FormalPara Koordinierende_r Leitautor_in

Michael Miess

FormalPara Koordination der Strukturkapitel

Michael Ornetzeder

FormalPara Revieweditor

Matthias Binswanger

FormalPara Zitierhinweis

Miess, M. (2023): Geld- und Finanzsystem. In: APCC Special Report: Strukturen für ein klimafreundliches Leben (APCC SR Klimafreundliches Leben) [Görg, C., V. Madner, A. Muhar, A. Novy, A. Posch, K. W. Steininger und E. Aigner (Hrsg.)]. Springer Spektrum: Berlin/Heidelberg.

FormalPara Kernaussagen des Kapitels

Status quo – Geldpolitik im Wandel, Green-Finance-Paradigma, paradigmatischer Dissens

  • Die Ausgestaltung der Anreizstrukturen des Geld- und Finanzsystems spiegelt die leitenden gesellschaftlichen Denk- und Handlungsmuster, die gegebenen sozialen Institutionen sowie den bestehenden physischen Kapitalstock wider. (niedrige Übereinstimmung, mittlere Literaturbasis)

  • Das Paradigma, innerhalb dessen Geld lange Zeit als neutral galt, befindet sich seit der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/09 im Wandel. Aufgrund der theoretisch in diesem Paradigma zu befürchtenden Inflation wurde Geldpolitik bis zu diesem diskursiven Wandel kein wesentlicher Beitrag zur Bewältigung der Klimakrise zugeschrieben. (niedrige Übereinstimmung, starke Literaturbasis)

  • Im Sinne eines Green-Finance-Paradigmas, dem ein großer Teil der Literatur folgt, sollte die Finanzierung klimafreundlicher Investitionen vor allem über Finanzmärkte sowie Vermögensbesitzer_innen erfolgen und mit entsprechenden Anreizen motiviert werden. (mittlere Übereinstimmung, starke Literaturbasis)

  • In einem anderen Literaturstrang wird das Green-Finance-Paradigma als hegemonial angesehen und es werden – unter anderem aufgrund der in den letzten Jahrzehnten innerhalb bestehender Paradigmen ungenügenden klimafreundlichen Investitionen – tieferliegende, strukturelle Probleme des finanzialisierten Wachstumsparadigmas priorisiert. (niedrige Übereinstimmung, starke Literaturbasis)

Notwendige Veränderungen – Erwartungssicherheit und Abkehr von Finanzialisierung

  • Für die Erwartungssicherheit von Investor_innen sind langfristige, sichere und profitable Renditen zur Finanzierung von Investitionen in emissionsneutralen oder -armen Kapitalstock (= „grüne Investitionen“) zentral, während Renditen auf andere (z. B. fossil-basierte) Finanzprodukte sinken sollten. Es sollte Klarheit darüber herrschen, dass der CO2-Preis stetig, substanziell und langfristig steigen wird. (hohe Übereinstimmung, starke Literaturbasis)

  • Aus Sicht jener Literatur, die Innovationen priorisiert, braucht es mehr öffentliche (Förder-)Mittel sowie Finanzinnovationen zur Finanzierung innovativer Forschung für klimafreundliche Technologien. (mittlere Übereinstimmung, mittlere Literaturbasis)

  • Ein anderer Teil der Literatur betont die für ein klimafreundliches Leben notwendige Abkehr von Finanzialisierung, d. h. eine verstärkte Entkopplung von Finanz- und Realwirtschaft, und setzt einen stärkeren Fokus auf Investitionen in klimafreundliche Bereitstellung. (niedrige Übereinstimmung, starke Literaturbasis)

  • Degrowth und eine stärkere Gebrauchswertorientierung stehen bei einem weiteren Literaturstrang im Vordergrund. (niedrige Übereinstimmung, starke Literaturbasis)

Strukturen, Kräfte und Barrieren – zentrale Akteure

  • Der Staat wird als Akteur zentral dafür sein, die Gestaltungsmacht auszuüben, um die Anreizstrukturen auf Finanzmärkten effektiv emissionsreduzierend umzugestalten. (mittlere Übereinstimmung, starke Literaturbasis)

  • Die Oesterreichische Nationalbank als Teil des europäischen Zentralbankensystems und die österreichische Finanzmarktaufsicht (FMA) als die Finanzmärkte regulierende Behörde können dazu beitragen, Strukturen für ein klimafreundliches Leben zu schaffen. Einerseits können sie durch Regulierung und Geldpolitik Klima-Finanz-Risiko reduzieren, welches Finanzmarktstabilität durch unzureichende Einpreisung klimabezogener physischer und Transitions-Risiken gefährdet. Andererseits können sie dabei helfen, die Emissionswirksamkeit von grüner und nachhaltiger Finanzierung sicherzustellen. Dies kann beispielsweise über entsprechende Eigenveranlagung (grüne Investitionsstrategien der Notenbank selbst), die Ausgestaltung der Eigenkapitalquoten der Banken und über makroprudenzielle Maßnahmen geschehen. (hohe Übereinstimmung, starke Literaturbasis)

Gestaltungsoptionen – Reform finanzieller Anreizstrukturen, Ent-Monetarisierung

  • Green Growth – ermöglicht durch grüne und nachhaltige Finanzierung – wird ein entscheidender Lösungsansatz aus Sicht des Green-Finance-Paradigmas sein. Entsprechende Initiativen sind z. B. der Green Deal der EU, Sustainable Finance (Taxonomie) und Green Recovery, staatliches Risikokapital für innovative grüne Investitionen sowie Divestmentstrategien. Wenn diese Maßnahmen wirksam sein sollen, dann muss „Greenwashing“ vermieden werden. (mittlere Übereinstimmung, starke Literaturbasis)

  • Eine tiefgreifende und effektive Reform finanzieller Anreizstrukturen und des Steuerwesens zur Herstellung von Kostenwahrheit in Produktion und Konsum wird entscheidend sein. Eine solche Steuerreform und begleitende grüne Industriepolitik würde zumindest effektive CO2-Steuern, Finanztransaktionssteuern, Vermögenssteuern und eine Kreditlenkung in Richtung grüner Investitionen umfassen. (mittlere Übereinstimmung, starke Literaturbasis)

  • Ein alternativer Literaturstrang betont, dass – um Finanzmärkte dienlich für ein klimafreundliches Leben zu machen – es zusätzlich notwendig sein wird, eine Ent-Kommodifizierung und Ent-Monetarisierung von wirtschaftlichem Handeln einzuleiten und durch eine weitere Demokratisierung der Finanzmärkte und des Geldwesens die Natur des Geldes als Gemeingut anzuerkennen. (niedrige Übereinstimmung, starke Literaturbasis)

Dieses Kapitel bewertet anhand eines breiten Überblicks an Literatur aus Marktperspektive, Innovationsperspektive, Bereitstellungsperspektive und Gesellschaft-Natur-Perspektive, inwiefern Anreizstrukturen des Geld- und Finanzsystems die Transformation zu einer klimafreundlichen und nachhaltigen Lebensweise in Österreich begünstigen oder behindern. Zudem trifft es eine literaturbasierte Einschätzung darüber, in welche größeren wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Strukturen das Geld- und Finanzsystem in Österreich eingebettet ist. Bereits eingeleitete und potenzielle zukünftige Reformen des Finanzsystems und Änderungen des bestehenden Geldsystems werden dahingehend überprüft, inwiefern sie Kapitalströme mobilisieren können, die für die Finanzierung der Strukturen für eine klimafreundliche Lebensweise notwendig sein werden.

16.1 Status quo und Herausforderungen – strukturelle Bedingungen und Dynamiken

16.1.1 Finanzialisierung als globales Phänomen seit den 1980er Jahren

Die Finanzialisierung bestimmt seit den 1980er Jahren als wirtschaftliches Phänomen die strukturellen Bedingungen des Wandels weltweit und auch in Österreich: Die Finanzwirtschaft gewinnt gegenüber der Realwirtschaft an Bedeutung (Epstein, 2005; Graeber, 2012; Kindleberger & Aliber, 2005; H. Minsky, 1986; Schulmeister, 2018).Footnote 1 Nach der Markteffizienzhypothese (Fama, 1970; Fama & French, 1988, 1996), die vor allem aus Marktperspektive bis zur Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/2009 ein prägendes Paradigma war (Ball, 2009; Malkiel, 2003; Maloumian, 2022), sind bereits alle Informationen in den Preisen finanzieller Assets enthalten. Und somit wäre der Finanzmarkt die effizienteste Art und Weise, gesellschaftliche Risiken wie z. B. externe Umweltkosten und klimabezogene Risiken in entsprechenden (Finanzasset-)Preisen abzubilden. Obwohl diese Theorie aufgrund ihrer starken Annahmen von vielen Stimmen kritisiert und die zugehörigen Modelle mit der Zeit teilweise verändert wurden (Malkiel, 2003; Shiller, 2000, 2003), war dieses Paradigma vor allem aus Gesellschaft-Natur- und Bereitstellungsperspektive sehr einflussreich auf die Bildung institutioneller Strukturen am Finanzmarkt (Aglietta, 2018; Epstein, 2005; Schulmeister, 2018). Daher war aus Marktsicht eine verstärkte Finanzialisierung bis zu der (noch andauernden) paradigmatischen Wende nach der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/2009 ein zu begrüßender Vorgang. Aus Innovationsperspektive werden und wurden ebenfalls große Hoffnungen in innovative Finanzierungsmodelle unter anderem zur Finanzierung der Infrastrukturen für ein klimafreundliches Leben gesetzt – auch von kritischeren Stimmen (Shiller, 2009). Hoffnungsträger für Finanzinnovationen inkludieren Crowdfunding (Maehle et al., 2020; Vasileiadou et al., 2016), sowie Krypto-Assets und andere Finanzinnovationen (Alonso & Marqués, 2019; Horsch & Richter, 2017; Venugopal, 2015).

Der der Markteffizienzhypothese zugrunde liegende Paradigmenwechsel in der Wirtschaftswissenschaft zur „rational expectations revolution“ ab den 1970er Jahren (Barro, 1984; Begg, 1982; Hoover, 1992; Lucas, 1976; Mishkin, 2007; Taylor, 2001) war vor allem aus Gesellschaft-Natur- und Bereitstellungsperspektive wichtig, um die Liberalisierung der Finanzmärkte theoretisch zu untermauern und zu begründen (Aglietta, 2018; H. Minsky, 1986; Palley, 2013; Schulmeister, 2018). Der Zerfall des Bretton-Woods-Systems mit seiner auf fixen Wechselkursen beruhenden globalen Finanzarchitektur Anfang der 1970er Jahre leistete der Finanzmarktliberalisierung Vorschub, da sich durch das Aufbrechen fester Wechselkurse neuartige Profit- und Spekulationsmöglichkeiten eröffneten (Aglietta, 2018; Schulmeister, 2018). Gleichzeitig bewirkten niedrige realwirtschaftliche Wachstumsraten, dass Akteur_innen sowohl der Real- als auch der Finanzwirtschaft ihr Profitstreben zunehmend in die Finanzwirtschaft lenkten. Dies erzeugte nicht nur eine Vergrößerung des Volumens gehandelter Finanztitel, sondern auch verstärkte Innovationen auf Finanzmärkten – z. B. immer komplexer werdende Finanzprodukte, wie die Ketten an Kreditverbriefungen im Vorfeld der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/2009. In der Folge trat ein substanzieller Abfluss an Kapital von der Real- in die Finanzwirtschaft ein. Das zusätzliche Geld, das auf die Finanzmärkte strömte, vergrößerte mittels positiver Erwartungseffekte (spekulative Euphorien wie z. B. die Dotcom Bubble) die Profitabilität der Finanzwirtschaft gegenüber der Realwirtschaft. Der Abfluss von Realkapital bewirkte durch (relativ zur Finanzwirtschaft) verringerte realwirtschaftliche Profite in weiterer Folge eine geringere realwirtschaftliche Investitionstätigkeit – und trug somit zum weiteren Sinken realwirtschaftlichen Wachstums bei. Was hier zu beobachten ist, ist ein sich selbst verstärkender negativer Kreislauf. Dieser läuft von verringerter Profitabilität der Realwirtschaft zu dadurch verringerten realwirtschaftlichen Investitionen und vice versa, bei gleichzeitiger Vermehrung von finanziellen Assets (Guttmann, 1996; H. Minsky, 1986; H. P. Minsky, 1982; Schulmeister, 2018).

