FormalPara Koordinierende_r Leitautor_in

Nina Svanda

FormalPara Leitautor_in

Sibylla Zech

FormalPara Koordination der Strukturkapitel

Michael Ornetzeder

FormalPara Revieweditor

Jens Libbe

FormalPara Zitierhinweis

Svanda, N. und S. Zech (2023): Raumplanung. In: APCC Special Report: Strukturen für ein klimafreundliches Leben (APCC SR Klimafreundliches Leben) [Görg, C., V. Madner, A. Muhar, A. Novy, A. Posch, K. W. Steininger und E. Aigner (Hrsg.)]. Springer Spektrum: Berlin/Heidelberg.

FormalPara Kernaussagen des Kapitels

Status quo

Österreich ist geprägt von räumlichen Strukturen, die viel Boden in Anspruch nehmen, die Landschaft fragmentieren und lange Wege verursachen, die zu einem hohen Anteil mit dem Auto zurückgelegt werden. Diese Strukturen nehmen aufgrund der fortschreitenden Inanspruchnahme von Flächen weiter zu. Im europäischen Vergleich findet in Österreich eine überdurchschnittliche Flächeninanspruchnahme für Siedlungs- und Verkehrszwecke statt. Im Zuge des Umstiegs auf erneuerbare Energien ergeben sich zusätzliche Flächenbedarfe und Flächenkonkurrenzen.

Räumliche Strukturen, die ein klimafreundliches Leben erschweren, sind insbesondere:

  • Zersiedelnde, suburbanisierte Wohnbebauungen mit geringer Dichte, Siedlungsentwicklung abseits des öffentlichen Verkehrs,

  • Leerstand und sinkende Attraktivität in den Stadt- und Ortskernen durch Verlagerung von Funktionen (Wohnen, Arbeiten, Freizeit, Geschäfte, Dienstleistungen, öffentliche Einrichtungen etc.) an die Peripherie,

  • Einkaufs- und Gewerbeagglomerationen, Logistikcenter und großflächige Parkplätze an Stadt- und Ortseinfahrten („draußen am Kreisverkehr“) und außerhalb der Siedlungsränder („draußen auf der grünen Wiese“) und

  • fehlende Flächen und Standorte für die Versorgung von Wohnen und Wirtschaft mit erneuerbarer Energie (hohe Übereinstimmung, starke Literaturbasis).

Notwendige Veränderungen

Klimafreundlich sind räumliche Strukturen, wenn …

  • kompakt mit höherer Dichte gebaut wird (höhere Bebauungsdichte und zugleich höherer Durchgrünungsgrad),

  • Arbeiten, Wohnen, Gesundheit, Bildung und Erholung nahe beieinander liegen (Funktionsmischung),

  • der öffentliche Verkehr attraktiv und leistungsfähig ist und das Rückgrat der Siedlungsentwicklung bildet (Erreichbarkeit),

  • Arbeitsmöglichkeiten sowie Bildungs-, Versorgungs- und Freizeiteinrichtungen an umweltfreundlich erreichbaren Standorten angesiedelt sind (polyzentrische Struktur) und

  • erneuerbare Energien unter besonderer Beachtung von Natur-, Landschafts- und Ortsbildschutz und hochwertiger landwirtschaftlicher Böden verfügbar sind.

Denn dann …

  • sind Alltags-, Wirtschafts- und Freizeitwege kurz und können zu Fuß, mit dem Fahrrad bzw. öffentlichen Verkehrsmitteln zurückgelegt werden („Stadt und Region der kurzen Wege“),

  • sinken das Autoverkehrsaufkommen und der Flächenbedarf für Verkehrsinfrastrukturen (zugunsten von Aufenthalts- und Begegnungsräumen),

  • werden weniger Flächen für Bebauung in Anspruch genommen und damit weniger Boden versiegelt und

  • können der Umstieg auf erneuerbare Energien ermöglicht und Emissionen und Treibhausgase vermieden werden (hohe Übereinstimmung, starke Literaturbasis).

Strukturen, Kräfte, Barrieren

Die Raumplanung verfügt derzeit über kein ausreichendes Instrumentarium, um klimafeindlichen räumlichen Entwicklungen wirksam entgegenzutreten bzw. diese umzukehren. Es braucht eine Stärkung der Raumplanung in ihren Kernkompetenzen, die den Rahmen für die Situierung, Entwicklung und Gestaltung des Siedlungsraumes, von Wirtschaftsstandorten und von Landschafts- und Grünräumen setzt. Die Nutzung des Raumes ist durch eine Planung, die Sektorplanungen integriert und Gebietskörperschaften übergreifende Planung besser abzustimmen.

Klimafreundliche räumliche Strukturen besser zu planen und umzusetzen, macht primär folgende Veränderungen notwendig:

  • das vorhandene Raumplanungsinstrumentarium zur Nutzungs- und Standortplanung konsequent zielorientiert einzusetzen;

  • unterschiedliche Akteur_innen (Politik, Verwaltung, Wirtschaft und Zivilgesellschaft) und Bürger_innen über informelle Instrumente und Planungsprozesse breit einzubinden;

  • die Koordinationsaufgaben der Raumplanung zu forcieren;

  • die Sektoralplanungen (insbesondere Verkehrssystemplanung, Tourismus, Wasserbau, Energie) und Förderungen (insbesondere Wohnbauförderung und Wirtschaftsförderung) zu verpflichten, die räumlichen und damit mittelbaren klimarelevanten Wirkungen zu berücksichtigen;

  • in Kombination mit einer integrierten Energieraumplanung die Umstellung auf erneuerbare Energieträger und den raumverträglichen Ausbau der erneuerbaren Energieversorgung sicherzustellen (hohe Übereinstimmung, starke Literaturbasis).

Gestaltungsoptionen

Die Trendumkehr hin zu klimafreundlichen räumlichen Strukturen erfordert ein neues öffentliches Bewusstsein, politischen Willen und legistische und institutionelle Voraussetzungen:

  • das örtliche Raumplanungsinstrumentarium zur Nutzungs- und Standortplanung auf die Ebene von Regionen zu heben;

  • eine neue Governancekultur in räumlichen Planungsprozessen etablieren;

  • Sektoralplanungen verpflichten, zu klimafreundlichen räumlichen Strukturen beizutragen;

  • bislang „raumblinde“, aber raumwirksame fiskalische Instrumente zu reformieren (z. B. Finanzausgleich), klimaschädliche Subventionen abschaffen (z. B. Pendlerpauschale) und klimanützliche Abgaben (z. B. Leerstandsabgabe, Abschöpfung von Widmungsgewinnen) und Anreize (z. B. Entsiegelungsprämie) einzuführen (hohe Übereinstimmung, starke Literaturbasis).

19.1 Begriff und Gegenstand der Betrachtung

In der Raumplanung und Raumordnung geht es vor allem darum, wo und wie welche Nutzungen sinnvoll und möglich sind: Wohnen, Gewerbe und Industrie, Handel, Verkehr, Ver- und Entsorgung, Freizeit und Erholung, Landwirtschaft, Naturschutz usw. Wo und wie die Nutzungen gestaltet, einander räumlich zugeordnet und miteinander verknüpft sind, ist maßgeblich für die Möglichkeit, den Lebensalltags klimafreundlich zu gestalten: boden- und energiesparend zu wohnen und zu wirtschaften und klimaschonend in einer Stadt und Region der kurzen Wege mobil zu sein (Österreichische Raumordnungskonferenz, 2021).

Raumplanung/Raumordnung kann wesentlich dazu beitragen, die einschneidenden Veränderungen im Raum, die der Klimawandel bewirken wird, zu erkennen, zu bewerten, entsprechende Anpassungsoptionen zu identifizieren und einen Rahmen für deren Umsetzung zu geben (Franck et al., 2013). Der Raumplanung/Raumordnung wird in zahlreichen Forschungsberichten und wissenschaftlichen Fachpublikationen eine wichtige Rolle im Klimaschutz und in der Klimawandelanpassung zugeschrieben (Birkmann et al., 2013; Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, 2013; Campbell, 2006; EspaceSuisse, 2021; Fleischhauer & Bornefeld, 2006; Giffinger et al., 2021; Giffinger & Zech, 2013; Hiess, 2010; Lexer et al., 2020; Madner & Grob, 2019b; Österreichische Raumordnungskonferenz, 2021; Pütz et al., 2011; Stöglehner & Grossauer, 2009; Svanda & et al, 2020; Umweltbundesamt, 2012). Es werden aber auch Zweifel an ihrer Wirksamkeit sowie Umsetzungsdefizite konstatiert:

„Wenn Raumplanung/Raumordnung zukünftig eine tragende Rolle im Kampf gegen die Klimakrise spielen soll, braucht es (…) ein NeuDenken der Planung: in größeren räumlichen Einheiten, unkonventionellen Planungsansätzen und neuen Formen und Modellen der Zusammenarbeit auf vielen Ebenen. Die bisher verwendeten integrierten Ansätze müssen weitergedacht und auch bezüglich der zu integrierenden Disziplinen weiterentwickelt werden.“ (Svanda & et al, 2020, S. 184)

In diesem Beitrag wird Raumplanung/Raumordnung als „öffentliche Aufgabe einer überfachlichen, querschnittsorientierten, integrierenden raumbezogenen Planung auf unterschiedlichen Ebenen“ verstanden, „um die unterschiedlichen, zum Teil konkurrierenden Nutzungsansprüche an den Raum zu koordinieren“ (Danielzyk & Münter, 2018, S. 1932). Für die Begriffe Raumplanung und Raumordnung gibt es in Österreich kein einheitliches Begriffsverständnis – weder im wissenschaftlichen Schrifttum noch in der praktischen Anwendung. Sie werden oft vermengt oder synonym gebraucht (Kanonier & Schindelegger, 2018a). In diesem Beitrag verwenden wir aus einer gesamtösterreichischen Perspektive Raumplanung/Raumordnung als zusammengehörige Begriffe. Der Begriff „Raumordnung“ umfasst sowohl ein beschreibendes bzw. normatives Bild als auch die Aufgabe, das Instrument und die Tätigkeit der Steuerung des Ordnens. Der Begriff „Raumplanung“ meint das Instrument, also den „Plan“, sowie die Tätigkeit und den Prozess des Planens – von der generellen Konzeption, der konkreten Planung bis hin zu einer prozessorientierten Umsetzung – und ergänzt bzw. überlappt teilweise den Begriff „Raumordnung“.

