar.

Wachstumsfreundliche Positionen berufen sich auf Modelle, die eine Entkopplung von Wirtschaftswachstum und Ressourcenverbrauch bzw. Treibhausgasemissionen für möglich halten (z. B. Bleischwitz et al., 2012). Sie betonen etwa die Potenziale der Kreislaufwirtschaft oder Erfolge im Bereich der österreichischen Umwelttechnikwirtschaft (BMK, 2022) [Kap. 14]. Wachstum könnte damit auch in einem von massiver Ungleichheit gekennzeichneten kapitalistischen Wirtschaftssystem (Piketty, 2014; Atkinson, 2015) dazu beitragen, die Folgen der Verteilungsschieflage abzumildern. Allerdings drückt sich die globale Ungleichverteilung von Ressourcen und Macht in einer strukturellen Ausbeutung von Mensch und Natur aus, insbesondere im Globalen Süden (Brand & Wissen, 2017). Eine wachsende Anzahl wissenschaftlicher Studien deutet außerdem darauf hin, dass Wirtschaftswachstum langfristig nicht mit ökologischen Zielen zu vereinbaren ist (Hickel & Kallis, 2020; Haberl et al., 2020; Parrique et al., 2019). So konnten Haberl et al. (2020) in einem systematischen Review von 835 empirischen Studien zeigen, dass bisherige Entkopplungsraten nicht ausreichen, um eine rasche und weitreichende Verringerung von Treibhausgasemissionen zu erzielen. Nimmt man dieses Argument ernst, muss langfristig nicht nur das bestehende Arbeitsvolumen anders verteilt bzw. reduziert werden. Auch die Finanzierung der westlichen Sozialstaaten ist im Lichte der klima-, beschäftigungs- und verteilungspolitischen Herausforderungen neu zu gestalten; sie beruht derzeit zu stark auf der Besteuerung von Arbeit bzw. Masseneinkommen und in einem zu geringen Ausmaß auf der Besteuerung von Vermögen sowie Ressourcen- und Energieverbrauch (Aiginger, 2016; Köppl & Schratzenstaller, 2019). Neben der Dominanz der erwerbsarbeitsbezogenen Finanzierung der Sozialversicherungsträger beruht in Österreich ein Drittel des Steueraufkommens auf Lohnsteuern (rund 30 Milliarden Euro; Statistik Austria, 2019).

Institutionen und Akteur_innen

Bei der Umsetzung von notwendigen strukturellen Änderungen können Unternehmen und ihre Interessenvertretungen ebenso wie Gewerkschaften als potenziell hemmende Kräfte des Strukturwandels auftreten [Kap. 1214]. Die strukturkonservative Position von Unternehmen wird gemeinhin auf kurzfristige Gewinninteressen und den ökonomischen Kosten- und Wettbewerbsdruck zurückgeführt. Einblick in die Position von Gewerkschaften liefern Untersuchungen auf europäischer Ebene am Beispiel der Stahlindustrie-Gewerkschaften beim Emissionshandel (z. B. Thomas, 2021). Grundsätzlich ist hier zu berücksichtigen, dass Interessenvertretungen der Arbeitnehmer_innen ebenso wie jene der Industrie in erster Linie ihren Mitgliedern verpflichtet sind („Lock-in-Effekt“). Die österreichischen Sozialpartner verhandeln daher seit vielen Jahren gemeinsame Positionen, wie sie energie- und klimapolitische Ziele erreichen wollen (Die Sozialpartner Österreich, 2014, 2016, 2017).

Auch Machtbeziehungen in Unternehmen, beispielsweise in Form eingeschränkter betrieblicher Mitbestimmung, können Barrieren darstellen. Denn Nicht-Teilhabe an Transformationsentscheidungen führt mit großer Wahrscheinlichkeit zu Abwehrhaltungen bei Beschäftigten, insbesondere, wenn Einkommensverluste oder der Verlust des Arbeitsplatzes drohen. Fallstudien zeigen, dass man die Akzeptanz und Veränderungsbereitschaft der Beschäftigten durch betriebliche Mitbestimmung und die Einbeziehung des Betriebsrats bei der Entwicklung von Transformationsplänen fördern kann (Becke, 2019; Gerold et al., 2017). Eine partizipative Kultur ist im Allgemeinen auch förderlich für Prozesse der Ideenfindung, etwa für Produkt- oder Prozessinnovationen, die für Dekarbonisierung erforderlich sind (ISW, 2019; Wissen et al., 2020).

Werden strukturelle Veränderungen angestrebt, müssen diese aus interessenpolitischer Sicht in ein Bündel an Maßnahmen eingebettet werden (unter anderem ÖGB, 2021; ETUC, 2021). Dass die Interessenvertretungen der Arbeitnehmer_innen in Österreich positive Signale für einen Wandel setzen, zeigt das Forschungsprojekt TRAFO LABOUR (Littig, 2017; Niedermoser, 2017). Die Arbeiterkammer positioniert sich seit einigen Jahren mit Formaten wie dem AK Wohlstandsbericht (Feigl & Wukovitsch, 2018; Schultheiß et al., 2021 etc.) oder dem AK Klimadialog explizit als Akteurin eines sozial-ökologischen Wandels (siehe auch Pickshaus, 2019; Schröder & Urban, 2019).

Eine zunehmende Zahl an Initiativen für einen ambitionierteren Klimaschutz entsteht ebenso auf Seite der Arbeitgeber_innen (z. B. BMK, 2021; GLOBAL 2000, Greenpeace & WWF Österreich, 2017). Treibende Faktoren für Strukturveränderungen kann man auch in zivilgesellschaftlichen Initiativen erkennen (unter anderem Daniel et al., 2021). Diese Initiativen können den öffentlichen Diskurs insgesamt positiv beeinflussen und ein Bewusstsein für die Notwendigkeit klimafreundlicher Erwerbsarbeit schaffen (unter anderem Fridays for Future, System Change not Climate Change); auch hier sind die Interessenvertretungen der Arbeitnehmer_innen vielfach beteiligt (Workers for Future, Gewerkschaftsjugend etc.; siehe auch Pirklbauer & Wukovitsch, 2019).