Ermöglicht wird und wurde dieser Prozess unter anderem durch eine konstante Ausweitung der Schuldenquote („Wachstum durch Schulden“) sowie die vorherrschende Ausblendung unterliegender systemischer Risiken, wie z. B. vor der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/2009 für den Immobilienmarkt und Kreditverbriefungen (Subprime). Nationalstaaten haben dies ab den 1980er Jahren durch eine stark liberalisierte Gesetzgebung für Finanzmärkte befördert (Aglietta, 2018; Guttmann, 1996; Kindleberger & Aliber, 2005; H. Minsky, 1986; H. P. Minsky, 1982; Schulmeister, 2018). Die Einbettung Österreichs in globale Finanzmärkte ist hier zu betonen und dass aufgrund der fluiden internationalen Kapitalströme Österreich hier nicht isoliert betrachtet werden kann (Kindleberger & Aliber, 2005). International agierende Konzerne, die ihre Profite zunehmend auf Finanzmärkten erwirtschaften (Auvray & Rabinovich, 2019), entziehen sich oft einer nationalen Besteuerung und Regulierung (Alstadsæter et al., 2019; Zucman, 2021). Dadurch beförderte Kapitalakkumulation bestärkt bereits vorhandene Monopolisierungstendenzen des globalen Kapitalismus (Steindl, 1952), entsprechende Machtkonzentration (Kalecki, 1943) und somit Konzentrationstendenzen des internationalen Kapitals zusätzlich.

Diese Konstellation moderner Finanzmärkte ist aus allen Perspektiven problematisch, vor allem jedoch aus Gesellschaft-Natur- und Bereitstellungsperspektive, da große Teile von wirtschaftlicher Bereitstellung von volatilen Finanzmärkten abzuhängen beginnen (Guttmann, 1996; H. P. Minsky, 1982; Schulmeister, 2018). Aus Markperspektive sind Instabilität und Monopolisierung ebenfalls nicht wünschenswert (Shiller, 2000) und aus Innovationsperspektive ist die auch aufgrund von Marktvolatilitäten ungerichtete Natur technologischer Innovation insbesondere in Bezug auf die Klimakrise zu kritisieren (Balint et al., 2017; Shiller, 2009). Die hier skizzierten Entwicklungen der Finanzialisierung zeigen auf, warum die Finanzierung der für die sozial-ökologische Transformation notwendigen Investitionen nicht unabhängig von den vorherrschenden theoretischen und wissenschaftlichen Paradigmen diskutiert werden kann. Wenn sich das Profitstreben verstärkt auf Finanzmärkte konzentriert, werden virtuelle Werte – steigende Aktienkurse, komplexe Finanzprodukte, Derivate etc., häufig als „fiktives Kapital“ (Guttmann, 1996) zusammengefasst – geschaffen, die sich oft nicht in realen Investitionen und somit auch nicht in einer Veränderung des produktiven Kapitalstocks niederschlagen. Das macht die Finanzierung der Transformation zu einem klimafreundlichen Leben schwieriger und schränkt nationale Spielräume ein. Dies vor allem, da die Einbindung in internationale Finanzmärkte nicht nur Instabilitäten für nationale Märkte bedingt, sondern auch finanzielle Motive der Profitsteigerung – Profitanforderungen an Investitionskapital (hohe Eigenkapitalrenditen, rasche Investitionsrentabilität) – gegenüber gesellschaftlichen Zielen wie der Finanzierung der (Infra-)Strukturen für ein klimafreundliches Leben bevorzugt.

16.1.2 Grüne und nachhaltige Finanzierung: Green-Finance-Paradigma und Taxonomie

Green Finance (grüne Finanzierung) ist ein wichtiger Schritt beim notwendigen Umbau unseres Finanzsystems. Sie soll im Sinne einer Marktperspektive helfen, die Finanzierungsströme so zu lenken, dass sozial akkordierte Investitionen zur Bewältigung der sozial-ökologischen Transformation möglich werden (Sustainable-finance-Beirat, 2021). Anhand des gegenwärtig mehrheitlich anerkannten Paradigmas stellt Green Finance die präferierte Lösung vieler privater und staatlicher Akteur_innen zur Umsetzung der sozial-ökologischen Transformation dar. Insbesondere wird innerhalb dieses Green-Finance-Paradigmas eine systemimmanente und zu großen Teilen markt- und (finanz-)innovationsbasierte Problemlösung zur Finanzierung der Ökologisierung des Wirtschaftssystems angestrebt. Aus Gesellschaft-Natur- und Bereitstellungsperspektive bezeichnen viele Stimmen den Green-Finance-Diskurs und das darunterliegende finanzialisierte Wachstumsparadigma allerdings als vom Finanzmarkt getrieben und mit dem Potenzial ausgestattet, hegemonial – also auf das Erreichen einer Vormachtstellung, hier im Sinne von „auf finanzielle Profite ausgerichtet“ – zu sein. Die Problematik der Hegemonie des Diskurses liegt darin, dass unter Umständen Wirtschaftlichkeitsinteressen (im Sinne von Profitmaximierung) vor die Emissionswirksamkeit von Green-Finance-Maßnahmen gestellt und mit diesem hegemonialen Diskurs gerechtfertigt werden (Hache, 2019a, 2019b; J. Jäger, 2020; J. S. Jäger, 2020; J. Lent, 2017; Reyes, 2020).

Oft wird diese Schwierigkeit, die emissionsreduzierende Wirksamkeit oder allgemein umweltfreundliche Natur von Green-Finance-Produkten eindeutig festzumachen, als „Greenwashing“Footnote 2 bezeichnet. Greenwashing wird zumeist durch Marketing-Methoden bewerkstelligt, die einzelne, umweltfreundliche Eigenschaften von Produkten überbetonen, während andere, umweltschädlichere Eigenschaften unterschlagen werden. Im weitesten Ausmaß gedacht wird Greenwashing aus systemischen Gründen – beispielsweise anhand regulatorischer Vereinnahmung (siehe Abschn. 16.3.2 unten) – betrieben, indem klimabezogene Gesetze und Regulierungen bewusst ausgehöhlt oder abgeschwächt werden (Der GLOBAL 2000 Banken-Check, 2021).Footnote 3 Unter anderem werden im Green-Finance-Diskurs aus Marktperspektive oft Substitutionsmöglichkeiten und Carbon OffsettingFootnote 4 (Klimakompensation) als zulässige Instrumente angenommen, welche jedoch in der Literatur vor allem aus Gesellschaft-Natur- und Bereitstellungsperspektive kontrovers diskutiert werden (Cavanagh & Benjaminsen, 2014; Hyams & Fawcett, 2013).

Seit dem Jahr 2018 entwickelt die Europäische Kommission (EK) mit dem Aktionsplan „Financing Sustainable Growth“ eine umfassende Strategie für ein nachhaltiges Finanzwesen.Footnote 5 Neue Initiativen der EK im Rahmen dieses Aktionsplans inkludieren das „Sustainable Finance Package“Footnote 6, welches durch neue „Sustainable Finance Disclosure Regulation (SFDR)“, das heißt Offenlegungspflichten für grüne Finanzierung, die Umsetzung der bereits im Juli 2020 in Kraft getretenen „EU Green Finance Taxonomie“Footnote 7, garantieren soll. Insgesamt sollen durch diese Maßnahmenpakete veränderte Verhaltensmuster im Finanzsektor bewirkt, Greenwashing verhindert sowie verantwortliche und nachhaltige Investitionen befördert werden. Somit lässt sich feststellen, dass mit der Durchsetzung der EU-Taxonomie und dem Aktionsplan der EK bereits die Regulierung des Green-Finance-Marktes begonnen hatFootnote 8 und auch schon Debatten zu Inklusion und Exklusion gewisser „Brückentechnologien“ wie Gas- und Atomkraft ausgelöst hat (siehe dazu Abschn. 16.4.1.2).

Grüne oder nachhaltige Finanzanlagen sind unter vielen verschiedenen Begriffen bekannt: grünes Geld, ethisches Investment, ethische Geldanlage, Sustainable and Responsible Investment, grüne Anleihen (Green Bonds) etc. (Faktencheck Green Finance, 2019). Gemeinhin als eher weit gefasst gilt der Begriff „nachhaltige Geldanlagen“ („sustainable finance“), der als allgemeine Bezeichnung für nachhaltige, verantwortliche, ethische, soziale, ökologische Investitionen und allen diesen Kriterien entsprechenden Anlageformen gebräuchlich ist. Dabei wird bei nachhaltiger Finanzierung die Nachhaltigkeit oft nicht nur in Bezug auf Klimaveränderung verstanden. Neben unterschiedlichen Umweltthemen sind darin auch soziale (z. B. Menschenrechte) sowie Governance-Aspekte eingeschlossen (beispielsweise „verantwortungsorientierte Unternehmensführung“) – zusammengefasst werden diese drei Kategorien häufig unter der englischen Abkürzung „ESG“ (Environment, Social, Governance). Einen starken Trend gibt es bei sogenannten ESG-Anleihen und grünen Anleihen (Green Bonds). In der Regel ist das Vorteilhafte bei solchen grünen oder ESG-Anleihen: Die finanziellen Mittel werden direkt für Investitionen in ökologische oder sonstige als sozial wertvoll angesehene Projekte verwendet (Faktencheck Green Finance, 2019).

Der Markt für Green Finance in Österreich ist, vor allem im Vergleich zu Deutschland, noch relativ klein (FNG, 2020).Footnote 9 Laut neuestem Marktbericht des Forums für nachhaltige Geldanlagen (FNG, 2020) beläuft sich die Marktsumme an nachhaltigen Geldanlagen in Österreich 2019 auf 30,1 Milliarden Euro (Wachstum von 38 Prozent im Vergleich zu 2018), was nur in etwa 1,4 Prozent der gesamten finanziellen Vermögensbestände Österreichs ausmacht (Breitenfellner et al., 2020). Was die institutionellen Investitionen betrifft, so liegt der Anteil nachhaltiger Fonds am Gesamtmarkt bei 15,9 Prozent. Bei dem weiter gefassten Begriff der „verantwortlichen Investments“ beträgt das Volumen mit 106,8 Milliarden Euro die dreifache Summe der nachhaltigen Geldanlagen (64 Prozent Wachstum im Vergleich zu 2018). Dieser Markt in Österreich wird von dem deutschen Markt in den Schatten gestellt, der mit über 1,6 Billionen Euro sehr hoch dotiert ist (Breitenfellner et al., 2020). Im Jahr 2018 wurden weltweit grüne Anleihen von mehr als 389 Milliarden US-Dollar emittiert (CBI, 2018). Grüne Anleihen sind in Österreich noch nicht weit verbreitet: 2019 betrug das Marktvolumen ca. 3 Milliarden Euro (Codagnone et al., 2020). Während der Markt für solche grünen Finanzprodukte in Österreich also noch Entwicklungspotenzial zu haben scheint, unterliegt er einer bedeutenden Wachstumsdynamik.

