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FormalPara Kernaussagen

Zwischen November 2020 und April 2021 wurde im Rahmen der bundesweiten Studie „Hohes Alter in Deutschland“ eine schriftliche Befragung von mehr als 10.000 Personen ab 80 Jahren zu deren Lebenssituation und Lebensqualität durchgeführt. Die Befragung erfolgte damit unter dem Eindruck der zweiten und dritten Welle der Coronapandemie. Dieser erste Kurzbericht aus der deutschlandweiten Repräsentativbefragung stellt dar, welche Veränderungen sehr alte Menschen im Zusammenhang mit der Pandemie in verschiedenen Lebensbereichen erfahren haben und wie sie diese Veränderungen bewerten.

Befragungsdaten zur Corona-Erkrankung und RKI-Zahlen annähernd deckungsgleich. Insgesamt 5 % der Über-80-Jährigen berichtet von einer eigenen Erkrankung. Insbesondere Frauen, Personen in älteren Altersgruppen und Heimbewohner:innen sind häufiger erkrankt.

Viele Hochaltrige sind in ihrem sozialen Umfeld mit Corona in Kontakt gekommen. Jeder vierte hochaltrige Mensch berichtet von Corona-Erkrankungen im sozialen Umfeld.

Unterschiede in der Hochaltrigenpopulation mit Blick auf Betroffenheit durch Schutzmaßnahmen. Die ältesten Befragten (90+ Jahre) und Heimbewohner:innen geben öfter an, durch spezifische Schutzmaßnahmen wie Quarantäne oder Kontaktverbote betroffen zu sein.

Berichtete Erfahrungen in Bezug auf die Coronapandemie fallen sehr unterschiedlich aus. Die große Zahl und Differenziertheit der angesprochenen Themen auf die Frage, welche Erfahrungen mit der Coronapandemie gemacht wurden, spiegelt die Heterogenität der coronabezogenen Erfahrungen hochaltriger Menschen wider. Das Thema Sozialer Zusammenhalt ist nach Kontaktbeschränkungen in den Schilderungen der Erfahrungen das zweitwichtigste Thema der Hochaltrigen.

Die meisten hochaltrigen Menschen sind in ihren sozialen Beziehungen von Corona betroffen. 4 von 5 Personen geben an, in ihren privaten Kontakten von den Auswirkungen der Coronapandemie betroffen zu sein. In diesem Bereich wird zudem die insgesamt stärkste subjektive Veränderung durch Corona angegeben.

Die Coronapandemie verändert die Internetnutzung auch bei Hochaltrigen. Jede:r vierte hochaltrige Onliner berichtet über Veränderungen in der eigenen Nutzung des Internet durch die Coronapandemie. Inwiefern sehr alte Menschen durch die Pandemie angefangen haben, das Internet zu nutzen, kann aus den Daten jedoch nicht abgeschätzt werden.

Corona-Erkrankungen im sozialen Umfeld gehen häufig auch mit Veränderungen in der eigenen Lebenssituation einher. Eine Erkrankung von (Ehe)Partner:innen führt zu deutlich wahrgenommenen Veränderungen insbesondere mit Blick auf die eigene Gesundheit und die Beschäftigung mit dem Thema Sterben und Tod. Corona-Erkrankungen im weiteren familiären Umfeld und Freundeskreis beeinflussen die Situation der Hochaltrigen dagegen weniger.

Coronabedingte Veränderungen werden oft als Belastung erlebt. Über alle Lebensbereiche hinweg werden die in der Pandemie erlebten Veränderungen von einem substanziellen Anteil von Personen als überwiegend negativ bewertet.

Verfügbare Ressourcen bestimmen mit, wie coronabedingte Verluste sich auf die Lebenszufriedenheit im Alter auswirken. Wie stark wahrgenommene coronabedingte Veränderungen der eigenen Gesundheit die allgemeine Lebenszufriedenheit beeinträchtigen, hängt auch vom Niveau der subjektiven Gesundheit ab. Erfahren Personen mit besserer Gesundheit coronabedingt Gesundheitseinbußen, dann sinkt deren Zufriedenheit stärker.

Einleitung

In einkommensstarken Ländern wie Deutschland haben in den letzten Jahrzehnten nicht-übertragbare Erkrankungen (z. B. Herz-Kreislauferkrankungen) über 80 % der Krankheitslast ausgemacht (Roser und Ritchie 2016); Infektionskrankheiten dagegen weniger als 5 %. Das Ende 2019 erstmals entdeckte SARS-CoV-2 Virus, das eine COVID-19-Erkrankung auslöst, stellt unser Versorgungssystem vor neue Herausforderungen. Während die Erkrankung bei gesunden Erwachsenen überwiegend eher mild verläuft, sind ältere Menschen und Menschen mit Vorerkrankungen öfter von schweren oder tödlichen Verläufen betroffen (Rommel et al. 2021) und benötigen häufiger eine Intensivversorgung in Krankenhäusern. Aufgrund der großen Anzahl behandlungsbedürftiger Menschen waren die Anforderungen an das Gesundheitssystem in Deutschland auf dem Höhenpunkt der Erkrankungswellen, insbesondere der 1. Welle, sehr hoch und in mehreren Bundesländern kam die regionale stationäre Versorgung an ihre Grenzen. Um das Infektionsgeschehen einzudämmen wurden seit März 2020 unterschiedliche Maßnahmen eingeführt: Kontaktbeschränkungen, Quarantänemaßnahmen, Lockdowns sowie Test- und Impfstrategien.

Die Erhebung der D80+-Daten erfolgte während der zweiten und dritten Welle der Coronapandemie und damit unter dem Eindruck der bisher höchsten Infektions- und Todeszahlen im Populationssegment der Hochaltrigkeit (siehe Abb. 1). Die Fragen zu pandemiebedingten Erfahrungen und erlebten Veränderungen in verschiedenen Lebensbereichen bezogen sich darüber hinaus jedoch retrospektiv auf den gesamten Zeitraum seit Beginn der Pandemie im Frühjahr 2020. Am 16.03.2020 trat in Deutschland erstmals ein Lockdown in Kraft. Schulen, Kindertagesstätten, Geschäfte und (Freizeit-)Einrichtungen wurden geschlossen und sämtliche (Freizeit-)Veranstaltungen abgesagt. Lediglich Supermärkte und Geschäfte des alltäglichen Lebens blieben geöffnet. Es galten strenge Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen. Am 20.04.2020 wurden diese Corona-Maßnahmen in Abhängigkeit von der regionalen Infektionslage gelockert, jedoch unter der Einhaltung strikter Hygienemaßnahmen. Am 29.04.2020 wurde die Maskenpflicht in öffentlichen Verkehrsmitteln und beim Einkauf eingeführt. In der Zeit der ersten Lockerungen traten bundesweit vereinzelt Coronavirus-Ausbrüche auf. In diesen Regionen wurden die Maßnahmen temporär verschärft. Aufgrund der schnell steigenden Anzahl der Neuinfektionen trat am 02.11.2020 der Teil-Lockdown in Kraft. Die Gastronomie, Kultur- und Freizeiteinrichtungen sowie Kosmetik- und Fitnessstudios mussten schließen. Für Zusammenkünfte galten ebenfalls strengere Regeln. Im Gegensatz zum Lockdown im Frühjahr 2020 blieben im Teil-Lockdown Kindertagesstätten, Schulen und Geschäfte geöffnet. Da die Fallzahl der Erkrankungen trotz eines Teil-Lockdowns weiterhin stieg, wurde am 16.12.2020 ein harter Lockdown verhängt. Nun mussten auch alle Kindertagesstätten, Schulen und Geschäfte schließen – mit Ausnahme von Supermärkten und Geschäften des alltäglichen Lebens. In dieser Zeit wurde auch die Anzahl der Personen, die privat zusammenkommen durften, eingeschränkt. Aufgrund rasch sinkender Infektionszahlen wurden am 08.03.2021 Lockerungen eingeführt. Friseursalons, Buchhandlungen, Gartenmärkte und Blumengeschäfte durften mit Hygienekonzepten wieder öffnen. Weitere Öffnungen, wie beispielsweise der Kindertagesstätten und Schulen, waren jedoch von der regionalen Infektionslage abhängig. Zusätzlich hatte jede:r Bürger:in die Möglichkeit, sich einmal wöchentlich kostenlos testen zu lassen. Die Anzahl an Personen, die privat zusammenkommen durfte, wurde erweitert.