„Analog zu den drei durch die bundesstaatliche Kompetenzverteilung etablierten Ebenen (Bund, Länder, Gemeinden) gibt es auch in der Raumplanung/Raumordnung grundsätzlich drei Planungsebenen. Der Bund besorgt – infolge der fehlenden generellen Raumplanungs-/Raumordnungskompetenz – Fachplanungen [z. B. für hochrangige Straßen, Eisenbahnen, Starkstromwege, Wasserbau etc.], während die Bundesländer Fachplanungen [z. B. für regionale Straßen, Naturschutz] und die überörtliche Raumplanung/Raumordnung [auch als Landes- und Regionalplanung bezeichnet] betreiben. Die Gemeinden sind für die örtliche Raumplanung [insbesondere die Flächenwidmungs- und Bebauungsplanung] zuständig. Die überörtliche Planungsebene wird in einzelnen Ländern noch in eine regionale Ebene unterteilt, auf der Planungen für Landesteile erstellt werden.“ (Kanonier & Schindelegger, 2018b, S. 65)

„Mit Raumplanung/Raumordnung im engeren Sinne ist die Planung und Ordnung sowohl des physischen als auch des gesellschaftlichen Raums angesprochen, während der Begriff der Raumentwicklung alle Politiken umfasst, die mittelbar oder unmittelbar raumbedeutsam sind. Die Raumplanung/Raumordnung erfüllt grundsätzlich Ordnungs-, Entwicklungs-, Ausgleichs- und Schutzfunktionen. Ihre primäre Aufgabe ist die Ordnungsfunktion, die Sicherstellung einer geordneten Raumstruktur. Als Teil der Politik der Raumentwicklung steht die Raumplanung/Raumordnung aber auch immer im Spannungsfeld von Entwicklungsfunktion auf der einen und von Ausgleichsfunktion auf der anderen Seite, denn die Entwicklung von Teilräumen kann auch zulasten der Ausgleichsfunktion gehen. Schutzfunktionen werden vor allem durch sektorale Planungen (z. B. Naturschutz) gewährleistet; die Raumordnung muss aber diese Schutzbelange zumindest in ihren Plänen ersichtlich machen und in die Abwägung mit einbeziehen.“ (Diller, 2018, S. 1890)

Kanonier & Schindelegger (2018c) beschreiben unterschiedliche Formen von Institutionalisierung und Verbindlichkeit der freiwilligen interkommunalen kooperativen Planung in Abstimmung mit den Ländern:

„Das Spektrum an Instrumenten und Maßnahmen zur Steuerung der räumlichen Entwicklung ist im österreichweiten Vergleich vielfältig und in den letzten Jahren deutlich differenzierter geworden. Neben hoheitlichen Instrumenten, die ordnungspolitische oder entwicklungsstrategische Ausrichtungen haben können, kommen auf den verschiedenen Planungsebenen verstärkt konzeptive und informelle Instrumente (Konzepte, Strategien, Leitbilder u. Ä.) sowie Kooperations- und Konsensinstrumente (Beteiligungsverfahren, Mediation und Moderation oder Arbeitsgruppen und Bürger_innenräte) zur Anwendung.“ (Kanonier & Schindelegger, 2018c, S. 76)

Zudem beeinflusst und fördert die EU im Sinne von Multi-Level Governance mit ihrer Regionalpolitik – beispielsweise über Leader-Aktionsprogramme, Interreg-Projekte und das IWB/EFRE Programm (z. B. für stadtregionale Strategien) regionale Planungskooperationen (Gruber & Pohn-Weidinger, 2018).

Zur Koordination von Raumordnung und Regionalentwicklung auf gesamtstaatlicher Ebene dient die von Bund, Ländern und Städten und Gemeinden getragene Österreichische Raumordnungskonferenz (ÖROK). Das alle zehn Jahre von der ÖROK erstellte Österreichische Raumentwicklungskonzept (ÖREK) hat aber nur einen empfehlenden Charakter für die Planungsträger (Gruber et al., 2018). Das aktuelle ÖREK 2030 postuliert, dass weichenstellende Entscheidungen getroffen und Maßnahmen gesetzt werden müssen, um die vereinbarten Klimaziele bis 2030 zu erreichen (Österreichische Raumordnungskonferenz, 2021, S. 4).

Für den Umgang mit der Klimakrise ist die Fülle von verschiedenen unkoordinierten Planungen eine große Herausforderung: die starke Rolle der Gemeinden in der kommunalen Raumplanung/Raumordnung, die höchst unterschiedlich aufgesetzten Prozesse und Instrumente regionaler Kooperation und Planung mit meist wenig Verbindlichkeit, das Fehlen einer Rahmenkompetenz für Raumplanung/Raumordnung auf Bundesebene [Kap. 11] und die kaum an die Berücksichtigung raumplanerischer Kriterien geknüpften Fachplanungen des Bundes und der Länder. Die Entwicklung des Raumes und die Entwicklung von Infrastruktur – insbesondere für Energieversorgung, Mobilitätszwecke, Gebäude, Industrie, Gewerbe und Wasserwirtschaft – greifen immer ineinander [Kap. 2211]. Infrastrukturen verursachen hohe Investitions- und Instandhaltungskosten und aufgrund ihrer Langlebigkeit können unerwünschte Entwicklungen, beispielsweise die induzierte Zersiedelung und Fragmentierung des Raumes, nur mit sehr hohem Aufwand korrigiert werden (Kurzweil et al., 2019).

Raumplanung/Raumordnung hat die Aufgabe, das Raumverhalten von Personen, Haushalten und Unternehmen gemeinwohlorientiert zu steuern (Österreichische Raumordnungskonferenz, 2021, S. 33). Nach Schindegger (2016) ist Raumplanung/Raumordnung räumliche Gemeinwohlvorsorge und „Raumordnungspolitik … ein Korrektiv im Interesse des Gemeinwohls für eine ansonsten aus dem Ruder laufende Entwicklung“ (Schindegger, 1999, S. 34). Konflikte zwischen lokalen und übergeordneten Interessen – Schindegger (2016) spricht hier von „mehreren Gemeinwohlen“ – sind vorprogrammiert. Das öffentliche Interesse am Raum auf verschiedenen Ebenen zu konkretisieren, wird überlagert von Interessenskonflikten innerhalb der jeweiligen Ebene (z. B. Baulandausweitungen für Einfamilienhausgebiete oder Handelsagglomerationen vs. kompakte, klimafreundliche Siedlungsstrukturen und Freiraumschutz) oder die Ebenen überspringenden Interessen (z. B. globale/europäische Klimaziele vs. regionale Wirtschaftsinteressen, z. B. im Tourismus). Interessenkonflikte werden durch die Verräumlichung (z. B. Definition von Grenzen in der Plandarstellung) sichtbar und wirksam.

Bezüglich der unterschiedlichen Dimensionen sozialräumlicher Zusammenhänge (ausdrückbar als „territory, place, scale, and networks“) sei hier auf Jessop et al. (2008) verwiesen. Raumplanung/Raumordnung ist vor dem Hintergrund der Multiperspektivität [Kap. 2] Druck und Zwängen ausgesetzt, welche gemeinwohlorientierte Zielsetzungen teilweise untergraben. Als Beispiele seien hier erwähnt: (1) unter der Marktperspektive der quantitative Wachstumszwang vs. eine qualitative Entwicklung, (2) unter der Innovationsperspektive die Prioritätensetzung für schnelllebige technologische Innovationen (Digitalisierung) vs. nachhaltige soziale Innovationen der Kooperation und Partizipation sowie eine auf Bestandssanierung ausgerichtete Ökonomie (Neubau vs. Bestand), (3) unter der Bereitstellungsperspektive die Auswirkungen exogener Großprojekte vs. die Aktivierungen endogener, fein verteilter regionaler und lokaler Potenziale (ARL – Akademie für Raumentwicklung in der Leibniz-Gemeinschaft, 2021; Lamker & Terfrüchte, 2021) und (4) aus der Gesellschaft-Natur-Perspektive das Postulat der gleichwertigen (im Unterschied zu gleichen) Lebensverhältnisse und damit die Fragen der gerechten Verteilung von räumlichen Nutzen und Lasten (Davy, 2021; Terfrüchte, 2019) [Kap. 17].

In diesen Spannungsfeldern werden die Bedeutung, aber auch die Grenzen und Schwächen des Beitrags der Raumplanung/Raumordnung zur Bewältigung und ihre Rolle als Mitverursacherin der Klimakrise sichtbar. Das Fazit für die Situation in Deutschland (Franck et al., 2013) lässt sich auf Österreich übertragen: Bislang weist die formelle Raumplanung systemimmanente Schwächen auf, die notwendigen Regelungen für die Anpassung an den Klimawandel entgegenstehen. So ist die überörtliche Raumordnung nicht umsetzungsorientiert und verfügt im Gegensatz zu den Fachplanungen über keine eigenen investiven Mittel. Zudem ist die Raumplanung auf zukünftige Entwicklung ausgelegt und hat kaum Möglichkeiten, auf den vorhandenen baulichen Bestand einzuwirken. Doch gerade der Bestand wird von den Folgen des Klimawandels betroffen sein (Knieling, 2011, S. 249). Eine rein operative projektorientierte Planung ohne Langfristperspektive kann keine Lösung sein:

„Eine erfolgreiche Anpassung an die Folgewirkungen des Klimawandels ist als ‚Flickenteppich‘ punktueller Einzelmaßnahmen nicht denkbar. Die Anpassung der Raumnutzungen und Siedlungsstrukturen sollte also ganzheitlich gelingen. (…) Dieser zielorientierte Ansatz ist maßgeblich dafür, dass nicht nur einzelne Flächen, sondern ganze Regionen ihre Entwicklungsperspektive und Leistungsfähigkeit erhalten können.“ (Ertl, 2010, S. 39; Overbeck et al., 2009, S. 380) (Franck et al., 2013)

19.2 Status quo und Herausforderungen

Die räumlichen, rechtlichen, institutionellen, instrumentellen und mentalen Strukturen stehen mit dem Raumverhalten in einer Wechselbeziehung. Als Raumverhalten werden die langfristigen, periodischen und kurzfristigen Entscheidungen von Personen und Hauhalten hinsichtlich ihrer Wohn-, Arbeits-, Einkaufs- und Freizeitorte sowie von Unternehmen bezüglich ihrer Betriebsstandorte und Beschaffungs- und Absatzmärkte bezeichnet (Österreichische Raumordnungskonferenz, 2021). Diese Entscheidungen erfolgen innerhalb der bestehenden Strukturen, die auch das Ergebnis raumplanerischer Entscheidungen sind.

„Die Standortentscheidungen lösen wiederum Mobilität, Transporte und Kommunikation zwischen den Standorten aus. Jede Einzelentscheidung durchläuft komplexe Auswahlprozesse, die wiederum eingebettet sind in eine Vielzahl an begrenzenden Rahmenbedingungen. Dazu zählen technologische Möglichkeiten (Verkehr, Transport, Nachrichtenübertragung, Energieverfügbarkeit, etc.) genauso wie Preise und Kosten (Bodenpreise, Transportkosten, Transaktionskosten) oder rechtliche und fiskalische Rahmenbedingungen.“ (Österreichische Raumordnungskonferenz, 2021, S. 33)

Suffizienzorientierte Poliitk kann ressourcenschonende und energiesparende soziale Praktiken durch veränderte Rahmenbedingen rechtlicher, institutioneller oder baulicher Art, fördern (Christ & Lage, 2020). Gesellschaftliche Entwicklungen, Bedürfnisse und Lebensstile, wie Wohnlage und Wohnform, sowie wirtschaftspolitische Entwicklungen und Notwendigkeiten, wie die Sicherung des Wirtschaftsstandortes, prägen die Raumnutzung in Österreich. Damit verbunden ist eine Vielzahl von direkten und indirekten raumwirksamen Effekten wie Flächeninanspruchnahme und Energiebedarf für Wohnen, Mobilität, Ver- und Entsorgung sowie die zunehmende Fragmentierung der Landschaft durch den Bau von Straßen und anderer Infrastruktur (Kurzweil et al., 2019). In diesem Prozess entstehen unterschiedliche räumliche Konfigurationen, die ein klimafreundliches Leben ermöglichen oder erschweren [Kap. 17].