Werte und Normen

Kulturelle Normen und Werte können den Status quo der Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung legitimieren und damit Transformationsprozesse behindern. Dies ist erkennbar an der umfassenden Rolle und Bedeutung von Erwerbsarbeit in der Gesellschaft. Unabhängig von ökonomischer oder gesellschaftlicher Notwendigkeit gilt Arbeit als moralische Verpflichtung (Weeks, 2011). Erwerbsarbeit wird im Gegensatz zu nicht bezahlten, aber oft gesellschaftlich notwendigen Tätigkeiten als produktiv und wertschaffend erachtet (Mazzucato, 2019). Die politische Ideologie des Neoliberalismus sieht in Erwerbsarbeit ein Mittel schlechthin, um Leistungsorientierung zu zeigen und gesellschaftlichen Status zu rechtfertigen (Lessenich, 2013). Insbesondere aus einer Gesellschaft-Natur-Perspektive [Kap. 2] stehen diese kulturellen Normen einem Umdenken im Wege, das für grundlegende sozial-ökologische Transformationsprozesse erforderlich ist.

Doch im Gefüge der überlieferten gesellschaftlichen Arbeits- und Leistungsnormen sind Brüche zu erkennen. Nicht nur etabliert sich seit mehreren Jahren ein Diskurs über die Bedeutung einer ausgewogenen Work-Life-Balance, auch empirische Wertestudien (beispielsweise die „European Value Study“) lassen auf veränderte Einstellungen schließen. In Österreich nimmt die zentrale Bedeutung von Arbeit gegenüber anderen Lebensbereichen seit 1990 deutlich ab, während Freizeit, Freund_innen und Bekannte stärker in den Vordergrund rücken (Aichholzer et al., 2019). Eine internationale Studie zeigt, dass Menschen wegen ihrer Erfahrungen mit der COVID-19-Pandemie die Bedeutung von Erwerbsarbeit im Leben relativieren (Pizzinelli & Shibata, 2022). Bereits vor der Pandemie haben sich neue Anspruchshaltungen und Normalitätsvorstellungen hinsichtlich Wunscharbeitszeiten und Zeitsouveränität entwickelt (Ahrendt et al., 2017; Csoka, 2018; FORBA & AK, 2021; Pongratz, 2020).

Digitalisierung

Neben bedeutenden, auf Dekarbonisierung zielenden Innovationen im Bereich industrieller Verfahrens- und Prozesstechnologien (unter anderem Blöcker, 2014; Dinges et al., 2017; Steininger et al., 2021) gilt die Digitalisierung als zentraler Treiber des Strukturwandels. Sie eröffnet Handlungs- und Gestaltungsspielräume, die in unterschiedliche Richtungen genützt werden können. So kann Arbeitsproduktivität durch Digitalisierung steigen, was eine Reduktion des Gesamtarbeitsvolumens zur Folge haben und den Abbau von Beschäftigung unter Verschärfung von Ungleichheit bedeuten kann (Frey & Osborne, 2017; Goos et al., 2014; Haiss et al., 2021; Nagl et al., 2017). Digitalisierung kann aber auch Handlungsspielräume für eine Verkürzung der Arbeitszeiten schaffen und für Maßnahmen der Umverteilung genützt werden.

Digitalisierung ist ein ressourcen- und energieintensiver Prozess (Produktion und Gebrauch von Endgeräten, Servern, etc.; The Shift Project, 2019). Zwar wird ihr ein Dekarbonisierungspotenzial zugeschrieben; die Nettoeffekte sind aber aufgrund der Komplexität und hohen Unsicherheit bei der Ausgestaltung von Digitalisierungsprozessen ungewiss (Kirchner, 2018; Santarius et al., 2020)Footnote 2. In der Literatur wird zudem Kritik an der Handelspolitik großer Technologiekonzerne geäußert, die eine Einschränkung der Gestaltungsspielräume nationaler Regierungen bewirkt (James, 2020).

Auch bezüglich der Arbeitsqualität wird Digitalisierung ambivalent beurteilt. Einerseits erleichtert sie eine größtmögliche Überwachung und Kontrolle am Arbeitsplatz (Christl, 2021; Riesenecker-Caba & Astleithner, 2021). Andererseits können Digitalisierungsprozesse zur Flexibilisierung von Arbeit im Interesse der Beschäftigten beitragen. Sie bieten insbesondere auch Chancen, verkehrsbedingte Emissionen zu reduzieren. Durch die Umstellung auf Homeoffice kann etwa Pendelverkehr reduziert werden. Zudem sinkt durch den Einsatz von digitalen Kommunikationsmitteln die Notwendigkeit von Geschäftsreisen. Das WIFO geht aktuell von einem Homeoffice-Potenzial von 45 Prozent aller unselbstständig Beschäftigten aus (Bock-Schappelwein, 2020).

7.4 Gestaltungsoptionen

7.4.1 Ermöglichung klimafreundlichen Handelns im Rahmen der Erwerbsarbeit

Die Entwicklung von Strukturbedingungen für klimafreundliche Erwerbsarbeit kann auf ein breites Spektrum von Gestaltungsoptionen zurückgreifen. Sie lassen sich modellhaft der Markt-, Innovations-, Bereitstellungs- oder Gesellschaft-Natur-Perspektive zuordnen [Kap. 2]. Die Zuordnung zu den Perspektiven betont, wie verschiedenartig transformationspolitische Maßnahmen sein können und dass man sie auf allen Strukturebenen ansiedeln kann. Sie reichen von nationalen und EU-weiten Politikmaßnahmen bis zur betrieblichen Ebene, von technologischen Innovationen bis zu Arbeitszeitpolitik und Ideen für einen grundlegenden gesellschaftlichen Wandel.

Politisch-regulatorische Eingriffe

Umfassende politische Strategien für einen Strukturwandel werden aktuell unter anderem als European Green Deal oder Green New Deal diskutiert, wobei die Kernziele von einer ambitionierten Dekarbonisierung und Ressourcenschonung (Rifkin, 2019; Europäische Kommission, 2019a, 2019b, 2020a, 2020b) bis zu einer breiteren sozial-ökologischen Umgestaltung reichen können (Klein, 2019; Pettifor, 2019).

Um den Druck auf Beschäftigte in Europa zu reduzieren, der sich aufgrund veränderter Wettbewerbsbedingungen bildete, und um darüber hinaus die Voraussetzungen für gute Arbeit international zu fördern, thematisieren diese Strategien vielfach auch die Veränderung der Spielregeln der internationalen Ökonomie, nicht zuletzt der Handelspolitik (AK Europa, 2020; Fritz, 2019; Jochum et al., 2019).