Abb. 1
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Anzahl Erkrankungen und Todesfälle der über 80-Jährigen in Deutschland seit Beginn der Pandemie. (KW = Kalenderwoche)

Für eine bessere aktuelle Einordnung der Befunde der D80+-Studie ist in Abb. 1 auch der weitere Verlauf der Pandemie nach Abschluss der schriftlichen Befragung dargestellt. Da die Zahl an Neuninfektionen Anfang März 2021 wieder stieg, wurde am 23.04.2021 die sogenannte Corona-„Notbremse“ gezogen: Wenn in einem Landkreis oder in einer Stadt die 7-Tages-Inzidenz über 100 lag, galt eine Ausgangsbeschränkung ab 22 Uhr – mit einzelnen Ausnahmen. Die Anzahl der Personen, die privat zusammenkommen durfte, wurde wieder eingeschränkt. Geschäfte durften nur noch negativ getestete Kund:innen hineinlassen, die vorher einen Termin gebucht hatten. Die Notbremse sah vor, dass ab einer Inzidenz von 165 auch Schulen schließen. Die Bundes-Notbremse lief am 30.06.2021 wegen niedriger Coronainfektionen und der steigenden Anzahl geimpfter Personen aus. Seitdem wurden die Corona-Maßnahmen bundesweit stark gelockert. Am 10.08.2021 einigten sich Bund und Länder auf eine bundesweit geltende 3G-Regelung. Für geimpfte, genesene und getestete Menschen gelten seitdem besondere Zugangsrechte.

Die Maßnahmen waren insofern effektiv, als diese zu geringeren Infektionszahlen führten (Brauner et al. 2021; Islam et al. 2020). Die Maßnahmen haben jedoch auch nicht beabsichtigte Folgen, z. B. physischer oder psychosozialer Art.

Die Auswirkungen sowohl des Infektionsgeschehens als auch der Maßnahmen zur Eingrenzung und Bekämpfung der Pandemie (im Folgenden unter dem Sammelbegriff „Coronapandemie“ zusammengefasst) beeinflussen sowohl das Individuum als auch das gesellschaftliche Miteinander. Besonders bei älteren Menschen, die als vulnerable Gruppe eingestuft werden, kann die Coronapandemie ein ernsthaftes gesundheitliches Risiko darstellen, zu einer besonders hohen Belastung führen oder eine selbstbestimmte Lebensführung beeinträchtigen.

Hochschulen und Kliniken arbeiten mit Hochdruck daran, die Folgen der Pandemie für unterschiedlichste Lebensbereiche wissenschaftlich zu untersuchen und Hinweise für deren Bewältigung bereitzustellen. Aus Sicht der Sozialwissenschaften werden seit Mitte 2020 Forschungsergebnisse zu Auswirkungen der Coronapandemie auf die Lebenssituation älterer Menschen publiziert. Wettstein und Wahl (2021) ziehen auf Basis bisheriger Daten ein Zwischenresümee zu den psychosozialen Konsequenzen der Coronapandemie für ältere Menschen. Ältere Menschen in Privathaushalten kamen danach bisher relativ gut durch die Corona-Krise und waren nicht stärker belastet als jüngere Menschen. Viele der bisherigen Studien basieren jedoch auf vergleichsweise kleinen oder selektiven Stichproben. Oft definieren Studien ältere Menschen bereits ab einem Alter von 65 Jahren oder untersuchen einen großen Altersbereich von Erwachsenen und alten Menschen. Sehr alte Menschen werden nur selten separat betrachtet. Zudem werden Menschen in Pflegeheimen meist nicht berücksichtigt, obwohl diese in besonderer Weise von Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie betroffen sind.

Die Daten des Deutschen Alterssurveys zeigen, dass ältere Menschen im Vergleich zu Jüngeren kein gesteigertes Ausmaß an Verunsicherung durch die Pandemie erfahren (Wettstein et al. 2020). Eine Studie von Benke et al. (2020) zeigte auf einer Datenbasis von Menschen zwischen 18 und 95 Jahren, dass die Einbußen im Wohlbefinden und die psychische Belastung für jüngere Menschen sogar stärker zu sein schienen als für ältere Menschen. Ältere Menschen wurden dementsprechend auch als eine Gruppe mit hoher Resilienz beschrieben (Gilan et al. 2020). Dennoch erscheinen bestimmte Gruppen sehr alter Menschen (obwohl diese Gruppe heterogen ist, vgl. Tesch-Römer et al. 2020) in besonderem Maße vulnerabel für die gesundheitlichen und psychosozialen Risiken der Pandemie. Zudem war wegen der Auslastung von Krankenhäusern der Zugang zum Gesundheitssystem mitunter eingeschränkt. Hiervon waren auch hochaltrige Menschen häufiger unmittelbar betroffen, da sie im Vergleich zu anderen Altersgruppen gemeinhin mehr Arzt- und Krankenhausbesuche tätigen (Kroll und Lampert 2013).

Einschränkungen sozialer Kontakte zur Eindämmung des Virus beeinflussen möglicherweise das Wohlbefinden. Besonders für ältere Menschen, die auf Unterstützung angewiesen sind, oder diejenigen, die im Heim wohnen und eventuell aufgrund strikterer Vorschriften isolierter sind als Menschen, die privat wohnen, können Einschränkungen im sozialen Bereich zu hohen Belastungen führen. Studien haben überwiegend gefunden, dass die Pandemie mit einem Anstieg im Einsamkeitsempfinden einherging (Heidinger und Richter 2020; Huxhold und Tesch-Römer 2021; Krendl und Perry 2021; van Tilburg et al. 2020). Eine qualitative Studie von Whitehead und Torossian (2021) bei Über-60-Jährigen in den USA zeigte, dass Sorge um Andere und Einsamkeit die meistgenannten Stressoren waren, während als Ressourcen für Freude/Trost am häufigsten familiäre und freundschaftliche Beziehungen sowie digitale soziale Kontakte genannt wurden. Kortmann et al. (2021) berichten, dass 17 % der Menschen mit Internetzugang diesen seit Beginn der Pandemie auch häufiger nutzen. Ältere Menschen haben jedoch weniger häufig Internetzugang im Vergleich zu anderen Altersgruppen (BMFSFJ 2020). Ältere Frauen nutzen das Internet generell weniger häufig als ältere Männer (Endter et al. 2020). Zudem ist die Nutzung des Internets in Heimen und Pflegeeinrichtungen weniger verbreitet. Dementsprechend können ältere Menschen digitale Angebote auch weniger als Ressource für den Umgang mit pandemiebedingten Einschränkungen nutzen und den Wegfall persönlicher Kontakte so schlechter kompensieren (Kemptner und Marcus 2020).

Obwohl die Gruppe hochaltriger Menschen sehr heterogen ist, werden diese weltweit häufig in den sozialen Medien, in der Presse oder auch in der politischen Öffentlichkeitsarbeit als hilflos, gebrechlich und gefährdet bezeichnet (Ayalon et al. 2021). Der statistische Zusammenhang zwischen Lebensalter und dem Risiko eines schweren Krankheitsverlaufes führt dazu, dass generalisierende Annahmen über schlechte Gesundheitszustände von älteren Menschen getroffen werden. Auch wenn negative Altersstereotype bereits seit längerem als eine Herausforderung für ältere Menschen beschrieben werden (vgl. BMFSFJ 2010), könnten diese durch die Pandemie noch zugenommen haben. Negative Altersstereotype verstärken wiederum Altersdiskriminierung (vgl. Ayalon et al. 2021). Ein Beispiel für Altersdiskriminierung mit Bezug zur Coronapandemie ist das in den sozialen Medien genutzte Hashtag „#Boomer Remover“ (Meisner 2021). Einige Beiträge verharmlosen sogar den Tod von älteren Menschen und beschreiben den Verlust als weniger wichtig als den Verlust eines jungen Menschen (Brooke und Jackson 2020). Im März 2020 ergab eine Auswertung von Beiträgen zu COVID-19 und älteren Menschen auf der Internetplattform „Twitter“, dass etwa 25 % aller einschlägigen Beiträge diskriminierend oder abwertend waren (Jimenez-Sotomayor et al. 2020). Eine Studie von Xiang et al. (2021) erbrachte ein ähnliches Ergebnis. Sie untersuchten 80.000 Beiträge auf „Twitter“, wovon 20 % ältere Menschen diskriminierten, abwerteten oder verspotteten. Andererseits scheint, entgegen dieser Befürchtungen, die Pandemie nicht in besonderem Maße ein Treiber von erlebter Altersdiskriminierung zu sein (Wettstein und Nowossadeck 2021). Die im Sommer 2020 durchgeführte DEAS-Kurzbefragung zu coronabedingten Veränderungen ergab, dass bei den über 80-Jährigen der Anteil derjenigen, die angaben, aufgrund Ihres Alters benachteiligt worden zu sein, bei nur 5 % lag.

Die Coronapandemie hat aus teilweise unterschiedlichen Gründen (z. B. Kontaktbeschränkungen, Existenzängste, Mehrfachbelastungen) bei vielen Menschen zu einer geringeren subjektiven Lebenszufriedenheit geführt (Brandt et al. 2021; Grates et al. 2021) und Studien berichten, dass seit Beginn der Pandemie mehr Menschen an Depressionen erkranken (Arpino et al. 2021; Bäuerle et al. 2020; Krendl und Perry 2021). Dagegen berichten andere Studien, dass die Lebenszufriedenheit (vgl. Entringer et al. 2020) und die psychische Gesundheit einigermaßen stabil geblieben seien (z. B. Vahia et al. 2020; van Tilburg et al. 2020). Trotz der hohen Resilienz, die älteren Menschen auch mit Blick auf die Coronapandemie attestiert wird (Fuller und Huseth-Zosel 2021; Gerhold 2020), ist das Wohlbefinden seit Beginn der Pandemie gesunken (Macdonald und Hülür 2021; Zacher und Rudolph 2021). Heimbewohner:innen sind von den Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie besonders betroffen, beispielsweise durch strikte Besuchsverbote. Darüber hinaus wird befürchtet, dass insbesondere Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen, die in ihren Teilhabemöglichkeiten in besonderer Weise auf eine nicht-verbale Kommunikation und körperliche Nähe angewiesen sind, in stärkerem Maße auch unter allgemeineren Schutzmaßnahmen wie Social Distancing und Maskenpflicht leiden. Eine niederländische Studie (van der Roest et al. 2020) mit Bewohner:innen aus Pflegeheimen oder Wohneinrichtungen zeigte deutliche Einbußen im Wohlbefinden.