16.1.3 Geldsystem: Kreditvergabe durch Banken (Basel III), Geldpolitik

Obwohl nach der Krise 2008/2009 zahlreiche Regulierungen gesetzt wurden, die zukünftige Finanzkrisen verhindern sollen, z. B. Basel III, sind durch volatile Finanzmärkte und hohe Schuldenquoten induzierte Risiken noch vorhanden und die Regulierung wird von manchen Stimmen als unzureichend kritisiert (Allen et al., 2012; Goyfman, 2013; Siskos, 2019). Trotz dieser weiterhin vorhandenen Risiken auf Finanzmärkten wird verstärkt darauf gesetzt, die Kreditvergabe von Banken in Richtung Kredite für grüne Investitionen zu inzentivieren (Akomea-Frimpong et al., 2021; Nath et al., 2014). Solche Richtlinien werden anhand von EU-Verordnungen bereits teilweise umgesetzt, wo beispielsweise die Eigenmittelanforderungen für Kredite an Rechtsträger – die Anlagen zur Erbringung von öffentlichen Diensten betreiben und bewertet haben, ob damit zu Umweltzielen beigetragen wird – um 25 Prozent gesenkt werden.Footnote 10

Da aus Sicht der Marktperspektive Geld lange Zeit als neutral galt und somit aus dieser Perspektive durch geldpolitische Interventionen in der Regel Inflation (oder Deflation) zu befürchten gewesen wäre, wurde der Diskurs zur Verantwortlichkeit von Zentralbanken und Finanzmarktaufsichtsbehörden für das Verwalten und die Reduktion von klimabezogenen Risiken erst in den Jahren nach der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/09 schrittweise intensiviert (Dikau & Volz, 2018, 2021). Aufgrund der zunehmend anerkannten strukturellen Notwendigkeiten regulatorischer und geldpolitischer Interventionen durch Zentralbanken und Finanzmarktaufsichtsbehörden übernehmen diese Institutionen in diesem Bereich zunehmend Verantwortung, siehe dazu Abschn. 16.2.2 und 16.3.1.3 unten sowie Battiston, Dafermos, et al. (2021); Bolton et al. (2020); Breitenfellner et al. (2019); Dörig et al. (2020); Monasterolo (2020); Pointner (2020); Pointner und Ritzberger-Grünwald (2019); Rattay et al. (2020).

16.1.4 Klimarisiken und dadurch induziertes Klima-Finanz-Risiko, Divestment

Klimarisiken gefährden den produktiven und sonstigen Kapitalstock und somit auch die Existenz von Unternehmen verschiedenster Branchen. Unterschieden muss dabei werden zwischen (1) physischen Klimarisiken und (2) Transitionsrisiken (Carney, 2015; NGFS, 2021; Pointner & Ritzberger-Grünwald, 2019). Physische Klimarisiken sind jene, die aus extremen Wetterereignissen (z. B. Sturm, Hitzewellen, Überschwemmungen etc.) oder auch langfristigen klimatischen Verschiebungen (z. B. veränderte Temperaturmuster sowie Niederschlagsmengen und dadurch induzierte Naturkatastrophen etc.) resultieren. Transitionsrisiken folgen aus der möglicherweise schockartigen Anpassung der Gesellschaft, beispielsweise durch gestrandete Vermögenswerte (Stranded Assets) (Battiston, Dafermos, et al., 2021; Battiston et al., 2017; Battiston, Monasterolo, et al., 2021).

Es gib strukturelle Probleme, die die Einpreisung dieser Klimarisiken durch das Finanzsystem erschweren (Carney, 2015; NGFS, 2021). Dies sind unter anderem (1) fundamentale (das heißt nicht abschätzbare oder noch unbekannte) Unsicherheiten bezüglich Auswirkungen des Klimawandels sowie (2) die Nicht-Linearität dieser Effekte, das heißt die Geschwindigkeit und Art der Veränderungen kann unvorhergesehen stark zunehmen oder keinen vorhersehbaren Mustern folgen (Battiston, Dafermos, et al., 2021; Battiston et al., 2017; Battiston, Monasterolo, et al., 2021). Die sogenannte Kohlenstoffblase (Carbon Bubble) beschreibt das Phänomen, dass Unternehmen, die fossile Brennstoffe fördern, verarbeiten, verkaufen und/oder transportieren, am Finanzmarkt überbewertet seien. Dies geschieht, wenn der Finanzmarkt physische und finanzielle Klimarisiken nicht korrekt einpreist (Bolton et al., 2020; Campiglio et al., 2018; Faktencheck Green Finance, 2019). So dürfen z. B. von der Öl-, Gas und Kohleindustrie nur mehr ein Bruchteil bestehender Kohle-, Erdöl- und Erdgasreserven verwendet werden, um das 1,5-Grad-Ziel bis 2050 zu erreichen.Footnote 11 Die Summe dieser klimabezogenen Risiken, die vom Geld- und Finanzsystem nur sehr schwer gefasst werden können und daher Finanzmarktstabilität potenziell gefährden, wird als das „Klima-Finanz-Risiko“ bezeichnet.

Wenn die gesamten vorhandenen Reserven in den Vermögenswerten der Firmen integriert sind, könnten Stranded Assets im Wert von knapp 2 Billionen Euro entstehen, wenn diese Reserven nicht verwendet werden. Ähnliche Effekte könnten durch eine abrupte und einschneidende Einführung einer CO2-Steuer entstehen (Battiston, Dafermos, et al., 2021; Battiston et al., 2017; Campiglio et al., 2018). Demzufolge bemessen gemäß einem Bericht von Carbon Disclosure Project (CDP, 2019) bereits 215 der 500 weltgrößten Konzerne ihre aus extremem Wetter, höheren Temperaturen und Treibhausgasemissionen entstehenden Geschäftsrisiken auf etwa 880 Milliarden Euro. Ungefähr 220 Milliarden Euro davon betreffen Wertminderungen oder Abschreibungen, die sowohl auf Transitions- als auch auf physische Klimarisiken zurückgehen (Klima- und Energiefonds, 2019, S. 13). In ihrer weltweiten Panel-Regression auf Firmenebene ermitteln Bolton & Kacperczyk (2021), dass es ein „Kohlenstoff-Premium“ (Carbon Premium) gibt – das heißt höhere Renditen für Firmen mit höheren Emissionen. Sie finden dieses Carbon Premium in allen Ländern weltweit, zwar sowohl direkt durch die Firmen selbst als auch indirekt entlang der Lieferketten. Die Autor_innen interpretieren das bereits als eine Einpreisung des Finanzmarktes für Klimarisiken, die allerdings ihrer Ansicht nach volatilen Dynamiken unterliegt.

In ihrer Studie berechnen Günsberg et al. (2017) für Österreich die Carbon Exposure, das heißt direkt mit Finanzrisiko aufgrund der Kohlenstoffblase belastete Finanzmittel. Rund drei Viertel aller in der Studie untersuchten Fonds verfügen über Veranlagungen im Fossilbereich. Diese sind im Durchschnitt mit 5,9 Prozent ihres Vermögens direkt in Unternehmen des Kohle-, Öl- und Gassektors investiert und mit weiteren 1,9 Prozent in abhängige Zulieferbetriebe und Energieerzeuger. In einem Update ihrer Studie (Colard et al., 2018) ergibt sich für die Top 100 der Kapitalanlagegesellschaften in Österreich ein Carbon Exposure von 2 Milliarden Euro bzw. 7,1 Prozent des Gesamtvolumens dieser Fonds. In ihrer Studie zu den Auswirkungen des Pariser Klimaabkommens auf den österreichischen Finanzmarkt weisen Rattay et al. (2020) unter Bezugnahme auf die Studie von Arabella Advisors (2018)Footnote 12 unter anderem darauf hin, dass sich zu diesem Zeitpunkt bereits Fonds mit Mitteln von mehr als 6,2 Billionen US-Dollar dazu verpflichtet hatten, sich aus Investitionen in fossile Energieträger zurückzuziehen. Die Versicherungswirtschaft hat sich zu einem Divestment von Carbon Assets (Veräußerung kohlenstoffintensiver Wertpapiere) über mehr als drei Billionen verpflichtet.Footnote 13 Empirischen Studien für Österreich (Dörig et al., 2020) und den Weltmarkt (Hansen & Pollin, 2020) relativieren die Einpreisung von Klimarisiken in Österreich und der Welt stark; betonen jedoch die diskursiven Effekte der Divestment-Bewegung (Hansen & Pollin, 2020).

Die obige Diskussion der Literatur zeigt vor allem zweierlei, was für alle Perspektiven gleichermaßen relevant ist: (1) Systemische Risiken, die aus physischen und Transitionsrisiken entstehen, werden auf Finanzmärkten nicht ausreichend berücksichtigt. (2) Die Kohlenstoffblase existiert weiterhin, da die Klimarisiken weiterhin kaum eingepreist sind. Durch die Nicht-Linearität von Netzwerkeffekten können – bedingt durch Klimakatastrophen und langfristige klimatische Veränderungen – Kaskaden an Firmenbankrotten entstehen (Battiston, Dafermos, et al., 2021; Battiston et al., 2017). Es ist die „Tragödie des Zeithorizonts“ (Carney, 2015), dass die Klimakrise in unserem Zeitverständnis so „weit weg“ ist und die Zusammenhänge so komplex sind, dass das Finanzsystem nicht in der Lage ist, mit diesem Risiko adäquat umzugehen. Zu den Bündeln an vorgeschlagenen Maßnahmen, um dem entgegenzuwirken, zählen geldpolitische, fiskalische und regulatorische mikro- wie makroprudenzielle Interventionen, siehe BIS (2021); NGSF (2021); TCFD (2021); UNEP (2021). Geldpolitische Interventionen wären beispielsweise entsprechende Eigenveranlagung, also eine grüne Investitionsstrategie der Notenbanken selbst. Eine regulatorische Intervention wäre beispielsweise die Ausgestaltung der Eigenkapitalquoten der Banken anhand klimafreundlicher Kriterien wie etwa niedrigere Eigenkapitalanforderungen bei Krediten für grüne Investitionen und entsprechende Garantien der Notenbank (BIS, 2021; NGSF, 2021; TCFD, 2021; UNEP, 2021). Fiskalische Interventionen sind in Abschn. 16.3.1.2 zur leitenden Rolle des Staates erläutert.

16.2 Finanzmarktstabilität als strukturelle Bedingung für klimafreundliches Leben

Das derzeitige globalisierte und finanzialisierte Wirtschaftssystem begrenzt (mit unterschiedlicher Argumentation aus allen vier Perspektiven) den nationalen wirtschaftspolitischen Handlungsspielraum (Aglietta, 2018; Novy, 2020; Rodrik, 2000). Internationale Kapitalflüsse beeinflussen das Funktionieren nationaler Ökonomien und befördern Blasenbildungen auf Finanzmärkten, die oft technologischen Innovationszyklen folgen (Kindleberger & Aliber, 2005). Internationales – kurzfristige Veranlagungen suchendes – Kapital investiert, wo die höchsten Renditen zu erzielen sind, was durch Investitions- und Handelsabkommen erleichtert wird [siehe Kap. 15]. Der daraus entstehende lokale Investitionsboom sowie die lokalen Finanzmarkt-Blasen führen oft zu Überhitzung des Marktes, das heißt zu kurzfristigem Wachstum mit darauffolgender Destabilisierung des nationalen oder internationalen Finanzsystems. Beispiele hierfür sind spekulative Blasen in Japan Anfang der 1990er, danach die Südostasien-Krise, dann die Dotcom Bubble, dann die Subprime-Krise 2007/08 und momentan unter anderem Krypto-Assets (Baur et al., 2018; Kindleberger & Aliber, 2005; H. P. Minsky, 1982; Schulmeister, 2018).