In Österreich wird im europäischen Vergleich überdurchschnittlich viel Fläche durch Verbauung für Siedlungs- und Verkehrszwecke sowie für weitere Intensivnutzungen neu beansprucht (Ehrlich et al., 2018). Rund 322.000 Hektar gewidmetes Bauland in Österreich entsprechen 359,6 Quadratmetern Bauland je Einwohner_in. Zum Vergleich: In der Schweiz ist dieser Wert mit 291 Quadratmetern Bauland je Einwohner_in deutlich geringer (Zech, 2021). Die Entwicklung der Flächeninanspruchnahme ist ein wesentlicher Indikator für die räumliche Entwicklung Österreichs (Kurzweil et al., 2019). Als Flächeninanspruchnahme wird der dauerhafte Verlust biologisch produktiven Bodens durch Verbauung für Siedlungs- und Verkehrszwecke, aber auch für intensive Erholungsnutzungen, Deponien, Abbauflächen, Kraftwerksanlagen und ähnliche Intensivnutzungen bezeichnet. Bis zum Jahr 2020 wurden in Österreich insgesamt 5768 km2 Boden (rund 7 Prozent der Landesfläche bzw. 18 Prozent des Dauersiedlungsraumes) in Anspruch genommen. Die jährliche Flächeninanspruchnahme in den letzten 20 Jahren bewegte sich zwischen 38 und 104 km2 pro Jahr. Der Jahresmittelwert der letzten drei Jahre betrug 42 km2. Dieser entspricht etwa der Größe von Eisenstadt. Den größten Anteil an der Flächeninanspruchnahme haben Betriebsflächen, mit einer Schwankungsbreite von 10,6 bis 31 km2 Zuwachs pro Jahr, wobei seit 2015 ein Rückgang zu beobachten ist. Bei den Wohn- und Geschäftsgebieten ist der Zuwachs mit 17 km2 pro Jahr (Schwankungsbreite plus/minus 2 km2) bis zum Jahr 2018 einigermaßen konstant, 2019 zeigte jedoch einen erheblichen Anstieg auf 26 km2 pro Jahr. Auch im Jahr 2020 liegt der Zuwachs mit etwa 23 km2 deutlich über dem langjährigen Schnitt. Der Straßenbau beansprucht seit 2013 rund 4 bis 13,5 km2 pro Jahr. Mehr als 40 Prozent der neu in Anspruch genommenen Flächen gehen durch Versiegelung, der Abdeckung des Bodens mit einer wasserundurchlässigen Schicht, dauerhaft verloren. Der Boden kann dadurch wichtige Funktionen wie die Speicherung und Verdunstung von Wasser, die Filterung von Schadstoffen und das Binden von Kohlenstoff nicht mehr erfüllen (Umweltbundesamt, 2020, 2021a, 2021b).

Im Bereich der Betriebsflächen, der Erholungs- und Abbauflächen, der Straßen und der Bahn ist in den letzten etwa fünf Jahren ein Rückgang des jährlichen Zuwachses zu beobachten. Das in der Österreichischen Strategie Nachhaltige Entwicklung (BMLFUW, 2010) und im aktuellen Regierungsprogramm 2020–24 formulierte Ziel von einer maximalen Flächeninanspruchnahme von 2,5 Hektar pro Tag (Die neue Volkspartei & Die Grünen – Die Grüne Alternative, 2020) wird jedoch deutlich verfehlt. In den letzten drei Jahren liegt die durchschnittliche Flächeninanspruchnahme in Österreich bei 11,5 Hektar pro Tag (Umweltbundesamt, 2021b).

Aufgrund der Bedeutung für die Beschreibung der räumlichen Entwicklung beobachtet die Österreichische Raumordnungskonferenz (ÖROK) seit 2016 im Rahmen des ÖROK-Atlas das gewidmete Bauland für ganz Österreich. Im Zeitraum von 2017 bis 2019 wurden in Österreich 2162 Hektar Bauland gewidmet. Das ist ein Zuwachs von 0,9 Prozent, wobei die höchsten absoluten Zuwächse in Oberösterreich und Niederösterreich zu verzeichnen waren. In Österreich standen im Jahr 2020 etwa 362 Quadratmeter gewidmete Fläche je Einwohner_in für vorrangig bauliche Nutzungsformen zur Verfügung (ÖROK, o.J.).

Nicht alle als Bauland gewidmeten Flächen sind bebaut. Flächen, die zwar eine rechtsgültige Widmung als Bauland aufweisen, jedoch nicht mit einem Gebäude mit mindestens 50 Quadratmeter Grundfläche bebaut sind, werden als Baulandreserve bezeichnet. Der Anteil des gewidmeten, nicht bebauten Baulandes am Bauland beträgt in Österreich (im Jahr 2016) durchschnittlich 26,5 Prozent, wobei die Schwankungsbreite zwischen den Bundesländern mit maximal 37,9 Prozent im Burgenland und minimal 20,3 Prozent in Salzburg bzw. 4,3 Prozent in Wien sehr groß ist (Banko & Weiß, 2016). Dieser Baulandüberhang erschwert die Steuerung der Siedlungsentwicklung und damit eine flächenschonende Siedlungspolitik mit effizienter Infrastruktur (Kurzweil et al., 2019). Mit der Anwendung unterschiedlicher Maßnahmen der Baulandmobilisierung (z. B. Baulandbefristung, Baulandumlegung, Infrastrukturkostenbeiträge, Vertragsraumordnung) soll eine Bebauung von Baulandreserven insbesondere in Ortskern- und Zentrennähe (Innenentwicklung) ermöglicht und bei Neuwidmungen von Bauland eine Bebauung innerhalb eines festgelegten Zeitraumes sichergestellt werden (Doan, 2019; ÖROK, 2017).

Eine weitere Herausforderung für die Raumplanung ist der steigende Energiebedarf, insbesondere in Kombination mit der Umstellung auf erneuerbare Energieträger und dem raumverträglichen Ausbau der erneuerbaren Energieversorgung (Birkmann et al., 2013). Für Österreich wird bis 2040 eine Zunahme des Endenergieverbrauchs inklusive Energieeffizienzmaßnahmen um 7 Prozent prognostiziert, wobei der Stromverbrauch mit einem Wachstum von 20 Prozent besonders stark steigen wird (BMNT, 2019). Gemäß dem Integrierten nationalen Energie- und Klimaplan für Österreich 2021–2030 muss zur Dekarbonisierung eine massive Steigerung der Stromproduktion aus erneuerbaren Energieträgern erfolgen: Wasserkraft plus 19 Prozent, Biomasse plus 20 Prozent, Windkraft plus 220 Prozent, Photovoltaik plus 400 Prozent (Lamport, 2019). Die sich dadurch verschärfende Flächenkonkurrenz von erneuerbaren Energien mit Siedlungsflächen, Landwirtschaftsflächen und Flächen für den Natur- und Landschaftsschutz erfordert die Aushandlung von tragfähigen Lösungen (Hiess et al., 2021). Denn auch der Bedarf an Siedlungs- und Verkehrsflächen wächst weiter, insbesondere die Ballungsräume sind einem hohen Siedlungsdruck ausgesetzt. Gemäß aktuellen Prognosen wird sich bis 2050 die Zahl der Einwohner_innen in Österreich um ca. 9 Prozent und die Zahl der Haushalte um ca. 15 Prozent erhöhen (Hanika, 2019; Hiess et al., 2021).

Nicht nur Räume mit einer dynamisch wachsenden Bevölkerungs- und Wirtschaftsentwicklung stellen eine Herausforderung für die Steuerung der räumlichen Entwicklung dar. Während in den Zentralräumen und Tourismusgebieten die Nachfrage nach Bauflächen und Flächen für Infrastrukturen, beispielsweise Freizeiteinrichtungen, den Druck auf Freiräume und damit auf den Boden erhöht, kommt es andernorts – in peripheren Gebieten – zu Abwanderung und Nutzungsaufgabe. Das Phänomen der „inneren Entdichtung“ betrifft Städte, Gemeinden und Ortschaften sowohl in Wachstumsregionen als auch in schrumpfenden Gebieten. Die Verlagerung von Geschäften, Dienstleistern und öffentlichen Einrichtungen wie Schulen und Kindergärten an die Siedlungsränder und die Entstehung von Handelsagglomerationen an den Orts- und Stadteinfahrten bewirkt eine Zentrifugalkraft, die die Orts- und Stadtzentren schwächt – Leerstand, Abwanderung, Funktionsverlust und geringere Attraktivität und Aufenthaltsqualität sind damit verbunden.

Vielerorts werden seitens der Gemeinden, der Geschäftsleute und engagierter Bürger_innengruppen Anstrengungen unternommen, diesem sogenannten Donut-Effekte entgegenzutreten (Bednar & Österreichische Raumordnungskonferenz, 2019; Feller et al., 2019). Seitens der Bundesländer, des Bundes und der Verbände von Städten und Gemeinden und in deren Zusammenarbeit etwa im Rahmen der Österreichischen Raumordnungskonferenz sind Strategien und Maßnahmen zur Innenentwicklung wie beispielsweise ein Baukulturförderprogramm für Städte und Gemeinden formuliert, teilweise mit finanziellen Mitteln ausgestattet und in Umsetzung (Bednar & Österreichische Raumordnungskonferenz, 2019; ÖROK, 2019; Plattform Baukulturpolitik & Forschungsinstitut für Urban Management und Governance, 2021). Für eine flächendeckende Steuerungswirkung ist das bestehende Instrumentarium jedoch zu schwach (Bednar & Österreichische Raumordnungskonferenz, 2019). Die Revitalisierung des Bestandes und eine flächenschonende Nachverdichtung stellen insbesondere für die ausgedehnten, oft älteren Einfamilienhausgebiete ein großes räumliches Potenzial dar, das jedoch auch mit Hindernissen wie restriktiven Baureglementen, die beispielsweise eine Aufstockung der Baukörper verhindern, verknüpft ist. Oft stehen Verdichtungsplänen auch Widerstände in den Quartieren entgegen, da beispielsweise Nachbar_innen bei einer vertikalen Verdichtung an der Grenze zum eigenen Grundstück eine Beeinträchtigung der Privatsphäre und eine Reduktion des Immobilienwertes befürchten (Hartmann, 2020).

Megatrends wie die Digitalisierung, die Globalisierung, der demografische Wandel, der gesellschaftliche Wandel und die Multilokalität, die Wissensgesellschaft, die Urbanisierung und der steigende Energiebedarf mit dem sich ändernden Raumverhalten der Menschen bilden in Kombination mit dem Klimawandel und der Klimakrise eine große Herausforderung für die Raumplanung. Auch wenn viele der einzelnen Problematiken und Herausforderungen nicht neu sind, so hat ihre Dringlichkeit aufgrund der Klimakrise stark zugenommen. Für den Umgang mit einigen neuen Herausforderungen wie der Digitalisierung oder dem demografischen und gesellschaftlichen Wandel müssen neue Lösungen gefunden werden. Dabei sind die Risiken und Chancen für einzelne Räume unterschiedlich verteilt und erfordern eine raumtypenspezifische Herangehensweise. Wesentlich ist die Kombination von überregionalen Strategien mit Konzepten zur Umsetzung auf der regionalen und lokalen Ebene (Hiess et al., 2021).

19.3 Notwendige strukturelle Bedingungen

Klimaschutz muss in der Raumentwicklung und Raumplanung stärker verankert werden und räumliche Strukturen sind so zu gestalten, dass sie das langfristige Ziel der Klimaneutralität unterstützen. Gleichzeitig müssen die Raum- und Siedlungsstruktur an nicht mehr zu verhindernde Veränderungen infolge des Klimawandels angepasst und durch präventive Maßnahmen Risiken minimiert und notwendige Schutzmaßnahmen umgesetzt werden. Dazu ist es notwendig, Klimaschutz und Klimawandelanpassung in den rechtlichen Rahmenbedingungen stärker zu verankern und sie verpflichtend in Entwicklungskonzepte und Pläne aufzunehmen und umzusetzen. Das ist nur mit einer institutionen- und sektorübergreifenden Zusammenarbeit möglich (Österreichische Raumordnungskonferenz, 2021).