Veröffentlichungen zu Konsequenzen der Pandemie für weitere Lebensbereiche wie beispielsweise die Einstellung älterer Menschen zu Sterben und Tod stehen gegenwärtig noch weitgehend aus. Es kann angenommen werden, dass die Präsenz des Themas einer coronabedingt erhöhten Mortalität in der Gruppe der älteren Menschen und die Konfrontation mit Erkrankung und Tod im sozialen Umfeld auch die Einstellung insbesondere hochaltriger Menschen zum eigenen Sterben und Tod beeinflussen. Eine COVID-19-Studie von Heid et al. (2020) in den USA im Zeitraum von März 2020 bis Mai 2020 berichtete, dass Erfahrungen mit dem Tod als lediglich nachgeordneter Stressfaktor angesehen wurden. Dabei bezogen sich diese Erfahrungen hauptsächlich auf den Verlust von Partner:in oder Freund:innen beziehungsweise auf den Umgang mit Beerdigungen von nahestehenden Personen. Veränderte Sichtweisen auf das eigene Sterben werden von den Befragten dagegen nicht thematisiert. Sheffler et al. (2021) vermuten ein erhöhtes Suizidrisiko im höheren Alter als Folge einer mit den getroffenen Maßnahmen zur Eindämmung der Coronapandemie einhergehenden gestiegenen sozialen Isolation.

In Krisenzeiten sind das nahe soziale Umfeld und die gegenseitige Unterstützung von Nachbar:innen besonders wichtig (Aldrich und Meyer 2015) und tragen zum Wohlbefinden bei (Ludwig et al. 2012). Vertrauen in die Nachbarschaft spielt dabei eine große Rolle. Die Coronapandemie hat nachbarschaftliche Beziehungen oder das Vertrauen in die Nachbarschaft möglicherweise verändert. Aufgrund der hohen Infektionsgefahr haben manche Personen nachbarschaftliche Unterstützung vielleicht eingestellt, andere wiederum leisten oder erhalten vielleicht gerade in dieser Zeit der Krise mehr Unterstützung. Eine Pilotstudie der TU Dortmund hat die nachbarschaftliche Unterstützung vor und während der Coronapandemie untersucht: „Von den Befragten, die ihre Nachbar:innen vor Ausbreitung von COVID-19 regelmäßig unterstützt haben, helfen 37 % seit Ausbreitung des Virus genauso häufig wie zuvor, 21 % helfen häufiger, 30 % helfen seltener als vorher und 12 % helfen gar nicht mehr“ (Grates et al. 2021, S. 19 f.). Die Nachbarschaftshilfe war laut einer Studie von Kurtenbach et al. (2021) besonders hoch bei Personen, die vor der Krise schon ein hohes Vertrauen in die Nachbarschaft hatten. Eine Studie von Zangger (2021) zeigte einen positiven Einfluss von besseren nachbarschaftlichen Beziehungen auf subjektives Wohlbefinden und Vertrauen in Andere. Robinette et al. (2021) konnten zeigen, dass nachbarschaftlicher Zusammenhalt mit weniger depressiven Symptomen assoziiert war.

Es besteht weiterhin ein Bedarf an verlässlichen Zahlen zur Betroffenheit sehr alter Menschen durch die Erkrankung selbst oder individuell erfahrene besondere Schutzmaßnahmen wie Quarantäne oder Besuchsverbote und deren Konsequenzen für verschiedene Lebensbereiche. Es darf angenommen werden, dass viele sehr alte Menschen mit Blick auf bestimmte Ressourcenlagen (z. B. Unterstützungsbedarf, soziale Teilhabe) durch die sozialen und gesundheitlichen Konsequenzen der Hochaltrigkeit (Baltes und Smith 2003) ohnehin ein hohes Ausmaß an Anpassungsleistungen erbringen müssen. Es ist darum von besonderer Bedeutung herauszuarbeiten, inwiefern pandemiebedingte Einschränkungen in diesem Bevölkerungssegment bei schlechteren Ressourcenlagen zu einer deutlicheren Verschärfung von Risikolagen für die Lebensqualität im sehr hohen Alter beitragen (Jopp und Leipold 2004). Schließlich fehlen auch Befunde zu möglichen positiven Veränderungen im Zuge der Pandemie und zur Rolle individueller Ressourcen für die Bewältigung der im Zusammenhang mit der Pandemie erfahrenen Verluste.

Ziel

Der vorliegende Kurzbericht beschreibt auf der Grundlage eines repräsentativen Samples sehr alter Menschen inwiefern hochaltrige Menschen unmittelbar und mittelbar durch die Coronapandemie betroffen sind, welche Veränderungen sich in verschiedenen Lebensbereichen hieraus ergeben, und wie diese Veränderungen subjektiv bewertet werden.

Ergebnisse

Die Ergebnisse dieses Berichtes basieren auf folgenden Fallzahlen für die dargestellten Subgruppen hochaltriger Menschen in Deutschland: Männer (n = 3932, 37,9 %), Frauen (n = 6440, 62,1 %); 80–84 Jahre (n = 6123, 59 %), 85–89 Jahre (n = 2793, 26,9 %), 90 Jahre und älter (n = 1456, 14,1 %); Bildung hoch (n = 1682, 16,8 %), mittel (n = 5935, 59,2 %), niedrig (n = 2402, 24,0 %); Privathaushalt (n = 9324, 89,9 %), Heim (n = 1048, 10,1 %); West (n = 8095, 78 %), Ost (n = 2277, 22 %).

Eigene COVID-19-Erkrankung

Insgesamt 5 % der Über-80-Jährigen berichtet von einer eigenen Erkrankung. Insbesondere Frauen, Personen in älteren Altersgruppen und Heimbewohner:innen sind häufiger erkrankt.

Die durch das Coronavirus ausgelöste COVID-19-Erkrankung zeichnet sich unter anderem dadurch aus, dass sie auch ohne erkennbare Symptome verlaufen kann. Eine Einschätzung, ob man selbst erkrankt ist oder war, kann jenseits von Ergebnissen aus (Selbst-)Tests darum nur schwer gegeben werden.

Auf die Frage „Waren oder sind Sie selbst durch das Coronavirus an COVID-19 erkrankt?“ geben 3,1 % der Hochaltrigen an, dass sie an Corona erkrankt waren, zwischenzeitlich jedoch wieder genesen sind. Zum Zeitpunkt der Befragung sind daneben jedoch 1,9 % aktuell an Corona erkrankt (s. Abb. 2).

Abb. 2
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Selbstberichtete eigene COVID-19-Erkrankung

Die geschätzte Inzidenz für eine Erkrankung mit COVID-19 beträgt demnach über den gesamten betrachteten Zeitraum der Pandemie 5,0 %. Die Statistik des Robert Koch Instituts (RKI) berichtet für die Gruppe der 80-Jährigen und Älteren im Bundesgebiet bis Ende des Untersuchungszeitraumes (April 2021, KW16) insgesamt 277.121 Erkrankte (Robert Koch-Institut 2021). Bezogen auf den Stand der Hochaltrigenbevölkerung Deutschlands Ende 2020 von 5.936.434 Personen (Statistisches Bundesamt 2021) entspräche das knapp 4,7 %. Die aus der Hochaltrigenstudie D80+ geschätzten Zahlen liegen damit etwas über der Erwartung aus den Meldungen an die Gesundheitsämter. Selbstverständlich ist die Generalisierbarkeit solcher Inzidenzschätzungen aus einer schriftlichen Umfrage stark eingeschränkt, und einer Unterschätzung aufgrund von bereits an Corona verstorbenen Hochaltrigen stehen wahrscheinlich Überschätzungen durch mangelnde Abklärung von Corona-Symptomen der Teilnehmenden entgegen. Darüber hinaus ist zu konstatieren, dass ein großer Teil von Befragten (29,4 %) im Fragebogen überhaupt keine Angabe zu einer (möglichen) eigenen Erkrankung gemacht hat.