Zur globalen Durchsetzung ökologischer und sozialer Standards bereitet die Europäische Kommission aktuell auch ein Lieferkettengesetz vor, das unternehmerische Sorgfaltspflichten über die gesamte Lieferkette vorschreiben soll. Sie greift damit eine gewerkschaftliche Forderung auf (Baghdady & Ourny, 2021).

Die Maßnahmenvorschläge stehen vielfach im Einklang mit Vorstellungen der Markt- und Innovationsperspektive. Man setzt – beispielsweise im Rahmen der EU-Taxonomie für ein nachhaltiges Finanzwesen – auf die Schaffung geeigneter Rahmenbedingungen für neue Investitionsprioritäten (Europäische Kommission, 2018; Rifkin, 2019) oder auf direkte regulatorische Eingriffe (Beispiel EU-Flottenverbrauchsziele). Auch Preissignale haben einen großen Stellenwert. Eine stärkere Besteuerung von Energieverbrauch und Emissionen würde eine Verschiebung der Steuerlast von Arbeit zu Energie und Ressourcen ermöglichen. Damit könnten neue Arbeitsplätze geschaffen und öffentliche Dienstleistungen und Infrastrukturen ausgebaut werden. Gleichzeitig würde die stärkere Besteuerung von Ressourcen und (fossiler) Energie Investitionen in energieeffiziente Technologien fördern und eine Verschiebung hin zu arbeitsintensiven, weniger umweltschädigenden Tätigkeitsbereichen anregen (Kettner-Marx et al., 2018; Köppl & Schratzenstaller, 2019). Da untere Einkommen wegen des Grundfreibetrags ohnehin wenig Lohnsteuer zahlen, müssten für eine Entlastung der Arbeitseinkommen zusätzlich die Sozialversicherungsbeiträge im unteren und mittleren Einkommensbereich reduziert werden. Um den Einnahmeausfall zu kompensieren, wird eine stärkere Besteuerung von Vermögen sowie der Kapital- und Höchsteinkommen vorgeschlagen (Humer et al., 2021; Kikuchi et al., 2020; Köppl & Schratzenstaller, 2019; Kubon-Gilke, 2019) [Kap. 17].

Aus einer Marktperspektive ist der Abbau klimaschädlicher Subventionen relevant, etwa die Abschaffung steuerlicher Privilegien für Diesel oder Dienstwagen sowie die Steuerbefreiung von Kerosin (Kletzan-Slamanig & Köppl 2016; Nerudová et al., 2018). Gleichzeitig können durch Subventionen bzw. öffentliche Investitionen positive Anreize gesetzt werden, um die Energieeffizienz zu steigern, die Umstellung auf alternative Produktionstechnologien und Energieträger zu fördern und den Ausbau der Infrastruktur für die Energie- und Mobilitätswende voranzutreiben. Diese können auch eine wichtige Rolle spielen, um Beschäftigungsverluste abzufedern, die durch den Umbau nichtnachhaltiger Branchen und Produktionsprozesse entstehen.

Über Innovationen im Bereich der „linearen“ Wirtschaft hinaus sehen Policy-Maker und Forschung das Modell der Kreislaufwirtschaft (Europäische Kommission, 2020b, 2020c) als Möglichkeit, Wachstum und Umweltverträglichkeit zu vereinbaren (Merli et al., 2018). Die EU forciert das Konzept als Lösungsstrategie für Probleme wie Abfallwirtschaft, Ressourcenknappheit und ökonomische Verwertung (Lieder & Rashid, 2016). Zum Konzept gehören auch eine Reihe von Maßnahmen, die auf die Verringerung der Umweltauswirkungen bestehender Unternehmen abzielen (etwa durch reduzierte Transportwege und wiederverwertbare Verpackungen; Camilleri, 2020) oder Reparaturbetriebe zur Verlängerung der Lebensdauer von Produkten. Die Profitabilität von kreislaufwirtschaftlichen Aktivitäten ermöglicht es, ökonomische Anreize für Unternehmen zu setzen und neue Geschäftsmodelle zu fördern. Durch arbeitsintensive, aber ressourcenschonende Reparaturen anstatt Neuanschaffungen können zudem neue Arbeitsmöglichkeiten geschaffen werden (Klaus & Moder, 2021) – der EU-Policy-Plan für die Kreislaufwirtschaft rechnet mit 700.000 neuen Jobs bis 2030 (Camilleri, 2020).

Beschäftigungseffekte und Qualifizierungsbedarf im Zuge des „grünen Strukturwandels“

Eine Reihe von Studien untersucht explizit die Beschäftigungswirkungen eines „grünen Strukturwandels“, wenn auch mit unterschiedlichen Schwerpunkten. Für Österreich bzw. die EU werden die quantitativen Beschäftigungseffekte bis 2030 als weitgehend neutral bis positiv (bis zu plus 2 Prozent) prognostiziert (Großmann et al., 2020; Steininger et al., 2021; Jacobson et al., 2017; eine Übersicht bieten auch Soder & Berger, 2021; zum Beispiel Schweiz: Füllemann et al., 2020). Viele Studien betrachten jedoch lediglich Beschäftigungseffekte, die sich durch die Dekarbonisierung einzelner Sektoren ergeben, wie zum Beispiel in der Bereitstellung von Raumwärme (Kranzl et al., 2018) oder in der Energieversorgung (Goers et al., 2020). Der notwendige Rückbau anderer Sektoren und damit womöglich einhergehende Arbeitsplatzverluste werden dabei nicht abgedeckt. Unterschiede ergeben sich freilich auch je nach Ambitionsniveau der Klimapolitik. So findet eine Simulationsstudie für Österreich, dass durch gezielte Investitionsprogramme zur Erreichung der alten EU-Klimaziele (40 Prozent Treibhausgasreduktion bis 2030) die Beschäftigung im Zeitraum zwischen 2020 und 2050 um 1,9 Prozent wachsen würde. Das ambitioniertere neue Klimaziel (55 Prozent Reduktion bis 2030) würde hingegen dazu beitragen, dass die Beschäftigung um das Jahr 2025 um zusätzliche 2,5 Prozentpunkte steigt. Zwischen 2030 und 2035 würde das Beschäftigungsniveau etwa 1 Prozent unter dem weniger ambitionierten Klimaziel liegen, ab 2040 aber wieder darüber (Steininger et al., 2021, S. 94 f.).