Die Raumplanung kann insbesondere in den Bereichen Entwicklung von klimaverträglichen Siedlungsstrukturen (siehe folgender Abschnitt), Schutz von Freiflächen und Flächenvorsorge für erneuerbare Energieträger einen wesentlichen Beitrag zum Klimaschutz und zur Umsetzung von Vermeidungsstrategien leisten (Akademie für Raumforschung und Landesplanung, 2009; Dollinger, 2010; Gruehn et al., 2010).

19.3.1 Erhaltung und Entwicklung von klimafreundlichen räumlichen Strukturen

Klimaverträgliche Siedlungsstrukturen sind boden- und energiesparende räumliche Strukturen, welche die Flächeninanspruchnahme, den notwendigen Verkehr und insbesondere den motorisierten Individualverkehr sowie den Energieverbrauch im Verkehrsbereich und im Siedlungs- und Gebäudebereich minimieren (Dollinger, 2010; Gruehn et al., 2010) [Kap. 6].

Die Flächeninanspruchnahme kann nur durch kompaktes Bauen reduziert werden. Nahezu drei Viertel der Flächeninanspruchnahme in Österreich gehen auf Bauflächen und Straßen zurück (VCÖ Wien, 2020b). Kompakte Siedlungsstrukturen ermöglichen eine Erhöhung des Anteils des öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) und der bewegungsaktiven Mobilität im Modal Split der Verkehrsträger und können damit in Kombination mit energieeffizienten Bebauungsstrukturen und Bauweisen erheblich zur Einsparung von Energie und damit zur Reduktion von Treibhausgasemissionen beitragen (Akademie für Raumforschung und Landesplanung, 2009).

Das Österreichische Raumentwicklungskonzept (ÖREK) 2030 definiert die folgenden räumlichen Ziele als Beitrag zur notwendigen Transformation hin zu einer klimaneutralen, nachhaltigen, gerechten und am Gemeinwohl orientierten Raumstruktur:

  • „Klimaschutz in der Raumentwicklung und Raumordnung verankern – räumliche Strukturen an den Klimawandel anpassen […]

  • Energiewende gestalten – den Ausbau erneuerbarer Energien und Netze räumlich steuern […]

  • Kompakte Siedlungsstrukturen mit qualitätsorientierter Nutzungsmischung entwickeln und fördern […]

  • Die Lebensqualität und gleichwertige Lebensbedingungen für alle Menschen in allen Regionen bedarfsorientiert verbessern […]

  • Polyzentrische Strukturen für eine hohe Versorgungsqualität mit Gütern und Dienstleistungen stärken […]

  • Leistungsfähige Achsen und Knoten des öffentlichen Verkehrs als Rückgrat für die Siedlungsentwicklung nutzen […]

  • In regionalen und funktionalen Lebensräumen denken, planen und handeln […]

  • Die regionale Resilienz stärken […]

  • An den lokalen und regionalen Stärken ansetzen und bestehende Potenziale fördern

  • Freiräume mit ihren vielfältigen Funktionen schützen und ressourcenschonend entwickeln […]

  • Eine lebenswerte Kulturlandschaft und schützenswerte Kulturgüter erhalten und entwickeln“ (Österreichische Raumordnungskonferenz, 2021, S. 18–21)

Im Folgenden beschreiben wir die räumlichen Strukturen, die ein klimafreundliches Leben ermöglichen.

19.3.2 Kompakte Siedlungsstrukturen mit qualitätsorientierter Nutzungsmischung

Kompakte Siedlungsstrukturen mit einer qualitätsvollen Nutzungsmischung und damit eine Reduktion der Flächeninanspruchnahme spielen vor dem Hintergrund eines weiter wachsenden Bedarfs an Siedlungs- und Verkehrsflächen durch eine prognostizierte Erhöhung der Zahl der Einwohner_innen (ca. 9 Prozent bis 2050) und Haushalte (ca. 15 Prozent bis 2050) (Hanika, 2019; Hiess et al., 2021) bei der Vermeidung der Klimakrise eine zentrale Rolle. Die wissens- und dienstleistungsorientierte Wirtschaft mit emissionsarmen Produktionsbetrieben ermöglicht die Rückkehr zu einer starken Nutzungsmischung und einer Wiederbelebung der Orts- und Stadtzentren. Multifunktionalität ermöglicht eine enge räumliche Nähe der Daseinsgrundfunktionen wie Arbeiten, Wohnen, Gesundheit, Bildung und Erholung. Damit werden Wege kürzer und eine stärkere Nutzung der Verkehrsträger des Umweltverbundes (Fußgänger- und Radverkehr, öffentlicher Verkehr) ermöglicht (Kurzweil et al., 2019; Österreichische Raumordnungskonferenz, 2021; VCÖ Wien, 2020a) [Kap. 6].

19.3.3 Leistungsfähige Achsen und Knoten des öffentlichen Verkehrs als Rückgrat für die Siedlungsentwicklung

Die Orientierung der Siedlungsentwicklung am öffentlichen Verkehrssystem leistet einen wesentlichen Beitrag im Kampf gegen die Klimakrise. Die Siedlungsentwicklung soll an der Erschließung mit attraktiven öffentlichen Verkehrsangeboten, insbesondere an leistungsfähigen Achsen und Knoten des öffentlichen Verkehrs (Bahnhöfen und Haltestellen) konzentriert werden. In bestehenden Siedlungsgebieten außerhalb des Einzugsbereichs von öffentlichen Verkehrsmitteln müssen Erreichbarkeitschancen für Menschen ohne eigenes Kraftfahrzeug durch den Ausbau bedarfsorientierter Verkehre sichergestellt werden (Österreichische Raumordnungskonferenz, 2021; VCÖ, 2021a) [Kap. 617].

19.3.4 Polyzentrische Strukturen für eine hohe Versorgungsqualität an Gütern und Dienstleistungen

Durch ein Netz von Zentren unterschiedlicher Größe und damit mit unterschiedlichen Funktionen (Groß-, Mittel- und Kleinstädte, zentrale Orte, lokale Zentren) soll eine möglichst wohnortnahe Versorgung der Bevölkerung mit Gütern und Dienstleistungen, die auch in Zukunft physisch gebraucht werden, gewährleistet werden. Klein- und Mittelzentren bilden dabei wichtige Ankerpunkte für die lokale und regionale Versorgung, während überregionale und internationale Zentren die Versorgung mit Einrichtungen, die an vielfältige Interaktionen und eine hohe Nachfrage gebunden sind, gewährleisten (Österreichische Raumordnungskonferenz, 2021).

19.3.5 Schutz und ressourcenschonende Entwickelung von Freiräumen mit ihren vielfältigen Funktionen (Landschaft, Landwirtschaft, Biodiversität, CO2-Senken)

Eine wesentliche Aufgabe der Raumplanung ist die Erhaltung der Vielfalt von Freiräumen für Erholung, Ökologie, Klimaresilienz und multifunktionale Land- und Forstwirtschaft und damit die Absicherung ihrer Freiraumfunktionen und Ökosystemleistungen, um einem Verlust an Biodiversität oder dem Rückgang landwirtschaftlicher Nutzflächen durch die Flächeninanspruchnahme für Siedlungen und Infrastruktur vorzubeugen. Wesentliche raumplanerische Maßnahmen dafür sind die verbindliche Festlegung von landwirtschaftlichen Vorrangzonen auf überörtlicher Ebene und die klare Definition der Siedlungsränder bzw. die Festlegung von regionalen Baulandkontingenten.

Neben dem Schutz von Nationalparks, Naturschutz- und Landschaftsschutzgebieten, Natura-2000-Schutzgebieten und Naturparks zur Erhaltung der Biodiversität und für die Vernetzung der Ökosysteme ist in städtischen Gebieten die Schaffung von hochqualitativer grüner Infrastruktur durch die Sicherung und Ausweitung von Grünräumen mit ihrer Erholungsfunktion und der großen Bedeutung für das Mikroklima wesentlich (Österreichische Raumordnungskonferenz, 2021; Pitha et al., 2013). Die Raumplanung muss – in Unterstützung von Naturschutz und Landschaftspflege – Senken für klimawirksame Gase durch den Schutz von Flächen mit hohem CO2-Bindungspotenzial (z. B. Moore, Böden, Wälder, Grünflächen) langfristig sichern (Dollinger, 2010).

19.3.6 Räumliche Steuerung des Ausbaus erneuerbarer Energien und Netze – Gestaltung der Energiewende/Flächenvorsorge für erneuerbare Energieträger

Um die Ziele der Energiewende zu erreichen, ist die Raumplanung mit beträchtlichen Flächenbedarfen und damit Flächenkonkurrenzen zu anderen Nutzungen konfrontiert. Der Flächenbedarf für erneuerbare Energien wie Biomasse, Wasserkraft, Solarenergie und Windenergie umfasst die Energieproduktion, Energiespeicherung und Energietransporte und -verteilung. Je nach Energieträger ist er mit unterschiedlichen Flächeninanspruchnahmen und Umweltwirkungen verknüpft. So bringen aktuell großflächige Photovoltaik-Freilandanlagen eine besonders hohe Flächennachfrage nach meist landwirtschaftlichen Flächen mit sich, der weitere Ausbau der Wasserkraft ist mit kritischen Eingriffen in hochwertige Fluss- und Bachökosysteme verbunden und Windkraftanlagen verändern das Landschaftsbild wesentlich.

Erneuerbare Energieträger und ihre begleitenden Infrastrukturen wie Anlagen und Versorgungsnetze sind unmittelbar raumrelevant und erzeugen neuen Druck auf räumliche Ressourcen. Zur optimalen Nutzung der Potenziale zur Energieerzeugung wie auch zur Minimierung von Nutzungskonflikten ist eine langfristige planerische Steuerung und Sicherung von Flächen notwendig. Die Auswahl optimaler Standorte muss zur langfristigen Sicherung der Potenziale und Reduktion negativer Umweltfolgen auf überörtlicher Ebene erfolgen, auch wenn die Umsetzung zumeist auf der lokalen Ebene erfolgt. Bei der räumlichen Steuerung des Ausbaus erneuerbarer Energien und ihrer Netze steht die Raumplanung vor der Herausforderung, die Flächen und Standorte mit der besten Eignung zu ermitteln und auszuwählen, die benötigten Flächen für Produktions- und Speicherstandorte sicherzustellen sowie bei Nutzungskonflikten zu vermitteln und zwischen unterschiedlichen Flächenansprüchen auszugleichen (Akademie für Raumforschung und Landesplanung, 2009; Dollinger, 2010; Hiess et al., 2021). Zur Minimierung der Nutzungskonflikte haben „Etagenwirtschaften“ erneuerbarer Energien besonderes Potenzial, etwa in der Kombination aus Windkraft, Biomasse, Geothermie und Solarenergie (Dumke, 2020).

19.4 Akteur_innen und Institutionen

Raumordnungspolitik und Klimapolitik leiden unter einer ähnlichen Problematik bei ihrer Umsetzung: Trotz empirischer Fakten über die Kosten und insbesondere langfristigen Folgekosten von Entscheidungen, wie beispielsweise Zersiedlung, finden diese keinen oder nur geringen Niederschlag bei den politischen Entscheidungsträger_innen. Flächensparende Bauweisen werden zumeist nur bei bereits extremer Flächenknappheit und damit einhergehenden hohen Baulandkosten angewendet. Man kann diesbezüglich von einer „evidence-ignoring policy“ sprechen (Dollinger, 2010; Schindegger, 2012). Es braucht einen verstärkten Druck aus der kritischen Öffentlichkeit auf die Politik, um eine größere Akzeptanz der notwendigen Maßnahmen der Raumplanung in der Politik zu erreichen. Dazu ist – im Zuge von Bewusstseinsbildung und Öffentlichkeitsarbeit – die Aufbereitung von Forschungsergebnissen notwendig (Dollinger, 2010; Schindegger, 2012). Darüber hinaus muss sich Raumplanung als „Mittel zur selektiven, aber gezielten Durchsetzung mehrheitsfähiger allgemeiner Grundsätze verstehen und darstellen“ (Schindegger, 2012, S. 167).