Bezüglich der berichteten Erkrankungsrate werden signifikante Unterschiede nach Geschlecht und Altersgruppe, sowie nach Wohnform beobachtet (s. Abb. 3). Das Erkrankungsrisiko steigt mit dem Alter an. So sind Personen im Alter von 90 Jahren und älter ungefähr doppelt so häufig von einer Corona-Erkrankung betroffen wie Personen im Alter zwischen 80 und 84 Jahren. Dieser Alterstrend unterscheidet sich für Männer und Frauen stark: während sich die Anteile erkrankter Männer über die Altersgruppen hinweg kaum verändern, zeigt sich bei den Frauen ein deutlicher Altersgradient (4,1 %, 6,2 % und 9,5 %, ohne Abbildung). Deutlich unterschiedlich sind auch die Erkrankungsraten in Privathaushalten und Heimen: während lediglich 3,6 % der privatwohnenden Personen eine Erkrankung berichten, ist es in Heimen nahezu jede fünfte Person (19,2 %). Keine Hinweise auf signifikante Unterschiede in der Erkrankungsrate finden sich dagegen zwischen Personen aus ost- und westdeutschen Bundesgebieten oder zwischen Personen mit unterschiedlichem Bildungsstand. Eine Studie über die Erkrankungen in der 1. Welle in Deutschland hat gezeigt, dass Wohlstand und die Erkrankungsrate positiv miteinander assoziiert waren (Plümper und Neumayer 2020). Dies war in der zweiten Welle nicht mehr der Fall. Als möglicher Grund für die Assoziation in der ersten Welle wurde die Ausbreitung des Virus durch Skitourismus genannt, der hauptsächlich von wohlhabenderen Menschen gelebt wird. In der zweiten Welle verschwindet dieser Effekt, da wohlhabende Menschen es einfacher finden, sich zu schützen.

Abb. 3
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Erkrankungsraten nach soziodemografischen Hintergrundvariablen

Neben den zuvor berichteten Unterschieden in bekannten Erkrankungen, zeigen sich jedoch auch Unterschiede mit Blick auf die Unsicherheit, eventuell unerkannt akut erkrankt zu sein. Lediglich ein kleiner Teil aller Befragten (1,2 %) schließt eine aktuelle Erkrankung aus (s. Abb. 2). Mehr als 9 von 10 Befragten (93,8 %) können dagegen eine aktuelle Erkrankung weder bestätigen, noch ausschließen („weiß nicht“). Dieses hohe Ausmaß an Unsicherheit kann zum Zeitpunkt der Befragungen (November 2020 – April 2021) auch auf die damals erst in geringem Umfang zur Verfügung stehenden Testmöglichkeiten zurückgeführt werden. Die subjektive Unsicherheit mit Blick auf eine eigene Erkrankung war in Pflegeheimen, in denen früher entsprechende Testmaßnahmen umgesetzt wurden, signifikant geringer als in Privathaushalten (77,6 % vs. 95,5 %).

Erkrankungen im Umfeld hochaltriger Menschen

Jeder vierte hochaltrige Mensch berichtet von Corona-Erkrankungen im sozialen Umfeld.

Informationen zur Erkrankung von Personen aus dem Umfeld der befragten Personen liegen lediglich für den kleineren Teil der zurückerhaltenen schriftlichen Fragebögen vor (58,7 % machten keine Angabe).

Insgesamt geben 25,7 % aller Hochaltrigen an, dass Menschen in Ihrem sozialen Umfeld an Corona erkrankt (18,2 %) oder gar mit Corona verstorben sind (7,5 %). In der Gesamtgruppe hochaltriger Menschen berichten 1,5 % von erkrankten (Ehe)Partner:innen (s. Abb. 4). Vergleichbar häufig (1,6 %) wird berichtet, dass (Ehe)Partner:innen mit Corona verstorben sind. Nach Geschlecht, Altersgruppe, Bildung, Heimzugehörigkeit oder Ost-West zeigen sich dabei kaum statistisch überzufällige Unterschiede in den Erkrankungs- und Versterbensquoten.

Abb. 4
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COVID-19-Erkrankungen und mit COVID-19 verstorbene (Ehe) Partner:innen nach soziodemografischen Merkmalen der Befragten

Nur in der Gruppe der jüngsten Befragten (80–84 Jahre) ist der berichtete Anteil von erkrankten (Ehe)Partner:innen signifikant höher als in der ältesten Altersgruppe (1,7 % vs. 0,2 %), was sicherlich auch auf die unterschiedlichen Partnerschaftsverhältnisse in diesen Gruppen zurückzuführen ist (Abb. 4).

Im weiteren familiären Umfeld berichten 12,6 % der Hochaltrigen von Erkrankungen, während 1,7 % der Hochaltrigen berichten, dass jemand in ihrem familiären Umfeld gestorben ist (s. Abb. 5). Dabei zeigen sich keine Hinweise auf substanzielle Unterschiede nach Alter, Geschlecht, Bildung, Wohnform oder Ost-West.

Abb. 5
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COVID-19-Erkrankungen und mit COVID-19 verstorbene Personen im familiären Umfeld nach sozio-demografischen Merkmalen der Befragten

Angaben zu Erkrankungen im Freundes- und Bekanntenkreis sind mit 10,1 % ähnlich (s. Abb. 6). Jedoch ist der Prozentsatz der Hochaltrigen, die angeben, dass in ihrem Freundes- oder Bekanntenkreis jemand mit Corona verstorben ist, mit 6,0 % deutlich höher. Hochaltrige aus der jüngsten Altersgruppe (80–84 Jahre) berichten signifikant häufiger über Erkrankungen und coronabedingte Todesfälle im Freundes- oder Bekanntenkreis als ältere Befragte. Eine mögliche Erklärung hierfür könnte in der über Altersgruppen hinweg abnehmenden Netzwerkgröße gesehen werden. Mit Blick auf Bildung zeigt sich dagegen ein weiterer auffälliger Befund: Personen mit höherer Bildung berichten signifikant häufiger über Erkrankungen und Todesfälle in ihrem Freundes- und Bekanntenkreis als Personen mit geringerem Bildungsniveau. Dieses Ergebnis bleibt bestehen, nachdem für die durchschnittlich größeren sozialen Netzwerke höher gebildeter Personen kontrolliert wurde.

Abb. 6
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COVID-19-Erkrankungen und mit COVID-19 verstorbene Personen im Freundes- und Bekanntenkreis nach soziodemografischen Merkmalen der Befragten

Erfahrungen mit Schutzmaßnahmen

Ältere Personen und Heimbewohner:innen geben öfter an, durch Schutzmaßnahmen betroffen zu sein.

„Waren Sie von einer oder mehreren der nachfolgenden Schutzmaßnahmen betroffen?“

Angaben zu Erfahrungen mit Quarantäne werden von 89 % mit nein beantwortet, d. h. sie waren nicht von Quarantäne betroffen. 34 % hingegen geben an, durch ein Besuchsverbot betroffen gewesen zu sein. Zudem geben 2,5 % an, durch sonstige Schutzmaßnahmen betroffen gewesen zu sein. Der Anteil von durch Quarantänemaßnahmen betroffenen Hochaltrigen nimmt über die Altersgruppen hinweg zu (39,8 %, 41,2 % und 63,7 %) und ist in Heimen deutlich höher als in Privathaushalten (61,5 % vs. 39,0 %).

Bezüglich des Kontakt- und Besuchsverbots, geben 68,6 % an, betroffen zu sein. Auch hier können Unterschiede insbesondere in der ältesten Altersgruppe (67,2 %, 64,6 %, 83,8 %) und zwischen Privathaushalten und Institutionen (67,6 % vs. 73,0 %) beobachtet werden. Aufgrund der in diesem Erhebungsbereich deutlich reduzierten Fallzahl können die beobachteten Unterschiede jedoch nicht zuverlässig auch statistisch abgesichert werden.

Daneben wurden Erfahrungen mit sonstigen Schutzmaßnahmen offen erfragt. 2,5 % der Personen machen mindestens eine Angabe hierzu. Die Angaben wurden inhaltlich analysiert und Antworten kategorisiert. 24,7 % der offenen Angaben beziehen sich auf die Maskenpflicht und 22,8 % auf Einschränkungen des öffentlichen Lebens. 16 % der Angaben betreffen die AHA-Regeln, 13,8 % die Ausgangssperre, 11,4 % Reisebeschränkungen. Zudem werden die Corona-Impfung (6,3 %) und Corona-Tests (5 %) genannt. Diese Angaben wurden aufgeführt, ohne dass an dieser Stelle eine persönliche Bewertung vorgenommen wurde.

Erfahrungen mit der Coronapandemie generell

Das Thema „Sozialer Zusammenhalt“ ist nach Kontaktbeschränkungen in den Schilderungen der Erfahrungen das zweitwichtigste Thema der Hochaltrigen.