Unabhängig von quantitativen Beschäftigungseffekten kommt es voraussichtlich zu maßgeblichen Veränderungen bei Berufsbildern und notwendigen Qualifizierungen. Ein Schwerpunkt ist daher die Sicherung von Beschäftigung durch Qualifizierung der Arbeitnehmer_innen für neue Tätigkeitsbereiche. In enger Abstimmung mit dem Arbeitsmarktservice und den Interessenvertretungen der Arbeitnehmer_innen entwickelte das österreichische Klimaministerium jüngst einen Aktionsplan zur Aus- und Weiterbildung in zentralen Bereichen der Energiewende (BMK, 2022Footnote 3). Um das notwendige Angebot an Fachkräften sicherzustellen, müssen bestehende Aus- und Weiterbildungen mit Fokus auf nachhaltigere Tätigkeiten weiterentwickelt und neue Berufsbilder gestaltet werden (Sala et al., 2020). Aktuelle Studien zu Beschäftigungs- und Ausbildungstrends in der österreichischen Umweltwirtschaft fokussieren immer noch auf Ausbildungsmöglichkeiten im tertiären Bildungssektor und im technischen Bereich (Haberfellner & Sturm, 2021). Daraus ergibt sich die Notwendigkeit, (Re-)Qualifizierungsstrategien für Berufe mit anderen Bildungsabschlüssen sowie für weitere klimafreundliche Branchen wie den Pflege-, Gesundheits- und Bildungssektor zu erarbeiten.

Arbeitsökologische Innovationen

Die Literatur zu „arbeitsökologischen Innovationen“ (Becke, 2019) widmet sich der betrieblichen Ebene und hebt die Rolle von Arbeitnehmer_innen bei der Nachhaltigkeitstransformation hervor. Eine Befragung unter Beschäftigten mit ausgeprägter Umweltorientierung, die sich eigenen Angaben nach stark in Öko-Innovationen am Arbeitsplatz einbringen, zeigt, dass sich die von den Beschäftigten angestoßenen Innovationen weiterhin hauptsächlich auf nachhaltigeres Konsumverhalten am Arbeitsplatz beschränken (Schmidt-Keilich et al., 2022).

Mehrere Studien deuten auf Spillover-Effekte hin, wonach im privaten Kontext angewandte nachhaltige Verhaltensweisen, wie Mülltrennen oder Stromsparen, auch in den Arbeitskontext eingebracht werden (Dittmer & Blazejewski, 2016; Smith & O’Sullivan, 2012; Tudor et al., 2007). Umgekehrt können Betriebe nachhaltiges Konsumverhalten am Arbeitsplatz fördern, etwa durch Verbesserung von Angeboten beim Kantinenessen. Studien belegen allerdings, dass Ernährungsgewohnheiten nicht durch ein verändertes betriebliches Kantinenangebot allein gesteuert werden, sondern durch Einstellungen, betriebliche Pausenregelungen und Versorgungsstrukturen des Alltags beeinflusst werden (Stern et al., 2021; Rückert-John, 2007). Veränderungen von Routinen und Praktiken erfordern demnach erweiterte Handlungsspielräume und Strukturen der Bereitstellung [Kap. 5]. Ähnliches gilt für die betriebliche Förderung „grüner“ Mobilitätsformen, etwa im Rahmen der E-Mobilitätsoffensive 2022 (https://www.umweltfoerderung.at).

Sektorale Verschiebung und Dekarbonisierung der Industrie

Die Bereitstellungsperspektive fasst Gestaltungsoptionen ins Auge, die klimafreundliche Arbeitsplätze für jene verfügbar machen, die zur Existenzsicherung auf Lohnarbeit angewiesen sind. Da der Dienstleistungssektor im Vergleich zum Produktionssektor deutlich material- und energieschonender ist und gleichzeitig geringere Produktivitätsfortschritte aufweist (Hardt et al., 2020, 2021), wird die sektorale Verschiebung von Beschäftigung in Dienstleistungsbereiche als wichtige Option gesehen, um Klima- und Beschäftigungsziele gemeinsam zu erreichen (Jackson & Victor, 2011; Reuter 2010). Allerdings sind viele Bereiche unternehmensbezogener Dienstleistungen (Wirtschaftsberatung, Finanzdienstleistungen, Werbung etc.) in der Wertschöpfungskette mit emissionsintensiven Tätigkeiten in der Industrie verbunden. Gleichzeitig ist die Herstellung klimafreundlicher Technik kurzfristig zwar energie- und ressourcenintensiv, spart in der Nutzung jedoch mittel- und langfristig Energie. Zudem ist zu problematisieren, dass gerade die Verlagerung der Beschäftigung in unternehmensbezogene Dienstleistungen oftmals nur deshalb möglich ist, weil industrielle Produktion in andere Länder ausgelagert wird (Peters et al., 2011; siehe auch die Arbeiten des Global Carbon Project, https://www.globalcarbonproject.org). Daher haben Länder mit einem hohen Anteil von Beschäftigten im Dienstleistungssektor und damit einhergehenden niedrigen produktionsbasierten Emissionen nicht zwingend einen niedrigeren ökologischen Fußabdruck (Zhang et al., 2015). Demgegenüber soll die Stärkung der europäischen Industrie in zentralen Bereichen der Dekarbonisierung (z. B. erneuerbare Energie, nachhaltige und intelligente Mobilität etc.) dazu beitragen, Beschäftigungs- und Klimaschutzziele gleichzeitig zu erreichen (Europäische Kommission, 2020c).

Klimaschonende Bedürfnisbefriedigung

Aus einer Bereitstellungsperspektive stellt sich zudem die Frage, welche Wirtschaftsbereiche – und damit welche Formen der Erwerbsarbeit – zur Befriedigung grundlegender menschlicher Bedürfnisse beitragen. In Anlehnung an den grundversorgungsorientierten Ansatz der Alltagsökonomie („Foundational Economy“) kann zwischen verschiedenen Wirtschaftsbereichen unterschieden werden: der Grundversorgungsökonomie, der Marktwirtschaft und der Rentenökonomie. Um allen Menschen ein gutes Leben innerhalb planetarer Grenzen zu ermöglichen, müssten ressourcenintensive Teile der Marktwirtschaft sowie die Rentenökonomie schrumpfen, so die Forderung. Gleichzeitig müsste die Grundversorgungsökonomie, dazu zählen Daseinsvorsorge und Nahversorgung, ausgebaut werden. Um eine kollektive Bereitstellung notwendiger Güter, Dienstleistungen und Infrastrukturen sicherzustellen, ist ausreichend öffentliche Finanzierung notwendig (Krisch et al., 2020).