16.2.1 Systemische Finanzmarkt-Instabilität befördert Ressourcenverbrauch durch Wachstumsdrang

Das internationale wirtschaftliche Umfeld wird durch diese systemische Konfiguration des Geld- und Finanzsystems inhärent instabil. Es kann aber durch die von Finanzinvestitionen ausgelösten positiven Wachstumserwartungen und dem mit diesen Erwartungen zusammenhängenden realen Wachstum auf Zeit stabilisiert werden (Cahen-Fourot & Lavoie, 2016; Guttmann, 1996; Kimmich & Wenzlaff, 2021; Tokic, 2012). Der Profitdruck auf individuelle Firmen kann zudem im Aggregat nur langfristig für die meisten Firmen aufrechterhalten werden, wenn auch das BIP als aggregierte Größe nicht aufhört zu wachsen. Denn ansonsten müssen zahlreiche individuelle Firmen einen harten Überlebenskampf führen – dies erzeugt einen gesamtwirtschaftlichen Wachstumszwang (Binswanger, 2019). Diese Faktoren bedingen, dass aufgrund des Wachstumsdrangs durch wirtschaftliche Akteure auf Einhaltung hoher Renditen und rasche Rentabilität von Investitionen abgezielt wird – und nicht auf die Vermeidung von Emissionen, Verringerung von Ressourcenverbrauch, eine faire Entlohnung der Mitarbeiter_innen oder andere gesellschaftliche Zielgrößen (Aglietta, 2018; Hickel, 2021; Kimmich & Wenzlaff, 2021; Schulmeister, 2018; Victor, 2008). Die Rede ist dabei oft von der Maximierung von „Shareholder Value“ (Aktionärswert) und Dividendenausschüttungen (Onaran et al., 2011), welche die Unternehmen dazu motivieren, Outsourcing zu betreiben und die Kostensenkungen zum Nachteil von Arbeitnehmer_innen und auch Ressourcenverbrauch durchzusetzen. Des Weiteren können inhärent instabile Finanzmärkte aufgrund der Verstärkung von Netzwerkeffekten bei Bankrotten einzelner Akteur_innen finanzielle Auswirkungen von Klimarisiken kaum abfedern. Zusätzlich bleibt die Erwartungshaltung von Finanzmärkten oft einer spekulativen Logik verhaftet, da nur wenig Vertrauen in die konsequente Umsetzung von Klimapolitik besteht (Battiston, Monasterolo, et al., 2021). In ihren Analysen diskutieren Lohmann (2012) und Sibanda (2013) die Verzahnung von Finanzialisierung, grünem Kapital, Kommodifizierung und CO2-Emissionen. Eine empirische Analyse (Shoaib et al., 2020) zeigt, wie fortschreitende Finanzialisierung einer Wirtschaft (im Sinne von stärker ausgebauten Finanzmärkten) auch CO2-Emissionen verstärkt. Weitere ökonometrische Analysen kommen zu dem Schluss, dass Kreditfinanzierung zu mehr Emissionen führt als die Finanzierung über Aktienmärkte („equity-based finance“) – was ein Indiz dafür ist, dass marktbasierte Finanzierung sowie grüne Kreditlenkung hilft, die Emissionen zu reduzieren (De Haas & Popov, 2019).

16.2.2 Finanzmarktregulierung für sichere Renditen auf grüne Investitionen

Wie schon Keynes (1936) ausführt und Schulmeister (2018) betont, erhöht Finanzmarktinstabilität das Risiko langfristiger Investitionen, da kurzfristige Renditen oft höher erscheinen und langfristige Investitionen durch die sozial schlecht verwaltete fundamentale Unsicherheit der Zukunft großen „downside risks“ (Risiko substanzieller Kursverluste der angeschafften Investitionsgüter) unterliegen. Diese Betrachtungsweise teilen alle Perspektiven. Aus diesen Gründen begünstigt Finanzmarktstabilität langfristige Investitionen zur Schaffung von Strukturen für ein klimafreundliches Leben durch eine stabile, verlässliche und ausreichende Renditenlage. Finanzialisierung, die Instabilitäten erhöht, kann daher aus Bereitstellungs- und Gesellschaft-Natur-Perspektive entgegengewirkt werden, indem langfristige Renditen für grüne Investitionen stabilisiert werden. Zusätzlich könnte eine Transformation des Finanzsystems zu einer „Dienstleisterin der Realwirtschaft“ (Schulmeister, 2018) Investitionen zur Dekarbonisierung fördern. Wiewohl derartige Regulierungen großteils auf internationaler Ebene erfolgen müssen (siehe Abschn. 16.4.2.3), gibt es auch auf nationalstaatlicher Ebene Spielräume wie eine Bankenabgabe (Aglietta, 2018; Aglietta et al., 2015; H. Minsky, 1986; H. P. Minsky, 1982; Schulmeister, 2018). Für die gezielte langfristige Transformation sozialer Gegebenheiten schlägt schon Keynes (1936) eine partielle Sozialisierung von Investitionen zur Stärkung des Wirtschaftssystems vor (damals im Kontext der Weltwirtschaftskrise). Diesem Argument folgend, ist eine derartige (partielle) Sozialisierung von Investitionen auch für ein gemeinschaftliches Ziel wie die Bewältigung der Klimakrise in jedem Falle notwendig – wie die Schwierigkeit der letzten Jahrzehnte, Emissionen anhand von politisch vorgegebenen Zielen vor allem auf Basis von Marktprozessen stark zu reduzieren, eindrucksvoll demonstriert (Crotty, 2019; Malm, 2013, 2016; Schulmeister, 2018).

16.3 Akteur_innen und Institutionen: Industrie, Staat, Nationalbank und FMA

16.3.1 Akteur_innen und Aktivitäten, die Wandel fördern

16.3.1.1 Die Ambivalenz der Industrie

Markt- und Innovationsperspektive erhoffen, dass die (Finanz-)Märkte den für die Ökologisierung des Wirtschaftssystems notwendigen Umbau des produktiven wirtschaftlichen Systems in großem Maße aufgrund von Wirtschaftlichkeitskriterien finanzieren und umsetzen werden (IRENA, 2021; IRENA & ILO, 2021). Bereitstellungs- und Gesellschaft-Natur-Perspektive bezweifeln, ob dies in der durch den kurzen Zeithorizont bis zur notwendigen Dekarbonisierung gebotenen Geschwindigkeit geschehen wird (Aglietta, 2018; Schulmeister, 2018; Stern & Valero, 2021). Zusätzlich ist sowohl aus Markt- und Gesellschaft-Natur-Perspektive zu erwarten, dass die fossilen Industrien der sozial-ökologischen Transformation erhebliche Widerstände entgegensetzen werden. Man kann davon ausgehen, dass die Industrie nicht geschlossen als ein Akteur und Block auftreten wird, sondern in unterschiedlichen Sektoren verschiedene Wirtschaftlichkeitsinteressen bestimmend sein werden (Dunz et al., 2021; IEA, 2021). Staatliche Regierung ist erforderlich, um heterogene Interessen der Industrie für die zeitgerechte Dekarbonisierung zu nutzen.

16.3.1.2 Die leitende Rolle des Staates

In allen vier Perspektiven kommt dem Staat eine entscheidende Rolle zu, geeignete Rahmenbedingungen für das Geld- und Finanzsystem festzulegen. In der konkreten Ausgestaltung der Rahmenbedingungen unterscheiden sich die Perspektiven jedoch. Aus Markt- und Innovationsperspektive ist der Staat wesentlich für die Herstellung von Kostenwahrheit verantwortlich, um ökologisch nachhaltige Finanzierungen zu forcieren. Aus Sicht der Bereitstellungs- und Gesellschaft-Natur-Perspektive gilt es nicht nur, zu einem steigenden Klimabewusstsein beizutragen, sondern auch effektive Klimapolitik gegen die Interessen mächtiger Anspruchsgruppen durchzusetzen. Um den staatlichen Handlungsspielraum zu erweitern, ist eine verstärkte Elastizität der Staatsfinanzen bedeutsam, wohingegen staatliche Handlungsfähigkeit durch eine Sparpolitik, die öffentliche Investitionen reduziert, eingeschränkt wird (Kelton, 2019; Schulmeister, 2018). Der Staat braucht jedoch Handlungsspielräume, um angesichts der Verzahnung politischer und wirtschaftlicher Macht auf nationaler und EU-Ebene trotzdem wirksame Rahmenbedingungen zu gestalten (Aglietta, 2018; Novy, 2020; Rodrik, 2000; Schulmeister, 2018). Dies unter anderem, um Gemeinwohlinteressen trotz des engen, den Staat beschränkenden Machtgeflechts bei staatlichen Interventionen mehr in den Vordergrund rücken zu lassen. Somit nimmt der (National-)Staat eine spannungsgeladene und durch wechselseitige Abhängigkeiten geprägte Rolle ein (Novy, 2020; Rodrik, 2000). Interne Anspruchsgruppen wirken in Klimafragen oft verhindernd auf staatliche Regulierung ein (Breitenfellner, Lahnsteiner, Reininger, et al., 2021). Beispielsweise ist die trotz aller Diskussionen in Österreich nicht erfolgte Abschaffung des Dieselprivilegs hierfür ein klares Indiz (Breitenfellner, Lahnsteiner, & Reininger, 2021) – zu begrüßen hingegen ist die kürzlich in Österreich beschlossene CO2-Bepreisung.Footnote 14 Hilfreich für die Finanzierung (Steuereinnahmen) und Durchsetzung (Verringerung von Kapitalakkumulation und Machtkonzentration) der gestaltenden Rolle des Staates ist aus Sicht von Bereitstellungs- und Gesellschaft-Natur-Perspektive ein Steuersystem, das Vermögen und Vermögenseinkommen stärker besteuert als bisher (Nabil et al., 2022; Piketty, 2014). Für die Einführung von Vermögenssteuern kann dabei auf wesentliche (empirische) Vorarbeiten der OeNB und anderer Zentralbanken zur Ungleichheit von Vermögen in Österreich und Europa zurückgegriffen werden (Fessler et al., 2018; Lindner & Schürz, 2019; Waltl, 2022).

In der Eurozone wurde mit den „outright monetary transactions“ (OMT) – durch die die EZB die Eurokrise ab dem Jahr 2012 abgefangen hatFootnote 15 – sowie durch expansive Geldpolitik („quantitative easing“) gewährleistet, dass die staatliche Finanzierung nur mehr partiell und unter der Kontrolle der EZB direkt vom Finanzmarkt abhängt. Aber dieses System ist volatil, während Staatsschuldenausweitungen verhindernde europäische Regulierungen (EU Sixpack und dergleichen) staatliche Spielräume einschränken. Bedeutend ist in diesem Zusammenhang das von Dani Rodrik entwickelte Trilemma (Novy, 2020; Rodrik, 2000), das Spielanordnungen beschreibt, die im Zeitalter einer „Hyperglobalisierung“ Einschränkungen von nationalen und/oder demokratischen Handlungsspielräumen mit sich bringt. Falls die Finanzierung von Staatsschuldenausweitungen vom Kapitalmarkt abhängt, können internationale Finanzmärkte nationale Spielräume auch für Klimapolitik stark einschränken. Wenn jedoch Zentralbanken („Lender of last resort“ – Kreditgeber letzter Instanz) Staatsschulden richtig managen, dann stellen diese – aus der Sicht von Bereitstellungs- und Gesellschaft-Natur-Perspektive – kein Problem dar (Godley & Lavoie, 2007; Kelton, 2019; Lavoie, 2014; H. P. Minsky, 1982; Schulmeister, 2018; Wray, 2006). Demnach sind erhöhte Staatsausgaben, aber auch Staatsschulden für die Transition zu eine Nullemissionswirtschaft sinnvoll und ökonomisch fundiert begründbar (Aglietta, 2018; Schulmeister, 2018). Aus einer Innovations- und Bereitstellungsperspektive kann der Staat Unsicherheit reduzieren helfen, indem er für die großangelegte Umstrukturierung der Wirtschaft nicht nur mittels Marktmechanismen Finanzmittel in die für die Transformation relevanten Sektoren lenkt, sondern auch als „Entrepreneurial State“ zusätzlich direkt öffentliches Risikokapital für dekarbonisierende Investitionen zur Verfügung stellt (Mazzucato, 2014).

Allerdings braucht es im Sinne einer Gesellschaft-Natur-Perspektive eine globale Finanzmarktregulierung (siehe dazu Abschn. 16.4.2.3), um das notwendige stabile Umfeld für unter anderem durch den Staat geleitete langfristige transformatorische Projekte hin zu einer Nullemissionswirtschaft zu schaffen.

16.3.1.3 Klima-Finanz-Risiko: Mandat von Zentralbanken und Finanzmarktaufsicht (FMA)

Strukturellen ökonomischen Notwendigkeiten entsprechend – die aus Markt-, Bereitstellungs- und Gesellschaft-Natur-Perspektive unterschiedlich, aber mit ähnlicher Konsequenz argumentiert werden können – haben Zentralbanken als Gläubiger letzter Instanz spätestens nach der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008 eine führende Rolle übernommen, das Finanzsystem vorübergehend zu stabilisieren und zu führen (Bowman, 2013; Thiemann, 2011, 2014). Dies geschah unter anderem durch eine unkonventionelle Geldpolitik wie z. B. Quantitative Easing. Aus der Existenz systemischer Risiken (physisches und Transitionsrisiko) sowie der Kohlenstoffblase wird wie oben argumentiert das Klima-Finanz-Risiko abgeleitet (Carney, 2015) – und somit sind in Österreich als regulierende Institution der Finanzmärkte die Finanzmarktaufsicht sowie innerhalb ihres Zuständigkeitsbereichs auch die OeNB mit der Bekämpfung der Klimakrise befasst (Battiston, Dafermos, et al., 2021; Bolton et al., 2020; Breitenfellner et al., 2019; Dörig et al., 2020; Monasterolo, 2020; Pointner, 2020; Pointner & Ritzberger-Grünwald, 2019; Rattay et al., 2020). Zentralbanken und Finanzaufsichtsbehörden nehmen bei der Stabilisierung dieser immer komplexer werdenden Finanzmärkte somit eine immer bedeutendere – die Gesellschaft steuernde – Rolle ein (Thiemann, 2011, 2012, 2014). Manche sprechen dabei schon von einem „zentralbanken-geleiteten“ Kapitalismus (Bowman, 2013; Pozsar, 2014). Dies hat auch mit der immer höher werdenden privaten SchuldenquoteFootnote 16 zu tun, welche Finanzmarktfragilität systemisch steigert und zusammen mit der Liberalisierung von Finanzmärkten zu verstärkten Zyklen und Blasenbildungen auf Finanzmärkten führt.