„Welche Erfahrungen haben Sie im Zusammenhang mit der Coronapandemie gemacht?“

Abschließend wurde offen nach den Erfahrungen, die im Zusammenhang mit der Coronapandemie gemacht wurden, gefragt. Insgesamt machen 33,2 % der hochaltrigen Personen wenigstens eine Angabe zu spezifischen Erfahrungen im Zusammenhang mit der Pandemie. Die Antworten wurden inhaltsanalytisch aufbereitet und insgesamt 65 Kategorien zugeordnet. Die am häufigsten berichteten Erfahrungen beziehen sich auf die übergeordneten Themen: Kontaktbeschränkungen (21,7 %), sozialer Zusammenhalt (13,4 %), Einschränkungen (13,3 %) und sozioemotionale Konsequenzen (12,3 %). Weitere Themen, die mindestens 2 % aller Nennungen ausmachen sind: Individuelle Einstellung zu und Befolgung von Maßnahmen (7,2 %), Bewältigungsstrategien (5,3 %), Maskenpflicht (4,8 %), Politisches Handeln (3,8 %), Umsetzung der Pandemiemaßnahmen (3,1 %), Reisebeschränkungen (2,9 %), Gesundheitliche Versorgung (2,5 %), Einschränkungen in Autonomie (2,3 %) und Mediale Berichterstattung (2 %) (s. Abb. 7). Innerhalb der Themenbereiche wurden sowohl negative als auch positive Erfahrungen berichtet. Prototypisch für negative Erfahrungen im Zusammenhang mit Kontaktbeschränkungen ist beispielsweise die Angabe: „Ich habe es bedauert, dass meine Enkel- und Urenkelkinder mich nicht so oft besuchen kommen können“. In diesem Bereich wurden deutlich häufiger negative Erfahrungen (48,4 %) als positive Aussagen (0,23 %) gemacht. Hochaltrige Personen berichten sowohl weniger (55,8 %) als auch mehr (38,8 %) sozialen Zusammenhalt. Für das Thema „weniger Zusammenhalt/Rücksichtslosigkeit“ sind Angaben wie „Mir ist mal wieder bewusst geworden, wie rücksichtslos und egoistisch sich ein großer Teil meiner Mitmenschen verhalten hat!“ prototypisch. Mehr Zusammenhalt/Unterstützung wurde in Aussagen wie beispielsweise folgender geäußert: „Bekannte, Freunde und Verwandte wurden hilfsbereiter.

Abb. 7
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Erfahrungen im Zusammenhang mit der Coronapandemie

Das Thema „Einschränkungen“ beispielsweise beinhaltet ebenso sowohl positive Bewertungen (Erleichterung durch Einschränkungen, z. B. durch weniger Verpflichtungen) als auch negative Bewertungen (Belastung durch Einschränkungen, z. B. „Mir fehlt sehr mein Singen im Chor und meine Gymnastik mit meinen Turnschwestern“), wobei Belastungen durch Einschränkungen mit 36,1 % den Entlastungen mit 3,8 % überwiegen. Unter „sozioemotionale Konsequenzen“ wurden beispielsweise Angst, Unsicherheit, Sorge oder Einsamkeitsgefühle geäußert („Man fühlt sich unsicher! Und hilflos. Man wartet einfach nur ab, wann es besser wird“); der Großteil ist negativ konnotiert, wohingegen 8,9 % positive Angaben machen, z. B. zu Hoffnung auf Impfstoff.

Diese Ergebnisse zeigen, dass die Erfahrungen mit der Coronapandemie sehr heterogen sind und sowohl positive als auch negative Erfahrungen gemacht wurden. Manche erfahren mehr soziale Unterstützung und manche erfahren das Gegenteil. Einige ältere Personen verspüren Angst und Hilflosigkeit; es gibt aber auch diejenigen, die berichten durch spezifische Bewältigungsmechanismen ihr Wohlbefinden aufrecht zu erhalten („Da das alles durch Corona nicht möglich ist, habe ich mir eine Gym.-Matte gekauft und mache täglich 3x15 Min Gymnastik […]. So erhalte ich meine Gesundheit u. Lebensfreude. […]“).

Wahrgenommene Auswirkungen des Pandemiegeschehens auf verschiedene Lebensbereiche hochaltriger Menschen

Übersicht

Vier von fünf Personen sind in ihren privaten Kontakten von den Auswirkungen der Coronapandemie betroffen.

Jede:r vierte hochaltrige Onliner berichtet über Veränderungen in der eigenen Nutzung des Internet durch die Coronapandemie.

Erkrankungen von (Ehe)Partner:innen gehen auch für die befragten Hochaltrigen selbst mit deutlichen Veränderungen im Bereich eigene Gesundheit und in der Beschäftigung mit dem Thema Sterben und Tod einher.

Mit der Coronapandemie gehen für die befragten Hochaltrigen mitunter substanzielle Veränderungen in vielen Lebensbereichen einher (s. Abb. 8). Über die Hälfte der Befragten berichtet wenigstens geringe Veränderungen mit Blick auf private Kontakte, das erlebte Verhältnis zur Gesellschaft, Alltagsgestaltung und Freizeit, Wohlbefinden oder die gedankliche Beschäftigung mit Fragen zu Sterben und Tod. Auf der anderen Seite beschreiben mehr als jeweils 3 von 4 Befragten ihre Gesundheit, finanzielle Situation oder die Haushaltszusammensetzung als unverändert. Die durchschnittlich insgesamt stärkste subjektiv erlebte Veränderung wird in den Bereichen private Kontakte, Alltagsgestaltung und Freizeit, Entfremdung von der Gesellschaft und Wohlbefinden berichtet. Der Anteil von hochaltrigen Menschen, die angeben das Internet in den vergangenen 12 Monaten genutzt zu haben (Onliner), beträgt zum Zeitpunkt der Befragung 28,4 %. In dieser Gruppe von älteren Onlinern berichten insgesamt 23,5 %, dass sich ihre Internetnutzung durch die Coronapandemie verändert hat. Zu welchem Anteil hier sehr alte Menschen bedingt durch die Coronapandemie neu begonnen haben, das Internet zu nutzen, kann aus diesen Zahlen jedoch leider nicht abgeschätzt werden. Die berichteten Veränderungen können sich daneben u. a. auch auf eine Intensivierung der Nutzung bekannter Angebote (z. B. Kommunikation, Information) oder eine Verschiebung auf andere Angebote (z. B. Versorgungsangebote) beziehen. Andere Studien berichten von erhöhter Nutzung während der Coronapandemie (Kortmann et al. 2021). Nahezu zwei Drittel der Befragten berichten von wenigstens geringen Erfahrungen von Entfremdung von der Gesellschaft („Haben Sie das Gefühl, dass die Coronapandemie Sie von der Gesellschaft entfremdet hat?“). In den weiteren Fragen, die veränderten Lebensbereiche zu bewerten, werden Veränderungen dagegen von den Hochaltrigen nicht immer auch als ausschließlich negativ wahrgenommen.

Abb. 8
figure 8

Ausmaß erlebter Veränderung in verschiedenen Lebensbereichen durch die Coronapandemie

Im Bereich privater Kontakte, in dem von vielen Befragten vergleichsweise starke Veränderungen berichtet werden, sind diese subjektiven Veränderungen für die meisten befragten hochaltrigen Menschen überwiegend negativ (s. Abb. 9). In vielen anderen Lebensbereichen werden die Veränderungen durch die Coronapandemie dagegen von den meisten Befragten als insgesamt ausgeglichen bewertet. Insbesondere mit Blick auf die Nutzung des Internets, das Vertrauen in die Nachbarschaft, die erfahrene Wertschätzung durch die Gesellschaft und Veränderungen in der Haushaltszusammensetzung werden die coronabedingten Veränderungen jedoch von einem substanziellen Teil der Befragten (9 % bis 14,8 %) als überwiegend positiv eingeschätzt. Solchen möglichen subjektiven Gewinnen im Zuge der außergewöhnlichen Pandemiezeit steht jedoch in jedem Fall ein mindestens ebenso großer, häufig aber viel größerer Anteil sehr alter Menschen entgegen, der die erfahrenen Entwicklungen als überwiegend negativ beurteilt. Der durchweg hohe Anteil von Personen, die zwar Veränderungen berichten, für die sich dabei jedoch positive und negative Aspekte annähernd die Waage halten, spricht einerseits für die vielfältigen und mitunter gegenläufigen Konsequenzen des Pandemiegeschehens auf der Ebene der erfragten übergeordneten Lebensbereiche. So mag es auf der einen Seite vielleicht zu finanziellen Einschränkungen (z. B. durch Wegfall von geringfügigen Beschäftigungen) gekommen sein, während andererseits auch Möglichkeiten des Konsums oder der Mobilität zeitweise deutlich eingeschränkt waren. Anderseits können die Befunde auf ein hohes Maß an Alltagsbewältigung und Resilienz von sehr alten Menschen hinweisen, um auch unter erschwerten Bedingungen eine emotional möglichst ausgeglichene Lebensführung zu erhalten. Mögliche Auswirkungen pandemiebezogener Veränderungen auf übergeordnete Maße der Lebenszufriedenheit werden im Abschn. „Fazit“ detailliert beschrieben.

Abb. 9
figure 9

Qualität der erlebten Veränderungen durch die Coronapandemie

In der Gesamtbetrachtung der über verschiedene Aspekte der Lebensbereiche hinweg erfahrenen coronabedingten Änderungen („Hat sich durch die Coronapandemie ein bestimmter Lebensbereich verändert?“) zeigen sich mitunter deutliche Unterschiede zwischen Subgruppen sehr alter Menschen (s. Abb. 10, links). Frauen, „jüngere“ Hochaltrige und in einem Heim wohnende Personen berichten ein signifikant höheres Ausmaß von Veränderungen durch die Coronapandemie. Ein ähnliches Bild zeigt sich auch mit Blick auf die Gesamtbewertung der über Lebensbereiche hinweg erfahrenen Veränderungen („Wie positiv oder negativ waren diese Veränderungen?“; s. Abb. 10, rechts): Personen in Privathaushalten bewerten die Veränderungen als etwas weniger negativ als Personen in Heimen.