Ob ein entsprechend großes Arbeitsvolumen in jenen Dienstleistungsbereichen entsteht, die direkt der Deckung von gesellschaftlichen Bedürfnissen dienen (z. B. Erziehung und Pflege), hängt aber von zwei Faktoren ab: (1) von der Entwicklung des gesellschaftlichen Bedarfs, etwa dem Bedarf an sozialen und Gesundheitsdienstleistungen im Zusammenhang mit der Alterung von Gesellschaft (unter anderem Hagedorn, 2019); (2) von der Bereitschaft zur öffentlichen Finanzierung des Sektors und der Aufwertung und besseren Entlohnung von Dienstleistungsarbeit (zu steuerpolitischen Weichenstellungen auch Bohnenberger & Schultheiß, 2021, S. 77 f.) [Kap. 18].

Insbesondere für langzeitarbeitslose Personen, die kaum mehr Chancen auf einen Job auf dem ersten Arbeitsmarkt haben, kann eine öffentlich finanzierte Jobgarantie eine Perspektive bieten (Picek, 2020; Tcherneva, 2020; zu Degrowth und Jobgarantie auch Alcott, 2013). Das von der AK entwickelte Modell „Chance 45“ sieht beispielsweise vor, bis zu 45.000 neue Jobs für Langzeitarbeitslose zu schaffen. Die Idee ist, auf lokaler und regionaler Ebene soziale und ökologische Beschäftigungsformen zu fördern, für die es zwar Nachfrage gibt, die aber vom Markt nicht bereitgestellt werden (Schultheiß et al., 2021).Footnote 4 Darüber hinaus kann eine Jobgarantie die Zahl armutsgefährdeter Personen substanziell senken, Einkommensungleichheit reduzieren und im Gegenzug gesellschaftliche Teilhabe fördern. Das zeigt eine aktuelle Studie, die die Nettokosten und Auswirkungen einer solchen Jobgarantie in Österreich berechnet (Premrov et al., 2021). Klimaschonende Bedürfnisbefriedigung und sozialpolitische Ziele ließen sich auf diese Weise vereinbaren.

Arbeitszeitverkürzung

Studien deuten darauf hin, dass eine alleinige sektorale Verschiebung von Beschäftigung in den Dienstleistungsbereich nicht ausreichen dürfte, um die Klimaziele zu erreichen (Hardt et al., 2020; Petschow et al., 2018). Daher schlagen eine Reihe von Autor_innen (zusätzlich) eine Verkürzung der Arbeitszeit vor (z. B. Antal, 2014; Jackson & Victor, 2011; Reuter, 2010). Empirische Analysen zeigen, dass längere Arbeitszeiten auf gesamtwirtschaftlicher Ebene mit höherem Umweltverbrauch einhergehen (Fitzgerald et al., 2015, 2018; Hayden & Shandra, 2009; Knight et al., 2013; Rosnick & Weisbrot, 2007; Shao & Rodríguez-Labajos, 2016). Dieser Zusammenhang erklärt sich dadurch, dass ein höheres Arbeitsvolumen makroökonomisch mit mehr Produktion und Einkommen verbunden ist und diese bedeuten eine höhere Umweltbelastung. Um ein nachhaltiges CO2-Budget von 1610 Kilogramm CO2-Äquivalenten pro Kopf und Jahr (O’Neill et al., 2018) zu erreichen, müsste die Arbeitszeit (bei konstanter Arbeitsproduktivität und Kohlenstoffintensität) in OECD-Ländern auf durchschnittlich sechs Stunden pro Woche sinken (Frey, 2019). Obwohl es sich hierbei um eine recht statische Berechnung handelt, gibt diese Aufschluss darüber, wie drastisch Wirtschaftsaktivität und damit Erwerbsarbeit reduziert werden müssten, um die Einhaltung planetarer Grenzen zu erreichen. Auf Basis österreichischer Daten kommen Hoffmann und Spash (2021) zum Schluss, dass Erwerbsarbeit in allen Branchen deutlich reduziert werden müsste. Die ökologischen Effekte einer Arbeitszeitverkürzung unterscheiden sich allerdings danach, in welchen Sektoren Wirtschaftsaktivität und Arbeitsvolumen reduziert werden und inwiefern es in Folge von Arbeitszeitverkürzungen zu Produktivitätssteigerungen bzw. zu einer Erhöhung der Kapitalintensität kommt.

Zudem gilt eine Reduktion der Arbeitszeit als wichtige Maßnahme, um den Wachstumsdruck zu reduzieren (Antal, 2014). Bei steigender Arbeitsproduktivität ist Wirtschaftswachstum notwendig, um eine Zunahme der Arbeitslosenzahlen zu vermeiden. Alternativ könnte die Anzahl der Beschäftigungsverhältnisse durch eine Arbeitszeitverkürzung konstant gehalten werden, ohne dass zusätzliches Wachstum notwendig wäre. Simulationsstudien für die kanadische Wirtschaft zeigen, wie eine Arbeitszeitverkürzung dazu beitragen kann, stabile Beschäftigungszahlen trotz geringem bzw. negativem Wirtschaftswachstum zu erreichen. Gleichzeitig sinkt der Umweltverbrauch in diesen Szenarien (Jackson & Victor, 2020; Victor, 2012).