Diese Blasenbildung kann nur partiell von Staaten und Zentralbanken beherrscht werden, da die Regulierungen den Innovationen auf Finanzmärkten systemisch hinterherhinken (H. Minsky, 1986; H. P. Minsky, 1982; Palley, 2013), siehe den nächsten Abschn. 16.3.2. Für Zentralbanken ist es in dieser fragilen Lage auf Finanzmärkten immer wichtiger, Preisstabilität von finanziellen Vermögenswerten durch bedeutende Interventionen (oft im Tandem mit staatlichen Beihilfen) im Krisenfall weltweit sicherzustellen – oft ohne die verantwortlichen Akteur_innen die Kosten von Finanzkrisen selbst tragen zu lassen. Automatisierte Handelssysteme steigern die Fragilität von Finanzmärkten weiter (Schulmeister, 2018), unter anderem durch sogenannte „Flash Crashs“, die im Jahre 2010 die Kurse plötzlich innerhalb weniger Minuten um mehrere Prozent absinken ließen, worauf sofort eine plötzliche Erholung folgte (Menkveld & Yueshen, 2018). Die Klimakrise wird aufgrund der potenziellen Kohlenstoffblase als eines der größten Finanzrisiken gesehen, welches die bisher dargestellte Finanzmarktfragilität weiter steigert. Obwohl die Zentralbanken nicht hauptsächlich für Finanzmarktrisiken zuständig sind,Footnote 17 könnten sie klimafreundliche Investitionen fördern bzw. fordern und auch in ihrer eigenen Anlagestrategie verankern (sowohl bezogen auf das nicht-geldpolitische Anlageportefeuille als auch auf Unternehmensanleihen im geldpolitischen Anlageportefeuille). Das Network for Greening the Financial System (NGFS, 2021) als Zusammenschluss von Zentralbanken weltweit hat beispielsweise den Zweck, diese Aspekte von Klima-Finanz-Risiko-Management näher zu beleuchten und Handlungsspielräume für Zentralbanken auszuloten.

16.3.2 Akteur_innen und Aktivitäten, die Wandel hemmen: Regulatorische Vereinnahmung

Gesellschaftliche Strukturen werden auf höheren Ebenen (Regionen, Staaten, global) zu großen Teilen durch vorherrschende Diskurse hergestellt, stabilisiert und durchgesetzt. Dieser Sachverhalt folgt unmittelbar aus der Gesellschaft-Natur- und mittelbar aus der Bereitstellungsperspektive. Er zeigt insbesondere, wie sich – angelehnt an die der Markt- und Innovationsperspektive zugrunde liegenden Paradigmen – narrative StrukturenFootnote 18 formieren, die zu einer diskursiven Hegemonie von Markt- und Innovationslösungen führen. Diese narrativen Strukturen stellen Handlungsanweisungen dar, die unser tägliches Handeln steuern und mit Sinn belegen sowie die Ausformungen der unser Wirtschafts- und Gesellschaftssystem co-determinierenden Institutionen regulieren [siehe Kap. 20]. Zudem etablieren diskursive Hegemonien einen erheblichen Teil der Denkmuster, durch die Strukturen, Handlungen, Ereignisse, Institutionen und ethische Diskurse geschaffen, interpretiert, bewertet und gedeutet werden (Aglietta, 2018; Becker, 1973; Graeber, 2012, 2018; Hickel, 2021; J. Lent, 2017; J. R. Lent, 2021; H. Minsky, 1986; H. P. Minsky, 1982; Schulmeister, 2018). Die momentan vorherrschenden diskursiven Hegemonien bezüglich Geld und Finanzsystem erschweren es, Strukturen für ein klimafreundliches Leben zu schaffen (Hickel, 2021; J. Lent, 2017; J. R. Lent, 2021; Schulmeister, 2018). Kritik an der diskursiven Hegemonie der vorherrschende makroökonomische Theorie sowie der Narrative zur finanzialisierten Wachstumslogik kommen oft nur von wissenschaftlichen und gesellschaftlich (machtpolitisch) marginalisierten Gruppen im Rahmen der Bereitstellungs- und Gesellschaft-Natur-Perspektive (Aglietta, 2018; Eisenstein, 2021; Graeber, 2012; Hickel, 2021; J. Lent, 2017; J. R. Lent, 2021; Schulmeister, 2018).

Innerhalb solcher diskursiven, institutionellen und sozialen Strukturen sind bestimmte Finanzmarktakteur_innen erfolgreich bei der Vermeidung und Aufweichung von Regulierungen sowie bei diesen entweichenden Finanzmarktinnovationen – in der Literatur bekannt als „regulatory capture“ (regulatorische Vereinnahmung). Aus Bereitstellungs- und Gesellschaft-Natur-Perspektive gibt es systemische Gründe dafür, dass Finanzmarktakteur_innen aufgrund von Profitmaximierung versuchen, nationale und internationale Regulierungen, z. B. Basel III, im Vorhinein abzuschwächen, zu unterlaufen oder zu verhindern (H. Minsky, 1986, 1986; Palley, 2013; Schulmeister, 2018). So wurde die in der EU lange diskutierte Finanztransaktionssteuer durch eine Studie von Goldman Sachs sehr kritisch analysiert (Goldman Sachs, 2013)Footnote 19 und danach nicht umgesetzt (Schulmeister, 2015).Footnote 20 Ein weiteres Beispiel, wie Finanzmärkte die Interessen der Realwirtschaft in ihre Richtung lenken, ist die Finanzialisierung realwirtschaftlicher Unternehmen (Auvray & Rabinovich, 2019): Wenn Unternehmen ihre Profite zunehmend auf Finanzmärkten erwirtschaften, steigt ihr Interesse, (Finanz-)Regulierungen zu unterbinden, obwohl diese für ihre realwirtschaftlichen Aktivitäten vorteilhaft wären (Schulmeister, 2018). Greenwashing im systemischen Sinn, wie oben in Abschn. 16.1.2 argumentiert, wäre auch unter regulatorischer Vereinnahmung einzuordnen (Der GLOBAL 2000 Banken-Check, 2021).

Der Machtzugewinn der globalen Vermögensbesitzenden seit den 1980er Jahren – der von Kalecki (1943) vorhergesehen wurde – schlägt sich in institutionellen Veränderungen nieder. Die Suche nach Renditen fördert die Entwicklung komplexer Finanzinnovationen, die zunehmend opak werden („Schattenbankensystem“), wodurch für die Politik das systemische Risiko steigt (Ban & Gabor, 2016; Carstens, 2021; Kindleberger & Aliber, 2005; Michell, 2016; Pozsar, 2014). Umso wichtiger wird Wachstum zur Stabilisierung des instabilen Finanzsystems, was wie oben argumentiert unter anderem durch nichtnachhaltigen Einsatz von Ressourcen oder Verringerung von Lohnquoten bewerkstelligt wird (Jackson, 2019). Aus der gleichzeitigen Erwartung von langfristig niedrigen realwirtschaftlichen Wachstumsraten (Summers, 2015) resultieren potenziell gravierende Probleme der empirisch belegten ungleichen Verteilung von Einkommen und Vermögen – innerhalb einzelner Länder wie in Österreich (Fessler et al., 2018; Lindner & Schürz, 2019; Waltl, 2022) und international sowie zwischen globalen sozialen „Klassen“ (Jackson & Victor, 2016; Milanovic, 2019; Nabil et al., 2022; Piketty, 2014). Die gezielte Einflussnahme der Eliten auf Diskurse zur Deregulierung von Finanzmärkten hat diesen Entwicklungen den Weg geebnet und findet seine Fortsetzung. Das historisch beste Beispiel ist die sogenannte „Mont Pélerin Society“ (Mirowski & Plehwe, 2009; Schulmeister, 2018), von der ausgehend gezielt das wirtschaftswissenschaftliche Paradigma in seine derzeitige Richtung mitgeformt wurde, mit oben skizzierten Folgen unter anderem auf Finanzmarktliberalisierung. Komplementär und begleitend wurde ein materialistisches Narrativ von Wohlstand vorherrschend im medialen Diskurs und in breiten Teilen der Bevölkerung propagiert, um den Wachstumskapitalismus der Nachkriegszeit als Erfolgsmodell aufrechtzuerhalten. Derzeit sind in den breiter rezipierten und geführten Diskursen keine anerkannten großen alternativen gesellschaftlichen Entwürfe dazu vorhanden (Eisenstein, 2021; Hickel, 2021; J. Lent, 2017; J. R. Lent, 2021; Schulmeister, 2018).

Diese strukturellen Gegebenheiten des gegenwärtigen Geld- und Finanzsystems erschweren die Regulierung der Finanzmärkte zur Finanzierung der Strukturen für ein klimafreundliches Leben bedeutend.

16.4 Handlungsmöglichkeiten und Gestaltungsoptionen aus allen Perspektiven

16.4.1 Markt- und Innovationsperspektive: Green Finance und Growth

Die im folgenden beschriebenen Maßnahmenbündel versuchen vor allem, durch Reform von Märkten (Marktperspektive) und gelenkter Technologieentwicklung (Innovationsperspektive) unser Wirtschaftssystem zu grünem Wachstum zu lenken sowie die Finanzierung dafür innerhalb bestehender Paradigmen (z. B. Green-Finance-Paradigma) bereitzustellen.

16.4.1.1 European Green Deal, Fit for 55 und andere Green-Growth- und Green-Reform-Optionen

Die erste Gruppe an Gestaltungsoptionen, hier zusammengefasst als Green-Growth- bzw. Green-Reform-Gestaltungsoptionen, konzentriert sich auf verschiedene öffentliche sowie öffentlich-private Finanzierungsformen für Investitionen in sozial-ökologische Infrastrukturen. Dazu zählen die Implementation eines Green Deals in Europa (EGD) sowie die grünen Anteile (ein Drittel) des Post-COVID-19-Recovery-Plans der EU („NextGenerationEU“) – im Rahmen derer aus dem derzeitigen Siebenjahreshaushalt der EU insgesamt 1,8 Billionen Euro an Finanzmitteln vorgesehen sind.Footnote 21 Im Paket der EU „Fit for 55“Footnote 22, welches die EU an die Klimaneutralität bis 2050 heranführen soll und wovon der EGD ein Teil ist, sind zudem mehr als 144 Milliarden Euro für einen „Klima-Sozialfonds“ vorgesehen, mit dem eine gerechte und sozialverträgliche Transition („just transition“) gewährleistet werden soll. Die für hier genannte Zwecke umfangreiche und zum Teil vergemeinschaftlichte Schuldenaufnahme der EU kann aus der Sicht aller Perspektiven als positiv charakterisiert werden, da sie zusätzlich zu ihrer klimapolitischen Lenkungswirkung ein Modell für künftige Weiterentwicklungen von Eurozone und EU bildet, spekulative Angriffe auf einzelne nationale Schuldentitel von EU-Staaten verhindern hilft, sowie die Rigidität von EU-Fiskalrahmen und EU-Fiskalpolitik aufweicht. An dieser Stelle soll allerdings nicht unerwähnt bleiben, dass Österreich mit anderen Staaten im Verbund im Rahmen der sogenannten „Frugal4“ dazu beigetragen hat, dass der europäische Rat den Just Transition Fund im Vergleich zum Vorschlag der EK erheblich verkleinert hat (Reininger, 2021). Da aber letztlich der EGD großteils innerhalb des Green-Finance-Paradigmas verbleibt, ist trotz der darin festgesetzten ambitionierten Ziele unklar, wieweit dies zur Umsetzung einer Nullemissionswirtschaft ausreichen wird. Ähnlich sind auch der gesamte Post-COVID-19-Recovery-Plan der EUFootnote 23 (Philipponnat, 2020) oder die Vorschläge in UNCTAD (2019) zu beurteilen.