Abb. 10
figure 10

Wahrgenommenes Ausmaß coronabedingter Veränderungen und wahrgenommene Qualität dieser Veränderungen über alle Lebensbereiche hinweg nach Hintergrundmerkmalen. (M = Männer; F = Frauen)

Frauen bewerten Veränderungen im Mittel schlechter als Männer, und das trifft in besonderem Maße auf die ältesten befragten Frauen (90+, F) zu, während sich bei den Männern keine deutlichen Altersgruppenunterschiede zeigen (Interaktionseffekt von Alter und Geschlecht). Die negativeren Bewertungen durch Heimbewohner sind möglicherweise auf stärkere Einschränkungen durch Vorgaben und Einschränkungen der Heime zurückzuführen. Das höhere Ausmaß und die negativere Bewertung der subjektiven Veränderungen durch Frauen könnte dadurch bedingt sein, dass Frauen im hohen Alter seltener einen Partner haben als Männer und aktiver externe Kontakte pflegen und Unternehmungen machen, und somit auch stärker eine Veränderung spüren.

Im Folgenden wird dargestellt, ob Personen, die durch eine eigene Erkrankung oder Erkrankungen im sozialen Umfeld stärker von der Pandemie betroffen waren, andere Auswirkungen auf Lebensbereiche berichten als Personen, die zwar von den allgemeinen Maßnahmen, nicht jedoch durch das Infektionsgeschehen selbst betroffen waren. Hierzu werden das mittlere Ausmaß und die wahrgenommene Qualität erlebter Veränderung für folgende Subgruppen differenziert dargestellt:

  1. 1.

    Personen, die selbst an Corona erkrankt sind oder waren versus nicht selbst erkrankte Personen.

  2. 2.

    Personen, deren Partner:in an Corona erkrankt oder gar mit Corona verstorben ist versus Personen, die keinen entsprechenden Erkrankungen/Verluste berichten.

  3. 3.

    Personen, die von Corona Erkrankungen oder Todesfällen durch Corona im familiären Umfeld oder Freundes-Bekanntenkreis berichten versus solche, die keine solchen Erkrankungen/Verluste berichten. Im Gegensatz zur Darstellung der Betroffenheit nach Hintergrundmerkmalen in Kap. „Einleitung“ wird hier nun nicht mehr zwischen dem weiteren familiären Umfeld und Freundes-Bekanntenkreis differenziert. Der Anteil hochaltriger Menschen mit Erkrankungen in diesen Personengruppen beträgt insgesamt 18,6 %, während insgesamt 6,9 % der befragten Hochaltrigen Todesfälle in diesen Personengruppen berichten.

Erwartungsgemäß berichten Personen, die selbst an COVID-19 erkrankt waren, deutlich größere Veränderungen in den Lebensbereichen Gesundheit, Alltags- und Freizeitgestaltung, und Wohlbefinden als Personen ohne eigene Erkrankung (s. Abb. 11). Die Veränderungen in privaten Kontakten dagegen werden von Erkrankten zwar auch als etwas stärker angegeben; hier werden durchschnittlich aber auch von Nicht-Erkrankten bereits starke Veränderungen durch die Coronapandemie berichtet. Eine eigene Erkrankung führt nach diesen Analysen jedoch nicht zu spezifischen (zusätzlichen) Veränderungen in den Bereichen finanzielle Situation, Internetnutzung, oder Entfremdung von der Gesellschaft.

Abb. 11
figure 11

Veränderungen durch die Coronapandemie in Abhängigkeit von eigener Erkrankung und Erkrankungen im Umfeld. 1 = überhaupt nicht, 2 = ein wenig, 3 = mäßig

Auch eine Erkrankung von Ehepartner:innen mit COVID-19 führt zu mitunter deutlich größeren Veränderungen im Leben sehr alter Menschen, als es die für alle Personen in vergleichbarer Weise geltenden coronabedingten Maßnahmen und Umstände tun. Interessant ist dabei, dass eine Erkrankung von dem oder der Partner:in in vielen Bereichen vergleichbar große (s. Vertrauen in die Nachbarschaft) oder sogar größere Veränderungen bedeutet als dessen oder deren Versterben mit COVID-19. So zeigen sich beispielsweise in der Alltagsgestaltung, mit Blick auf die Beschäftigung mit dem eigenen Tod und Sterben, die eigene Gesundheit oder der wahrgenommenen Wertschätzung durch die Gesellschaft die größten subjektiven Veränderungen dann, wenn ein Partner an Corona erkrankt, aber nicht verstorben ist. Umgekehrt werden nur bezüglich der finanziellen Situation die stärksten Veränderungen von Personen berichtet, dessen oder deren Partner:in mit COVID-19 verstorben ist. Bei differenzierter Betrachtung zeigt sich, dass die Qualität finanzieller Veränderungen bei Versterben von Ehepartner:innen zwar überwiegend negativ ist (54,7 %), dass umgekehrt aber von vielen Befragten selbst bei solchen einschneidenden Veränderungen nicht nur negative Konsequenzen gesehen werden (nicht abgebildet). Bemerkenswert scheint auch zu sein, dass Personen, die coronabedingt ihre:n (Ehe)Partner:in verloren hatten, durchschnittlich sogar etwas geringere Veränderungen bei den privaten Kontakten angeben, als Personen ohne einen solchen Verlust. Eine mögliche Erklärung könnte darin gesehen werden, dass Personen, deren Partner:innen ein erhöhtes Mortalitätsrisiko aufweisen (z. B. häusliche Pflege), wahrscheinlich ohnehin eine geringere soziale Eingebundenheit aufweisen.

Erwartungsgemäß sind die wahrgenommenen Auswirkungen auf die eigenen Lebensbereiche bei Erkrankungen und Todesfällen im erweiterten familiären oder sozialen Umfeld geringer. Insbesondere gehen in dieser Gruppe von indirekt betroffenen Personen über alle Lebensbereiche hinweg mit einem Versterben die stärksten Veränderungen einher, während Erkrankungen in dieser Gruppe distalerer Kontakte (z. B. mit Blick auf die eigene Wertschätzung durch die Gesellschaft oder Gedanken zu Sterben und Tod) weniger Einfluss auf die eigenen Lebensbereiche im hohen Alter zu nehmen scheinen.

Wahrgenommene Auswirkungen des Pandemiegeschehens auf die Lebensqualität

Übersicht

Die wahrgenommenen Veränderungen der Coronapandemie werden von hochaltrigen Menschen in vielen Lebensbereichen als Belastung erlebt.

Wie stark wahrgenommene coronabedingte Veränderungen der eigenen Gesundheit die allgemeine Lebenszufriedenheit beeinträchtigen, hängt auch vom Niveau der subjektiven Gesundheit ab. Erfahren Personen mit besserer Gesundheit coronabedingt Gesundheitseinbußen, dann sinkt deren Zufriedenheit stärker.

Erste Hinweise auf Konsequenzen der Coronapandemie für die Lebensqualität sehr alter Menschen wurden bereits in den Ausführungen zu veränderten Lebensbereichen und der Qualität der berichteten Veränderungen dargestellt. Über alle Lebensbereiche hinweg werden die erfahrenen Veränderungen mit der Pandemie von einem substanziellen Anteil von Personen als überwiegend negativ bewertet (s. Abb. 9). Die Mehrzahl aller hochaltrigen Menschen (62 %) berichtet von pandemiebedingten Veränderungen mit Blick auf ihr Wohlbefinden (s. Abb. 8). Nur sehr wenige Personen berichten von überwiegend gesteigertem Wohlbefinden (s. Abb. 9). Sowohl für eine eigene Infizierung mit dem SARS-COV-2-Virus, als auch Erkrankungen und Todesfälle von Partner:innen oder im familiären Umfeld und Bekanntenkreis konnten stärkere Veränderungen der Lebensbereiche, und damit verbunden stärkere Beeinträchtigungen des Lebensbereiches Wohlbefinden nachgewiesen werden.

Es kann angenommen werden, dass sowohl das Ausmaß erlebter Veränderungen durch die Pandemie, als auch die subjektive Qualität solcher Veränderungen unterschiedlich ausfallen, je nachdem ob ein hohes oder (ohnehin bereits) geringeres Niveau von Ressourcen verfügbar sind. Abschließend wird darum das erlebte Ausmaß pandemiebedingter Veränderungen in verschiedenen Lebensbereichen mit dem aktuellen Niveau konkreter Ressourcen abgeglichen (Zusammenhangsanalyse) um Hinweise auf besondere Risikokonstellationen für Lebensqualität in Zeiten der Coronapandemie zu erhalten. In diesem Bericht werden hierfür exemplarisch die Bereiche private Kontakte und Gesundheit herausgegriffen, für die einerseits im Populationssegment der Hochaltrigkeit besondere Vulnerabilitäten beschrieben wurden (Tesch-Römer und Wurm 2009). Andererseits ergaben sich für viele befragte Personen in diesen Bereichen auch deutliche Veränderungen sowohl durch die allgemeinen Umstände der Pandemie (z. B. Social Distancing, Priorisierung medizinischer Notfallversorgung), als auch mit Blick auf (eigene) Erkrankungen und den Verlust von nahestehenden Personen. Als Marker für die subjektiv bewertete Lebensqualität wird dabei die 11-stufig erhobene allgemeine Lebenszufriedenheit (ALZ) verwendet.