Damit die Raumplanung in der Lage ist, klimaverträgliche räumliche Strukturen zu schaffen und die Anpassung an den Klimawandel zu unterstützen, müssen Klimaaspekte in der Planung integral berücksichtigt werden. Die Kernkompetenzen der Raumplanung wie die interdisziplinären Herangehensweisen, die Integration unterschiedlicher Sektoren und ebenenübergreifende Zusammenarbeit gewinnen unter dem Aspekt des Klimawandels an Bedeutung (Bundesamt für Raumentwicklung ARE, 2013).

19.4.1 Das vorhandene Raumplanungsinstrumentarium zur Nutzungs- und Standortplanung konsequent zielorientiert einsetzen

Die Österreichischen Raumordnungskonferenz (ÖROK) sieht für das Österreichische Raumentwicklungskonzept (ÖREK) 2030 die Verpflichtung, „Klimaschutz und Klimawandelanpassung als Priorität für die Raumentwicklung und Raumordnung der nächsten Jahre zu sehen. Die Bewältigung der Klimakrise stellt eine Transformationsaufgabe dar, die alle politischen und administrativen Ebenen, alle Sektoren und alle Räume betrifft“ (Österreichische Raumordnungskonferenz, 2021, S. 42).

Die ÖROK selbst hat keine Umsetzungsinstrumente. Diese liegen im Kompetenzbereich des Bundes (im Rahmen seiner Fachplanungskompetenz), der Länder, der Regionen und Gemeinden. Darüber hinaus setzen sich räumliche Wirkungen aus einer Vielzahl von Einzelentscheidungen zusammen, die oft erst nach längerer Zeit in ihrer Summe spürbar werden. Dann ist es jedoch nur mehr schwer möglich, unerwünschte räumliche Entwicklungen rückgängig zu machen und die Konsequenzen kostenaufwendig zu kompensieren. Eine klimaverträgliche Raumentwicklung muss also eine langfristige, generationenübergreifende Perspektive verfolgen (Österreichische Raumordnungskonferenz, 2021).

Der Klimawandel als Querschnittsaufgabe soll in Planungsprozesse, Planungsinstrumente und räumliche Strategien auf allen Planungsebenen aufgenommen werden. Mit Climate Proofing sollen räumliche Festlegungen auf ihre Wirksamkeit und Reaktionsfähigkeit bezüglich Klimawandel überprüft werden (Pitha et al., 2013). Aufgrund der großen Unsicherheit der Auswirkungen des Klimawandels ist es wesentlich, resiliente Raumstrukturen zu entwickeln, die sich unter verschiedenen Rahmenbedingungen bewähren, wie beispielsweise Außenräume in Siedlungsgebieten, die sowohl bei Kälte als auch bei Hitze eine gute Aufenthaltsqualität bieten. Die Widerstands- und Anpassungsfähigkeit von Strukturen, Prozessen und Systemen ist zu fördern. No-regret-Strategien, strategische Planungen, die weder jetzt noch zukünftig negative Auswirkungen erzeugen, spielen eine wichtige Rolle (Bundesamt für Raumentwicklung ARE, 2013).

Lernfähige, flexible Planungsprozesse, die gut auf Veränderungen reagieren können, sind im Umgang mit der Unsicherheit in Bezug auf den Klimawandel wesentlich. Dabei ist das kontinuierliche Lernen aus Ereignissen und eine ausreichende Flexibilität für Veränderungen notwendig. Planungsgrundlagen und Planungsaussagen müssen regelmäßig überprüft und wenn notwendig angepasst werden. Die Raumplanung muss mehr als schrittweise vorgehender, anpassungsfähiger Prozess angelegt werden und verschiedene mögliche langfristige Entwicklungen berücksichtigen (Bundesamt für Raumentwicklung ARE, 2013).

Gemäß der Empfehlung der ÖROK zu „Flächensparen, Flächenmanagement & aktive Bodenpolitik“ ist es für eine wirkungsvolle örtliche Raumplanung wesentlich, die für die Planungspraxis zentralen Instrumente des Flächenmanagements in der örtlichen Raumplanung – örtliche Entwicklungskonzepte und Flächenwidmungspläne – zu konkretisieren und zu verdichten. Für die langfristigen Vorgaben im örtlichen Entwicklungskonzept bedeutet dies eine Festlegung von Mindestinhalten wie eine verpflichtende Baulandbedarfsabschätzung nach standardisierten und in den regionalen Kontext eingebetteten Modellen, an den Zielen des Flächensparens orientierte Aussagen zur Entwicklung des Siedlungs- und Freiraums, die Festlegung von Bereichen, die von jeglicher Bebauung freizuhalten sind, wie z. B. landwirtschaftliche oder ökologische Vorrangflächen, sowie strategische Festlegungen über Bebauungsstrukturen und die baukulturelle Entwicklung [Kap. 4].

Im Bereich der Flächenwidmungsplanung wird die Anwendung von restriktiven Kriterien im Umgang mit Neuwidmungen gefordert und im Sinne von kompakten Baulandwidmungen die räumliche Anbindung von neuem Bauland an bestehende Siedlungsgebiete. Baulandausweisungen sollen nur erfolgen, wenn keine geeigneten und verfügbaren innerörtlichen Baulandreserven bestehen. Zur Reduktion des Baulandüberhanges sollen für unbebautes Bauland Regelungen geschaffen werden, die nach einem bestimmten Zeitraum Rückwidmungen, die durch kommunale Planungsinteressen begründet sind, ermöglichen bzw. baulandmobilisierende Maßnahmen vorschreiben. Weiters sollte in Flächenwidmungsplänen die Festlegung von Freihaltegebieten im Grünland, die ein Bauverbot bewirken, ermöglicht werden (Kanonier & Schindelegger, 2018c; ÖROK, 2017).

Bodenpolitische Instrumente zur Baulandmobilisierung, wie z. B. Raumordnungsverträge, befristete Widmungen, Investitionsabgaben oder vorgezogene Aufschließungs- und Erhaltungsbeiträge, finden sich in unterschiedlichen Ausprägungen in allen jüngeren Novellen der Raumordnungsgesetze (Zech, 2021). Zum Bremsen der Zentrifugalwirkung von Handelsagglomeration, Gewerbezonen, Freizeittempeln und Logistikzentren für den Onlinehandel am Ortsrand ist auch eine Novellierung der Raumordnungsgesetze, wie beispielsweise in Tirol und Vorarlberg, zur Unterstützung notwendig (RIS – Raumordnungsgesetz 2016 – TROG 2016, Tiroler – Landesrecht konsolidiert Tirol, Fassung vom 28.10.2021, o.J.). Die Errichtung von Einkaufszentren und Supermärkten soll nur in Stadt- und Ortskernen oder als Nachnutzung von bestehenden Einkaufszentren möglich sein und die dazugehörigen Parkplätze nicht ebenerdig, sondern unterirdisch oder gestapelt zugelassen werden (Zech, 2021).

Im Rahmen der überörtlichen Raumordnung der Länder sind verstärkt langfristige Planungsstrategien, in denen ordnungs- und entwicklungspolitische Maßnahmen zum Flächensparen wirkungsvoll und in Kooperation mit den Gemeinden kombiniert werden, umzusetzen. Beispiele dafür sind die Konkretisierung übergeordneter Raumordnungsziele zum Flächensparen, die österreichweite Festlegung von Baulandgrenzen für Gebiete mit hohem Baulandwidmungsdruck in regionalen Raumplänen, die Entwicklung von Modellen für die regionale Verteilung des Flächenbedarfes sowie die überörtliche Festlegung von Mindestdichten und Mindestanteilen an flächensparenden Bauformen für eine qualitativ hochwertige Verdichtung (ÖROK, 2017) [Kap. 114].

19.4.2 Unterschiedliche Akteur_innen (Politik, Verwaltung, Wirtschaft und Zivilgesellschaft) und Bürger_innen über informelle Instrumente und Planungsprozesse einbinden

Die Umsetzung einer klimaverträglichen Raumplanung erfordert ein gemeinsames Handeln unterschiedlicher Akteure_innen und Politiken. Dabei kommt der Raumplanung in fach- und ebenenübergreifenden Gremien und politischen Prozessen eine wichtige Rolle zu. Politik, Verwaltung und die Öffentlichkeit müssen umfassend informiert und sensibilisiert werden, um das Problembewusstsein für den Klimawandel und die Akzeptanz von Maßnahmen zu erhöhen (Bundesamt für Raumentwicklung ARE, 2013).

Jeder hat im Alltagshandeln Einfluss auf die Entwicklung des Raumes. Alle, die im Raum agieren, Investor_innen, Unternehmer_innen, Dienstleister_innen, Infrastrukturanbieter_innen und die verschiedenen zivilgesellschaftlichen Gruppen, beeinflussen seine Entwicklung ebenso wie die öffentlichen Akteur_innen EU, Bund, Länder, Gemeinden. Eine integrierte räumliche Entwicklungsplanung erfordert dementsprechend zusätzlich zu einer breiten fachlichen Integration die Integration vielfältiger Akteur_innen in den Prozess (Heinig, 2022; Selle, 2005). Für eine erfolgreiche Beteiligung ist ein Trialog zwischen Politik, Verwaltung und Öffentlichkeit notwendig. Dadurch können die Interessen und Zielkonflikte unterschiedlicher Akteursgruppen transparent gemacht und gemeinsame Lösungsmöglichkeiten und ein Interessenausgleich ausgehandelt werden (Heinig, 2022). Partizipation kann unterschiedlich ausgestaltet sein. Sie reicht von Information über Konsultation und Mitwirkung bis zu Mitentscheidung (Heinig, 2022; Madner, 2015; Zech, 2015).

In diesem breiten Spektrum von einer kommunikationsorientierten bis zu einer kooperativen Planung sind der „Kern qualitätsvoller Partizipation … ernst gemeinte, offene und lebendige Prozesse, die transparent und fair aufgesetzt sind und Interessierte und Betroffene zu Beteiligten werden lassen“ (Zech, 2015, S. 253). Prozesse mit einer klimapolitischen Zielsetzung, die grundlegende strukturelle Veränderungen notwendig machen, müssen so gestaltet sein, dass sie auf Kooperation und Mitbestimmung ausgerichtet sind (Madner, 2015). Dazu müssen den Beteiligten die Komplexität der jeweiligen Aufgabe zugemutet und auch Widersprüche thematisiert werden, um eine Auseinandersetzung mit der Realität zu ermöglichen (Selle, 2017). Ein Schlüssel für eine integrierte räumliche Entwicklung ist die Koproduktion, also das koordinierte und gleichberechtigte Handeln von öffentlichen, privatwirtschaftlichen und zivilgesellschaftlichen Akteur_innen. In der Umsetzung ist Koproduktion oft ein Balanceakt bei der Verknüpfung ihrer Prinzipien mit der repräsentativen Demokratie und der hierarchisch organisierten Verwaltung. Denn Koproduktion bedeutet, Verantwortung für den Raum auf Basis vereinbarter Ziele zu teilen und wahrzunehmen (Heinig, 2022) [Kap. 11].