16.4.1.2 Reform der Finanzmärkte: Green Finance und Taxonomie, Divestment

Die zweite Gruppe an Gestaltungsoptionen, insbesondere aus einer Marktperspektive, die sich teilweise bereits in Umsetzung befinden, fokussiert auf die Reform von Finanzmärkten, insbesondere des Green-Finance-Bereichs, sowie auf Divestment. Auf Ebene der EU wird stark auf nachhaltige und grüne Finanzierung gesetzt, insbesondere zur Finanzierung der im Rahmen des European Green Deals und des EU Recovery Plans zur Bekämpfung der wirtschaftlichen Folgen von COVID-19 vorgesehenen Maßnahmen. Insgesamt werden laut der EK für die Umsetzung des Pariser KlimaabkommensFootnote 24 im Rahmen des Fit-for-55-Pakets rund 350 Milliarden Euro an zusätzlichen jährlichen Investitionen benötigt,Footnote 25 die die EK zu einem erheblichen Teil über die Finanzmärkte einbringen will, aber partiell auch über vergemeinschaftlichte EU-Schuldenaufnahme zur Finanzierung des EGD. In diesem Zusammenhang kann man Green Bonds ein besonderes Potenzial zusprechen, da sie explizit an emissionsreduzierende Projekte gebunden sind, für ein Zertifizierungs-Schema auf Firmenlevel siehe Ehlers et al. (2020).

Eine starke Beanspruchung von Green Finance, wie unter anderem in der EU-Strategie vorgesehen, kann in jedem Fall förderlich sein, da sie eine Win-win-Situation für alle Beteiligten verspricht (Sustainable-finance-Beirat, 2021). Allerdings ist fraglich, inwiefern Green Finance in der derzeitigen Form die Problematiken von Wachstumslogik und Finanzmarktinstabilität bearbeiten kann (Hache, 2019a; J. Jäger, 2020; J. S. Jäger, 2020; Reyes, 2020). Die EU-Taxonomie könnte wirksam sein, um Greenwashing zu vermeiden (Alessi et al., 2019) und einen Beitrag zu Finanzmarktstabilität zu leisten, aber ihre Effektivität wird sich noch zeigen müssen. Die Frage beispielsweise, wer unter welchen Umständen grüne Geldanlagen gemäß der EU-Taxonomie zertifizieren kann und ob dabei bedeutende Finanzmittel an Ratingagenturen fließen werden, wird sich in der Praxis klären müssen. Zudem hat die Inklusion von Nuklear- und Atomkraft als grüne „Brückentechnologien“ durch die EU-Kommission in einem „ergänzenden delegierten Rechtsakt“ in die Taxonomie heftige Diskussionen ausgelöst, unter anderem eine dezidiert ablehnende Stellungnahme der österreichischen Mitgliedstaaten-Expert_innen-Gruppe (MSEG, 2022).Footnote 26 Diese Diskussionen werden sich fortsetzen und während sie die Schwierigkeiten aufzeigen, eine marktbasierte und gleichzeitig konsensorientierte Förderung von grünen Investitionen mittels grüner Finanzierung voranzutreiben, zeigt sich in diesem Prozess und dem begleitenden Dissens auch die fortschreitende diskursbasierte Regulierung des Finanzmarkts in Richtung einer nachhaltigeren Wirtschaftsweise innerhalb bestehender Paradigmen.

Wie oben skizziert, hatten Divestmentstrategien zur Auflösung der Abhängigkeit von fossilen Anlageformen bisher kaum Auswirkungen auf den Preis von fossilen Anlagegütern – und somit scheint ein Fokus auf die technologische Substitution von fossilen Treibstoffen durch erneuerbare Energien die bessere Strategie zu sein (Hansen & Pollin, 2020).

16.4.2 Alle vier Perspektiven: Steuerreform und institutionelle Änderungen

Diese Maßnahmenoptionen befinden sich an der Schnittstelle von Standpunkten aller vier Perspektiven. Zwar sind sie durch ihren Schwerpunkt auf Änderungen von Regeln systematischer Bereitstellung etwas näher bei der Bereitstellungsperspektive, wirken jedoch teilweise auch transformativ auf Markt- und Innovationsstrukturen im Sinne einer Gesellschaft-Natur-Perspektive. Unter anderem ändern eine tiefe Reform von Steuergesetzgebung und Kreditlenkung sowie die Reform institutioneller Strukturen (Zentralbankmandat, internationale Finanzarchitektur, alternative Geldsysteme) durch die Transformation von Praktiken der Bereitstellung (über Märkte, von Technologien und durch den Staat) die Dynamik unseres Gesellschaftssystems möglicherweise bedeutend.

16.4.2.1 Kreditlenkung und Änderung des nationalen Steuersystems

Als Vertiefung von Green-Growth- und Green-Finance-Gestaltungsoptionen sind Interventionen zu sehen, die Finanzmärkte explizit in ihrer Tiefenstruktur umgestalten wollen, um an der Schnittstelle zwischen Green Growth und Green Finance die große Transformation zu einer Nullemissionswirtschaft zu bewältigen. Ambitionierte Pläne für Green New Deals in Europa wie beispielsweise DiEM25 (2020) gehen – vor allem was angedachte institutionellen Veränderungen betrifft – weit über die Pläne der EU hinaus und decken somit viele der hier angegebenen tiefergehenden Gestaltungsoptionen ab.Footnote 27

An erster Stelle sind in dieser Kategorie an Gestaltungsoptionen Kreditkontrolle, -Lenkung und -Governance für die Finanzierung von sozial-ökologischen Infrastrukturen zu sehen (Pettifor, 2017). Diese Option ist vor allem an der Schnittstelle zwischen Bereitstellungs- und Marktperspektive zu verorten. Sie findet historische Parallelen in der Industrieentwicklungspolitik im Rahmen der industriellen Revolution, wo unter anderem durch Kreditlenkung gezielt Schlüsselindustrien aufgebaut wurden (Aglietta, 2018; Pettifor, 2019; Werner, 2003). Die Erfahrungen und institutionellen Strukturen aus dem 19. und 20. Jahrhundert können Lehren bereithalten, derartige soziale Mechanismen für die Herausforderungen der sozial-ökologischen Transformation weiterzuentwickeln. In ihrer Studie empfehlen De Haas und Popov (2019) beispielsweise verstärkte Richtlinien für die Vergabe grüner Kredite.

Eine substanzielle ökosoziale Steuerreform, auf die sich wohl alle vier Perspektiven in ihrer Bedeutung (wenn auch mit unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen) einigen könnten, wäre jedenfalls Teil solcher Lösungen. Kernidee ist, die Rahmenbedingungen so zu gestalten, dass wirtschaftliche Handlungen zugunsten klimaneutraler Prozesse mit hohen finanziellen Anreizen ausgestattet sind, während klimaschädliche Aktivitäten hohen Steuern und Abgaben unterliegen. Es sollte Klarheit darüber herrschen, dass der CO2-Preis stetig, substanziell und langfristig steigen wird (hohe Übereinstimmung, starke Literaturbasis). Ein diesbezüglicher Vorschlag findet sich beispielsweise bei Schulmeister (2018, S. 330 ff.), der einen fixen und stark ansteigenden Mindest-Ölpreispfad vorschlägt, wo die Differenz zum (variablen) Weltpreis durch einen (variablen) SteueraufschlagFootnote 28 zustande käme und vor allem aus Marktperspektive, aber auch aus allen anderen Perspektiven ein zu begrüßender Vorschlag wäre. Dies würde Planbarkeit für grüne Investitionen sicherstellen und somit Unsicherheiten während des Transitionsprozesses verringern und gleichzeitig die Rentabilität grüner Investitionen garantieren, vgl. dazu auch Edenhofer et al. (2019). Ähnliche Konzepte werden auch von Pahle et al. (2022) thematisiert, die sich mit Marktrisiken von Kohlenstoffmärkten, daraus resultierenden potenziell stark ansteigenden Preispfaden und damit, wie die Politik mit diesen Risiken umgehen kann, befassen. Das Steuersystem umfassend zu reformieren, würde – neben einer ausreichenden CO2-Steuer (aufbauend auf der in Österreich bestehenden CO2-Steuer), (falls notwendig) einer direkten zusätzlichen Besteuerung fossiler Energieträger sowie einer Vermögensbestands- und Vermögenszuwachsbesteuerung – auch eine Finanztransaktionssteuer inkludieren (Aglietta, 2018; H. Minsky, 1986; H. P. Minsky, 1982; Palley, 2013; Piketty, 2014; Schulmeister, 2015, 2018).

16.4.2.2 Erweiterung des Mandats von Zentralbank und Finanzmarktaufsicht

In den Bereich der tiefenstrukturellen Gestaltungsoptionen würde auch ein explizites Mandat der Europäischen Zentralbank (EZB) bzw. der zuständigen nationalen Finanzaufsichtsbehörde (in Österreich der Finanzmarktaufsicht) fallen, das Klima-Finanz-Risiko zu minimieren. Viele Kommentator_innen schlagen hierzu z. B. einen emissionswirksamen (grünen) Fokus von „quantitative easing“ (also unkonventionelle expansive Geldpolitik) vor, siehe dazu unter anderem Dafermos et al. (2018); Aglietta et al. (2015); Matikainen et al. (2017); UNEP (2017). Die Zentralbank wäre jene Akteurin, die Kreditlenkung für grüne Investitionen im großen Stil anleiten, kontrollieren, regulieren sowie gegebenenfalls auch direkt durchführen könnte. Momentan scheint dieser Diskurs dynamisch zu verlaufen, insbesondere wird ein Eingriff in Finanzmärkte für den Klimaschutz zunehmend über die Sicherstellung von Preis- und Finanzmarktstabilität begründet (Bolton et al., 2020; Bolton & Kacperczyk, 2021; Campiglio et al., 2018). Jüngste Argumentationen der EZB gehen auch in diese Richtung (ECB, 2021). Oben genannte Green-Finance-Initiativen, Offenlegungspflichten und die Green-Finance-Taxonomie liefern hier schon einen wichtigen Beitrag zur Finanzmarktstabilität, wenn auch keinen ausreichenden (Hache, 2019a). Zuletzt stark forciert wurden sogenannte Klima-Stresstests, mit denen Finanzmarktaufsichtsbehörden Banken bezüglich der in ihren Portfolios enthaltenen Klimarisiken präventiv prüfen und je nach Ergebnis des Stresstests Kapitalerhöhungen und/oder Beschränkungen von Gewinnausschüttungen fordern (Battiston et al., 2020; Guth et al., 2021; Königswieser et al., 2021).