Nicht nur wegen eines eingeschränkten Zugangs zu Versorgung, sondern auch durch eine reduzierte körperliche Aktivität kann es in der Coronapandemie zu einer Verschlechterung der körperlichen Gesundheit kommen. Eine Studie des Deutschen Zentrums für Altersfragen (Nowossadeck et al. 2021) berichtet, dass die körperliche Aktivität von Menschen in der zweiten Lebenshälfte durch die Pandemie eingeschränkt war. Unzureichende körperliche Aktivität und erhöhte Sitzzeiten erhöhen das Mortalitätsrisiko sowie das Risiko kardiovaskulärer Erkrankungen, Obesitas, Diabetes, Osteoporose, Depressionen und anderer Erkrankungen (vgl. Cunningham et al. 2020; World Health Organization [WHO] 2010). Zudem nimmt die Muskelkraft ab und erhöht die Sturzgefahr. Mete (2021) berichtet eine Erhöhung der Gebrechlichkeit älterer Menschen nach den ersten sechs Monaten der Coronapandemie.

Wie das Zusammenspiel von pandemiebedingten Veränderungen im Bereich Gesundheit und dem aktuellen Gesundheitszustand die allgemeine Lebenszufriedenheit mitbestimmt, wurde über ein multiples Vorhersagemodell geprüft. Der Effekt, den pandemiebedingte Veränderungen in der eigenen Gesundheit auf die allgemeine Lebenszufriedenheit hatten, war danach signifikant vom Niveau der subjektiven Gesundheit abhängig. In Abb. 12 ist dieser Zusammenhang grafisch dargestellt: Das berichtete Niveau an Allgemeiner Lebenszufriedenheit ist in der Gruppe der Hochaltrigen auch zu Pandemiezeiten recht hoch (im Mittel 7,2 Punkte auf einer Skala von 0 = vollkommen unzufrieden bis 10 = vollkommen zufrieden). Mit steigendem Ausmaß coronabedingter Veränderungen im Bereich Gesundheit sinkt die vorhergesagte Lebenszufriedenheit. Die Lebenszufriedenheit sinkt mit dem Ausmaß von coronabedingten Veränderungen aber umso stärker, je gesünder sich die Befragten einschätzen. Umgekehrt sinkt die Lebenszufriedenheit von Menschen mit unterdurchschnittlich guter Gesundheit (d. h. eine Standardabweichung unter dem Gruppenmittel) weniger stark, wenn sich vergleichbare (weitere) pandemiebedingte Verluste im Gesundheitsbereich einstellen. Eine mögliche Erklärung hierfür kann darin gesehen werden, dass im höheren Lebensalter eine gute erhaltene Gesundheit vergleichsweise wichtig für die Lebensbewertung ist. Stellen sich nun im Zusammenhang mit einem äußeren Ereignis wie der Coronapandemie substanzielle Beeinträchtigungen ein, denen aufgrund von herrschenden Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie zudem nur unter erschwerten Bedingungen entgegengetreten werden kann (z. B. Therapie, Unterstützung), könnte das von vielen älteren Menschen als belastender erlebt werden, als wenn es bereits zuvor eine Auseinandersetzung mit substanziell beeinträchtigter Gesundheit gegeben hatte.

Abb. 12
figure 12

Vorhergesagte Verluste in der Allgemeinen Lebenszufriedenheit in Abhängigkeit vom subjektiven Gesundheitsstatus und berichteten pandemiebedingten Veränderungen im Gesundheitsbereich

Im Bereich privater Kontakte lässt sich dagegen keine vergleichbare Dynamik beschreiben. Für Personen, die mehr Zeit mit Verwandten, Bekannten oder Freund:innen verbringen, wird auch eine signifikant höhere allgemeine Lebenszufriedenheit vorhergesagt. Unabhängig davon sinkt die allgemeine Lebenszufriedenheit der älteren Menschen signifikant mit dem Ausmaß von coronabedingten Veränderungen im Bereich privater Kontakte (nicht abgebildet).

Fazit

Die Ergebnisse der Studie „Hohes Alter in Deutschland“ D80+ zum Erleben sehr alter Menschen in der Coronapandemie ergänzen die bisher beispielsweise aus der DEAS-Kurzbefragung vorgelegten Befunde (z. B. Wettstein et al. 2020) und stärken die Aussagen zu Unterschieden innerhalb der sehr alten Menschen durch ein großes und vergleichsweise wenig selektives Sample. Dadurch wird ein genauer Blick auf Bevölkerungsgruppen wie Männern und Frauen, Privatwohnende und Heimbewohner:innen, Menschen im hohen und höchsten Alter (80–84, 85–89, 90+) oder Personen in alten und neuen Bundesländern möglich. Die Befunde verweisen einerseits auf mitunter sehr unterschiedliche Lebenslagen hochaltriger Menschen, andererseits aber auch auf eine damit verbundene gesundheitliche und soziale Vulnerabilität durch das Pandemiegeschehen Ende 2020/Anfang 2021.

Mit Blick auf das Ausmaß der Veränderung zeigen die Ergebnisse der D80+ Studie, dass sich viele Aspekte des Lebens sehr alter Menschen in Deutschland durch die Coronapandemie „überhaupt nicht“ oder nur „ein wenig“ verändert haben. Beispielsweise haben über 70 % der älteren Personen angegeben, dass sich die Wertschätzung durch die Gesellschaft, ihre Gesundheit, ihre Internetnutzung, ihre finanzielle Situation, ihre Haushaltszusammensetzung oder ihr Vertrauen in die Nachbarschaft nicht verändert haben. Eine größtenteils unveränderte erfahrene Wertschätzung durch die Gesellschaft ist vereinbar auch mit dem Befund von Wettstein und Nowossadeck (2021), dass die Coronapandemie nicht in besonderem Maße zu einer Altersdiskriminierung geführt hat. Ein konstant hohes Vertrauen in die Nachbarschaft und überwiegend (60 %) insgesamt als „neutral“ bewertete Veränderungen in diesem Bereich, spiegeln sich auch in den offenen Angaben der Befragten zu Erfahrungen wieder, in denen sowohl Erfahrungen von geringerem sozialen Zusammenhalt und Rücksichtslosigkeit, als auch Erfahrungen von größerem sozialen Zusammenhalt und Rückhalt berichtet wurden.

Starke oder sehr starke pandemiebedingte Veränderungen werden dagegen nur von einem kleinen Teil der Hochaltrigen berichtet, und beschränken sich zudem überwiegend auf Lebensbereiche wie private Kontakte oder Alltagsgestaltung und Freizeit, für die durch die allgemeinen Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie auch entsprechend größere Veränderungen erwartet werden müssen. Die erfahrenen Veränderungen in Lebensbereichen sind dabei über Teilgruppen von hochaltrigen Menschen hinweg nicht gleich verteilt: Frauen, „jüngere“ Hochaltrige und in einem Heim wohnende Personen berichten ein gesteigertes Ausmaß von Veränderungen durch die Coronapandemie.