19.4.3 Die Koordinationsaufgaben der Raumplanung forcieren

Zur Umsetzung von klimafreundlichen räumlichen Strukturen ist die Abstimmung zwischen sektoralen Zielen von Fachplanungen und räumlichen Zielen sowie Zielen für den Klima- und Biodiversitätsschutz und die Anpassung an den Klimawandel notwendig. Da es in Österreich keine Rahmengesetzgebung des Bundes und keine Bundesraumordnung gibt, muss diese Koordination durch die Raumplanung auf Ebene der Länder, Regionen und Gemeinden erfolgen (Österreichische Raumordnungskonferenz, 2021).

Das Ziel, klimafreundliche Strukturen zu schaffen, ist nicht in allen raumrelevanten Fachplanung gleichermaßen stark verankert. Fachplanungen sind häufig einzelobjektbezogen, sie dienen primär der Planung und Errichtung eines konkreten Objektes. Wenn sich unterschiedliche Fachplanungen auf den gleichen Raum beziehen, können Nutzungskonflikte entstehen. Nahezu jede Fachplanung erzeugt Spillover-Effekte, also Wirkungen, die außerhalb des Gebietes der planenden Instanz anfallen. Negative Spillover-Effekte sind insbesondere problematisch, wenn Fachplanungen nur auf das fachliche Eigeninteresse ausgerichtet sind und Wirkungen auf andere Raumnutzungsinteressen, andere Fachplanungen und Gebietskörperschaften ausblenden.

Die Raumplanung ist gefordert, ihre Koordinationsaufgaben verstärkt wahrzunehmen, einen Ausgleich zwischen den konkurrierenden Ansprüchen an den Raum herzustellen und Fachplanungen überfachlich zu steuern. Zur Erfüllung der Koordinationsfunktion muss die Raumplanung Konfliktfelder frühzeitig erkennen, diese zur Sensibilisierung der Politik sichtbar machen und Vorschläge und Konzepte zur Lösung der Konfliktsituationen in einer integrierte Raumentwicklungskonzeption erarbeiten (Einig, 2011).

In der sektorübergreifenden Koordination ist es wichtig, die Raumwirksamkeit sektoraler Strategien und Planungen zu prüfen und räumliche Ziele frühzeitig zu integrieren. Umgekehrt sind die Anliegen der Fachplanungen in die Verfahren und Pläne der Raumplanung aufzunehmen (Österreichische Raumordnungskonferenz, 2021).

19.4.4 Die Sektoralplanungen (insbesondere Verkehrssystemplanung, Tourismus, Wasserbau) und Förderungen (insbesondere Wohnbauförderung und Wirtschaftsförderung) verpflichten, die räumlichen und damit mittelbaren klimarelevanten Wirkungen zu berücksichtigen

Wesentliche raumwirksame Fachplanungen fallen in Gesetzgebung und Vollziehung in die Zuständigkeit des Bundes. Fachplanungen des Bundes sind grundsätzlich durch die Bundesverwaltung, also die jeweils zuständigen Ministerien zu besorgen (Kanonier & Schindelegger, 2018c). In der aktuellen Regierungsperiode sind das insbesondere das Bundesministerium für Landwirtschaft, Regionen und Tourismus, das Bundesministerium für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie, das Bundesministerium für Digitalisierung und Wirtschaftsstandort sowie das Bundesministerium für Finanzen (RIS – Bundesministeriengesetz 1986 – Bundesrecht konsolidiert, Fassung vom 10.03.2022, o.J.). Eine Vielzahl an Aufgaben ist jedoch in Gesellschaften im Eigentum des Bundes ausgelagert. Beispiele dafür sind die ASFINAG zur Planung, Finanzierung, Bau, Betrieb, Erhaltung und Bemautung der Bundesstraßen und die Via Donau zur Planung, Vergabe und Kontrolle der Wasserbauprojekte an den österreichischen Wasserstraßen (Kanonier & Schindelegger, 2018c).

Die Landesregierungen und Ämtern der Landesregierungen sind sowohl für die nominelle als auch für Teile der funktionellen Raumordnung verantwortlich, wobei hier insbesondere das Landesstraßenrecht und das Naturschutzrecht aus Sicht der Raumplanung von Interesse sind (Kanonier & Schindelegger, 2018c; Stöglehner, 2019). Besonders raumwirksame Sektorpolitiken des Bundes (z. B. Verkehr, Energie, Wasserbau, Rohstoffgewinnung, Umwelt- und Ressourcenschutz) (Stöglehner, 2019) sollten in einem „Raumverträglichkeitsscreening“ kritisch geprüft werden, inwiefern sie eine klimaverträgliche Raumentwicklung durch den Einsatz ihrer Steuerungsinstrumente fördern oder behindern (Zech et al., 2016).

In Österreich ist eine Reihe von sektoralen Förderschienen (z. B. Wohnbauförderung, Pendlerpauschale, Wirtschaftsförderung, Tourismusförderung, Gemeindebedarfszuweisung) implizit raumwirksam, setzt sich jedoch nicht explizit mit dem Raum oder den räumlichen Auswirkungen der Förderungen auseinander. Dadurch bleibt nicht nur die Möglichkeit der räumlichen Steuerungswirkung durch finanzielle Anreize ungenutzt, es kann sogar zu einer Aufhebung der Effekte der einzelnen sektoralen Förderungen durch Querförderungen kommen. In einem Raumverträglichkeitscheck sollte die Raumwirksamkeit sektoraler Förderprogramme untersucht und dargestellt werden (Zech et al., 2016).

In der Wohnbauförderung gibt es erste Ansätze, die Qualität des Standortes in die Förderpolitik miteinzubeziehen. Seit der Reform der Salzburger Wohnbauförderung im Jahr 2015 ist die Höhe der Wohnbauförderung erstmals auch von Kriterien zur Standortqualität abhängig, die für die Gesamtenergieeffizienz der Gebäude relevant sind. Die Kriterien beziehen sich auf die Infrastruktur im Wohnumfeld der Bevölkerung, konkret auf die Anbindung an den öffentlichen Verkehr, den Nahbereich eines Lebensmitteleinzelhändlers und den Nahbereich einer Schule, einer Kinderbetreuungseinrichtung, einer Arztpraxis oder einer Apotheke, die im Umkreis von 1000 Metern Luftlinie vom Bauvorhaben vorhanden sein müssen, und auch an Qualitätskriterien der Infrastruktur, wie beispielsweise die Frequenztaktung im öffentlichen Verkehr, geknüpft sind (Madner & Grob, 2019a; Prinz et al., 2017; RIS – Salzburger Wohnbauförderungsgesetz 2015 – Landesrecht konsolidiert Salzburg, Fassung vom 02.11.2021, o.J.). Die Wohnbauförderung Tirol gewährt bei einem niedrigeren Grundverbrauch einen höheren Fixbetrag pro Quadratmeter förderbarer Nutzfläche (Land Tirol, 2021a, 2021b) [Kap. 46]. Auch in bestehenden Fördermodellregionen wie beispielsweise KLAR! oder KEM bzw. LEADER-Strategien sind Aspekte der Raumentwicklung in Abstimmung mit den Ländern zu berücksichtigen (ÖREK 2030).

19.5 Handlungsmöglichkeiten und Gestaltungsoptionen

19.5.1 Das örtliche Raumplanungsinstrumentarium zur Nutzungs- und Standortplanung auf die Ebene von Regionen heben

„Damit die regionale Ebene im Bereich raumwirksamer Politikbereiche des Bundes stärker als bisher wirksam werden kann, braucht es eine intensivere Einbeziehung und Mitsprache sowie eine bessere institutionelle Verankerung und Ressourcenausstattung für die (Stadt-)Regionen.“ (Österreichische Raumordnungskonferenz, 2021, S. 128)

Die Region ist der wichtigste Bezugsraum der Menschen. Darum ist es wichtig, in regionalen Lebensräumen zu denken, zu planen und zu handeln und die regionale Ebene zu stärken. Die Herausforderungen des Klimawandels lassen sich nicht innerhalb von Gemeindegrenzen lösen. Insbesondere in den sich zumeist dynamisch entwickelnden Stadtregionen ist eine gleichberechtigte Kooperation der regionalen Zentren mit den Umlandgemeinden notwendig (Svanda & Hirschler, 2021).

Die überörtliche Raumplanung im Sinne einer abgestimmten räumlichen Entwicklung des gesamten Landes oder von Landesteilen fällt in den Aufgabenbereich der Länder, in einzelnen Ländern wie beispielsweise Salzburg auch ausdrücklich in den von Planungsregionen. Die Landespolitik nutzt ihre Steuerungskompetenz jedoch nur eingeschränkt, denn raumordnerische Vorgaben und Entscheidungen werden häufig auf die Gemeinden bzw. geförderte Gemeindekooperationen verlagert. Zum Handeln in regionalen Lebensräumen ist es wesentlich, Stadtregionen auf Ebene der Landesplanung (überörtliche Raumplanung der Länder – Landesraumordnungsprogramme/Landesentwicklungskonzepte) als Handlungsräume zu fixieren. Dazu gehören die räumliche Definition und die Festlegung von Entwicklungszielen und Maßnahmen (Zech et al., 2016).

In der stadtregionalen Kooperation werden in der Ausstattung mit planerischen Ressourcen (Personen, Planungswerkzeuge, Planungsbudgets) Ungleichgewichte zwischen der Kernstadt und den Umlandgemeinden deutlich. Für eine abgestimmte Planung „auf städtischem Niveau“, wie es die räumlichen Qualitäten und Herausforderungen in der Stadtregion erfordern, ist die Bildung von Planungs- und Verwaltungsgemeinschaften sinnvoll (Zech et al., 2016).

Die Unterstützung von interkommunalen und regionalen Planungsaktivitäten durch die Länder durch eine anteilige oder gänzliche Übernahme der Planungskosten oder die Bereitstellung von Planungsexpertise aus der Landesverwaltung leistet einen wichtigen Beitrag, um stadtregionale Planungsaufgaben grenzüberschreitend zu bearbeiten. Planungs- und Verwaltungsgemeinschaften wie beispielsweise eine gemeinsame Bauverwaltung können Fachkompetenzen bündeln (Zech et al., 2016).

19.5.2 Eine neue Governancekultur in räumlichen Planungsprozessen etablieren

Klimawandelanpassung erfordert eine Mischung aus hoheitlichen Instrumenten und Governance-Strukturen. Sie lässt sich nicht „von oben“ verordnen und es gibt auch keine Patentrezepte. Der notwendige rechtliche Rahmen muss sowohl den Anspruch auf Rechtssicherheit erfüllen als auch ausreichende Flexibilität ermöglichen, um adäquat und zeitnah auf Veränderungen reagieren zu können. Weiters müssen bestehende Regelungen und Prozesse bezüglich ihrer Wirkung auf Klimawandelanpassungsmaßnahmen geprüft und dementsprechend angepasst werden. Die Vielschichtigkeit und Komplexität der Klimawandelanpassung benötigt an den Kontext angepasste Lösungen, die nur mit der Beteiligung lokaler Akteur_innen entwickelt und umgesetzt werden können (Baasch & Bauriedl, 2012).