16.4.2.3 Reform der internationalen Finanzarchitektur und des internationalen Steuersystems

Eine weitere wichtige Handlungsoption ist die Reform der internationalen Finanzarchitektur und des internationalen Steuersystems, was direkte Auswirkungen auf das österreichische Geld- und Finanzsystem hätte. Ein Nachfolger des Bretton-Woods-Systems wäre notwendig, um die nötige Stabilität auf Finanzmärkten zu garantieren und um die Finanzierung der Transformation zu einer Niedrigemissionswirtschaft zu gewährleisten (Aglietta, 2018; Schulmeister, 2018). Eine Regulierung globaler Spekulationstätigkeiten wäre in diesen Zusammenhang ein weiteres, wichtiges Steuerungsinstrument. Eine Finanztransaktionssteuer lässt sich (wenn auch mit gewissen Abstrichen) selbst aus einer Marktperspektive heraus hervorragend argumentieren, da sie Erwartungssicherheit steigern würde und somit dienlich für langfristige Investor_innensicherheit in Bezug auf grüne Investitionen wäre. Eine Finanztransaktionssteuer sollte europäisch oder im günstigsten Fall international akkordiert sein (Aglietta, 2018; H. Minsky, 1986; H. P. Minsky, 1982; Palley, 2013; Schulmeister, 2015, 2018). Eine wohl aus allen vier Perspektiven zu begrüßende Entwicklung ist die Einführung einer globalen Mindeststeuer auf Unternehmensgewinne von 15 Prozent, die im Herbst 2021 international akkordiert wurde (G20, 2021). Insgesamt zeigt sich somit, wie die Klimakrise ein Dreh- und Angelpunkt (Pivot) werden könnte, um den sich eine neue internationale monetäre Kooperation formt, die die Schaffung und den Einsatz internationaler Finanzmittel an die Bewältigung der Klimakrise bindet. (niedrige Übereinstimmung, mittlere Literaturbasis)

16.4.2.4 Alternative Geldsysteme

Alternative Geldsysteme als Handlungsoption folgen insbesondere aus der Gesellschaft-Natur-Perspektive, aber auch aus der Bereitstellungsperspektive, da sie Praktiken gesellschaftlichen Handelns direkt ändern und somit die Art der Bereitstellung modifizieren können. Dieser Diskurs wird in der Literatur breit geführt, für eine kritische Sicht siehe Weber (2015). Komplementäre Geldsysteme bieten einen derzeit wenig oder nur als Randphänomen diskutierten Ansatz für die Finanzierung der sozial-ökologischen Transformation. Komplementär- oder Spezialwährungen (sogenannte „Special Purpose Monies“ – SPMs) unterscheiden sich von einer Allzweckwährung („General Purpose Money“ – GPM) in vielerlei Hinsicht. Eine Allzweckwährung ist Geld, das für Transaktionen mit legalen Gütern, Dienstleistungen, Vermögenswerten oder anderen juristischen Personen in Frage kommt und vom Staat garantiertes Zahlungsmittel ist (wie z. B. der Euro, der Dollar). SPMs haben im Unterschied dazu folgende Eigenschaften: (1) Sie werden eingesetzt, um Anreize zur Erfüllung eines bestimmten Zwecks zu setzen, und (2) Unternehmen sind gesetzlich nicht verpflichtet, sie als Zahlungsmittel zu akzeptieren (Alves & Santos, 2018; Lietaer et al., 2012; Polanyi, 1944). Besondere Ziele sind z. B. die Stärkung der regionalen Wirtschaft (Douthwaite, 1998), die Reduzierung von Treibhausgasen (Seyfang et al., 2009) oder die Bindung von Kund_innen an Unternehmen (Seyfang & Longhurst, 2013). Die Studie von Bohnenberger (2020) bescheinigt Regionalwährungen ein hohes Transformationspotenzial, da sie Umweltauswirkungen aufgrund der Regionalisierung von Konsum verringern. In ihrer Meta-Literaturanalyse stellen Michel und Hudon (2015) fest, dass Gemeinschaftswährungen stark zu sozialer Nachhaltigkeit beitragen, jedoch ihre transformative Kraft begrenzt war, da sie wenig bekannt und verbreitet sind.

Alternative Geldsysteme können durch ihre partielle Abkopplung von hierarchischen und institutionellen Strukturen, denen Allzweckwährungen unterliegen, einen Beitrag zur Dekarbonisierung leisten, da sie unter anderem durch Erwartungs- und Netzwerkeffekte als Katalysator für die sozial-ökologische Transformation wirken können. Beispielsweise schlägt Hornborg (2017) ein einfaches und innovatives politisches Instrument in Form eines alternativen Geldsystems vor, um die sozial-ökologische Transformation zu einer Nullemissionswirtschaft zu befördern: „Jedes Land legt eine Komplementärwährung für ausschließlich regionale Nutzung fest, die als Grundeinkommen an alle Einwohner_innen ausgegeben wird.“ (Hornborg, 2017, S. 627) Die dadurch erfolgte Stärkung regionaler Lieferketten und lokaler Wirtschaftsbeziehungen könnte Treibhausgase im Verkehrssektor verringern, die Verlagerung von CO2-Emissionen ins Ausland durch dortige Produktion verhindern sowie die behördliche Kontrolle der Treibhausgasemissionen aus Verbrauch und Produktion sicherstellen (Hornborg, 2017, S. 627). So ein Währungssystem würde auch Problemstellungen wie dem Verlust demokratischer Souveränität durch die Globalisierung (Rodrik, 2000), verstärktem regionalen Identitätsverlust und damit verbundenem Wählerverhalten (Essletzbichler et al., 2018), niedrigen regionalen Wachstumsraten (Boik, 2014) sowie langfristig niedrigen Wachstumsraten (Summers, 2015) entgegenwirken. In eine ähnliche Kerbe wie Hornborg schlägt das Konzept ECO (ECO – Earth Carbon Obligation, 2021).Footnote 29 Diese und ähnliche Vorschläge könnten teilweise unter einfachen Änderungen der zugrundeliegenden Gesetzeslage zügig auf nationaler und europäischer Ebene implementiert werden (Lietaer et al., 2012).

Was an dieser Stelle ebenfalls Erwähnung finden muss, ist, dass bestehende „alternative“Footnote 30 Kryptowährungen – allen voran Bitcoin, aber auch die nächst bedeutendere Währung Ethereum und alle anderen Krypto-Formate wie z. B. DogecoinFootnote 31 – in der Regel oft als Spekulationsobjekte verwendet werden und im Aggregat kaum zur Bewältigung der Klimakatastrophe dienlich gemacht werden. Unter anderem durch die ineffiziente Verwendung des unterliegenden Blockchain-Protokolls ist der Stromverbrauch sowohl von Bitcoin als auch von Ethereum immens. Er bewegt sich bei Bitcoin mittlerweile auf der Höhe ganzer Länder und liegt jährlich, je nach Modellschätzung (die genauen Zahlen sind leider unbekannt), zwischen dem Stromverbrauch von Griechenland, Tschechien, Italien oder (beinahe) Deutschland – im Mittel wird er in etwa knapp unter jenem von Polen geschätzt (Cambridge Bitcoin Electricity Consumption Index (CBECI), 2021; Jiang et al., 2021; MDR, 2021; Sander, 2021). Der zugehörige CO2-Fußabdruck von Bitcoin scheint nach (weiteren und wohl weniger belastbaren) Schätzungen so groß wie jener Finnlands zu sein und so viel Elektroschrott wie Luxemburg zu verursachen; und die zweite große digitale Währung Ethereum scheint um nichts besser abzuschneiden (Bitcoin & Co, 2021; Digiconomist – Exposing the Unintended Consequences of Digital Trends, 2021). Angesichts der Herausforderungen durch die Klimakrise scheint diese Verwendung von Ressourcen und Ausstoß von Emissionen ohne klar erkennbaren gesellschaftlichen Nutzen aus Sicht aller Perspektiven entbehrlich.

16.4.3 Gesellschaft-Natur- und Bereitstellungsperspektive: Degrowth und Gebrauchswert

Hier vorgeschlagene Maßnahmenbündel nehmen eine darüberhinausgehende Position zu den vorherigen Ansätzen ein. Dies vor allem, da Praktiken aus Gesellschaft-Natur-Perspektive (Wandel von gesellschaftlichen Systemdynamiken) mit Elementen einer Bereitstellungsperspektive (Änderung von Bereitstellungspraktiken) sowie Markt- und Innovationsansätzen zu einer umfassenden Transformation in Richtung eines klimafreundlichen Lebens miteinander verwoben werden. Das erklärte Ziel dabei ist, die Tiefenstrukturen des Wirtschafts- und Finanzsystems so zu verändern, dass die Transformation zu einer Nullemissionswirtschaft innerhalb des oben bereits erwähnten – gezählt ab dem Jahr 2022 anhand der MCC Carbon Clock (MCC, 2022) – für soziale Prozesse extrem kurzen Zeitfensters von weniger als sieben Jahren (bei Einhaltung des 1,5-Grad-Ziels) bewerkstelligt werden kann. Diese Perspektive der unten rezipierten Literatur betont den Umstand, dass innerhalb der gegenwärtigen wirtschaftlichen, wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Paradigmen, Infrastrukturen sowie soziokulturellen Strukturen die Hinwendung zu einer klimafreundlichen Lebensweise bisher nicht geglückt ist. Aus diesem Umstand wird die Notwendigkeit von tiefgreifendem systemischem Wandel der zugrundeliegenden gesellschaftlichen Strukturen (Denk- und Handlungsanweisungen sowie Infrastrukturen) abgeleitet. Diese Form von systemischem Wandel würde die derzeitige Grundlogik von Kommodifizierung, Monetarisierung und damit einhergehender Akkumulation von Kapital grundlegend ändern und/oder transzendieren, und somit den Wachstumsdrang des gegenwärtigen ökonomischen Systems eindämmen. Es wird somit auf die größten Hebelwirkungen aus einer systemischen Perspektive abgestellt [siehe Kap. 23]: gezielte Änderung und Überwindung von Konventionen und Weltanschauungen sowie wirkungsvoll gesetzte Änderungen der Ziele eines Systems.

16.4.3.1 Degrowth: Soziale Entfaltung des Menschen durch Einhaltung biophysischer Grenzen

Die Analyse der wirtschaftlichen Strukturen und Dynamiken in diesem Kapitel zeigte bisher aus Gesellschaft-Natur- und Bereitstellungsperspektive auf, dass es angesichts der vorhandenen institutionell verankerten Wachstumslogiken schwierig sein wird, innerhalb des Wachstumsparadigmas die Transformation zu einer Niedrigemissionswirtschaft zu bewältigen. Schon Anfang der 1970er wurde das Wachstumsparadigma aus wissenschaftlicher Sicht fundamental in Frage gestellt: der breit, aber nicht übereinstimmend rezipierte Bericht an den Club of Rome zu den Grenzen des Wachstums (Meadows et al., 1972) kam anhand einer weltweiten, empirisch fundierten systemdynamischen Analyse zu dem Ergebnis, dass exponentielles Wachstum mit den biophysischen Grenzen unseres Planeten langfristig nicht vereinbar ist. Seit dem grundlegenden – aber ebenfalls nicht übereinstimmend rezipierten – Beitrag von Georgescu-Roegen (1971) ist zusätzlich klar, dass langfristig exponentielles Wachstum, selbst unter sehr optimistischen Annahmen zu Energieeffizienz und Wiederverwertung (Recycling), mit biophysischen Grenzen aufgrund physikalischer Gesetze (Entropie, zweites Gesetz der Thermodynamik) nicht vereinbar ist. Empirisch wurde zudem weltweit bisher noch keine absolute Entkopplung von Treibhausgasen und Wachstum festgestellt (Hickel & Kallis, 2020; Schröder & Storm, 2020). Die Analyse von Hickel & Kallis (2020) folgert insbesondere, dass – obwohl es eine technische und theoretische Möglichkeit dafür geben mag, Emissionen und Wachstum zu entkoppeln – diese Entkopplung den empirischen Fakten nach weltweit nicht oder kaum passiert.

Sollen planetare, biophysische Grenzen eingehalten werden, ist somit eine Beschränkung von Wachstum oder ein ökonomisches Schrumpfen (Degrowth) in Ökonomien mit hohen Einkommen und (vor allem) mit hohem Konsumniveau eine wesentliche Bedingung (niedrige Übereinstimmung, starke Literaturbasis) (Alier, 2009; Bergh & Kallis, 2012; Cosme et al., 2017; Demaria et al., 2013; Hickel, 2021; Hickel & Hallegatte, 2021; Jackson, 2009, 2017, 2019; Kallis, 2011; Kallis et al., 2012; Kallis, 2017; Kallis et al., 2018; Lange, 2018; Sandberg et al., 2019; C. L. Spash, 2020; Victor, 2008, 2011).Footnote 32 In ihrer analytischen Szenario-Betrachtung zu Zielerreichungspfaden bezüglich des 1,5-Grad-Ziels zeigen Keyßer und Lenzen (2021), dass die Inklusion von Degrowth-Szenarien bei der Erreichung der 1,5-Grad-Ziele Schlüsselrisiken bezüglich Machbarkeit und Nachhaltigkeit gegenüber vor allem technologiegetriebenen Szenarien substanziell verringert. Dies unterstreicht die Bedeutung des politischen Diskurses zu Degrowth, insbesondere aus Gesellschaft-Natur- und Bereitstellungsperspektive.