Ein weiteres Augenmerk der Studie „D80+ Hohes Alter in Deutschland“ wurde auf die subjektiv erlebte Qualität von pandemiebedingten Veränderungen gelegt. Die Ergebnisse zeigen, dass die drastischen Einschränkungen der individuellen Freiheiten und die gesundheitsbezogenen und sozialen Folgen der Pandemie wie erwartet von vielen hochaltrigen Menschen als Belastung wahrgenommen und sich ergebende Veränderungen in Lebensbereichen darum häufig negativ bewertet wurden, z. B. im Bereich Wohlbefinden. Coronabedingte Wohlbefindenseinbußen wurden auch in anderen Studien berichtet (Macdonald und Hülür 2021; van der Roest et al. 2020; Zacher und Rudolph 2021). Dennoch zeigen sich deutliche Unterschiede je nach persönlicher Lebenssituation: Personen in Privathaushalten bewerten die Veränderungen als etwas weniger negativ als Personen in Heimen. Frauen bewerten Veränderungen im Mittel negativer als Männer, und das trifft in besonderem Maße für die ältesten befragten Frauen zu. Die Befunde zeigen jedoch auch, dass die erlebten Veränderungen von sehr alten Menschen bei weitem nicht so ausschließlich negativ bewertet werden, wie man vermuten könnte. Dies scheint sogar für einschneidende Erfahrungen wie den coronabedingten Verlust von Lebenspartner:innen zu gelten: In Partnerschaften führt ein Versterben des Partners oder der Partnerin zu deutlichen Veränderungen der finanziellen Situation der Hinterbliebenen. Diese Veränderungen werden zwar als überwiegend negativ erlebt; es scheinen sich aber mit Blick auf einzelne Lebensbereiche im sehr hohen Alter auch Potenziale für Gewinne zu ergeben. Zusammen mit dem allgemeineren Befund, dass viele der erfahrenen Veränderungen über nahezu alle Lebensbereiche hinweg als bezüglich ihrer Qualität „insgesamt ausgeglichen“ bewertet werden, stehen diese Befunde im Einklang mit lebensspannen-psychologischen Arbeiten, die im fortgeschrittenen Alter eine zunehmende Fokussierung auf positive Aspekte einer gegebenen Situation beschreiben (Carstensen und Mikels 2005; Mather und Carstensen 2005). Auch über einen solchen Positivitäts-Effekt hinaus könnten in der gemeinsam erlebten Ausnahmesituation auch Chancen für unmittelbare positive Erfahrungen, beispielsweise mit Blick auf erkennbarere nachbarschaftliche Sorgestrukturen (Einkaufsdienste etc.), (angemessene) Rücksichtnahme oder Solidarität auf lokaler und globaler Ebene, liegen. Die Befunde der Studie sprechen für eine solche Möglichkeit, auch wenn diese coronabedingten „Gewinne“ die Ausnahme bleiben: So wurden Veränderungen in der eigenen Nutzung des Internets in der bislang zugegebenermaßen noch kleinen Gruppe hochaltriger Onliner in nahezu 15 % der Fälle als „überwiegend positiv“ bewertet. Auch mit Blick auf wahrgenommene Veränderungen bezüglich des nachbarschaftlichen Vertrauens, der Wertschätzung sehr alter Menschen durch die Gesellschaft oder der Haushaltszusammensetzung werden von einem substanziellen Teil von Betroffenen (9 % bis 14,8 %) überwiegend positive Veränderungen berichtet. Die Angaben auf die offene Frage spiegeln ebenso sowohl negative als auch positive Erfahrungen wider. So berichten Hochaltrige von weniger, aber auch von mehr erfahrenem sozialen Zusammenhalt.

Eine persönliche Betroffenheit durch COVID-19 (beispielsweise durch eigene Erkrankungen oder mit Corona im Zusammenhang stehende Todesfälle im sozialen Umfeld) brachte den Ergebnissen der Studie D80+ zufolge nochmal deutlich andere und je nach Ausmaß der Betroffenheit (eigene Erkrankung vs. Erkrankungen im Umfeld) differenzierte Konsequenzen mit sich als die gesellschaftlich geteilten allgemeinen Reise- und Kontaktbeschränkungen, Maskenpflicht, oder Impfstrategien. Die in der Studie „Hohes Alter in Deutschland“ D80+ abgeschätzte Inzidenz von Corona-Erkrankungen über den berücksichtigten Untersuchungszeitraum scheint trotz der gebotenen Vorsicht bei der Interpretation von Selbstauskünften aus einer schriftlichen Bevölkerungsbefragung recht nah an den offiziellen Zahlen des RKI zu liegen. Wegen der großen Stichprobe konnten Folgen einer Erkrankung in verschiedenen Lebensbereichen trotz der geringen Erkrankungsrate zuverlässig beschrieben werden. Nach diesen Befunden steigt das Erkrankungsrisiko mit dem Alter, und insbesondere für ältere Frauen an. Auch Personen in Heimen waren den Ergebnissen nach häufiger erkrankt. Ungefähr jede vierte hochaltrige Person berichtet darüber hinaus über Corona-Erkrankungen oder gar Todesfälle im sozialen Umfeld. Durch den Abgleich von persönlicher Betroffenheit und subjektiv erlebten Konsequenzen in verschiedenen Lebensbereichen wurden darüber hinaus Hinweise auf mögliche Bewältigungsmechanismen oder Risikokonstellationen gefunden, bei denen eine „Störung“ zu weitreichenden und breit gefächerten negativen Konsequenzen für die Lebensqualität im sehr hohen Alter führt (z. B. Nicht-Verfügbarkeit oder Versterben von für die eigene Lebensführung wichtigen Personen wie Pflegepersonen). So hat sich beispielsweise gezeigt, dass Risiken für eine Verschlechterung der Gesundheit in der Hochaltrigkeit innerhalb von Partnerschaften offensichtlich geteilt werden: Erkrankungen von Partner:innen oder deren Tod sind auch für die Befragten selbst mit negativen Gesundheitseffekten assoziiert.

Mit Blick auf das Wechselspiel von pandemiebedingten Ressourcenverlusten und Zufriedenheit im Alter zeigen die Daten der D80+ Studie, dass die allgemeine Lebenszufriedenheit mit coronabedingten Veränderungen in der subjektiven Gesundheit und im Bereich der privaten Kontakte sinkt. Eine coronabedingt geringere Lebenszufriedenheit wurde auch in anderen Studien berichtet (Brandt et al. 2021; Grates et al. 2021). Im Abgleich von aktuellen Ressourcenlagen und wahrgenommenen Veränderungen in zentralen Lebensbereichen wie der Gesundheit gibt die Studie D80+ darüber hinaus erste Hinweise auf das Wechselspiel von Ressourcenniveau und erlebten Verlusten/Gewinnen für die Lebensqualität im sehr hohen Alter (vgl. Jopp und Leipold 2004) und damit auf bestehende Bewältigungsreserven im sehr hohen Alter. Coronabedingte Verluste in der Gesundheit wogen dabei für die Lebenszufriedenheit im sehr hohen Alter umso schwerer, je besser die Befragten ihre Gesundheit einschätzten. Umgekehrt schienen pandemiebedingte Gesundheitsverluste bei schlechter eingeschätzter subjektiver Gesundheit nicht zu stärkeren Verlusten in der Lebenszufriedenheit zu führen, was möglicherweise auf ein hohes Ausmaß von erfolgreicher Bewältigung vorexistierender Gesundheitseinschränkungen in der Population sehr alter Menschen hinweist. Mit Blick auf die soziale Teilhabe sehr alter Menschen zeigen die Studienergebnisse, dass die coronabedingten Veränderungen im Bereich privater Kontakte sowohl für Personen mit vergleichsweise vielen Kontakten als auch solche mit weniger Kontakten in vergleichbarer Weise zu Einbußen in der allgemeinen Lebenszufriedenheit führten. Danach scheinen Maßnahmen zur Reduzierung des persönlichen Kontaktes zumindest mit Blick auf dieses kognitive Maß erlebter Lebensqualität nicht selektiv besonders solche hochaltrigen Menschen zu treffen, die über ohnehin geringe soziale Kontakte verfügen. Der Frage, ob dieser Befund auch auf stärker emotionale Outcomes wie Einsamkeitsgefühle übertragen werden kann oder nicht, wird in einem weiteren Ergebnisbericht zum Einsamkeitserleben in der Hochaltrigkeit nachgegangen.

Während die Befunde der D80+ Studie auf allgemeinster Ebene eher bestätigen, dass ältere Menschen in Privathaushalten relativ gut durch die Coronapandemie zu kommen scheinen (vgl. Wettstein und Wahl 2021), zeigen die Befunde andererseits auch, dass Heimbewohner:innen durch die Corona-Krise in besonderem Maße belastet sind. Dies ist sicherlich mitunter auf die ohnehin schwierigere gesundheitliche und soziale Situation der Heimbevölkerung, aber auch auf vergleichsweise strikte Vorschriften und Maßnahmen in Heimen zurückzuführen. Die Befunde zur stärkeren Betroffenheit und zu negativer erlebten Konsequenzen der Coronapandemie von einbezogenen Heimbewohner:innen wiegen umso schwerer, als diese eine Teilgruppe von Heimbewohner:innen mit vergleichsweise guter Kognition und Gesundheit repräsentieren. Es muss davon ausgegangen werden, dass beispielsweise Personen mit stärkeren kognitiven Beeinträchtigungen Maßnahmen wie körperlichen Abstand oder Maskenpflicht aufgrund ihrer spezifischen Kommunikationsanforderungen möglicherweise deutlich anders und belastender erleben als Personen mit Einsicht in Zweck und Sinn dieser Schutzmaßnahmen. Ein weiterer zentraler Befund ist die Möglichkeit hochaltriger Menschen, sowohl negative als auch positive Konsequenzen der Pandemie zu erkennen und in ein Wohlbefinden bestmöglich erhaltenes Gesamturteil zu integrieren. In vielen Lebensbereichen scheinen sich Verlust- und Gewinnerfahrungen hochaltriger Menschen in der Pandemie „die Waage zu halten“. Auch die Antworten auf die offene Frage zu Erfahrungen mit der Coronapandemie spiegeln die Heterogenität innerhalb der Gruppe sehr alter Menschen mit Blick auf negative und positive Aspekte der Coronapandemie und ihrer Konsequenzen für die gesellschaftliche Teilhabe wider. So beschränkten sich die aufgebrachten Themen nicht allein auf die eigene Lebenssituation, sondern umfassen u. a. auch die Sorge um andere, die mediale Berichterstattung, Beteiligung am politischen Diskurs um Maßnahmen zur Eindämmung der Konsequenzen der Coronapandemie, oder ordnen die aktuellen Erfahrungen vor dem Hintergrund prägender biografischer Erfahrungen (z. B. Kriegserfahrungen) ein.