Das Handlungsprogramm des ÖREK 2030 sieht als eine wesentliche Säule zur Umsetzung seiner Ziele die Weiterentwicklung der vertikalen und horizontalen Governance. Die konkrete Ausgestaltung der Grundsätze der Klimaverträglichkeit und Nachhaltigkeit, der Gemeinwohlorientierung und der Gerechtigkeit erfordern Abwägungs- und Aushandlungsprozesse. Dabei kommt auch der Mitwirkung an europäischen Strategien und Prozessen eine wichtige Rolle zu. Auf horizontaler Ebene ist eine Abstimmung zwischen räumlichen und sektoralen Planungen notwendig, da es in Österreich keine Rahmengesetzgebung des Bundes bzw. keine Bundesraumordnung zur Koordination gibt. Bei der vertikalen Abstimmung zwischen den Gebietskörperschaften Bund – Länder – Gemeinden liegt ein besonderes Augenmerk auf der (stadt-)regionalen Handlungsebene, da die aktuellen Herausforderungen der Raumentwicklung immer weniger auf der lokalen Ebene bewältigt werden können. Die Bedeutung der raumordnungsrechtlich und institutionell lange schwach verankerten (stadt-)regionalen Handlungsebene hat sich im letzten Jahrzehnt stark vergrößert und ihre Professionalisierung verbessert (Österreichische Raumordnungskonferenz, 2021).

Österreichs Stadtregionen nutzen bereits eine Reihe von Planungsinstrumenten und Plattformen, die auf räumliche Entwicklung und interkommunale/regionale Kooperation ausgerichtet sind. Der Trend geht von formalisierten Plänen und Verfahren hin zu kommunikations- und prozessorientierten Arbeitsweisen mit dementsprechend unterschiedlichen Verbindlichkeiten der Planungsergebnisse von Verordnungen über Beschlüsse, Kooperationsvereinbarungen und Absichtserklärungen bis zu Kenntnisnahmen mit geringer Verbindlichkeit. Für die Vorgehensweise und Spielregeln stadtregionaler Zusammenarbeit gibt es kein einheitliches Patentrezept. In den Stadtregionen gibt es in zahlreichen Bereichen gute Erfahrungen mit informellen Planungsprozessen. Bei „harten“ Themenbereichen (z. B. Betriebsansiedlung, Baulandkontingente, Verkehrserzeugung) und sehr unterschiedlichen Ausgangspositionen zeigen sich jedoch die Grenzen der freiwilligen Zusammenarbeit (Zech et al., 2016) [Kap. 12].

19.5.3 Sektoralplanungen verpflichten, zu klimafreundlichen räumlichen Strukturen beizutragen

Sektoralplanungen (Fachplanungen) sind raumwirksam, wenn durch sie Raum in Anspruch genommen oder die räumliche Entwicklung oder Funktion eines Gebiets beeinflusst wird (Runkel, 2018). Dies betrifft den Großteil der auch als „funktionelle Raumplanung/Raumordnung“ (Kanonier & Schindelegger, 2018c) bezeichneten Planungsagenden des Bundes und der Länder: Bundes- und Landesstraßen, Eisenbahnen, Luftfahrt, Starkstromwege, Rohrleitungen, Abfallwirtschaft, Wasserrecht, Forstwesen, Landwirtschaft, Naturschutz, Tourismus u. a. m.

„Viele Fachplanungen, beispielsweise die Verkehrsplanung, sind nicht nur mit umfangreichen Haushaltsmitteln ausgestattet, sondern haben auch eine größere politische Macht. Das Verhältnis zwischen der Raumplanung und den raumbedeutsamen Fachplanungen ist daher äußerst komplex. So kann grundsätzlich als längerfristiger Trend eine wachsende Eigenständigkeit der Fachplanungen konstatiert werden, die sich gegen den Koordinierungsanspruch der Raumplanung als sektorübergreifende Gesamtplanung wehren, sodass viele horizontale Koordinierungsprobleme im Raum ungelöst bleiben.“ (Danielzyk & Münter, 2018, S. 1937)

So lässt sich aus der Perspektive der Verkehrsplanungslehre zwar sagen, dass sich die Verkehrsplanung von einer sektoralen Fachplanung, verstanden als nachfrageorientierte Anpassungsplanung zur Konzeption und Dimensionierung von Verkehrsanlagen und -angeboten, hin zu einer komplexen zielorientierten integrierten Verkehrsplanung entwickelt hat. Dieser theoretische Anspruch schlägt sich aber nicht immer in der Praxis nieder, „da traditionelle sektorale Sichtweisen in Linienorganisationen der Verwaltungen und die Präferenzen der politischen Entscheidungsträger häufiger zu einseitigen Ergebnissen aus fachtechnischer und/oder politischer Sicht führen“ (Ahrens, 2018, S. 2806). Während in den österreichischen Raumplanungsdokumenten die Fachplanungen des Bundes und der Länder (z. B. Trassenkorridore) ersichtlich zu machen sind, ist umgekehrt die Möglichkeit, auf Fachplanungen einzuwirken, gering. Die in Deutschland in vielen Fachplanungsgesetzen enthaltenen „Raumplanungsklauseln, denen zufolge die Fachplanungen Ziele und Grundsätze der Raumordnung zu beachten bzw. zu berücksichtigen haben“ (Danielzyk & Münter, 2018, S. 1937), sind in Österreich nicht vorzufinden. Als Kompensation für die fehlende Rahmengesetzgebung des Bundes bzw. koordinierende Bundes-Raumordnung braucht es „eine intensive Abstimmung zwischen räumlichen und sektoralen Planungen“ (Österreichische Raumordnungskonferenz, 2021, S. 123). Dabei kommt der „Abstimmung zwischen Sektorzielen, räumlichen Zielen und Zielen für den Klima- und Biodiversitätsschutz sowie die Anpassung an den Klimawandel“ eine besondere Rolle zu (Österreichische Raumordnungskonferenz, 2021, S. 123) [Kap. 11].

Über ein Berücksichtigungs- und Abstimmungsgebot hinaus geht die Forderung, Sektoralplanungen dazu zu verpflichten, zu klimafreundlichen räumlichen Strukturen beizutragen. Als Vorbild sei hier das Schweizer Programm „Agglomerationsverkehr“ genannt: Die Mitfinanzierung bei Infrastrukturen durch den Bund erfolgt nur dann, wenn die Maßnahmen die Qualität des Verkehrssystem verbessern, die Siedlungsentwicklung nach innen fördern, die Verkehrssicherheit erhöhen und die Umweltbelastung und den Ressourcenverbrauch vermindern (Eidgenössisches Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation UVEK & Bundesamt für Raumentwicklung ARE, 2020).

19.5.4 Ein Förderprogramm für Energieraumplanung österreichweit einzuführen

Österreich hat sich im aktuellen Regierungsprogramm das Ziel gesetzt, die Produktionskapazitäten für erneuerbare Energie bis zum Jahr 2030 um insgesamt 27 Terawattstunden (TWh) auszubauen. Davon soll ein Anteil von 40 Prozent auf Photovoltaik entfallen (RIS – Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz – Bundesrecht konsolidiert, Fassung vom 02.11.2021, o.J.). Weder das Regierungsprogramm noch das Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz (EAG) geben Auskunft über die quantitative Aufteilung zwischen gebäudegebunden Anlagen und Freiflächenanlagen. Aktuelle Studien gehen von einem Freiflächenanteil von etwa 50 Prozent aus, was einem Flächenbedarf von 75 bis 100 km2 für den Ausbau von Photovoltaikanlagen auf Freiflächen bis zum Jahr 2030 entspricht. Eine verbindliche Aufteilung des Ausbaukontingents auf die Bundesländer existiert nicht. Diese Unschärfen der nationalen Strategie lassen Nutzungskonflikte befürchten. Wesentlich wäre es, die Energieausbauziele auf Landesebene verbindlich zu machen, da eine fehlende räumliche Zuordnung auf die einzelnen Planungsträger (Länder und Gemeinden) die Steuerung auch durch das Raumordnungsinstrumentarium schwieriger macht (Koscher, 2021b).

Die Wirkungen von Photovoltaik-Freiflächenanalagen auf Fläche und Raum können standortbezogen über die Art der Ausgestaltung und die Größe der Anlage sowie über Ausgleichs- und Begleitmaßnahmen mit einem geeigneten Instrumentarium gut gesteuert werden. Dazu braucht es ein umfassendes, stringentes Instrumentarium von der strategischen Ebene bis zur Gestaltung des Einzelobjektes. Zur Optimierung der Entwicklung von Photovoltaik-Freiflächenanlagen unter sozialen, ökologischen, technischen und ökonomischen Gesichtspunkten ist ein dreigliedriger Steuerungsansatz – Mengensteuerung, Standortsteuerung und qualitative Steuerung – notwendig. Ausgehend von einer quantifizierten Zielsetzung und Zuteilung auf die Planungsträger können Regularien zu Auswahl und Bewertung geeigneter Standorte sowie standort- und anlagenspezifische qualitative Standards für eine raumverträgliche Umsetzung festgelegt werden (Koscher, 2021a).

Auch für die räumliche Verteilung von Windkraftanlagen erscheint, angesichts der unterschiedlichen gesetzlichen Regelungen in den einzelnen Bundesländern, ein verbindliches Windkraftkonzept auf Bundesebene im Sinne einer Rahmenplanung sinnvoll, um den „energy sprawl“ durch vertikale und horizontale Nachverdichtung der Windkraftanlagen zu reduzieren (Dumke, 2020).

Im Bereich der Energieraumplanung, die als „jener integraler Bestandteil der Raumplanung, der sich mit der räumlichen Dimension von Energieverbrauch und Energieversorgung umfassend beschäftigt“ (Stöglehner et al., 2014, S. 9) definiert wird, hat die ÖREK-Partnerschaft „Energieraumplanung“ als eine prioritäre Handlungsempfehlung die stufenweise Integration von räumlichen Energie- und Mobilitätskonzepten in die überörtlichen und örtlichen Planungsinstrumente vorgeschlagen (Stöglehner et al., 2014). Die Energierichtplanung in der Schweiz bietet ein Beispiel für die Integration von Raumplanung und Energieplanung. Die Energieplanung weist geeignete Gebiete in Plänen aus, die als Entscheidungsgrundlage für die Raumplanung dienen (Madner & Parapatics, 2016). In Österreich kommt den Bundesländern eine Schlüsselrolle bei der Integration der Energieraumplanung in bestehende Prozesse der Raumplanung zu. In Wien, der Steiermark und Salzburg bestehen bereits etablierte Prozesse zur Berücksichtigung von energie- und klimaschutzbezogenen Fragestellungen in hoheitlichen Planungsprozessen (Madner & Parapatics, 2016; Rehbogen et al., 2021). Ein österreichweites Förderprogramm für Energieraumplanung fehlt.

19.5.5 Fiskalische Instrumente reformieren (z. B. Finanzausgleich), klimaschädliche Subventionen abschaffen (z. B. Pendlerpauschale) und klimanützliche Abgaben (z. B. Leerstandsabgabe) und Anreize (z. B. Entsiegelungsprämie) einführen

„Auch wenn die Raumordnung bedeutende Instrumente und Maßnahmen zum sorgsamen Umgang mit Grund und Boden vorsieht, sind wesentliche Steuerungsmöglichkeiten durch andere Materien geregelt (z. B. Finanzverfassung, Wohnbauförderung, Grundverkehr, Infrastrukturplanung). Dementsprechend sind in allen planungsrelevanten Fach- und Rechtsmaterien die Ziele des Flächensparens durchgängig zu berücksichtigen.“ (ÖROK, 2017, S. 14)

Raumstrukturen werden – über das Raumordnungs- und Baurecht hinaus – von vielen unterschiedlichen Rechtsmaterien, Vorschriften, Abgaben, Förderungen und Anreizen gestaltet. In diesen Materien werden bei (Neu-)Regelungen negative Wirkungen auf die Raumstruktur oft nicht ausreichend bedacht („Raumblindheit“) oder sogar in Kauf genommen und somit kontraproduktive Rahmenbedingungen geschaffen. Beispiele dafür sind die Kommunalsteuer, die den Wettbewerb der Gemeinden um Ansiedlungen (auf der grünen Wiese) fördert, das Pendlerpauschale mit seiner Anreizwirkung zur flächenhaften Zersiedelung sowie die Wohnbauförderung, die ihre Förderkriterien zu wenig auf sparsame Flächeninanspruchnahme und Sanierung des Bestandes ausrichtet (Plattform Baukulturpolitik & Forschungsinstitut für Urban Management und Governance, 2021).