Entwicklung des Arbeitsvolumens

Inwiefern und in welchem Ausmaß eine Arbeitszeitverkürzung (auf gesamtwirtschaftlicher Ebene) für erforderlich erachtet wird, hängt stark von den Annahmen über die zukünftige Entwicklung des Arbeitsvolumens ab. Studien zum „grünen Strukturwandel“ finden vielfach positive Netto-Beschäftigungseffekte für Österreich, allerdings sind diese meist auf einen Zeithorizont von einigen Jahren (z. B. 2030) beschränkt (für eine Übersicht siehe Soder & Berger, 2021). Um Beschäftigungsverluste im emissionsintensiven Produktionssektor auszugleichen, schlagen andere Autor_innen eine sektorale Verschiebung hin zu Dienstleistungen vor (Jackson & Victor, 2011; Reuter, 2010). Da diese Strategie womöglich nicht ausreicht, um die Klimaziele zu erreichen (Hardt et al., 2020), wird in der wachstumskritischen Literatur oft zusätzlich eine Reduktion wirtschaftlicher Aktivität – und damit eine Verringerung des Erwerbsarbeitsvolumens – als notwendig erachtet (Jackson & Victor, 2011, 2020; Seidl & Zahrnt, 2019).

Auch unter der Annahme, dass die Wachstumsraten in Zukunft ohnehin sinken werden (Stichwort „säkulare Stagnation“: Aiginger, 2016), erscheint eine Arbeitszeitverkürzung erforderlich (Reuter, 2010). Eine solche steht auch im Mittelpunkt erweiterter Arbeitskonzepte und verfolgt hier das Ziel, mehr Raum für unbezahlte Tätigkeiten zu schaffen (Littig & Spitzer, 2011). Aus einer Post-Work-Perspektive wird ebenfalls eine drastische Reduktion des Erwerbsarbeitsvolumens gefordert, mit dem Argument, dass viele Jobs derzeit keinen gesellschaftlichen Nutzen stiften (Stichwort „Bullshit Jobs“; Frayne, 2015; Graeber, 2018).

Gegen eine allgemeine Arbeitszeitverkürzung spricht allerdings, dass das Arbeitskräfteangebot in den nächsten Jahren durch den demografischen Wandel in manchen Regionen sinken wird (Huber, 2010) und gewisse Sektoren bereits jetzt von einem Fachkräftemangel betroffen sind (Ertl & Marterbauer, 2021; Fink et al., 2015). Da eine hohe Arbeitsproduktivität oft mit hohem Energie- und Materialeinsatz einhergeht, argumentieren einige Autor_innen für eine Senkung der Arbeitsproduktivität bzw. für die Reduktion kontinuierlicher Produktivitätssteigerungen (Jackson & Victor, 2011; Mair et al., 2020), was möglicherweise ein höheres Arbeitsvolumen zur Folge hätte. Die Entwicklung des Erwerbsarbeitsvolumens hängt schließlich stark davon ab, welche Tätigkeiten in Zukunft als bezahlte bzw. unbezahlte Arbeit organsiert werden.

Aus klimapolitischen Überlegungen erscheint folgendes Szenario denkbar: Aufgrund des hohen Investitionsbedarfs in den sozial-ökologischen Umbau der Wirtschaft, aber auch aufgrund weiterer Herausforderungen wie Arbeitslosigkeit, Ungleichheit und hoher öffentlicher Schuldenstand, ist in den nächsten Jahren in den europäischen Volkswirtschaften mit einem weiteren Wachstumskurs zu rechnen. Langfristig ist jedoch davon auszugehen, dass die Wachstumsraten in den entwickelten Volkswirtschaften sinken werden, womit auch die Zusammenhänge zwischen Wirtschaftswachstum und Beschäftigung bzw. Arbeitszeit entkoppelt werden müssten (Aiginger, 2016).

Just Transition

Just Transition bezeichnet keine spezifische Gestaltungsoption, sondern eine politische Stoßrichtung, die im Sinne der Bereitstellungsperspektive auf eine sozialverträgliche Gestaltung des ökologischen Umbaus der Erwerbsarbeit zielt (Confédération européenne des syndicats (CES)/European Trade Union Confederation ETUC, o.J.; Europäische Kommission, 2020a; Reuter, 2014; Schröder & Urban, 2019; Urban, 2019; siehe auch Box im Abschnitt „Status quo“). Wesentlich stärker als im Falle der Modernisierungspolitik betont Just Transition die Bedeutung der Einbindung der Beschäftigten und ihrer Interessenvertretungen bzw. die Bedeutung breiter gesellschaftlicher Allianzen sowie eines handlungsfähigen öffentlichen Sektors, leistungsfähiger sozialer Sicherungssysteme und aktiver Arbeitsmarkt-, Beschäftigungs- und Industriepolitik für die Gestaltung einer gerechten und zielführenden Transformation (AK Europa, 2020; DGB, 2021; Eder, 2021; Initiative Wege aus der Krise, 2019; Klein, 2019; Soder, 2021; Schultheiß et al., 2021).

Da die Politik den Strukturwandel maßgeblich verantwortet, obliegt ihr die Gestaltung des arbeitsmarktpolitischen Rahmens im Interesse der Betroffenen. In Österreich geschieht dies etwa in Form der Einrichtung von ArbeitsstiftungenFootnote 5 (Kopf, 2021). Im Frühjahr 2022 startete in Österreich erstmals bundesweit eine sogenannte „Umweltstiftung“ (Neier et al., 2022). Das Ziel ist, insgesamt 1000 Menschen, die maximal über einen Pflichtschulabschluss verfügen, betriebsnahe zu qualifizieren und anschließend eine Beschäftigung zuzusichern. Beschäftigte frühzeitig in Veränderungsprozesse einzubinden, etwa durch Weiterbildungs- und Umschulungsmaßnahmen, erhöht außerdem die soziale Akzeptanz für Maßnahmen des Strukturwandels bzw. ermöglicht Strukturwandel „von innen“ (Bohnenberger, 2022, S. 13) [Kap. 21].

Erweiterte Mitbestimmung und demokratisch geführte Unternehmen

Über politische Forderungen nach Just Transition hinaus reichen Konzepte zur weitgehenden Teilhabe bzw. Mitbestimmung der Arbeitsinhalte durch Beschäftigte, oder umfassendere Möglichkeiten der Gestaltung im Sinne von Worker Cooperatives und anderen Formen der Wirtschaftsdemokratie (Demirovic & Rosa Luxemburg Stiftung, 2018; Johanisova & Wolf, 2012; Mayrhofer & Wiese, 2020; Müller et al., 2019). Demokratisch geführte Unternehmen legen in ihren Statuten fest, die Interessen der Gemeinschaft zu priorisieren und im Rahmen kollektiver Prozesse über die Ausrichtung der Produktion zu entscheiden (Johanisova & Franková, 2013; Johanisova et al., 2013).