Wesentlich für die Möglichkeit von Degrowth, wie unter anderem Tokic (2012) zeigt, ist jedoch, inhärent instabile Finanzmärkte zu stabilisieren – da wie in Abschn. 16.2 ausgeführt die Stabilität der Finanzmärkte wesentlich auf der Annahme und Erwartung von Wachstum und positiven Wachstumserwartungen beruht. Entscheidend ist dabei, dass in dieser Literatur das Degrowth-Konzept auf Dimensionen von Wohlstand jenseits materieller Absicherung und materiellem Überfluss (Kallis et al., 2018) fußt und nicht den Verzicht auf materielle Güter in den Vordergrund stellt (EEA, 2021). Eher geht es um die Entfaltung des Menschen als soziales Wesen, die durch die Umstrukturierung unseres Werte-, Gesellschaft-Natur- und Wirtschaftssystems zur Einhaltung biophysischer Grenzen ermöglicht und befördert wird. Diese Entfaltung würde eine materialistische Wertehaltung erweitern und transzendieren und ein gutes Leben für alle abseits von gegenwärtigen, dem modernen Kapitalismus inhärenten Monetarisierungstendenzen ermöglichen (niedrige Übereinstimmung, mittlere Literaturbasis) (EEA, 2021; Eisenstein, 2011, 2021; Hickel, 2021; Kallis, 2017; J. Lent, 2017; J. R. Lent, 2021). Dies wurde schon von Keynes (1930) visionär thematisiert. Für eine solche aus Gesellschaft-Natur- und Bereitstellungsperspektive anzustrebende Degrowth-Ökonomie ist eine Stärkung des Gebrauchswerts und eine weitgehende Abkehr von Finanzialisierung erforderlich.

16.4.3.1.1 Stärkung des Gebrauchswerts: Ent-Kommodifizierung und Ent-Monetarisierung des Wirtschaftssystems

Ein großes Problem bei der Aufrechterhaltung von Wirtschaftlichkeitsinteressen des Finanzsektors ergibt sich durch die Kommodifizierung und Finanzialisierung der Natur (Bracking, 2020; Hache, 2019b; Kemp-Benedict & Kartha, 2019; Maechler & Graz, 2020; Sullivan, 2013). Dies betrifft insbesondere die Inklusion von Biodiversität und Ökosystemdienstleistungen („ecosystem valuation“, Biodiversitätsbanken) unter die Mechanismen der Finanzmärkte (Bingham et al., 1995; Carson & Bergstrom, 2003; Dasgupta, 2021; Morse-Jones et al., 2011; Turner et al., 2010). Der Begriff Kommodifizierung der Natur (Harvey, 2011; O’Connor, 1998; Polanyi, 1944; Smessaert et al., 2020) bezeichnet Arten und Weisen, wie Elemente und Prozesse der Natur durch Vermarktung austauschbar gemacht werden, sowie welche Implikationen sich dadurch ergeben. Der Begriff der Kommodifizierung hinterfragt somit klassische marktzentrierte Perspektiven der Umweltökonomie, die Vermarktung als Lösung für die Hinwendung zu einer klimafreundlichen Lebensweise ansehen. Die Umwelt ist dieser Literatur nach der zentrale Schauplatz des Konflikts zwischen den Befürworter_innen der Ausweitung von Marktnormen, -beziehungen und -modellen und denjenigen, die sich einer solchen Ausweitung widersetzen. Dieser Diskurs betont die Widersprüche und unerwünschten physischen und ethischen Folgen, die durch die Kommodifizierung natürlicher Ressourcen (als Produktionsmittel und Produkte) und Prozesse (Umweltdienstleistungen oder -bedingungen) entstehen. Monetarisierung der Natur bedeutet die Bewertung in Geldeinheiten (beispielsweise von Prozessen wie Arbeitseinsatz, von Inputs aus der Natur oder Schäden an der Umwelt) oder die Umwandlung von Werten in Geld (beispielsweise durch Verkauf, Vermietung oder Überlassung) (Baveye et al., 2013; Rea & Munns, 2017). Die Begriffe Kommodifizierung und Monetarisierung sind insofern intrinsisch eng miteinander verwoben, als in einer modernen Ökonomie anhand des gegenwärtig vorherrschenden Geld- und Finanzsystems Kommodifizierung und Monetarisierung durch Bepreisung am Markt im Vermarktungsprozess Hand in Hand gehen und durch Finanzialisierung verstärkt werden (Baveye et al., 2013; Eisenstein, 2011, 2021; J. Lent, 2017; J. R. Lent, 2021; McCauley, 2006, 2006; Rea & Munns, 2017).

Um Wirtschaftswachstum in seiner gängigen Definition als BIP-Wachstum zu erreichen, stellt eine Monetarisierung der Natur und/oder des menschlichen Gemeinwesens eine notwendige (aber nicht hinreichende Bedingung dar), da definitionsgemäß die Profitlogik von Märkten und Kapitalismus auf bis dahin nicht inbegriffene (das heißt bisher nicht kommodifizierte und monetarisierte) Bereiche ausgeweitet wird (Eisenstein, 2011, 2021; Hickel, 2021; J. Lent, 2017; J. R. Lent, 2021). Denn eine Ausweitung der in Geldwerten bemessenen Summe aller Güter und Dienstleistungen einer Volkswirtschaft (= BIP-Wachstum per Definition) ist notwendige Voraussetzung dafür, um BIP-Wachstum zu schaffen. Monetarisierung ist jedoch keine hinreichende Bedingung für Wachstum, da Monetarisierung auch zulasten von realwirtschaftlichem Wachstum gehen kann – siehe obigen Abschn. 16.1.1 zu Finanzialisierung. A priori ist der Kommodifizierungs- und Monetarisierungsprozess wertfrei zu betrachten, da die dadurch ermöglichte Arbeitsteilung zu Effizienzgewinnen führen kann.

Doch solange finanzialisierte Ökonomien aus systemischen Gründen – da Finanzmärkte durch strukturelle Blasenentwicklung, Instabilität und Wachstumserwartungen charakterisiert sind – mittels Wachstum auf Basis von Ausbeutung der Natur soziale Spannungsverhältnisse ausgleichen, stellt Kommodifizierung und Monetarisierung der Natur aus Sicht von Gesellschaft-Natur- und Bereitstellungsperspektive keine dauerhafte Lösung dar (Bracking, 2020; Hache, 2019b; Kemp-Benedict & Kartha, 2019; Maechler & Graz, 2020; McCauley, 2006; C. Spash, 2020; C. L. Spash, 2020; Sullivan, 2013). (niedrige Übereinstimmung, starke Literaturbasis) Von einigen Stimmen (Hache, 2019b; Sullivan, 2018) wird diesbezüglich Kritik an der Messbarmachung der Natur geäußert – wie in United Nations et al. (2021) methodisch vorgeschlagen und in Dasgupta (2021) theoretisch untermauert –, da damit die Menge an dem Markt zugänglichen Kapital erhöht wird und somit durch diesen Monetarisierungsprozess auch den Wirtschaftlichkeitsinteressen des Finanzkapitals zugänglich gemacht wird. Insbesondere bedeutet eine Monetarisierung der Natur eine gesteigerte Regulierung und potenzielle Ausbeutung der Natur durch gesellschaftliche Machverhältnisse, Strukturen und Hierarchien, die ihrerseits das Geld- und Finanzsystem regulieren. Solange diese inhärenten Instabilitäten, Ungleichheiten und daraus resultierenden Spannungsverhältnisse im Finanzkapitalismus nicht gesellschaftlich gesteuert werden, liegt es nahe, dass der Versuch unternommen wird, diesen Spannungsverhältnissen durch vergrößerte Ausbeutung (Nutzbarmachung, Kommodifizierung und Monetarisierung) der Natur und des Menschen als Teil davon – also menschlicher Arbeitskraft, vergrößerten Ressourcenverbrauch, Abfallproduktion und natürlich mehr Emissionen – zu begegnen (Bracking, 2020; Cavanagh & Benjaminsen, 2014; Eisenstein, 2011, 2021; J. R. Lent, 2021; Rosa, 2005, 2016; C. Spash, 2020; C. L. Spash, 2020). Es gibt Ansätze, die auf wirtschaftspolitische und finanzmarktsteuernde Instrumentarien zurückgreifen, um dieser Monetarisierung entgegenzuwirken. Beispielsweise schlägt Eisenstein (2011, 2021) vor, einen Negativzins – auch Umlaufsicherung genannt, siehe dazu Gesell (1916)Footnote 33 – auf Geld und Finanzmittel aller Art so einzuführen, dass die Akkumulation von Kapital reversiert wird und somit auch die Perspektive auf die langfristige Zukunft sich ändert (wenn Geld in der Zukunft an Wert verliert, ändert sich vor allem die psychologische Perspektive).Footnote 34 Ein solches oder ein vergleichbares Vorgehen wie hier vorgeschlagen würde jedenfalls der hier angesprochenen Finanzialisierung der Natur entschieden entgegenwirken.

Oft ist die Veränderung von gesellschaftlichen Normvorstellungen und institutionellen Strukturen dem Tempo des technologischen Fortschritts zeitlich nachgelagert (Rosa, 2005, 2016). Geldpolitische und finanzmarktbezogene Instrumente können sowohl aus Markt- als auch aus Gesellschaft-Natur-Perspektive anderen Änderungen vorauseilen, da sie immanent durch Narrative und Glaubensfragen begründet sind (Eisenstein, 2021; J. Lent, 2017; J. R. Lent, 2021; Lietaer et al., 2012). Dem gegenüber benötigt die Änderung von Kapitalstock, institutionellen Strukturen oder Bewusstseinsbildung – und somit von Praktiken der Bereitstellung – oft Jahrzehnte. Damit sich Institutionen verändern, um sich geänderten Umweltbedingungen anzupassen und auch die Geldströme entsprechend zu lenken, bedarf es flexibel reagierender sozialer Strukturen und auch der Bereitschaft, bestehende Hierarchien infrage zu stellen. Dafür braucht es aus Gesellschaft-Natur- und Bereitstellungsperspektive eine weiterführende Demokratisierung von Geld, Geldsystem und Geldpolitik und der dadurch co-determinierten Finanzmärkte sowie eine Anerkennung der Natur des Geldes als Gemeingut. Dies, um sicherzustellen, dass die Schöpfung und Lenkung von Geld noch mehr als bisher im Sinne von demokratisch legitimierten Zielen erfolgt. Dafür muss verhindert werden, dass oligopolistische, schwer veränderliche Strukturen (z. B. die Dominanz von einigen wenigen Konzernen oder Gesellschaften) ohne breite Legitimation durch die Bevölkerung kontrollieren, zu welchem Zweck welche Menge an Geld geschaffen wird und wohin dieses fließt. Ein Teil der Literatur weist in diesem Zusammenhang aus Gesellschaft-Natur- und Bereitstellungsperspektive auf die Analogie zwischen Geld und Klima als Gemeingüter hin. Geld wird durch die kollektiven Glaubensvorstellungen und das kollektive Handeln der wirtschaftlichen Akteur_innen in seinem Wert konstituiert (und ist somit ein Gemeingut), während Veränderungen im Klima die physische kollektive Konsequenz unseres (materiell fundierten) wirtschaftlichen Handelns darstellen (Aglietta, 2018; Svartzman et al., 2019). In dieser Sichtweise wären Geldwesen und Finanzmärkte über eine verstärkte nationale und internationale Demokratisierung zu regulieren, um Geld in seinem tatsächlichen Status als Gemeingut demokratisch zu begründen und zu regulieren (Hockett, 2019; Mellor, 2019).Footnote 35 (niedrige Übereinstimmung, mittlere Literaturbasis) Zusammengefasst hätten die hier vorgeschlagenen strukturellen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Veränderungen das Ziel, Geldströme zum Zwecke der Finanzierung der sozial-ökologischen Transformation und im Sinne des Gemeinwohls zu schaffen, zu lenken und einzusetzen (Aglietta, 2018; Cahen-Fourot, 2020; Eisenstein, 2011, 2021; Felber, 2018; Hache, 2019b; J. Lent, 2017; J. R. Lent, 2021). (niedrige Übereinstimmung, mittlere Literaturbasis)