Der Finanzausgleich gemäß Finanzausgleichsgesetz sowie die diversen länderinternen Transfers und Umlagen berücksichtigen Wechselwirkungen mit der räumlichen Entwicklung nicht oder nur unzureichend, der Finanzausgleich wird daher als „raumblind“ bezeichnet (Bröthaler, 2020; Mitterer & Pichler, 2020; Zech et al., 2016).

Zur Reduktion der Raumblindheit im Finanzausgleich werden vom KDZ Zentrum für Verwaltungsforschung eine stärkere Berücksichtigung von raumpolitischen Zielsetzungen im Finanzausgleich sowie das Mitbedenken von Raumwirkungszielen bei der Ausgestaltung der Finanzströme (z. B. Wohnbau, Verkehr, Bildung, Soziales) als mögliche Lösungen vorgeschlagen. Weiters sollte eine Steuerungsebene „Kleinregionen“ implementiert (z. B. Stärkung kleinregionaler Zentren im ländlichen Raum, Abstimmen und Sicherstellen der Dienstleistungen und Infrastrukturen innerhalb der Region), interkommunale Kooperationen und Gemeindezusammenlegungen gefördert und Anreize für Kooperationen im Stadt-Umland-Bereich geschaffen werden. Bei einem raumbezogenen Lastenausgleich, mit dem auf besondere Aufgabenbedarfe aufgrund unterschiedlicher externer Rahmenbedingungen (z. B. zentralörtliche Funktion, soziodemografische oder geografisch-topografische Rahmenbedingungen) reagiert werden kann, können beispielsweise regionale Versorgungsfunktionen von Zentren berücksichtigt werden. Mit dem Ressourcenausgleich soll die Finanzkraft besonders finanzschwacher Gemeinden gestärkt und finanzkräftiger Gemeinden teilweise abgeschöpft werden (Mitterer et al., 2016; Mitterer & Pichler, 2020).

In Österreich ist rein rechnerisch auf Jahrzehnte hin genügend Bauland vorhanden, der Großteil ist jedoch nicht verfügbar. Baugrund wird als Wertanlage gehortet, zunehmend auch großflächig etwa von Industriellenfamilien und Immobilienanlegern. Für rund 800.000 Wohnungen in Österreich ist kein Hauptwohnsitz gemeldet, der dauerhafte Leerstand bzw. Leerstand über den Großteil des Jahres (Nebenwohnsitze) ist beträchtlich (Statistik Austria, o.J.). Der Druck auf die Gemeinden, neues Bauland auszuweisen, steigt und für die Gemeinden ist es zunehmend schwieriger, aktive Bodenpolitik zu betreiben (durch Kauf, Tausch von Grundstücken). In den Bundesländern werden zwar eine Reihe von Maßnahmen zur Baulandmobilisierung genutzt, meist jedoch nur im Zusammenhang mit Neuwidmungen. Der bestehende Baulandüberhang bleibt unangetastet [Kap. 4]. Möglichkeiten über das Raumordnungsrecht sind mit Anpassungen in den Grundverkehrsgesetzen zu verknüpfen, aber auch mit finanzpolitischen Maßnahmen (z. B. Infrastrukturkostenbeitrag, Zweitwohnsitzsteuer, Leerstandsabgabe) (Doan, 2019). Insbesondere bei einem hohen Wohnungsdefizit sollen die gesetzlichen Möglichkeiten einer Leerstandsabgabe hinsichtlich Auswirkungen und Umsetzbarkeit geprüft werden (ÖROK, 2017). Die Einhebung einer Verkehrsanschlussabgabe von großen Verkehrserzeugern (z. B. Einkaufszentren, großen Betrieben) ist den Gemeinden bereits seit 1999 möglich (Eder, 2004), aufgrund rechtlicher Bedenken und der Standortkonkurrenz zwischen Gemeinden wird das jedoch nicht umgesetzt. Diese Abgabe würde die Möglichkeit bieten, Erschließungskosten mit Verkehrsträgern des Umweltverbundes zu finanzieren. Flächendeckende und verbindliche Regulierung auf (stadt-)regionaler Ebene können eine Steuerungswirkung entfalten. Die Abgabe könnte einmalig für die Errichtungskosten und laufend für die Betriebs- und Erhaltungskosten der Erschließung eingehoben werden (Zech et al., 2016).

Die Mehrwertabgabe als bodenpolitisches Instrument hat die Abschöpfung von Widmungsgewinnen, die durch raumplanerische Maßnahmen wie die Änderung von Flächenwidmungs- und Bebauungsplänen entstehen, zum Ziel. Die Wertsteigerung von Grundstücken durch erhöhte Nutzungsmöglichkeiten verbleibt in Österreich derzeit vollständig bei den Grundstückseigentümer_innen. Durch die Mehrwertabgabe kann ein Teil der widmungsbedingten Mehrwerte an die Allgemeinheit zurückgeführt und finanzielle Mittel, die für öffentliche Belange im Bereich der Raumplanung oder leistbares Wohnen zweckgebunden werden können, generiert werden (Mayr, 2018, 2020; Scholl, 2018).

Das deutsche Umweltbundesamt hat in einem Modellversuch mit 87 Kommunen vier Jahre lang den Handel mit Flächenzertifikaten getestet. Dabei wurde jeder Gemeinde nach Einwohner_innenzahl jährlich ein Kontingent an Zertifikaten für Neuwidmungen zugeteilt, die genutzt, gespart oder auf der Flächenbörse zwischen den Gemeinden gehandelt werden konnten. Ergebnis dieses Modellversuchs war eine deutlich stärkere Bautätigkeit in den Ortszentren, denn dafür waren keine Zertifikate notwendig, und eine Reduktion der Umwidmungen außerhalb der Zentren um die Hälfte (Umweltbundesamt, 2019). In Österreich ist ein Flächenzertifikatehandel nur mit Beteiligung aller Bundesländer sinnvoll. Ebenso ist übergeordnet darauf zu achten, dass in puncto Siedlungs- und Bevölkerungsentwicklung die richtigen Flächen bebaut werden (Sator, 2021). In Bayern erhalten Gemeinden im Rahmen der Förderinitiative „Flächenentsiegelung“ mit einer Entsiegelungsprämie Unterstützung bei der dauerhaften Entsiegelung befestigter oder brachliegender Flächen und Aktivierung für neue Nutzungen (Bayerische Staatskanzlei, 2019).

In Österreich gibt es vereinzelte Projekte zur Flächenentsiegelung, beispielsweise durch die Schaffung von Grünstreifen beim Rückbau von Straßen (Anninger, 2022). Das Land Niederösterreich unterstützt Entsiegelungsmaßnahmen auf privaten Grundstücken und Parkplätzen mit einem Informationsangebot (Umwelt Gemeinde Service Niederösterreich, 2020). Der VCÖ – Mobilität mit Zukunft (vormals Verkehrsclub Österreich) sieht in den Verkehrsflächen das größte Potential zur Entsiegelung, da in Österreich ca. 1240 Quadratkilometer Verkehrsflächen versiegelt sind (VCÖ, 2021b). Um von einzelnen Best-Practice-Projekten zu einer flächendeckenden Umsetzung zu kommen, ist laut Raumplanerin Sibylla Zech ein Entsiegelungsprogramm auf Bundesebene inklusive einer entsprechenden Kampagne notwendig (Anninger, 2022).

19.6 Conclusio

Die Analyse von wissenschaftlichen Beiträgen, Fachpublikationen, Leitfäden und Konzepten der Raumplanung/Raumordnung macht deutlich, was evident ist: Eine von Bund, Ländern und Gemeinden ernst genommene, steuerungsfreudige Raumplanung/Raumordnung und neue Formen von Planungs- und Beteiligungsprozessen könnten maßgeblich zur Trendumkehr von klimaschädigenden zu klimafreundlichen Lebens- und Wirtschaftsweisen beitragen. Damit soll erreicht werden, dass kompakt und zugleich durchgrünt gebaut wird, um in der „Stadt und Region der kurzen Wege“ klimaschonend unterwegs zu sein, um Leben in Stadt- und Ortskerne zu bringen und um Boden zu entsiegeln und rückzugewinnen. Es braucht (1) die Stärkung der Raumplanung in ihrer gemeinwohlorientierten Ordnungsfunktion: Wo sind Wohnen, Industrie und Gewerbe, Versorgung, Erholung und Freizeit sinnvoll und möglich und wie – dicht bebaut, durchgrünt, in welchem Nutzungsmix, mit welchen Mobilitätsangeboten etc. ausgestattet – sind sie auszugestalten. Und es braucht (2) eine Verpflichtung und neue Praxis der Sektoralplanungen und anderer raumbedeutsamen Politiken, um zu klimafreundlichen räumlichen Strukturen beizutragen bzw. solche nicht zu konterkarieren.

Besonders im Verkehrs- und Energiesektor mit ihrem hohen Raumbedarf gibt es großes Potenzial, um räumliche Strukturen im Sinne der Raumplanungs-/Raumordnungsgrundsätze und Raumordnungsziele so zu gestalten, dass damit ein klimafreundliches Raumverhalten von Personen, Haushalten und Unternehmen ermöglicht und gefördert wird (und nicht umgekehrt zu einem weiteren ressourcenverbrauchenden und Verkehr erzeugenden Auseinanderdriften der Nutzungen beigetragen wird).

Hinzu kommt die Empfehlung, bisher weitgehend „raumblinde“ fiskalische Instrumente zu reformieren. Beispiele sind der Finanzausgleich, Bedarfszuweisungen, Pendlerpauschale, Immobilienertragssteuer, Wohnbauförderung und Wirtschaftsförderungen etc.

In der Praxis stößt man in der planenden Verwaltung der Länder, der Städte und Gemeinden und in regionalen Kooperationen sowie bei deren Auftragnehmer_innen (Planungsbüros) auf einen breiten Grundkonsens, dass Handlungsbedarf besteht. Das Spektrum der Lösungsansätze ist in verschiedenen Handreichungen (Leitfäden, Handbücher, Maßnahmenkatalogen und anschaulichen Materialien, wie beispielsweise im „KlimaKonkret Plan“ (KlimaKonkret – Unsere Städte und Gemeinden klimafit machen!, o.J.)) verfügbar, wird aber im wissenschaftlichen Schrifttum wenig gewürdigt bzw. lediglich als „graue Literatur“ eingeordnet. Auffällig ist bei der Recherche, dass die deutsch- und englischsprachigen wissenschaftlichen und Fachpublikationen, die Raumplanung/Raumordnung mit den Herausforderungen des Klimawandels verknüpfen, in den Jahren 2005 bis ca. 2013 sehr zahlreich waren, dann vor allem Strategiepapiere zum Klimaschutz und zur Klimawandelanpassung auffindbar sind und erst seit ca. 2019 der Literaturfundus wieder breiter wird. Entsprechende Literatur findet in manchen Planungsdokumenten, wie z. B. dem aktuellen Österreichischen Raumentwicklungskonzept mit dem Fokus „Den Wandel klimaverträglich und nachhaltig zu gestalten“, Niederschlag (Österreichische Raumordnungskonferenz, 2021). Insgesamt wird das Potenzial der wissenschaftlichen Auswertung der grauen Planungsliteratur sowie des Standes der Planungspraxis noch wenig genutzt.