Diese Form der Governance ermöglicht den Beschäftigten, die Klima- und Umweltauswirkungen von Tätigkeiten zu reflektieren und sich auf dieser Grundlage für eine klimafreundlichere Form der Erwerbsarbeit einzusetzen (Gibson-Graham et al., 2013). Weil von Arbeitnehmer_innen geführte Unternehmen keinen externen Stakeholdern verpflichtet sind und einen Fokus auf die Bedürfnisbefriedigung ihrer Beschäftigten sowie der lokalen Community legen können, ist es diesen Unternehmen eher möglich, aus der Wachstumslogik konventioneller Unternehmen auszusteigen (Johanisova & Franková, 2013; Johanisova et al., 2013). Im Rahmen industrieller Produktion (Becke & Warsewa, 2018; Süßbauer et al., 2019) sowie neuen Formen des Arbeitens entstehen hier spezifische Bottom-up-Initiativen. Weiterhin besteht Forschungsbedarf zur Frage, in welchen Bereichen und mit welchen Organisationsformen (z. B. Genossenschaften) Beschäftigte bestmöglich ökologische Verantwortung wahrnehmen können (Johanisova et al., 2013).

Postwachstumsorganisationen

Bereits heute gibt es viele Klein- und Mittelbetriebe, die keinen Wachstumskurs verfolgen (Gebauer & Sagebiel, 2015) und die als Bündnispartner_innen für das Bestreben um eine sozial gerechte Transformation in Betracht kommen (Gebauer et al., 2017).

Eine aktuelle Studie zeigt, dass eine Reihe an Leuchtturmprojekten in Wien existiert, die in Form von sogenannten Postwachstumsorganisationen neue Arbeits- und Organisationsformen verwirklicht haben (Eichmann et al., 2020). So verfolgen beispielsweise Foodcoops oder Reparaturcafés ökologische Ziele mit regionaler Nahrungsversorgung oder der längeren Nutzung bestehender Konsumgüter. Sie sind vornehmlich an der Versorgung des lokalen Markts bzw. ihrer Mitglieder orientiert. Einige dieser Postwachstumsorganisationen in der Kreislaufwirtschaft sind als Soziale UnternehmenFootnote 6 organisiert und bieten damit Beschäftigungsalternativen abseits des ersten Arbeitsmarktes. Die Skalierbarkeit dieser Projekte bleibt fraglich; allerdings zeigen sie konkrete Möglichkeiten, Arbeit anders zu organisieren und dabei ökologische und soziale Ziele eng verschränkt zu verfolgen.

7.4.2 Ermöglichung klimafreundlichen Handelns außerhalb von Erwerbsarbeit

Die Strukturierung der Erwerbsarbeit beeinflusst maßgeblich die Möglichkeiten für eine nachhaltige Lebensführung. Arbeitszeit ist eine wesentliche Stellschraube; daher liegt der Schwerpunkt zahlreicher Untersuchungen auf der Frage, wie Arbeitszeitpolitik die Bedingungen für klimafreundliches Handeln außerhalb von Erwerbsarbeit verändern bzw. verbessern kann.

Besonderes Augenmerk erhält in diesem Zusammenhang eine Verkürzung der Erwerbsarbeitszeit. Sinkt dabei das Einkommen, ist zu erwarten, dass weniger konsumiert wird und damit auch der ökologische Fußabdruck schrumpft (Moser & Kleinhückelkotten, 2018; Theine et al., 2017) [Kap. 17]. Neben diesem Einkommenseffekt können positive Umweltwirkungen auch dadurch entstehen, dass Beschäftigte mehr Zeit für umweltschonende Aktivitäten zur Verfügung haben. Kürzere Arbeitszeiten führen allerdings nicht automatisch zu einer Umweltentlastung, da die freigewordene Zeit auch für ressourcenintensive Aktivitäten verwendet werden kann.

Die bisherige Literatur zeigt, dass solche Zeit-Rebound-Effekte tatsächlich auftreten können, allerdings mindern sie die positiven Umwelteffekte aus reduziertem Einkommen nur minimal. Eine Studie auf Basis schwedischer Haushaltsdaten zeigt etwa, dass eine Arbeitszeitreduktion um 1 Prozent zu einer Senkung der CO2-Emissionen um 0,82 Prozent durch den Einkommenseffekt führt, während die Emissionen durch den Zeiteffekt um 0,02 Prozent steigen, was eine Gesamtelastizität von 0,8 bedeutet (Nässén & Larsson, 2015). Andere Studien zu den USA (Fremstad et al., 2019) oder Deutschland (Buhl & Acosta, 2016) finden eine geringere Gesamtelastizität von 0,3.

Geht eine Arbeitszeitverkürzung mit einer Einkommensreduktion einher, sind insgesamt positive Umweltwirkungen zu erwarten. Was die ohnehin geringeren Effekte durch freigewordene Zeit betrifft, ist die Aussagekraft der bisherigen Studien durch ein systematisches Review kürzlich in Zweifel gezogen worden (Antal et al., 2021). Ein Grund dafür ist wohl, dass diese Effekte maßgeblich von der Art der Arbeitszeitverkürzung abhängen (Pullinger, 2014). Im Gegensatz zu einer Verkürzung der täglichen Arbeitszeit könnte eine Vier-Tage-Woche prinzipiell einen Anreiz bieten, etwa eine Kurzreise mit dem Flugzeug zu unternehmen. Eine repräsentative Umfrage in Deutschland hat erhoben, wofür Menschen eine zusätzliche Stunde pro Tag verwenden würden. Mit Abstand am häufigsten genannt wurden Begriffe wie schlafen, ausruhen und entspannen, gefolgt von Sport, lesen und Familie (Gerold & Geiger, 2020). Diese Ergebnisse lassen vermuten, dass eine Verkürzung der täglichen Arbeitszeit kaum nennenswerte Zeit-Rebound-Effekte nach sich ziehen würde. Treibhausgasemissionen, die durch Pendelverkehr entstehen, sinken jedoch stärker bei einer Vier-Tage-Woche als bei einem Sechs-Stunden-Tag, wie eine Studie für das UK zeigt (King & van den Bergh, 2017).

Eine fremdbestimmte Reduktion von Erwerbsarbeitszeit kann auf Widerstände der Beschäftigten stoßen, vor allem dann, wenn diese mit Einkommenseinbußen und damit mit Einschnitten bei sozialen Sicherungsleistungen einhergeht. Eine mögliche Lösung wäre hier, den Lohnausgleich nach Einkommenshöhe zu differenzieren: Niedrigverdiener_innen erhalten einen vollen Lohnausgleich, für mittlere Einkommen ist ein teilweiser Lohnausgleich denkbar, während hohe Einkommensgruppen keinen Lohnausgleich erhalten (Krull et al., 2009). Ein solche Umsetzung wäre auch aus verteilungspolitischer Perspektive sinnvoll, weil dies die Ungleichheit der Stundenlöhne reduzieren würde. Da vor allem Besserverdienende einen hohen ökologischen Fußabdruck aufweisen, wäre dieses Vorgehen auch ökologisch sinnvoll. Ein sozial gestaffelter Lohnausgleich könnte zudem durch staatliche Subventionen abgefedert werden (Figerl et al., 2021).

Darüber hinaus lässt sich zeigen, dass Menschen eher dazu bereit sind, auf zukünftige Einkommenssteigerungen zu verzichten, als eine Reduktion des gegenwärtigen Einkommens zu akzeptieren (Schor, 2005). Werden Produktivitätsgewinne durch mehr Freizeit anstelle von Lohnsteigerungen abgegolten, könnte man die Akzeptanz bei den Beschäftigten erhöhen. Die seit 2013 in mehreren österreichischen Kollektivverträgen verankerte Freizeitoption funktioniert genau nach diesem Prinzip: Beschäftigte können zwischen der kollektivvertraglichen Einkommenserhöhung oder zusätzlicher Freizeit wählen. Da ein Unterschreiten des kollektivvertraglichen Mindestlohns nicht möglich ist, bleibt dieses Instrument allerdings bislang auf Hochlohnbranchen beschränkt (Gerold, 2017; Stadler & Adam, 2020).

Nicht nur mögliche Einkommenseinbußen, auch die oftmals erforderliche Neuorganisation der Arbeitszeiten (z. B. durch veränderte Schichtmodelle oder Öffnungszeiten) kann Widerstände vonseiten der Beschäftigten hervorrufen. Für eine erfolgreiche Umsetzung ist es daher wichtig, Beschäftigte und Betriebsräte in den Änderungsprozess miteinzubeziehen (Gerold et al., 2017). Zudem kann eine Arbeitszeitverkürzung zu einer Intensivierung der Arbeit führen, wodurch Stress und Arbeitsbelastung steigen. Die Gefahr einer Arbeitsverdichtung besteht vor allem dann, wenn es zu keinen Neueinstellungen kommt. Modelle wie das Solidaritätsprämienmodell in Österreich, die explizit die Neueinstellung von zusätzlichen Beschäftigten vorsehen, können einer Intensivierung vorbeugen und zudem zu einer gerechteren Verteilung des Arbeitsvolumens in der Gesellschaft beitragen (Figerl et al., 2021).

Aus Markt- und Innovationsperspektive bietet insbesondere die Digitalisierung neue Möglichkeiten für ortsunabhängiges Arbeiten, die den Pendelverkehr reduzieren können. Dadurch können insbesondere verkehrsbedingte Emissionen reduziert werden. Um Emissionen durch Pendelverkehr zu senken, ist darüber hinaus ein Wechsel zu nachhaltigen Mobilitätsformen notwendig. Hier kommt insbesondere dem Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs oder der Förderung von Radverkehr eine tragende Rolle zu. Maßnahmen wie Jobtickets, Shuttlebusse zum nächstgelegenen Bahnhof, Diensträder oder Förderungen für private E-Bikes können dazu beitragen, den Arbeitsweg nachhaltiger zu gestalten. Neben der Bereitstellung von Infrastrukturen des öffentlichen Personenverkehrs ist es notwendig, Subventionen für klimaschädliches Verhalten abzubauen. Dazu zählt insbesondere die Pendlerpauschale und die Bereitstellung von Dienstwagen (Kletzan-Slamanig & Köppl, 2016) [Kap. 6].

Bei einem deutlichen Rückgang der Erwerbsarbeitszeit infolge ökologisch induzierter Wachstumseinbußen stellt sich aus einer Bereitstellungs- und Gesellschaft-Natur-Perspektive die Frage, wie Einkommen, sozialstaatliche Absicherung und gesellschaftliche Teilhabe weiterhin sichergestellt werden können. Hier geht es insbesondere darum, die Abhängigkeit von Erwerbsarbeitseinkommen zu reduzieren. Eine Möglichkeit wäre ein bedingungsloses Grundeinkommen, wonach jede_r Bürger_in, unabhängig von individuellem Bedarf und von der Bereitschaft eine Gegenleistung zu erbringen, ein staatliches Einkommen erhält (Bregman, 2017; Kovce & Priddat, 2019; Parijs & Vanderborght, 2017). Ein weiteres, möglicherweise komplementäres, Konzept besteht in der Bereitstellung einer öffentlichen Daseinsvorsorge in Form öffentlicher Güter (Büchs, 2021; Coote & Percy, 2020; IGP et al., 2017).

Andere Ansätze betonen die Potenziale einer verstärkten Eigenversorgung. Wenn Menschen ihre Bedürfnisse wieder verstärkt durch Eigenarbeit, lokale Versorgung und soziale Netzwerke befriedigen, würde die Abhängigkeit von Marktgütern und damit Erwerbsarbeitseinkommen sinken (Paech, 2012). Auch erweiterte Arbeitskonzepte und feministische Ansätze sehen vor, dass Erwerbsarbeit zugunsten von unbezahlter Sorge-, Eigen- und Gemeinschaftsarbeit reduziert wird. Gleichzeitig sollten gesellschaftlich notwendige Tätigkeiten umverteilt und aufgewertet werden (Biesecker, 2014; HBS, 2000; Littig & Spitzer, 2011) [Kap. 8]. Arbeitskritische Strömungen betonen in diesem Kontext den emanzipatorischen Aspekt einer reduzierten Abhängigkeit von Erwerbseinkommen. So würde die Rückaneignung fremdbestimmter, dem Produktionsprozess unterworfener, Zeit Menschen eine größere Freiheit in Form selbstbestimmter Tätigkeiten und Selbstverwirklichung ermöglichen (Gorz, 2000; Weeks, 2011; Frayne, 2015).